29.06.2024 Aufrufe

Kunstbulletin Juli/August 2024

Unsere Juli/August Ausgabe für 2024 mit Beiträgen zu Esther Mathis, Kunstvolle Lesetipps, Dunja Herzog, Dineo Seshee Raisibe Bopape, Ana Mendieta, u.v.m.

Unsere Juli/August Ausgabe für 2024 mit Beiträgen zu Esther Mathis, Kunstvolle Lesetipps, Dunja Herzog, Dineo Seshee Raisibe Bopape, Ana Mendieta, u.v.m.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Anne Imhof — Kurz vor dem Schuss<br />

Anne Imhof stellt in den Metropolen Europas und Nordamerikas<br />

aus, nun ist sie im Kunsthaus Bregenz zu Gast. Die deutsche<br />

Künstlerin steht für Coolness, Härte und Kollaborationen. Ihre<br />

aktuelle Schau hält jedoch auch fragile und intime Momente<br />

bereit, die in der grossen Geste aufscheinen.<br />

Bregenz — Ein ungefähr Zwanzigjähriger räkelt sich auf der Matratze eines Metallbettes.<br />

Selbstbewusst und befangen zugleich agiert er vor der Kamera. Schliesslich<br />

wird ihm eine Handfeuerwaffe gereicht, er hält sie sich an die Schläfe – er drückt<br />

nicht ab. Später richtet er die Pistole auf die Umrisslinien seines Körpers auf der<br />

Matratze und drückt ebenfalls nicht ab. Er kokettiert mit dem Tod, aber das Leben gewinnt.<br />

Die Szene stammt aus einem mehr als zwanzig Jahre alten Video von Anne Imhof<br />

(*1978). Im Kunsthaus Bregenz ist es gemeinsam mit fünf weiteren frühen Videos<br />

der deutschen Künstlerin zum ersten Mal in musealem Kontext präsentiert. Imhof<br />

tritt auch selbst in diesen Filmen auf; aufgenommen wurden sie in ihrer damaligen<br />

Wohnung, die gleichzeitig Studio, Proberaum und Gym war. Arbeit, Leben, Liebe – alles<br />

fliesst in den Videos zusammen. Allen gemein ist der Charakter des Unfertigen,<br />

Brüchigen, Unvollkommenen. Nichts ist auf Perfektion getrimmt. Damit verleihen die<br />

Filme der Bregenzer Ausstellung sehr persönliche Momente. Mit der Verletzlichkeit<br />

der gezeigten Körper, den improvisierten Szenen können sie sich in der souverän gestalteten<br />

Schau behaupten.<br />

Anne Imhof versteht die Architektur Zumthors, arbeitet mit ihr und gegen sie. Die<br />

Zwischenebenen, die natürliches Licht in alle drei Obergeschosse führen, sind verschlossen.<br />

Stattdessen brennt Kunstlicht. In der ersten und zweiten Etage taucht<br />

es den Saal in Signalrot, zuoberst hingegen in kaltes Weiss. Wo Zumthor trennende<br />

Wände oder Türen vermieden hat, platziert Imhof sogenannte «crowd control barriers»:<br />

Absperrungen, die an Konzerten oder auf Festivals die Menschenmassen kanalisieren<br />

und stoppen. Die Barrieren reichen bis über Kopfhöhe und erlauben nur<br />

wenige Durchblicke. Ihre Aufstellung variiert leicht von Raum zu Raum und lässt im<br />

zweiten Obergeschoss Platz für die abgesenkte Decke: Imhof legt das Skelett der<br />

Lichtdecke frei. Die räumlichen Eingriffe und Barrieren bilden die Bühne für Imhofs<br />

Gemälde: hyperrealistische Bilder von Explosionen und verfremdete Darstellungen<br />

des eingangs geschilderten Selbstmordmotivs. Das davor auf einen Sockel gehobene<br />

Motorrad lässt sich ebenfalls als Verweis auf das Kokettieren mit dem Tod lesen. Mit<br />

dem Titel ‹My Own Private Idaho› bezieht sich das Werk jedoch auf den gleichnamigen<br />

Kult-Streifen von 1991 und steht wie der Ausstellungstitel ‹Wish You Were Gay›<br />

für Imhofs Beschäftigung mit Queerness. Kristin Schmidt<br />

→ ‹Anne Imhof – Wish You Were Gay›, Kunsthaus Bregenz, bis 22.9. ↗ kunsthaus-bregenz.at<br />

94 <strong>Kunstbulletin</strong> 7-8/<strong>2024</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!