Sống ở Berlin Festival

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GrusswOrte<br />

Lichtenberg<br />

ist ständig in<br />

Bewegung<br />

Mehr als ein<br />

asiatischer<br />

Großmarkt<br />

FOTOS: Cover: Tony Bui; Editorial: Olaf Krostitz; Hans-Christian Plambeck<br />

Der Bezirk wächst und verändert sich mit den Menschen,<br />

die hierher ziehen und ihn gestalten. Daher freut es mich<br />

sehr, dass wir mit dem <strong>Sống</strong> <strong>ở</strong> <strong>Berlin</strong> <strong>Festival</strong> nun ein neues<br />

kulturelles Highlight im Lichtenberger Kultursommer<br />

begrüßen können, das dem aktuellen Gesicht unseres<br />

Bezirks ebenso Rechnung trägt wie seiner Geschichte. Von<br />

den rund 310.000 Menschen, die momentan in Lichtenberg<br />

leben, sind zirka 12.450 vietnamesischer Abstammung.<br />

Dies stellt neue Herausforderungen an uns als Stadtgesellschaft<br />

dar, und es ist daher umso wichtiger, dass<br />

wir mit dem Dong Xuan Center einen Ort und mit der<br />

Gemeinschaft der Vietnamesen in <strong>Berlin</strong> und Brandenburg<br />

e.V. sowie dem Reistrommel e.V. Einrichtungen haben,<br />

die seit vielen Jahren eine wichtige Funktion im Errichten<br />

gesellschaftlicher Brücken haben. Mit <strong>Sống</strong> <strong>ở</strong> <strong>Berlin</strong><br />

als <strong>Festival</strong> und dem wiedereröffneten Kulturhaus auf<br />

dem Gelände des Dong Xuan Centers haben wir nun auch<br />

kulturelle Leuchttürme, die sich als Spiegel der neuen<br />

gesellschaftlichen Realität verstehen. Bei <strong>Sống</strong> <strong>ở</strong> <strong>Berlin</strong><br />

geht es darum, neu entstandene kulturelle Ausdrucksformen<br />

in Popmusik, Hip-Hop, Comedy, Performing Arts und<br />

Film zu feiern. Mit Respekt vor den Traditionen und dem<br />

unbedingten Willen, die eigene Identität zu beschreiben,<br />

sichtbar zu machen und Respekt einzufordern, laden die<br />

Künstlerinnen und Künstler des <strong>Festival</strong>s dazu ein, ihren<br />

Blick auf die Welt besser kennenzulernen.<br />

Das Dong Xuan Center ist hierfür ein hervorragender<br />

Ort, und ich möchte seinem Gründer, Herrn Nguyen Van<br />

Hien, für sein nimmermüdes Engagement in den letzten<br />

zwanzig Jahren danken und dem Dong Xuan Center zum<br />

20-jährigen Jubiläum ganz herzlich gratulieren. Für das<br />

anstehende <strong>Festival</strong> wünsche ich all unseren Gästen viel<br />

Vergnügen.<br />

Das Dong Xuan Center ist mehr als ein asiatischer Großmarkt.<br />

Das Gelände an der Herzbergstraße hat sich zu<br />

einem wichtigen Anlaufpunkt für die vietnamesische<br />

Community entwickelt. Menschen kommen aus ganz<br />

Deutschland, um hier Produkte aus der vietnamesischen<br />

Heimat einzukaufen, authentisches Essen zu genießen,<br />

die Muttersprache zu hören.<br />

Aber das Dong Xuan Center ist viel mehr als das. Es<br />

ist ein ikonischer Ort in <strong>Berlin</strong>, der in jedem Travelguide zu<br />

finden ist. Internationale Gäste, die diesen einzigartigen<br />

Platz sehen wollen, nutzen ihren Aufenthalt im Bezirk<br />

dafür, weitere markante Orte zu besuchen wie die Haubrok<br />

Foundation in der Fahrbereitschaft, den Campus<br />

für Demokratie mit dem Stasimuseum, die Gedenkstätte<br />

Hohenschönhausen oder das Mies van der Rohe Haus.<br />

Der Geschäftsführer Nguyen Van Hien hat das ehemalige<br />

Kulturhaus des VEB Elektrokohle renoviert und mit<br />

modernster Veranstaltungstechnik ausgestattet. So ist<br />

ein Kulturort entstanden, der nun mit dem <strong>Sống</strong> <strong>ở</strong> <strong>Berlin</strong><br />

<strong>Festival</strong> ein neues Highglight bekommt.<br />

Ich freue mich sehr, dass es dank der Förderung<br />

durch den Hauptstadtkulturfonds, das Musicboard <strong>Berlin</strong><br />

und den Bezirkskulturfonds Lichtenberg gelungen ist, ein<br />

<strong>Festival</strong>-Format zu entwickeln. Es präsentiert die künstlerischen<br />

Ausdrucksformen einer Generation von jungen<br />

Menschen, die in Deutschland geboren sind, vietnamesische<br />

Eltern haben und mit dem Reichtum beider Kulturwelten<br />

arbeiten.<br />

Ich wünsche Ihnen allen viel Spaß und eine erkenntnisreiche<br />

Zeit beim <strong>Sống</strong> <strong>ở</strong> <strong>Berlin</strong> <strong>Festival</strong>.<br />

Martin Schaefer<br />

Bezirksbürgermeister<br />

von Lichtenberg<br />

Martin Schaefer wurde 1974<br />

im ostwestfälischen Gütersloh<br />

geboren. Er studierte<br />

Evan gelische Theologie<br />

in Hamburg und Elstal (bei<br />

Nauen). Von 2001 bis 2008<br />

war er Pastor der Evangelisch-<br />

Freikirchlichen Gemeinde<br />

<strong>Berlin</strong>-Lichtenberg. Er ist<br />

Mitglied der CDU-Fraktion und<br />

seit 2023 Bezirksbürgermeister<br />

von Lichtenberg.<br />

Joe Chialo<br />

Senator für Kultur und Gesellschaftlichen<br />

Zusammenhalt<br />

des Landes <strong>Berlin</strong><br />

Joe Chialo wurde 1970 in<br />

Bonn geboren, er studierte<br />

Politik, Geschichte und wirtschaftliche<br />

Staatswissenschaften<br />

in Erlangen. Von<br />

2006 bis 2023 war er selbstständiger<br />

Unternehmer und<br />

Musikmanager. Seit 2021 ist<br />

er Mitglied im Bundesvorstand<br />

der CDU und seit 2023 <strong>Berlin</strong>er<br />

Kultur senator.<br />

SỐNG Ở FEstival 3


Editorial<br />

Vanessa Vu +<br />

Ahmad Katlesh<br />

Die Buchautorin und Journalistin<br />

Vanessa Vu schreibt zusammen<br />

mit ihrem Mann Ahmad Katlesh,<br />

darüber, wie es ist, sich fremd zu<br />

fühlen und zugleich eine neue<br />

Heimat zu finden. Das Editorial<br />

zum <strong>Sống</strong> <strong>ở</strong> <strong>Berlin</strong> <strong>Festival</strong><br />

Seit ich meinen syrischen<br />

Mann kennengelernt habe,<br />

entdecken wir eine überraschende<br />

Gemeinsamkeit<br />

nach der nächsten. Wenn<br />

ich ihm zum Beispiel vietnamesisches Essen<br />

zeige, gehen auch seine Kindheitserinnerungen<br />

an: Bánh mì, also „pain de mis“, haben<br />

die Franzosen nicht nur nach Vietnam, sondern<br />

auch nach Syrien gebracht. Beide Länder<br />

standen unter französischer Kolonialherrschaft<br />

und passten das längliche, außen<br />

knusprige und innen luftig-weiche Weizenbrötchen<br />

ihren lokalen Vorlieben an: Die Vietnamesen<br />

belegten es mit Hähnchenleberpastete,<br />

fermentierten Karotten- und Rettichstreifen<br />

sowie frischen Kräutern, und die<br />

Syrer stecken Falafel, Tomaten und Tahini<br />

rein. Ich staunte auch nicht schlecht, als mein<br />

Mann die für mich typischen Ph<strong>ở</strong>-Zutaten wie<br />

Zwiebeln, Ingwer, Zimt und Pfeffer in eine<br />

Rinderbrühe warf, um Maqloube zu kochen,<br />

ein levantisches Reisgericht. Für uns beide<br />

geht außerdem nichts über frischen, eisgekühlten<br />

Zuckerrohrsaft!<br />

Aber es geht noch weiter: Mein Vater<br />

liebt Jasminblüten. Er hat einen kleinen<br />

Strauch aus Vietnam mitgebracht, pflegt ihn<br />

liebevoll und erzählt mir am Telefon immer<br />

stolz, wenn das ganze Wohnzimmer danach<br />

duftet. Gleichzeitig ist Jasmin offenbar die<br />

Symbolblume der Stadt Damaskus, wo mein<br />

Mann geboren und aufgewachsen ist.<br />

Es ist schon erstaunlich, welche Welten<br />

sich öffnen können, wenn man einmal<br />

den weißen Blick außen vor lässt und einfach<br />

die Augen und Ohren offen hält. Ich bin 1991 in<br />

Bayern geboren und mehr oder weniger ohne<br />

Menschen mit Migrationshintergrund um mich<br />

herum aufgewachsen. Es gab natürlich welche<br />

im Asylbewerberheim, aber spätestens ab dem<br />

Gymnasium und an der Uni wurden es immer<br />

weniger. So habe ich mich bis in meine Zwanziger<br />

hinein immer nur in Relation zu den weißen<br />

Menschen verstanden, die mich umgaben. Ich<br />

habe mich mit ihnen verglichen und mich ihnen<br />

erklärt, mich und meine Familie und alle anderen<br />

„Ausländer“. Wenngleich es mir gut gelang,<br />

war es eine einsame und zermürbende Angelegenheit,<br />

ständig die Ausnahme zu sein und<br />

sich zu rechtfertigen.<br />

Was mir damals fehlte, dämmerte mir<br />

erst allmählich im Studium, wo ich mich mit<br />

Vietnam und der vietnamesischen Diaspora<br />

aus einandersetzte. Richtig verstanden habe<br />

ich es aber mit „Rice and Shine“: Durch den<br />

Podcast trafen Minh Thu Tran und ich auf viele<br />

Menschen, die uns ähnlich sahen und deren<br />

Eltern teilweise ebenfalls aus Vietnam kamen.<br />

Wie wir erlebten sie in ihrer Kindheit Ausgrenzungen<br />

und Demütigungen, machten ab ihrer<br />

Jugend die Erfahrung der Exotisierung und Fetischisierung,<br />

hörten vergiftete Komplimente.<br />

Viele sind aber auch wie wir auf Sinnsuche<br />

gegangen. Manche haben dadurch ein<br />

neues Selbstbewusstsein entwickelt oder<br />

FOTO: Laurin Gutwin<br />

4 SỐNG Ở FEstival


Vanessa Vu ist Journalistin und Schriftstellerin.<br />

Mit Ihrem Mann Ahmad Katlesh, ebenfalls Autor,<br />

veröffentlichte sie kürzlich den Briefroman<br />

„Komm dahin, wo es still ist“ (Rowohlt), eine intime,<br />

poetische Auseinandersetzung mit den Spuren von<br />

Migration, Flucht und Asyl<br />

gehen kreativ mit Identitätsfragen um. Es<br />

war eine unglaublich bereichernde Erfahrung,<br />

diese Community aufzubauen. Ähnlichkeit<br />

euphorisiert. Sie bringt Menschen zusammen.<br />

Das ist heilsam wie verführerisch.<br />

Es kann aber auch schnell unangenehm<br />

werden, wenn vor lauter Ähnlichkeit kein Platz<br />

mehr für Differenz bleibt. Wenn man sich eine<br />

neue Schublade schafft und sich darin einrichtet,<br />

seltener nach rechts und links blickt oder<br />

selbstkritisch auf sich selbst. Wenn es plötzlich<br />

mehr Antworten gibt als Fragen.<br />

Wenn ich etwas in all den Jahren meiner<br />

Beschäftigung mit Herkunft und Identität gelernt<br />

habe, dann: Dass wir, die „Anderen“, so<br />

vielfältig sind wie alle anderen Menschen auch<br />

– und dass das ein unermesslicher Schatz ist,<br />

der uns so selten zugestanden wird, dass wir<br />

die Vielfalt selbst schnell übersehen, wenn<br />

von „den Vietnamesen“, „den Arabern“ oder<br />

„den Migranten“ die Rede ist. Dabei ist beides<br />

möglich: über Gemeinsamkeiten zusammenzufinden<br />

und dann im Vertrauen die dahinterliegende<br />

Vielfalt erkunden. So mache ich<br />

das auch mit meinem Mann. Wir lernten uns<br />

über die Liebe zum Tanz und zum geschrieben<br />

Wort kennen, im Alltag zelebrieren wir jedoch<br />

unsere Unterschiedlichkeit. Zum Beispiel<br />

essen wir beide gerne Reis, aber ich koche nur<br />

Jasminreis und er Basmatireis. Unserer Ehe<br />

schadet es nicht, im Gegenteil. Ich habe nie so<br />

gut gegessen wie mit ihm.<br />

Es gibt ein schönes Interview mit dem<br />

Schriftsteller Viet Thanh Nguyen. Dem<br />

Magazin „Daily Trojan“ sagte er: „Wenn man von<br />

außerhalb kommt, als eine Art entmachtete,<br />

marginalisierte Minderheit, dann kann man den<br />

Druck verspüren, sich selbst und seine Kultur<br />

zu erklären, sich selbst, seine Sprachen, seine<br />

Bräuche und so weiter und so fort zu übersetzen<br />

– das ist etwas, dem jeder Schriftsteller<br />

unbedingt widerstehen muss (...) Wenn ich<br />

sage, ‘Schreibe wie eine Mehrheit’, dann meine<br />

ich nicht, ‘Schreibe wie ein Weißer’. Ich meine:<br />

‘Schreibe so, als würden wir zu uns selbst sprechen,<br />

und lass alle anderen gern aufholen’. So<br />

entsteht interessante Kunst, und hoffentlich<br />

sogar große Kunst.“<br />

Das Selbstverständnis wünsche ich uns<br />

allen, die aus einer Minderheitenperspektive<br />

Neues schaffen. Da sind so unfassbar viele<br />

gute Geschichten, Melodien, Worte, Bilder,<br />

Gerüche, Geschmäcker. Wir müssen nur innehalten,<br />

ihnen vertrauen, und uns nicht nur trauen,<br />

anders zu sein, sondern es auch zu feiern.<br />

SỐNG Ở FEstival 5


Interview<br />

Das Dong Xuan Center wird<br />

als Hanoi im Herzen <strong>Berlin</strong>s<br />

bezeichnet. Wir sprachen mit<br />

Nguyen Van Hien, dem Gründer<br />

und Geschäftsführer des<br />

Lichtenberger Großmarktes<br />

Herr Nguyen Van Hien, können Sie uns Ihre persönliche<br />

Geschichte erzählen? Wie sind Sie nach <strong>Berlin</strong><br />

gekommen und wie sah Ihre Zeit vor dem Dong Xuan<br />

Center aus?<br />

Ich kam in den 1980er-Jahren im Rahmen des<br />

Regierungsabkommens für Vertragsarbeiter in die<br />

DDR und war Baugruppenleiter bei der Firma VEB<br />

BMK Ost in Potsdam. Mit dem Ende der DDR war ich<br />

wie viele Vietnamesinnen und Vietnamesen arbeitslos,<br />

mit rund 60.000 Menschen waren wir zugleich<br />

die größte Gruppe von Ausländern im ehemaligen<br />

Arbeiter- und Bauernstaat. Die Vietnamesinnen und<br />

Vietnamesen versuchten, sich trotz aller Schwierigkeiten<br />

eine neue Existenz in Deutschland aufzubauen.<br />

Ich hatte mich selbstständig gemacht und<br />

begann meine gewerbliche Tätigkeit in Potsdam mit<br />

dem Verkauf von Textilien und einem Imbissladen.<br />

​Und wann kam Ihnen die Idee, einen Großmarkt zu<br />

eröffnen?<br />

Es gab zu diesem Zeitpunkt Warenknappheit. Die<br />

vietnamesischen und andere ausländische Händler<br />

mussten nach Ihrer Arbeit zum Einkaufen fahren. Die<br />

Produkte waren schwierig zu finden und zu kaufen.<br />

Es gab damals für die benötigten Waren kein Großhandelszentrum,<br />

wo man die verschiedenen Warensortimente<br />

kaufen konnte. So entstand die Idee, ein<br />

Handelszentrum für die Vietnamesen und ausländischen<br />

Geschäftsleute zu gründen.<br />

Es ging aber erst einmal nicht in <strong>Berlin</strong>, sondern in<br />

Leipzig los, richtig?<br />

Richtig. 1996 habe ich den Dong Xuan Markt in Leipzig<br />

gegründet. Der kam sehr gut bei den Händlern an.<br />

Es gab damals etwa 320 Geschäftstreibende auf einer<br />

Verkaufsfläche von 18.000 Quadratmetern. Im Jahr<br />

2002 eröffnete ich dann in <strong>Berlin</strong>-Lichtenberg das<br />

Dong Xuan Center in der Josef-Orlopp-Straße. Nach<br />

zwei Jahren wurde dieser Ort zu klein, so sind wir alle<br />

ein Stückchen weiter gezogen in die Herzbergstraße<br />

128-139, wo im April und Mai 2004 die ersten zwei<br />

Hallen fertig gestellt wurden.<br />

In welchem Zustand befand sich eigentlich das<br />

Gelände, bevor Sie es übernommen haben?<br />

Der Standort war der Betrieb der VEB Elektrokohle<br />

<strong>Berlin</strong>-Lichtenberg. Davor gehörte das Gelände der<br />

Siemens und Halske AG, eine Teilproduktionsstätte<br />

zur Herstellung von Alkohol-Messapparaturen.<br />

Auf dem Gelände befanden sich alte Gebäude und<br />

Hallen, die sanierungs- und abrissbedürftig waren.<br />

Zu diesem Zeitpunkt war auch der Boden noch stark<br />

kontaminiert. Allein für die Reinigung und Entsorgung<br />

von kontaminiertem Boden wurden im Zuge<br />

der Errichtung des Handelszentrums einige Millionen<br />

Euro ausgegeben.<br />

Das Dong Xuan Center befindet sich Lichtenberg,<br />

jenem <strong>Berlin</strong>er Bezirk, in dem viele vietnamesische<br />

Menschen leben. Das ist sicherlich kein Zufall?<br />

In Lichtenberg leben mehr als 10.000 Menschen mit<br />

vietnamesischen Wurzeln. Sie sind ein Teil im Lichtenberger<br />

Stadtbild. Für die Community ist Lichtenberg<br />

wie eine Hauptstadt. Wir leben, arbeiten und<br />

6 SỐNG Ở FEstival


Nguyen<br />

Van Hien<br />

FOTO: Sabine Gudath<br />

investieren hier in dem Bezirk. Die Bezirksleitung<br />

unterstützt uns und schafft gute Bedingungen für<br />

das Leben, für die wirtschaftliche Entwicklung und<br />

auch die Integration.<br />

Ist für Sie das Dong Xuan Center auch ein Ort der<br />

Integration?<br />

Das würde ich schon sagen. Wir haben Geschäftstreibende<br />

aus Ländern wie Vietnam, China, Türkei,<br />

Indien, Afghanistan, Pakistan und Polen und sorgen<br />

damit auch für viele Arbeitsplätze. Etwa 2.000 Menschen<br />

arbeiten täglich im Dong Xuan Center. Wir<br />

sind ein Zentrum für internationalen Import und Export<br />

mit verschiedenen Warensortimenten wie Lebensmitteln,<br />

Haushaltwaren, Textilien, Lederwaren,<br />

Teppichen und so weiter. Doch neben dem Handel<br />

gilt das Dong Xuan Center als ein Ort für das Beleben<br />

und den Austausch von verschiedenen Kulturen.<br />

Das ermöglicht es, die Kultur beizubehalten und zu<br />

unterstützen. Es wurden zig Vereine von verschiedenen<br />

vietnamesischen Initiativen im Dong Xuan<br />

Center gegründet, mit dem Ziel, sowohl gemeinsam<br />

die Community zu unterstützen und mit der Community<br />

eine gute Integration zu schaffen als auch einen<br />

Beitrag an sozialen Projekten in der zweiten Heimat<br />

zu leisten.<br />

Was bedeutet das Dong Xuan Center speziell für die<br />

vietnamesische Community in <strong>Berlin</strong>?<br />

Ein Artikel vom „Monopol Magazin“ schrieb über das<br />

DXC: „ Ein wichtiger Ort für Kulturaustausch und<br />

Integrationsmöglichkeiten – die Migration schafft<br />

einen besonderen Ort.“ Das Dong Xuan Center wurde<br />

als kleines Hanoi im Herzen <strong>Berlin</strong>s bezeichnet. Die<br />

Vietnamesen können hier mitten in <strong>Berlin</strong> etwas von<br />

der Heimat erleben. Auch andere Ausländer haben<br />

hier die Möglichkeit, ihre Kultur zu leben, und bekommen<br />

das Heimatgefühl durch die verschiedenen<br />

Geschäfte mit Spezialitäten aus ihren eigenen Ländern.<br />

Für sie ist diese Besonderheit eine gute Bedingung<br />

für ihr Leben und ihre wirtschaftliche Entwicklung<br />

in ihrer zweiten Heimat. „Wer Heimweh hat und<br />

noch nicht die Heimat besuchen kann, dann komm<br />

doch zum Dong Xuan Center“ – ist hier ein geflügeltes<br />

Zitat. Viele Vietnamesinnen und Vietnamesen<br />

sind nach Lichtenberg und <strong>Berlin</strong> gezogen, um hier<br />

ihr Leben aufzubauen, um ihrer Kultur nahe zu sein.<br />

Lassen Sie uns über Essen sprechen, denn neben<br />

den Geschäften gehört das kulinarische Angebot<br />

zum Konzept im Dong Xuan Center. Wie schätzen<br />

Sie die Bedeutung der vietnamesischen Küche in<br />

<strong>Berlin</strong> ein?<br />

Allgemein denke ich, dass die vietnamesische<br />

Gastronomie in <strong>Berlin</strong> sich in einer guten wirtschaftlichen<br />

Lage befindet. Fast überall, in jeder Straße,<br />

findet man immer eine oder mehrere vietnamesische<br />

Gastronomieeinrichtungen. Es werden immer<br />

neue Restaurants eröffnet. Es zeigt sich dadurch,<br />

dass die Kunden die vietnamesische Küche sehr<br />

mögen. Dank dieser Entwicklung können unsere<br />

deutschen Freunde und auch Freunde aus anderen<br />

Ländern die vietnamesische Küchenkultur gut<br />

kennenlernen. Das ist gute Werbung für das Land<br />

Vietnam. Eine gute Küche bringt immer die Menschen<br />

nahe zueinander.<br />

Wo gehen Sie am liebsten essen?<br />

Neben den vietnamesischen Essen esse ich auch<br />

gern Bratwurst und Schnitzel. Bratwurst esse ich<br />

gerne an dem Imbissstand im Dong Xuan Center und<br />

das vietnamesische Essen in den Restaurants, etwa<br />

im Việt Phố.<br />

Sie feiern jetzt den 20. Geburtstag, wie stellen Sie<br />

sich das Dong Xuan Center in 20 Jahren vor?<br />

In enger Zusammenarbeit mit unserem Stadtplanungsbüro<br />

und unserem Architekturbüro arbeiten<br />

wir weiterhin an der Weiterentwicklung des gesamten<br />

Geländes. Ein wichtiger Punkt bei der zukünftigen<br />

Planung ist es, verschärft auf die Qualität und<br />

Modernisierung zu achten.<br />

INTERVIEW: Jacek Slaski<br />

SỐNG Ở FEstival 7


Food<br />

Restaurant- und<br />

Einkaufstipps<br />

Wie es die vietnamesischen Klassiker<br />

zur <strong>Berlin</strong>er Alltagsküche brachten<br />

Als Hochburgen vietnamesischer Küche<br />

gelten nach wie vor die Kantstraße im tiefen<br />

Westen in Charlottenburg und der Bezirk<br />

Lichtenberg im tiefen Osten, in dem<br />

das Dong Xuan Center beheimatet ist.<br />

Wie alles begann<br />

Tatsächlich beginnt die Geschichte der vietnamesischen<br />

Alltagsküche in <strong>Berlin</strong>-Mitte im Jahr 1999. Als erstes<br />

vietnamesisches Restaurant eröffnete der Gastronom Hoanh<br />

Vuong im alten Scheunenviertel das Monsieur Vuong,<br />

welches später an die Alte Schönhauer Straße zog. Dort<br />

ist es bis heute und etablierte sich über die Jahrzehnte zu<br />

einer wahren Institution.<br />

Monsieur Vuong begeisterte von Anfang an und legte<br />

den Grundstein für viele weitere, häufig sehr ähnliche<br />

Restaurantkonzepte. Das Aushängeschild von Vuongs<br />

Küche wurde der Klassiker Ph<strong>ở</strong>: traditionell eine aus<br />

Rindfleischknochen gekochte kräftige Fleischbrühe, mit<br />

Fleisch- und Reisbandnudeleinlage, garniert mit frischen<br />

Kräutern, Limette und Chili.<br />

Wie es weiterging<br />

Spätestens 15 Jahre später war die vietnamesische Küche<br />

komplett im Mainstream angelangt. Mit der Eröffnung des<br />

ersten Umami-Restaurants in Prenzlauer Berg im Jahr<br />

2014 wurde eine neue Ära der vietnamesischen Küche<br />

in <strong>Berlin</strong> eingeläutet – eine, die bis heute anhält. Farbenprächtig<br />

und üppig gefüllte Schüsseln fingen schnell den<br />

Blick und das Interesse der jungen und gesundheitsbewussten<br />

Leute in ganz <strong>Berlin</strong> ein. Viel Grün, viel Gemüse<br />

und vor allem kein Fleisch wurde zum Markenzeichen von<br />

Umami, welches den damals aufkommenden Zeitgeist des<br />

healthy-eatings gekonnt einfing.<br />

Vietnamesisch und vegetarisch<br />

Mit dem Erfolg der Umami-Kette und ähnlichen Lokalen<br />

wurden die Konzepte vietnamesisch und vegetarisch<br />

scheinbar untrennbar. Vegan-vegetarische vietnamesische<br />

Restaurants setzten sich durch, beflügelt<br />

durch das immer gesundheitsbewusstere <strong>Berlin</strong> und die<br />

zunehmende Begeisterung über Tofu, Seitan und Tempeh.<br />

Vietnamesische Küche<br />

gehört zu <strong>Berlin</strong> wie<br />

Currywurst und Döner. Im<br />

Dong Xuan Center bleibt<br />

sie sich treu und lädt auf<br />

Geschmackspfade auf<br />

und abseits des Mainstreams<br />

ein<br />

FOTO: Trung Bui / Unsplash<br />

8<br />

SỐNG Ở FEstival


FOTOS: Marianne Rennella<br />

Sich treu geblieben<br />

Scheinbar unberührt von alledem blieb der Mikrokosmos<br />

Dong Xuan Center. Während die vietnamesische Küche<br />

in <strong>Berlin</strong> Gefahr lief, sich in der breiten Masse auf vegetarische<br />

Ph<strong>ở</strong>-Suppen, Sommerrollen und Bun Chay zu reduzieren,<br />

blieben die vietnamesischen Restaurants auf dem<br />

Großmarktgelände unbeeindruckt von Trends und Hypes<br />

und die Speisekarten umfangreich und fleischintensiv.<br />

Durchgestylte Lokale, Fine Dining oder Naturwein sucht<br />

man in den Restaurants des Dong Xuan Centers vergeblich.<br />

Stattdessen stehen Besteckkörbe auf den Tischen, hier<br />

und da lädt ein Lieferwagen gerade seine Waren aus, und<br />

zwischendurch weht der Geruch kulinarischer Abenteuer<br />

über die Terrasse. Mit vollgegessenem Bauch und Blick auf<br />

die industriellen Hallen gibt es dann einen gratis Zahnstocher<br />

zum Abschluss. Eine echte Alltagsküche eben.<br />

Hier sind unsere Empfehlungen:<br />

Viet Pho<br />

Neben Rind, Schwein und Huhn stehen auch Schnecken,<br />

Kalb und geschmorter Vogel auf der Speisekarte des<br />

Restaurants Viet Pho. Das Bún Ngan Nuong wird auf einem<br />

großen Bastteller seviert, auf dem eine Portion dünne<br />

Reisbandnudeln, ein Schüsselchen Gemüsebrühe mit<br />

Bambuseinlage, eine dunkle, intensive Soße auf Sojabasis<br />

sowie gegrilltes Gänsefleisch angerichtet sind. Die<br />

Bambussuppe, die vorweg gegessen werden soll, spaltet<br />

die Geister. Gefälliger ist das Gänsefleisch, wobei dieses<br />

ohne Soße zu trocken wäre; die Nudeln dienen als Ruhepol<br />

für die vielfältigen Aromen. Wunderbar kross, fettig und<br />

salzig hingegen ist die Vorspeise aus frittierten Süßkartoffelgittern<br />

mit Garnelen, die blitzschnell aus der Küche<br />

kommt.<br />

Bamibacu<br />

An dem Food-Truck namens Bamibacu schräg vor der<br />

Halle 1 gibt es Banh Mi, ein französisches Baguettebrötchen<br />

vietnamesisch belegt. Traditionell kommen Paté,<br />

Schweinefleisch, eingelegtes Gemüse, Koriander und verschiedene<br />

Soßen auf das Weißbrot, doch auch die vegetarische<br />

Version mit Tofu funktioniert gut. Den Tresen bei<br />

Bamibacu zieren die bunten, beliebten vietnamesischen<br />

Desserts namens Chè, wobei Chè ein Sammelbegriff ist<br />

für Puddings und süße Getränke, die meistens aus verschiedenen<br />

Bohnenarten, Tapioka, Früchten und Kokosmilch<br />

hergestellt werden.<br />

Duc Anh Quan<br />

Yummi shopping<br />

Hat Sen<br />

Getrocknete Lotussamen<br />

Ob gezuckert und gepoppt als<br />

Popcorn-Alternative oder gepickelt<br />

und geröstet: Die Samen<br />

der Lotuspflanze machen sich<br />

gut als Snack, aber auch in süßen<br />

und herzhaften Gerichten.<br />

Bánh Da Me Tôm<br />

Reispapier mit Garnelen<br />

Reispapier mit Garnelen ist rar<br />

in <strong>Berlin</strong>s Asia-Läden. Kurz eingeweicht<br />

und anschließend mit<br />

Reisnudeln und Salat belegt,<br />

werden daraus Sommerrollen der<br />

ganz besonderen Art.<br />

Bánh Bôt Loc<br />

Mehlmischung<br />

Die gedämpften Teigtaschen aus<br />

Tapioka werden mit Garnelen und<br />

Schweinebauch gefüllt. Mit der<br />

Mehlmischung für zuhause sind<br />

bei den Füllungen der Fantasie<br />

keine Grenzen gesetzt.<br />

Bánh cốm<br />

Grünreis-Bohnen-Kuchen<br />

Für dieses Dessert wird gekochter<br />

Klebereis zerstoßen, grün gefärbt,<br />

um eine süße Mungbohnenpaste<br />

gewickelt und mit Kokos<br />

bestreut. Bei Vinh Dung wird<br />

der Snack hausgemacht.<br />

Das Menü des Duc Anh Quan ist ebenso riesig wie traditionell.<br />

In der vietnamesischen Community gilt es als die<br />

Adresse unter den rund zehn Restaurants auf dem Gelände.<br />

Folgt man den Empfehlungen, landet man dabei<br />

bei den vietnamesischen Klassikern Bun Cha, gegrilltem<br />

Schweinefleisch mit Reisbandnudeln, und Bun Nem, frittierten<br />

Frühlingsrollen. Besonders gut ist auch das Dê Tái<br />

Chanh, ein Salat aus Ziegenfleisch mit Zitrone, wahlweise<br />

auch mit gerösteten Bohnen. Schön pur hingegen sind<br />

die grünen Beilagen wie Wasserspinat oder Khai Choi, die<br />

unbedingt auch noch bestellt werden sollten.<br />

TEXT: Marianne Renella<br />

Bánh Bông Lan<br />

Vuông Đài Loan<br />

Schwammkuchen mit Pandan<br />

Bei diesem Kuchen trifft zarter<br />

Biskuit auf süße Creme. Pandan<br />

verleiht ihm das charakteristische<br />

kokosartige, milde Vanillearoma.<br />

Trà Bí Đao<br />

Winter Melon Tea<br />

Die Wintermelone ist eine milde<br />

Kürbisart, die optisch einer grünen<br />

Honigmelone ähnelt. Winter<br />

Melon Tea schmeckt intensiv<br />

süß, fast floral und leicht nach<br />

Vanille.<br />

Bamibacu vor Halle 1, Mi-Mo 10-20 Uhr<br />

Dong Xuan Quan Halle 1, Mi-Mo 10-20 Uhr<br />

Quán Sen Đồng Halle 1, Mi-Mo 10-20 Uhr<br />

Viet Pho Halle 2, Mi-Mo 9-21 Uhr<br />

Nam Đinh quán Euro-Asia Restaurant Halle 3, Mi-Mo 10-20 Uhr<br />

Duc Anh Quan Halle 3, Mi-Mo 10-21 Uhr<br />

Banh Xeo Hanoi Halle 8, Mo-Sa 12-21 Uhr, So 12-14.30 und 16-21 Uhr<br />

Vinh Dung Halle 1, Mi-Mo 8-20 Uhr<br />

Asia Huong Viet Halle 2, Mi-Mo 10-20 Uhr<br />

Evergreen Foods Halle 6, Mi-Mo 10.30-20 Uhr<br />

Vinasun Halle 8, Mi-Mo 9-19 Uhr<br />

Asia24 Halle 9, Mi-Mo 8-20 Uhr<br />

World Exotic Food Halle 18, Mi-Mo 10-20 Uhr<br />

SỐNG Ở FEstival 9


Dinnershow<br />

Die Acts!<br />

Hereinspaziert und Platz genommen!<br />

Das <strong>Sống</strong> <strong>ở</strong> <strong>Berlin</strong> <strong>Festival</strong> startet mit<br />

einer Gala der ganz besonderen Art. Im<br />

historischen Kultur- und Eventhaus des<br />

Dong Xuan Centers wird eine Tradition<br />

aufgegriffen und mit völlig neuem Leben<br />

gefüllt, wenn einige Highlight-Acts des<br />

<strong>Festival</strong>s in einer abendfüllenden Show<br />

auftreten, moderiert von der Kulturjournalistin<br />

und Podcasterin Vanessa Vu,<br />

die unter anderem durch ihren Podcast<br />

„Rice and Shine“ und ihre journalistische<br />

Arbeit für „Die Zeit“ bekannt geworden<br />

ist. Live-Musik, Artistik, Comedy, Videokunst<br />

und Tanz bieten umfangreichen<br />

Genuss für Augen, Ohren und die Seele.<br />

Perfekt abgerundet wird der Abend durch<br />

das Essen des Restaurants Việt Phố, das<br />

man à la carte an den Dinnertischen im<br />

Kulturhaus bestellen kann. Daher lohnt<br />

sich der frühe Besuch, denn die Speisekarte<br />

ist nicht nur exzellent, sondern auch<br />

umfangreich.<br />

Mai My Comedy<br />

Sie kommt aus Hamburg, kickt jeden Auftritt<br />

mit einem zünftigen „Moin“ los und mixt<br />

Spülbecken-Realismus mit Missy Elliot-Attitüde.<br />

In Hamburg ist sie bekannt als eine der<br />

gefürchtetsten MILFs (Mütter in Lebensfrustration)<br />

und seziert ihre Rolle als alleinerziehende<br />

Mutter in den Turbulenzen des Alltags mit<br />

so viel Selbstironie, dass selbst das Lachen<br />

manchmal schmerzt. Den stereotypen Blick<br />

deutscher Männer und die darauf folgende<br />

Einsortierung in der „Asia“-Klischeeschublade<br />

entlarvt sie knallhart lächelnd und mit<br />

nordisch-kühlem Humor. Mai My war unter<br />

anderem Gast im Quatsch Comedy Club und<br />

hat diverse Auftritte in den Comedy-Sendungen<br />

der ARD absolviert wie etwa bei Comedy<br />

Clash oder ARD Stand-up.<br />

The Funky<br />

Monkeys<br />

Toan Le hat die Circus & Urban Dance Company<br />

The Funky Monkeys 2015 mit ein paar<br />

Gleichgesinnten gegründet, die nach der Ausbildung<br />

auf der staatlichen Artistikschule ihre<br />

Hip-Hop-Historie mit dem zeitgenössischen<br />

Zirkus und der unmittelbaren Energie des<br />

FOTOS: WDR/Melanie Grande; Fungi (Phuong Tran Minh)<br />

10 SỐNG Ở FEstival


Opening Gala<br />

25. Juli ab 19 Uhr<br />

Straßentheaters fusionieren wollten. Seither<br />

hat die Company einen bemerkenswerten<br />

Weg genommen, sie wurde unter anderem<br />

mit fünf Auszeichnungen beim Zirkus-<strong>Festival</strong><br />

in Monte Carlo geehrt sowie mit Auftritten im<br />

Supertalent, dem Fernsehgarten und der französischen<br />

Sendung „Le Plus Grand Cabaret Du<br />

Monde“. Die Shows der Funky Monkeys sind<br />

spektakulär, kraftvoll und haben immer einen<br />

zutiefst menschlichen Kern, der vom Miteinander<br />

der verschiedenen Kulturen handelt.<br />

Choreografien und den Ausdruck von Lebensfreude<br />

durch Bewegungen. Sie spielen mit<br />

Gesten, Bewegungen und Looks aus vietnamesischen<br />

Tänzen, sind aber ganz klar in der<br />

urbanen Metropole <strong>Berlin</strong> beheimatet, deren<br />

musikalische Vielfalt sie in ihren Choreografien<br />

aufgreifen.<br />

ten Popstars in Vietnam, die über die visuelle<br />

Inszenierung die möglicherweise vorhandene<br />

Sprachbarriere mühelos transzendieren. Die<br />

Rapperin Suboi aus Ho-Chi-Minh-Stadt performt<br />

ihren Song „Best Friend“. Die Sängerin<br />

und Songwriterin Mỹ Anh singt ihren Hitsong<br />

„Mỗi Khi Anh Nhìn Em“, und der Rapper Low G<br />

interpretiert die globale musikalische Sprache<br />

des Hiphop aus seiner Perspektive mit dem<br />

Track „Thiên Thần Ác Quỷ“.<br />

FOTOS: Tony Bui; Salty Crew Members; Jim Kroft; Laurin Gutwin<br />

Another Nguyen<br />

Mit ihrem neuen, Ende Juni veröffentlichten<br />

Track „Motherland“ hat Ngoc Anh Nguyen<br />

einen wichtigen und großen Teil ihrer persönlichen<br />

Geschichte aufgearbeitet – und deshalb<br />

verwundert es nicht besonders, dass die<br />

Idee zu diesem Song schon 2019 entstand.<br />

Ursprung ist ihre Kindheit in einer sächsischen<br />

Kleinstadt, aber erst durch den Besuch<br />

in Vietnam, dem Land ihrer Eltern, haben sich<br />

wichtige Verbindungen geknüpft, von denen<br />

Another Nguyen singt und erzählt. Ihre Musik<br />

ist elektronisch, poppig, zugänglich und introspektiv<br />

zugleich. Einflüsse von Julia Michaels<br />

oder Adele sind ebenso zu hören wie Ary,<br />

Tsar B oder Emilie Nicolas.<br />

Salty Crew<br />

Hip-Hop, Afro-Beats und Waacking sind die<br />

zentralen Elemente in den Performances der<br />

vietnamesisch-deutschen Tanzgruppe Salty<br />

Crew. Ihr Antrieb für endlose Übungsstunden<br />

im Selbststudium war und ist die Leidenschaft<br />

für urbanen Dance, für perfekte<br />

A COLORS SHOW<br />

feat. Suboi,<br />

My Anh, Low G<br />

Dank einer Einladung des Goethe-Instituts in<br />

Hanoi entstand ein faszinierendes Video- und<br />

Kunstprojekt, dessen Ergebnisse in der Opening-Gala<br />

von <strong>Sống</strong> <strong>ở</strong> <strong>Berlin</strong> gezeigt werden.<br />

Auf einer Reise nach Ho-Chi-Minh-Stadt wurde<br />

der Grundstein für eine Zusammenarbeit<br />

zwischen den <strong>Berlin</strong>er Produzenten der CO-<br />

LORS SHOW und dem Goethe-Institut gelegt,<br />

die gemeinsame Werte des kulturellen Austausches<br />

und der Förderung von Diversität in Kulturproduktionen<br />

vertritt. So entstanden drei<br />

Videokunstwerke mit einigen der bekanntes-<br />

Moderation<br />

Vanessa Vu<br />

Ihre Stimme ist klar. Sie deckt die Fehlentwicklungen<br />

im Zusammenleben der Menschen<br />

auf, stellt Zusammenhänge her und<br />

erklärt, wie und warum der alltägliche Rassismus<br />

immer wieder aufflammt. Bei all der<br />

Schwere und Bedeutung dieser Themen hat<br />

die Journalistin und Moderatorin Vanessa Vu<br />

aber nie den Humor und die Leichtigkeit in<br />

ihren Auftritten verloren. Seit 2017 arbeitet<br />

sie als Redakteurin für „Die Zeit“, wo sie viele<br />

preisgekrönte Artikel über Rassismus, Diskriminierung,<br />

aber auch über das Leben und<br />

die Geschichten vietnamesischer Menschen<br />

in Deutschland geschrieben hat. Gemeinsam<br />

mit ihrer Co-Moderatorin Minh Thu Tran startete<br />

Vanessa Vu den Podcast „Rice And Shine“,<br />

der gemeinsam mit „Halbe Kartoffl“ der wichtigste<br />

und einflussreichste deutschsprachige<br />

Podcast ist, der sich mit postmigrantischen<br />

Lebensrealitäten und Perspektiven auseinandersetzt.<br />

Hier kamen viele Menschen zu<br />

Wort, die mit ihren Lebens entwürfen vielleicht<br />

nicht im Mittelpunkt der Gesellschaft<br />

und deren Aufmerksamkeit standen, aber<br />

durch die Arbeit von Vanessa Vu durchaus<br />

mehr Gehör gefunden haben.<br />

SỐNG Ở FEstival<br />

11


Programm<br />

<strong>Sống</strong> Ở <strong>Berlin</strong><br />

Tickets<br />

für alle 4 Tage<br />

10,- Euro<br />

plus Gebühren<br />

www.song-berlinfestival.de<br />

Donnerstag, 25.7.<br />

19 Uhr, Dong Xuan Center Kulturhaus<br />

Opening Gala<br />

Die Eröffnung wird festlich! <strong>Sống</strong> <strong>ở</strong> <strong>Berlin</strong> gönnt sich und seinem Publikum eine Gala, die von<br />

der Buchautorin und Journalistin Vanessa Vu moderiert wird, und ein Highlight nach dem<br />

anderen feiert: Die Comedienne Mai My aus Hamburg entert die Bühne mit norddeutschem<br />

Humor als Mutter in Lebensfrustration (MILF). Mit Energie und eigenständig entwickelten<br />

Choreografien zeigt die Salty Crew, wie mitreißend Urban Dance sein kann. Ihre Medaillen vom<br />

Zirkusfestival in Monte Carlo lassen The Funky Monkeys zwar zuhause, aber sie bringen ihren<br />

Chinesischen Mast mit und machen ihn zum Zentrum der Show. In kunstvoll gestalteten<br />

Videos sind mit Suboi, My Anh und Low G drei der größten Urban-Music-Stars aus Vietnam zu<br />

sehen. Auf der Suche nach ihrem „Motherland“ (Songtitel) hat die Musikerin Another Nguyen<br />

Spuren von Heimat in Vietnam, in Sachsen und in Lichtenberg entdeckt, von denen sie jetzt<br />

singt. Das Publikum kann an Dinnertischen Essen bestellen oder vietnamesisches Fingerfood<br />

von der Bar snacken.<br />

Freitag, 26.7.<br />

Sitzplätze müssen<br />

reserviert werden unter:<br />

https://loveyourartist.<br />

com/<br />

FOTOS: Niklas Beecken; Le Quyen Nguyen<br />

18 Uhr, Open Air Bühne<br />

Tracks & Talk:<br />

Nashi44<br />

Mit Tracks & Talk hat tip<strong>Berlin</strong> ein neues<br />

Veranstaltungs-Format entwickelt, bei<br />

dem Musiker*innen nicht nur im intimen<br />

Set-up einer kleinen Bühne ihre Songs<br />

spielen, sondern auch mit der tip<strong>Berlin</strong>-Redakteurin<br />

Marit Blossey ins Gespräch<br />

kommen. Als Medienpartner von<br />

<strong>Sống</strong> <strong>ở</strong> <strong>Berlin</strong> bringt der tip<strong>Berlin</strong> nun<br />

Tracks & Talk in das Kulturhaus des Dong<br />

Xuan Centers und bittet Nashi44 zum<br />

Gespräch. Nashi44 bezeichnet ihre Musik<br />

selbst als „Asian <strong>Berlin</strong> Pussy Conscious<br />

Rap“. Was das bedeutet? R’n’B-Sounds<br />

und Titel wie „Sriracha Hot Bitch“ klingen<br />

nach attitude, die Texte haben Tiefgang.<br />

Nashi44 spielt immer wieder mit rassistischen<br />

und sexistischen Stereotypen,<br />

verarbeitet persönliche Erfahrungen und<br />

macht sich Klischees mit smarter Ironie<br />

zu eigen.<br />

19.15 Uhr, Open-Air Bühne<br />

veenus*<br />

veenus* (alle Pronomen) hat sich eine<br />

eigene Welt geschaffen, in der Popkultur,<br />

Politik und Selbstermächtigung<br />

eine wichtige Rolle spielen. Diese Welt<br />

beglückt sie mit ihrem eigenen Stil:<br />

„R&Vee Pop“ ist eine Fusion aus dreamy<br />

Keyboards, dezenten bouncy Beats und<br />

Geschichten, die auf Englisch und Vietnamesisch<br />

gesungen werden. Nach ihrer<br />

Debüt-EP „Planet V“ und Konzerten im<br />

Vorprogramm von Nina Chuba, Schmyt,<br />

Blond und den Beatsteaks hat sich<br />

veenus* auch die Rolle der Produzentin<br />

und Regisseurin ihrer Musik immer mehr<br />

zueigen gemacht, wie auf ihrer aktuellen<br />

Single „On U“.<br />

20.30 Uhr, Open-Air Bühne<br />

Saigon Soul Revival<br />

Die Band aus Ho-Chi-Minh-City bringt<br />

mit ihrer Musik eine Episode zurück, die<br />

vom kleinen Glück im Persönlichen und<br />

vom großen Leid im Weltgeschichtlichen<br />

geprägt ist: Die Ära der Nhạc Vàng, der<br />

Goldenen Musik Vietnams aus den 60erund<br />

70er-Jahren. Rock, Soul und Jazz<br />

kamen nicht zuletzt mit dem Krieg und<br />

den US-Soldaten nach Vietnam – Saigon<br />

Soul Revival vereinen diese Einflüsse in<br />

ihrem Sound, den sie mit „klassischen“<br />

Instrumenten der Rockmusik ebenso<br />

interpretieren wie mit vietnamesischen<br />

Instrumenten wie Đàn Tranh, Đàn Bầu<br />

und Đàn Nguyệt. Die Band zählt sogar<br />

Iggy Pop zu ihren Fans. Ihr neues Album,<br />

das sie zum ersten Mal in <strong>Berlin</strong> auf dem<br />

<strong>Sống</strong> <strong>ở</strong> <strong>Berlin</strong> <strong>Festival</strong> präsentieren, klingt<br />

wie eine Reise durch die Nächte Saigons.<br />

12<br />

SỐNG Ở FEstival


Samstag, 27.7.<br />

13 Uhr, Open-Air Bühne<br />

17.30 Uhr, Open-Air Bühne<br />

FOTOS: Vinh Khuat; Phuong Tran Minh; Bianca Peruzzi<br />

20 Jahre Dong Xuan Center<br />

mit Drachentanz<br />

Das <strong>Berlin</strong>er Dong Xuan Center feiert sein<br />

20-jähriges Jubiläum mit einem großen<br />

Familienfest. Als Zeichen der Dankbarkeit<br />

spendiert Gründer und Geschäftsführer<br />

Nguyen Van Hien Getränke und Essen. Dazu<br />

Action mit Hüpfburgen und Straßenzirkus,<br />

traditionellen vietnamesischen Tänzen und<br />

einem spektakulären Drachentanz.<br />

Vinh Khuat<br />

Er ist Loop Station Weltmeister und ausgezeichneter<br />

Jazz-Sänger. Ihm gebührt<br />

die seltene Ehre, eine Briefmarke in Lettland<br />

zu zieren und gleichzeitig Popstar in<br />

Vietnam zu sein. In Deutschland kam er<br />

unter anderem ins Finale von The Voice<br />

und trat 2018 im nationalen Vor- Finale<br />

für den Eurovision Song Contest an. Vinh<br />

Khuat tritt im Rahmen des Jubiläumsprogramms<br />

zwischen 13 und 16 Uhr auf der<br />

Open-Air Bühne auf.<br />

16.15 Uhr, DXC Gelände<br />

The Funky Monkeys<br />

The Funky Monkeys ist eine preisgekrönte<br />

Performance-Company, die Comedy,<br />

Hip-Hop und Zirkus zu einem Spektakel<br />

vereint. Damit treten die <strong>Berlin</strong>er auf den<br />

Bühnen dieser Welt und im Fernsehen auf.<br />

Another Nguyen<br />

Die Reise bis zur Single „Motherland“ war<br />

sehr lang. Another Nguyen macht den<br />

Start 2019 fest, als sie das erste Demo<br />

aufnahm. Anlass war ein Flug nach Vietnam,<br />

der Heimat ihrer Eltern, die für sie<br />

Begegnung und Versöhnung mit ihren<br />

Wurzeln war. In ihren Songs stehen Stimme<br />

und Piano im Vordergrund, elektronische<br />

Beats und Dreampop-Harmonien<br />

runden den Sound ab.<br />

18.30 Uhr, Open-Air Bühne<br />

DJ Kakao Katzê<br />

Halb Katze, halb Schokoladenwesen: DJ<br />

Kakao Katzê tanzt durch die Identitäten<br />

und Herausforderungen im Leben.<br />

Als Community-Host und Gastgeberin<br />

organisiert sie seit vielen Jahren die<br />

All-Asian- Eventreihe Voicemail und den<br />

Queer Asian Calender. Bevor sie in der<br />

elektronischen Musik ihre künstlerische<br />

Heimat fand, streunte Kakao Katzê durch<br />

den queeren Teil der Wave- und Postpunk-Szene<br />

<strong>Berlin</strong>s.<br />

19.30 Uhr, Open-Air Bühne<br />

Kuoko<br />

Die Hamburgerin Kuoko schreibt, produziert,<br />

singt elektronische Pop-Songs<br />

und entwirft sogar ihren eigenen Merch.<br />

Ihr zweites Album „Troubleshooter“,<br />

das im Dezember 2023 erschien, setzt<br />

sich mit empowernden Themen rund<br />

um das Dasein als FLINTA* und BIPOC<br />

Musikschaffende sowie der Akzeptanz<br />

des Scheiterns auseinander. Kuokos<br />

Signature- Sound sind reduzierte<br />

Arrangements und verspielte Synthie-<br />

Melodien.<br />

21 Uhr, Open-Air Bühne<br />

Nashi 44<br />

Der Gegner ist klar und die Punchlines,<br />

die Nashi 44 formuliert, treffen zielsicher<br />

mitten ins Gesicht – oder wahlweise in die<br />

Weichteile einer klischeebelasteten, exotisierenden,<br />

sexistischen Macho-Attitüde.<br />

„ASIAN BERLIN PUSSY POWER“ nennt<br />

die Rapperin und Sängerin aus Neukölln<br />

die Waffe ihrer Wahl, die nicht nur für<br />

empowernden Rap steht, sondern sie<br />

auch zur Stimme vieler betroffener Personen<br />

macht. Die selbstbewusste Künstlerin<br />

bereichert die Deutschrap-Szene<br />

mit ihrer einzigartigen Mischung aus<br />

Atti tüde und Skills, einem starken politischen<br />

Bewusstsein und witzigen sowie<br />

gleichzeitig vernichtenden Punchlines.<br />

Sonntag, 28.7.<br />

14 –16 Uhr<br />

Tour durchs Dong Xuan Center<br />

Wer das Dong Xuan Center von innen kennenlernen<br />

will, sollte an der geführten Tour<br />

durch die Hallen und über das Gelände teilnehmen.<br />

Unser Guide präsentiert auf dem<br />

Rundgang eine unterhaltsame Mischung<br />

aus Gegenwart und Geschichte des Areals.<br />

Teilnahme nur mit Reservierung unter:<br />

www.song-berlin-festival.de<br />

17 Uhr, Dong Xuan Haus<br />

Filmprogramm & Talk mit<br />

Duc Ngo Ngoc,<br />

Moderation: Vanessa Vu<br />

Der Regisseur Duc Ngo Ngoc hat eine<br />

Revolution im deutschen Film- und Fernsehbereich<br />

angezettelt: mit seiner Episode<br />

zur ARD-Serie „Made in Germany“,<br />

die exklusiv gezeigt wird.<br />

21 Uhr, Dong Xuan Haus<br />

„Elektrokohle (Von Wegen)“<br />

Der Film von Filmemacher Uli M Schueppel<br />

dokumentiert das erste offizielle Konzert<br />

von den Einstürzenden Neubauten in<br />

Ost-<strong>Berlin</strong>, im Kulturhaus Wilhelm Pieck<br />

des VEB Elektrokohle. Zum ersten Mal<br />

wird dieser Film an genau dem Ort gezeigt,<br />

an dem das Konzert stattfand.<br />

SỐNG Ở FEstival 13


14<br />

SỐNG Ở FEstival


SỐNG Ở FEstival 15


Musik Der<br />

Sound von<br />

Saigon bis<br />

Lichtenberg<br />

Ob auf den Straßen von Hanoi oder in der vietdeutschen<br />

Diaspora: Die Szene ist vielfältig,<br />

aufregend und widerständig. Wir freuen uns<br />

auf modern interpretierte Klassiker, sanften<br />

Elektro-Pop und Rap mit Anspruch<br />

FOTOS: Lenny Rothenberg; Nghia Ngo<br />

Nashi44 rappt über antiasiatischen<br />

Rassismus<br />

Vorurteile werden bei ihr zur Punchline: Die viet-deutsche Rapperin<br />

Nashi44 bezeichnet ihre Musik selbst als „Asian <strong>Berlin</strong> Pussy Conscious<br />

Rap“. Was das bedeutet? R’n’B-Sounds und Titel wie „Sriracha Hot Bitch“<br />

klingen nach Attitüde, die Texte haben Tiefgang. Nashi44 spielt immer<br />

wieder mit rassistischen und sexistischen Stereotypen, verarbeitet<br />

persönliche Erfahrungen und macht sich Klischees mit smarter Ironie<br />

zu eigen. Direkt und ungeschönt nimmt sie in ihren Texten die Fetischisierung<br />

asiatisch gelesener Frauen auseinander oder benennt<br />

anti-asiatischen Rassismus – ein Thema, das zur Zeit der Corona-<br />

Pandemie aktueller denn je war und das sie vor allem auf ihrer<br />

ersten EP „Asia Box“, erschienen 2022, adressierte. Damit steht<br />

Nashi44 für eine neue Generation selbstbestimmter Rap-Acts,<br />

die ihre Plattform nutzt, um auf soziale Ungerechtigkeiten aufmerksam<br />

zu machen – und deren Tracks dabei richtig knallen.<br />

Aufgewachsen in Neukölln ist die <strong>Berlin</strong>erin mittlerweile nach<br />

Lichtenberg gezogen und fühlt sich in der dort ansässigen<br />

vietnamesischen Community angekommen: am Dong Xuan<br />

Center schaut sie regelmäßig vorbei, um Zutaten für ihre Ph<strong>ở</strong><br />

einzukaufen.<br />

16<br />

SỐNG Ở FEstival


Sound der Siebziger:<br />

Saigon Soul Revival<br />

Beim Versuch, trotz des herrschenden Krieges im Alltag Normalität<br />

zu finden, entstand im Vietnam der späten Sechziger und frühen<br />

Siebziger eine aufregende Musikszene. Nach Kriegsende ging davon<br />

vieles verloren. Die vietnamesische Band Saigon Soul Revival hat es<br />

sich zur Aufgabe gemacht, den Sound und die Energie dieser Zeit wieder<br />

aufleben zu lassen: Gegründet 2016 in Ho-Chi-Minh-Stadt (ehemals<br />

Saigon), verknüpft die fünfköpfige Band fast vergessene Songs<br />

mit modernen Einflüssen und schlägt so eine Brücke zwischen Nostalgie<br />

und Aktualität. Das Resultat ist eine Mischung aus Soul, Funk, Rock<br />

und traditionellen vietnamesischen Melodien, die das Publikum in die<br />

musikalische goldene Ära Saigons zurückversetzt – und ihre jüngere<br />

Hörerschaft mit dem Sound der Vergangenheit bekannt macht. So<br />

gelingt es Saigon Soul Revival nicht nur, ein kulturelles Erbe zu bewahren,<br />

sondern auch die Grenzen vietnamesischer Popmusik ständig zu<br />

erweitern. Mittlerweile haben Saigon Soul Revival damit einen festen<br />

Platz in der vietnamesischen und internationalen Musikszene erobert<br />

und präsentieren ihre Musik auf Bühnen in Europa – so auch am 26. Juli<br />

beim <strong>Sống</strong> <strong>ở</strong> <strong>Berlin</strong> <strong>Festival</strong>.<br />

Träumen von Community:<br />

Another Nguyen<br />

Die vietnamesisch-deutsche Singer-Songwriterin Ngoc Anh Nguyen,<br />

bekannt als Another Nguyen, steht für träumerischen Alt-Pop-<br />

Sound mit schimmernden Vocals und emotionalen Texten. Geboren<br />

in Deutschland als Kind vietnamesischer Einwanderer und aufgewachsen<br />

in einer sächsischen Kleinstadt, fehlte es ihr lange an<br />

Repräsentanz. Auf der Suche nach Identität und Zugehörigkeit zog<br />

es sie zunächst nach Hanoi, später nach Los Angeles und schließlich<br />

nach <strong>Berlin</strong>. Hier studierte sie nicht nur Songwriting, sondern auch<br />

Soziale Arbeit. Sensibilisiert für Themen wie Rassismus, Migration und<br />

Geschlechtergerechtigkeit verarbeitet sie ihre eigenen Erfahrungen in<br />

ihrer Musik und setzt sich immer wieder dafür ein, die viet-deutsche<br />

Community aktiv zu repräsentieren und zu empowern. Musikalische<br />

Inspiration schöpft Another Nguyen aus einer Vielzahl von Genres und<br />

Künstler:innen: Ihre Songs klingen mal atmosphärisch und nachdenklich,<br />

mal poppig oder elektronisch. Ihr Künstlername drückt dabei das<br />

Gefühl aus, „eine Nguyen von vielen“ zu sein: Nguyen ist der am weitesten<br />

verbreitete Familienname Vietnams, geschätzt zwischen 40 und<br />

50 Prozent der Vietnames:innen tragen ihn.<br />

FOTO: Tony Bui<br />

TEXTE: Marit Blossey<br />

Ab September 2024 starten<br />

neue Kurse in Vietnamesisch<br />

und Vietnamesisch als Familiensprache<br />

an der vhs Lichtenberg.<br />

Infos und Anmeldung:<br />

https://vhs.link/vietli<br />

Margarete-Steffin-Volkshochschule<br />

<strong>Berlin</strong>-Lichtenberg<br />

vhs.berlin.lichtenberg<br />

SỐNG Ở FEstival 17


Film Duc<br />

Ngo Ngoc<br />

Made in<br />

GErmany<br />

Wie bist du zum Film gekommen?<br />

Als ich nach Deutschland gekommen bin, war<br />

der Fernseher erst mal mein bester Freund.<br />

Mit dem Fernsehen habe ich Deutsch gelernt.<br />

Nur gab es damals keine Charaktere, mit<br />

denen ich mich richtig identifizieren konnte.<br />

Das Nächste, was in meiner Kindheit daran<br />

herankam, war ein asiatisch gelesener Darsteller<br />

bei „Schloss Einstein“. Wo waren denn<br />

die Vietnamesen in deutschen Film und Fernsehen?<br />

Das wollte ich unbedingt ändern und<br />

auch mal Geschichten aus der vietdeutschen<br />

Perspektive erzählen.<br />

Der Ausländerhass und die Gewalt in der Zeit<br />

waren schon präsent. Uns wurde zum Beispiel<br />

immer gesagt, dass wir nachts nicht<br />

alleine unterwegs sein und immer zu zweit<br />

Bahn fahren sollten. Als ich klein war, habe ich<br />

die Gefahr nie so richtig realisiert, auch weil<br />

meine Eltern es nicht so stark thematisiert<br />

haben. Meine Eltern waren vorsichtig und<br />

haben ihre Angst vor mir geheim gehalten.<br />

Rückblickend realisiere ich erst, wie schlimm<br />

es war. Heute, mit steigender AfD-Wählerschaft,<br />

mache ich mir ernsthaft Sorgen, dass<br />

die Geschichte sich wiederholt.<br />

KURZFILM-<br />

PROGRAMM<br />

Sonntag, 28. Juli<br />

FOTO: Dreh‘ Um<br />

Verarbeitest du auch Biografisches in deinen<br />

Filmen?<br />

Ja, ich komme ja auch vom Dokumentarfilm<br />

und lasse mich gerne vom Leben inspirieren.<br />

Zum Beispiel habe ich den Film „Obst<br />

und Gemüse“ im Laden meiner Eltern gedreht.<br />

Dort habe ich Situationen erlebt, die ich dann<br />

in meinem Film fiktionalisiert habe. Es ist<br />

schön, von Dingen zu erzählen, die einen persönlich<br />

bewegen.<br />

Was vermisst du in der deutschen Film- und<br />

Fernsehlandschaft?<br />

Was man leider immer wieder sieht, sind<br />

stereo typische Bilder vom freundlichen Asiaten<br />

oder von der hypersexualisierten südostasiatischen<br />

Frau. Es werden Sachen reproduziert<br />

und exotisiert, die schon längst aus der<br />

Zeit gefallen sind. Ich wünsche mir Geschichten,<br />

in denen asiatisch gelesene Figuren komplex<br />

erzählt werden und nicht nur als Nebenfiguren<br />

am Rande auftauchen.<br />

Du bist mit fünf Jahren von Vietnam nach<br />

<strong>Berlin</strong> gezogen, das war Anfang der 90er,<br />

kurz nach den rassistischen Anschlägen von<br />

Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen.<br />

Wie war das Aufwachsen hier für dich?<br />

Was erhoffst du dir von der jungen vietdeutschen<br />

Generation?<br />

Dass sie mutig sind, sich ihren Platz in der<br />

Gesellschaft nehmen und ihre eigenen Geschichten<br />

erzählen, auch wenn einige aus der<br />

„weißen“ Mehrheitsgesellschaft sagen: „Das<br />

versteht man so nicht!“ Sie müssen nicht jedes<br />

Mal die deutsch-vietnamesische Geschichte<br />

erklären, um es einem Publikum leicht verständlich<br />

zu machen. Wir sind nicht da, um Aufklärungsarbeit<br />

zu leisten, sondern sollten die<br />

Möglichkeit nutzen, unsere einzigartigen Perspektiven<br />

einem breiten Publikum zu zeigen.<br />

Du hast mit „Dreh’s Um“ einen Film-Workshop<br />

für vietdeutsche Jugendliche auf die Beine<br />

gestellt. Was hat dich dazu bewegt?<br />

Ich habe mir als Jugendlicher immer so ein<br />

Filmprojekt gewünscht. Es gab aber keine<br />

Vorreiter. Auch an den Filmhochschulen<br />

gab es wenig vietdeutsche Studierende. Das<br />

ändert sich zum Glück gerade etwas. Aber die<br />

Filmbranche ist leider noch sehr „weiß“, elitär<br />

und privilegiert. Wir möchten bei „Dreh’s Um”<br />

junge Vietdeutsche dazu ermutigen, die Filmund<br />

Fernsehbranche mitzugestalten, und so<br />

den Filmnachwuchs in Deutschland nachhaltig<br />

und divers fördern.<br />

Einlass: 17.30 Uhr<br />

Start: 18 Uhr<br />

Programmlänge: 109 min<br />

Ort: Dong Xuan Haus – ehemaliges<br />

Kulturhaus der VEB<br />

Moderation: Vanessa Vu<br />

Übersetzung: Trương Hồng Quang<br />

Filme<br />

„Made in Germany“ - Đức Ngô Ngọc<br />

1. Folge, ARD- Serie, 43 min<br />

„Xanh-Trần Thị Đăng An“<br />

Animationsfilm, 12min<br />

Sneak Preview - Überraschungsfilm<br />

17 min<br />

„Alles gehört zu dir“ (Foto) -<br />

Mani Bùi & Hiền Nguyễn<br />

Dok 13 min<br />

„Zuhause ist dort, wo die Sternfrüchte<br />

sauer sind“ – Huy Nguyễn<br />

Dok, 24 min<br />

18 SỐNG Ở FEstival


Filmemacher Duc Ngo Ngoc über<br />

seine Liebe zum Film, Perspek tiven<br />

abseits der Mehrheitsgesellschaft<br />

und das <strong>Sống</strong> <strong>ở</strong> <strong>Berlin</strong> <strong>Festival</strong><br />

FOTO: Hien Vo<br />

Du bist verantwortlich für eine Folge der<br />

Mini-Serie „Made in Germany“, die beim<br />

Casting auch auf Laiendarsteller aus der<br />

Community setzt – was ändert das in der<br />

Arbeitsweise?<br />

Es gibt einfach nicht besonders viele ausgebildete<br />

vietdeutsche Schauspielerinnen. In<br />

„Made in Germany” haben wir nach einer Darstellerin<br />

gesucht, die ähnliche Lebenserfahrungen<br />

wie unsere Hauptfigur Ani hat. Uns<br />

war klar, dass wir auch auf Laiendarstellerinnen<br />

setzen müssen. Das Tolle daran ist, dass<br />

Laien eine ganz besondere Authentizität und<br />

Natürlichkeit mitbringen. An vielen Stellen<br />

haben wir das Drehbuch an unsere talentierte<br />

Hauptdarstellerin Maria Mai Rohmann und<br />

ihre Persönlichkeit angepasst. Diese Art von<br />

Regie zu führen macht mir besonders viel<br />

Spaß, weil ich einiges aus den dokumentarischen<br />

Arbeiten anwenden kann.<br />

Duc Ngo Ngoc wurde 1988 in Hanoi geboren und ist<br />

mit fünf Jahren nach <strong>Berlin</strong> gezogen. Er studierte<br />

Mediengestaltung/Medienkunst an der Bauhaus-<br />

Universität Weimar und Filmregie an der Filmuniversität<br />

Babelsberg. Während eines Gastsemesters an<br />

der Hanoi Academy of Theatre and Cinema drehte<br />

er seinen Abschlussfilm „Trading Happiness“. Als<br />

freischaffender Autor und Regisseur realisierte er<br />

verschiedene Formate, die Geschichten von<br />

Vietnamesen in Deutschland und Vietnam erzählen.<br />

Duc Ngo Ngoc schrieb und inszenierte eine Folge<br />

der im Herbst erscheinenden ARD-Serie „Made in<br />

Germany“, die postmigrantische Geschichten der<br />

zweiten Generation erzählt. Seit 2020 leitet er den<br />

Filmworkshop „Dreh’s Um“, der vietdeutsche Jugendliche<br />

motiviert, ihre Geschichten aus der deutschvietnamesischen<br />

Perspektive in Kurzfilmen zu<br />

erzählen.<br />

Was bedeutet es für dich, dass jetzt das <strong>Sống</strong><br />

<strong>ở</strong> <strong>Berlin</strong>-<strong>Festival</strong> stattfindet und dass es ein<br />

vietdeutsches Filmprogramm gibt?<br />

Es ist eine super Chance für alle und vor allem<br />

für die Community, vietdeutsche Kurzfilme<br />

auf großer Leinwand zu sehen. Das Filmprogramm<br />

wird bilingual sein, sodass die Filme<br />

für alle zugänglich und verständlich sein<br />

werden. Ich hoffe, dass viele aus der Community<br />

kommen und sich mit den Geschichten<br />

im Film identifizieren können. Mit dem <strong>Sống</strong> <strong>ở</strong><br />

<strong>Festival</strong> im Dong Xuan Center setzen wir ihnen<br />

jetzt quasi die vietnamesische Filmkultur vor<br />

die Haustür. Es sind alle herzlich willkommen!<br />

INTERVIEW: Paula Schöber<br />

SỐNG Ở FEstival<br />

19


History<br />

Kulturhaus<br />

„Wilhelm Pieck“<br />

Der Zweite Weltkrieg war vorbei, <strong>Berlin</strong> lag in<br />

Trümmern, und im Ostteil der Stadt hatten<br />

die Sowjets das Sagen, auch in wirtschaftlichen<br />

Dingen. Der Sozialismus musste aufgebaut<br />

werden, und so entstand auch der<br />

VEB Elektrokohle in Lichtenberg, eine Chemiefabrik, die<br />

mit Kohle arbeitete. „Die Leute, die dort arbeiteten, waren<br />

ganz schwarz vor Ruß, das gesamte Gelände und auch die<br />

ganze Herzbergstraße waren ganz düster und vernebelt<br />

von den Kohlerückständen“, erinnert sich Dirk Moldt, heute<br />

Archivleiter im Museum Lichtenberg, der zu DDR-Zeiten als<br />

junger Mann für seinen Betrieb Essen aus der Elektrokohle-<br />

Werkskantine abholen musste. Auf dem Weg kam Moldt<br />

stets auch am Kulturhaus „Wilhelm Pieck“ vorbei. Das<br />

Proletariat sollte es schön haben, lautete die ideologische<br />

Devise, und dazu gehörte eben auch Kultur.<br />

Ab den späten 1940-Jahren trafen sich dort die<br />

Arbeiter, es gab einen Schachclub, eine Bibliothek und<br />

Lesungen, und in den 1970er-Jahren wurden Kulturhäuser<br />

auch für die Jugend wichtig, denn dort fanden Konzerte<br />

von angesagten Rock- und Bluesbands statt. Thomas<br />

König kam 1986 dazu: „Das Kulturhaus war eines<br />

der größten in Ost-<strong>Berlin</strong>, hatte sehr viele Sport- und<br />

Kultur- Arbeitsgemeinschaften und einen großen Saal für<br />

Betriebsfeiern.“ Dort erlebte er als stellvertretender Kulturhausleiter<br />

auch den Fall der Mauer und das legendäre<br />

Konzert der West-<strong>Berlin</strong>er Krach-Avantgardisten Einstürzende<br />

Neubauten am 21. Dezember 1989.<br />

Die Band um den charismatischen Frontmann Blixa<br />

Bargeld, die teilweise ihre Instrumente aus Metallschrott<br />

selbst baute, erlangte in den 1980er-Jahren Weltruhm.<br />

Trotz vieler Fans im Osten, dank illegal zirkulierender Kassetten,<br />

durfte sie in der DDR nicht auftreten. Zu gefährlich,<br />

zu radikal. Sechs Wochen nach dem Mauerfall reisten<br />

die Musiker schließlich über die Sektorengrenze ein. „Heiner<br />

Müller hat das Konzert in die Wege geleitet“, erzählt Uli<br />

M Schueppel, der als Filmemacher und Freund der Band<br />

damals zur Entourage gehörte. Der berühmte Ost-<strong>Berlin</strong>er<br />

Dramatiker Müller hatte schon zuvor mit den Einstürzenden<br />

Neubauten an einer Hörspielfassung seines Stücks<br />

„Hamletmaschine“ gearbeitet.<br />

„In Lichtenberg war ich vorher noch nie“, sagt Schueppel,<br />

der zu jener Zeit nur wenige Kilometer entfernt in<br />

Kreuzberg lebte, aber schon die Anfahrt zum Veranstaltungsort<br />

über die Karl-Marx-Allee und die Neubaugebiete<br />

als absurd empfand. „Auch der Ort war sehr ungewöhn-<br />

Dramatiker Heiner Müller, der französische<br />

Außenminister Jack Lang und Blixa<br />

Bargeld, Frontmann der Einstürzenden<br />

Neubauten, am 21. Dezember 1989<br />

im Backstage (o.l.); Filmemacher Uli M<br />

Schueppel (u.l.); das Kulturhaus „Wilhelm<br />

Pieck” in der Anfangszeit, kurz nach dem<br />

Ende des Zweiten Weltkriegs (o.r.); das<br />

Konzert der Einstürzenden Neubauten im<br />

großen Veranstaltungssaal<br />

FOTOS: Fritz Brinkmann; Patricia Morosan<br />

20<br />

SỐNG Ở FEstival


Am Anfang ein Ort für Arbeiter mit Schachclub<br />

und Bibliothek, nach dem Mauerfall kamen die<br />

Einstürzenden Neubauten und Techno-Partys<br />

FOTOS: Fritz Brinkmann; Museum Lichtenberg<br />

lich, die Neubauten spielten Ende der 1980er-Jahre bereits<br />

in großen Sälen, im Kulturhaus gab es auch nicht die<br />

Technik, die sie gewohnt waren. Die Roadies und Techniker<br />

haben sehr hart gearbeitet, um das möglich zu machen.“<br />

Doch der Ansturm und die Begeisterung waren enorm, die<br />

Band musste an dem Abend zweimal spielen, weil so viele<br />

Fans sie sehen wollten. „Das Konzert war der absolute Knaller,<br />

so etwas hatte ich zuvor noch nie erlebt, auch von der<br />

Geräuschkulisse. Ich dachte zwischendurch, hoffentlich<br />

muss nicht die Feuerwehr anrücken!“, erinnert sich König.<br />

Es war nicht nur der erste Auftritt der Einstürzenden<br />

Neubauten in der DDR, auch aus einem anderen Grund gilt<br />

der Abend als historisch. Heiner Müller, der mit einer kurzen<br />

Ansprache das Konzert eröffnen sollte, traf sich am<br />

Tag des Konzerts mit François Mitterand, der von ihm und<br />

einigen anderen DDR-Intellektuellen deren Haltung zu einer<br />

eventuellen Wiedervereinigung sondieren wollte. Als<br />

Müller sich irgendwann entschuldigte und sagte, er müsse<br />

nun nach Lichtenberg zu einem Konzert der Einstürzenden<br />

Neu bauten, schloss sich die Ministerdelegation mitsamt<br />

dem französischen Kulturminister Jack Lang an und fuhr<br />

kurzerhand mit.<br />

„Da waren die Einstürzenden Neubauten, die in Anzügen<br />

rumliefen, da waren die Ost-Punks, die vom Outfit her<br />

auch noch irgendwie verloren wirkten, da war Heiner Müller<br />

mit seiner Brille und seinen Zigarren, da waren die Franzosen<br />

mit ihren Smokings und weißen Schals, alles prallte<br />

aufeinander, unfassbare Bilder!“, sagt Schueppel, der das<br />

Konzert und das Geschehen im Backstage auf Video bannte<br />

und aus dem Material 2009 den Dokumentarfilm „Elektrokohle<br />

– Von Wegen“ produzierte.<br />

Die Energie des Abends nahm das Team um Thomas<br />

König auf und machte weiter: „Nach der Wende versuchten<br />

wir, das Kulturhaus unabhängig vom Werk VEB Elektrokohle<br />

zu führen. Wir organisierten Konzerte, darunter Rio Reiser,<br />

Herwig Mitteregger, der mit Spliff und der Nina Hagen Band<br />

spielte und Farin Urlaub mit seiner Band King Køng. 1990<br />

fand auch regelmäßig die „Tekknozid“-Reihe des Techno-<br />

DJs Wolle XDP im Haus statt“. Doch statt ein Techno tempel<br />

zu werden und in die Zukunft der Stadt zu tanzen, versank<br />

der Ort in Bedeutungslosigkeit. Die Party verlagerte sich<br />

nach Mitte und Prenzlauer Berg, Lichtenberg blieb auf der<br />

Strecke. Der Versuch, Investoren zu finden und das Kulturhaus<br />

aufrecht zu erhalten, scheiterte, und 1992 verkaufte<br />

die Treuhand das Gebäude an einen Bremer Teppichhändler.<br />

Gut zehn Jahre später entdeckte der vietnamesische<br />

Unternehmer Nguyen Van Hien das alte Industriegelände<br />

der VEB Elektrokohle, er kaufte die Immobilie und eröffnete<br />

2004 das Dong Xuan Center. Als durch Schweißarbeiten<br />

das alte Kulturhaus „Wilhelm Pieck“ abbrannte, ließ Van<br />

Hien es wieder aufbauen. Heute gibt es dort neben einem<br />

vietnamesischen Restaurant auch wieder einen großen<br />

Veranstaltungssaal – und viele Pläne für die Zukunft des<br />

geschichtsträchtigen Ortes!<br />

TEXT: Jacek Slaski<br />

SỐNG Ở FEstival 21


Lichtenberg<br />

Mehr Kultursommer<br />

als du denkst<br />

Die Orte der Geschichte werden<br />

in diesem Sommer zu Orten<br />

der Kultur und Events<br />

Lichtenberg ist<br />

ein Ort, der Gegenwart<br />

und Geschichte<br />

intensiv<br />

miteinander verknüpft<br />

und erlebbar macht<br />

wie kein anderer Bezirk außerhalb<br />

der Mitte <strong>Berlin</strong>s.<br />

Lichtenberg wird jünger, internationaler<br />

– und hat dennoch<br />

mit Klischees zu kämpfen.<br />

Doch der Bezirk steht für<br />

einen Wandel und sorgt mit seinen<br />

kulturellen Projekten, mit Kulturorten<br />

und mit Künstler:innen, die<br />

hier leben und arbeiten, für frischen Wind.<br />

Diesen Wandel und den frischen Wind<br />

möchte die Bezirksverwaltung aufgreifen, um<br />

das neue Profil des Bezirks zu stärken.<br />

Die Wirtschaftsförderung sowie das Amt<br />

für Weiterbildung und Kultur arbeiten gemeinsam<br />

an der Kommunikationskampagne „Lichtenberg.<br />

Mehr Kultursommer als du denkst“,<br />

die wiederum ein Teil der neu entwickelten<br />

Lichtenberger Tourismus-Marke ist, die mit<br />

den Vorstellungen und der Erwartungshaltung<br />

spielt, die Menschen an den Bezirk haben. Der<br />

Kultursommer Lichtenberg hat mit der Fête de<br />

la Musique am 21. Juni begonnen und endet im<br />

September mit der Langen Nacht der Bilder<br />

(6.9.) und dem Seenfest am Orankesee (7.9.)<br />

Dazwischen liegt unter anderem die beliebte<br />

Open-Air-Reihe „Campus Kino“, die am<br />

5. August auf dem Campus für Demokratie<br />

mit dem Film „Westwind“ startet und bis zum<br />

29. August läuft. Der Eintritt ist frei. Vor dem<br />

Kino-Erlebnis kann man das Besucherzentrum<br />

„Stasi-Zentrale. Campus für Demokratie“<br />

besuchen, das Stasi-Unter lagen-Archiv oder<br />

die Open-Air-Ausstellung – und damit einen<br />

vielschichtigen Einblick in diesen Aspekt der<br />

Geschichte der DDR bekommen. Ganz im Süden<br />

des Bezirks, kurz vor der Rummelsburger<br />

Bucht, hat sich mit der Lichtkunstausstellung<br />

Dark Matter ein ähnlich gut frequentierter Hotspot<br />

etabliert wie die Erinnerungsorte im Norden<br />

Lichtenbergs. Mitten im Industriegebiet<br />

präsentiert Christopher Bauder dauerhaft seine<br />

Installationen, lädt im Sommer aber auch zu<br />

einem Open-Air-Programm mit wechselnden<br />

DJs. Bei den Sommerlights” spielen unter anderem<br />

Kink am 30. August und FKA.M4A am 6.<br />

September. Das Stadtbad Lichtenberg, das sogenannte<br />

Hubertusbad, ist seit mehreren Monaten<br />

ebenfalls ein Anlaufpunkt für Fans von<br />

digitaler Kunst und spektakulärer Architektur.<br />

Die Dauerausstellung „Stadtbad Reloaded“<br />

zeigt über 100 digitale Kunstwerke auf kleinen<br />

Screens, die im gesamten Stadtbad installiert<br />

sind. Der Gang durch die Wannenbäder und<br />

Umkleidekabinen wird zu einer spannenden<br />

Konfrontation von Patina und abblätternder<br />

Farbe mit neuen digitalen Welten. Highlight ist<br />

das renovierte Frauenbad, das zu den spektakulärsten<br />

Räumen in ganz <strong>Berlin</strong> gehört.<br />

Impressum<br />

Herausgeber<br />

buero doering – Fachhandel für Ereignisse GmbH<br />

Rosenthaler Straße 40/41, 10178 <strong>Berlin</strong><br />

Vertreten durch: Björn Döring (Geschäftsführender<br />

Gesellschafter)<br />

<strong>Sống</strong> <strong>ở</strong> <strong>Berlin</strong> <strong>Festival</strong><br />

ist eine Veranstaltung von buero doering - Fachhandel<br />

für Ereignisse GmbH<br />

in Zusammenarbeit mit der Dong Xuan GmbH, MBN<br />

Events und DX Venue<br />

gefördert vom Hauptstadtkulturfonds, der<br />

Musicboard <strong>Berlin</strong> GmbH und dem Bezirkskulturfonds<br />

Lichtenberg<br />

Die Lange Nacht der Bilder am 6. September<br />

liefert einen Querschnitt durch die<br />

Kunstszene des Bezirks. Im Künstler*innen-<br />

Gespräch, auf geführten Touren oder<br />

beim entspannten Schlendern können die<br />

Gäste einen Blick in die Ateliers und Werkstätten<br />

werfen, Ausstellungen anschauen<br />

oder auch selbst kreativ werden. Das<br />

Seenfest am Orankesee, das in diesem<br />

jahr am 7. September stattfindet, ist eines<br />

der schönsten Familienfeste in <strong>Berlin</strong>.<br />

Mit den Füßen im Sandstrand kann das<br />

Publikum Musik, Artistik, ein großes Kinderprogramm<br />

zum Mitmachen und Kulinarik<br />

aus Foodtrucks genießen. Highlight<br />

ist in diesem Jahr die Inszenierung „The<br />

Planets“ vom V.O.S.A. Theater aus Prag.<br />

TEXT: Björn Döring<br />

Verlag<br />

tip <strong>Berlin</strong> Media Group GmbH<br />

Müllerstraße 12, 13353 <strong>Berlin</strong><br />

+49 030 23 32 69 600, www.tip-berlin.de<br />

Geschäftsführung: Robert Rischke<br />

Projektleitung: Jacek Slaski<br />

Mitarbeit: Ina Hildebrandt, Mai Le; Marieke Riediger;<br />

Martin Schwarz<br />

Art Direction: Jonas Schulte<br />

Grafik: Jenny Watkinson, Tobias Meyer<br />

Druck<br />

MÖLLER PRO MEDIA® GmbH<br />

22<br />

SỐNG Ở FEstival


FOTOS: XY


dreht sich um <strong>Berlin</strong><br />

100 JAHRE S-BAHN.<br />

DAS FESTIVAL.<br />

FOTOS: XY<br />

DEINE STADT LÄDT DICH EIN!<br />

8.–11. AUGUST 2024<br />

WWW.S-BAHN-FESTIVAL.BERLIN

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