missio magazin Ausgabe 1/2023
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Irgendwann kam der Zeitpunkt, an<br />
dem Patrick Mirii dachte: „Ich gebe auf!“<br />
Sein Sohn würde nie mehr zurückkommen.<br />
„Ich wollte die Sache hinter mir lassen<br />
und nach vorne schauen“, sagt er.<br />
Seine Frau sah das anders: „Ich wusste,<br />
dass er noch am Leben ist.“ Sie wollte<br />
nicht aufgeben. Immer wieder ging sie<br />
durch die Stadt, sprach Lastwagenfahrer<br />
an, zeigte Bilder ihres Sohnes. Irgendwer<br />
musste ihn doch gesehen haben! Fast zerbrach<br />
ihre Ehe daran. „Es war schwer für<br />
uns“, sagen beide und schweigen dann.<br />
Wie kam es, dass Martin eines Tages wieder<br />
zu ihnen zurückfand?<br />
Langsam ist es der Familie gelungen,<br />
die Geschehnisse von damals einigermaßen<br />
zu rekonstruieren. Nach der Schule<br />
war Martin wohl tatsächlich mit ein paar<br />
Freunden durch die Straßen gestreift. Auf<br />
der Müllkippe von Dandora, wo sich der<br />
Abfall der Millionenstadt stapelt, wo<br />
Frauen und Kinder in den Müllhaufen<br />
nach Verwertbarem suchen und mafia-artige<br />
Gruppen das Geschäft kontrollieren<br />
– dort wusste er plötzlich nicht mehr den<br />
Weg zurück. Er hatte sich verlaufen, fragte<br />
einen Lastwagen-Fahrer. Der versprach,<br />
ihn mitzunehmen. Doch in Wirklichkeit<br />
war er ein Krimineller. Er nutzte die Gelegenheit<br />
und verfrachtete den Jungen<br />
hinüber ins Nachbarland Tansania. Dort<br />
verkaufte er ihn.<br />
„Ja, das gehört zu den typischen Fällen<br />
von Menschenhandel“, sagt Winnie Mutevu.<br />
Manche Clans der Massai würden<br />
sich kenianische Kinder kaufen und diese<br />
zu Hirten abrichten. Martin erinnert sich,<br />
dass er im Stall am Boden zwischen den<br />
Ziegen und Kühen schlafen musste. Sie<br />
hätten kaum Wasser zu trinken bekommen<br />
und nur wenig zu essen, vielleicht<br />
eine Mahlzeit am Tag. „Sie haben ihm sogar<br />
einen neuen Namen gegeben“, berichten<br />
seine Eltern. Er hieß nicht mehr Martin,<br />
sondern Emmanuel.<br />
Trotzdem gelang es ihnen nicht, die Erinnerung<br />
an die Heimat und an die Eltern<br />
in ihm auszulöschen. Er wollte nach<br />
Hause. Eines Tages schaffte er die Flucht.<br />
Wie genau, das ist noch nicht ganz geklärt.<br />
„Er konnte heimlich in einen Bus steigen,<br />
ohne dass er gesehen wurde“, berichtet die<br />
Vertrauen schaffen: Die Mitarbeiterinnen von HAART hören zu und geben Hilfe.<br />
SHANTEL AGNES MUYALE<br />
wurde in Kenia sexuell ausgebeutet.<br />
Ihr gelang die Flucht.<br />
<strong>missio</strong> 1/<strong>2023</strong> |<br />
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