Anthroposophie
Anthroposophie
Anthroposophie
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
durch die schweigende Sprache ihrer Widersprüche sagen. Ohne Rudolf Steiner<br />
würden wir hilf- und ratlos vor der Unvereinbarkeit der beiden Berichte stehengeblieben<br />
sein; die zu ziehende Schlußfolgerung wäre zu sehr allen Denkgewohnheiten<br />
widersprechend, ihr Sinn so schwer einzusehen, daß wir den<br />
Gedanken zweier Jesusknaben wohl schwerlich allein zu denken gewagt hätten"<br />
(V,51f). Dennoch nimmt diese Deutung einen festen Platz im Denken der<br />
<strong>Anthroposophie</strong> ein. Sie ist, wie K. v. Stieglitz schreibt, "keineswegs am Rande<br />
vermerkt, sondern eines der zentralen Stücke der Christosophie" 63 .<br />
3.1.1 Die Entstehung der Lehre von den "zwei Jesusknaben"<br />
K. v. Stieglitz weist darauf hin, daß Steiner "nicht von vornherein von zwei<br />
Jesusknaben spricht", sondern daß diese - nur der <strong>Anthroposophie</strong> eigene -<br />
Lehre zum ersten Mal im September 1909 im Baseler Lukas-Zyklus begegnet.<br />
Vorher hatte Steiner die Unterschiede zwischen den Stammbäumen und Geburtsgeschichten<br />
bei Mt und Lk durch die unterschiedlichen "Entwicklungsstufen"<br />
der Verfasser bzw. deren Einweihung in verschiedene "Mysterien"<br />
zu erklären versucht. 64<br />
Wie Steiner selber mitteilt, hat er sich "jahrelang" mit der Frage der beiden<br />
Stammbäume "vom geisteswissenschaftlichen Standpunkt aus" beschäftigt,<br />
bis er daraufgekommen ist: "Es handelt sich um zwei Jesusknaben!" (349,63).<br />
Die Enthüllung dieses Geheimnisses im Jahre 1909 fällt laut Guenther Wachsmuth<br />
mit dem "Beginn des Wirkens des Christus im Ätherischen" zusammen. 65<br />
Einen Anstoß für die Lehre von den zwei Jesusknaben könnte Steiner vielleicht<br />
aus der rabbinischen Tradition erhalten haben, in der gelegentlich von<br />
zwei Messiassen -einem königlichen Messias ben David und einem sterbenden<br />
Messias ben Joseph (bzw. ben Ephraim) - die Rede ist. Außer der Zweizahl<br />
und dem Tod des weniger bedeutenden Messias ben Joseph (im Kampf<br />
gegen Gog und Magog) bestehen jedoch zwischen dieser rabbinischen Lehre<br />
und Steiners Ansicht keine Analogien. 66<br />
3.1.2 Der dogmatische Ort der Lehre von den "zwei Jesusknaben"<br />
Von welchen weltanschaulichen Voraussetzungen her Steiner zu seiner Lehre<br />
von den zwei Jesusknaben gelangt, haben wir in 1.1. bereits skizziert. Davon<br />
ist hier insbesondere der Gedanke zu vertiefen, daß die Sonnengeister oder<br />
sechs Elohim, deren Haupt der Logos oder Christus ist, die Erde mit ihren Gaben<br />
"beschenken" und ihr Impulse zur Weiterentwicklung geben. Dieses "Beschenken"<br />
war durch alle Figuren der Religionsgeschichte hindurch, in denen sich<br />
167