Anthroposophie
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Das Fließen des Blutes beim Kreuzestod Jesu wird somit als entscheidender<br />
Impuls für das Weitergehen der Evolution betrachtet, als geradezu naturgesetzlicher<br />
Prozeß. Wie hier bedient sich Steiner oft naturalistischer Begriffe<br />
in seiner Auslegung geistlicher Tatsachen. Hier schwingen offensichtlich<br />
alchemistische Vorstellungen der mittelalterlichen Esoterik und des<br />
Rosenkreuzertums mit. 35 Die Wirkung des Blutes wird mit einer chemischen<br />
Reaktion gleichgesetzt, so wie wenn sich zwei Elemente (hier: Sonnen- und<br />
Erdenkräfte) verbinden. Das soll auch erklären, warum im Blut noch die<br />
Christuskraft wohnte, obwohl laut Steiner der Christus bei der Kreuzigung<br />
gar nicht mehr im Jesusleib war: Die zeitweilige Verschmelzung des Christus<br />
mit dem Jesus hatte das Blut umgewandelt. Bereits im Garten Gethsemane<br />
hatte sich hingegen das Christus-Ich selber mehr und mehr aus dem Jesusleib<br />
zurückgezogen, was nach Meinung Steiners z.B. durch das Blutschwitzen<br />
Jesu, vollends aber durch den fliehenden nackten Jüngling (Mk 14,5 lf), der<br />
dem Christus entspricht, angedeutet wird. Dieses Christusverständnis weist<br />
deutliche Parallelen auf zum doketischen System des Gnostikers Kerinth,<br />
eines Zeitgenossen Satornils und angeblichen Gegners des Evangelisten Johannes.<br />
Gemäß Kerinth ist auf Jesus nach der Taufe "von der obersten Macht,<br />
die über allem ist, Christus in der Gestalt einer Taube herabgestiegen, und<br />
daraufhabe er den unbekannten Vater verkündigt und Machttaten vollbracht.<br />
Am Ende aber habe sich Christus wieder von Jesus getrennt, Jesus sei gekreuzigt<br />
worden und auferstanden, Christus aber sei leidensunfähig geblieben,<br />
da er pneumatisch gewesen sei." 36<br />
Es wäre falsch, einfach zu sagen, daß Steiner die "Selbsterlösung" lehre,<br />
daß bei ihm "alles nur aus eigener menschlicher Kraft" gehe, wie manche<br />
Kritiker der <strong>Anthroposophie</strong> behaupten. 37 "Der Christus" hat durchaus etwas<br />
getan: Er hat die "Erbsünde" (für Steiner: den "Sündenfall", den er mit den<br />
antiken Gnostikern im Anschluß an den Piatonismus als ein Gebundenwerden<br />
des Geistigen durch die Materie verstand) überwunden und den Impuls zur<br />
Wiedervergeistigung gegeben. Diese "Erlösung" macht die Selbsterlösung<br />
(den karmischen Ausgleich der einzelnen Aktualsünden) möglich, indem der<br />
Christus uns zeigt, wie die Kräfte zur Besiegung der Materie in uns selber (!)<br />
gefunden werden. Freilich läuft diese Erlösungsvorstellung letztlich für den<br />
einzelnen Menschen doch auf eine Selbsterlösung hinaus, aber sie ist komplizierter,<br />
als gemeinhin angenommen wird. 38<br />
Die Auferstehung, d.h. die Rückkehr des Christusgeistes in den verdichteten<br />
Ätherleib des Jesus, ist Bestätigung für die begonnene Wiedervergeistigung<br />
der Erde. Und der Christus als der herabgestiegene "Sonnengeist", der zum<br />
"Erdgeist" geworden ist, wird durch "Äthersehen ", eine besondere Art des<br />
Hellsehens, erkannt. Deshalb sind nach dem Verständnis Steiners Himmelfahrt,<br />
Pfingsten, das Damaskus-Erlebnis des Paulus und die Wiederkunft des<br />
Christus weniger objektive Ereignisse außerhalb des Menschen als vielmehr<br />
unterschiedliche Wahrnehmungsstufen im Menschen. Bei der Himmelfahrt<br />
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