tz-EM-Journal

UEFA EM 2024
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Staatstragend: Bei der Nominierung des EM-Kaders. Foto: Imago
Hoffenheim rettete, war er nebenzu
mit den Prüfungen für den
Fußball-Lehrer beschäftigt. Er gab
– anders als viele Trainerkollegen,
die Öffentlichkeitsarbeit auf das
vertraglich festgesetzte Minimum
reduzieren – bereitwillig Interviews,
stellte seine Erzählungen
auch für Buchprojekte zur Verfügung,
wenn er damit dienlich sein
konnte. Bei den Bayern bestimmte
er während der Coronazeit die
komplette Außendarstellung, als
das Virus ihn selbst erwischt hatte,
gab er die Pressekonferenzen
sogar online aus seiner Küche.
Beim DFB nimmt er sich ebenfalls
Zeit. Dass er seine überraschenden
Nominierungen für die Spiele im
März vorab den Verbandsangestellten
am Campus in Frankfurt
erläuterte, wird ihm von der Belegschaft
hoch angerechnet.
Er möchte nie belanglos wirken.
Dem Spiegel offenbarte er in einem
Interview eine dunkle Seite
aus seiner Familiengeschichte: Der
Vater war Agent des Bundesnachrichtendiensts
gewesen, er beging
Suizid. Julian Nagelsmann sprach
offen über die Fragen, die ihn
seitdem umtreiben. Auch in den
aufs Fußballfachliche bezogenen
Pressekonferenzen möchte er liefern,
seine Aussagen sollen griffig
sein. Thomas Müller beschrieb er
als „Connector. Er kann mit den
Rappern in der Mannschaft und
mit den Jodlern“. Oder: „Ich will
als Trainer von meiner Mannschaft
unterhalten werden.“ Er weiß,
was Medien hören wollen.
Beim FC Bayern wurde ihm seine
Bereitwilligkeit zur Präsenz allerdings
auch vorgehalten. Dass er
mit dem elektrisch betriebenen
Longboard übers Trainingsgelände
rollte und seine Jugendlichkeit
betonte, gefiel in dem
konservativen Club nicht jedem,
auch seine Laufstegattitüde an
der Seitenlinie wurde bisweilen
als befremdlich wahrgenommen.
Der kicker schrieb von „Showcoaching“
– und so haben manche
das empfunden. Es scheint,
als habe Julian Nagelsmann auch
seine Freude entdeckt am Spiel
mit den Klischees und ihrer Auflösung.
Zu seinem ersten Spiel als
DFB-Trainer trug er ein offenes
Holzfällerhemd, als er den Europameisterschaftskader
bekanntgab,
tat er dies staatstragend im
Nadelstreifenanzug.
Jedenfalls sind die Deutschen bereit,
sich auf ihn und seine Art
einzulassen. Mit den „normalen“
Bundestrainern, die über Erbfolgeregelungen
ins Amt gekommen
waren, hatte man es lange genug
und musste irgendwann einsehen:
Es geht so nicht mehr weiter.
Nun ist Bundestrainer eben einer,
dessen Namen man vor zehn Jahren
noch nicht kannte.
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