Bronislaw Malinowski. Der Ethnologe und die Geburt des - Palma3
Bronislaw Malinowski. Der Ethnologe und die Geburt des - Palma3
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tisch, <strong>und</strong> zwar sowohl für <strong>die</strong> Geschichte <strong>des</strong> wissenschaftlichen<br />
Blicks auf <strong>die</strong> »Wilden« als auch für<br />
<strong>die</strong> ambivalente Geschichte <strong>des</strong> Erfinders der ›teilnehmenden<br />
Beobachtung‹ selbst. Vor <strong>Malinowski</strong><br />
hatten <strong>Ethnologe</strong>n ihre Forschung vor allem von zu<br />
Hause aus, gestützt auf Informationen von Missionaren,<br />
Kolonialbeamten <strong>und</strong> Reisenden, betrieben<br />
oder waren nur auf kurzen Visiten vor Ort. Ähnliches<br />
hatte auch <strong>Malinowski</strong> vor, als er sich 1914 nach<br />
Australien begab. Dann brach der Krieg aus. Als<br />
Pole mit österreichischer Staatsangehörigkeit konnte<br />
er nicht mehr heimreisen. Den Zwangsaufenthalt<br />
bis 1918 nutzte <strong>Malinowski</strong> für ethnographische<br />
Untersuchungen auf den Trobriand-Inseln vor der<br />
Küste Indonesiens. Die gesammelten Erfahrungen<br />
vor Ort wurden <strong>Malinowski</strong>s wissenschaftliches<br />
Programm. Er forderte <strong>die</strong> vollständige Integration<br />
<strong>des</strong> <strong>Ethnologe</strong>n in <strong>die</strong> fremde Gesellschaft, will man<br />
deren wirkliches Leben, ihre Organisation, Bräuche<br />
<strong>und</strong>Vorstellungen verstehen. Dafür müsse der <strong>Ethnologe</strong><br />
teilnehmend beobachten, d.h. alle Kontakte zur<br />
eigenen Kultur abbrechen, <strong>die</strong> Sprache lernen <strong>und</strong><br />
sein Zelt vor Ort aufschlagen. Diese Methode wurde<br />
zum Mythos der Ethnologie, prägte <strong>die</strong> nachfolgenden<br />
Wissenschaftsgenerationen, <strong>und</strong> noch heute<br />
lesen Studenten <strong>Malinowski</strong> in ethnologischen<br />
Gr<strong>und</strong>kursen.<br />
Doch es gibt noch eine zweite Seite <strong>die</strong>ser Erfindung,<br />
<strong>die</strong> sich erst postum enthüllte. 1967 veröffentlichte<br />
seine Frau das Tagebuch <strong>des</strong> Forschungsaufenthalts.<br />
Es sorgte für einen Skandal, hatte doch<br />
<strong>Malinowski</strong> seine eigene Methode nur eingeschränkt<br />
eingelöst. Eindrücklich bezeugt es <strong>die</strong> inneren Konflikte<br />
<strong>Malinowski</strong>s, seine Depressionen, unerfüllten<br />
sexuellen Phantasien <strong>und</strong> haßerfüllten, rassistischen<br />
Abneigungen gegen <strong>die</strong> Trobriander. Die Nachwelt<br />
fragte sich, ob <strong>die</strong> Methode zum Verstehen<br />
einer Kultur überhaupt brauchbar sei, weil sich in ihr<br />
Nähe <strong>und</strong> Distanz so problematisch miteinander<br />
1 Michael W. Young:<br />
<strong>Malinowski</strong>’s Kiriwina.<br />
Fieldwork Photography<br />
1915–1918. Chicago/<br />
London 1998, S. 21, 56.<br />
Einführend vgl.: Karl-Heinz<br />
Kohl: <strong>Bronislaw</strong> Kaspar<br />
<strong>Malinowski</strong> (1884–1942).<br />
In: Wolfgang Marschall<br />
(Hg.): Klassiker der<br />
Kulturanthropologie.<br />
München 1990, S. 227–247.<br />
verbanden. Heute gilt das Nähe-Distanz-Problem<br />
als heuristisches Mittel in der Ethnologie. Emotionale<br />
Konflikte <strong>und</strong> ethische Probleme werden reflektiert<br />
<strong>und</strong> publiziert, weil sie <strong>die</strong> eigene Kultur<br />
<strong>des</strong> Forschers beleuchten. <strong>Malinowski</strong>s Tagebuch<br />
begründete damit den zweiten wichtigen Paradigmenwechsel<br />
der Ethnologie: Welcher spezifisch kulturelle<br />
Blick formt den Forschenden? Auch <strong>die</strong>ser<br />
Aspekt ist bereits auf dem Bild angedeutet: das<br />
trobriandische Mädchen richtet ihren Blick auf <strong>die</strong><br />
Linse der Kamera, ihre Perspektive <strong>und</strong> <strong>die</strong> der<br />
Forscher sind miteinander verflochten. Betrachter<br />
<strong>und</strong> Betrachtete bilden einen Zusammenhang.<br />
Retrospektiv verw<strong>und</strong>ert es <strong>des</strong>halb keineswegs,<br />
daß <strong>Malinowski</strong>s ›Geschlechtsleben der Wilden‹<br />
folgenreiche Wirkungen auf <strong>die</strong> europäischen<br />
Betrachter hatte. Die detaillierte Darstellung <strong>des</strong><br />
freizügigen sexuellen Verhaltens der Inselbewohner<br />
erzeugte <strong>die</strong> Imagination eines »Rousseauschen<br />
Sexualpara<strong>die</strong>ses« <strong>und</strong> das Gefühl eigener Defizite.<br />
Noch heute wirkt <strong>die</strong>ses Bild: Antiquariate führen<br />
das Buch unter dem Schlagwort ›Erotika‹. Und wer<br />
eine Kreuzfahrt zu dem Trobriand-Archipel unternehmen<br />
will, wird von Reiseveranstaltern mit den para<strong>die</strong>sgleichen<br />
›Inseln der Liebe‹ gelockt.