Anthroposophie
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Stellen der Schrift - d.h. von ihrem buchstäblichen Wortsinn (Literalsinn)<br />
-ausgehen. 109<br />
c) Der Literalsinn ist die normale, einfache Wortbedeutung, die sich geschichtlich<br />
und sprachlich aus dem Textzusammenhang ergibt. Diese Regel<br />
fordert, Erzählung als Erzählung, Dichtung als Dichtung, Geschichtsbericht<br />
als Geschichtsbericht, Gleichnis als Gleichnis, Allegorie als Allegorie<br />
usw. auszulegen. Bildhafte Ausdrücke (Metaphern, Gleichnisse usw.) etwa<br />
gehören gar nicht zum geistigen, sondern zum buchstäblichen Sinn, wo es<br />
sich vom Wortsinn und Kontext her um uneigentliche Rede handelt. 110<br />
d) Wenn die spirituelle Interpretation bei der Auslegung unklarer oder<br />
"geheimnisvoller" Stellen zu weitergehenden, über den Literalsinn hinausreichenden<br />
Aussagen gelangt, so dürfen diese nicht in Widerspruch zum<br />
Inhalt der klaren Stellen treten. Vielmehr muß sich die "geistige" von der<br />
buchstäblich-wörtlichen Deutung her verifizieren oder falsifizieren lassen.<br />
Die spirituelle Interpretation soll Exegese (Auslegung), keine "Eisegese"<br />
("Einlegung", Hineininterpretation) sein.<br />
e) Lassen sich die Aussagen der spirituellen Interpretation nicht am klaren,<br />
buchstäblichen Wortsinn verifizieren, so sind sie nicht zur Argumentation<br />
geeignet, da ihnen Eindeutigkeit fehlt. 111<br />
Nun beansprucht die <strong>Anthroposophie</strong>, eine "symbolisch-reale" bzw. "symbolisch-historische"<br />
Auslegung zu betreiben, die nicht neben dem Erstsinn<br />
(wie bei der allegorischen Auslegung), sondern in dem Erstsinn des Textes<br />
den Zweitsinn entdecken möchte - ja noch mehr: die durch ein neues<br />
"Wörtlichnehmen" den eigentlichen Erstsinn erst erschließen will (s.o.). Wird<br />
sie diesem Anspruch gerecht?<br />
3.2.2 Zwei Beispiele anthroposophischer Exegese<br />
Zur Beantwortung dieser Frage gelangen wir, indem wir zunächst einige repräsentative<br />
Beispiele Steinerscher Exegese betrachten. Es sind Beispiele für<br />
sein neues "wörtliches Verständnis" vom "okkulten Standpunkt" aus (94,161).<br />
Das erste Beispiel (die Deutung des Regenbogens in Gen 9) gebraucht Steiner<br />
unmittelbar, um seine Auslegungsmethode zu illustrieren. Es ist deshalb von<br />
besonderem Gewicht. Steiner sagt:<br />
"So ist zum Beispiel der Regenbogen des Noah kein Symbol, sondern der Ausdruck<br />
dafür, daß nach dem Untergang der Atlantis und dem Abziehen der Nebel ein Regenbogen<br />
erst möglich war. In der alten Atlantis konnte es ja noch keinen Regenbogen<br />
geben. Noah ist als der Führer, Manu, anzusehen, der die Völker aus der untergehenden<br />
Atlantis herauszuführen hatte. In diesem Zeitpunkt geschah es, daß zum erstenmal<br />
der Regenbogen entstand" (94,161 f).<br />
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