Anthroposophie
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zentriert, sondern sein besonderes Augenmerk auf die "Durchleuchtung des<br />
Übersinnlichen" richtet, das seiner Ansicht nach hinter oder über den Texten<br />
steht. 96<br />
Emil Bock möchte die anthroposophische Auslegung gegen den Vorwurf der<br />
in der vorreformatorischen Exegese verbreiteten Allegorisierung abgrenzen:<br />
"Ein abstraktes Denken wird einer Evangelienauffassung, die auf das Übersinnliche<br />
hinblickt, immer den Vorwurf machen: Ihr verliert den Boden der Geschichte und<br />
löst alles in Allegorien auf. Das rührt davon her, daß das abstrakte Denken immer<br />
zum Entweder-Oder neigt und nicht die Kraft zum Sowohl-als-auch hat. Es meint:<br />
entweder geistige oder physische Auffassung. Es kann nicht verstehen, daß physisch-reale<br />
Vorgänge zugleich Sinnbilder, Realsymbole für Übersinnliches, Verkörperungen<br />
von Geistigem, sein können" (Ev,39; HiO).<br />
So handelt es sich bei der anthroposophischen Exegese nach der Selbsteinschätzung<br />
ihrer Vertreter eher um "symbolische" als um "allegorische"<br />
Schriftauslegung, wobei allerdings die Begriffe nicht immer exakt auseinandergehalten<br />
werden (s.u.). Allegorie nämlich bedeutet, "daß ein sprachlicher<br />
Ausdruck oder eine Kunstform bildlicher oder monumentaler Art etwas anderes<br />
aussagt (äüa agoreüei), einen tieferen Sinn als den buchstäblichen oder<br />
unmittelbaren hat" 97 . Sie will im Text "neben dem Erstsinn einen Zweitsinn<br />
entdecken", der- ist er nicht durch den Kontext oder ein anderes Bezugssystem<br />
festgelegt - "zunächst ein beliebiger" sein kann. 98 Symbol hingegen ist - um<br />
mit Paul Ricoeur zu reden -jene sprachliche Form, die "das Lesen eines anderen<br />
Sinns im ersten, wörtlichen, unmittelbaren Sinn erheischt" 99 . Nicht abgehoben<br />
vom Buchstaben und der Historie, nicht über und neben dem Erstsinn (wie bei<br />
der Allegorese), sondern nur innerhalb und vermittels des Erstsinns soll der<br />
Zweitsinn bei der symbolischen Schriftauslegung gewonnen werden. Deshalb<br />
wird sie auch als "symbolisch-historische" oder "symbolisch-reale" Auslegung<br />
bezeichnet.<br />
Schon Steiner hatte gesagt:<br />
"Alle Namen und Bezeichnungen in den alten Zeiten sind in einer gewissen Weise durchaus<br />
real-und zu gleicher Zeit tiefsymbolisch gebraucht. ..Nicht die historische Realität<br />
wird durch eine symbolische Erläuterung geleugnet; sondern es muss betont werden,<br />
daß die esoterische Erklärung beides umfasst: die Auffassung der Tatsachen als historische<br />
- und, indem sie historisch sind, bedeuten sie selbst zugleich das, was wir<br />
ihnen beilegen... Symbolisch und historisch zugleich, nicht nur das eine und nicht nur<br />
das andere, das ist es, um was es sich handelt bei der wirklichen Evangelien-Erklärung"<br />
(103,81; HiO).<br />
G. Wehr führt diese Gedanken weiter aus. Er zitiert zunächst den Theologen<br />
W. Knevels:<br />
"Die mythische Sprache, die mythische Erzählung und das mythische Bild sind symbolisch;<br />
das, was gemeint ist, steht dahinter; man muß es entdecken, man muß durch-<br />
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