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Kunstbulletin Juli/August 2024

Unsere Juli/August Ausgabe für 2024 mit Beiträgen zu Esther Mathis, Kunstvolle Lesetipps, Dunja Herzog, Dineo Seshee Raisibe Bopape, Ana Mendieta, u.v.m.

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Bernard Voïta — Abgründige Konstruktionen<br />

Was für ein Zauberer! Wer sich nur ein wenig vom entdeckungslustigen<br />

Blick des Kindes bewahrt hat, kommt aus dem Staunen<br />

nicht mehr heraus. Mit ‹Melencolia›, einer Folge paradoxer Bildwirklichkeiten,<br />

hat der in Belgien lebende Schweizer Bernard<br />

Voïta einen faszinierenden Auftritt in der Fotostiftung.<br />

Winterthur — Der Ausstellungsraum in seiner ganzen Grösse, keine Stellwand, keine<br />

Vitrine, die Wände noch mit Spuren der vergangenen Schau. Die Weite des Raumes ist<br />

nur in der Längsachse von einigen Objekten besetzt. Sie sehen aus wie Transportkisten<br />

für Bilder, Skulpturen, dazu eine Riesenrolle als Behältnis für Fotografien. Mit ihnen<br />

setzt der Bricoleur Bernard Voïta (*1960, Cully) einen listig-ironischen Akzent in<br />

die Präsentation seiner erstmals so umfassend gezeigten Serie ‹Melencolia› (2014–<br />

2017), die nicht nur auf den Titel von Dürers fünfhundert Jahre früher geschaffenen<br />

Kupferstich anspielt. 15 grosse Hochformate an den Wänden: Nur geduldigen Augen<br />

erschliesst sich das Ungeheure, das in den ebenso attraktiven wie abgründigen<br />

Schwarz-Weiss-Aufnahmen aufscheint, die bodenlose Heiterkeit, das labyrinthische<br />

Verwirrspiel. Wie macht der Künstler Voïta das? Wie gelingt es ihm, uns in paradoxe<br />

Räume zu entführen, sodass wir erkennen: Alles ist Fiktion. Realität ist immer eine<br />

Perspektive der Wahrnehmung.<br />

«Donner corps au sans-corps de la photographie», sagt Voïta inmitten seiner Werke.<br />

Was auf den ersten Blick wie eine Collage aussieht, ist de facto eine für das Auge<br />

der Kamera komponierte Wirklichkeit, die in wochenlangem, aufwendigem Prozess<br />

im Atelier des Künstlers entsteht. Die daran beteiligten Objekte sind fast immer dieselben:<br />

Stuhl, Werk- oder Rolltisch, Wand und Boden, Handtuch und Decke, Klammer<br />

und Klemmspot, Leiter, Trinkglas und Bonbonschachtel, allerlei Kabel, Kisten und<br />

Kartons, ganz oder beschädigt. Dank Licht und Schatten fügen sie sich selbstvergessen<br />

zu abstrusen, verunklärenden Raumsituationen voller spielerischer und geometrischer<br />

Überraschungen. Jedes der so geschaffenen, in die Fläche geholten Bilder<br />

besitzt seine eigene Dynamik und Ereignishaftigkeit. Was für ein Illusionist ist dieser<br />

Künstler, wie sinnlich sind seine abstrakten gebauten Welten! Und wie lustvoll dabei<br />

die Erfahrung, die Voïta so benennt: «On est des analphabètes devant les images.»<br />

Mit dieser Ausstellung beendet Peter Pfrunder nach 26 Jahren seine Zeit als Direktor<br />

der Fotostiftung Schweiz – und mit der als Gegensatz dazu konzipierten üppigen<br />

Schau ‹Paare / Couples›, die er mit dem Filmemacher Iwan Schumacher kuratiert<br />

hat. So verschieden die Präsentationen, so sehr spricht aus beiden «die imaginative<br />

Kraft fotografischer Bilder» (Pfrunder). Und beide belegen: Pfrunder war und ist ein<br />

Glücksfall für die Fotografie und alle, die mit ihr, von ihr, für sie leben. Angelika Maass<br />

→ ‹Bernard Voïta – Melencolia›, ‹Paare / Couples›, Fotostiftung Schweiz, bis 6.10.; Bildbände zu beiden<br />

Ausstellungen ↗ fotostiftung.ch<br />

112 <strong>Kunstbulletin</strong> 7-8/<strong>2024</strong>

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