Anthroposophie
Anthroposophie Anthroposophie
in einem Prozeß, der riesige Zeiträume umfasse, seiner "Vergeistigung" zu (vgl. 601,294ff.3O6). Einen grundlegenden Unterschied zu Goethe hat Steiner darin gesehen, daß Goethe in seiner Bestimmung der Geisteswelt nicht weit genug gegangen sei: "In dieser Anknüpfung hat man zwar viel Gelegenheit, zu zeigen, wie die Natur geistig ist, weil Goethe selbst nach einer geistgemäßen Naturanschauung gestrebt hat; man hat aber nicht in ähnlicher Art Gelegenheit, über die rein geistige Welt als solche zu sprechen, weil Goethe die geistgemäße Naturanschauung nicht bis zur unmittelbaren Geistanschauung fortgeführt hat" (636,124f). Diese "unmittelbare Geistanschauung" wollte nun Steiner selber erringen, und zwar durch ein "sinnlichkeitsfreies Denken", welches der später von ihm entwickelte anthroposophische Erkenntnisweg ermöglichen sollte (vgl. 636,122ff). Viele weitere Prägungen und Begegnungen wären im folgenden zu erwähnen, die Steiner zu seiner anthroposophischen Weltanschauung führten oder ihn auf seinem Weg dorthin bestärkten, doch müssen wir uns - wie schon anfangs betont- auf die uns am wesentlichsten erscheinenden beschränken. Folgende grundlegende Beobachtung sei an dieser Stelle jedoch wiedergegeben: Zum einen nennt Steiner viele Personen, die für ihn prägend waren; zum anderen möchte er die Eigenständigkeit seiner Erkenntnisse festhalten (vgl. 636,272.294 u.a.). Wie läßt sich das vereinbaren? Betrachtet man seine Schriften, so wird man jedenfalls so viel sagen können: Steiner hat aus verschiedenen, bereits vorhandenen Gedanken und Lehren eklektisch Impulse aufgenommen und mit deren Hilfe etwas Neues gestaltet. Dabei waren seine frühen hellseherischen Erfahrungen die Grundlinie, die sich durch sein Leben zog und die die Auswahl, Aufnahme und Verwandlung der auf ihn zukommenden Impulse bestimmte. Soerklärt sich z.B. die zunächst erstaunlich scheinende Tatsache, daß Steiner von materialistisch und "anti-metaphysisch" geprägten Philosophen wie Ernst Haeckel und Friedrich Nietzsche Anschauungen übernehmen konnte, um sie dann auf die "höhere Ebene" seiner aufkeimenden "Geisteswissenschaft" zu übertragen. Haeckels materialistischen Monismus etwa formte er zu einem "geistgemäßen" oder "spirituellen" Monismus um (vgl. 636,162f.288f; 605,10f). Darwins und Haeckels Vorstellung von einer biologisch-materiellen Evolution übertrug er auf die "geistige" Ebene (vgl. 636,300). Nietzsches Steigerung des Menschen zum"Übermenschen"bzw."höheren Naturmenschen" war ihm Vorbild für die Steigerung des Menschen zum Geistesmenschen (636,195; 621,38ff). Und Nietzsches Anschauung von der "Wiederkehr des Gleichen" gab ihm-neben der Vermittlung der diesbezüglichen Lehren durch die indisch geprägte Theosophie, aber auch die jüdische Kabbala (s. III.B.2.1.1) -den Anstoß zu seinerLehrevonden wiederholten Erdenleben, von der Reinkarnation (vgl. 636,190ff). 16
1.3 Esoterische Prägungen Den ausschlaggebenden Impuls empfing Steiner aber nicht von der Philosophie, sondern von einem "einfachen Manne aus dem Volke" (636,45). Die Philosophie war- selbst bei Hegel - "nur zu einer Gedankenwelt", nicht aber "zu einer Anschauung einer konkreten Geisteswelt" vorgedrungen (636,47). Anders der Wiener Kräutersammler Felix Koguzki (1833-1909) 9 , den Steiner zu Beginn seines Studiums kennengelernt hatte: "Mit ihm konnte man über die geistige Welt sprechen wie mit jemand, der Erfahrung darin hatte." In ihm begegnete Steiner jemand, der "viele mystische Bücher gelesen" hatte und zugleich "Sprachorgan" war für einen "Geistesinhalt, der aus verborgenen Welten heraus sprechen wollte" (636,45f.371). Laut seinem französischen Biographen Edouard Schure" wurde Steiner durch Koguzki bzw. einen hinter ihm stehenden, übersinnlichen "Meister" in die okkulten Mysterien eingeweiht. Schure deutet in seiner kurzen Steiner-Biographie zu Beginn der französischen Übersetzung des "Christentums als mystische Tatsache" daraufhin. Seiner Information liegt ein Gespräch mit Steiner zugrunde: "Ce fut ä dix-neuf ans que 1'aspirant aux mysteres rencontra son guide - le Maitre - depuis longtemps pressenti. C'est un fait constant, admis par la tradition occulte et confirme par l'experience, que ceux qui cherchent la verite" superieure d'un desir impersonnel trouvent un maitre pour les initier, au moment propice, c'est-a-dire quand ils sont murs pour la recevoir... Le maitre de Rudolf Steiner etait un de ces hommes puissants qui vivent, inconnus du monde, sous le masque d'un etat civil quelconque, pour accomplir une mission dont seuls se doutent leurs egaux dans la confrerie des maitres renonciateurs." 10 Einen weiteren Schritt in Richtung "Okkultismus" 11 tat Steiner in den Jahren 1884/85, als er in Wien im Hause der Marie Lang mit der Theosophie Helena Petrovna (Petrowna) Blavatskys in Verbindung kam (636,118ff; 38,52f. 136f). Blavatsky (1831-1891) war ein spiritistisches Medium und hatte aufgrund "übersinnlicher Eingebungen" ein kompliziertes Weltanschauungsgebäude errichtet, das Elemente aus unterschiedlichen Lehrsystemen - vor allem aus Buddhismus, antiker Gnosis und jüdischer Kabbala - in sich vereinigte. 12 Ernst Müller, der Übersetzer des "Sohar", der durch die Begegnung mit Rudolf Steiner vom Judentum zu einem anthroposophisch geprägten Christentum geführt wurde 13 , weist auf den - meist viel zu wenig beachteten - Einfluß jüdisch-kabbalistischer Geheimlehren auf Blavatsky und Steiner hin: "Panni les mouvements occultistes modernes, la theosophie, avec son penchant vers Finde, a prefe* peu d'attention ä la mystique juive, excepte sa fondatrice Mme. P.H. Blavatsky, qui dans son ouvrage connu 'Secret Doctrine', et encore plus dans son 'Isis unveiled' s'est inspiree du Zohar et de la Kabbale. De fagon beaucoup plus large, 1'anthroposophie fonde'e par Rudolf Steiner a, dans de nombreux cercles, attire 1'attention sur la signification cachee du recit biblique de la creation, sur 1'element 17
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in einem Prozeß, der riesige Zeiträume umfasse, seiner "Vergeistigung" zu<br />
(vgl. 601,294ff.3O6). Einen grundlegenden Unterschied zu Goethe hat Steiner<br />
darin gesehen, daß Goethe in seiner Bestimmung der Geisteswelt nicht weit<br />
genug gegangen sei:<br />
"In dieser Anknüpfung hat man zwar viel Gelegenheit, zu zeigen, wie die Natur<br />
geistig ist, weil Goethe selbst nach einer geistgemäßen Naturanschauung gestrebt<br />
hat; man hat aber nicht in ähnlicher Art Gelegenheit, über die rein geistige Welt als<br />
solche zu sprechen, weil Goethe die geistgemäße Naturanschauung nicht bis zur unmittelbaren<br />
Geistanschauung fortgeführt hat" (636,124f).<br />
Diese "unmittelbare Geistanschauung" wollte nun Steiner selber erringen,<br />
und zwar durch ein "sinnlichkeitsfreies Denken", welches der später von ihm<br />
entwickelte anthroposophische Erkenntnisweg ermöglichen sollte (vgl.<br />
636,122ff).<br />
Viele weitere Prägungen und Begegnungen wären im folgenden zu erwähnen,<br />
die Steiner zu seiner anthroposophischen Weltanschauung führten oder<br />
ihn auf seinem Weg dorthin bestärkten, doch müssen wir uns - wie schon<br />
anfangs betont- auf die uns am wesentlichsten erscheinenden beschränken.<br />
Folgende grundlegende Beobachtung sei an dieser Stelle jedoch wiedergegeben:<br />
Zum einen nennt Steiner viele Personen, die für ihn prägend waren;<br />
zum anderen möchte er die Eigenständigkeit seiner Erkenntnisse festhalten<br />
(vgl. 636,272.294 u.a.). Wie läßt sich das vereinbaren? Betrachtet man seine<br />
Schriften, so wird man jedenfalls so viel sagen können: Steiner hat aus verschiedenen,<br />
bereits vorhandenen Gedanken und Lehren eklektisch Impulse<br />
aufgenommen und mit deren Hilfe etwas Neues gestaltet. Dabei waren seine<br />
frühen hellseherischen Erfahrungen die Grundlinie, die sich durch sein Leben<br />
zog und die die Auswahl, Aufnahme und Verwandlung der auf ihn<br />
zukommenden Impulse bestimmte.<br />
Soerklärt sich z.B. die zunächst erstaunlich scheinende Tatsache, daß Steiner<br />
von materialistisch und "anti-metaphysisch" geprägten Philosophen wie Ernst<br />
Haeckel und Friedrich Nietzsche Anschauungen übernehmen konnte, um sie<br />
dann auf die "höhere Ebene" seiner aufkeimenden "Geisteswissenschaft" zu<br />
übertragen. Haeckels materialistischen Monismus etwa formte er zu einem<br />
"geistgemäßen" oder "spirituellen" Monismus um (vgl. 636,162f.288f;<br />
605,10f). Darwins und Haeckels Vorstellung von einer biologisch-materiellen<br />
Evolution übertrug er auf die "geistige" Ebene (vgl. 636,300). Nietzsches Steigerung<br />
des Menschen zum"Übermenschen"bzw."höheren Naturmenschen"<br />
war ihm Vorbild für die Steigerung des Menschen zum Geistesmenschen<br />
(636,195; 621,38ff). Und Nietzsches Anschauung von der "Wiederkehr des<br />
Gleichen" gab ihm-neben der Vermittlung der diesbezüglichen Lehren durch<br />
die indisch geprägte Theosophie, aber auch die jüdische Kabbala (s. III.B.2.1.1)<br />
-den Anstoß zu seinerLehrevonden wiederholten Erdenleben, von der Reinkarnation<br />
(vgl. 636,190ff).<br />
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