Anthroposophie
Anthroposophie Anthroposophie
des Achtjährigen mit einem Geistwesen, das er für den Geist einer verstorbenen Familienangehörigen hielt und das ihn beauftragte, so viel er könne, für es zu tun (38,10ff). 4 Der Anthroposoph und Steiner-Biograph Johannes Hemleben bemerkt dazu: "Dieses Erlebnis machte auf das Kind einen starken Eindruck. Doch war es nur der Anfang eines zwar ungewöhnlichen, aber von nun ab eine sein Leben wie selbstverständlich begleitende Fähigkeit von natürlichem Hellsehen [sie]." 5 1.2 Philosophische Studien Von 1872 bis 1879 besuchte Rudolf Steiner die Realschule in Wiener-Neustadt, von 1879 an die Technische Hochschule in Wien, da er nach der Vorstellung seines Vaters Eisenbahn-Ingenieur werden sollte (636,25ff). Bereits in seiner Realschulzeit beschäftigte sich der Jugendliche jedoch auch mit Fragen der Philosophie, insbesondere der Erkenntnistheorie, und las Kants "Kritik der reinen Vernunft" (636,29ff). Der "Weg ins Übersinnliche", den Steiner suchte, war bei Kant jedoch durch "Erkenntnisgrenzen" versperrt, und so kam er "durch ihn nicht weiter" (636,31; vgl. 625,44). Anders erging es ihm mit7.G. Fichtes "Wissenschaftslehre ". Diese lernte er 1879 - in der Zeit nach seinem "mit Auszeichnung" bestandenen Abitur 6 und vor Beginn seines Studiums- kennen (636,39ff). Er schrieb später über sie seine philosophische Dissertation 7 . In Fichte und seiner "Ich-Philosophie" begegnete ihm "das eine große Thema der Menschheit des 19. und 20. Jahrhunderts": die Frage "nach der 'Bestimmung des Menschen', nach seiner Autonomie und Abhängigkeit im Weltall" 8 . Steiner, der "in der Tätigkeit des menschlichen 'Ich' den einzig möglichen Ausgangspunkt für eine wahre Erkenntnis" erblickte, fand die Begrifflichkeit hierfür bei Fichte. Und doch hatte er auch hier bezüglich der Inhalte, vor allem bezüglich der Existenz einer "Welt der geistigen Wesen", seine eigenen Ansichten: "Und so nahm ich denn die 'Wissenschaftslehre' Seite für Seite vor und schrieb sie um" (636,39f). Einen wesentlichen gedanklichen Schritt auf die übersinnliche, geistige Welt zu ermöglichte ihm erst J. W. v. Goethe, mit dessen Lehren er durch die Vorlesungen des Germanisten Karl Julius Schröer im Wintersemester 1879/ 80 in Berührung kam (636,41). Von Anfang an studierte Steiner nämlich nicht nur die Fächer Mathematik, Naturgeschichte und Chemie, für die er sich eingeschrieben hatte, sondern hörte auch Vorlesungen über Literatur, Geschichte und Philosophie (636,41.403). Die Prägung Steiners durch Goethe ging so weit, daß er es als "Schicksal" bezeichnete, seine "eigenen Anschauungen an Goethe anzuknüpfen" (636,124). So waren auch die Lebensjahre, die auf sein Studium folgten und die zur allmählichen Ausformung der späteren Anthroposophie führten, maßgeblich durch die Beschäftigung mit Goethe 14
estimmt: 1882-1897 gab Steiner Goethes Naturwissenschaftliche Schriften in Kürschners "Deutscher National-Litteratur" [sie] heraus; 1886 wurde er zur Mitarbeit bei der Herausgabe der großen "Sophien-Ausgabe" von Goethes Werken berufen; 1890-1897 arbeitete er am Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar mit (636,403). Bei der Bearbeitung von Goethes Schriften ging es ihm - wie seinem Lehrer Schröer- weniger um philologische Exaktheit als um die geistige Erfassung des Inhaltes. So wußte er, wie Schröer "von den Bekennern der herrschend gewordenen literarhistorischen Methoden ... angefeindet wurde" (636,69). Auch für sich selbst stellte er nicht in Abrede, "daß, was ich bei Bearbeitung der Weimarischen Ausgabe in manchem Einzelnen gemacht habe, als Fehler von 'Fachleuten' bezeichnet werden kann". Er führte dies auf ein mangelndes "Erkennen der Außenwelt" infolge seines Zuhauseseins in der "geistigen Welt" zurück (636,235). Diese Vernachlässigung des philologischen Bereichs zugunsten eines "spirituellen" Erlebens ist, wie wir im weiteren Verlauf der Untersuchung sehen werden, auch kennzeichnend für das anthroposophische Bibelverständnis. Steiner knüpfte insbesondere auf dem Gebiet der Erkenntnistheorie an Goethe an. Für Kant konnte "das menschliche Erkennen nur bis an die Grenzen gehen", die den "Sinnesbereich" umschließen. Für alles, was darüber hinausging, war nur ein Glaube möglich. Goethe hingegen wollte - an Piaton anknüpfend - "die Ideenwelt in ihrem Wesen an der Natur" schauen, um dann "in der befestigten Ideenwelt zu einer über die Sinneswelt hinausliegenden Erfahrung zu schreiten". Er dachte die Natur "ideenerfüllt" (625,44.46). Diese monistische Weltsicht Goethes aufnehmend, konnte Steiner schreiben: "Indem sich das Denken der Idee bemächtigt, verschmilzt es mit dem Urgründe des Weltdaseins; das, was außen wirkt, tritt in den Geist des Menschen ein: er wird mit der objektiven Wirklichkeit auf ihrer höchsten Potenz eins. Das Gewahrwerden der Idee in der Wirklichkeit ist die wahre Kommunion des Menschen" (636,124; HiO). Goethe hatte ferner die Vorstellung von einer nicht empirisch nachweisbaren "Urpflanze" entwickelt, die alle sinnlich wahrnehmbaren, einzelnen Pflanzen als übergeordnete Idee enthält. Alle Einzelpflanzen, alle Einzelerscheinungen sind nur Metamorphosen (Verwandlungen) der hinter ihnen stehenden Urgestalt. Geist und Stoff sind eine Einheit, und zwar ist der Geist das prägende Prinzip (vgl. 625,101ff). Steiner griff diese Vorstellung auf und entwickelte sie weiter, indem er nicht wie Goethe "bei den Pflanzen stehen" blieb (214,57), sondern auch für den Menschen und den gesamten Kosmos eine Uridee annahm, die durch evolutionäre Höherentwicklung in ihrer Reinheit erreicht werden müsse. Der gegenwärtige, sinnlich wahrnehmbare, sichtbare Mensch sei nur eine Durchgangsstufe auf dem langen Weg zum Geistesmenschen.Zusammen mit dem Menschen strebe der gesamte Kosmos 15
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estimmt: 1882-1897 gab Steiner Goethes Naturwissenschaftliche Schriften<br />
in Kürschners "Deutscher National-Litteratur" [sie] heraus; 1886 wurde er<br />
zur Mitarbeit bei der Herausgabe der großen "Sophien-Ausgabe" von Goethes<br />
Werken berufen; 1890-1897 arbeitete er am Goethe- und Schiller-Archiv in<br />
Weimar mit (636,403).<br />
Bei der Bearbeitung von Goethes Schriften ging es ihm - wie seinem Lehrer<br />
Schröer- weniger um philologische Exaktheit als um die geistige Erfassung<br />
des Inhaltes. So wußte er, wie Schröer "von den Bekennern der herrschend<br />
gewordenen literarhistorischen Methoden ... angefeindet wurde" (636,69).<br />
Auch für sich selbst stellte er nicht in Abrede, "daß, was ich bei Bearbeitung<br />
der Weimarischen Ausgabe in manchem Einzelnen gemacht habe, als Fehler<br />
von 'Fachleuten' bezeichnet werden kann". Er führte dies auf ein<br />
mangelndes "Erkennen der Außenwelt" infolge seines Zuhauseseins in der<br />
"geistigen Welt" zurück (636,235). Diese Vernachlässigung des philologischen<br />
Bereichs zugunsten eines "spirituellen" Erlebens ist, wie wir im<br />
weiteren Verlauf der Untersuchung sehen werden, auch kennzeichnend für<br />
das anthroposophische Bibelverständnis.<br />
Steiner knüpfte insbesondere auf dem Gebiet der Erkenntnistheorie an Goethe<br />
an. Für Kant konnte "das menschliche Erkennen nur bis an die Grenzen gehen",<br />
die den "Sinnesbereich" umschließen. Für alles, was darüber hinausging,<br />
war nur ein Glaube möglich. Goethe hingegen wollte - an Piaton anknüpfend<br />
- "die Ideenwelt in ihrem Wesen an der Natur" schauen, um dann "in der<br />
befestigten Ideenwelt zu einer über die Sinneswelt hinausliegenden Erfahrung<br />
zu schreiten". Er dachte die Natur "ideenerfüllt" (625,44.46). Diese<br />
monistische Weltsicht Goethes aufnehmend, konnte Steiner schreiben:<br />
"Indem sich das Denken der Idee bemächtigt, verschmilzt es mit dem Urgründe des<br />
Weltdaseins; das, was außen wirkt, tritt in den Geist des Menschen ein: er wird mit<br />
der objektiven Wirklichkeit auf ihrer höchsten Potenz eins. Das Gewahrwerden der<br />
Idee in der Wirklichkeit ist die wahre Kommunion des Menschen" (636,124; HiO).<br />
Goethe hatte ferner die Vorstellung von einer nicht empirisch nachweisbaren<br />
"Urpflanze" entwickelt, die alle sinnlich wahrnehmbaren, einzelnen<br />
Pflanzen als übergeordnete Idee enthält. Alle Einzelpflanzen, alle Einzelerscheinungen<br />
sind nur Metamorphosen (Verwandlungen) der hinter ihnen<br />
stehenden Urgestalt. Geist und Stoff sind eine Einheit, und zwar ist der Geist<br />
das prägende Prinzip (vgl. 625,101ff). Steiner griff diese Vorstellung auf und<br />
entwickelte sie weiter, indem er nicht wie Goethe "bei den Pflanzen stehen"<br />
blieb (214,57), sondern auch für den Menschen und den gesamten Kosmos<br />
eine Uridee annahm, die durch evolutionäre Höherentwicklung in ihrer Reinheit<br />
erreicht werden müsse. Der gegenwärtige, sinnlich wahrnehmbare,<br />
sichtbare Mensch sei nur eine Durchgangsstufe auf dem langen Weg zum<br />
Geistesmenschen.Zusammen mit dem Menschen strebe der gesamte Kosmos<br />
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