Anthroposophie
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Deißmann, wie Bock ihn versteht, wollte das Neue Testament nicht wie ein<br />
Produkt attizistischer Kunstprosa behandeln, sondern "als aus einer anderen<br />
Schicht, nämlich der unmittelbar empfindenden schlichter Seelen, hervorgehend"<br />
verstanden wissen. In diesem Sinne sprach er von der 'Volkstümlichkeit'<br />
derneutestamentlichen Schriften" 88 . Von der "üblichen kritisch-philologischen<br />
Wissenschaftlichkeit" war er nach Meinung Bocks ebensoweit entfernt wie<br />
von einem "dogmatischen Inspirationsbegriff". Deißmann wollte die Texte<br />
meditativ erforschen, aus "ungeahnten Tiefen meditativer Qualitäts-Wahrnehmung"<br />
heraus. Er forderte ein "offenes Organ für heilige Untertöne" in ihnen,<br />
suchte die "qualitative Aura" der Wortlaute und vernahm mit seinem "Logos-<br />
Spürsinn" die "Musik höheren Grades, die darin verborgen mitklingt".<br />
Besonders um die Erforschung der "Christusmystik" hat er sich bemüht. 89 Er<br />
wollte - kurz gesagt - von den Wörtern zum Wort, vom Buchstaben zum Geist<br />
der biblischen Schriften vordringen. 90 Deißmann selber führt über seine<br />
"exegetischen Prinzipien" folgendes aus:<br />
"Gebraucht Paulus ein länger ausgeführtes Bild, so suche ich dieses Bild in seiner<br />
eigenen geschlossenen Bildhaftigkeit solange zu verstehen, als es der Text zwanglos<br />
zuläßt... das letzte und beste Verständnis der paulinischen Christ-Innigkeit kann mit<br />
den rein grammatisch-historischen Mitteln der Studierstube nicht erreicht werden; es<br />
kann nur intuitiv erschlossen werden ... Die Srudierstube als solche erzielt, wenn sie<br />
ohne Verbindung mit dem Heiligtum bleibt, nur ein anatomisches Verständnis..." 91<br />
In vielem berührte sich Deißmanns Hermeneutik deutlich mit dem Anliegen<br />
Bocks, der deshalb sogar schreiben konnte:<br />
"Und vieles von dem, was Deißmann über das Neue Testament und seine Sprache<br />
herausgearbeitet hat, findet in einer Theologie, die sich von der <strong>Anthroposophie</strong> neue<br />
Wege hat zeigen lassen, seine organische Fortsetzung." 92<br />
Diese Anerkennung als Wegbereiter, die er von Seiten Bocks empfing, erwiderte<br />
Deißmann seinerseits zwar nicht durch den Anschluß an die <strong>Anthroposophie</strong>,<br />
aber doch durch "Hochachtung" vor ihrem Denken, die sich auch<br />
äußerlich im Besuch der Predigten Rittelmeyers zeigte. 93 Das Urteil Bocks,<br />
daß Deißmann von Seiten seiner Fachkollegen größtenteils Ablehnung erfuhr,<br />
da sie ihn aus philologischer Sicht "nicht für exaktwissenschaftlich"<br />
hielten und sich gegen seine "rein im Qualitativen liegenden Ergebnisse"<br />
wehrten 94 , kann allerdings von der Sache her nicht unwidersprochen stehen<br />
bleiben. Ist es doch gerade das Gebiet der Philologie, auf dem Deißmann<br />
(v.a. durch den Nachweis der Entstehung des Neuen Testaments aus der<br />
spätgriechischen Umgangssprache heraus) bleibende Anerkennung gefunden<br />
hat! 95<br />
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