Anthroposophie
Anthroposophie Anthroposophie
Offenbarung ("von oben") und Erkenntnisstreben ("von unten") zusammenzubringen. Wir haben seine Argumentation bereits kennengelernt und verdeutlichen sie uns durch ein weiteres Zitat: "Die Anstrengung, die der Mensch aufzubringen hat, um der göttlichen Offenbarung entgegenzukommen, ist nicht die willkürliche Anstrengung des eignen Willens, auch nicht die Anstrengung des Denkens ... sondern alle Anstrengung des Denkens und des Wollens verwandelt sich in Anstrengung der Aufmerksamkeit und Hingabe für das, was gegeben wird. Selbst diese Aufmerksamkeit und Hingabe kommt aber nicht aus der primären Initiative des Menschen, sondern kann nur vorhanden sein, wenn schon ein Schein oder Schatten der Offenbarung die Seele berührt und zu einer ersten Anerkennung, zu Verlangen und Sehnsucht geführt hat." 47 Im Bild: Anstrengung der Selbsthingabe. Sie ermöglicht: Offenbarung \ / a) Glaube als der göttlich-geistigen \ / Erkenntnisakt/Denken Welt \ / - mit neuem Schauen (Anthroposophie) > b) Glaube als Enscheidungsakt/Wollen Berührtwerden des Menschen von der göttlich-geistigen Welt in Glaube und Philosophie (als Reste alten Schauens) Die Offenbarung gilt somit als das primäre Geschehen, welches das Erkennen des Menschen (als ersten Schritt des Glaubens) und das Wollen (als zweiten Schritt des Glaubens) ermöglicht. Dieser Auffassung könnten wir aus biblischtheologischer Sicht durchaus zustimmen, würde sich nicht hinter den Bezeichnungen "Glaube" und "Erkennen" in der Anthroposophie ein anderer, dem neutestamentlichen Zeugnis widersprechender Sinn verbergen. 48 Diesen Unterschied gilt es nun herauszuarbeiten. Wir kommen damit zur Beantwortung der weiter oben formulierten Fragen, die sich auf das Verhältnis von Offenbarung, Glaube und Erkennen sowie die Untergliederung des Glaubens in Erkenntnis- und Entscheidungsakt bei Rittelmeyer beziehen. 80
Zunächst zeigt sich folgendes: Die anthroposophische Vorstellung, daß der Glaube des gewöhnlichen Christen der "letzte Rest eines alten 'Schauens'" sei und daß dieser "Glaube als Erkenntnisakt" einer "Stärkung" durch "geistige Übungen" bedürfe (s.o.), entstammt nicht neutestamentlichem, sondern gnostischem Gedankengut. Es ist ein prägendes Kennzeichen gnostischer Systeme, daß sie eine Abwertung des gewöhnlichen Glaubens und eine Aufwertung der "höheren Erkenntnis" (die dann manchmal mit einem "besseren Glauben" gleichgesetzt wird) vornehmen. Die valentinianische Gnosis beispielsweise, die Rittelmeyer als das wichtigste gnostische System gut vertraut war (s. I.B. 1.2), vertrat eine Einteilung der Menschheit in drei Gruppen: "Drei Gruppen von Menschen gebe es: Pneumatiker, Psychiker, Sarkiker. Die Gruppe der Pneumatiker seien sie selbst, wie sie auch Gnostiker heißen, sie bedürften keiner Anstrengung als nur der Erkenntnis (Gnosis) und dessen, was in den Mysterien dazu gesagt würde ... Die zweite Gruppe von Menschen in der Welt, die sie psychisch nennen, könne von sich aus nicht gerettet werden, wenn sie nicht durch Mühe und rechtes Tun sich selbst rette. Die materielle Gruppe der Menschen in der Welt könne weder die Erkenntnis fassen noch sie aufnehmen." 49 Rittelmeyer nimmt zwar keine solche Aufteilung der Menschheit in Gruppen vor, aber er proklamiert - wohl in Anlehnung an derartige altkirchlichgnostische Vorstellungen - unterschiedliche Erkenntnisstufen in demselben Menschen. 1.3.3.6 Christliche Glaubenserkenntnis als "Anerkenntnis" Der Glaube im neutestamentlichen Sinn aber braucht keine "Aufwertung" durch "höheres Erkennen" oder "Schauen", das durch "geistige Übungen" herbeigeführt wird, sondern er ist dem Christen von Gott als seligmachendes, rettendes (und zwar allein rettendes) Geschenk gegeben (Joh 20,31; Rom 3,28; Gal 3,23ff u.ö.). Der Glaube ist ein "Nichtzweifeln an dem, das man nicht sieht" (Hebr 11,1), und selig werden diejenigen gepriesen, die "nicht sehen und doch glauben" (Joh 20,29). Das heißt nun nicht, daß der Glaube blind sei, sondern er ist durchaus mit einem Erkennen dessen verbunden, worauf er sich richtet. Das Erkennen tritt aber nicht als "höhere Schau" über den Glauben, sondern wird im Glauben von Gott geschenkt: "Echter Glaube, d. h. [sie] Glaube, der 'bleibt', hat als solcher in sich das ginöskein... es bildet ein Strukturmoment des Glaubens, und zwar ist es das dem Glauben eigene Verstehen..." (Rudolf Bultmann) 50 . Indem ich glaube, erkenne ich Gott als denjenigen, der sich mir als Erlöser und Herr in Jesus Christus zuwendet Und indem ich Gott so wirklich erkenne, habe ich die Möglichkeit, an ihn zu glauben (vgl. Joh 6,69; 1. Joh 4,16; Hebr 11,3 u.ö.). Diese Möglichkeit wird durch einen - ebenfalls von Gott geschenkten (Phil 2,13) - Willensentschluß zur Wirklichkeit. Insofern kann 81
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Zunächst zeigt sich folgendes: Die anthroposophische Vorstellung, daß der<br />
Glaube des gewöhnlichen Christen der "letzte Rest eines alten 'Schauens'"<br />
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Übungen" bedürfe (s.o.), entstammt nicht neutestamentlichem, sondern<br />
gnostischem Gedankengut. Es ist ein prägendes Kennzeichen gnostischer<br />
Systeme, daß sie eine Abwertung des gewöhnlichen Glaubens und eine Aufwertung<br />
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"Drei Gruppen von Menschen gebe es: Pneumatiker, Psychiker, Sarkiker. Die Gruppe<br />
der Pneumatiker seien sie selbst, wie sie auch Gnostiker heißen, sie bedürften keiner<br />
Anstrengung als nur der Erkenntnis (Gnosis) und dessen, was in den Mysterien dazu<br />
gesagt würde ... Die zweite Gruppe von Menschen in der Welt, die sie psychisch<br />
nennen, könne von sich aus nicht gerettet werden, wenn sie nicht durch Mühe und<br />
rechtes Tun sich selbst rette. Die materielle Gruppe der Menschen in der Welt könne<br />
weder die Erkenntnis fassen noch sie aufnehmen." 49<br />
Rittelmeyer nimmt zwar keine solche Aufteilung der Menschheit in Gruppen<br />
vor, aber er proklamiert - wohl in Anlehnung an derartige altkirchlichgnostische<br />
Vorstellungen - unterschiedliche Erkenntnisstufen in demselben<br />
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1.3.3.6 Christliche Glaubenserkenntnis als "Anerkenntnis"<br />
Der Glaube im neutestamentlichen Sinn aber braucht keine "Aufwertung"<br />
durch "höheres Erkennen" oder "Schauen", das durch "geistige Übungen"<br />
herbeigeführt wird, sondern er ist dem Christen von Gott als seligmachendes,<br />
rettendes (und zwar allein rettendes) Geschenk gegeben (Joh 20,31; Rom<br />
3,28; Gal 3,23ff u.ö.). Der Glaube ist ein "Nichtzweifeln an dem, das man<br />
nicht sieht" (Hebr 11,1), und selig werden diejenigen gepriesen, die "nicht<br />
sehen und doch glauben" (Joh 20,29).<br />
Das heißt nun nicht, daß der Glaube blind sei, sondern er ist durchaus mit<br />
einem Erkennen dessen verbunden, worauf er sich richtet. Das Erkennen tritt<br />
aber nicht als "höhere Schau" über den Glauben, sondern wird im Glauben<br />
von Gott geschenkt: "Echter Glaube, d. h. [sie] Glaube, der 'bleibt', hat als<br />
solcher in sich das ginöskein... es bildet ein Strukturmoment des Glaubens,<br />
und zwar ist es das dem Glauben eigene Verstehen..." (Rudolf Bultmann) 50 .<br />
Indem ich glaube, erkenne ich Gott als denjenigen, der sich mir als Erlöser<br />
und Herr in Jesus Christus zuwendet Und indem ich Gott so wirklich erkenne,<br />
habe ich die Möglichkeit, an ihn zu glauben (vgl. Joh 6,69; 1. Joh 4,16; Hebr<br />
11,3 u.ö.). Diese Möglichkeit wird durch einen - ebenfalls von Gott<br />
geschenkten (Phil 2,13) - Willensentschluß zur Wirklichkeit. Insofern kann<br />
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