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Bronislaw Malinowski. Der Ethnologe und die Geburt des - Palma3

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<strong>Bronislaw</strong><br />

<strong>Malinowski</strong><br />

<strong>Der</strong> <strong>Ethnologe</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Geburt</strong><br />

eines Sexualpara<strong>die</strong>ses<br />

Franka Schneider<br />

›Zwei eingeborene<br />

Mädchen im Festschmuck<br />

vor dem <strong>Ethnologe</strong>n.‹<br />

Gedruckte Fotografie aus<br />

dem Band: <strong>Bronislaw</strong><br />

<strong>Malinowski</strong>: Das<br />

Geschlechtsleben<br />

der Wilden in Nordwest-<br />

Melanesien. Liebe,<br />

Ehe <strong>und</strong> Familienleben<br />

bei den Eingeborenen<br />

der Trobriand-Inseln,<br />

Britisch-Neu-Guinea.<br />

Eine ethnographische<br />

Darstellung. Zürich 1929.<br />

<strong>Bronislaw</strong> <strong>Malinowski</strong> (1884–1942) gilt als Begründer<br />

der modernen Ethnologie, weil er <strong>die</strong> Methode der<br />

›teilnehmenden Beobachtung‹ entwickelte. Das Bild<br />

›Zwei eingeborene Mädchen im Festschmuck vor<br />

dem <strong>Ethnologe</strong>n‹ dokumentiert <strong>Malinowski</strong>s Methode<br />

<strong>und</strong> zeigt zugleich deren Schwierigkeit: Denn teilnehmende<br />

Beobachtung ist immer prekär, muß sie<br />

doch den schmalen Grad zwischen menschlicher<br />

Nähe <strong>und</strong> wissenschaftlicher Distanz wahren. Im<br />

Bild scheint der distanzierte wissenschaftliche Blick<br />

gleichzeitig gewahrt <strong>und</strong> überschritten. <strong>Malinowski</strong>,<br />

ganz in Weiß, mit unvermeidlichem Tropenhelm <strong>und</strong><br />

schmutzabweisenden Gamaschen, bildet das<br />

Zentrum <strong>des</strong> Bil<strong>des</strong>, um ihn gruppiert <strong>die</strong> dunklen<br />

Melanesier. Er blickt konzentriert auf <strong>die</strong> Halskette<br />

eines melanesischen Mädchens, seine Hand weilt<br />

dabei nah an <strong>des</strong>sen entblößter Brust. Das Mädchen<br />

hat <strong>die</strong> Schultern zurückgezogen, <strong>die</strong> Knie zusammengedrückt.<br />

Beide wirken angespannt. Sie versuchen<br />

offenbar, sich nicht zu berühren. Das Bild wirft<br />

Fragen auf: Beobachtet <strong>Malinowski</strong> lediglich teilnehmend<br />

oder ist er selbst konstitutiver Teil der Szene?<br />

Wovon zeugt das Bild, vom Leben der Trobriander<br />

oder vom Leben <strong>des</strong> Forschers? Nimmt <strong>Malinowski</strong><br />

nur teil oder nimmt er sich einen Teil?<br />

Die Publikationsgeschichte spiegelt den wissenschaftlichen<br />

Grenzgang <strong>des</strong> Dargestellten wider.<br />

Im angloamerikanischen Raum galt das Bild bis vor<br />

kurzem als unveröffentlicht. <strong>Der</strong> Verleger oder seine<br />

Ehefrau hatten <strong>Malinowski</strong> erfolgreich ausgeredet,<br />

das Foto als Frontispiz für sein Buch ›The Sexual<br />

Life of Savage in Northwestern Melanesia‹ zu verwenden.<br />

Es war zu provokativ. 1<br />

Im kolonialen Großbritannien<br />

war es wohl der wissenschaftlichen<br />

Autorität abträglich. In der deutschen Übersetzung<br />

von 1929/30 erschien es jedoch genau an jener Stelle,<br />

<strong>und</strong> es ist leider nicht bekannt warum. Offenbar<br />

traute man sich <strong>und</strong> traute sich zugleich nicht.<br />

Das Bild ist als Frontispiz geradezu paradigma-


tisch, <strong>und</strong> zwar sowohl für <strong>die</strong> Geschichte <strong>des</strong> wissenschaftlichen<br />

Blicks auf <strong>die</strong> »Wilden« als auch für<br />

<strong>die</strong> ambivalente Geschichte <strong>des</strong> Erfinders der ›teilnehmenden<br />

Beobachtung‹ selbst. Vor <strong>Malinowski</strong><br />

hatten <strong>Ethnologe</strong>n ihre Forschung vor allem von zu<br />

Hause aus, gestützt auf Informationen von Missionaren,<br />

Kolonialbeamten <strong>und</strong> Reisenden, betrieben<br />

oder waren nur auf kurzen Visiten vor Ort. Ähnliches<br />

hatte auch <strong>Malinowski</strong> vor, als er sich 1914 nach<br />

Australien begab. Dann brach der Krieg aus. Als<br />

Pole mit österreichischer Staatsangehörigkeit konnte<br />

er nicht mehr heimreisen. Den Zwangsaufenthalt<br />

bis 1918 nutzte <strong>Malinowski</strong> für ethnographische<br />

Untersuchungen auf den Trobriand-Inseln vor der<br />

Küste Indonesiens. Die gesammelten Erfahrungen<br />

vor Ort wurden <strong>Malinowski</strong>s wissenschaftliches<br />

Programm. Er forderte <strong>die</strong> vollständige Integration<br />

<strong>des</strong> <strong>Ethnologe</strong>n in <strong>die</strong> fremde Gesellschaft, will man<br />

deren wirkliches Leben, ihre Organisation, Bräuche<br />

<strong>und</strong>Vorstellungen verstehen. Dafür müsse der <strong>Ethnologe</strong><br />

teilnehmend beobachten, d.h. alle Kontakte zur<br />

eigenen Kultur abbrechen, <strong>die</strong> Sprache lernen <strong>und</strong><br />

sein Zelt vor Ort aufschlagen. Diese Methode wurde<br />

zum Mythos der Ethnologie, prägte <strong>die</strong> nachfolgenden<br />

Wissenschaftsgenerationen, <strong>und</strong> noch heute<br />

lesen Studenten <strong>Malinowski</strong> in ethnologischen<br />

Gr<strong>und</strong>kursen.<br />

Doch es gibt noch eine zweite Seite <strong>die</strong>ser Erfindung,<br />

<strong>die</strong> sich erst postum enthüllte. 1967 veröffentlichte<br />

seine Frau das Tagebuch <strong>des</strong> Forschungsaufenthalts.<br />

Es sorgte für einen Skandal, hatte doch<br />

<strong>Malinowski</strong> seine eigene Methode nur eingeschränkt<br />

eingelöst. Eindrücklich bezeugt es <strong>die</strong> inneren Konflikte<br />

<strong>Malinowski</strong>s, seine Depressionen, unerfüllten<br />

sexuellen Phantasien <strong>und</strong> haßerfüllten, rassistischen<br />

Abneigungen gegen <strong>die</strong> Trobriander. Die Nachwelt<br />

fragte sich, ob <strong>die</strong> Methode zum Verstehen<br />

einer Kultur überhaupt brauchbar sei, weil sich in ihr<br />

Nähe <strong>und</strong> Distanz so problematisch miteinander<br />

1 Michael W. Young:<br />

<strong>Malinowski</strong>’s Kiriwina.<br />

Fieldwork Photography<br />

1915–1918. Chicago/<br />

London 1998, S. 21, 56.<br />

Einführend vgl.: Karl-Heinz<br />

Kohl: <strong>Bronislaw</strong> Kaspar<br />

<strong>Malinowski</strong> (1884–1942).<br />

In: Wolfgang Marschall<br />

(Hg.): Klassiker der<br />

Kulturanthropologie.<br />

München 1990, S. 227–247.<br />

verbanden. Heute gilt das Nähe-Distanz-Problem<br />

als heuristisches Mittel in der Ethnologie. Emotionale<br />

Konflikte <strong>und</strong> ethische Probleme werden reflektiert<br />

<strong>und</strong> publiziert, weil sie <strong>die</strong> eigene Kultur<br />

<strong>des</strong> Forschers beleuchten. <strong>Malinowski</strong>s Tagebuch<br />

begründete damit den zweiten wichtigen Paradigmenwechsel<br />

der Ethnologie: Welcher spezifisch kulturelle<br />

Blick formt den Forschenden? Auch <strong>die</strong>ser<br />

Aspekt ist bereits auf dem Bild angedeutet: das<br />

trobriandische Mädchen richtet ihren Blick auf <strong>die</strong><br />

Linse der Kamera, ihre Perspektive <strong>und</strong> <strong>die</strong> der<br />

Forscher sind miteinander verflochten. Betrachter<br />

<strong>und</strong> Betrachtete bilden einen Zusammenhang.<br />

Retrospektiv verw<strong>und</strong>ert es <strong>des</strong>halb keineswegs,<br />

daß <strong>Malinowski</strong>s ›Geschlechtsleben der Wilden‹<br />

folgenreiche Wirkungen auf <strong>die</strong> europäischen<br />

Betrachter hatte. Die detaillierte Darstellung <strong>des</strong><br />

freizügigen sexuellen Verhaltens der Inselbewohner<br />

erzeugte <strong>die</strong> Imagination eines »Rousseauschen<br />

Sexualpara<strong>die</strong>ses« <strong>und</strong> das Gefühl eigener Defizite.<br />

Noch heute wirkt <strong>die</strong>ses Bild: Antiquariate führen<br />

das Buch unter dem Schlagwort ›Erotika‹. Und wer<br />

eine Kreuzfahrt zu dem Trobriand-Archipel unternehmen<br />

will, wird von Reiseveranstaltern mit den para<strong>die</strong>sgleichen<br />

›Inseln der Liebe‹ gelockt.

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