Anthroposophie
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Steiners kritische Bemerkung, daß eine "allegorisch-symbolisch[e]" Auslegung<br />
"sehr geistreich" sein kann, aber "vielfach willkürlich" ist (94,161),<br />
richtet sich nun gegen ihn selbst: Das Herantragen einer aus der "Akasha-<br />
Chronik" stammenden und damit - empirisch wie theologisch - unhaltbaren<br />
und gesamtbiblisch nicht verifizierbaren Weltanschauung an die Bibel kann<br />
nur als Willkür bezeichnet werden. Da diese Weltanschauung nur formal an<br />
Begriffe der Bibel anknüpft, aber deren wesentlichen Inhalte z.T. völlig<br />
umdeutet oder ignoriert, kann auch von einem Auffinden d&s Zweitsinns im<br />
Erstsinn - und damit von einer "symbolischen" Auslegung - keine Rede sein.<br />
Eine angeblich "symbolische" Auslegung ist von dem Augenblick an als allegorisch<br />
zu erkennen, wo sie den gesamtbiblischen Kontext außer acht läßt<br />
und somit ihr "Zweitsinn" auf keinem abgesicherten Erstsinn mehr ruht. Nicht<br />
der biblische Gesamtzusammenhang, sondern die neben der Bibel stehende<br />
Akasha-Chronik bestimmt bei Steiner, was als Zweitsinn zu gelten hat, und<br />
zwingt somit zur Allegorese.<br />
3.2.4 Die Vernachlässigung des Literalsinns<br />
Dieser Zweitsinn (wir nennen ihn "Akasha-Zweitsinn") verselbständigt sich<br />
bei Steiner nun so weit, daß er den biblisch-buchstäblichen Erstsinn entweder<br />
ganz verdrängt und an seine Stelle tritt oder sich als spezifisch anthroposophischer<br />
sensus spiritualis über diesen erhebt - gleichsam als "höhere"<br />
Stufe der Interpretation, auf die es der <strong>Anthroposophie</strong> ausschließlich ankommt.<br />
Charakteristisch für den allegorischen Gebrauch des Akasha-Zweitsinns<br />
ist also, daß er unabhängig vom biblisch-buchstäblichen Erstsinn existieren<br />
bzw. seine Bedeutung entfalten kann, da er nicht von diesem, sondern<br />
von der Akasha-Chronik seine Sinngebung erfährt.<br />
L. Goppelt erinnert daran, daß Gegenstand der allegorischen Auslegung weder<br />
die "Fakta" noch der "Wortsinn" einer Darstellung als ganzer, sondern lediglich<br />
ihre "Begriffe und Wendungen" sind. Die allegorische Auslegung sucht<br />
in ihnen, sie als "Metaphern" auffassend, "'neben dem buchstäblichen Sinn<br />
des Textes oder bisweilen auch unter völligem Ausschluß desselben eine<br />
andere, hiervon verschiedene und vermeintlich tiefere Bedeutung'". "Geschichtlichkeit"<br />
und "Wortsinn" des Berichteten sind "für die Allegorie gleichgültig,<br />
für die Typologie (und wenigstens letzterer auch für die symbolische<br />
Deutung) Grundlage". Goppelt weist auch darauf hin, daß der Allegorist selber<br />
"diese Doppelsinnigkeit nicht als eingetragen, sondern als vom Text gewollt<br />
und gegeben" ansieht. 120<br />
Diese für die Allegorese charakteristische Gleichgültigkeit gegenüber dem<br />
buchstäblichen, "äußeren " Sinn tritt in der anthroposophischen Bibelauslegung<br />
immer wieder klar zutage. Beispielsweise antwortet E. Bock auf die Frage, ob<br />
es sich bei der Sturmstillung durch Jesus (Lk 8,22-25 parr) "nur um einen<br />
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