Kunstbulletin Juli/August 2024

Editorial — Der Zauber des Lichts und das Flüstern der Erde
Der Lichtverlauf eines Tages ist ein natürliches Spektakel, dem wir
allerdings nur selten unsere volle Aufmerksamkeit schenken. Im
Spazi Spescha in Trun macht die Zürcher Künstlerin Esther Mathis
dieses bühnenreife Phänomen für uns derzeit ein Stück weit greifbar,
etwa mit Objekten aus Aluminium: Streifen des zweckmässigen
Materials hat sie so zu einem Raster verkeilt, dass kleine,
prekär ausbalancierte «Architekturen» entstehen, in deren unzähligen
Kammern sich das changierende Licht verfängt, reflektiert
und vervielfacht. Es ist ein bezaubernder Effekt, der zugleich physikalische
Gesetzmässigkeiten spiegelt, welche die Erscheinung
der Welt bedingen. So ist das oft bei Mathis, wie unsere Autorin
verdeutlicht: Ästhetische Formen, wissenschaftliches Denken und
philosophische Fragen gehen bei ihr Hand in Hand.
Während sich Mathis ganz dem Licht verschrieben hat, wendet
sich die Südafrikanerin Dineo Seshee Raisibe Bopape dem Boden
zu. Im Migros Museum für Gegenwartskunst in Zürich ist aktuell
zu erfahren, wie sie aus der verwundeten Erde Afrikas Traumata,
aber auch vom Verschwinden bedrohte Traditionen zutage fördert
und die Heilkraft von Natur und Gemeinschaft beschwört. Auch die
Baslerin Dunja Herzog lenkt im Kunstmuseum Solothurn den Blick
auf den afrikanischen Kontinent, genauer auf die wirtschaftlichen
Verflechtungen zwischen Globalem Norden und Süden. Sie spürt
denkwürdige Geschichten aus der Welt des Handels auf und verwebt
sie, so unser Autor, zu einer grösseren Erzählung, in der wir
alle irgendwie mit drinhängen. Und apropos Erzählung: Pünktlich
zum Sommerurlaub haben wir für Sie ein paar Buchtipps zusammengestellt,
in denen die Kunst von Narration und Fiktion vereinnahmt
wird. Lassen Sie sich verführen ... Deborah Keller
TITELBILD · Esther Mathis, ‹Shifting Structures #5›, 2024 (Detail), Aluminium, 80 x 500 x 20 cm.
Foto: Esther Mathis
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