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Kunstbulletin Juli/August 2024

Unsere Juli/August Ausgabe für 2024 mit Beiträgen zu Esther Mathis, Kunstvolle Lesetipps, Dunja Herzog, Dineo Seshee Raisibe Bopape, Ana Mendieta, u.v.m.

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Maillol und Sintenis<br />

Winterthur — Natürlich ist es das Material<br />

und die bald mehr, bald weniger vorhandene<br />

Anmut, die sich in den drei Gestalten zeigt. Und<br />

natürlich ist es auch das, was man als gelebtes<br />

Leben bezeichnen könnte, was den Charme<br />

jener ‹Méditerranée› ausmacht, die 1931 in<br />

Oskar Reinharts Sammlung gelangte. Der grosse<br />

Kunstförderer Harry Graf Kessler hatte die<br />

um 1905 bis 1907 für ihn geschaffene Skulptur<br />

infolge der Weltwirtschaftskrise veräussern<br />

müssen; Reinhart gab ihr, zunächst im Garten<br />

seines Anwesens «Am Römerholz», ein neues<br />

Zuhause. Die Witterung hat Spuren auf dem<br />

feinkörnigen Kalkstein hinterlassen, und Erinnerungen<br />

hängen an ihr, wie die von 1926, als<br />

sie noch in Kesslers Wohnung stand und Josephine<br />

Baker bei einer Einladung für sie tanzte.<br />

Doch was lässt sie im Vergleich zu den beiden<br />

anderen, dem Zwischenprodukt aus Gips und<br />

der späteren Marmorfassung, die im grossen<br />

Galeriesaal der Sammlung Oskar Reinhart<br />

«Am Römerholz» zusammengefunden haben,<br />

so schön und lebendig erscheinen? Von vorne<br />

gesehen sind alle drei Figuren von geschlossener<br />

Kompaktheit. Doch von der Seite her gibt<br />

es vier Durchblicke. Und da erkennt man bei ihr<br />

die leichte Abwärtsneigung des linken Oberarms,<br />

die zur Vollkommenheit der Kauernden<br />

beiträgt. Bei den andern zwei, schwerfälliger<br />

die eine, kühl-distanzierter die andere, bleibt<br />

der Oberarm in der Waagerechten.<br />

Solche Beobachtungen lassen sich in der von<br />

Kerstin Richter und Katja Baumhoff kennerisch<br />

und feinfühlig gestalteten Ausstellung ‹Von<br />

Grösse und Grazie – Maillol und Sintenis› immer<br />

wieder machen. Zum ersten Mal überhaupt<br />

stehen Skulpturen im Zentrum einer Römerholz-Schau,<br />

die mit gut sechzig Werken fast<br />

alle Räume bespielt. Die Gegenüberstellung<br />

des Meisters von Profil und Kontur mit der eine<br />

Generation jüngeren Renée Sintenis (1888–<br />

1965), die sich seit Mitte der 1920er-Jahre im<br />

Berliner Kunstbetrieb etablierte und vor allem<br />

der kleinen Form verschrieb, schärft den Blick<br />

für das jeweilige Schaffen. Beide kannten und<br />

schätzten sich. Natürlich spielt Maillol mit gut<br />

zwei Dritteln der Exponate die Hauptrolle in der<br />

Ausstellung, dafür dürfte Sintenis, an der das<br />

Interesse gerade wieder wächst, für viele eine<br />

Entdeckung sein. Ihre bewegten Figuren wie<br />

die ‹Kleine Daphne› und die springlebendigen<br />

Fohlen möchte man am liebsten in die Hand<br />

nehmen. So wie es Ambroise Vollard auf dem<br />

Renoir-Bild von 1908 mit Maillols ‹Jeune fille<br />

accroupie› tut, einer frühen Kleinplastik, die<br />

gleich neben dem Gemälde zu sehen ist. Die<br />

Schau wird von einem sehr informativen Katalog<br />

begleitet. AM<br />

Aristide Maillol, ‹Étude pour La Méditerranée›,<br />

1904, Kohle auf Papier, 22,5 x 22,5 cm, Kunst<br />

Museum Winterthur, Stiftung Oskar Reinhart<br />

Renée Sintenis, ‹Rückblickendes Fohlen›, 1919,<br />

Bronze, 9,5 x 11,5 x 3,5 cm<br />

→ Sammlung Oskar Reinhart «Am Römerholz»,<br />

bis 15.9.<br />

↗ roemerholz.ch<br />

HINWEISE // WÄDENSWIL / WINTERTHUR<br />

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