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Kunstbulletin Juli/August 2024

Unsere Juli/August Ausgabe für 2024 mit Beiträgen zu Esther Mathis, Kunstvolle Lesetipps, Dunja Herzog, Dineo Seshee Raisibe Bopape, Ana Mendieta, u.v.m.

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Elmgreen & Dragset — Eine poetische Reise zum Spekulativen<br />

Die Ausstellung der Dänen Elmgreen & Dragset bei Pace in<br />

Genf macht einem nicht nur die performative Rolle, in die man<br />

in Kunsträumen unvermeidlich gleitet, bewusst. Sie führt uns<br />

auch dorthin, wohin vielleicht alles, was wir als Kunst bezeichnen,<br />

tendiert: an die magische Grenze zum Unbekannten.<br />

Genf — Der Poet Michael Elmgreen (*1961) und der Theatermann Ingar Dragset<br />

(*1969) begeistern seit den späten 1990ern mit Arbeiten, die zwischen Minimalismus<br />

und Hyperrealismus pendeln. Diese ästhetischen Pole setzen sie auch stets als Kritik<br />

am puritanischen Geschmack unter anderem ihres dänischen Heimatlandes ein. Vor<br />

allem aber erinnern sie mit ihrer Kunst an unsere Sehnsucht nach Imaginärem.<br />

Erstmals präsentiert nun die Pace Gallery, die Elmgreen & Dragset seit 2020 vertritt,<br />

am Genfer Standort eine Ausstellung, in der dieses, für das Duo charakteristische<br />

Axiom eine eindrückliche Zuspitzung erfährt. Fast unmerklich gleitet man von<br />

der Avant-Scène in eine Scène, während das Bewusstsein wächst, dass man in einer<br />

Ausstellung bildender Kunst, anders als bei den meisten anderen Künsten, nie nur im<br />

Publikum sitzt, sondern auch selbst eine Bühne betritt. Bereits vor der Tür findet sich<br />

ein Paar bronzener Stiefel, durchsetzt mit Löchern. Sie fordern uns dazu auf, diese<br />

Leerstellen gedanklich zu füllen und uns auch mit der Dialektik von Innen und Aussen,<br />

Sichtbarem und Verborgenem auseinanderzusetzen – vielleicht sogar mit allem, was<br />

ausserhalb unserer Erfahrung liegt. Ist dies am Ende der Gegenstand der Kunst, den<br />

sie immer nur andeutet, aber nie erfasst, und neben dem Wandel des Zeitlichen, den<br />

sie zugleich reflektiert und prägt, der Grund dafür, weshalb sie nie versiegt?<br />

Die täuschend echt anmutende Figur eines Kindes, das auf dem Boden im<br />

Eingangsbereich mit einem Puzzle verweilt, führt auf die gleiche Spur: Teilchen<br />

mit lauter Schäfchenwolken darauf will es zu einem Bild fügen. Im grossen<br />

Raum werden wir selbst zu Spieler:innen. Durch einen Wald von Signaltafeln,<br />

die nicht Verbote oder Befehle, sondern verspiegelte und wiederum mit Schäfchenwolken<br />

bedeckte Flächen aufweisen, gelangen wir zu einer wandfüllenden<br />

Fotografie. Sie zeigt eine Wüste, über deren Horizont ein feiner, weisser Schriftzug<br />

hängt. Es ist ein ins Französische übertragener Vers von Ingmar Christianson:<br />

«Un désert peut être si désolé que personne ne croit qu’il existe». Die verlockende<br />

Melodie des Unbekannten umhüllt uns wie ein unsichtbares Band.<br />

Weitere Objekte von ähnlichem Pathos sind in den Salons und Büros hinter dem grossen<br />

Raum und beim Hinausgehen zu entdecken. Besonders berührend: ein Kinderhändepaar,<br />

das einen auf dem Rücken liegenden Vogel umgreift. Erst auf den zweiten<br />

Blick sieht man so erleichtert wie besorgt: Das Tier atmet noch. Vielleicht ist doch<br />

das Leben hier und jetzt das grösste Geheimnis. Katharina Holderegger<br />

→ ‹Elmgreen & Dragset – Landscapes›, Pace Gallery, bis 10.8. ↗ pacegallery.com<br />

100 <strong>Kunstbulletin</strong> 7-8/<strong>2024</strong>

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