Anthroposophie
Anthroposophie Anthroposophie
1.2 Quellenscheidung Steiner kritisiert in Vorträgen aus den Jahren 1910 und 1912 die Quellenscheidung, insbesondere die Fragmentenhypothese, weil durch sie der einheitliche Geist in der Bibel verlorengegangen sei. Wie er schildert, habe "die Gelehrsamkeit in den letzten Jahrzehnten - eigentlich durch das ganze 19. Jahrhundert hindurch - das wirkliche Verständnis der Bibel sehr erschwert, indem sie dieselbe zerrissen hat und behauptet hat, daß zum Beispiel das Neue Testament aus allen möglichen Dingen zusammengestellt sei, welche dann später zusammengetragen sein sollen, und daß ebenso auch das Alte Testament eine Zusammenfügung sei aus ganz verschiedenen Dingen, die zu verschiedenen Zeiten zusammengekommen sein sollen". Nach Ansicht der Theologen habe man in der Bibel "lauter Fragmente, die sehr leicht den Eindruck machen, daß sie ein Aggregat, eine Zusammenfügung darstellen, daß sie 'zusammengenäht' worden wären im Laufe der Zeit". Steiner urteilt: "Diese Ansicht aber stört das, was als ein wirkliches ernstes Bibellesen der nächsten Zukunft kommen muß." In diesem werde man die Bibel als "etwas Ganzes" nehmen (139,31). In Form der "Regenbogenbibel" hingegen habe man "Fetzen, aber nicht mehr die Bibel" (122,198) - und schon gar nicht den "einheitlichen Geist in der Bibel" (139,32). Diese Argumentation Steiners haben seine Schüler aufgegriffen und auch auf die Quellenscheidung und Bibelkritik allgemein bezogen. Der "intellektuelle[n] Theologie" und ihrer "Bibelkritik" wirft z.B. Emil Bock im Jahre 1953 vor, daß durch sie "die Bibel zerfetzt wird und in Stücken und Belanglosigkeiten zu Boden fällt" 10 . Und Friedrich Rittelmeyer beklagt im Jahre 1930 das "Verhängnis der heutigen Bibel Wissenschaft", die zwar eine umfangreiche philologische und religionsgeschichtliche Arbeit betreibe, der aber das Entscheidende fehle, nämlich "ein wirkliches Verständnis der geistigen Vorgänge, die sich in den biblischen Schriftstellern vollzogen, für die Welten, in denen sie geistig zu Hause waren,... für den lebendigen Geist der Menschen und der Zeit" 11 . Hierzu sei angemerkt, daß eine solche Kritik am Verlust des "wirklichen Verständnisses", des "Geistcharakters" und der "Einheit" der Schrift durch eine radikal kritische Betrachtung der Bibel kein Spezifikum der Anthroposophie ist. Sie wurde - freilich mit unterschiedlicher Intention - immer schon von Theologen der "positiven" bzw. konservativen Richtung vorgebracht 12 und ab 1920 auch von Vertretern der Dialektischen Theologie 13 und einer pneumatischen Exegese 14 in die Debatte geworfen. In Kapitel III. A.1 kommen wir auf die Thematik "Einheit und Ganzheit" in der Sicht der Anthroposophie ausführlich zu sprechen. 52
1.3 Leben-Jesu-Forschung Steiner unterscheidet in seiner Christosophie zwischen Jesus als einem Menschen, der historisch existiert hat, und Christus als göttlich-geistigem Prinzip, das sich bei der Jordantaufe in Jesus inkarnierte (s. III. B.4). Von dieser Unterscheidung ausgehend, betrachtet er die Leben-Jesu-Forschung und die "Christus-Forschung" wie zwei Pole, deren Vertreter Vereinseitigungen QI\Qgen sind. Die Leben-Jesu-Forschung des 19. Jahrhunderts habe den "Christus" und seine "Wunder" verloren, indem sie aufgrund ihrer "materialistischen Anschauung" die Evangelien als historische Dokumente mißverstanden habe. Sie meinte, "wenn man alles Übersinnliche herausnimmt und kombiniert, was in den verschiedenen Evangelien zusammenstimmt oder nicht zusammenstimmt, dann ließe sich daraus so etwas wie eine Biographie des Jesus von Nazareth herstellen". Steiner zitiert das (bis auf Reimarus und David Friedrich Strauß zurückgehende 15 ) "Wort von dem 'schlichten Mann aus Nazareth'". "Immer mehr und mehr richtete man den Blick bloß hin auf den Jesus von Nazareth" (139,183ff). Dieser Ansatz aber sei gescheitert, denn "im Sinne von historischen Dokumenten können die Evangelien als solche selbstverständlich nicht gelten. Es sind ihrer vier, und für eine äußere materialistische Betrachtungsweise widersprechen sie sich alle" (ebd). Als Belege hierfür nennt Steiner u.a. Stellen aus Schriften Otto Schmiedeis und Adolf Harnacks (619,111). 16 Nur auf einer höheren, "geistigen" Ebene läßt sich nach seiner Ansicht die Einheit der Evangelien herbeiführen und ein zutreffendes Bild von dem Christus Jesus gewinnen (s. III. A.1). Steiner kritisiert also die Reduktion auf den "äußeren Menschen" im liberalen Jesusbild (139,183) und den Versuch, die Biographie dieses veräußerlichten Jesus aus den Evangelien zu erheben, aber er bestreitet nicht die Existenz des historischen Jesus an sich. Darin berührt er sich mit dem Urteil Albert Schweitzers, der feststellt: "Das historische Fundament des Christentums, wie es die rationalistische, die liberale und die moderne Theologie aufgeführt haben, existiert nicht mehr, was aber nicht heißen will, daß das Christentum deshalb sein historisches Fundament verloren hat." 17 Die Position Steiners tritt im nächsten Abschnitt noch deutlicher hervor. 1.4 "Christus-Forschung" Mit "Christus-Forschung " bezeichnet Steiner die Untersuchungen v. a. von William Benjamin Smith und Arthur Drews, die die Existenz des historischen Jesus bestreiten. 18 Nach deren Ansicht habe "ein Jesus von Nazareth... 53
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1.3 Leben-Jesu-Forschung<br />
Steiner unterscheidet in seiner Christosophie zwischen Jesus als einem Menschen,<br />
der historisch existiert hat, und Christus als göttlich-geistigem Prinzip,<br />
das sich bei der Jordantaufe in Jesus inkarnierte (s. III. B.4). Von dieser<br />
Unterscheidung ausgehend, betrachtet er die Leben-Jesu-Forschung und die<br />
"Christus-Forschung" wie zwei Pole, deren Vertreter Vereinseitigungen QI\Qgen<br />
sind.<br />
Die Leben-Jesu-Forschung des 19. Jahrhunderts habe den "Christus" und<br />
seine "Wunder" verloren, indem sie aufgrund ihrer "materialistischen Anschauung"<br />
die Evangelien als historische Dokumente mißverstanden habe.<br />
Sie meinte, "wenn man alles Übersinnliche herausnimmt und kombiniert,<br />
was in den verschiedenen Evangelien zusammenstimmt oder nicht zusammenstimmt,<br />
dann ließe sich daraus so etwas wie eine Biographie des Jesus von<br />
Nazareth herstellen". Steiner zitiert das (bis auf Reimarus und David Friedrich<br />
Strauß zurückgehende 15 ) "Wort von dem 'schlichten Mann aus Nazareth'".<br />
"Immer mehr und mehr richtete man den Blick bloß hin auf den Jesus von<br />
Nazareth" (139,183ff).<br />
Dieser Ansatz aber sei gescheitert, denn "im Sinne von historischen Dokumenten<br />
können die Evangelien als solche selbstverständlich nicht gelten. Es<br />
sind ihrer vier, und für eine äußere materialistische Betrachtungsweise widersprechen<br />
sie sich alle" (ebd). Als Belege hierfür nennt Steiner u.a. Stellen<br />
aus Schriften Otto Schmiedeis und Adolf Harnacks (619,111). 16 Nur auf einer<br />
höheren, "geistigen" Ebene läßt sich nach seiner Ansicht die Einheit der<br />
Evangelien herbeiführen und ein zutreffendes Bild von dem Christus Jesus<br />
gewinnen (s. III. A.1).<br />
Steiner kritisiert also die Reduktion auf den "äußeren Menschen" im liberalen<br />
Jesusbild (139,183) und den Versuch, die Biographie dieses veräußerlichten<br />
Jesus aus den Evangelien zu erheben, aber er bestreitet nicht die Existenz<br />
des historischen Jesus an sich. Darin berührt er sich mit dem Urteil Albert<br />
Schweitzers, der feststellt:<br />
"Das historische Fundament des Christentums, wie es die rationalistische, die liberale<br />
und die moderne Theologie aufgeführt haben, existiert nicht mehr, was aber nicht<br />
heißen will, daß das Christentum deshalb sein historisches Fundament verloren hat." 17<br />
Die Position Steiners tritt im nächsten Abschnitt noch deutlicher hervor.<br />
1.4 "Christus-Forschung"<br />
Mit "Christus-Forschung " bezeichnet Steiner die Untersuchungen v. a. von<br />
William Benjamin Smith und Arthur Drews, die die Existenz des historischen<br />
Jesus bestreiten. 18 Nach deren Ansicht habe "ein Jesus von Nazareth...<br />
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