missio magazin Ausgabe 1/2023
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BLICKWECHSEL LIBANON<br />
„Weiße Elefanten“<br />
DIESES PROJEKT sollte<br />
der erhobene Zeigefinger sein –<br />
in Richtung Westen, nach Osten,<br />
an den Rest der arabischen Welt<br />
sowieso: Der Libanon mag klein<br />
sein, aber mit uns Libanesen ist<br />
zu rechnen! 100 Fußballfelder,<br />
das schien gerade ausreichend,<br />
als Ministerpräsident Raschid<br />
Karami Ende der 1950er Jahre<br />
bei Stararchitekt Oscar Niemeyer<br />
in Brasilien anrufen ließ. Die<br />
Zeiten waren gut, das Geld floss,<br />
auch aufgrund des Bankgeheimnisses.<br />
Kein Geringerer als der<br />
Schöpfer der Stadt Brasília, damals<br />
die Blaupause für die architektonische<br />
Moderne, sollte die<br />
Bedeutung des Libanon unterstreichen.<br />
Und nebenbei geschickt<br />
die zweitgrößte Stadt des<br />
Landes, Tripolis – die Geburtsstadt<br />
Karamis – ins Scheinwerferlicht<br />
heben. So entstand die<br />
Internationale Messe Raschid<br />
Karami, das wohl wagemutigste<br />
Bauprojekt, das der Libanon je<br />
erleben sollte.<br />
Oscar Niemeyer reiste 1962<br />
an und konzipierte zwischen Hafen und Stadtkern ein völlig<br />
neues Viertel. Das Herzstück: ein spektakuläres Messegelände mit<br />
Theatern, einem Wasserturm mit sich drehender Restaurantterrasse,<br />
einem unterirdischen Museum und Platz für Ausstellungen.<br />
Für den Messedirektor plante Niemeyer eine Villa mit Pool,<br />
in den ein natürlicher Felsen hineinragt. Besonders beliebte Fotomotive<br />
sind bis heute der Hubschrauberlandeplatz, der wie ein<br />
Pilz aus dem<br />
WAFFENLAGER STATT WELTAUSSTELLUNG<br />
Boden ragt, und<br />
ein mehr als 700 Meter langes, elliptisch gebogenes Vordach. Im<br />
Hintergrund baufällige Hochhäuser, Minarette, dazwischen Palmen.<br />
Die futuristisch anmutenden Bauten aus Stahlbeton ergänzte<br />
Niemeyer durch einen Komplex an Wohnungen. Die Tripolitaner<br />
sollten in jeder Weise profitieren, mit guten Jobs und<br />
günstigem Wohnraum.<br />
Messegelände in Tripolis<br />
entworfen von Oscar Niemeyer<br />
Tripolis sollte die geplanten<br />
zwei Millionen Besucher pro<br />
Jahr nie empfangen. Mit dem<br />
Beginn des Bürgerkriegs 1975<br />
wurden die Bauarbeiten eingestellt.<br />
Kämpfer lagerten zeitwei -<br />
se ihre Waffen in den leeren Hallen.<br />
Der wirtschaftliche Aufstieg<br />
der Stadt trat nie ein, im Gegenteil:<br />
Tripolis gilt heute als Armenhaus<br />
des Libanon, und das<br />
Messegelände ist bis auf ein paar<br />
Jogger verlassen. Selbst die Konzerte<br />
zu Weihnachten, die immer<br />
in der großen Halle abgehalten<br />
wurden, sind mit den<br />
Lockdowns eingeschlafen.<br />
Radwan Moukadem, im Vorstand<br />
des Verwaltungsrats, macht<br />
sich Sorgen um die Zukunft des<br />
Geländes, über das nach wie vor<br />
der Staat die Hand hält. „Wir<br />
sind dabei, Investoren zu gewinnen.“<br />
Geld war nie dagewesen,<br />
um zu renovieren. Als 2016 die<br />
Decke des Atriums einstürzte,<br />
rief das Bewohner der Stadt und<br />
internationale Organisationen<br />
auf den Plan. Die Messe-Idee<br />
sollte gerettet werden. Sogar die britische Tageszeitung „The Guardian“<br />
berichtete. Man wandte sich an die UNESCO, ohne Erfolg.<br />
Inzwischen ist in den halbfertigen Wohnblock ein Billighotel<br />
eingezogen. Visionen gab es seitdem viele. Im Parlament wurde<br />
die Idee einer Universität diskutiert. Auch heizte der Traum eines<br />
„Disneyland“ die Gerüchteküche an. Das war vor der Wirtschaftskrise.<br />
Moukadem hofft nach wie vor auf ein „Spitzenrestaurant“.<br />
Heute zieht es nur noch Jugendliche dorthin, gerne ins<br />
überdachte, ufoartige Amphitheater. Verwackelte Videos bei<br />
YouTube zeigen mannsbreite Löcher in den Zuschauerrängen.<br />
Dazwischen stechen Betonstahlstäbe in die Luft. Unten<br />
im Theaterrund steht das Wasser einen halben Meter hoch.<br />
Klick, klack, Akustik-Experimente. Auf rohem Beton steht<br />
„Niemeyer 4ever“ gesprayt. Die Hoffnung auf Entwicklung hat<br />
sich nie erfüllt. A KRISTINA BALBACH<br />
Fotos: Fritz Stark (2), Jörg Böthling<br />
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| <strong>missio</strong> 1/<strong>2023</strong>