wellhotel Ausgabe 2-2024

Das Fachmagazin für Hotellerie & Gastronomie, Tourismus & Freizeit, Wellness & Beauty Das Fachmagazin für Hotellerie & Gastronomie, Tourismus & Freizeit, Wellness & Beauty

11.07.2024 Aufrufe

Hotellerie | Gastronomie | Tourismus [ Branchennews ] Foto: Photo Season – stock.adobe.com Billigflüge oder der Traum von der günstigen, entspannten Ferienreise. Warum Reisende auf Billigflüge fliegen Immer wieder aufs Tapet gebracht werden Stereotypen und Mythen, die über Jahre und Jahrzehnte in der Tourismusbranche verbreitet werden, ohne dass sich jemand wirklich die Mühe macht, objektiv nachzuforschen, wie denn nun die Wirklichkeit aussieht. In dieser Ausgabe gehen die Münchner Tourismus- und Sozialwissenschaftler Dr. H. Jürgen Kagelmann und Dr. Walter Kiefl der Frage auf den Grund, ob sogenannte Billigflüge wirklich billig sind. Teil 25 der Serie Text: Dr. H. Jürgen Kagelmann und Dr. Walter Kiefl der Glaube, dass Flugreisen (unglaublich) billig sind, ist stark verbreitet. Wesentlichster Grund dafür ist das Mythos: Billigflüge sind billig Aufkommen der Billigfluglinien mit ihrem Prinzip des „no frills“ (kein Schnickschnack): Das Fliegen soll – vergleichbar dem Straßenbahnfahren – auf das Nötigste reduziert werden. Indem sämtliche Möglichkeiten der Kosteneinsparung genutzt werden, soll Fliegen für jeden bezahlbar sein. Das Flugerlebnis spielt dann allerdings keine Rolle mehr. Es geht um die simple Beförderung von A nach B. Eine maximal niedrige Kalkulation der Flugtarife erfordert die Nutzung aller denkbaren Möglichkeiten zur Kostensenkung: vor allem Nutzung kleinerer Flughäfen zur Verringerung von Start/Landegebühren, kurze Abfertigungszeiten, hohe tägliche Nutzzeit der Flugzeuge, mehr Sitzreihen zulasten der Beinfreiheit, hohe Sitzauslastung, geringe Zahl verwendeter Flugzeugtypen, Subventionen durch Kommunen der genutzten Flughäfen etc. Um eine möglichst hohe Auslastung zu erreichen, übernahmen die Fluggesellschaften ein Prinzip, das in anderen gesellschaftlichen Bereichen bereits seine Effizienz bewiesen hatte, die dynamische Preisgestaltung. Damit entstand eine neue psychologische Situation: Suggeriert wird, für einen Appel und ein Ei fliegen zu können. | Buchung unter Stress | Im Glauben an die allenthalben betonten Fortschritte der Digitalisierung und an die propagierten Ziele schnelleren, einfacheren und bequemeren Buchens ist seitdem ein großer Teil der Konsumenten von Flugangeboten der Überzeugung, allein durch geschicktes Buchungsverhalten zu besonders günstigen Flügen zu gelangen. Unterschlagen wird dabei, dass dies viel zeitraubende häusliche Eigenarbeit voraussetzt und dass es dadurch immer wieder zu Stress kommt: Man wird dazu gedrängt, sich schnell zu entscheiden, zum Beispiel weil sich die Preise stündlich ändern können – und besonders weil die zu bewältigenden Informationsmengen immer größer werden. Im Stress der Buchungssituation wird meist auch nicht realisiert, dass der günstigste Preis („Basic Tarif“) sehr restriktive Bedingungen beinhaltet – Gepäckbegrenzungen, keine Service- und Verpflegungsleistungen und die Zuweisung schlechter beziehungsweise besonders unbeliebter Plätze. Die Billigflieger hatten anfangs kein großes Interesse am Anbieten von extra zu bezahlenden Zusatzleistungen, weil sie als betriebswirtschaftlich eher störend begriffen wurden. Wichtiger war es, neue datenbasierte Buchungssysteme anzuwenden, um die Flugzeuge möglichst voll zu bekommen und einen möglichst hohen 36 WellHotel

Hotellerie | Gastronomie | Tourismus [ Branchennews ] Gewinn zu erwirtschaften. In den vergangenen Jahren ist es aber zu einer interessanten Verschiebung der Unternehmensphilosophie gekommen. Billig-Airlines und „Billigtöchter“ der großen Gesellschaften haben erkannt, dass sich mit Extra- oder Zusatzleistungen (den sogenannten ancilleries) ordentlich Geld machen lässt: Wichtigste Geldbringer sind unter anderen die Wahl des Sitzplatzes (premium seat selection), das Zusammensitzen mit Begleitpersonen, vorrangiges Einsteigen (priority boarding), vorab buchbare (Wunsch-)Essen, Getränke, upgraded WiFI, die Benutzung der Airline-Lounges sowie extra Gebühren für zusätzliche Gepäckstücke (additional baggage fee), daneben aber auch Einkünfte durch die Vermittlung von (Reise-)Versicherungen, Mietwagen, Hotels und Reisen und die Ausgabe von Debit-/Kreditkarten. Während solche Posten in früheren Jahrzehnten nur ein einfaches Add-on zum Ticketpreis waren und wenig zum Gewinn beitrugen, ist ihre Bedeutung spätestens seit der Jahrtausendwende enorm gewachsen. 2022 erreichten die Umsätze des Zusatzkostenbereiches ein historisches Hoch und machten durchschnittlich 15 % der Fluglinien-Umsätze aus; bei einigen „Billigen“ sogar um die 40 %. Sogar traditionelle Gesellschaften wie Lufthansa oder Air France-KLM erzielen mit ancilleries 8-9 % Umsatzanteil, dies alles mit dem Prinzip des „unbundling“: „Klassische“ Bestandteile des Flugreiseprozesses werden abgespalteten und einzeln zusätzlich angeboten. Das ist ein regelrechter Paradigmenwechsel im Fluggeschäft. | Die Zahlen sind beeindruckend | IdeaWorks, größte Fachberatungsfirma, schätzt die Umsätze für Airline Ancillary für 2023 auf rund 118 Milliarden US-Dollar global (ungefähr der Wert des Bruttoinlandsproduktes von Ecuador oder Äthiopien). Michael Cunningham, Senior Vice President of Distribution bei CarTrawler, bemerkte etwa dazu: „Die Zusatzumsätze steigen immer weiter und sind inzwischen ein unverzichtbarer Bestandteil im Umsatzmix aller Fluggesellschaften. Die erfolgreichsten Fluggesellschaften sind heute Experten für Reiseservices und bieten auch Buchungen für Hotels, Sehenswürdigkeiten und natürlich Bodentransportlösungen an.“ Analysten erwarten bis 2030 eine weitere Zunahme von 13-19 % – vorausgesetzt, die Kunden, die lange Jahre nur auf den günstigen Ticketpreis geschielt haben, machen beim neuen À-la-carte-System von angebotenen Zusatz- und Sonderleistungen auch mit und lassen sich die Dinge, auf die sie persönlich Wert legen, etwas kosten. Das tun offenbar immer mehr Bucher. So kommt es zu der schon absurden Situation, dass einerseits auf die günstigste mögliche Ticketversion abgezielt wird, wofür beträchtliche immaterielle Kosten in Kauf genommen werden, andererseits bereitwillig Geld ausgegeben wird für Leistungen beziehungsweise Konsumgegenstände, die bei gründlichem Nachdenken abgelehnt würden, weil sie überflüssig oder unsinnig sind. ››› 37 WellHotel

Hotellerie | Gastronomie | Tourismus [ Branchennews ]<br />

Foto: Photo Season – stock.adobe.com<br />

Billigflüge oder der Traum von der günstigen, entspannten Ferienreise.<br />

Warum Reisende auf Billigflüge fliegen<br />

Immer wieder aufs Tapet gebracht werden Stereotypen und Mythen, die über Jahre und Jahrzehnte in der<br />

Tourismusbranche verbreitet werden, ohne dass sich jemand wirklich die Mühe macht, objektiv nachzuforschen,<br />

wie denn nun die Wirklichkeit aussieht. In dieser <strong>Ausgabe</strong> gehen die Münchner Tourismus- und<br />

Sozialwissenschaftler Dr. H. Jürgen Kagelmann und Dr. Walter Kiefl der Frage auf den Grund, ob sogenannte<br />

Billigflüge wirklich billig sind.<br />

Teil 25 der Serie Text: Dr. H. Jürgen Kagelmann und Dr. Walter Kiefl<br />

der Glaube, dass Flugreisen (unglaublich)<br />

billig sind, ist stark verbreitet.<br />

Wesentlichster Grund dafür ist das<br />

Mythos:<br />

Billigflüge<br />

sind billig<br />

Aufkommen der Billigfluglinien mit<br />

ihrem Prinzip des „no frills“ (kein<br />

Schnickschnack): Das Fliegen soll<br />

– vergleichbar dem Straßenbahnfahren<br />

– auf das Nötigste reduziert<br />

werden. Indem sämtliche Möglichkeiten<br />

der Kosteneinsparung genutzt<br />

werden, soll Fliegen für jeden<br />

bezahlbar sein. Das Flugerlebnis<br />

spielt dann allerdings keine Rolle<br />

mehr. Es geht um die simple Beförderung<br />

von A nach B.<br />

Eine maximal niedrige Kalkulation<br />

der Flugtarife erfordert die<br />

Nutzung aller denkbaren Möglichkeiten<br />

zur Kostensenkung: vor allem<br />

Nutzung kleinerer Flughäfen<br />

zur Verringerung von Start/Landegebühren,<br />

kurze Abfertigungszeiten,<br />

hohe tägliche Nutzzeit der Flugzeuge,<br />

mehr Sitzreihen zulasten der<br />

Beinfreiheit, hohe Sitzauslastung,<br />

geringe Zahl verwendeter Flugzeugtypen,<br />

Subventionen durch Kommunen<br />

der genutzten Flughäfen etc.<br />

Um eine möglichst hohe Auslastung<br />

zu erreichen, übernahmen die<br />

Fluggesellschaften ein Prinzip, das<br />

in anderen gesellschaftlichen Bereichen<br />

bereits seine Effizienz bewiesen<br />

hatte, die dynamische Preisgestaltung.<br />

Damit entstand eine neue<br />

psychologische Situation: Suggeriert<br />

wird, für einen Appel und ein<br />

Ei fliegen zu können.<br />

| Buchung unter Stress | Im Glauben<br />

an die allenthalben betonten<br />

Fortschritte der Digitalisierung und<br />

an die propagierten Ziele schnelleren,<br />

einfacheren und bequemeren<br />

Buchens ist seitdem ein großer<br />

Teil der Konsumenten von Flugangeboten<br />

der Überzeugung, allein<br />

durch geschicktes Buchungsverhalten<br />

zu besonders günstigen<br />

Flügen zu gelangen. Unterschlagen<br />

wird dabei, dass dies viel zeitraubende<br />

häusliche Eigenarbeit voraussetzt<br />

und dass es dadurch immer<br />

wieder zu Stress kommt: Man wird<br />

dazu gedrängt, sich schnell zu entscheiden,<br />

zum Beispiel weil sich die<br />

Preise stündlich ändern können –<br />

und besonders weil die zu bewältigenden<br />

Informationsmengen immer<br />

größer werden. Im Stress der<br />

Buchungssituation wird meist auch<br />

nicht realisiert, dass der günstigste<br />

Preis („Basic Tarif“) sehr restriktive<br />

Bedingungen beinhaltet – Gepäckbegrenzungen,<br />

keine Service- und<br />

Verpflegungsleistungen und die Zuweisung<br />

schlechter beziehungsweise<br />

besonders unbeliebter Plätze.<br />

Die Billigflieger hatten anfangs<br />

kein großes Interesse am Anbieten<br />

von extra zu bezahlenden Zusatzleistungen,<br />

weil sie als betriebswirtschaftlich<br />

eher störend<br />

begriffen wurden. Wichtiger war<br />

es, neue datenbasierte Buchungssysteme<br />

anzuwenden, um die Flugzeuge<br />

möglichst voll zu bekommen<br />

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