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Kunstbulletin Juli/August 2024

Unsere Juli/August Ausgabe für 2024 mit Beiträgen zu Esther Mathis, Kunstvolle Lesetipps, Dunja Herzog, Dineo Seshee Raisibe Bopape, Ana Mendieta, u.v.m.

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Dort, wo das rhätische Bähnchen und gelbe Postautos Kurven ziehen und wo sich der<br />

Vorderrhein durch grüne Matten schlängelt, befindet sich das Ziel: Trun, das Surselver<br />

Bergdorf, das einst über eine Tuchwarenfabrik verfügte, zeigt seit letztem Sommer<br />

in den Hallen des ehemaligen Industriebaus Kunst. Nicht irgendwelche Kunst,<br />

sondern die Gemälde und Installationen seines berühmtesten Sohnes, des Kunstmalers<br />

und Bildhauers Matias Spescha (1925–2008). In diesem zweiten Betriebsjahr<br />

gesellen sich nun Skulpturen und Objekte der Zürcherin Esther Mathis (*1985) zu<br />

den raumbezogenen Arbeiten des Bündners.<br />

Weiss auf Rot wie auf einem Pamphlet prangen die Lettern «Spazi Spescha» von<br />

den Glasbausteinen der alten Fabrik herab. Und beim Betreten der Hallen wird man<br />

als Erstes eines leisen Ratterns gewahr. Seltsam, als ob die Näherinnen oder Spescha<br />

selbst – er absolvierte seine Schneiderlehre just in diesen Räumen – an der Arbeit<br />

wären. Fehlanzeige. Esther Mathis’ Lamellenvorhang ‹Blinds›, der die Fensterfronten<br />

mit den Schneebergen im Hintergrund reflektiert, wird durch eine digitale, leise<br />

surrende Steuerung an der Decke in Bewegung gehalten. Mal zeigt sich draussen die<br />

Sonne, und warmes Licht erfüllt das Umfeld, mal verschwindet sie hinter den Wolken,<br />

und Schatten verdunkeln den Raum. Täuscht es nur, oder huschen da plötzlich Geister<br />

über die Lamellen? Video aus dem Stegreif, denkt man. Grossartig. «Ich liebe das<br />

Unvorhersehbare, das immer auch Teil meiner Kunst ist», sagt Esther Mathis. Dass<br />

das Lichtspiel den Raum immer wieder verändert, passt zu dem von Speschas Werk<br />

inspirierten Ausstellungstitel ‹Espaces imaginaires›: imaginäre Räume.<br />

In der Nacht sind nicht alle Katzen grau<br />

Die Nachtschattenbilder ‹Nightshades›, andernorts auch schon lose in den Raum<br />

gehängt, präsentieren sich in Trun wie eine Gemäldegalerie an den Wänden. Eine kluge<br />

Entscheidung, die das Dreierkuratorium Seraina Peer, Venice Spescha und Markus<br />

Hilfiker traf. «Zu viel Raumgreifendes bringt Unruhe», bestätigt Esther Mathis. Die<br />

Tafeln erzielen auch so wunderliche Effekte: samtschwarz von verblüffender Tiefenwirkung<br />

das eine, abweisend und kaltgrau das andere. Man denkt an analoge und<br />

digitale Fotografien. Es erstaunt deshalb kaum, bedient sich die als Fotografin ausgebildete<br />

Künstlerin hier eines Materials, das in der Studiofotografie dem Bündeln<br />

des Lichts dient: Aluminiumwaben. «Sie sind unglaublich stabil, gleichzeitig flexibel,<br />

leicht und feuerfest», schwärmt sie. Den schönsten Beweis dieser Materialisierung<br />

liefert die wie eine filigrane Weste an der Wand hängende Arbeit ‹To Disappear›, die<br />

über die Kunstwerke wacht und in ihrer Fragilität an die Zerbrechlichkeit des Menschen<br />

gemahnt.<br />

Zurück zu den ‹Nightshades›: Auf der Suche nach Darstellungsmöglichkeiten von<br />

Lichttemperaturen wählte Mathis seinerzeit Farben auf der RAL-Tabelle aus, die das<br />

Nachtlicht benennen, und liess anschliessend Wabenplatten damit besprühen. Liebt<br />

die Städterin die Nacht? «Das auch, aber es ist nicht der Grund, weshalb ich diese<br />

Arbeiten geschaffen habe. Mich interessiert die Lichtsituation im White Cube»,<br />

antwortet sie. «Das Licht im Ausstellungsraum hat im Laufe des Tages und in der<br />

FOKUS // ESTHER MATHIS<br />

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