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Chaos Theorie_(de)

Die Ebene, wo sie dieselben zuerst hinführten, heisst Sennaar.Zu dieser Verachtung und Verhöhnung Gottes verleitete sie Nimrod, der Enkel Chamas’, des Sohnes Noes, denn er war kühn, und seiner Hände Kraft gross. Dieser überredete sie zu dem Wahn, nicht von Gott komme ihr Glück, sondern ihre eigene Tüchtigkeit sei die Ursache ihres Wohlstandes. Und allmählich verkehrte er sein Benehmen in Tyrannei, weil er die Menschen um so eher von Gott abzuwenden gedachte, wenn sie der eigenen Kraft hartnäckig vertrauten... Der Ort des Turmbaues aber wird wegen der Verwirrung der Sprache, die früher bei allen dieselbe war, Babylon genannt, denn auf Hebraeisch heisst Babel „Verwirrung." Des Turmbaues und der Sprachen Verwirrung gedenkt auch Sibylla mit folgenden Worten: „Da alle Menschen eine und dieselbe Sprache redeten, begannen sie einen sehr hohen Turm zu bauen, als wollten sie auf ihm in den Himmel steigen. Die Götter aber erregten einen Sturm, der den Turm umstürzte, und gaben jedem eine besondere Sprache, woher die Stadt Babylon ihren Namen hat." Die Ebene Sennaar erwähnt Hestiaeus: „Die geretteten Priester kamen mit den Heiligtümern des Zeus Enyalios nach Sennaar in Babylonien."

Die Ebene, wo sie dieselben zuerst hinführten, heisst Sennaar.Zu dieser Verachtung und Verhöhnung Gottes verleitete sie Nimrod, der Enkel Chamas’, des Sohnes Noes, denn er war kühn, und seiner Hände Kraft gross. Dieser überredete sie zu dem Wahn, nicht von Gott komme ihr Glück, sondern ihre eigene Tüchtigkeit sei die Ursache ihres Wohlstandes. Und allmählich verkehrte er sein Benehmen in Tyrannei, weil er die Menschen um so eher von Gott abzuwenden gedachte, wenn sie der eigenen Kraft hartnäckig vertrauten... Der Ort des Turmbaues aber wird wegen der Verwirrung der Sprache, die früher bei allen dieselbe war, Babylon genannt, denn auf Hebraeisch heisst Babel „Verwirrung." Des Turmbaues und der Sprachen Verwirrung gedenkt auch Sibylla mit folgenden Worten: „Da alle Menschen eine und dieselbe Sprache redeten, begannen sie einen sehr hohen Turm zu bauen, als wollten sie auf ihm in den Himmel steigen. Die Götter aber erregten einen Sturm, der den Turm umstürzte, und gaben jedem eine besondere Sprache, woher die Stadt Babylon ihren Namen hat." Die Ebene Sennaar erwähnt Hestiaeus: „Die geretteten Priester kamen mit den Heiligtümern des Zeus Enyalios nach Sennaar in Babylonien."

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<strong>Chaos</strong><br />

<strong>Theorie</strong><br />

Ellen White


New Covenant Publications International Ltd. German<br />

Copyright © 2020. Internationale Veröffentlichungen <strong>de</strong>s Neuen Bund.<br />

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne ausdrückliche schriftliche<br />

Genehmigung <strong>de</strong>s Autors vervielfältigt o<strong>de</strong>r in irgen<strong>de</strong>iner Form o<strong>de</strong>r mit irgendwelchen<br />

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ISBN: 359-2-85933-609-1<br />

ISBN: 359-2-85933-609-1<br />

Katalogisierung in Publikationsdaten<br />

Herausgegeben und Gestaltet von : Internationale Gruppe <strong>de</strong>s Neuen Bund.<br />

Gedruckt im Vereinigten Königreich.<br />

Erstdruck 26. Mai 2020<br />

Herausgegeben von : Internationale Veröffentlichungen <strong>de</strong>s Neuen Bund.<br />

New Covenant Publications International Ltd.,<br />

Kemp House, 160 City Road, London, EC1V 2NX<br />

Besuchen Sie die Website: www.newcovenant.co.uk


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Ellen White


Die Ebene, wo sie dieselben zuerst hinführten, heisst Sennaar.Zu dieser Verachtung und<br />

Verhöhnung Gottes verleitete sie Nimrod, <strong>de</strong>r Enkel Chamas’, <strong>de</strong>s Sohnes Noes, <strong>de</strong>nn er<br />

war kühn, und seiner Hän<strong>de</strong> Kraft gross. Dieser überre<strong>de</strong>te sie zu <strong>de</strong>m Wahn, nicht von<br />

Gott komme ihr Glück, son<strong>de</strong>rn ihre eigene Tüchtigkeit sei die Ursache ihres<br />

Wohlstan<strong>de</strong>s. Und allmählich verkehrte er sein Benehmen in Tyrannei, weil er die<br />

Menschen um so eher von Gott abzuwen<strong>de</strong>n gedachte, wenn sie <strong>de</strong>r eigenen Kraft<br />

hartnäckig vertrauten. Er wolle, sagte er, sich an Gott rächen, falls er mit erneuter Flut<br />

die Er<strong>de</strong> bedränge, und er wolle einen Turm bauen, so hoch, dass die Wasser- flut ihn<br />

nicht übersteigen könne. So wer<strong>de</strong> er für <strong>de</strong>n Untergang seiner Vorfahren Vergeltung<br />

üben.<br />

Die Menge pflichtete <strong>de</strong>n Absichten Nimrods bereit- willig bei, da sie es für Feigheit<br />

hielt, Gott noch zu gehorchen. Und so machten sie sich an die Erbauung <strong>de</strong>s Turmes, <strong>de</strong>r<br />

bei unverdrossener Arbeit und <strong>de</strong>n vielen Arbeitskräften schnell in die Höhe wuchs. Da<br />

er aber sehr breit war, fiel seine Höhe min<strong>de</strong>r auf. Gebaut wur<strong>de</strong> er au 3 Ziegeln, die mit<br />

heissem Harz zusammengekittet waren zum Schutze gegen das andrängen<strong>de</strong> Wasser.<br />

Obgleich nun Gott ihr unsinniges Benehmen sah, wollte er sie doch nicht vertilgen,<br />

wiewohl sie durch Erinnerung an die Sintflut eigentlich auf bessere Gedanken hätten<br />

kommen müssen und also eine solche Strafe wohl ver- dienten, son<strong>de</strong>rn er verwirrte ihre<br />

Sprache und entzweite sie so, dass <strong>de</strong>r eine <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren nicht verstehen konnte. Der Ort<br />

<strong>de</strong>s Turmbaues aber wird wegen <strong>de</strong>r Verwirrung <strong>de</strong>r Sprache, die früher bei allen<br />

dieselbe war, Babylon genannt, <strong>de</strong>nn auf Hebraeisch heisst Babel „Verwirrung." Des<br />

Turmbaues und <strong>de</strong>r Sprachen Verwirrung ge<strong>de</strong>nkt auch Sibylla mit folgen<strong>de</strong>n Worten:<br />

„Da alle Menschen eine und dieselbe Sprache re<strong>de</strong>ten, begannen sie einen sehr hohen<br />

Turm zu bauen, als wollten sie auf ihm in <strong>de</strong>n Himmel steigen. Die Götter aber erregten<br />

einen Sturm, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Turm umstürzte, und gaben je<strong>de</strong>m eine beson<strong>de</strong>re Sprache, woher<br />

die Stadt Babylon ihren Namen hat." Die Ebene Sennaar erwähnt Hestiaeus: „Die<br />

geretteten Priester kamen mit <strong>de</strong>n Heiligtümern <strong>de</strong>s Zeus Enyalios nach Sennaar in<br />

Babylonien."<br />

Viertes Kapitel. Vom Babylonischen Turm und <strong>de</strong>r Sprachenverwirrung.<br />

Jüdische Altertümer<br />

Flavius Josephus


Diese Seite wur<strong>de</strong> absichtlich frei gelassen.


New Covenant Publications<br />

International Ltd.<br />

Reformierte Bücher, Transformierte Geist<br />

New Covenant Publications International Ltd.,<br />

Kemp House, 160 City Road, London, EC1V 2NX<br />

Email: newcovenantpublicationsintl@gmail.com


Danksagung<br />

Dieses Buch ist Gott gewidmet.


Vorwort<br />

Der Verlag New Covenant Publications International strebt danach, <strong>de</strong>n Leser<br />

wie<strong>de</strong>r zum Willen Gottes zurückzuführen und Himmel und Er<strong>de</strong> in einer<br />

Bestärkung <strong>de</strong>s immerwähren<strong>de</strong>n Gesetzes <strong>de</strong>r Liebe miteinan<strong>de</strong>r zu verbin<strong>de</strong>n.<br />

Die Bun<strong>de</strong>sla<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>m Logo steht für <strong>de</strong>n intimen Bund Jesu Christi mit seinem<br />

Volk und die zentrale Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Gesetze Gottes. Es steht geschrieben: „Das<br />

soll <strong>de</strong>r Bund sein, <strong>de</strong>n ich mit <strong>de</strong>m Hause Israel schließen will nach dieser Zeit,<br />

spricht <strong>de</strong>r Herr: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn<br />

schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein.“ (Jeremia 31,<br />

31–33; Hebräer 8, 8–10) Daher umschließt diese neue La<strong>de</strong> ein Volk, das die Liebe<br />

und die Gesetze <strong>de</strong>r Schrift Gottes in seinem Herzen trägt – selbst in Zeiten<br />

gewalttätiger Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen, <strong>de</strong>s Sittenverfalls und hemmungsloser<br />

Betrügereien.<br />

Schon seit vielen Jahrhun<strong>de</strong>rten sahen sich einige Menschen zehren<strong>de</strong>r Qualen,<br />

unfassbarer Unterdrückung und gefährlichen Kriegshandlungen ausgesetzt, die<br />

dazu dienen sollten, die Wahrheit zu verschleiern und die Weisheit Gottes zu<br />

auszulöschen. Beson<strong>de</strong>rs im Mittelalter geriet das wahre Wort durch die<br />

Traditionen und <strong>de</strong>r Unwissenheit <strong>de</strong>r Menschen in Vergessenheit, <strong>de</strong>nn sie<br />

verschmähten die Weisheit und versündigten sich an <strong>de</strong>r La<strong>de</strong>. Ein Schandfleck<br />

entstand, als sich die Menschen mit <strong>de</strong>m sich ausbreiten<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Übel verban<strong>de</strong>n,<br />

und dies brachte schließlich eine solche Plage <strong>de</strong>r ungezügelten Deka<strong>de</strong>nz und<br />

diabolischen Grausamkeit über sie, dass viele Leben unrechtmäßig geopfert<br />

wur<strong>de</strong>n, nur weil sich einige weigerten, sich <strong>de</strong>m Gewissensrecht unterzuordnen.<br />

Beson<strong>de</strong>rs zur Zeit <strong>de</strong>r Reformation im 16. Jahrhun<strong>de</strong>rt stellt die Geschichte einen<br />

entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Wen<strong>de</strong>punkt zur Wahrheit hin dar, wenngleich dieser begleitet<br />

wur<strong>de</strong> von einer Phase <strong>de</strong>r Aufwühlung, wie sie in <strong>de</strong>r Gegenreformation zum<br />

Ausdruck kommt. In diesem Buch soll <strong>de</strong>r Leser jedoch wie<strong>de</strong>r auf die<br />

unangefochtene Be<strong>de</strong>utsamkeit dieser bahnbrechen<strong>de</strong>n Umwälzung aus Sicht <strong>de</strong>r<br />

Reformatoren und an<strong>de</strong>rer Zeitzeugen aufmerksam gemacht wer<strong>de</strong>n. Aus ihren<br />

Aufzeichnungen lässt sich verständlich aufzeigen, welche verheeren<strong>de</strong>n Schlachten<br />

sich damals zutrugen und welche Beweggrün<strong>de</strong> dieser gewaltigen Gegenwehr zu


Grun<strong>de</strong> lagen. So lassen sich sogar Einblicke in bisher unzugängliche Mysterien,<br />

heftige Kontroversen und übernatürliche Eingriffe gewähren.<br />

Mit unserem Leitsatz „Reformierte Bücher, Transformierte Geist“ heben wir<br />

sowohl die Einzigartigkeit <strong>de</strong>r Literaturgattung, die in dieser wegweisen<strong>de</strong>n Zeit<br />

entstand, als auch ihre Wirkmacht hervor. Er spiegelt auch die Dringlichkeit <strong>de</strong>r<br />

individuellen Reformierung, <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rgeburt und <strong>de</strong>r eigenen Verwandlung<br />

wi<strong>de</strong>r. Wie schon vor 500 Jahren <strong>de</strong>r Buchdruck Gutenbergs, verbun<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>r<br />

Vermittlung durch Übersetzungen, die Prinzipien <strong>de</strong>s reformierten Glaubens an die<br />

gesamte Menschheit herantrug, sollen nun die digitale Presse und die<br />

Onlinemedien <strong>de</strong>r heutigen Zeit in je<strong>de</strong>r Sprache das Licht <strong>de</strong>r Wahrheit in die<br />

Welt hinaustragen.


<strong>Chaos</strong>theorie


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

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<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Inhaltsverzeichnnis<br />

Kapitel 1- Weltgeschichte Vorausgesagt ................................................................................. 6<br />

Kapitel 2- Feuer <strong>de</strong>r Verfolgung ............................................................................................ 21<br />

Kapitel 3- Die Ära <strong>de</strong>r Finsternis ........................................................................................... 28<br />

Kapitel 4- Beson<strong>de</strong>re Boten ................................................................................................... 37<br />

Kapitel 5- Champion <strong>de</strong>r Wahrheit ........................................................................................ 50<br />

Kapitel 6- Zwei Hel<strong>de</strong>n .......................................................................................................... 62<br />

Kapitel 7- Eine Revolution Beginnt ....................................................................................... 79<br />

Kapitel 8- Luther vor <strong>de</strong>m Reichstag ..................................................................................... 97<br />

Kapitel 9- Der Reformator <strong>de</strong>r Schweiz .............................................................................. 115<br />

Kapitel 10- Fortschritt <strong>de</strong>r Reformation in Deutschland ..................................................... 125<br />

Kapitel 11- Der Protest <strong>de</strong>r Fürsten ..................................................................................... 133<br />

Kapitel 12- Die Reformation in Frankreich ......................................................................... 143<br />

Kapitel 13- Die Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong> und Skandinavien .................................................................. 162<br />

Kapitel 14- Spätere englische Reformatoren ....................................................................... 168<br />

Kapitel 15- Die Franzosische Revolution ............................................................................ 183<br />

Kapitel 16- Land <strong>de</strong>r Freiheit ............................................................................................... 200<br />

Kapitel 17- Herol<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Morgens ........................................................................................ 207<br />

Kapitel 18- Ein Glaubensmann <strong>de</strong>r letzten Zeit ................................................................... 219<br />

Kapitel 19- Licht durch Finsternis ....................................................................................... 239<br />

Kapitel 20- Eine große religiöse Erweckung ....................................................................... 247<br />

Kapitel 21- Eine verworfene Warnung ................................................................................ 261<br />

Kapitel 22- Erfüllte Weissagungen ...................................................................................... 272<br />

Kapitel 23- Was ist das Heiligtum? ..................................................................................... 286<br />

Kapitel 24- Im Allerheiligsten ............................................................................................. 296<br />

Kapitel 25- Gottes Gesetz ist unverän<strong>de</strong>rlich ...................................................................... 303<br />

Kapitel 26- Ein Werk <strong>de</strong>r Erneuerung ................................................................................. 315<br />

Kapitel 27- Erweckungen <strong>de</strong>r Neuzeit ................................................................................. 322<br />

Kapitel 28- Das Untersuchungsgericht ................................................................................ 335<br />

Kapitel 29- Der Ursprung <strong>de</strong>s Bosen ................................................................................... 344<br />

Kapitel 30- Höllische Feindschaft ....................................................................................... 353<br />

Kapitel 31- Der Bösen Geister ............................................................................................. 358<br />

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<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 32- Gefährliche Täuschungen ................................................................................. 363<br />

Kapitel 33- Die erste große Tauschung ............................................................................... 372<br />

Kapitel 34- Können die Toten mit uns sprechen? ................................................................ 386<br />

Kapitel 35- Gewissensfreiheit Bedroht ................................................................................ 394<br />

Kapitel 36- Der kommen<strong>de</strong> Kampf...................................................................................... 408<br />

Kapitel 37- Die Bibel eine Schutzwehr ............................................................................... 416<br />

Kapitel 38- Die letzte Warnung ........................................................................................... 423<br />

Kapitel 39- Anarchie Entfesselt ........................................................................................... 430<br />

Kapitel 40- Gottes Volk wird befreit ................................................................................... 445<br />

Kapitel 41- Die Verwustung <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> ................................................................................. 457<br />

Kapitel 42- Des Kampfes En<strong>de</strong>............................................................................................ 463<br />

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<strong>Chaos</strong>theorie<br />

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<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 1- Weltgeschichte Vorausgesagt<br />

Vom Gipfel <strong>de</strong>s Ölberges herab schaute Jesus auf Jerusalem. Lieblich und friedvoll<br />

breitete sich die Landschaft vor ihm aus. Es war die Zeit <strong>de</strong>s Passahfestes, und aus allen<br />

Län<strong>de</strong>rn hatten sich die Kin<strong>de</strong>r Jakobs versammelt, um dies große Nationalfest zu feiern.<br />

Inmitten von Gärten, Weinbergen und grünen, mit Zelten <strong>de</strong>r Pilger übersäten Abhängen<br />

erhoben sich die terrassenförmig abgestuften Hügel, die stattlichen Paläste und massiven<br />

Bollwerke <strong>de</strong>r Hauptstadt Israels. Die Tochter Zion schien in ihrem Stolz zu sagen: „Ich<br />

sitze als Königin ..., und Leid wer<strong>de</strong> ich nicht sehen.“ Offenbarung 8,7. Sie war so anmutig<br />

und wähnte sich <strong>de</strong>r Gunst <strong>de</strong>s Himmels sicher wie ehe<strong>de</strong>m, als <strong>de</strong>r königliche Sänger<br />

ausrief: „Schön ragt, empor <strong>de</strong>r Berg Zion, <strong>de</strong>s sich das ganze Land tröstet; ... die Stadt <strong>de</strong>s<br />

großen Königs.“ Psalm 48,3. Unmittelbar vor ihm lagen die prächtigen Gebäu<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

Tempels. Die Strahlen <strong>de</strong>r sinken<strong>de</strong>n Sonne ließen das schneeige Eis seiner marmornen<br />

Mauern aufblitzen und leuchteten von <strong>de</strong>m gol<strong>de</strong>nen Tor, <strong>de</strong>m Turm und <strong>de</strong>r Zinne wi<strong>de</strong>r.<br />

In vollen<strong>de</strong>ter Schönheit stand Zion da, <strong>de</strong>r Stolz <strong>de</strong>r jüdischen Nation. Welches Kind<br />

Israels konnte dieses Bild ohne Freu<strong>de</strong> und Bewun<strong>de</strong>rung betrachten! Doch Jesus dachte an<br />

etwas ganz an<strong>de</strong>res. „Als er nahe hinzukam, sah er die Stadt an und weinte über sie.“ Lukas<br />

19,41.<br />

In <strong>de</strong>r allgemeinen Freu<strong>de</strong> <strong>de</strong>s triumphieren<strong>de</strong>n Einzuges, während Palmzweige ihm<br />

entgegenwehten, fröhliche Hosiannarufe von <strong>de</strong>n Hügeln wi<strong>de</strong>rhallten und Tausen<strong>de</strong> von<br />

Stimmen ihn zum König ausriefen, überwältigte <strong>de</strong>n Welterlöser ein plötzlicher und<br />

geheimnisvoller Schmerz. Der Sohn Gottes, <strong>de</strong>r Verheißene Israels, <strong>de</strong>ssen Macht <strong>de</strong>n Tod<br />

besiegt und seine Gefangenen aus <strong>de</strong>n Gräbern hervorgerufen hatte, weinte — keine Tränen<br />

gewöhnlichen Wehs, son<strong>de</strong>rn Tränen eines unaussprechlichen, seelischen Schmerzes.<br />

Christi Tränen flossen nicht um seinetwillen, obgleich er genau wußte, wohin sein Weg<br />

ihn führte. Vor ihm lag Gethsemane, <strong>de</strong>r Schauplatz seines bevorstehen<strong>de</strong>n Lei<strong>de</strong>ns. Das<br />

Schaftor, durch das seit Jahrhun<strong>de</strong>rten die Schlachtopfer geführt wor<strong>de</strong>n waren, und das sich<br />

auch vor ihm auftun sollte, wenn er wie ein Lamm zur Schlachtbank geführt wür<strong>de</strong>, war<br />

ebenfalls zu sehen. Jesaja 53,7. Nicht weit davon lag Golgatha, die Stätte <strong>de</strong>r Kreuzigung.<br />

Auf <strong>de</strong>n Pfad, <strong>de</strong>n er bald zu betreten hatte, mußten die Schatten tiefer Finsternis fallen, da<br />

Christus seine Seele zu einem Sühnopfer für die Sün<strong>de</strong> geben sollte. Doch es war nicht <strong>de</strong>r<br />

Anblick dieser Schauplätze, <strong>de</strong>r in dieser Stun<strong>de</strong> allgemeiner Fröhlichkeit Schatten auf ihn<br />

warf. Keinerlei Ahnungen von seiner eigenen übermenschlichen Angst trübten das<br />

selbstlose Gemüt. Er beweinte das Los <strong>de</strong>r Tausen<strong>de</strong> in Jerusalem, die Blindheit und<br />

Unbußfertigkeit <strong>de</strong>rer, die zu segnen und zu retten er gekommen war.<br />

„Wenn doch auch du erkenntest zu dieser <strong>de</strong>iner Zeit, was zu <strong>de</strong>inem Frie<strong>de</strong>n dient!<br />

Aber nun ist‘s vor <strong>de</strong>inen Augen verborgen. Denn es wird die Zeit über dich kommen, daß<br />

<strong>de</strong>ine Fein<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n um dich und <strong>de</strong>ine Kin<strong>de</strong>r mit dir eine Wagenburg schlagen, dich<br />

belagern und an allen Orten ängsten; und wer<strong>de</strong>n dich schleifen und keinen Stein auf <strong>de</strong>m<br />

6


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

an<strong>de</strong>rn lassen, darum daß du nicht erkannt hast die Zeit, darin du heimgesucht bist.“ Lukas<br />

19,42-44.<br />

Die Geschichte <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren Gunst und Fürsorge Gottes, die er seit über tausend<br />

Jahren <strong>de</strong>m auserwählten Volk bekun<strong>de</strong>t hatte, lag offen vor <strong>de</strong>n Blicken Jesu. Dort erhob<br />

sich <strong>de</strong>r Berg Morija, auf <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Sohn <strong>de</strong>r Verheißung, ein ergebenes Opfer, auf <strong>de</strong>m Altar<br />

gebun<strong>de</strong>n wor<strong>de</strong>n war (1.Mose 22,9) — ein Sinnbild <strong>de</strong>s Opferweges <strong>de</strong>s Sohnes Gottes.<br />

Dort war <strong>de</strong>r Bund <strong>de</strong>s Segens, die glorreiche messianische Verheißung,<strong>de</strong>m Vater <strong>de</strong>r<br />

Gläubigen bestätigt wor<strong>de</strong>n. 1.Mose 22,16-18. Dort hatten die gen Himmel aufsteigen<strong>de</strong>n<br />

Flammen <strong>de</strong>s Opfers auf <strong>de</strong>r Tenne Ornans das Schwert <strong>de</strong>s Würgeengels abgewandt<br />

(1.Chronik 21) — ein passen<strong>de</strong>s Symbol von <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s Opfer für die schuldigen<br />

Menschen. Jerusalem war von Gott vor <strong>de</strong>r ganzen Er<strong>de</strong> geehrt wor<strong>de</strong>n. Der Herr hatte<br />

„Zion erwählt“, er hatte „Lust, daselbst zu wohnen“. Psalm 132,13.<br />

Dort hatten die heiligen Propheten jahrhun<strong>de</strong>rtelang ihre Warnungsbotschaften<br />

verkündigt. Die Priester hatten ihre Rauchnäpfe geschwungen, und <strong>de</strong>r Weihrauch war mit<br />

<strong>de</strong>n Gebeten <strong>de</strong>r Frommen zu Gott aufgestiegen. Auf diesem Berg hatte man täglich das<br />

Blut <strong>de</strong>r geopferten Lämmer, die auf das Lamm Gottes hinwiesen, dargebracht. Dort hatte<br />

<strong>de</strong>r Herr in <strong>de</strong>r Wolke <strong>de</strong>r Herrlichkeit über <strong>de</strong>m Gna<strong>de</strong>nstuhl seine Gegenwart offenbart.<br />

Dort hatte <strong>de</strong>r Fuß jener geheimnisvollen Leiter geruht, die die Er<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>m Himmel<br />

verband (1.Mose 28,12; Johannes 1,51) — jener Leiter, auf <strong>de</strong>r die Engel Gottes auf- und<br />

nie<strong>de</strong>rstiegen und die <strong>de</strong>r Welt <strong>de</strong>n Weg in das Allerheiligste öffnete. Hätte Israel als Nation<br />

<strong>de</strong>m Himmel seine Treue bewahrt, so wür<strong>de</strong> Jerusalem, die auserwählte Stadt Gottes, ewig<br />

gestan<strong>de</strong>n haben. Jeremia 17,21-25. Aber die Geschichte jenes bevorzugten Volkes war ein<br />

Bericht über Abtrünnigkeit und Empörung. Es hatte sich <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Himmels wi<strong>de</strong>rsetzt<br />

und die ihm gestellte Aufgabe mißachtet.<br />

Die Israeliten „spotteten <strong>de</strong>r Boten Gottes und verachteten seine Worte und äfften seine<br />

Propheten“ (2.Chronik 36,15.16), und doch hatte Gott sich ihnen immer noch als <strong>de</strong>r „Herr,<br />

Gott, barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gna<strong>de</strong> und Treue“ (2.Mose 34,6)<br />

erwiesen. Ungeachtet wie<strong>de</strong>rholter Zurückweisungen war ihnen immer wie<strong>de</strong>r seine Gna<strong>de</strong><br />

nachgegangen. Mit mehr als väterlicher, mitleidsvoller Liebe für das Kind seiner Fürsorge<br />

sandte Gott „zu ihnen durch seine Boten früh und immerfort; <strong>de</strong>nn er schonte seines Volks<br />

und seiner Wohnung“. 2.Chronik 36,15. Nach<strong>de</strong>m alle Ermahnungen, Bitten und<br />

Zurechtweisungen erfolglos geblieben waren, sandte er ihnen die beste Gabe <strong>de</strong>s Himmels,<br />

ja, er schüttete <strong>de</strong>n ganzen Himmel in jener einen Gabe über sie aus.<br />

Der Sohn Gottes selbst wur<strong>de</strong> gesandt, um die unbußfertige Stadt zur Umkehr zu<br />

bewegen. War es doch Christus, <strong>de</strong>r Israel als einen guten Weinstock aus Ägypten geholt<br />

hatte. Psalm 80,9. Seine eigene Hand hatte die Hei<strong>de</strong>n vor ihm her ausgetrieben. Den<br />

Weinstock pflanzt er „an einen fetten Ort“. In seiner Fürsorge baute er einen Zaun um ihn<br />

herum und sandte seine Knechte aus seinen Weinstock zu pflegen. „Was wollte man doch<br />

mehr tun an meinem Weinberge, daß ich nicht getan habe?“, ruft er aus. Doch als er<br />

7


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

„wartete, daß er Tauben brächte“, hat er „Herlinge gebracht“. Jesaja 5,1-4. Dennoch kam er<br />

mit einer noch immer sehnsüchtigen Hoffnung auf Fruchtbarkeit persönlich in seinen<br />

Weinberg, damit dieser, wenn möglich, vor <strong>de</strong>m Ver<strong>de</strong>rben bewahrt bliebe. Er lockerte die<br />

Er<strong>de</strong> um <strong>de</strong>n Weinstock herum; er beschnitt und pflegte ihn. Unermüdlich wahren seine<br />

Bemühungen, diesen mit eigenen Hän<strong>de</strong>n gepflanzten Weinstock zu retten.<br />

Drei Jahre lang war <strong>de</strong>r Herr <strong>de</strong>s Lichts und <strong>de</strong>r Herrlichkeit unter seinem Volk ein- und<br />

ausgegangen. Er war umhergezogen und hatte wohlgetan und gesund gemacht alle, die vom<br />

Teufel überwältigt waren; er hatte die zerstoßenen Herzen geheilt, die Gefangenen befreit,<br />

die Blin<strong>de</strong>n sehend gemacht. Er hieß die Lahmen gehen und die Tauben hören, er reinigte<br />

die Aussätzigen, weckte die Toten auf und verkündigte <strong>de</strong>n Armen das Evangelium.<br />

Apostelgeschichte 10,38; Lukas 4,18; Matthäus 11,5. Allen Menschen ohne Unterschied<br />

galt die gna<strong>de</strong>nreiche Einladung: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und bela<strong>de</strong>n<br />

seid; ich will euch erquicken.“ Matthäus 11,28.<br />

Obgleich ihm Gutes mit Bösem und Liebe mit Haß belohnt wur<strong>de</strong> (Psalm 109,5), war er<br />

doch unverwandt seiner Mission <strong>de</strong>r Barmherzigkeit nachgegangen. Nie waren die<br />

Menschen abgewiesen wor<strong>de</strong>n, die seine Gna<strong>de</strong> gesucht hatten. Selbst ein heimatloser<br />

Wan<strong>de</strong>rer, <strong>de</strong>ssen tägliches Teil Schmach und Entbehrung hieß, hatte er gelebt, um <strong>de</strong>n<br />

Bedürftigen zu dienen, das Leid <strong>de</strong>r Menschen zu lin<strong>de</strong>rn und Seelen zur Annahme <strong>de</strong>r<br />

Gabe <strong>de</strong>s Lebens zu bewegen. Wenn sich auch die Wogen <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong> an wi<strong>de</strong>rspenstigen<br />

Herzen brachen, sie kehrten mit einer noch stärkeren Flut mitleidsvoller, unaussprechlicher<br />

Liebe zurück. Aber Israel hatte sich von seinem besten Freund und einzigen Helfer<br />

abgewandt, hatte die Mahnungen seiner Liebe verachtet, seine Ratschläge verschmäht, seine<br />

Warnungen verlacht.<br />

Die Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Hoffnung und <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong> neigte sich <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> zu; die Schale <strong>de</strong>s lange<br />

zurückgehaltenen Zornes Gottes war nahezu gefüllt. Die nunmehr unheildrohen<strong>de</strong> Wolke,<br />

die sich in <strong>de</strong>n Jahren <strong>de</strong>s Abfalls und <strong>de</strong>r Empörung gebil<strong>de</strong>t hatte, war im Begriff, sich<br />

über ein schuldiges Volk zu entla<strong>de</strong>n. Der allein sie vor <strong>de</strong>m bevorstehen<strong>de</strong>n Schicksal hätte<br />

bewahren können, war verachtet, mißhan<strong>de</strong>lt, verworfen wor<strong>de</strong>n und sollte bald gekreuzigt<br />

wer<strong>de</strong>n. Christi Kreuzestod auf Golgatha wür<strong>de</strong> Israels Zeit als einer von Gott begünstigten<br />

und gesegneten Nation been<strong>de</strong>n. Der Verlust auch nur einer Seele ist ein Unglück, das<br />

unendlich schwerer wiegt als die Vorteile und Reichtümer <strong>de</strong>r Welt. Als Christus auf<br />

Jerusalem blickte, sah er das Schicksal einer ganzen Stadt, einer ganzen Nation vor seinem<br />

inneren Auge abrollen — jener Stadt, jener Nation, die einst die Auserwählte Gottes, sein<br />

ausschließliches Eigentum gewesen war.<br />

Propheten hatten über <strong>de</strong>n Abfall <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r Israel und über die schrecklichen<br />

Verwüstungen, die ihre Sün<strong>de</strong>n heraufbeschworen, geweint. Jeremia wünschte, daß seine<br />

Augen Tränenquellen wären, um Tag und Nacht die Erschlagenen <strong>de</strong>r Tochter seines<br />

Volkes und <strong>de</strong>s Herrn Her<strong>de</strong>, die gefangengenommenen wor<strong>de</strong>n war, beweinen zu können.<br />

Jeremia 8,23; Jeremia 13,17. Welchen Schmerz muß da Christus empfun<strong>de</strong>n haben, <strong>de</strong>ssen<br />

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<strong>Chaos</strong>theorie<br />

prophetischer Blick nicht Jahre, son<strong>de</strong>rn ganze Zeitalter umfaßte! Er sah <strong>de</strong>n Würgeengel<br />

mit <strong>de</strong>m gegen die Stadt erhobenen Schwert, die so lange Wohnstätte <strong>de</strong>s Höchsten gewesen<br />

war. Von <strong>de</strong>r Spitze <strong>de</strong>s Ölberges, von <strong>de</strong>rselben Stelle,die später von Titus und seinem<br />

Heer besetzt wur<strong>de</strong>,schaute er über das Tal auf die heiligen Höfe und Säulenhallen, und vor<br />

seinem tränenumflorten Auge tauchte eine schreckliche Vision auf: die Stadtmauern waren<br />

von einem feindlichen Heer umzingelt. Er hörte das Stampfen <strong>de</strong>r sich sammeln<strong>de</strong>n Hor<strong>de</strong>n,<br />

vernahm die Stimme <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r belagerten Stadt nach Brot schreien<strong>de</strong>n Mütter und Kin<strong>de</strong>r.<br />

Er sah ihren heiligen, prächtigen Tempel, die Paläste und Türme <strong>de</strong>n Flammen preisgegeben,<br />

und dort, wo diese Bauwerke sich einst erhoben, schaute er nur einen rauchen<strong>de</strong>n<br />

Trümmerhaufen.<br />

Den Zeitenfluß überblickend, sah er das Bun<strong>de</strong>svolk in alle Län<strong>de</strong>r zerstreut wie<br />

Schiffbrüchige an einem ö<strong>de</strong>n Strand. In <strong>de</strong>r irdischen Vergeltung, die sich anschickte, seine<br />

Kin<strong>de</strong>r heimzusuchen, sah er die ersten Tropfen aus jener Zornesschale, die sie beim<br />

Gericht bis zur Neige leeren müssen. Sein göttliches Erbarmen und seine mitleidsvolle<br />

Liebe fan<strong>de</strong>n ihren Ausdruck in <strong>de</strong>n klagen<strong>de</strong>n Worten: „Jerusalem, Jerusalem, die du tötest<br />

die Propheten und steinigst, die zu dir gesandt sind! wie oft habe ich <strong>de</strong>ine Kin<strong>de</strong>r<br />

versammeln wollen, wie eine Henne versammelt ihre Küchlein unter ihre Flügel; und ihr<br />

habt nicht gewollt!“ Matthäus 23,37. Oh, hättest, du, das vor allen an<strong>de</strong>rn bevorzugte Volk,<br />

die Zeit <strong>de</strong>iner Heimsuchung und das, was zu <strong>de</strong>inem Frie<strong>de</strong>n diente, erkannt! Ich habe <strong>de</strong>n<br />

Engel <strong>de</strong>s Gerichts aufgehalten, ich habe dich zur Buße gerufen, aber umsonst. Nicht nur<br />

Knechte, Boten und Propheten hast du abgewiesen, auch <strong>de</strong>n Heiligen Israels, <strong>de</strong>inen<br />

Erlöser, hast du verworfen. Wenn du vernichtet wirst, so bist du allein dafür verantwortlich.<br />

„Ihr wollt nicht zu mir kommen, daß ihr das Leben haben möchtet.“ Johannes 5,40.<br />

Christus sah in Jerusalem ein Sinnbild <strong>de</strong>r in Unglauben und Empörung verhärteten<br />

Welt, die <strong>de</strong>m vergelten<strong>de</strong>n Gericht Gottes entgegen eilt. Die Lei<strong>de</strong>n eines gefallenen<br />

Geschlechtes bedrückten seine Seele, und seinen Lippen entrang sich jener außeror<strong>de</strong>ntlich<br />

bittere Aufschrei. Er sah im menschlichen Elend, in Tränen und Blut die Spuren <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>,<br />

sein Herz wur<strong>de</strong> von unendlichem Mitleid mit <strong>de</strong>n Bedrängten und Lei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n auf dieser<br />

Er<strong>de</strong> bewegt; er sehnte sich danach, ihnen allen Erleichterung zu verschaffen. Aber selbst<br />

seine Hand konnte nicht die Flut menschlichen Elends abwen<strong>de</strong>n; <strong>de</strong>nn nur wenige wür<strong>de</strong>n<br />

die Quelle ihrer einzigen Hilfe suchen. Er war bereit, in <strong>de</strong>n Tod zu gehen, um ihnen die<br />

Erlösung zu ermöglichen; aber nur wenige kämen zu ihm, um das Leben zu ererben.<br />

Die Majestät <strong>de</strong>s Himmels in Tränen! Der Sohn <strong>de</strong>s ewigen Gottes nie<strong>de</strong>rgebeugt von<br />

Seelenangst! Dieser Anblick setzte <strong>de</strong>n ganzen Himmel in Erstaunen. Jene Szene offenbart<br />

uns die überaus große Ver<strong>de</strong>rbtheit <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>; sie zeigt, welch eine schwere Aufgabe es<br />

selbst für die göttliche Allmacht ist, die Schuldigen von <strong>de</strong>n Folgen <strong>de</strong>r Übertretung <strong>de</strong>s<br />

Gesetzes zu retten. Auf das letzte Geschlecht herabblickend, sah Jesus die Welt von einer<br />

Täuschung befallen, ähnlich <strong>de</strong>r, die zur Zerstörung Jerusalems führen sollte. Die große<br />

Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n war die Verwerfung Christi; das große Vergehen <strong>de</strong>r christlichen Welt<br />

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<strong>Chaos</strong>theorie<br />

wäre die Verwerfung <strong>de</strong>s Gesetzes Gottes, <strong>de</strong>r Grundlage seiner Regierung im Himmel und<br />

auf Er<strong>de</strong>n. Die Gebote <strong>de</strong>s Herrn wür<strong>de</strong>n verachtet und verworfen wer<strong>de</strong>n.<br />

Millionen Menschen in <strong>de</strong>n Ban<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>n, Sklaven Satans, verurteilt, <strong>de</strong>n ewigen<br />

Tod zu erlei<strong>de</strong>n, wür<strong>de</strong>n sich in <strong>de</strong>n Tagen ihrer Heimsuchung weigern, auf die Worte <strong>de</strong>r<br />

Wahrheit zu lauschen. Schreckliche Blindheit; seltsame Verblendung! Als Christus zwei<br />

Tage vor <strong>de</strong>m Passahfest zum letztenmal <strong>de</strong>n Tempel verließ, wo er die Scheinheiligkeit <strong>de</strong>r<br />

jüdischen Obersten bloßgestellt hatte, ging er abermals mit seinen Jüngern nach <strong>de</strong>m Ölberg<br />

und setzte sich mit ihnen auf einen grasbewachsenen Abhang, von <strong>de</strong>m man die Stadt gut<br />

überblicken konnte. Noch einmal schaute er auf ihre Mauern, Türme und Paläste; noch<br />

einmal betrachtete er <strong>de</strong>n Tempel in seiner blen<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Pracht, dieses Dia<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Schönheit,<br />

das <strong>de</strong>n heiligen Berg krönte.<br />

1000 Jahre zuvor war die Güte Gottes gegenüber Israel von <strong>de</strong>m Psalmisten gepriesen<br />

wor<strong>de</strong>n, weil er ihr heiliges Haus zu seiner Wohnstätte gemacht hatte: „Zu Salem ist sein<br />

Gezelt, und seine Wohnung zu Zion.“ Er „erwählte <strong>de</strong>n Stamm Juda, <strong>de</strong>n Berg Zion,<br />

welchen er liebte, und baute sein Heiligtum hoch, wie die Er<strong>de</strong>, die ewiglich fest stehen<br />

soll“. Psalm 76,3; Psalm 78,68.69. Der erste Tempel war in <strong>de</strong>r Glanzzeit <strong>de</strong>r Geschichte<br />

Israels errichtet wor<strong>de</strong>n. Große Vorräte an Schätzen hatte einst zu diesen Zweck König<br />

David angesammelt. Die Baupläne waren durch göttliche Eingebung entworfen wor<strong>de</strong>n.<br />

1.Chronik 28,12.19. Salomo, <strong>de</strong>r weiseste <strong>de</strong>r Herrscher Israels, hatte das Werk vollen<strong>de</strong>t.<br />

Dieser Tempel war das herrlichste Gebäu<strong>de</strong>, das die Welt je gesehen hatte, doch <strong>de</strong>r Herr<br />

erklärte durch <strong>de</strong>n Propheten Haggai betreffs <strong>de</strong>s zweiten Tempels: „Es soll die Herrlichkeit<br />

dieses letzten Hauses größer wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>s ersten gewesen ist.“ „Ja, alle Hei<strong>de</strong>n will ich<br />

bewegen. Da soll dann kommen aller Hei<strong>de</strong>n Bestes; und ich will dies Haus voll<br />

Herrlichkeit machen, spricht <strong>de</strong>r Herr Zebaoth.“ Haggai 2,9.7.<br />

Nach <strong>de</strong>r Zerstörung <strong>de</strong>s Tempels durch Nebukadnezar wur<strong>de</strong> er von 520 bis 560 v. Chr.<br />

wie<strong>de</strong>r erbaut von einem Volk, daß aus einer ein Menschenleben währen<strong>de</strong>n Gefangenschaft<br />

in ein verwüstetes und nahezu verlassenes Land zurückgekehrt war. Darunter befan<strong>de</strong>n sich<br />

bejahrte Männer, die die Herrlichkeit <strong>de</strong>s salomonischen Tempels gesehen hatten und nun<br />

bei <strong>de</strong>r Grundsteinlegung <strong>de</strong>s neuen Gebäu<strong>de</strong>s weinten, daß es so sehr hinter <strong>de</strong>m ersten<br />

zurückstehen müsse. Das damals herrschen<strong>de</strong> Gefühl wird von <strong>de</strong>m Propheten eindringlich<br />

beschrieben: „Wer ist unter euch übriggeblieben, <strong>de</strong>r dies Haus in seiner vorigen<br />

Herrlichkeit gesehen hat? und wie seht ihr‘s nun an? Ist‘s nicht also, es dünkt euch nichts zu<br />

sein?“ Haggai 2,3; Esra 3,12. Dann wur<strong>de</strong> die Verheißung gegeben, daß die Herrlichkeit<br />

dieses letzten Hauses größer sein sollte <strong>de</strong>nn die <strong>de</strong>s vorigen.<br />

Der zweite Tempel erreichte jedoch we<strong>de</strong>r die Großartigkeit <strong>de</strong>s ersten, noch wur<strong>de</strong> er<br />

durch jene sichtbaren Zeichen <strong>de</strong>r göttlichen Gegenwart geheiligt, die <strong>de</strong>m ersten Tempel<br />

eigen waren. Keine übernatürliche Macht offenbarte sich bei seiner Einweihung; die Wolke<br />

<strong>de</strong>r Herrlichkeit erfüllte nicht das neuerrichtete Heiligtum; kein Feuer fiel vom Himmel<br />

hernie<strong>de</strong>r, um das Opfer auf <strong>de</strong>m Altar zu verzehren. Die Herrlichkeit Gottes thronte nicht<br />

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<strong>Chaos</strong>theorie<br />

mehr zwischen <strong>de</strong>n Cherubim im Allerheiligsten; die Bun<strong>de</strong>sla<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong>nstuhl und die<br />

Gesetzestafeln wur<strong>de</strong>n nicht darin gefun<strong>de</strong>n. Keine Stimme erscholl vom Himmel, um <strong>de</strong>m<br />

fragen<strong>de</strong>n Priester <strong>de</strong>n Willen <strong>de</strong>s Höchsten kundzutun.<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rtelang versuchten die Ju<strong>de</strong>n vergebens zu zeigen, inwiefern jene durch<br />

Haggai ausgesprochene Verheißung Gottes erfüllt wor<strong>de</strong>n war. Stolz und Unglauben<br />

verblen<strong>de</strong>ten jedoch ihren Geist, so daß sie die wahre Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Worte <strong>de</strong>s Propheten<br />

nicht verstehen konnten. Der zweite Tempel wur<strong>de</strong> nicht durch die Wolke <strong>de</strong>r Herrlichkeit<br />

<strong>de</strong>s Herrn geehrt, son<strong>de</strong>rn durch die lebendige Gegenwart <strong>de</strong>s Einen, in <strong>de</strong>m die Fülle <strong>de</strong>r<br />

Gottheit leibhaftig wohnte — <strong>de</strong>r selbst Gott war, offenbart im Fleisch. Als <strong>de</strong>r Mann von<br />

Nazareth in <strong>de</strong>n heiligen Vorhöfen lehrte und heilte, war er tatsächlich als „aller Hei<strong>de</strong>n<br />

Bestes“ zu seinem Tempel gekommen. Durch die Gegenwart Christi, und nur dadurch,<br />

übertraf <strong>de</strong>r zweite Tempel die Herrlichkeit <strong>de</strong>s ersten. Aber Israel stieß die angebotene<br />

Gabe <strong>de</strong>s Himmels von sich. Mit <strong>de</strong>m <strong>de</strong>mütigen Lehrer, <strong>de</strong>r an jenem Tage durch das<br />

gol<strong>de</strong>ne Tor hinausging, wich die Herrlichkeit für immer vom Tempel, und damit waren die<br />

Worte <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s schon erfüllt: „Siehe euer Haus soll euch wüst gelassen<br />

wer<strong>de</strong>n.“ Matthäus 23,38.<br />

Die Jünger waren bei Jesu Prophezeiung von <strong>de</strong>r Zerstörung <strong>de</strong>s Tempels mit Scheu<br />

und Staunen erfüllt wor<strong>de</strong>n, und sie wünschten, daß er ihnen die Be<strong>de</strong>utung seiner Worte<br />

erläuterte. Reichtum, Arbeit und Baukunst waren über 40 Jahre lang in freigebiger Weise<br />

zur Verherrlichung <strong>de</strong>s Tempels eingesetzt wor<strong>de</strong>n. Hero<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Große hatte dafür sowohl<br />

römischen Reichtum als auch jüdische Schätze dafür aufgewandt, und sogar <strong>de</strong>r römische<br />

Kaiser hatte ihn mit seinen Geschenken bereichert. Massive Blöcke weißen Marmors von<br />

gera<strong>de</strong>zu unwahrscheinlicher Größe, zu diesem Zweck aus Rom herbeigeschafft, bil<strong>de</strong>ten<br />

einen Teil seines Baues; und darauf lenkten die Jünger die Aufmerksamkeit ihres Meisters,<br />

als sie sagten: „Meister, siehe, welche Steine und welch ein Bau ist das!“ Markus 13,1.<br />

Auf diese Worte gab Jesus die erste und bestürzen<strong>de</strong> Erwi<strong>de</strong>rung: „Wahrlich ich sage<br />

euch: Es wird hier nicht ein Stein auf <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn bleiben, <strong>de</strong>r nicht zerbrochen<br />

wer<strong>de</strong>.“ Matthäus 24,2. Die Jünger verban<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>r Zerstörung Jerusalems die Ereignisse<br />

<strong>de</strong>r persönlichen Wie<strong>de</strong>rkunft Christi in zeitlicher Herrlichkeit, um <strong>de</strong>n Thron <strong>de</strong>s<br />

Weltreiches einzunehmen, die unbußfertigen Ju<strong>de</strong>n zu strafen und das römische Joch zu<br />

zerbrechen. Der Herr hatte ihnen gesagt, daß er wie<strong>de</strong>rkommen wer<strong>de</strong>; <strong>de</strong>shalb richteten<br />

sich ihre Gedanken bei <strong>de</strong>r Erwähnung <strong>de</strong>r göttlichen Strafgerichte über Jerusalem auf jene<br />

Wie<strong>de</strong>rkunft. Und als sie auf <strong>de</strong>m Ölberg um <strong>de</strong>n Heiland versammelt waren, fragten sie ihn:<br />

„Sage uns, wann wird das geschehen? Und welches wird das Zeichen sein <strong>de</strong>iner Zukunft<br />

und <strong>de</strong>s En<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Welt?“ Matthäus 24,3.<br />

Die Zukunft war <strong>de</strong>n Jüngern barmherzigerweise verhüllt. Hätten sie zu jener Zeit die<br />

zwei furchtbaren Tatsachen — <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s Lei<strong>de</strong>n und Tod sowie die Zerstörung ihrer<br />

Stadt und <strong>de</strong>s Tempels — völlig verstan<strong>de</strong>n, so wären sie von Entsetzen überwältigt wor<strong>de</strong>n.<br />

Christus gab ihnen einen Umriß <strong>de</strong>r wichtigsten Ereignisse, die vor <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Zeit<br />

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<strong>Chaos</strong>theorie<br />

eintreten sollen. Seine Worte wur<strong>de</strong>n damals nicht völlig begriffen; aber ihr Sinn sollte<br />

enthüllt wer<strong>de</strong>n, sobald sein Volk <strong>de</strong>r darin gegebenen Belehrung bedurfte. Die von ihm<br />

ausgesprochene Prophezeiung galt einem doppelten Geschehen: sie bezog sich auf die<br />

Zerstörung Jerusalems, und gleichzeitig schil<strong>de</strong>rte sie die Schrecken <strong>de</strong>s Jüngsten Tages.<br />

Jesus erzählte <strong>de</strong>n lauschen<strong>de</strong>n Jüngern von <strong>de</strong>n Strafgerichten, die über das abtrünnige<br />

Israel kommen wür<strong>de</strong>n, und sprach beson<strong>de</strong>rs von <strong>de</strong>r vergelten<strong>de</strong>n Heimsuchung, die es<br />

wegen <strong>de</strong>r Verwerfung und Kreuzigung <strong>de</strong>s Messias ereilen sollte. Untrügliche Zeichen<br />

wür<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m furchtbaren En<strong>de</strong> vorausgehen. Die gefürchtete Stun<strong>de</strong> bräche schnell und<br />

unerwartet herein. Der Heiland warnte seine Nachfolger: „Wenn ihr nun sehen wer<strong>de</strong>t <strong>de</strong>n<br />

Greuel <strong>de</strong>r Verwüstung (davon gesagt ist durch <strong>de</strong>n Propheten Daniel), daß er steht an <strong>de</strong>r<br />

heiligen Stätte (wer das liest, <strong>de</strong>r merke darauf!), alsdann fliehe auf die Berge, wer im<br />

jüdischen Lan<strong>de</strong> ist.“ Matthäus 24,15.16; Lukas 21,20.<br />

Wenn die Römer ihre Standarten mit <strong>de</strong>n heidnischen Symbolen auf <strong>de</strong>n heiligen Bo<strong>de</strong>n,<br />

<strong>de</strong>r sich auch auf einige hun<strong>de</strong>rt Meter Lan<strong>de</strong>s außerhalb <strong>de</strong>r Stadtmauern erstreckte,<br />

aufgepflanzt hätten, dann sollten sich die Nachfolger Christi durch die Flucht retten. Sobald<br />

das Warnungszeichen sichtbar wür<strong>de</strong>, dürften alle, die entrinnen wollen, nicht zögern; im<br />

ganzen Land Judäa wie in Jerusalem selbst müßte man <strong>de</strong>m Zeichen <strong>de</strong>r Flucht sofort<br />

gehorchen. Wer gera<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>m Dache wäre, dürfte nicht ins Haus gehen, selbst nicht um<br />

seine wertvollsten Schätze zu retten. Wer auf <strong>de</strong>m Feld o<strong>de</strong>r im Weinberg arbeitete, sollte<br />

sich nicht die Zeit nehmen, wegen <strong>de</strong>s Oberklei<strong>de</strong>s, das er wegen <strong>de</strong>r Hitze <strong>de</strong>s Tages<br />

abgelegt hatte, zurückzukehren. Sie dürften keinen Augenblick zögern, wenn sie nicht bei<br />

<strong>de</strong>r allgemeinen Zerstörung mit zugrun<strong>de</strong> gehen wollten.<br />

Während <strong>de</strong>r Regierungszeit <strong>de</strong>s Hero<strong>de</strong>s war Jerusalem nicht nur be<strong>de</strong>utend<br />

verschönert wor<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn durch die Errichtung von Türmen und Mauern und<br />

Festungswerken war die von Natur schon geschützte Stadt, wie es schien, uneinnehmbar<br />

gewor<strong>de</strong>n. Wer zu dieser Zeit öffentlich ihre Zerstörung vorhergesagt hätte, wäre wie einst<br />

Noah ein verrückter Schwarzseher genannt wor<strong>de</strong>n. Christus hatte jedoch gesagt: „Himmel<br />

und Er<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n vergehen; aber meine Worte wer<strong>de</strong>n nicht vergehen.“ Matthäus 24,35.<br />

Weil die Kin<strong>de</strong>r Israel gesündigt hatten, war Jerusalem Gottes Zorn angedroht wor<strong>de</strong>n. Ihr<br />

hartnäckiger Unglaube besiegelte ihr Schicksal.<br />

Der Herr hatte durch <strong>de</strong>n Propheten Micha erklärt: „So höret doch dies, ihr Häupter im<br />

Hause Jakob und ihr Fürsten im Hause Israel, die ihr das Recht verschmähet und alles, was<br />

aufrichtig ist, verkehret; die ihr Zion mit Blut bauet und Jerusalem mit Unrecht: Ihre<br />

Häupter richten um Geschenke, ihre Priester lehren um Lohn, und ihre Propheten wahrsagen<br />

um Geld, verlassen sich auf <strong>de</strong>n Herrn und sprechen: Ist nicht <strong>de</strong>r Herr unter uns? Es kann<br />

kein Unglück über uns kommen.“ Micha 3,9-11.<br />

Diese Worte schil<strong>de</strong>rn genau die ver<strong>de</strong>rbten und selbstgerechten Einwohner Jerusalems.<br />

Während sie behaupteten, die Vorschriften <strong>de</strong>s Gesetzes Gottes streng zu beachten,<br />

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<strong>Chaos</strong>theorie<br />

übertraten sie alle seine Grundsätze. Sie haßten Christus, weil seine Reinheit und Heiligkeit<br />

ihre Bosheit offenbarte. Sie klagten ihn an, die Ursache all <strong>de</strong>s Unglücks zu sein, das infolge<br />

ihrer Sün<strong>de</strong>n sie bedrängte. Obwohl sie wußten, daß er sündlos war, erklärten sie für die<br />

Sicherheit ihrer Nation seinen Tod als notwendig. „Lassen wir ihn also“, sagten die<br />

jüdischen Obersten, „so wer<strong>de</strong>n sie also an ihn glauben; so kommen dann die Römer und<br />

nehmen uns Land und Leute.“ Wenn Christus geopfert wür<strong>de</strong>, könnten sie noch einmal ein<br />

starkes, einiges Volk wer<strong>de</strong>n, so urteilten sie und stimmten <strong>de</strong>r Entscheidung ihres<br />

Hohenpriesters zu, daß es besser sei, „ein Mensch sterbe ... <strong>de</strong>nn daß das ganze Volk<br />

ver<strong>de</strong>rbe“. Johannes 11,48.50.<br />

Auf diese Weise hatten die führen<strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>n „Zion mit Blut ... und Jerusalem mit<br />

Unrecht“ gebaut, und während sie ihren Heiland töteten, weil er ihre Sün<strong>de</strong>n geta<strong>de</strong>lt hatte,<br />

war ihre Selbstgerechtigkeit so groß, daß sie sich als das begna<strong>de</strong>te Volk Gottes betrachteten<br />

und vom Herrn erwarteten, er wer<strong>de</strong> sie von ihren Fein<strong>de</strong>n befreien. „Darum“, fuhr <strong>de</strong>r<br />

Prophet fort, „wird Zion um euretwillen wie ein Acker gepflügt wer<strong>de</strong>n, und Jerusalem wird<br />

zum Steinhaufen wer<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>r Berg <strong>de</strong>s Tempels zu einer Höhe wil<strong>de</strong>n<br />

Gestrüpps.“ Micha 3,10.12.<br />

Nach<strong>de</strong>m das Schicksal Jerusalems von Christus selbst verkün<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n war, hielt <strong>de</strong>r<br />

Herr seine Strafgerichte über Stadt und Volk fast 40 Jahre zurück. Bewun<strong>de</strong>rnswert war die<br />

Langmut Gottes gegen jene, die sein Evangelium verworfen und seinen Sohn gemor<strong>de</strong>t<br />

hatten. Das Gleichnis vom unfruchtbaren Feigenbaum zeigt uns das Verhalten Gottes<br />

gegenüber <strong>de</strong>m jüdischen Volk. Das Gebot war ausgegangen: „Haue ihn ab! was hin<strong>de</strong>rt er<br />

das Land?“ Lukas 13,7. Aber die göttliche Gna<strong>de</strong> verschonte das Volk noch eine letzte Zeit.<br />

Es gab noch viele Ju<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Charakter und das Werk Christi unbekannt waren; die<br />

Kin<strong>de</strong>r hatten nicht die günstigen Gelegenheiten gehabt und nicht das Licht empfangen, das<br />

ihre Eltern zurückgewiesen hatten. Durch die Predigt <strong>de</strong>r Apostel und ihrer<br />

Glaubensgefährten wollte Gott auch ihnen das Licht scheinen lassen; sie durften erkennen,<br />

wie die Prophezeiung nicht nur durch die Geburt und das Leben Christi, son<strong>de</strong>rn auch durch<br />

seinen Tod und seine Auferstehung erfüllt wor<strong>de</strong>n war. Die Kin<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong>n nicht um <strong>de</strong>r<br />

Sün<strong>de</strong>n ihrer Eltern willen verurteilt; sobald sie aber trotz <strong>de</strong>r Kenntnis alles Lichtes, das<br />

ihren Eltern gegeben wor<strong>de</strong>n war, das hinzugekommene, ihnen selbst gewährte Licht<br />

verwarfen, wur<strong>de</strong>n sie Teilhaber <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>n ihrer Eltern und füllten das Maß ihrer Missetat.<br />

Gottes Langmut gegen Jerusalem bestärkte die Ju<strong>de</strong>n nur in ihrer hartnäckigen<br />

Unbußfertigkeit. In ihrem Haß und in ihrer Grausamkeit gegen die Jünger Jesu verwarfen<br />

sie das letzte Anerbieten <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong>. Daraufhin entzog Gott ihnen seinen Schutz; er<br />

beschränkte die Macht Satans und seiner Engel nicht länger, und die jüdische Nation wur<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Herrschaft <strong>de</strong>s Führers überlassen, <strong>de</strong>n sie sich erwählt hatte. Ihre Kin<strong>de</strong>r verschmähten<br />

die Gna<strong>de</strong> Christi, die sie befähigt hätte,ihre bösen Triebe zu unterdrücken,und diese<br />

bekamen nun die Oberhand. Satan erweckte die heftigsten und niedrigsten Lei<strong>de</strong>nschaften<br />

<strong>de</strong>r Seele. Die Menschen han<strong>de</strong>lten ohne Überlegung; sie waren von Sinnen, nur noch<br />

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<strong>Chaos</strong>theorie<br />

erfüllt von Begier<strong>de</strong> und blin<strong>de</strong>r Wut. Sie wur<strong>de</strong>n satanisch in ihrer Grausamkeit. In <strong>de</strong>r<br />

Familie wie unter <strong>de</strong>m Volk, unter <strong>de</strong>n höchsten wie unter <strong>de</strong>n niedrigsten Klassen<br />

herrschten Argwohn, Neid, Haß, Streit, Empörung, Mord. Nirgends war Sicherheit zu<br />

fin<strong>de</strong>n. Freun<strong>de</strong> und Verwandte verrieten einan<strong>de</strong>r. Eltern erschlugen ihre Kin<strong>de</strong>r und<br />

Kin<strong>de</strong>r ihre Eltern. Die Führer <strong>de</strong>s Volkes hatten nicht die Kraft sich selbst zu beherrschen.<br />

Ungezügelte Lei<strong>de</strong>nschaften machten sie zu Tyrannen. Die Ju<strong>de</strong>n hatten ein falsches<br />

Zeugnis angenommen, um <strong>de</strong>n unschuldigen Gottessohn zu verurteilen. Jetzt machten<br />

falsche Anklagen ihr eigenes Leben unsicher. Durch ihre Handlungen hatten sie lange genug<br />

zu erkennen gegeben: „Lasset <strong>de</strong>n Heiligen Israels aufhören bei uns!“ Jesaja 30,11. Nun war<br />

ihr Wunsch erfüllt; Gottes Furcht beunruhigte sie nicht länger. Satan stand an <strong>de</strong>r Spitze <strong>de</strong>r<br />

Nation, und er beherrschte die höchste zivile und religiöse Obrigkeit.<br />

Die Führer <strong>de</strong>r Gegenparteien vereinigten sich zeitweise, um ihre unglücklichen Opfer<br />

zu plün<strong>de</strong>rn und zu martern, und dann fielen sie übereinan<strong>de</strong>r her und mor<strong>de</strong>ten ohne Gna<strong>de</strong>.<br />

Selbst die Heiligkeit <strong>de</strong>s Tempels konnte ihre schreckliche Grausamkeit nicht zügeln. Die<br />

Anbeten<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>n vor <strong>de</strong>m Altar nie<strong>de</strong>rgemetzelt und das Heiligtum durch die Leichname<br />

<strong>de</strong>r Erschlagenen verunreinigt. Dennoch erklärten die Anstifter dieses höllischen Werkes in<br />

ihrer blin<strong>de</strong>n und gotteslästerlichen Vermessenheit öffentlich, daß sie nicht fürchteten,<br />

Jerusalem könnte zerstört wer<strong>de</strong>n; <strong>de</strong>nn es sei Gottes eigene Stadt. Um ihre Macht zu<br />

stärken, bestachen sie falsche Propheten, die, selbst als die römischen Legionen bereits <strong>de</strong>n<br />

Tempel belagerten, verkündigen mußten, daß das Volk <strong>de</strong>r Befreiung durch Gott harren<br />

solle. Bis zum En<strong>de</strong> hielt die Menge an <strong>de</strong>m Glauben fest, daß sich <strong>de</strong>r Allerhöchste zur<br />

Vernichtung <strong>de</strong>r Gegner ins Mittel legen wer<strong>de</strong>. Israel aber hatte die göttliche Hilfe<br />

verschmäht und war nun <strong>de</strong>n Fein<strong>de</strong>n schutzlos preisgegeben. Unglückliches Jerusalem!<br />

Durch innere Zwistigkeiten zerrissen, die Straßen vom Blut seiner Söhne gefärbt, die sich<br />

gegenseitig erwürgten, während frem<strong>de</strong> Heere seine Festungswerke nie<strong>de</strong>rwarfen und seine<br />

Krieger erschlugen, so erfüllten sich buchstäblich alle Weissagungen Christi über die<br />

Zerstörung Jerusalems. Das jüdische Volk mußte die Wahrheit <strong>de</strong>r Warnungsbotschaften<br />

Christi am eigenen Leibe erfahren: „Mit welcherlei Maß ihr messet, wird euch gemessen<br />

wer<strong>de</strong>n.“ Matthäus 7,2.<br />

Als Vorboten <strong>de</strong>s Unglücks und Untergangs erschienen Zeichen und Wun<strong>de</strong>r. Mitten in<br />

<strong>de</strong>r Nacht schwebte ein unnatürliches Licht über Tempel und Altar. Die Abendwolken<br />

glichen in ihren Umrissen sich zum Kampfe sammeln<strong>de</strong>n Kriegern und Streitwagen. Die<br />

nachts im Heiligtum dienen<strong>de</strong>n Priester wur<strong>de</strong>n durch geheimnisvolle Töne erschreckt; die<br />

Er<strong>de</strong> erbebte, und einen Chor von Stimmen hörte man sagen: „Lasset uns von hinnen<br />

gehen!“ Das große östliche Tor, das so schwer war, daß es von 20 Männern nur mit Mühe<br />

geschlossen wer<strong>de</strong>n konnte und <strong>de</strong>ssen ungeheure eiserne Riegel tief in <strong>de</strong>r Steinschwelle<br />

befestigt waren, tat sich um Mitternacht von selbst auf.<br />

Sieben Jahre lang ging ein Mann durch die Straßen Jerusalems und verkündigte <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r<br />

Stadt drohen<strong>de</strong>n Untergang. Tag und Nacht sang er das wil<strong>de</strong> Trauerlied: „Stimme von<br />

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<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Morgen, Stimme von Abend, Stimme von <strong>de</strong>n vier Win<strong>de</strong>n, Stimme über Jerusalem und <strong>de</strong>n<br />

Tempel, Stimme über <strong>de</strong>n Bräutigam und die Braut, Stimme über das ganze Volk.“ Dies<br />

seltsame Wesen wur<strong>de</strong> eingekerkert und gegeißelt; aber keine Klage kam über seine Lippen.<br />

Auf Schmähungen und Mißhandlungen antwortete er nur: „Wehe, wehe Jerusalem! Wehe,<br />

wehe <strong>de</strong>r Stadt, <strong>de</strong>m Volk und <strong>de</strong>m Tempel!“ Dieser Warnungsruf hörte nicht auf, bis <strong>de</strong>r<br />

Mann bei <strong>de</strong>r Belagerung, die er vorhergesagt hatte, getötet wur<strong>de</strong>.<br />

Nicht ein Christ kam bei <strong>de</strong>r Zerstörung Jerusalems ums Leben. Christus hatte seine<br />

Jünger gewarnt, und alle, die seinen Worten glaubten, warteten auf das verheißen<strong>de</strong> Zeichen.<br />

„Wenn ihr aber sehen wer<strong>de</strong>t Jerusalem belagert mit einem Heer,“ sagte Jesus, „so merket,<br />

daß herbeigekommen ist seine Verwüstung. Alsdann, wer in Judäa ist, <strong>de</strong>r fliehe auf das<br />

Gebirge, und wer drinnen ist, <strong>de</strong>r weiche heraus.“ Lukas 21,20.21. Nach<strong>de</strong>m die Römer<br />

unter Cestius die Stadt eingeschlossen hatten, hoben sie unerwartet die Belagerung auf,<br />

gera<strong>de</strong> zu einer Zeit, als alles für <strong>de</strong>n Erfolg eines sofortigen Angriffs sprach. Die<br />

Belagerten, die an einem erfolgreichen Wi<strong>de</strong>rstand zweifelten, waren im Begriff, sich zu<br />

ergeben, als <strong>de</strong>r römische Feldherr ohne ersichtlichen Grund plötzlich seine Streitkraft<br />

zurückzog. Gottes gnädige Vorsehung gestaltete die Ereignisse zum Besten seines Volkes.<br />

Das war das verheißene Zeichen für die warten<strong>de</strong>n Christen. Nun wur<strong>de</strong> allen, die <strong>de</strong>r<br />

Warnung <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s Folge leisten wollten, dazu Gelegenheit geboten, und zwar konnten<br />

nach Gottes Willen we<strong>de</strong>r die Ju<strong>de</strong>n noch die Römer die Flucht <strong>de</strong>r Christen verhin<strong>de</strong>rn.<br />

Nach <strong>de</strong>m Rückzug <strong>de</strong>s Cestius machten die Ju<strong>de</strong>n einen Ausfall aus Jerusalem und<br />

verfolgten das sich zurückziehen<strong>de</strong> Heer, und während bei<strong>de</strong>r Streitkräfte auf diese Weise<br />

völlig in Anspruch genommen waren, verließen die Christen die Stadt. Um diese Zeit war<br />

auch das Land von Fein<strong>de</strong>n frei, die hätten versuchen können, sie aufzuhalten. Zur Zeit <strong>de</strong>r<br />

Belagerung waren die Ju<strong>de</strong>n in Jerusalem versammelt, um das Laubhüttenfest zu feiern, und<br />

dadurch hatten die Christen im ganzen Land die Möglichkeit, sich unbehelligt in Sicherheit<br />

zu bringen. Ohne Zögern flohen sie nach einem sicheren Ort — nach <strong>de</strong>r Stadt Pella im<br />

Lan<strong>de</strong> Peräa, jenseits <strong>de</strong>s Jordans.<br />

Die jüdischen Streiter, die Cestius und sein Heer verfolgten, warfen sich mit solcher<br />

Wut auf <strong>de</strong>ssen Nachhut, daß ihr vollständige Vernichtung drohte. Nur unter großen<br />

Schwierigkeiten gelang es <strong>de</strong>n Römern, sich zurückzuziehen. Die Ju<strong>de</strong>n blieben nahezu<br />

ohne Verluste und kehrten mit ihrer Beute triumphierend nach Jerusalem zurück. Doch<br />

dieser scheinbare Erfolg brachte ihnen nur Unheil. Er beseelte sie mit einem außeror<strong>de</strong>ntlich<br />

hartnäckigen Wi<strong>de</strong>rstandsgeist gegen die Römer, wodurch schnell unaussprechliches Weh<br />

über die verurteilte Stadt hereinbrach.<br />

Schrecklich war das Unglück, das über Jerusalem kam, als Titus die Belagerung wie<strong>de</strong>r<br />

aufnahm. Die Stadt wur<strong>de</strong> zur Zeit <strong>de</strong>s Passahfestes umlagert, als Millionen Ju<strong>de</strong>n in ihren<br />

Mauern weilten. Die Lebensmittelvorräte, die, sorgfältig aufbewahrt, jahrelang für die<br />

Bewohner ausgereicht hätten, waren schon durch die Mißgunst und <strong>de</strong>r Rache <strong>de</strong>r<br />

streiten<strong>de</strong>n Parteien zerstört wor<strong>de</strong>n, und jetzt erlitten sie alle Schrecken <strong>de</strong>r Hungersnot.<br />

15


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Ein Maß Weizen wur<strong>de</strong> für ein Talent verkauft. Die Hungerqualen waren so schrecklich,<br />

daß manche an <strong>de</strong>m Le<strong>de</strong>r ihrer Gürtel, an ihren Sandalen und an <strong>de</strong>n Bezügen ihrer Schil<strong>de</strong><br />

nagten. Viele Bewohner schlichen zur Nachtzeit aus <strong>de</strong>r Stadt, um wil<strong>de</strong> Kräuter zu<br />

sammeln, die außerhalb <strong>de</strong>r Stadtmauern wuchsen, obwohl etliche ergriffen und unter<br />

grausamen Martern getötet wur<strong>de</strong>n, während man an<strong>de</strong>ren, die wohlbehalten zurückgekehrt<br />

waren, die Kräuter wegnahm, die sie unter so großen Gefahren gesammelt hatten. Die<br />

unmenschlichsten Qualen wur<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n Machthabern auferlegt, um <strong>de</strong>n vom Mangel<br />

Bedrückten die letzten spärlichen Vorräte, die sie möglicherweise verborgen hatten,<br />

abzuzwingen. Nicht selten begingen diese Grausamkeiten wohlgenährte Menschen, die nur<br />

danach trachteten einen Lebensmittelvorrat für die Zukunft aufzuspeichern.<br />

Tausen<strong>de</strong> starben an Hunger und Seuchen. Die natürlichen Ban<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Liebe schienen<br />

zerstört zu sein. Der Mann beraubte seine Frau und die Frau ihren Mann. Man sah Kin<strong>de</strong>r,<br />

die <strong>de</strong>n greisen Eltern das Brot vom Mun<strong>de</strong> wegrissen. Der Frage <strong>de</strong>s Propheten: „Kann<br />

auch ein Weib ihres Kindleins vergessen?“ Jesaja 49,15. wur<strong>de</strong> innerhalb <strong>de</strong>r Mauern jener<br />

verurteilten Stadt die Antwort zuteil: „Es haben die barmherzigsten Weiber ihre Kin<strong>de</strong>r<br />

selbst müssen kochen, daß sie zu essen hätten in <strong>de</strong>m Jammer <strong>de</strong>r Tochter meines<br />

Volkes.“ Klagelie<strong>de</strong>r 4,10. Wie<strong>de</strong>rum erfüllte sich die warnen<strong>de</strong> Weissagung, die vierzehn<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rte zuvor gegeben wor<strong>de</strong>n war:<br />

„Ein Weib unter euch, das zuvor zärtlich und in Üppigkeit gelebt hat, daß sie nicht<br />

versucht hat, ihre Fußsohle auf die Er<strong>de</strong> zu setzen, vor Zärtlichkeit und Wohlleben, die wird<br />

<strong>de</strong>m Manne in ihren Armen und ihrem Sohne und ihrer Tochter nicht gönnen die<br />

Nachgeburt, ... dazu ihre Söhne, die sie geboren hat; <strong>de</strong>nn sie wer<strong>de</strong>n sie vor Mangel an<br />

allem heimlich essen in <strong>de</strong>r Angst und Not, womit dich <strong>de</strong>in Feind bedrängen wird in <strong>de</strong>inen<br />

Toren.“ 5.Mose 28,56.57.<br />

Die römischen Anführer versuchten, die Ju<strong>de</strong>n mit Schrecken zu erfüllen und dadurch<br />

zur Übergabe zu bewegen. Israeliten, die sich ihrer Gefangennahme wi<strong>de</strong>rsetzten, wur<strong>de</strong>n<br />

gegeißelt, gefoltert und vor <strong>de</strong>r Stadtmauer gekreuzigt. Hun<strong>de</strong>rte erlitten täglich auf diese<br />

Weise <strong>de</strong>n Tod, und dieses grauenvolle Werk setzte man so lange fort, bis im Tal Josaphat<br />

und auf Golgatha soviel Kreuze aufgerichtet waren, daß kaum Raum blieb, sich zwischen<br />

ihnen zu bewegen. Schrecklich erfüllte sich die frevelhafte, vor <strong>de</strong>m Richterstuhl <strong>de</strong>s Pilatus<br />

ausgesprochene Verwünschung: „Sein Blut komme über uns und über unsre<br />

Kin<strong>de</strong>r!“ Matthäus 27,25.<br />

Titus hätte <strong>de</strong>r Schreckensszene gern ein En<strong>de</strong> gemacht und damit <strong>de</strong>r Stadt Jerusalem<br />

das volle Maß ihres Gerichtes erspart. Entsetzen packte ihn, als er die Leichname <strong>de</strong>r<br />

Erschlagenen haufenweise in <strong>de</strong>n Tälern liegen sah. Wie überwältigt schaute er vom Gipfel<br />

<strong>de</strong>s Ölberges auf <strong>de</strong>n herrlichen Tempel und gab Befehl, nicht einen Stein davon zu<br />

berühren. Ehe er daranging, diese Stätte einzunehmen, beschwor er die jüdischen Führer in<br />

einem ernsten Aufruf, ihn nicht zu zwingen die heilige Stätte mit Blut zu entweihen. Wenn<br />

sie herauskommen und an irgen<strong>de</strong>inem an<strong>de</strong>rn Ort kämpfen wollten, so sollte kein Römer<br />

16


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

die Heiligkeit <strong>de</strong>s Tempels verletzen. Josephus gar for<strong>de</strong>rte sie mit höchst beredten Worten<br />

auf, <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rstand einzustellen und sich selbst, ihre Stadt und die Stätte <strong>de</strong>r Anbetung zu<br />

retten. Aber seine Worte wur<strong>de</strong>n mit bitteren Verwünschungen beantwortet. Wurfspieße<br />

schleu<strong>de</strong>rte man nach ihm, ihrem letzten menschlichen Vermittler, als er vor ihnen stand,<br />

um mit ihnen zu verhan<strong>de</strong>ln. Die Ju<strong>de</strong>n hatten die Bitten <strong>de</strong>s Sohnes Gottes verwor- fen,<br />

und nun machten die ernsten Vorstellungen und flehentlichen Bitten sie nur um so<br />

entschie<strong>de</strong>ner, bis zum letzten Wi<strong>de</strong>rstand zu leisten. Die Bemühungen <strong>de</strong>s Titus, <strong>de</strong>n<br />

Tempel zu retten, waren vergeblich. Ein Größerer als er hatte erklärt, daß nicht ein Stein auf<br />

<strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn bleiben sollte.<br />

Die blin<strong>de</strong> Hartnäckigkeit <strong>de</strong>r führen<strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>n und die verabscheuungswürdigen<br />

Verbrechen, die in <strong>de</strong>r belagerten Stadt verübt wur<strong>de</strong>n, erweckten bei <strong>de</strong>n Römern Entsetzen<br />

und Entrüstung, und endlich beschloß Titus, <strong>de</strong>n Tempel im Sturm zu nehmen, ihn aber,<br />

wenn möglich, vor <strong>de</strong>r Zerstörung zu bewahren. Seine Befehle wur<strong>de</strong>n jedoch mißachtet.<br />

Als er sich abends in sein Zelt zurückgezogen hatte, unternahmen die Ju<strong>de</strong>n einen Ausfall<br />

aus <strong>de</strong>m Tempel und griffen die Soldaten draußen an. Im Handgemenge wur<strong>de</strong> von einem<br />

Soldaten ein Feuerbrand durch die Öffnung <strong>de</strong>r Halle geschleu<strong>de</strong>rt, und unmittelbar darauf<br />

stan<strong>de</strong>n die mit Ze<strong>de</strong>rnholz getäfelten Räume <strong>de</strong>s heiligen Gebäu<strong>de</strong>s in Flammen. Titus eilte<br />

mit seinen Obersten und Legionären herbei und befahl <strong>de</strong>n Soldaten, die Flammen zu<br />

löschen. Seine Worte blieben unbeachtet. In ihrer Wut schleu<strong>de</strong>rten die Legionäre<br />

Feuerbrän<strong>de</strong> in die an <strong>de</strong>n Tempel stoßen<strong>de</strong>n Gemächer und metzelten viele, die dort<br />

Zuflucht gesucht hatten, mit <strong>de</strong>m Schwert nie<strong>de</strong>r. Das Blut floß gleich Wasser die<br />

Tempelstufen hinunter. Tausen<strong>de</strong> und aber Tausen<strong>de</strong> von Ju<strong>de</strong>n kamen um. Das<br />

Schlachtgetöse wur<strong>de</strong> übertönt von <strong>de</strong>m Ruf: „Ikabod!“, das heißt die Herrlichkeit ist dahin.<br />

„Titus war es unmöglich, <strong>de</strong>r Wut <strong>de</strong>r Soldaten Einhalt zu gebieten; er trat mit seinen<br />

Offizieren ein und besichtigte das Innere <strong>de</strong>s heiligen Gebäu<strong>de</strong>s. Der Glanz erregte ihre<br />

Bewun<strong>de</strong>rung, und da die Flammen noch nicht bis zum Heiligtum vorgedrungen waren,<br />

unternahm er einen letzten Versuch, es zu retten. Er sprang hervor und for<strong>de</strong>rte die<br />

Mannschaften auf, das Umsichgreifen <strong>de</strong>r Feuersbrunst zu verhin<strong>de</strong>rn. Der Hauptmann<br />

Liberalis versuchte mit seinem Stab Gehorsam zu erzwingen; doch selbst die Achtung vor<br />

ihrem Feldherrn verging vor <strong>de</strong>r rasen<strong>de</strong>n Feindseligkeit gegen die Ju<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r heftigen<br />

Aufregung <strong>de</strong>s Kampfes und <strong>de</strong>r unersättlichen Beutegier. Die Soldaten sahen alles um sich<br />

herum von Gold blitzen, das in <strong>de</strong>m wil<strong>de</strong>n Lo<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Flammen einen blen<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Glanz<br />

ausstrahl te; sie wähnten unermeßliche Schätze im Heiligtum aufgespeichert. Unbemerkt<br />

warf ein Soldat eine brennen<strong>de</strong> Fackel zwischen die Angeln <strong>de</strong>r Tür, und im Nu stand das<br />

ganze Gebäu<strong>de</strong> in Flammen. Die dichten Rauchschwa<strong>de</strong>n und das Feuer zwangen die<br />

Offiziere, sich zurückzuziehen und das herrliche Gebäu<strong>de</strong> seinem Schicksal zu überlassen.<br />

War es schon für die Römer ein erschrecken<strong>de</strong>s Schauspiel, wie mögen es erst die Ju<strong>de</strong>n<br />

empfun<strong>de</strong>n haben! Die ganze Höhe, die die Stadt weit überragte, erschien wie ein<br />

feuerspeien<strong>de</strong>r Berg. Ein Gebäu<strong>de</strong> nach <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn stürzte mit furchtbarem Krachen<br />

17


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

zusammen und wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>m feurigen Abgrund verschlungen. Die Dächer aus Ze<strong>de</strong>rnholz<br />

glichen einem Feuermeer, die vergol<strong>de</strong>ten Zinnen glänzten wie flammen<strong>de</strong> Feuerzungen,<br />

die Türme <strong>de</strong>r Tore schossen Flammengarben und Rauchsäulen empor. Die benachbarten<br />

Hügel waren erleuchtet; gespenstisch wirken<strong>de</strong> Zuschauergruppen verfolgten in<br />

fürchterlicher Angst die fortschreiten<strong>de</strong> Zerstörung; auf <strong>de</strong>n Mauern und Höhen <strong>de</strong>r oberen<br />

Stadt drängte sich Kopf an Kopf. Manche waren bleich vor Angst und Verzweiflung, an<strong>de</strong>re<br />

blickten düster, in ohnmächtiger Rache. Die Rufe <strong>de</strong>r hin und her eilen<strong>de</strong>n römischen<br />

Soldaten, das Heulen <strong>de</strong>r Aufständischen, die in <strong>de</strong>n Flammen umkamen, vermischten sich<br />

mit <strong>de</strong>m Brüllen <strong>de</strong>r Feuersbrunst und <strong>de</strong>m donnern<strong>de</strong>n Krachen <strong>de</strong>s stürzen<strong>de</strong>n Gebälks.<br />

Das Echo antwortete von <strong>de</strong>n Bergen und ließ die Schreckensrufe <strong>de</strong>s Volkes auf <strong>de</strong>n Höhen<br />

wi<strong>de</strong>rhallen; entlang <strong>de</strong>r Wälle erscholl Angstgeschrei und Wehklagen; Menschen, die von<br />

<strong>de</strong>r Hungersnot erschöpft im Sterben lagen, rafften alle Kraft zusammen, um einen letzten<br />

Schrei <strong>de</strong>r Angst und <strong>de</strong>r Verlassenheit auszustoßen. Das Blutbad im Innern war noch<br />

schrecklicher als <strong>de</strong>r Anblick von außen. Männer und Frauen, alt und jung, Aufrührer und<br />

Priester, Kämpfen<strong>de</strong> und um Gna<strong>de</strong> Flehen<strong>de</strong> wur<strong>de</strong>n unterschiedslos nie<strong>de</strong>rgemetzelt. Die<br />

Anzahl <strong>de</strong>r Erwürgten überstieg die <strong>de</strong>r Würger. Die Legionäre mußten über Berge von<br />

Toten hinwegsteigen, um ihr Vertilgungswerk fortsetzen zu können.“<br />

Nach <strong>de</strong>r Zerstörung <strong>de</strong>s Tempels fiel bald die ganze Stadt in die Hän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Römer. Die<br />

Obersten <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n gaben ihre uneinnehmbar scheinen<strong>de</strong>n Türme auf, und Titus fand sie<br />

alle verlassen. Staunend blickte er auf sie und erklärte, daß Gott sie in seine Hän<strong>de</strong> gegeben<br />

habe; <strong>de</strong>nn keine Kriegsmaschine, wie gewaltig sie auch sein mochte, hätte jene<br />

staunenswerten Festungsmauern bezwingen können. Sowohl die Stadt als auch <strong>de</strong>r Tempel<br />

wur<strong>de</strong>n bis auf die Grundmauern geschleift, und <strong>de</strong>r Bo<strong>de</strong>n, auf <strong>de</strong>m das heilige Gebäu<strong>de</strong><br />

gestan<strong>de</strong>n hatte, wur<strong>de</strong> „wie ein Acker gepflügt“. Jeremia 6,18. Während <strong>de</strong>r Belagerung<br />

und bei <strong>de</strong>m darauffolgen<strong>de</strong>n Gemetzel kamen über eine Million Menschen ums Leben; die<br />

Überleben<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>n in die Gefangenschaft geführt, als Sklaven verkauft, nach Rom<br />

geschleppt, um <strong>de</strong>n Triumph <strong>de</strong>s Eroberers zu zieren, sie wur<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n Amphitheatern <strong>de</strong>n<br />

wil<strong>de</strong>n Tieren vorgeworfen o<strong>de</strong>r als heimatlose Wan<strong>de</strong>rer über die ganze Er<strong>de</strong> zerstreut.<br />

Die Ju<strong>de</strong>n hatten sich selbst die Fesseln geschmie<strong>de</strong>t, sich selbst <strong>de</strong>n Becher <strong>de</strong>r Rache<br />

gefüllt. In <strong>de</strong>r vollständigen Vernichtung, die ihnen als Nation wi<strong>de</strong>rfuhr, und in all <strong>de</strong>m<br />

Weh, das ihnen in die Diaspora (Zerstreuung) nachfolgte, ernteten sie nur, was sie mit<br />

eigenen Hän<strong>de</strong>n gesät hatten. Ein Prophet schrieb einst: „Israel, du bringst dich in<br />

Unglück! ... <strong>de</strong>nn du bist gefallen um <strong>de</strong>iner Missetat willen.“ Hosea 13,9; Hosea 14,2. Ihre<br />

Lei<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n oft als eine Strafe hingestellt, mit <strong>de</strong>r sie auf direkten Befehl Gottes<br />

heimgesucht wur<strong>de</strong>n. Auf diese Weise sucht <strong>de</strong>r große Betrüger sein eigenes Werk zu<br />

verbergen. Durch eigensinnige Verwerfung <strong>de</strong>r göttlichen Liebe und Gna<strong>de</strong> hatten die Ju<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>n Schutz Gottes verwirkt, so daß Satan sie nach seinem Willen beherrschen konnte. Die<br />

schrecklichen Grausamkeiten, die bei <strong>de</strong>r Zerstörung Jerusalems verübt wor<strong>de</strong>n waren,<br />

kennzeichnen Satans rachsüchtige Macht über jene, die sich seiner ver<strong>de</strong>rbenbringen<strong>de</strong>n<br />

Herrschaft unterstellen.<br />

18


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Wir können nicht ermessen, wieviel wir Christus für <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>n und Schutz schuldig<br />

sind, <strong>de</strong>ren wir uns erfreuen. Es ist die mäßigen<strong>de</strong> Kraft Gottes, die verhin<strong>de</strong>rt, daß die<br />

Menschen völlig unter die Herrschaft Satans geraten. Die Ungehorsamen und die<br />

Undankbaren haben allen Grund, Gott für seine Gna<strong>de</strong> und Langmut dankbar zu sein, weil<br />

er die grausame, boshafte Macht <strong>de</strong>s Bösen im Zaum hält. Überschreiten aber die Menschen<br />

die Grenzen <strong>de</strong>r göttlichen Nachsicht, dann wird jene Einschränkung aufgehoben. Gott tritt<br />

<strong>de</strong>m Sün<strong>de</strong>r nicht als Scharfrichter gegenüber, son<strong>de</strong>rn er überläßt jene, die seine Gna<strong>de</strong><br />

verwerfen, sich selbst, damit sie ernten, was sie gesät haben. Je<strong>de</strong>r verworfene Lichtstrahl,<br />

je<strong>de</strong> verschmähte o<strong>de</strong>r unbeachtete Warnung, je<strong>de</strong> gedul<strong>de</strong>te Lei<strong>de</strong>nschaft, je<strong>de</strong> Übertretung<br />

<strong>de</strong>s Gesetzes Gottes ist eine Saat, die ihre bestimmte Ernte hervorbringen wird. Der Geist<br />

Gottes wird sich schließlich von <strong>de</strong>m Sün<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r sich ihm beharrlich wi<strong>de</strong>rsetzt,<br />

zurückziehen, und dann bleibt <strong>de</strong>m Betreffen<strong>de</strong>n we<strong>de</strong>r die Kraft, die bösen Lei<strong>de</strong>nschaften<br />

<strong>de</strong>r Seele zu beherrschen, noch <strong>de</strong>r Schutz, <strong>de</strong>r ihn vor <strong>de</strong>r Bosheit und Feindschaft Satans<br />

bewahrt. Die Zerstörung Jerusalems ist eine furchtbare und ernste Warnung an alle, die das<br />

Anerbieten <strong>de</strong>r göttlichen Gna<strong>de</strong> geringachten und <strong>de</strong>n Mahnrufen <strong>de</strong>r Barmherzigkeit<br />

Gottes wi<strong>de</strong>rstehen. Niemals wur<strong>de</strong> ein entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>res Zeugnis für <strong>de</strong>n Abscheu Gottes<br />

gegenüber <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> und für die sichere Bestrafung <strong>de</strong>r Schuldigen gegeben.<br />

Die Weissagung <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s, die die göttliche Heimsuchung Jerusalems ankündigte,<br />

wird noch eine an<strong>de</strong>re Erfüllung fin<strong>de</strong>n, von <strong>de</strong>r jene schreckliche Verwüstung nur ein<br />

schwacher Abglanz ist. In <strong>de</strong>m Schicksal <strong>de</strong>r auserwählten Stadt können wir das Los einer<br />

Welt sehen, die Gottes Barmherzigkeit von sich gewiesen und sein Gesetz mit Füßen<br />

getreten hat. Grauenhaft sind die Berichte <strong>de</strong>s menschlichen Elends, das die Er<strong>de</strong> während<br />

<strong>de</strong>r langen Jahrhun<strong>de</strong>rte <strong>de</strong>s Verbrechens erlebte. Das Herz wird beklommen und <strong>de</strong>r Geist<br />

verzagt, wenn wir über diese Dinge nach<strong>de</strong>nken. Schrecklich waren die Folgen, als die<br />

Macht <strong>de</strong>s Himmels verworfen wur<strong>de</strong>. Doch ein noch furchtbareres Bild wird uns in <strong>de</strong>n<br />

Offenbarungen über die Zukunft enthüllt. Die Berichte <strong>de</strong>r Vergangenheit — die lange<br />

Reihe von Aufstän<strong>de</strong>n, Kämpfen und Revolutionen, alle Kriege „mit Ungestüm ... und die<br />

blutigen Klei<strong>de</strong>r“ (Jesaja 9,4) —, was sind sie im Vergleich zu <strong>de</strong>n Schrecken jenes Tages,<br />

an <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r mäßigend wirken<strong>de</strong> Geist Gottes <strong>de</strong>n Gottlosen gänzlich entzogen und nicht<br />

länger die Ausbrüche menschlicher Lei<strong>de</strong>nschaften und satanischer Wut zügeln wird! Dann<br />

wird die Welt wie niemals zuvor die entsetzlichen Folgen <strong>de</strong>r Herrschaft Satans erkennen.<br />

An jenem Tage aber wird, wie zur Zeit <strong>de</strong>r Zerstörung Jerusalems, Gottes Volk errettet<br />

wer<strong>de</strong>n, „ein jeglicher, <strong>de</strong>r geschrieben ist unter die Lebendigen“. Jesaja 4,3. Christus hat<br />

vorhergesagt, daß er wie<strong>de</strong>rkommen will, um seine Getreuen um sich zu sammeln: „Und<br />

alsdann wer<strong>de</strong>n heulen alle Geschlechter auf Er<strong>de</strong>n und wer<strong>de</strong>n sehen kommen <strong>de</strong>s<br />

Menschen Sohn in <strong>de</strong>n Wolken <strong>de</strong>s Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit. Und er wird<br />

sen<strong>de</strong>n seine Engel mit hellen Posaunen, und sie wer<strong>de</strong>n sammeln seine Auserwählten von<br />

<strong>de</strong>n vier Win<strong>de</strong>n, von <strong>de</strong>m einen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Himmels zu <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn.“ Matthäus 24,30.31.<br />

Dann wer<strong>de</strong>n alle, die <strong>de</strong>m Evangelium nicht gehorchten, „mit <strong>de</strong>m Geist seines<br />

Mun<strong>de</strong>s“ umgebracht und „durch die Erscheinung seiner Zukunft“ vernichtet wer<strong>de</strong>n.<br />

19


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

2.Thessalonicher 2,8. Gleichwie einst Israel, so bringen auch die Gottlosen sich selbst um;<br />

sie fallen infolge ihrer Übertretungen. Durch ein sün<strong>de</strong>nreiches Leben haben sie so wenig<br />

Gemeinschaft mit Gott, und ihr Wesen ist durch das Böse so ver<strong>de</strong>rbt und entwürdigt<br />

wor<strong>de</strong>n, daß die Offenbarung seiner Herrlichkeit für sie zu einem verzehren<strong>de</strong>n Feuer<br />

wer<strong>de</strong>n wird.<br />

Hüteten sich die Menschen doch davor, die ihnen in Christi Worten gegebenen Lehren<br />

geringzuschätzen. Gleichwie er seine Jünger vor <strong>de</strong>r Zerstörung Jerusalems warnte, in<strong>de</strong>m<br />

er ihnen ein Zeichen <strong>de</strong>s herannahen<strong>de</strong>n Untergangs nannte, damit sie fliehen könnten,<br />

ebenso hat er die Welt vor <strong>de</strong>m Tag <strong>de</strong>r endgültigen Vernichtung gewarnt und ihr Zeichen<br />

seines Nahens gegeben, damit alle, die <strong>de</strong>m zukünftigen Zorn entrinnen wollen, ihm auch<br />

entrinnen können. Jesus erklärt: „Es wer<strong>de</strong>n Zeichen geschehen an Sonne und Mond und<br />

Sternen; und auf Er<strong>de</strong>n wird <strong>de</strong>n Leuten bange sein.“ Lukas 21,25;<br />

Matthäus 24,29; Markus 13,24-26; Offenbarung 6,12-17. Wer diese Vorboten seines<br />

Kommens sieht, soll wissen „daß es Nahe vor <strong>de</strong>r Tür ist“. „So wachet nun!“ lauten seine<br />

mahnen<strong>de</strong>n Worte. Matthäus 24,33; Markus 13,35. Alle, die auf diese Stimme achten, sollen<br />

nicht in Finsternis bleiben, damit jener Tag sie nicht unvorbereitet überfalle; aber über alle,<br />

die nicht wachen wollen, wird <strong>de</strong>r Tag <strong>de</strong>s Herrn kommen wie ein Dieb in <strong>de</strong>r Nacht.<br />

Die Welt ist jetzt nicht geneigter, die Warnungsbotschaften für diese Zeit anzunehmen,<br />

als damals die Ju<strong>de</strong>n, die sich <strong>de</strong>r Botschaft unseres Heilan<strong>de</strong>s über Jerusalem wi<strong>de</strong>rsetzten.<br />

Mag er kommen, wann er will — <strong>de</strong>r Tag <strong>de</strong>s Herrn wird die Gottlosen unvorbereitet fin<strong>de</strong>n.<br />

Wenn das Leben seinen gewöhnlichen Gang geht, wenn die Menschheit von Vergnügungen,<br />

Geschäften, Han<strong>de</strong>l und Gel<strong>de</strong>rwerb in Anspruch genommen ist. Wenn religiöse Führer <strong>de</strong>n<br />

Fortschritt und die Aufklärung <strong>de</strong>r Welt verherrlichen, wenn das Volk in falsche Sicherheit<br />

gewiegt ist —, dann wird, wie ein Dieb sich um Mitternacht in die unbewachte Behausung<br />

einschleicht, das plötzliche Ver<strong>de</strong>rben die Sorglosen und Bösewichte überfallen, und sie<br />

wer<strong>de</strong>n keine Gelegenheit mehr haben, <strong>de</strong>m Verhängnis zu entfliehen.<br />

20


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 2- Feuer <strong>de</strong>r Verfolgung<br />

Als Christus auf <strong>de</strong>m Ölberg seinen Jüngern das Schicksal Jerusalems und die<br />

Ereignisse seiner Wie<strong>de</strong>rkunft enthüllte, sprach er auch über die zukünftigen Erfahrungen<br />

seines Volkes von seiner Himmelfahrt an bis zu seiner Wie<strong>de</strong>rkunft in Macht und<br />

Herrlichkeit zur Befreiung seines Volkes. Er sah die bald über die apostolische Gemein<strong>de</strong><br />

hereinbrechen<strong>de</strong>n Stürme, und weiter in die Zukunft dringend, erblickte sein Auge die<br />

grimmigen, verwüsten<strong>de</strong>n Wetter, die in <strong>de</strong>n kommen<strong>de</strong>n Zeiten <strong>de</strong>r Finsternis und <strong>de</strong>r<br />

Verfolgung über seine Nachfolger heraufziehen wer<strong>de</strong>n. In wenigen kurzen Äußerungen<br />

von furchtbarer Be<strong>de</strong>utsamkeit sagte er ihnen voraus, in welchem Ausmaß die Herrscher<br />

dieser Welt die Gemein<strong>de</strong> Gottes verfolgen wer<strong>de</strong>n. Matthäus 24,9.21.22. Die Nachfolger<br />

Christi müssen <strong>de</strong>n gleichen Weg <strong>de</strong>r Demütigung, <strong>de</strong>r Schmach und <strong>de</strong>s Lei<strong>de</strong>ns<br />

beschreiten, <strong>de</strong>n ihr Meister ging. Die Feindschaft, die <strong>de</strong>m Erlöser <strong>de</strong>r Welt entgegenschlug,<br />

erhebt sich auch gegen alle, die an seinen Namen glauben.<br />

Die Geschichte <strong>de</strong>r ersten Gemein<strong>de</strong> zeugt von <strong>de</strong>r Erfüllung <strong>de</strong>r Worte Jesu. Die<br />

Mächte <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> und <strong>de</strong>r Hölle vereinigten sich gegen <strong>de</strong>n in seinen Nachfolgern lebendigen<br />

Christus. Das Hei<strong>de</strong>ntum sah sehr wohl voraus, daß seine Tempel und Altäre nie<strong>de</strong>rgerissen<br />

wür<strong>de</strong>n, falls das Evangelium triumphierte; <strong>de</strong>shalb bot es alle Kräfte auf, um das<br />

Christentum zu vernichten. Die Feuer <strong>de</strong>r Verfolgung wur<strong>de</strong>n angezün<strong>de</strong>t. Christen beraubte<br />

man ihrer Besitztümer und vertrieb sie aus ihren Heimstätten. Sie erdul<strong>de</strong>ten „einen großen<br />

Kampf <strong>de</strong>s Lei<strong>de</strong>ns“. Hebräer 10,32. Sie „haben Spott und Geißeln erlitten, dazu Ban<strong>de</strong> und<br />

Gefängnis; sie wur<strong>de</strong>n gesteinigt, zerhackt, zerstochen, durchs Schwert getötet“. Hebräer<br />

11,36. Eine große An- zahl besiegelte ihr Zeugnis mit ihrem Blut. E<strong>de</strong>lmann und Sklave,<br />

reich und arm, Gelehrte und Unwissen<strong>de</strong> wur<strong>de</strong>n ohne Unterschied erbarmungslos<br />

umgebracht.<br />

Diese Verfolgungen, die unter Nero etwa zur Zeit <strong>de</strong>s Märtyrertums <strong>de</strong>s Paulus<br />

begannen, dauerten mit größerer o<strong>de</strong>r geringerer Heftigkeit jahrhun<strong>de</strong>rtelang fort. Christen<br />

wur<strong>de</strong>n zu Unrecht <strong>de</strong>r abscheulichsten Verbrechen angeklagt und als die Ursache großer<br />

Unglücksfälle, wie Hungersnot, Pestilenz und Erdbeben, hingestellt. Da sie allgemein<br />

gehaßt und verdächtigt wur<strong>de</strong>n, fan<strong>de</strong>n sich auch leicht Ankläger, die um <strong>de</strong>s Gewinns<br />

willen Unschuldige verrieten. Die Christen wur<strong>de</strong>n als Empörer gegen das Reich, als Fein<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Religion und als Schädlinge <strong>de</strong>r Gesellschaft verurteilt. Viele warf man wil<strong>de</strong>n Tieren<br />

vor o<strong>de</strong>r verbrannte sie lebendig in <strong>de</strong>n Amphitheatern. Manche wur<strong>de</strong>n gekreuzigt, an<strong>de</strong>re<br />

in die Felle wil<strong>de</strong>r Tiere eingenäht und in die Arena geworfen, um von Hun<strong>de</strong>n zerrissen zu<br />

wer<strong>de</strong>n. Die ihnen gewärtige Strafe bil<strong>de</strong>te oft die Hauptunterhaltung bei öffentlichen<br />

Festen. Viele Menschen kamen zusammen, um sich an <strong>de</strong>m Anblick <strong>de</strong>r Gepeinigten zu<br />

ergötzen. Sie begrüßten <strong>de</strong>ren To<strong>de</strong>sschmerzen mit Gelächter und Beifallklatschen.<br />

Wo die Nachfolger Christi auch Zuflucht fan<strong>de</strong>n, immer wur<strong>de</strong>n sie gleich Raubtieren<br />

aufgejagt. Sie waren genötigt, sich an ö<strong>de</strong>n und verlassenen Stätten zu verbergen. „Mit<br />

21


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Mangel, mit Trübsal, mit Ungemach (<strong>de</strong>ren die Welt nicht wert war)“, sind sie „im Elend<br />

umhergeirrt in <strong>de</strong>n Wüsten, auf <strong>de</strong>n Bergen und in <strong>de</strong>n Klüften und Löchern <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>“.<br />

Hebräer 11,37.38. Die Katakomben boten Tausen<strong>de</strong>n eine Zufluchtsstätte. Unter <strong>de</strong>n Hügeln<br />

außerhalb <strong>de</strong>r Stadt Rom gab es lange, durch Er<strong>de</strong> und Felsen getriebene Gänge, <strong>de</strong>ren<br />

dunkles, verschlungenes Netzwerk sich kilometerweit über die Stadtmauern hinaus<br />

erstreckte. In diesen unterirdischen Zufluchtsorten begruben die Nachfolger Christi ihre<br />

Toten, und hier fan<strong>de</strong>n sie auch, wenn sie verdächtigt und geächtet wur<strong>de</strong>n, eine Heimstätte.<br />

Wenn <strong>de</strong>r Heiland alle, die <strong>de</strong>n guten Kampf gekämpft haben, auferwecken wird, wer<strong>de</strong>n<br />

viele, die um seinetwillen Märtyrer gewor<strong>de</strong>n sind, aus jenen Höhlen hervorkommen.<br />

Selbst unter heftigster Verfolgung hielten diese Zeugen für Jesus ihren Glauben rein.<br />

Obwohl je<strong>de</strong>r Bequemlichkeit beraubt, abge schlossen vom Licht <strong>de</strong>r Sonne, im dunklen<br />

aber freundschaftlichen Schoß <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> ihre Wohnung aufschlagend, klagten sie nicht. Mit<br />

Worten <strong>de</strong>s Glaubens, <strong>de</strong>r Geduld und <strong>de</strong>r Hoffnung ermutigten sie einan<strong>de</strong>r, Entbehrungen<br />

und Trübsale zu ertragen. Der Verlust aller irdischen Segnungen vermochte sie nicht zu<br />

zwingen, ihrem Glauben an Christus zu entsagen. Prüfungen und Verfolgungen waren nur<br />

Stufen, um sie ihrer Ruhe und ihrem Lohn näher zu bringen.<br />

Viele wur<strong>de</strong>n gleich <strong>de</strong>n Dienern Gottes vorzeiten „zerschlagen und haben keine<br />

Erlösung angenommen, auf daß sie die Auferstehung, die besser ist erlangten.“ Hebräer<br />

11,35. Sie riefen sich die Worte ihres Meisters ins Gedächtnis zurück, daß sie bei<br />

Verfolgungen um Christi willen fröhlich und getrost sein sollten; <strong>de</strong>nn wun<strong>de</strong>rbar wür<strong>de</strong> ihr<br />

Lohn im Himmel sein. Auch die Propheten vor ihnen waren in gleicher Weise verfolgt<br />

wor<strong>de</strong>n. Die Nachfolger Jesu freuten sich, würdig erachtet wor<strong>de</strong>n zu sein, für die Wahrheit<br />

zu lei<strong>de</strong>n, und Triumphgesänge stiegen aus <strong>de</strong>n prasseln<strong>de</strong>n Flammen empor. Im Glauben<br />

aufwärtsschauend, erblickten sie Christus und heilige Engel, die sich zu ihnen herabneigten,<br />

sie mit innigster Anteilnahme beobachteten und wohlgefällig ihre Standhaftigkeit<br />

betrachteten. Eine Stimme kam vom Thron Gottes zu ihnen hernie<strong>de</strong>r: „Sei getreu bis an<br />

<strong>de</strong>n Tod, so will ich dir die Krone <strong>de</strong>s Lebens geben.“ Offenbarung 2,10.<br />

Vergeblich waren Satans Anstrengungen, die Gemein<strong>de</strong> Christi mit Gewalt zu zerstören.<br />

Der große Kampf in <strong>de</strong>m Christi Jünger ihr Leben hingaben, hörte nicht auf, als diese treuen<br />

Bannerträger auf ihrem Posten fielen. Durch ihre Nie<strong>de</strong>rlage blieben sie Sieger. Gottes<br />

Mitarbeiter wur<strong>de</strong>n erschlagen; sein Werk aber ging stetig vorwärts. Das Evangelium<br />

breitete sich aus, die Schar seiner Anhänger nahm zu, es drang in Gebiete ein, die selbst<br />

<strong>de</strong>m römischen Adler unzugänglich geblieben waren. Ein Christ, <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>n heidnischen<br />

Herrschern verhan<strong>de</strong>lte, welche die Verfolgung eifrig betrieben, sagte: „Kreuzigt, martert,<br />

verurteilt uns, reibt uns auf, und ein Beweis unserer Unschuld ist eure Ungerechtigkeit! Und<br />

doch hilft all eure noch so ausgeklügelte Grausamkeit nichts; ein Lockmittel ist sie eher für<br />

unsere Gemeinschaft. Nur zahlreicher wer<strong>de</strong>n wir, so oft wir von euch nie<strong>de</strong>rgemäht wer<strong>de</strong>n:<br />

ein Same ist das Blut <strong>de</strong>r Christen.“<br />

22


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Tausen<strong>de</strong> wur<strong>de</strong>n eingekerkert und umgebracht; aber an<strong>de</strong>re stan<strong>de</strong>n auf, um diese<br />

Lücken auszufüllen. Die um ihres Glaubens willen <strong>de</strong>n Märtyrertod erlitten, waren Christus<br />

gewiß und wur<strong>de</strong>n von ihm als Überwin<strong>de</strong>r angesehen. Sie hatten <strong>de</strong>n guten Kampf<br />

gekämpft und wer<strong>de</strong>n die Krone <strong>de</strong>r Gerechtigkeit empfangen, wenn Christus wie<strong>de</strong>rkommt.<br />

Die Lei<strong>de</strong>n, die die Christen erdul<strong>de</strong>ten, verban<strong>de</strong>n sie inniger miteinan<strong>de</strong>r und mit ihrem<br />

Erlöser. Ihr beispielhaftes Leben, ihr Bekenntnis im Sterben waren ein unvergängliches<br />

Zeugnis für die Wahrheit. Wo es vielfach am wenigsten zu erwarten war, verließen<br />

Untertanen Satans seinen Dienst und stellten sich entschlossen unter das Banner Christi.<br />

Satan versuchte, erfolgreicher gegen die Herrschaft Gottes Krieg zu führen, in<strong>de</strong>m er<br />

sein Banner in <strong>de</strong>r christlichen Gemein<strong>de</strong> aufpflanzte. Können die Nachfolger Christi<br />

getäuscht und verleitet wer<strong>de</strong>n, Gott zu mißfallen, dann wären ihre Kraft, Festigkeit und<br />

Beharrlichkeit dahin, ja, sie fielen ihm als leichte Beute zu. Der große Gegner suchte durch<br />

Hinterlist das zu erreichen, was er sich mit Gewalt nicht zu sichern vermochte. Die<br />

Verfolgungen hörten auf; an ihre Stelle traten die gefährlichen Lockungen irdischen<br />

Wohllebens und weltlichen Ruhms. Götzendiener wur<strong>de</strong>n veranlaßt, einen Teil <strong>de</strong>s<br />

christlichen Glaubens anzunehmen, wogegen sie an<strong>de</strong>re wesentliche Wahrheiten verwarfen.<br />

Sie gaben vor, Jesus als <strong>de</strong>n Sohn Gottes anzuerkennen und an seinen Tod und an seine<br />

Auferstehung zu glauben; aber sie erkannten nicht ihre Sün<strong>de</strong>n und fühlten nicht das<br />

Bedürfnis, sie zu bereuen o<strong>de</strong>r die Gesinnung ihres Herzens zu än<strong>de</strong>rn. Zu einigen<br />

Zugeständnissen bereit, schlugen sie <strong>de</strong>n Christen vor, um eines einheitlichen<br />

Glaubensbekenntnisses an Christus willen, auch ihrerseits Entgegenkommen zu zeigen.<br />

Die Gemein<strong>de</strong> befand sich in einer furchtbaren Gefahr, gegen die Gefängnis, Folter,<br />

Feuer und Schwert als Segnungen gelten konnten. Einige Christen blieben fest und erklärten,<br />

daß sie auf keine Vergleichslösungen eingehen könnten. An<strong>de</strong>re stimmten für ein<br />

Entgegenkommen o<strong>de</strong>r für Abän<strong>de</strong>rung einiger ihrer Glaubensregeln und verban<strong>de</strong>n sich<br />

mit <strong>de</strong>nen, die das Christentum teilweise angenommen hatten, in<strong>de</strong>m sie geltend machten,<br />

es möchte jenen zur vollständigen Bekehrung dienen. Dies war für die treuen Nachfolger<br />

Christi eine angsterfüllte Zeit. Unter <strong>de</strong>m Deckmantel eines angeblichen Christentums<br />

verstand es Satan, sich in die Gemein<strong>de</strong> einzuschleichen, um ihren Glauben zu verfälschen<br />

und ihre Sinne vom Wort <strong>de</strong>r Wahrheit abzulenken.<br />

Der größte Teil <strong>de</strong>r Christen war schließlich bereit, von seiner höheren Ebene<br />

herabzusteigen, und eine Vereinigung zwischen Christentum und Hei<strong>de</strong>ntum kam zustan<strong>de</strong>.<br />

Obwohl die Götzendiener angeblich bekehrt waren und sich <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> anschlossen,<br />

hielten sie doch noch am Götzendienst fest; sie wechselten nur <strong>de</strong>n Gegenstand ihrer<br />

Anbetung; an die Stelle ihrer Götzen setzten sie Abbildungen von Jesus, von Maria und <strong>de</strong>n<br />

Heiligen. Ungesun<strong>de</strong> Lehren, abergläubische Gebräuche und götzendienerische Zeremonien<br />

wur<strong>de</strong>n mit ihrem Glauben und ihrem Gottesdienst vereinigt. Als sich die Nachfolger<br />

Christi mit <strong>de</strong>n Götzendienern verban<strong>de</strong>n, ver<strong>de</strong>rbte die christliche Gemein<strong>de</strong> und ihre<br />

Reinheit und Kraft ging verloren. Immerhin gab es etliche, die durch diese Täuschungen<br />

23


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

nicht irregeleitet wur<strong>de</strong>n, die <strong>de</strong>m Fürsten <strong>de</strong>r Wahrheit ihre Treue bewahrten und Gott<br />

allein anbeteten.<br />

Unter <strong>de</strong>nen, die vorgaben Christi Nachfolger zu sein, hat es je<strong>de</strong>rzeit zwei Gruppen<br />

gegeben. Während die eine das Leben <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s erforscht und sich ernstlich bemüht,<br />

je<strong>de</strong>n ihrer Fehler zu verbessern und ihrem Vorbil<strong>de</strong> ähnlich zu wer<strong>de</strong>n, scheut die an<strong>de</strong>re<br />

die klaren, praktischen Wahrheiten, die ihre Irrtümer bloßstellen. Selbst in ihrer besten<br />

Verfassung bestand die Gemein<strong>de</strong> nicht nur aus wahren, reinen und aufrichtigen Seelen.<br />

Unser Heiland lehrte, daß die, welche sich willig <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> hingeben, nicht in die Gemein<strong>de</strong><br />

aufgenommen wer<strong>de</strong>n sollen; <strong>de</strong>nnoch verband er sich mit Männern fehlerhaften Charakters<br />

und gewährte ihnen <strong>de</strong>n Nutzen seiner Lehren und seines Beispiels, damit sie Gelegenheit<br />

hätten, ihre Fehler zu erkennen und zu berichtigen. Unter <strong>de</strong>n zwölf Aposteln befand sich<br />

ein Verräter. Judas wur<strong>de</strong> nicht wegen, son<strong>de</strong>rn trotz seiner Charakterfehler aufgenommen.<br />

Er wur<strong>de</strong> als Jünger berufen, damit er durch Christi Lehre und Vorbild lernte, worin ein<br />

christlicher Charakter besteht. Auf diese Weise sollte er seine Fehler erkennen, Buße tun<br />

und mit Hilfe <strong>de</strong>r göttlichen Gna<strong>de</strong> seine Seele reinigen „im Gehorsam <strong>de</strong>r Wahrheit“. Aber<br />

Judas wan<strong>de</strong>lte nicht in <strong>de</strong>m Licht, das ihm so gnädig schien; er gab <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> nach und<br />

for<strong>de</strong>rte dadurch die Versuchungen Satans heraus. Seine bösen Charakterzüge gewannen die<br />

Oberhand. Er ließ sich von <strong>de</strong>n Mächten <strong>de</strong>r Finsternis leiten, wur<strong>de</strong> zornig, wenn man<br />

seine Fehler ta<strong>de</strong>lte, und gelangte auf diese Weise dahin, <strong>de</strong>n furchtbaren Verrat an seinem<br />

Meister zu begehen.<br />

So hassen alle, die unter <strong>de</strong>m Schein eines gottseligen Wesens das Böse lieben,<br />

diejenigen, die ihren Frie<strong>de</strong>n stören und dadurch ihren sündhaften Lebenswan<strong>de</strong>l verurteilen.<br />

Bietet sich ihnen eine günstige Gelegenheit, so wer<strong>de</strong>n sie, wie auch Judas, die verraten, die<br />

versucht haben, sie zu ihrem Besten zurechtzuweisen. Die Apostel fan<strong>de</strong>n angeblich<br />

fromme Glie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong>, die jedoch im geheimen <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> huldigten. Ananias<br />

und Saphira waren Betrüger, <strong>de</strong>nn sie behaupteten, Gott ein vollständiges Opfer<br />

darzubringen, obwohl sie habsüchtig einen Teil davon für sich zurückbehielten. Der Geist<br />

<strong>de</strong>r Wahrheit offenbarte <strong>de</strong>n Aposteln <strong>de</strong>n wirklichen Charakter dieser Scheinheiligen, und<br />

Gottes Gericht befreite die Gemein<strong>de</strong> von diesem Makel, <strong>de</strong>r ihre Reinheit beschmutzte.<br />

Dieser offenkundige Beweis, daß <strong>de</strong>r scharfsichtige Geist Christi in <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong><br />

gegenwärtig war, erschreckte die Heuchler und Übeltäter, die nicht lange mit jenen in<br />

Verbindung bleiben konnten, die ihrem Han<strong>de</strong>ln und ihrer Gesinnung nach beständig<br />

Stellvertreter Christi waren. Als schließlich Prüfungen und Verfolgungen über seine<br />

Nachfolger hereinbrachen, wünschten nur die seine Jünger zu wer<strong>de</strong>n, die bereit waren, um<br />

<strong>de</strong>r Wahrheit willen alles zu verlassen. Dadurch blieb die Gemein<strong>de</strong>, solange die<br />

Verfolgung andauerte, verhältnismäßig rein. Nach<strong>de</strong>m aber die Verfolgung aufgehört hatte<br />

und Neubekehrte, die weniger aufrichtig waren, zur Gemein<strong>de</strong> kamen, öffnete sich für Satan<br />

<strong>de</strong>r Weg, in <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> Fuß zu fassen.<br />

24


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Es gibt jedoch keine Gemeinschaft zwischen <strong>de</strong>m Fürsten <strong>de</strong>s Lichts und <strong>de</strong>m Fürsten<br />

<strong>de</strong>r Finsternis, mithin auch keine Verbindung zwischen ihren Nachfolgern. Als die Christen<br />

einwilligten, sich mit Seelen zu verbin<strong>de</strong>n, die <strong>de</strong>m Hei<strong>de</strong>ntum nur halb abgesagt hatten,<br />

betraten sie einen Pfad, <strong>de</strong>r sie von <strong>de</strong>r Wahrheit immer weiter wegführte. Satan aber<br />

frohlockte, daß es ihm gelungen war, eine so große Zahl <strong>de</strong>r Nachfolger Christi zu täuschen.<br />

Er übte nun seine Macht in noch stärkerem Gra<strong>de</strong> über die Betrogenen aus und trieb sie an,<br />

die Gott Treugebliebenen zu verfolgen. Niemand konnte <strong>de</strong>m wahren Christenglauben so<br />

gut entgegentreten, wie jene, die ihn einst verteidigt hatten; und diese abtrünnigen Christen<br />

zogen mit ihren halbheidnischen Gefährten vereint, gegen die wesentlichsten Lehren in <strong>de</strong>n<br />

Kampf.<br />

Es bedurfte eines verzweifelten Ringens <strong>de</strong>r Getreuen, fest zu stehen gegen die<br />

Betrügereien und Greuel, die in priesterlichem Gewan<strong>de</strong> in die Gemein<strong>de</strong> eingeführt wur<strong>de</strong>n.<br />

Man bekannte sich nicht mehr zur Heiligen Schrift als Richtschnur <strong>de</strong>s Glaubens. Der<br />

Grundsatz von wahrer Religionsfreiheit wur<strong>de</strong> als Ketzerei gebrandmarkt, seine Verteidiger<br />

gehaßt und geächtet. Nach langem und schwerem Kampf entschlossen sich die wenigen<br />

Getreuen, je<strong>de</strong> Gemeinschaft mit <strong>de</strong>r abtrünnigen Kirche aufzuheben, falls diese sich<br />

beharrlich weigere, <strong>de</strong>m Irrtum und <strong>de</strong>m Götzendienst zu entsagen. Sie erkannten, daß die<br />

Trennung eine unbedingte Notwendigkeit war, wenn sie selbst <strong>de</strong>m Worte Gottes gehorchen<br />

wollten. Sie wagten we<strong>de</strong>r Irrtümer zu dul<strong>de</strong>n, die für ihre eigenen Seelen gefährlich waren,<br />

noch ein Beispiel zu geben, daß <strong>de</strong>n Glauben ihrer Kin<strong>de</strong>r und Kin<strong>de</strong>skin<strong>de</strong>r gefähr<strong>de</strong>n<br />

wür<strong>de</strong>. Um Frie<strong>de</strong>n und Einheit zu wahren, zeigten sie sich bereit, irgendwelche mit ihrer<br />

Gottestreue vereinbare Zugeständnisse zu machen; sie fühlten aber, daß selbst <strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong><br />

unter Aufopferung ihrer Grundsätze zu teuer erkauft wäre. Einer Übereinstimmung auf<br />

Kosten <strong>de</strong>r Wahrheit und Rechtschaffenheit zogen sie jedoch lieber die Uneinigkeit, ja<br />

selbst <strong>de</strong>n Kampf vor.<br />

Es wäre für die Gemein<strong>de</strong> und die Welt gut, wenn die Grundsätze, die jene standhaften<br />

Seelen zum Han<strong>de</strong>ln bewogen, in <strong>de</strong>n Herzen <strong>de</strong>s Volkes Gottes wie<strong>de</strong>rbelebt wür<strong>de</strong>n. Es<br />

herrscht eine beunruhigen<strong>de</strong> Gleichgültigkeit bezüglich <strong>de</strong>r Lehren, die Träger <strong>de</strong>s<br />

christlichen Glaubens sind. Es tritt die Meinung stärker hervor, daß sie nicht so wichtig<br />

seien. Diese Geringschätzung stärkt die Hän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Vertreter Satans so sehr, daß jene<br />

falschen Lehrbegriffe und verhängnisvollen Täuschungen, zu <strong>de</strong>ren Bekämpfung und<br />

Enthüllung die Getreuen in vergangenen Zeiten ihr Leben wagten, jetzt von Tausen<strong>de</strong>n<br />

sogenannter Nachfolger Christi wohlgefällig betrachtet wer<strong>de</strong>n.<br />

Die ersten Christen waren in <strong>de</strong>r Tat ein beson<strong>de</strong>res Volk. Ihr ta<strong>de</strong>lloses Betragen und<br />

ihr unwan<strong>de</strong>lbarer Glaube bil<strong>de</strong>te einen beständigen Vorwurf, <strong>de</strong>r die Ruhe <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>r<br />

störte. Obwohl gering an Zahl, ohne Reichtum, Stellung o<strong>de</strong>r Ehrentitel, waren sie überall,<br />

wo ihr Charakter und ihre Lehren bekannt wur<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n Übeltätern ein Schrecken. Deshalb<br />

wur<strong>de</strong>n sie von <strong>de</strong>n Gottlosen gehaßt, wie ehe<strong>de</strong>m Abel von <strong>de</strong>m gottlosen Kain gehaßt<br />

wor<strong>de</strong>n war. Die gleiche Ursache, die Kain zu Abels Mör<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n ließ, veranlaßte<br />

25


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

diejenigen, die sich von <strong>de</strong>m zügeln<strong>de</strong>n Einfluß <strong>de</strong>s Geistes Gottes zu befreien suchten,<br />

Gottes Kin<strong>de</strong>r zu töten. Aus <strong>de</strong>m gleichen Grun<strong>de</strong> verwarfen und kreuzigten die Ju<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n<br />

Heiland; <strong>de</strong>nn die Reinheit und die Heiligkeit seines Charakters waren eine fortwähren<strong>de</strong><br />

Anklage gegen ihre Selbstsucht und Ver<strong>de</strong>rbtheit. Von <strong>de</strong>n Tagen Christi an bis in unsere<br />

Zeit hinein haben seine getreuen Jünger <strong>de</strong>n Haß und <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rspruch <strong>de</strong>r Menschen<br />

erweckt, die die Wege <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> lieben und ihnen nachgehen.<br />

Wie kann aber das Evangelium eine Botschaft <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns genannt wer<strong>de</strong>n? Als Jesaja<br />

die Geburt <strong>de</strong>s Messias vorhersagte, gab er ihm <strong>de</strong>n Titel „Frie<strong>de</strong>fürst“. Als die Engel <strong>de</strong>n<br />

Hirten verkündigten, daß Christus geboren sei, sangen sie über <strong>de</strong>n Ebenen Bethlehems:<br />

„Ehre sei Gott in <strong>de</strong>r Höhe und Frie<strong>de</strong>n auf Er<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>n Menschen ein<br />

Wohlgefallen!“ Lukas 2,14. Zwischen diesen prophetischen Aussagen und <strong>de</strong>n Worten<br />

Christi: „Ich bin nicht gekommen, Frie<strong>de</strong>n zu sen<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn das Schwert“ (Matthäus<br />

10,34), scheint ein Wi<strong>de</strong>rspruch zu bestehen. Doch richtig verstan<strong>de</strong>n, stimmen bei<strong>de</strong><br />

Aussprüche vollkommen überein. Das Evangelium ist eine Botschaft <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns. Das<br />

Christentum verbreitet, wenn es angenommen und ausgelebt wird, Frie<strong>de</strong>n, Eintracht und<br />

Freu<strong>de</strong> über die ganze Er<strong>de</strong>. Die Religion Christi verbin<strong>de</strong>t alle, die ihre Lehren annehmen,<br />

in inniger Bru<strong>de</strong>rschaft miteinan<strong>de</strong>r. Es war Jesu Aufgabe, die Menschen mit Gott und<br />

somit auch mit einan<strong>de</strong>r zu versöhnen. Aber die Welt befin<strong>de</strong>t sich im großen und ganzen<br />

unter <strong>de</strong>r Herrschaft Satans, <strong>de</strong>s bittersten Fein<strong>de</strong>s Christi. Das Evangelium zeigt ihr die<br />

Grundsätze <strong>de</strong>s Lebens, die mit ihren Sitten und Wünschen völlig im Wi<strong>de</strong>rspruch stehen,<br />

und gegen die sie sich empört. Sie haßt die Reinheit, die ihre Sün<strong>de</strong>n offenbart und<br />

verurteilt, und sie verfolgt und vernichtet alle, die ihr jene gerechten und heiligen Ansprüche<br />

vor Augen halten. In diesem Sinne — da die erhabenen Wahrheiten, die das Evangelium<br />

bringt, Haß und Streit zeitigen — wird es ein Schwert genannt.<br />

Das geheimnisvolle Wirken <strong>de</strong>r Vorsehung, die zuläßt, daß <strong>de</strong>r Gerechte von <strong>de</strong>r Hand<br />

<strong>de</strong>s gottlosen Verfolgung erlei<strong>de</strong>t, hat viele, die schwach im Glauben sind, schon in größte<br />

Verlegenheit gebracht. Manche sind sogar bereit, ihr Vertrauen zu Gott wegzuwerfen, weil<br />

er es zuläßt, daß es <strong>de</strong>n nie<strong>de</strong>rträchtigsten Menschen wohlergeht, während die besten und<br />

aufrichtigsten von ihrer grausamen Macht bedrängt und gequält wer<strong>de</strong>n. Wie, fragt man,<br />

kann ein Gerechter und Barmherziger, <strong>de</strong>ssen Macht unendlich ist, solche Ungerechtigkeit<br />

und Unterdrückung dul<strong>de</strong>n? — Mit einer solchen Frage haben wir nichts zu tun. Gott hat<br />

uns ausreichen<strong>de</strong> Beweise seiner Liebe gegeben, und wir sollen nicht an seiner Güte<br />

zweifeln, weil wir das Wirken seiner Vorsehung nicht zu ergrün<strong>de</strong>n vermögen. Der Heiland<br />

sagte zu seinen Jüngern, als er die Zweifel voraussah, die in <strong>de</strong>n Tagen <strong>de</strong>r Prüfung und <strong>de</strong>r<br />

Finsternis ihre Seele bestürmen wür<strong>de</strong>n: „Ge<strong>de</strong>nket an mein Wort, das ich euch gesagt habe:<br />

‚Der Knecht ist nicht größer <strong>de</strong>nn sein Herr.‘ Haben sie mich verfolgt, sie wer<strong>de</strong>n euch auch<br />

verfolgen.“ Johannes 15,20. Jesus hat für uns mehr gelitten, als irgen<strong>de</strong>iner seiner<br />

Nachfolger durch die Grausamkeit gottloser Menschen jemals zu lei<strong>de</strong>n haben kann. Wer<br />

berufen ist, Qualen und Märtyertod zu erdul<strong>de</strong>n, folgt nur <strong>de</strong>n Fußtapfen <strong>de</strong>s treuen<br />

Gottessohnes.<br />

26


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

„Der Herr verzieht nicht die Verheißung.“ 2.Petrus 3,9. Er vergißt o<strong>de</strong>r vernachlässigt<br />

seine Kin<strong>de</strong>r nicht; er gestattet aber <strong>de</strong>n Gottlosen, ihren wahren Charakter zu offenbaren,<br />

damit keiner, <strong>de</strong>r seinem Willen folgen will, über sie getäuscht wer<strong>de</strong>n kann. Wie<strong>de</strong>rum läßt<br />

er die Gerechten durch <strong>de</strong>n Feuerofen <strong>de</strong>r Trübsal gehen, damit sie selbst gereinigt wer<strong>de</strong>n,<br />

damit ihr Beispiel an<strong>de</strong>re von <strong>de</strong>r Wirklichkeit <strong>de</strong>s Glaubens und <strong>de</strong>r Gottseligkeit<br />

überzeuge und ihr treuer Wan<strong>de</strong>l die Gottlosen und Ungläubigen verurteile. Gott läßt es zu,<br />

daß die Bösen ge<strong>de</strong>ihen und ihre Feindschaft gegen ihn bekun<strong>de</strong>n, damit, wenn das Maß<br />

ihrer Ungerechtigkeit voll ist, alle Menschen in ihrer vollständigen Vernichtung seine Gna<strong>de</strong><br />

und Gerechtigkeit sehen können. Der Tag seiner Vergeltung rückt rasch näher, da allen die<br />

sein Gesetz übertreten und sein Volk unterdrückt haben, <strong>de</strong>r gerechte Lohn für ihre Taten<br />

zuteil wer<strong>de</strong>n wird; da je<strong>de</strong> grausame und ungerechte Handlung gegen die Getreuen Gottes<br />

bestraft wer<strong>de</strong>n wird, als wäre sie Christus selbst angetan wor<strong>de</strong>n.<br />

Es gibt eine an<strong>de</strong>re und wichtigere Frage, auf die sich die Aufmerksamkeit <strong>de</strong>r Kirchen<br />

unserer Tage richten sollte. Der Apostel Paulus erklärt, daß „alle, die gottselig leben wollen<br />

in Christo Jesu, müssen Verfolgung lei<strong>de</strong>n“. 2.Timotheus 3,12. Wie kommt es dann, daß die<br />

Verfolgung gewissermaßen zu schlummern scheint? Der einzige Grund ist, daß die Kirchen<br />

sich <strong>de</strong>r Welt angepaßt haben und <strong>de</strong>shalb keinen Wi<strong>de</strong>rstand erwecken. Die heutzutage im<br />

Volk verbreitete Religion hat nicht <strong>de</strong>n reinen und heiligen Charakter, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n christlichen<br />

Glauben in <strong>de</strong>n Tagen Christi und seiner Apostel kennzeichnete. Weil man mit <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong><br />

gemeinsame Sache macht, weil man die großen Wahrheiten <strong>de</strong>s Wortes Gottes so<br />

gleichgültig betrachtet und weil wenig echte Gottseligkeit in <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> herrscht, <strong>de</strong>shalb<br />

ist anscheinend das Christentum in <strong>de</strong>r Welt so beliebt. Sobald eine Wie<strong>de</strong>rbelebung <strong>de</strong>s<br />

Glaubens und <strong>de</strong>r Stärke <strong>de</strong>r ersten Christengemein<strong>de</strong> geschähe, erwachte auch wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

Geist <strong>de</strong>r Verfolgung und schürte aufs neue die Feuer <strong>de</strong>r Trübsal.<br />

27


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 3- Die Ära <strong>de</strong>r Finsternis<br />

In seinem zweiten Brief an die Thessalonicher erklärte <strong>de</strong>r Apostel Paulus, daß <strong>de</strong>r Tag<br />

Christi nicht kommen wer<strong>de</strong>, „es sei <strong>de</strong>nn, daß zuvor <strong>de</strong>r Abfall komme und offenbart<br />

wer<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>, das Kind <strong>de</strong>s Ver<strong>de</strong>rbens, <strong>de</strong>r da ist <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rsacher und sich<br />

überhebt über alles, was Gott o<strong>de</strong>r Gottesdienst heißt, also daß er sich setzt in <strong>de</strong>n Tempel<br />

Gottes als ein Gott und gibt sich aus, er sei Gott“. Und weiter warnt <strong>de</strong>r Apostel seine<br />

Brü<strong>de</strong>r: „Es regt sich bereits das Geheimnis <strong>de</strong>r Bosheit.“ 2.Thessalonicher 2,3.4.7. Schon<br />

zu jener frühen Zeit sah er, daß sich Irrtümer in die Gemein<strong>de</strong> einschlichen, die <strong>de</strong>n Weg für<br />

die Entwicklung <strong>de</strong>s geweissagten Abfalls vorbereiteten.<br />

Das Geheimnis <strong>de</strong>r Bosheit führte nach und nach, erst verstohlen und stillschweigend,<br />

dann, als es an Kraft zunahm und die Herrschaft über die Gemüter <strong>de</strong>r Menschen gewann,<br />

offener sein betrügerisches und ver<strong>de</strong>rbliches Werk aus. Beinahe unmerklich fan<strong>de</strong>n<br />

heidnische Gebräuche ihren Weg in die christliche Gemein<strong>de</strong>. Zwar wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Geist <strong>de</strong>s<br />

Ausgleichs und <strong>de</strong>r Anpassung eine Zeitlang durch die heftige Verfolgung, die die<br />

Gemein<strong>de</strong> unter <strong>de</strong>m Hei<strong>de</strong>ntum zu erdul<strong>de</strong>n hatte, zurückgehalten; als aber die Verfolgung<br />

aufhörte und das Christentum die Höfe und Paläste <strong>de</strong>r Könige betrat, vertauschte es die<br />

<strong>de</strong>mütige Schlichtheit Christi und seiner Apostel mit <strong>de</strong>m Gepränge und <strong>de</strong>m Stolz <strong>de</strong>r<br />

heidnischen Priester und Herrscher und ersetzte die For<strong>de</strong>rungen Gottes durch menschliche<br />

<strong>Theorie</strong>n und Überlieferungen. Mit <strong>de</strong>r angeblichen Bekehrung Konstantins Anfang <strong>de</strong>s<br />

vierten Jahrhun<strong>de</strong>rts, die große Freu<strong>de</strong> auslöste, fan<strong>de</strong>n jedoch unter <strong>de</strong>m Deckmantel <strong>de</strong>r<br />

Gerechtigkeit weltliche Sitten und Gebräuche Eingang in die Kirche. Das Ver<strong>de</strong>rben schritt<br />

jetzt schnell voran. Das Hei<strong>de</strong>ntum wur<strong>de</strong>, während es besiegt schien, zum Sieger. Sein<br />

Geist beherrschte die Kirche. Seine Lehren, seine Zeremonien und seine Abgöttereien<br />

wur<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>m Glauben und <strong>de</strong>r Gottesverehrung <strong>de</strong>r erklärten Nachfolger Christi<br />

vermischt.<br />

Aus diesem Ausgleich zwischen Hei<strong>de</strong>ntum und Christentum folgte die Entwicklung<br />

<strong>de</strong>s „Menschen <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>“, <strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>r Prophezeiung <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rsacher ist und sich über<br />

Gott erhebt. Satan versuchte einmal, mit Christus zu einer Übereinkunft zu gelangen. Er<br />

kam in <strong>de</strong>r Wüste <strong>de</strong>r Versuchung zum Sohne Gottes, zeigte ihm alle Reiche <strong>de</strong>r Welt und<br />

ihre Herrlichkeit und bot ihm an, alles in seine Hän<strong>de</strong> zu geben, wenn er nur die<br />

Oberherrschaft <strong>de</strong>s Fürsten <strong>de</strong>r Finsternis anerkennte. Christus schalt <strong>de</strong>n verwegenen<br />

Versucher und zwang ihn, sich zu entfernen. Satan hat aber größeren Erfolg, wenn er mit<br />

<strong>de</strong>n gleichen Versuchungen an die Menschen herantritt. Um sich irdischen Gewinn und<br />

weltliche Ehren zu sichern, wur<strong>de</strong> die Kirche dazu verleitet, die Gunst und <strong>de</strong>n Beistand <strong>de</strong>r<br />

Großen dieser Er<strong>de</strong> zu suchen.<br />

Es ist eine <strong>de</strong>r Hauptlehren <strong>de</strong>r römischen Kirche, daß <strong>de</strong>r Papst das sichtbare Haupt <strong>de</strong>r<br />

allgemeinen Kirche Christi sei, angetan mit höchster Autorität über Bischöfe und Geistliche<br />

in allen Teilen <strong>de</strong>r Welt. Mehr noch, man hat <strong>de</strong>m Papst sogar die Titel <strong>de</strong>r Gottheit<br />

28


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

beigelegt. Er ist, „<strong>de</strong>r Herr Gott Papst“ genannt und als unfehlbar erklärt wor<strong>de</strong>n. Er<br />

verlangt, daß alle Menschen ihm huldigen. Der gleiche Anspruch, <strong>de</strong>n Satan in <strong>de</strong>r Wüste<br />

bei <strong>de</strong>r Versuchung Jesu geltend machte, wird auch heute noch von ihm erhoben, und<br />

zahllose Menschen sind nur allzugern bereit, ihm die gefor<strong>de</strong>rte Verehrung zu zollen.<br />

Jene aber, die Gott fürchten und ihn verehren, begegnen dieser <strong>de</strong>n Himmel<br />

herausfor<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n Anmaßung ebenso, wie Christus <strong>de</strong>n Verlockungen <strong>de</strong>s verschlagenen<br />

Fein<strong>de</strong>s begegnete: „Du sollst Gott, <strong>de</strong>inen Herrn, anbeten und ihm allein dienen.“ Gott gab<br />

in seinem Wort keinerlei Hinweise, daß er irgen<strong>de</strong>inen Menschen zum Oberhaupt <strong>de</strong>r<br />

Gemein<strong>de</strong> bestimmt hätte. Die Lehre von <strong>de</strong>r päpstlichen Obergewalt steht <strong>de</strong>n Aussprüchen<br />

<strong>de</strong>r Heiligen Schrift entgegen. Der Papst kann nicht über die Gemein<strong>de</strong> Christi herrschen, es<br />

sei <strong>de</strong>nn, er maßt sich diese Gewalt wi<strong>de</strong>rrechtlich an. Die Katholiken haben darauf beharrt,<br />

die Protestanten <strong>de</strong>r Ketzerei und <strong>de</strong>r eigenwilligen Trennung von <strong>de</strong>r wahren Kirche zu<br />

beschuldigen. Doch diese Anklagen lassen sich eher auf sie selbst anwen<strong>de</strong>n; <strong>de</strong>nn sie sind<br />

diejenigen, die das Banner Jesu Christi nie<strong>de</strong>rwarfen und von <strong>de</strong>m Glauben abwichen, „<strong>de</strong>r<br />

einmal <strong>de</strong>n Heiligen übergeben ist“.<br />

Satan wußte gar wohl, daß die Heilige Schrift die Menschen befähigen wür<strong>de</strong>, seine<br />

Täuschungen zu erkennen und seiner Macht zu wi<strong>de</strong>rstehen; hatte doch selbst <strong>de</strong>r Heiland<br />

<strong>de</strong>r Welt seinen Angriffen durch das Wort Gottes wi<strong>de</strong>rstan<strong>de</strong>n. Bei je<strong>de</strong>m Ansturm hielt<br />

Christus ihm <strong>de</strong>n Schild <strong>de</strong>r ewigen Wahrheit entgegen und sagte: „Es steht<br />

geschrieben.“ Lukas 4,1-13. Je<strong>de</strong>r Einflüsterung <strong>de</strong>s Fein<strong>de</strong>s wi<strong>de</strong>rstand er durch die<br />

Weisheit und Macht <strong>de</strong>s Wortes.<br />

Um die Herrschaft über die Menschen aufrechtzuerhalten und seine Autorität zu<br />

festigen, mußte Satan das Volk über die Heilige Schrift in Unwissenheit lassen. Die Bibel<br />

wür<strong>de</strong> Gott erheben und <strong>de</strong>n sterblichen Menschen ihre wahre Stellung anweisen; <strong>de</strong>shalb<br />

mußten ihre heiligen Wahrheiten geheimgehalten und unterdrückt wer<strong>de</strong>n. Diese<br />

Überlegung machte sich die Kirche zu eigen. Jahrhun<strong>de</strong>rtelang war die Verbreitung <strong>de</strong>r<br />

Heiligen Schrift verboten; das Volk durfte sie we<strong>de</strong>r lesen noch im Hause haben, und<br />

gewissenlose Geistliche legten ihre Lehren zur Begründung ihrer eigenen Behauptungen aus.<br />

Auf diese Weise wur<strong>de</strong> das Kirchenoberhaupt fast überall als Statthalter Gottes auf Er<strong>de</strong>n<br />

anerkannt, <strong>de</strong>r mit Autorität über Kirche und Staat ausgestattet wor<strong>de</strong>n sei.<br />

Da das einzig zuverlässige Mittel zur Ent<strong>de</strong>ckung <strong>de</strong>s Irrtums beseitigt wor<strong>de</strong>n war,<br />

wirkte Satan ganz nach seiner Willkür. In <strong>de</strong>r Prophezeiung war erklärt wor<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r<br />

Abtrünnige wer<strong>de</strong> „sich unterstehen, Zeit und Gesetz zu än<strong>de</strong>rn“ (Daniel 7,25), und er war<br />

nicht müßig, dies zu versuchen. Um <strong>de</strong>n vom Hei<strong>de</strong>ntum Bekehrten einen Ersatz für die<br />

Anbetung von Götzen zu bieten und so ihre rein äußerliche Annahme <strong>de</strong>s Christentums zu<br />

för<strong>de</strong>rn, wur<strong>de</strong> stufenweise die Verehrung von Bil<strong>de</strong>rn und Reliquien in <strong>de</strong>n christlichen<br />

Gottesdienst eingeführt. Der Beschluß eines allgemeinen Konzils endlich bestätigte dieses<br />

System <strong>de</strong>r Abgötterei. Um das entheiligen<strong>de</strong> Werk zu vervollständigen, maßte sich die<br />

29


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kirche an, das zweite Gebot <strong>de</strong>s Gesetzes Gottes, das die Bil<strong>de</strong>ranbetung verbietet, als<br />

selbständiges Gebot aufzuheben und das zehnte zu teilen, um die Zehnzahl beizubehalten.<br />

Die Zugeständnisse gegenüber <strong>de</strong>m Hei<strong>de</strong>ntum öffneten <strong>de</strong>n Weg für eine noch größere<br />

Mißachtung <strong>de</strong>r Autorität <strong>de</strong>s Himmels. Satan tastete auch das vierte Gebot an und<br />

versuchte, <strong>de</strong>n seit alters bestehen<strong>de</strong>n Sabbat, <strong>de</strong>n Tag, <strong>de</strong>n Gott gesegnet und geheiligt<br />

hatte (1.Mose 2,2.3), beiseitezusetzen und statt seiner <strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n Hei<strong>de</strong>n als „ehrwürdigen<br />

Tag <strong>de</strong>r Sonne“ begangenen Festtag zu erheben. Diese Verän<strong>de</strong>rung wur<strong>de</strong> anfangs nicht<br />

offen versucht. In <strong>de</strong>n ersten Jahrhun<strong>de</strong>rten war <strong>de</strong>r wahre Sabbat von allen Christen<br />

gehalten wor<strong>de</strong>n. Sie eiferten für die Ehre Gottes, und da sie glaubten, sein Gesetz sei<br />

unverän<strong>de</strong>rlich, wahrten sie eifrig die Heiligkeit seiner Vorschriften. Aber mit großer<br />

Schlauheit wirkte Satan durch seine Werkzeuge, um sein Ziel zu erreichen. Um die<br />

Aufmerksamkeit <strong>de</strong>s Volkes auf <strong>de</strong>n Sonntag zu richten, wur<strong>de</strong> dieser zu einem Festtag zu<br />

Ehren <strong>de</strong>r Auferstehung Christi erklärt und an diesem Tag Gottesdienst gehalten; <strong>de</strong>nnoch<br />

betrachtete man ihn nur als einen Tag <strong>de</strong>r Erholung und hielt <strong>de</strong>n Sabbat noch immer heilig.<br />

Damit <strong>de</strong>r Weg für das von ihm beabsichtigte Werk vorbereitet wür<strong>de</strong>, hatte Satan die<br />

Ju<strong>de</strong>n vor <strong>de</strong>r Ankunft Christi verleitet, <strong>de</strong>n Sabbat mit übermäßig strengen Anfor<strong>de</strong>rungen<br />

zu belasten, so daß seine Feier zur Bür<strong>de</strong> wur<strong>de</strong>. Jetzt benutzte er das falsche Licht, in <strong>de</strong>m<br />

er ihn auf diese Weise hatte erscheinen lassen, um auf diesen Tag, <strong>de</strong>r eine jüdische<br />

Einrichtung war, Verachtung zu häufen. Während die Christen im allgemeinen fortfuhren,<br />

<strong>de</strong>n Sonntag als einen Freu<strong>de</strong>ntag zu betrachten, veranlaßte Satan sie, um ihren Haß gegen<br />

alles Jüdische zu zeigen, <strong>de</strong>n Sabbat zu einem Fasttag, einem Tag <strong>de</strong>r Trauer und <strong>de</strong>s<br />

Trübsinns zu gestalten.<br />

Anfang <strong>de</strong>s vierten Jahrhun<strong>de</strong>rts erließ Kaiser Konstantin eine für das ganze Römische<br />

Reich gültige Verordnung, <strong>de</strong>rzufolge <strong>de</strong>r Sonntag als öffentlicher Festtag eingesetzt wur<strong>de</strong>.<br />

Der Tag <strong>de</strong>r Sonne wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>n heidnischen Untertanen verehrt und von <strong>de</strong>n Christen<br />

geachtet, und <strong>de</strong>r Kaiser verfolgte die Absicht, die wi<strong>de</strong>rstreiten<strong>de</strong>n Ansichten <strong>de</strong>s<br />

Christentums und <strong>de</strong>s Hei<strong>de</strong>ntums zu vereinen. Er wur<strong>de</strong> dazu von <strong>de</strong>n Bischöfen <strong>de</strong>r<br />

Kirche gedrängt, die, von Ehrgeiz und Machtgier beseelt, einsahen, daß <strong>de</strong>n Hei<strong>de</strong>n die<br />

äußerliche Annahme <strong>de</strong>s Christentums erleichtert und somit die Macht und Herrlichkeit <strong>de</strong>r<br />

Kirche geför<strong>de</strong>rt wür<strong>de</strong>, wenn sowohl Christen als auch Hei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n selben Tag heilighielten.<br />

Aber während viele fromme Christen allmählich dahin kamen, <strong>de</strong>m heidnischen Sonntag<br />

einen gewissen Grad von Heiligkeit beizumessen, hielten sie doch <strong>de</strong>n wahren Sabbat <strong>de</strong>m<br />

Herrn heilig und beachteten ihn im Gehorsam gegen das vierte Gebot.<br />

Der Erzbetrüger hatte sein Werk nicht vollen<strong>de</strong>t. Er war entschlossen, die ganze<br />

christliche Welt unter sein Banner zu sammeln und seine Macht geltend zu machen. Durch<br />

halbbekehrte Hei<strong>de</strong>n, ehrgeizige kirchliche Wür<strong>de</strong>nträger und weltlieben<strong>de</strong> Geistliche<br />

erreichte er seine Absicht. Von Zeit zu Zeit wur<strong>de</strong>n große Kirchenversammlungen<br />

abgehalten, zu <strong>de</strong>nen die geistlichen Wür<strong>de</strong>nträger aus allen Weltgegen<strong>de</strong>n<br />

zusammenkamen. Auf fast je<strong>de</strong>m Konzil wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r von Gott eingesetzte Sabbat mehr und<br />

30


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

mehr erniedrigt und <strong>de</strong>r Sonntag entsprechend erhöht. So wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r heidnische Festtag<br />

schließlich als eine göttliche Einrichtung verehrt, während man <strong>de</strong>n biblischen Sabbat als<br />

Überbleibsel <strong>de</strong>s Ju<strong>de</strong>ntums verschrie und alle, die ihn feierten, verfluchte.<br />

Dem großen Abtrünnigen war es gelungen, sich über „alles, was Gott o<strong>de</strong>r Gottesdienst<br />

heißt“ (2.Thessalonicher 2,4), zu erheben. Er hatte sich erkühnt, das einzige Gebot <strong>de</strong>s<br />

göttlichen Gesetzes, das unverkennbar alle Menschen auf <strong>de</strong>n wahren und lebendigen Gott<br />

hinweist, zu verän<strong>de</strong>rn. Im vierten Gebot wird Gott als <strong>de</strong>r Schöpfer Himmels und <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong><br />

offenbart und dadurch von allen falschen Göttern unterschie<strong>de</strong>n. Zur Erinnerung an das<br />

Schöpfungswerk wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r siebente Tag als Ruhetag für die Menschen geheiligt. Er war<br />

dazu bestimmt, <strong>de</strong>n Menschen <strong>de</strong>n lebendigen Gott als Quelle <strong>de</strong>s Heils und Ziel <strong>de</strong>r<br />

Verehrung und Anbetung ständig vor Augen zu halten. Satan ist jedoch bemüht, die<br />

Menschen von ihrer Treue zu Gott und von <strong>de</strong>m Gehorsam gegen sein Gesetz abwendig zu<br />

machen. Deshalb richtet er seine Angriffe beson<strong>de</strong>rs gegen jenes Gebot, das Gott als <strong>de</strong>n<br />

Schöpfer kennzeichnet.<br />

Die Protestanten machen geltend, die Auferstehung Christi am Sonntag erhebe diesen<br />

Tag zum Ruhetag <strong>de</strong>r Christen; hierfür fehlen jedoch die Beweise aus <strong>de</strong>r Heiligen Schrift.<br />

We<strong>de</strong>r Christus noch seine Apostel haben diesem Tag eine solche Ehre beigelegt. Die Feier<br />

<strong>de</strong>s Sonntags als eine christliche Einrichtung hat ihren Ursprung in jenem „Geheimnis <strong>de</strong>r<br />

Bosheit“, daß sich schon in <strong>de</strong>n Tagen <strong>de</strong>s Paulus regte. 2.Thessalonicher 2,7. Wo und wann<br />

aber hat <strong>de</strong>r Herr <strong>de</strong>n Sonntag, dieses Erzeugnis <strong>de</strong>s Abfalls, angenommen? Welcher<br />

rechtsgültige Grund kann für eine Verän<strong>de</strong>rung genannt wer<strong>de</strong>n, die die Heilige Schrift<br />

nicht billigt?<br />

Im sechsten Jahrhun<strong>de</strong>rt hatte das Papsttum bereits eine feste Grundlage gewonnen. Der<br />

Sitz seiner Macht war in <strong>de</strong>r kaiserlichen Stadt aufgerichtet und <strong>de</strong>r Bischof von Rom zum<br />

Oberhaupt <strong>de</strong>r ganzen Kirche bestimmt wor<strong>de</strong>n. Das Hei<strong>de</strong>ntum war <strong>de</strong>m Papsttum<br />

gewichen, <strong>de</strong>r Drache hatte <strong>de</strong>m Tier „seine Kraft und seinen Thron und große<br />

Macht“ gegeben. Damit begannen die 1260 Jahre <strong>de</strong>r Unterdrückung <strong>de</strong>r Heiligen, die in <strong>de</strong>r<br />

Prophezeiung von Daniel und <strong>de</strong>r Offenbarung vorhergesagt sind. Daniel 7,25; Offenbarung<br />

13,5-7. Die Christen wur<strong>de</strong>n gezwungen zu wählen, ob sie entwe<strong>de</strong>r ihre Unbescholtenheit<br />

aufgeben und päpstliche Gebräuche und <strong>de</strong>n päpstlichen Gottesdienst annehmen o<strong>de</strong>r ihr<br />

Leben in Kerkerzellen verbringen, auf <strong>de</strong>r Folterbank, auf <strong>de</strong>m Scheiterhaufen o<strong>de</strong>r durch<br />

das Henkerbeil <strong>de</strong>n Tod erlei<strong>de</strong>n wollten. Jetzt wur<strong>de</strong>n die Worte Jesu erfüllt: „Ihr wer<strong>de</strong>t<br />

aber überantwortet wer<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n Eltern, Brü<strong>de</strong>rn, Verwandten und Freun<strong>de</strong>n; und sie<br />

wer<strong>de</strong>n euer etliche töten. Und ihr wer<strong>de</strong>t gehaßt sein von je<strong>de</strong>rmann um meines Namens<br />

willen.“ Lukas 21,16.17. Verfolgungen erhoben sich mit größerer Wut über die Gläubigen<br />

als je zuvor, und die Welt wur<strong>de</strong> ein ausge<strong>de</strong>hntes Schlachtfeld. Jahrhun<strong>de</strong>rtelang fand die<br />

Gemein<strong>de</strong> Zuflucht in <strong>de</strong>r Einsamkeit und Verborgenheit. So sagt <strong>de</strong>r Prophet: „Und das<br />

Weib entfloh in die Wüste, wo sie einen Ort hat, bereitet von Gott, daß sie daselbst ernährt<br />

wür<strong>de</strong> tausendzweihun<strong>de</strong>rtundsechzig Tage.“ Offenbarung 12,6.<br />

31


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Der Aufstieg <strong>de</strong>r römischen Kirche zur Macht kennzeichnet <strong>de</strong>n Beginn <strong>de</strong>s finsteren<br />

Mittelalters. Je mehr ihre Macht zunahm, <strong>de</strong>sto dichter wur<strong>de</strong> die Finsternis. Der Glaube<br />

wur<strong>de</strong> von Christus, <strong>de</strong>m wahren Grund, auf <strong>de</strong>n Statthalter in Rom übertragen. Statt für die<br />

Vergebung <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>n und das ewige Heil auf <strong>de</strong>n Sohn Gottes zu vertrauen, sah das Volk<br />

auf <strong>de</strong>n Papst und auf die von ihm bevollmächtigten Priester und Prälaten. Es wur<strong>de</strong> gelehrt,<br />

<strong>de</strong>r Papst sei <strong>de</strong>r irdische Mittler und niemand könne sich Gott nähern, es sei <strong>de</strong>nn durch ihn.<br />

Ferner wur<strong>de</strong> verkün<strong>de</strong>t, daß er für die Menschen Gottes Stelle einnehme und ihm <strong>de</strong>shalb<br />

unbedingt zu gehorchen sei.<br />

Ein Abweichen von seinen For<strong>de</strong>rungen genügte, um die Schuldigen mit härtesten<br />

Strafen für Leib und Seele zu belegen. So wur<strong>de</strong>n die Gemüter <strong>de</strong>s Volkes von Gott<br />

abgelenkt und auf fehlbare, irren<strong>de</strong> und grausame Menschen gerichtet, ja, mehr noch auf<br />

<strong>de</strong>n Fürsten <strong>de</strong>r Finsternis selbst, <strong>de</strong>r durch diese Menschen seine Macht ausübte. Die Sün<strong>de</strong><br />

war unter <strong>de</strong>m Gewand <strong>de</strong>r Heiligkeit verborgen. Wenn die Heilige Schrift unterdrückt wird<br />

und Menschen sich selbst an die oberste Stelle setzen, können wir nichts an<strong>de</strong>res erwarten<br />

als Betrug, Täuschung und erniedrigen<strong>de</strong> Ungerechtigkeit. Mit <strong>de</strong>r Höherstellung<br />

menschlicher Gesetze, Überlieferungen und Verordnungen wur<strong>de</strong> die Ver<strong>de</strong>rbnis offenbar,<br />

die stets aus <strong>de</strong>r Verwerfung göttlicher Gebote hervorgeht.<br />

Dies waren Tage <strong>de</strong>r Gefahr für die Gemein<strong>de</strong> Christi. Der treuen Bannerträger waren<br />

wahrlich wenige. Obwohl die Wahrheit nicht ohne Zeugen blieb, schien es doch zuweilen,<br />

als ob Irrtum und Aberglaube vollständig überhandnehmen wollten und die wahre Religion<br />

von <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> verbannt wür<strong>de</strong>. Man verlor das Evangelium aus <strong>de</strong>n Augen, religiöse Bräuche<br />

hingegen wur<strong>de</strong>n vermehrt und die Menschen mit übermäßig harten Anfor<strong>de</strong>rungen belastet.<br />

Sie wur<strong>de</strong>n nicht nur gelehrt, <strong>de</strong>n Papst als ihren Mittler zu betrachten, son<strong>de</strong>rn auch zur<br />

Versöhnung ihrer Sün<strong>de</strong>n auf ihre eigenen Werke zu vertrauen. Lange Pilgerfahrten,<br />

Bußübungen, die Anbetung von Reliquien, die Errichtung von Kirchen, Kapellen und<br />

Altären, das Bezahlen hoher Geldsummen an die Kirche — diese und viele ähnliche Werke<br />

wur<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Menschen auferlegt, um <strong>de</strong>n Zorn Gottes zu besänftigen o<strong>de</strong>r sich seiner Gunst<br />

zu versichern, als ob Gott, gleich einem Menschen, wegen Kleinigkeiten erzürnt o<strong>de</strong>r durch<br />

Gaben und Bußübungen zufrie<strong>de</strong>ngestellt wer<strong>de</strong>n könnte.<br />

Obgleich die Sün<strong>de</strong> selbst unter <strong>de</strong>n Führern <strong>de</strong>r römischen Kirche überhandnahm, <strong>de</strong>r<br />

Einfluß <strong>de</strong>r Kirche schien <strong>de</strong>nnoch ständig zu zu wachsen. Etwa Mitte <strong>de</strong>s achten<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rts erhoben die Verteidiger <strong>de</strong>s Papsttums <strong>de</strong>n Anspruch, daß im ersten Zeitalter<br />

<strong>de</strong>r Kirche die Bischöfe von Rom die gleiche geistliche Macht besessen hätten, die sie sich<br />

jetzt anmaßten. Um diesen Anspruch geltend zu machen, mußte irgen<strong>de</strong>in Mittel angewandt<br />

wer<strong>de</strong>n, um ihm <strong>de</strong>n Schein von Autorität zu verleihen, und dies wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>m Vater <strong>de</strong>r<br />

Lüge bereitwillig ins Werk gesetzt. Alte Handschriften wur<strong>de</strong>n von Mönchen nachgeahmt;<br />

bis dahin unbekannte Beschlüsse von Kirchenversammlungen wur<strong>de</strong>n ent<strong>de</strong>ckt, die die<br />

allgemeine Oberherrschaft <strong>de</strong>s Papstes von <strong>de</strong>n frühesten Zeiten an bestätigten. Und eine<br />

32


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kirche, die die Wahrheit verworfen hatte, nahm diese Fälschungen begierig an. (Siehe Anm.<br />

007)<br />

Die wenigen Getreuen, die auf <strong>de</strong>n wahren Grund bauten (vgl. 1.Korinther 3,10.11),<br />

wur<strong>de</strong>n verwirrt und gehin<strong>de</strong>rt, als das Durcheinan<strong>de</strong>r falscher Lehren das Werk lähmte.<br />

Gleich <strong>de</strong>n Bauleuten auf <strong>de</strong>n Mauern Jerusalems in <strong>de</strong>n Tagen Nehemias waren einige<br />

bereit zu sagen: „Die Kraft <strong>de</strong>r Träger ist zu schwach, und <strong>de</strong>s Schuttes ist zu viel; wir<br />

können an <strong>de</strong>r Mauer nicht bauen.“ Nehemia 4,4. Zutiefst ermü<strong>de</strong>t von <strong>de</strong>m ständigen<br />

Kampf gegen Verfolgung, Betrug, Ungerechtigkeit und je<strong>de</strong>s an<strong>de</strong>re Hin<strong>de</strong>rnis, das Satan<br />

ersinnen konnte, um ihren Fortschritt zu hin<strong>de</strong>rn, wur<strong>de</strong>n manche, die treue Bauleute<br />

gewesen waren, entmutigt und wandten sich, um <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns, <strong>de</strong>r Sicherheit ihres<br />

Eigentums und ihres Lebens willen von <strong>de</strong>m wahren Grund ab. An<strong>de</strong>re, unerschrocken bei<br />

<strong>de</strong>m Wi<strong>de</strong>rstand ihrer Fein<strong>de</strong>, erklärten furchtlos: „Fürchtet euch nicht vor ihnen; ge<strong>de</strong>nket<br />

an <strong>de</strong>n großen schrecklichen Herrn und streitet für eure Brü<strong>de</strong>r, Söhne, Töchter, Weiber und<br />

Häuser!“ Und entschlossen setzten die Bauleute ihre Arbeit fort, je<strong>de</strong>r sein Schwert um<br />

seine Len<strong>de</strong>n gegürtet. Nehemia 4,8; vgl. Epheser 6,17.<br />

Der gleiche Geist <strong>de</strong>s Hasses und <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rstan<strong>de</strong>s gegen die Wahrheit hat zu allen<br />

Zeiten Gottes Fein<strong>de</strong> angefeuert, und die gleiche Wachsamkeit und Treue ist von seinen<br />

Dienern verlangt wor<strong>de</strong>n. Die an die ersten Jünger gerichteten Worte Christi gelten allen<br />

seinen Nachfolgern bis ans En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Zeit: „Was ich aber euch sage, das sage ich allen:<br />

Wachet!“ Markus 13,37.<br />

Die Finsternis schien dichter zu wer<strong>de</strong>n. Die Bil<strong>de</strong>rverehrung breitete sich immer mehr<br />

aus. Vor <strong>de</strong>n Bil<strong>de</strong>rn wur<strong>de</strong>n Kerzen angezün<strong>de</strong>t und Gebete dargebracht. Die<br />

wi<strong>de</strong>rsinnigsten und abergläubischsten Gebräuche nahmen überhand. Die Gemüter <strong>de</strong>r<br />

Menschen wur<strong>de</strong>n so völlig vom Aberglauben beherrscht, daß die Vernunft ihre Macht<br />

verloren zu haben schien. Wenn Priester und Bischöfe vergnügungssüchtig, sinnlich und<br />

ver<strong>de</strong>rbt waren, konnte nichts an<strong>de</strong>res erwartet wer<strong>de</strong>n, als daß das zu ihnen als geistlichen<br />

Führern aufschauen<strong>de</strong> Volk in Unwissenheit und Laster versank.<br />

Ein weiterer Schritt in <strong>de</strong>r päpstlichen Anmaßung erfolgte, als im 11.Jahrhun<strong>de</strong>rt Papst<br />

Gregor <strong>de</strong>r VII. die Vollkommenheit <strong>de</strong>r römischen Kirche verkündigte. In <strong>de</strong>n von ihm<br />

veröffentlichten Thesen erklärte er u.a., daß die Kirche nicht geirrt habe und nach <strong>de</strong>r<br />

Heiligen Schrift niemals irren wer<strong>de</strong>; aber biblische Beweise stützten diese Behauptung<br />

nicht. Der stolze Oberpriester beanspruchte auch die Macht, Kaiser absetzen zu können, und<br />

erklärte, daß kein von ihm verkün<strong>de</strong>ter Rechtsspruch von irgend jemand umgestoßen<br />

wer<strong>de</strong>n könne, während er berechtigt sei, die Beschlüsse an<strong>de</strong>rer aufzuheben.<br />

Einen schlagen<strong>de</strong>n Beweis seines <strong>de</strong>spotischen Charakters lieferte dieser Befürworter<br />

<strong>de</strong>r Unfehlbarkeit in <strong>de</strong>r Behandlung <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Kaisers Heinrich IV. Weil dieser Fürst<br />

gewagt hatte, die Macht <strong>de</strong>s Papstes zu mißachten, wur<strong>de</strong> er in <strong>de</strong>n Kirchenbann getan und<br />

für entthront erklärt. Erschreckt über die Untreue und die Drohungen seiner eigenen Fürsten,<br />

33


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

die in ihrer Empörung gegen ihn durch <strong>de</strong>n päpstlichen Erlaß ermutigt wur<strong>de</strong>n, hielt<br />

Heinrich es für notwendig, mit Rom Frie<strong>de</strong>n zu schließen. In Begleitung seiner Gemahlin<br />

und eines treuen Dieners überschritt er im Winter die Alpen, um sich vor <strong>de</strong>m Papst zu<br />

<strong>de</strong>mütigen. Als er das Schloß Canossa, wohin Gregor sich zurückgezogen hatte, erreichte,<br />

wur<strong>de</strong> er ohne seine Leibwache in einen Vorhof geführt, und dort erwartete er in <strong>de</strong>r<br />

strengen Kälte <strong>de</strong>s Winters mit unbe<strong>de</strong>ckten Haupt und nackten Füßen, beklei<strong>de</strong>t mit einem<br />

Büßergewand, die Erlaubnis <strong>de</strong>s Papstes, vor ihm erscheinen zu dürfen. Erst nach<strong>de</strong>m er<br />

drei Tage mit Fasten und Beichten zugebracht hatte, ließ sich <strong>de</strong>r Papst herab, ihm<br />

Verzeihung zu gewähren, und selbst dann geschah es nur unter <strong>de</strong>r Bedingung, daß <strong>de</strong>r<br />

Kaiser seine (<strong>de</strong>s Papstes) Genehmigung abwarte, ehe er sich aufs neue mit <strong>de</strong>m Zeichen<br />

seiner Wür<strong>de</strong> schmücke o<strong>de</strong>r sein Königtum ausübe. Gregor aber, durch seinen Sieg kühn<br />

gemacht, prahlte, daß es seine Pflicht sei, <strong>de</strong>n Stolz <strong>de</strong>r Könige zu <strong>de</strong>mütigen.<br />

Wie auffallend ist <strong>de</strong>r Unterschied zwischen <strong>de</strong>r Überheblichkeit dieses Priesterfürsten<br />

und <strong>de</strong>r Sanftmut und Mil<strong>de</strong> Christi, <strong>de</strong>r sich selbst als <strong>de</strong>r an <strong>de</strong>r Tür <strong>de</strong>s Herzens um<br />

Einlaß Bitten<strong>de</strong> darstellt, damit er einkehren kann, um Vergebung und Frie<strong>de</strong>n zu bringen,<br />

und <strong>de</strong>r seine Jünger lehrt: „Wer da will <strong>de</strong>r Vornehmste sein, <strong>de</strong>r sei euer<br />

Knecht.“ Matthäus 20,27. Die folgen<strong>de</strong>n Jahrhun<strong>de</strong>rte zeugen von einer beständigen<br />

Zunahme <strong>de</strong>s Irrtums in <strong>de</strong>n von Rom ausgehen<strong>de</strong>n Lehren. Schon vor <strong>de</strong>r Aufrichtung <strong>de</strong>s<br />

Papsttums war <strong>de</strong>n Lehren heidnischer Philosophen Aufmerksamkeit geschenkt wor<strong>de</strong>n,<br />

und sie hatten einen gewissen Einfluß in <strong>de</strong>r Kirche ausgeübt. Viele angeblich Bekehrte<br />

hingen noch immer an <strong>de</strong>n Lehrsätzen ihrer heidnischen Philosophie. Sie fuhren nicht nur<br />

fort, sie weiterhin zu erforschen, son<strong>de</strong>rn drängten sie auch an<strong>de</strong>rn auf, um ihren Einfluß<br />

unter <strong>de</strong>n Hei<strong>de</strong>n auszu<strong>de</strong>hnen. Auf diese Weise wur<strong>de</strong>n be<strong>de</strong>nkliche Irrtümer in <strong>de</strong>n<br />

christlichen Glauben eingeschleppt. An erster Stelle stand dabei <strong>de</strong>r Glaube an die<br />

natürliche (seelische) Unsterblichkeit <strong>de</strong>s Menschen und an sein Bewußtsein nach <strong>de</strong>m To<strong>de</strong>.<br />

Auf <strong>de</strong>r Grundlage dieser Lehre führte Rom die Anrufung <strong>de</strong>r Heiligen und die Verehrung<br />

<strong>de</strong>r Jungfrau Maria ein. Hieraus entsprang auch die <strong>de</strong>m päpstlichen Glauben schon früh<br />

hinzugefügte Irrlehre einer ewigen Qual für die bis zuletzt Unbußfertigen.<br />

Damit war <strong>de</strong>r Weg für die Einführung einer weiteren Erfindung vorbereitet, die Rom<br />

das Fegfeuer nannte und anwandte, um <strong>de</strong>r leichtgläubigen und abergläubischen Menge<br />

Furcht einzujagen. In dieser Irrlehre wird behauptet, daß es einen Ort <strong>de</strong>r Qual gebe, an <strong>de</strong>m<br />

die Seelen <strong>de</strong>rer, die keine ewige Verdammnis verdient haben, für ihre Sün<strong>de</strong>n bestraft<br />

wer<strong>de</strong>n. Sobald sie von aller Unreinigkeit frei sind, wer<strong>de</strong>n auch sie in <strong>de</strong>n Himmel<br />

aufgenommen. (Siehe Anm. 010)<br />

Noch eine an<strong>de</strong>re Verfälschung war notwendig, um Rom in <strong>de</strong>n Stand zu setzen, die<br />

Furcht und die Untugen<strong>de</strong>n seiner Anhänger für sich auszunutzen. Diese fand sich in <strong>de</strong>r<br />

Ablaßlehre. Volle Vergebung <strong>de</strong>r vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Sün<strong>de</strong>n,<br />

Erlaß aller sich dadurch zugezogenen Strafen und Qualen wur<strong>de</strong> allen zugesichert, die sich<br />

an <strong>de</strong>n Kriegen <strong>de</strong>s Papsttums beteiligten, sei es, um seine weltliche Herrschaft zu erweitern,<br />

34


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

seine Fein<strong>de</strong> zu züchtigen o<strong>de</strong>r jene auszutilgen, die sich erkühnten, seiner geistlichen<br />

Oberherrschaft die Anerkennung zu versagen. Es wur<strong>de</strong> ferner gelehrt, daß man sich durch<br />

Zahlen von Gel<strong>de</strong>rn an die Kirche von Sün<strong>de</strong>n nicht nur befreien, son<strong>de</strong>rn daß man auch die<br />

Seelen verstorbener Freun<strong>de</strong>, die in <strong>de</strong>n peinigen<strong>de</strong>n Flammen gefangengehalten wür<strong>de</strong>n,<br />

erlösen könnte. Durch solche Mittel füllte Rom seine Kassen und unterhielt <strong>de</strong>n Prunk, das<br />

Wohlleben und die Laster <strong>de</strong>r angeblichen Vertreter <strong>de</strong>ssen, <strong>de</strong>r nicht hatte, wo er sein<br />

Haupt hinlegte. (Siehe Anm. 011)<br />

Die schriftgemäße Verordnung <strong>de</strong>s Abendmahls war durch das Meßopfer verdrängt<br />

wor<strong>de</strong>n. Die Priester behaupteten, daß einfaches Brot und Wein in <strong>de</strong>n persönlichen Leib<br />

und das wirkliche Blut Christi verwan<strong>de</strong>lt wür<strong>de</strong>n. Mit gera<strong>de</strong>zu gotteslästerlicher<br />

Anmaßung beanspruchten sie öffentlich die Macht, Gott, <strong>de</strong>n Schöpfer aller Dinge, „zu<br />

schaffen“. (Siehe Anm. 012) Von <strong>de</strong>n Christen wur<strong>de</strong> bei To<strong>de</strong>sstrafe verlangt, ihren<br />

Glauben an diese entsetzliche, himmelschmähen<strong>de</strong> Lehre zu bekennen. Scharenweise<br />

wur<strong>de</strong>n solche, die sich weigerten, <strong>de</strong>n Flammen übergeben.<br />

Im 13. Jahrhun<strong>de</strong>rt wur<strong>de</strong> jenes schrecklichste Mittel <strong>de</strong>s Papsttums eingeführt: die<br />

Inquisition. (Siehe Anm. 013) Der Fürst <strong>de</strong>r Finsternis wirkte mit <strong>de</strong>n Wür<strong>de</strong>nträgern <strong>de</strong>r<br />

päpstlichen Hierarchie zusammen. In ihren geheimen Beratungen beherrschten Satan und<br />

seine Engel die Gemüter von schlechten Menschen, während ein Engel Gottes unsichtbar in<br />

ihrer Mitte stand und <strong>de</strong>n furchtbaren Bericht ihrer ungerechten, gottlosen Verordnungen<br />

aufnahm und die Geschichte ihrer Taten nie<strong>de</strong>rschrieb, die zu scheußlich sind, um<br />

menschlichen Augen unterbreitet zu wer<strong>de</strong>n. Die große Babylon war „trunken von <strong>de</strong>m Blut<br />

<strong>de</strong>r Heiligen“. Die verstümmelten Leiber von Millionen Blutzeugen schrien zu Gott um<br />

Vergeltung gegen jene abtrünnige Macht. Das Papsttum war zum Zwingherrn <strong>de</strong>r Welt<br />

gewor<strong>de</strong>n. Könige und Kaiser beugten sich <strong>de</strong>n Erlassen <strong>de</strong>s römischen Bischofs. Das<br />

Schicksal <strong>de</strong>r Menschen schien für Zeit und Ewigkeit von ihm abhängig zu sein.<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rtelang waren die Lehren Roms weithin und unbedingt angenommen, seine<br />

Zeremonien ehrfurchtsvoll vollzogen, seine Feste allgemein beachtet wor<strong>de</strong>n. Seine<br />

Geistlichkeit wur<strong>de</strong> geehrt und freigebig unterstützt. Nie hat die römische Kirche größere<br />

Wür<strong>de</strong>, Herrlichkeit o<strong>de</strong>r Macht erlangt.<br />

Die Glanzzeit <strong>de</strong>s Papsttums war für die Welt eine Zeit tiefster Finsternis. Die Heilige<br />

Schrift war nicht nur <strong>de</strong>m Volk, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>n Priestern nahezu unbekannt. Gleich <strong>de</strong>n<br />

Pharisäern vor alters haßten die päpstlichen Wür<strong>de</strong>nträger das Licht, das ihre Sün<strong>de</strong>n<br />

auf<strong>de</strong>cken wür<strong>de</strong>. Da sie Gottes Gesetz, das Richtmaß <strong>de</strong>r Gerechtigkeit, beiseite getan<br />

hatten, übten sie schrankenlos ihre Gewalt aus und verfielen moralischer Ver<strong>de</strong>rbtheit.<br />

Betrug, Habsucht und Verschwendung waren an <strong>de</strong>r Tagesordnung. Die Menschen<br />

schreckten vor keiner Gewalttat zurück, wenn sie dadurch Reichtum o<strong>de</strong>r Ansehen<br />

gewinnen konnten. Die Paläste <strong>de</strong>r Päpste und Prälaten waren Schauplatz wüster<br />

Ausschweifungen. Manche <strong>de</strong>r regieren<strong>de</strong>n Päpste hatten sich <strong>de</strong>rartig empören<strong>de</strong>r<br />

Verbrechen schuldig gemacht, daß weltliche Herrscher diese Wür<strong>de</strong>nträger <strong>de</strong>r Kirche<br />

35


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

abzusetzen versuchten, die sich zu nie<strong>de</strong>rträchtig gebär<strong>de</strong>ten, als daß man sie hätte länger<br />

dul<strong>de</strong>n können. Jahrhun<strong>de</strong>rtelang machte Europa auf wissenschaftlichem, kulturellem o<strong>de</strong>r<br />

zivilisatorischem Gebiet keine Fortschritte. Eine sittliche und geistliche Lähmung hatte das<br />

Christentum befallen.<br />

Der Zustand <strong>de</strong>r unter Roms Herrschaft stehen<strong>de</strong>n Welt veranschaulicht <strong>de</strong>utlich die<br />

furchtbare und genaue Erfüllung <strong>de</strong>r Worte <strong>de</strong>s Propheten Hosea: „Mein Volk ist dahin,<br />

darum daß es nicht lernen will. Denn du verwirfst Gottes Wort; darum will ich dich auch<br />

verwerfen ... Du vergissest das Gesetz <strong>de</strong>ines Gottes; darum will ich auch <strong>de</strong>ine Kin<strong>de</strong>r<br />

vergessen.“ „Es ist keine Treue, keine Liebe, keine Erkenntnis Gottes im Lan<strong>de</strong>; son<strong>de</strong>rn<br />

Gotteslästern, Lügen, Mor<strong>de</strong>n, Stehlen und Ehebrechen hat überhandgenommen und eine<br />

Blutschuld kommt nach <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rn.“ Hosea 4,6.1.2. Derart waren die Folgen, die sich aus<br />

<strong>de</strong>r Verbannung <strong>de</strong>s Wortes Gottes ergaben.<br />

36


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 4- Beson<strong>de</strong>re Boten<br />

Inmitten <strong>de</strong>r Dunkelheit, die sich während <strong>de</strong>r langen päpstlichen Herrschaft über die<br />

Er<strong>de</strong> lagerte, konnte das Licht <strong>de</strong>r Wahrheit nicht völlig ausgelöscht wer<strong>de</strong>n. Zu je<strong>de</strong>r Zeit<br />

gab es Zeugen für Gott — Menschen, die <strong>de</strong>n Glauben an Christus als <strong>de</strong>n einzigen<br />

Vermittler zwischen Gott und <strong>de</strong>n Menschen werthielten, <strong>de</strong>nen die Bibel als einzige<br />

Richtschnur <strong>de</strong>s Lebens galt und die <strong>de</strong>n wahren Sabbat feierten. Wieviel die Welt diesen<br />

Menschen schul<strong>de</strong>t, wird die Nachwelt nie erkennen. Sie wur<strong>de</strong>n als Ketzer gebrandmarkt,<br />

ihr Charakter verleum<strong>de</strong>t, ihre Beweggrün<strong>de</strong> angefochten, ihre Schriften unterdrückt,<br />

miß<strong>de</strong>utet o<strong>de</strong>r entstellt; <strong>de</strong>nnoch stan<strong>de</strong>n sie fest und bewahrten von Jahrhun<strong>de</strong>rt zu<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rt ihren Glauben in seiner Reinheit als heiliges Erbteil für die kommen<strong>de</strong>n<br />

Geschlechter.<br />

Die Geschichte <strong>de</strong>s treuen Volkes Gottes während <strong>de</strong>r langen Zeit <strong>de</strong>r Finsternis, die<br />

<strong>de</strong>m Beginn <strong>de</strong>r Oberherrschaft Roms folgte, steht im Himmel verzeichnet, aber in <strong>de</strong>n<br />

menschlichen Berichten wird ihr nur wenig Platz eingeräumt. Außer <strong>de</strong>n Anklagen ihrer<br />

Verfolger zeugen nur wenige Spuren von <strong>de</strong>m einstigen Dasein dieser Menschen. Es war<br />

Roms Verfahrensweise, die geringste sich zeigen<strong>de</strong> Spur einer Abweichung von seinen<br />

Grundsätzen o<strong>de</strong>r Verordnungen radikal auszulöschen. Alles ketzerische, ob Menschen o<strong>de</strong>r<br />

Schriften suchte es auszutilgen. Geäußerte Zweifel o<strong>de</strong>r Fragen hinsichtlich <strong>de</strong>r Autorität<br />

<strong>de</strong>r päpstlichen Glaubenssätze genügten, daß Reiche o<strong>de</strong>r Arme, Hohe o<strong>de</strong>r Niedrige ihr<br />

Leben verwirkten. Rom war bemüht, je<strong>de</strong>n Bericht über seine Grausamkeiten gegen<br />

An<strong>de</strong>rsgläubige zu vernichten. Päpstliche Konzilien beschlossen, daß Bücher und<br />

Aufzeichnungen <strong>de</strong>rartigen Inhalts <strong>de</strong>n Flammen zu übergeben seien. Vor Erfindung <strong>de</strong>r<br />

Buchdruckerkunst gab es nur wenige Bücher, die sich zu<strong>de</strong>m kaum zur Aufbewahrung<br />

eigneten; daher fiel es Rom nicht schwer, seine Absicht zu verwirklichen.<br />

Keine Gemein<strong>de</strong> innerhalb <strong>de</strong>r Grenzen <strong>de</strong>r römischen Gerichtsbarkeit blieb lange<br />

ungestört im Genuß <strong>de</strong>r Gewissensfreiheit. Kaum hatte das Papsttum Macht erlangt, als es<br />

schon seine Arme ausstreckte, um alles zu vernichten, was sich weigerte, seine<br />

Oberherrschaft anzuerkennen. Eine Gemein<strong>de</strong> nach <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren unterwarf sich seiner<br />

Gewalt. In Großbritannien hatte das Urchristentum schon sehr früh Wurzeln gefaßt. Das von<br />

<strong>de</strong>n Briten in <strong>de</strong>n ersten Jahrhun<strong>de</strong>rten angenommene Evangelium war damals noch frei von<br />

abtrünnigen römischen Lehren. Die Verfolgung durch heidnische Kaiser, die sich bis nach<br />

diesen entfernten Küsten aus<strong>de</strong>hnte, war das einzige „Geschenk“, das die ersten Gemein<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r Briten von Rom empfingen. Viele Christen, die vor <strong>de</strong>r Verfolgung aus England flohen,<br />

fan<strong>de</strong>n Zuflucht in Schottland, von dort wur<strong>de</strong> die Wahrheit nach Irland getragen, und in<br />

allen diesen Län<strong>de</strong>rn nahm man sie mit Freu<strong>de</strong>n auf.<br />

Als die Sachsen in Britannien eindrangen, gewann das Hei<strong>de</strong>ntum die Herrschaft. Die<br />

Eroberer verschmähten es, sich von ihren Sklaven unterweisen zu lassen und zwangen die<br />

Christen, sich in die Berge und wil<strong>de</strong>n Moore zurückzuziehen. Doch das eine Zeitlang<br />

37


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

verborgene Licht brannte weiter. In Schottland schien es ein Jahrhun<strong>de</strong>rt später mit einem<br />

Glanz, <strong>de</strong>r sich über weit entlegene Län<strong>de</strong>r erstreckte. Von Irland kamen <strong>de</strong>r fromme<br />

Columban und seine Mitarbeiter; sie sammelten die zerstreuten Gläubigen auf <strong>de</strong>r einsamen<br />

Insel Hy-Jona um sich, die sie zum Mittelpunkt ihrer Missionstätigkeit machten. Unter<br />

diesen Evangelisten befand sich einer, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n biblischen Sabbat hielt, und so wur<strong>de</strong> diese<br />

Wahrheit unter das Volk verbreitet. Auf Hy-Jona wur<strong>de</strong> ein Kloster errichtet, von <strong>de</strong>m aus<br />

Evangelisten nicht nur nach Schottland und England, son<strong>de</strong>rn auch nach Deutschland, <strong>de</strong>r<br />

Schweiz und sogar nach Italien gingen.<br />

Aber Rom hatte seine Augen auf Britannien gerichtet und war entschlossen, es seinem<br />

Machtbereich einzuglie<strong>de</strong>rn. Im 6. Jahrhun<strong>de</strong>rt begannen seine Sendboten die Bekehrung<br />

<strong>de</strong>r heidnischen Sachsen. Sie wur<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n stolzen Barbaren günstig aufgenommen und<br />

brachten viele Tausen<strong>de</strong> zum Bekenntnis <strong>de</strong>s römischen Glaubens. Beim Fortschritt <strong>de</strong>s<br />

Werkes trafen die päpstlichen Führer und ihre Bekehrten mit Gläubigen zusammen, die am<br />

ursprünglichen Christenglauben festhielten, die in ihrem Charakter, in ihrer Lehre und<br />

Lebensart einfach, beschei<strong>de</strong>n und schriftgemäß lebten. Die römischen Abgesandten<br />

verlangten, daß die Christengemein<strong>de</strong>n die Oberherrschaft <strong>de</strong>s Papstes anerkennen sollten.<br />

Die Briten erwi<strong>de</strong>rten freundlich, daß sie alle Menschen zu lieben wünschten, daß jedoch<br />

<strong>de</strong>r Papst nicht zur Oberherrschaft in <strong>de</strong>r Kirche berechtigt sei und sie ihm nur jene<br />

Untertänigkeit erweisen könnten, die je<strong>de</strong>m Nachfolger Christi gebühre.<br />

Wie<strong>de</strong>rholte Versuche wur<strong>de</strong>n unternommen, um sich ihrer Untertanentreue gegen Rom<br />

zu versichern; aber diese <strong>de</strong>mütigen Christen, erstaunt über <strong>de</strong>n von Roms Sendlingen zur<br />

Schau getragenen Stolz erwi<strong>de</strong>rten standhaft, daß sie keinen an<strong>de</strong>rn Herrn als Christus<br />

kennten. Nun offenbarte sich <strong>de</strong>r wahre Geist <strong>de</strong>s Papsttums. Der Vertreter Roms sagte:<br />

„Wenn ihr die Bru<strong>de</strong>rhand, die euch <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>n bringen will, nicht annehmen mögt, so<br />

sollt ihr Fein<strong>de</strong> bekommen, die euch <strong>de</strong>n Krieg bringen, wenn ihr nicht mit uns <strong>de</strong>n Sachsen<br />

<strong>de</strong>n Weg <strong>de</strong>s Lebens verkündigen wollt, so sollt ihr von ihrer Hand <strong>de</strong>n To<strong>de</strong>sstreich<br />

empfangen.“ Das waren keine leeren Drohungen. Krieg, Intrigen und Betrügereien wur<strong>de</strong>n<br />

gegen diese Zeugen eines biblischen Glaubens angewandt, bis die Gemein<strong>de</strong>n Britanniens<br />

zugrun<strong>de</strong> gerichtet waren o<strong>de</strong>r sich gezwungen sahen, die Herrschaft <strong>de</strong>s Papstes<br />

anzuerkennen.<br />

In <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn außerhalb <strong>de</strong>r Gerichtsbarkeit Roms bestan<strong>de</strong>n jahrhun<strong>de</strong>rtelang<br />

Gemeinschaften von Christen, die sich von <strong>de</strong>r päpstlichen Ver<strong>de</strong>rbnis beinahe freihielten.<br />

Sie waren vom Hei<strong>de</strong>ntum umgeben und litten im Laufe <strong>de</strong>r Jahre durch <strong>de</strong>ssen Irrtümer;<br />

aber sie betrachteten weiterhin die Bibel als alleinige Richtschnur <strong>de</strong>s Glaubens und hielten<br />

an manchen Wahrheiten fest. Sie glaubten an die ewige Gültigkeit <strong>de</strong>s Gesetzes Gottes und<br />

feierten <strong>de</strong>n Sabbat <strong>de</strong>s vierten Gebotes. Derartige Gemein<strong>de</strong>n fan<strong>de</strong>n sich in Afrika und<br />

unter <strong>de</strong>n Armeniern in Kleinasien.<br />

Unter <strong>de</strong>nen aber, die sich <strong>de</strong>n Eingriffen <strong>de</strong>r päpstlichen Macht wi<strong>de</strong>rsetzten, stan<strong>de</strong>n<br />

die Wal<strong>de</strong>nser mit an erster Stelle. Gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>m Lan<strong>de</strong>, in <strong>de</strong>m das Papsttum seinen Sitz<br />

38


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

aufgeschlagen hatte, wur<strong>de</strong> seiner Falschheit und Ver<strong>de</strong>rbtheit <strong>de</strong>r entschlossenste<br />

Wi<strong>de</strong>rstand geleistet. Jahrhun<strong>de</strong>rtelang erhielten sich die Gemein<strong>de</strong>n in Piemont ihre<br />

Unabhängigkeit, aber schließlich kam die Zeit, da Rom auf ihrer Unterwerfung bestand.<br />

Nach erfolglosen Kämpfen gegen die römische Tyrannei erkannten die Leiter dieser<br />

Gemein<strong>de</strong>n wi<strong>de</strong>rstrebend die Oberherrschaft <strong>de</strong>r Macht an, <strong>de</strong>r sich die ganze Welt zu<br />

beugen schien. Eine Anzahl jedoch weigerte sich, <strong>de</strong>r Autorität <strong>de</strong>s Papstes o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

geistlichen Wür<strong>de</strong>nträger nachzugeben, und war entschlossen, Gott die Treue zu halten und<br />

die Reinheit und Klarheit <strong>de</strong>s Glaubens zu bewahren. Als Folge dieser Entwicklung zerfiel<br />

die Einheit dieser Gemein<strong>de</strong>n. Die <strong>de</strong>m alten Glauben treu blieben, zogen sich zurück;<br />

einige verließen ihre heimatlichen Alpen und richteten das Banner <strong>de</strong>r Wahrheit in frem<strong>de</strong>n<br />

Län<strong>de</strong>rn auf; an<strong>de</strong>re zogen sich in entlegene Schluchten und felsige Bergfesten zurück und<br />

bewahrten sich dort ihre Freiheit, Gott zu verehren.<br />

Der Glaube, <strong>de</strong>r Jahrhun<strong>de</strong>rte hindurch von <strong>de</strong>n Wal<strong>de</strong>nsern bewahrt und gelehrt wur<strong>de</strong>,<br />

stand in scharfem Gegensatz zu <strong>de</strong>n von Rom verkün<strong>de</strong>ten Lehrsätzen. Ihre religiöse<br />

Auffassung grün<strong>de</strong>te sich auf das geschriebene Wort Gottes, auf die Grundsätze <strong>de</strong>s wahren<br />

Christentums. Doch waren jene einfachen Landleute in ihren dunklen Zufluchtsorten,<br />

abgeschlossen von <strong>de</strong>r Welt und an ihre täglichen Pflichten unter ihren Her<strong>de</strong>n und in ihren<br />

Weingärten gebun<strong>de</strong>n, nicht von selbst zu <strong>de</strong>r Wahrheit gekommen, die im Wi<strong>de</strong>rspruch zu<br />

<strong>de</strong>n Lehrsätzen und Irrlehren <strong>de</strong>r gefallenen Kirche stand; ihre religiöse Überzeugung war<br />

nicht erst neu angenommen wor<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn sie war ein Erbgut ihrer Väter. Sie kämpften<br />

für <strong>de</strong>n Glauben <strong>de</strong>r apostolischen Kirche, „<strong>de</strong>r einmal <strong>de</strong>n Heiligen übergeben ist“. Judas 3.<br />

Die Gemein<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Wüste und nicht die stolze Priesterherrschaft auf <strong>de</strong>m Thron Roms war<br />

die wahre Gemein<strong>de</strong> Christi, <strong>de</strong>r Wächter <strong>de</strong>r Schätze <strong>de</strong>r Wahrheit, die Gott seinem Volk<br />

anvertraut hatte, um sie <strong>de</strong>r Welt zu übermitteln.<br />

Zu <strong>de</strong>n hauptsächlichsten Ursachen,die zur Trennung <strong>de</strong>r wahren Gemein<strong>de</strong> von Rom<br />

geführt hatten, gehörte <strong>de</strong>ssen Haß gegen <strong>de</strong>n biblischen Sabbat. Wie von <strong>de</strong>r Prophezeiung<br />

vorhergesagt, warf die päpstliche Macht die Wahrheit zu Bo<strong>de</strong>n. Das Gesetz Gottes wur<strong>de</strong><br />

in <strong>de</strong>n Staub getreten, während man die Überlieferungen und Gebräuche <strong>de</strong>r Menschen<br />

erhob. Die Kirchen, die unter <strong>de</strong>r Herrschaft <strong>de</strong>s Papsttums stan<strong>de</strong>n, zwang man schon sehr<br />

früh, <strong>de</strong>n Sonntag als einen heiligen Tag zu ehren. Der vorherrschen<strong>de</strong> Irrtum und<br />

Aberglaube verwirrte selbst viele Angehörige <strong>de</strong>s wahren Volkes Gottes, so daß sie <strong>de</strong>n<br />

Sabbat feierten und auch am Sonntag nicht arbeiteten. Dies aber genügte <strong>de</strong>n päpstlichen<br />

Wür<strong>de</strong>nträgern nicht. Sie verlangten, daß <strong>de</strong>r Sonntag geheiligt und <strong>de</strong>r Sabbat entheiligt<br />

wür<strong>de</strong>, und sie verurteilten mit <strong>de</strong>n stärksten Ausdrücken alle jene, die es wagten, nach wie<br />

vor <strong>de</strong>n biblischen Sabbat zu feiern. Nur wer <strong>de</strong>r römischen Macht entronnen war, konnte<br />

<strong>de</strong>m Gesetz Gottes in Frie<strong>de</strong>n gehorchen.<br />

Die Wal<strong>de</strong>nser gehörten mit zu <strong>de</strong>n ersten Völkern Europas, die in <strong>de</strong>n Besitz einer<br />

Übersetzung <strong>de</strong>r Heiligen Schrift gelangten. Jahrhun<strong>de</strong>rte vor <strong>de</strong>r Reformation besaßen sie<br />

eine Abschrift <strong>de</strong>r Bibel in ihrer Muttersprache; damit besaßen sie die Wahrheit unverfälscht<br />

39


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

und zogen sich dadurch in beson<strong>de</strong>rer Weise Haß und Verfolgung zu. Sie erklärten die<br />

römische Kirche für das abtrünnige Babylon aus <strong>de</strong>r Offenbarung und erhoben sich unter<br />

Gefahr ihres Lebens, um seinen Verführungen zu wi<strong>de</strong>rstehen. Unter <strong>de</strong>m Druck einer<br />

langanhalten<strong>de</strong>n Verfolgung wur<strong>de</strong>n etliche in ihrem Glauben schwankend und ließen nach<br />

und nach seine unterschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Grundsätze fahren; an<strong>de</strong>re hielten an <strong>de</strong>r Wahrheit fest.<br />

Auch in <strong>de</strong>n finsteren Zeiten <strong>de</strong>s Abfalls gab es Wal<strong>de</strong>nser, die die Oberherrschaft Roms<br />

bestritten, die Bil<strong>de</strong>rverehrung als Götzendienst verwarfen und <strong>de</strong>n wahren Sabbat feierten.<br />

Unter <strong>de</strong>n grimmigsten Stürmen <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rstan<strong>de</strong>s bewahrten sie ihren Glauben. Obwohl<br />

von savoyischen Speeren durchbohrt und von römischen Brandfackeln versengt, stan<strong>de</strong>n sie<br />

unentwegt für Gottes Wort und Gottes Ehre ein.<br />

Hinter <strong>de</strong>n hohen Bollwerken <strong>de</strong>s Gebirges — zu allen Zeiten <strong>de</strong>r Zufluchtsort für die<br />

Verfolgten und Unterdrückten — fan<strong>de</strong>n die Wal<strong>de</strong>nser ein Versteck. Hier leuchtete das<br />

Licht <strong>de</strong>r Wahrheit auch während <strong>de</strong>r Finsternis <strong>de</strong>s Mittelalters; hier bewahrten 1000 Jahre<br />

lang Zeugen <strong>de</strong>r Wahrheit <strong>de</strong>n alten Glauben. Gott hatte für sein Volk ein Heiligtum von<br />

erhabener Wür<strong>de</strong> vorgesehen, <strong>de</strong>n gewaltigen Wahrheiten entsprechend, die ihm anvertraut<br />

wor<strong>de</strong>n waren. Jenen getreuen Verbannten waren die Berge ein Sinnbild <strong>de</strong>r unwan<strong>de</strong>lbaren<br />

Gerechtigkeit <strong>de</strong>s Höchsten. Sie wiesen ihre Kin<strong>de</strong>r auf die Höhen hin, die sich in<br />

unverän<strong>de</strong>rlicher Majestät vor ihnen auftürmten, und erzählten ihnen von <strong>de</strong>m Allmächtigen,<br />

bei <strong>de</strong>m we<strong>de</strong>r Unbeständigkeit noch Wechsel ist, <strong>de</strong>ssen Wort ebenso festgegrün<strong>de</strong>t ist wie<br />

die ewigen Hügel. Gott hatte die Berge gesetzt und sie mit Stärke umgürtet; kein Arm außer<br />

<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r unendlichen Macht konnte sie von ihrem Ort bewegen. In gleicher Weise hatte Gott<br />

sein Gesetz, die Grundlage seiner Regierung im Himmel und auf Er<strong>de</strong>n, aufgerichtet. Wohl<br />

konnte <strong>de</strong>r Arm <strong>de</strong>s Menschen seine Mitmenschen erreichen und <strong>de</strong>ren Leben vernichten;<br />

aber er vermochte ebensowenig die Berge aus ihren Grundfesten zu reißen und sie ins Meer<br />

zu schleu<strong>de</strong>rn wie eines <strong>de</strong>r Gebote Gottes zu verän<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r eine seiner Verheißungen<br />

auszutilgen, die <strong>de</strong>nen gegeben sind, die seinen Willen tun. In ihrer Treue zu Gottes Gesetz<br />

sollten seine Diener ebenso fest stehen wie die unverän<strong>de</strong>rlichen Berge.<br />

Die Gebirge, die ihre tiefen Täler umrahmten, waren ständige Zeugen von Gottes<br />

Schöpfungsmacht und eine untrügliche Bürgschaft seiner schützen<strong>de</strong>n Fürsorge. Jene Pilger<br />

gewannen die stummen Sinnbil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Gegenwart <strong>de</strong>s Allmächtigen lieb. Sie klagten nicht<br />

über die Härte ihres Schicksals und fühlten sich inmitten <strong>de</strong>r Einsamkeit <strong>de</strong>r Berge nie allein.<br />

Sie dankten Gott, daß er ihnen einen Zufluchtsort vor <strong>de</strong>m Zorn und <strong>de</strong>r Grausamkeit <strong>de</strong>r<br />

Menschen bereitet hatte. Sie freuten sich ihrer Freiheit, vor ihm anzubeten. Oft, wenn sie<br />

von ihren Fein<strong>de</strong>n verfolgt wur<strong>de</strong>n, erwies sich die Feste <strong>de</strong>r Höhen als sicherer Schutz.<br />

Von manchem hohen Felsen sangen sie das Lob Gottes, und die Heere Roms konnten ihre<br />

Dankeslie<strong>de</strong>r nicht zum Schweigen bringen.<br />

Rein, einfältig und inbrünstig war die Frömmigkeit dieser Nachfolger Christi. Sie<br />

schätzten die Grundsätze <strong>de</strong>r Wahrheit höher als Häuser, Güter, Freun<strong>de</strong>, Verwandte, ja<br />

selbst höher als das Leben. Ernstlich versuchten sie, diese Grundsätze <strong>de</strong>n Herzen <strong>de</strong>r<br />

40


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Jugend einzuprägen. Von frühester Kindheit an wur<strong>de</strong>n die Kin<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Heiligen Schrift<br />

unterwiesen und gelehrt, die For<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Gesetzes Gottes unverbrüchlich zu achten. Da<br />

es nur wenige Abschriften <strong>de</strong>r Bibel gab, wur<strong>de</strong>n ihre köstlichen Worte <strong>de</strong>m Gedächtnis<br />

eingeprägt, und viele Wal<strong>de</strong>nser wußten große Teile <strong>de</strong>s Alten und Neuen Testaments<br />

auswendig. Gedanken an Gott wur<strong>de</strong>n sowohl mit <strong>de</strong>r majestätischen Natur als auch mit <strong>de</strong>n<br />

beschei<strong>de</strong>nen Segnungen <strong>de</strong>s täglichen Lebens verknüpft. Bereits die Kleinsten wur<strong>de</strong>n<br />

angehalten, dankbar zu Gott als <strong>de</strong>n Geber aller Hilfe und allen Trostes aufzublicken.<br />

Die Eltern, so zärtlich und liebevoll sie auch ihren Kin<strong>de</strong>rn entgegenkamen, in ihrer<br />

Liebe zu ihnen waren sie zu klug, um sie daran zu gewöhnen, gegen sich selbst nachsichtig<br />

zu sein. Vor ihnen lag ein Leben voller Prüfungen und Schwierigkeiten, vielleicht <strong>de</strong>r<br />

Märtyrertod. Sie wur<strong>de</strong>n von Kindheit an dazu erzogen, Schwierigkeiten zu ertragen,<br />

etwaige Befehle zu befolgen und doch selbstständig zu <strong>de</strong>nken und zu han<strong>de</strong>ln. Schon früh<br />

wur<strong>de</strong>n sie gelehrt, Verantwortungen zu übernehmen, ihre Worte genau zu wägen und die<br />

Klugheit <strong>de</strong>s Schweigens zu verstehen. Ein unbedachtes Wort, das in Gegenwart von<br />

Fein<strong>de</strong>n fiel, konnte nicht nur das Leben <strong>de</strong>s Sprechers, son<strong>de</strong>rn auch das von Hun<strong>de</strong>rten<br />

seiner Brü<strong>de</strong>r gefähr<strong>de</strong>n; <strong>de</strong>nn gleich <strong>de</strong>n Wölfen, die ihre Beute jagen, verfolgten die<br />

Fein<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Wahrheit jene, die es wagten, Glaubensfreiheit zu beanspruchen.<br />

Die Wal<strong>de</strong>nser hatten ihre weltliche Wohlfahrt um <strong>de</strong>r Wahrheit willen geopfert und<br />

arbeiteten mühselig und beharrlich für ihr tägliches Brot. Je<strong>de</strong>r Fleck bestellbaren Bo<strong>de</strong>ns in<br />

<strong>de</strong>n Gebirgen wur<strong>de</strong> sorgfältig ausgenutzt; die Täler und die wenigen fruchtbaren Abhänge<br />

wur<strong>de</strong>n urbar gemacht. Sparsamkeit und strenge Selbstverleugnung bil<strong>de</strong>ten einen Teil <strong>de</strong>r<br />

Erziehung, die die Kin<strong>de</strong>r als einziges Vermächtnis erhielten. Man lehrte sie, daß Gott das<br />

Leben zu einer Schule bestimmt habe und daß ihre Bedürfnisse nur durch persönliche Arbeit,<br />

durch Vorsorge, Mühe und Glauben ge<strong>de</strong>ckt wer<strong>de</strong>n könnten. Wohl war diese Metho<strong>de</strong><br />

mühevoll und beschwerlich, aber es war heilsam und gera<strong>de</strong> das, was allen Menschen in<br />

ihrem gefallenen Zustand Not tut; es war die Schule, die Gott für ihre Erziehung und<br />

Entwicklung vorgesehen hatte. Während die Jugend an Mühsal und Ungemach gewöhnt<br />

wur<strong>de</strong>, vernachlässigte man nicht die Bildung <strong>de</strong>s Verstan<strong>de</strong>s. Man lehrte, daß alle Kräfte<br />

Gott gehören und daß sie für seinen Dienst vervollkommnet und entfaltet wer<strong>de</strong>n müssen.<br />

Die Gemein<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Wal<strong>de</strong>nser glichen in ihrer Reinheit und Schlichtheit <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong><br />

zu <strong>de</strong>n Zeiten <strong>de</strong>r Apostel. In<strong>de</strong>m sie die Oberherrschaft <strong>de</strong>s Papstes und seiner<br />

Wür<strong>de</strong>nträger verwarfen, hielten sie die Heilige Schrift für die höchste und einzig<br />

unfehlbare Autorität. Ihre Prediger folgten <strong>de</strong>m Beispiel ihres Meisters, <strong>de</strong>r nicht gekommen<br />

war, „daß er sich dienen lasse, son<strong>de</strong>rn, daß er diene“. Sie wei<strong>de</strong>ten die Her<strong>de</strong> Gottes, in<strong>de</strong>m<br />

sie sie auf die grüne Aue und zu <strong>de</strong>m frischen Wasser seines heiligen Wortes führten. Weit<br />

abgelegen von <strong>de</strong>n Denkmälern weltlicher Pracht und Ehre versammelte sich das Volk nicht<br />

in stattlichen Kirchen o<strong>de</strong>r großartigen Kathedralen, son<strong>de</strong>rn im Schatten <strong>de</strong>r Gebirge, in<br />

<strong>de</strong>n Alpentälern o<strong>de</strong>r in Zeiten <strong>de</strong>r Gefahr in dieser o<strong>de</strong>r jener Felsenfeste, um <strong>de</strong>n Worten<br />

<strong>de</strong>r Wahrheit aus <strong>de</strong>m Mun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Diener Christi zu lauschen. Die Geistlichen predigten<br />

41


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

nicht nur das Evangelium, sie besuchten auch die Kranken, unterrichteten die Kin<strong>de</strong>r,<br />

ermahnten die Irren<strong>de</strong>n und versuchten, Streitigkeiten zu schlichten und Eintracht und<br />

brü<strong>de</strong>rliche Liebe zu för<strong>de</strong>rn. In friedlichen Zeiten wur<strong>de</strong>n sie durch die freiwilligen Gaben<br />

<strong>de</strong>s Volkes unterhalten; doch gleich Paulus, <strong>de</strong>m Zeltmacher, erlernte je<strong>de</strong>r ein Handwerk<br />

o<strong>de</strong>r einen Beruf, durch <strong>de</strong>n er im Notfall für seinen eigenen Unterhalt sorgen konnte.<br />

Die Prediger unterrichteten die Jugend. Während die Zweige <strong>de</strong>s allgemeinen Wissens<br />

beachtet wur<strong>de</strong>n, gehörte doch <strong>de</strong>r Bibel das Hauptstudium. Die Schüler lernten neben<br />

vielen paulinischen Briefen das Matthäus- und das Johannesevangelium auswendig und<br />

befaßten sich mit <strong>de</strong>m Abschreiben <strong>de</strong>r Heiligen Schrift. Etliche Handschriften enthielten<br />

die ganze Bibel, an<strong>de</strong>re nur kurze Auszüge, <strong>de</strong>nen von Personen, die imstan<strong>de</strong> waren, die<br />

Bibel auszulegen, einige einfache Texterklärungen beigefügt waren. Auf diese Weise<br />

wur<strong>de</strong>n die Schätze <strong>de</strong>r Wahrheit zutage geför<strong>de</strong>rt, die jene, die sich über Gott erheben<br />

wollten, so lange verborgen hatten.<br />

Durch geduldige,unermüdliche Arbeit,oft in <strong>de</strong>n tiefen,finsteren Felsenhöhlen bei<br />

Fackellicht, wur<strong>de</strong>n die heiligen Schriften Vers für Vers, Kapitel für Kapitel abgeschrieben.<br />

So ging das Werk voran, in<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r offenbarte Wille Gottes wie reines Gold hervorleuchtete;<br />

wieviel strahlen<strong>de</strong>r, klarer und mächtiger infolge <strong>de</strong>r Prüfungen, die um seinetwillen<br />

erdul<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>n, konnten nur die erkennen, die sich an dieser großartigen Aufgabe<br />

beteiligten. Engel Gottes umgaben ständig diese treuen Diener <strong>de</strong>s Evangeliums.<br />

Priester und Prälaten versuchten das Wort <strong>de</strong>r Wahrheit unter <strong>de</strong>m Schutt <strong>de</strong>s Irrtums,<br />

<strong>de</strong>r Ketzerei und <strong>de</strong>s Aberglaubens zu begraben; aber in höchst wun<strong>de</strong>rbarer Weise wur<strong>de</strong><br />

es in <strong>de</strong>m finsteren Zeitalter unverfälscht bewahrt. Es trug nicht das Gepräge <strong>de</strong>s Menschen,<br />

son<strong>de</strong>rn das Siegel Gottes. Die Menschen sind unermüdlich gewesen in ihren<br />

Anstrengungen, die klare, einfache Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Schrift zu verdunkeln und sie so<br />

hinzustellen, als wi<strong>de</strong>rspräche sie ihrem eigenen Zeugnis; aber gleich <strong>de</strong>r Arche auf <strong>de</strong>n<br />

Wogen <strong>de</strong>r Tiefe wi<strong>de</strong>rstand das Wort Gottes <strong>de</strong>n Stürmen, die ihm mit Vernichtung<br />

drohten. Wie eine Mine reiche Gold- und Silbera<strong>de</strong>rn durchziehen, die unter <strong>de</strong>r Oberfläche<br />

verborgen liegen, so daß alle, die ihre köstlichen Schätze ent<strong>de</strong>cken wollen, danach graben<br />

müssen, hat die Heilige Schrift Schätze <strong>de</strong>r Wahrheit, die nur <strong>de</strong>m ernsten, <strong>de</strong>mütigen,<br />

inständig beten<strong>de</strong>n Sucher offenbar wer<strong>de</strong>n. Daß die Bibel ein Lehrbuch für alle Menschen,<br />

und zwar für die Kin<strong>de</strong>r, Jugendlichen und Erwachsenen sein soll, ist Gottes ein<strong>de</strong>utiger<br />

Wille. Immer sollte es erforscht wer<strong>de</strong>n. Gott gab <strong>de</strong>n Menschen sein Wort als eine<br />

Offenbarung seines Wesens.<br />

Mit je<strong>de</strong>r neuerkannten Wahrheit wird <strong>de</strong>r Charakter ihres Urhebers <strong>de</strong>utlicher enthüllt.<br />

Das Studium <strong>de</strong>r Heiligen Schrift ist das von Gott verordnete Mittel, Menschen in engere<br />

Verbindung mit ihrem Schöpfer zu bringen und ihnen eine klarere Erkenntnis seines<br />

heiligen Willens zu geben. Es knüpft die Verbindung zwischen Gott und <strong>de</strong>m Menschen.<br />

Während die Wal<strong>de</strong>nser die Furcht <strong>de</strong>s Herrn als <strong>de</strong>r Weisheit Anfang erkannten, übersahen<br />

sie keineswegs die Wichtigkeit einer Berührung mit <strong>de</strong>r Welt, einer Kenntnis <strong>de</strong>r Menschen<br />

42


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

und <strong>de</strong>s tätigen Lebens, um <strong>de</strong>n Geist zu erweitern und <strong>de</strong>n Verstand zu schärfen. Aus ihren<br />

Schulen in <strong>de</strong>n Bergen wur<strong>de</strong>n etliche Jünglinge auf Erziehungsanstalten in Frankreich o<strong>de</strong>r<br />

Italien gesandt, wo sie ein ausge<strong>de</strong>hnteres Feld zum Studieren, Denken und Beobachten<br />

haben konnten als in ihren heimatlichen Alpen. Die auf diese Weise hinausgesandten<br />

Jünglinge waren Versuchungen ausgesetzt; sie sahen Laster und begegneten Satans<br />

verschlagenen Dienern, die ihnen die verfänglichsten Irrlehren und die gefährlichsten<br />

Täuschungen aufzudrängen suchten. Aber ihre Erziehung von Kind auf war dazu angelegt,<br />

sie auf alle diese Gefahren vorzubereiten.<br />

In <strong>de</strong>n Schulen, die sie besuchten, sollten sie nieman<strong>de</strong>n zum Vertrauten machen. Ihre<br />

Klei<strong>de</strong>r waren so zugeschnitten, daß sie ihren größten Schatz — die wertvollen Abschriften<br />

<strong>de</strong>r Heiligen Schrift — darin verbergen konnten. Diese Handschriften, die Frucht monateund<br />

jahrelanger harter Arbeit, führten sie mit sich, und wenn es ihnen, ohne Verdacht zu<br />

erregen, möglich war, boten sie diese <strong>de</strong>nen an, <strong>de</strong>ren Herzen für die Wahrheit empfänglich<br />

zu sein schienen. Von klein auf waren die wal<strong>de</strong>nsischen Jünglinge mit diesem Ziel vor<br />

Augen erzogen wor<strong>de</strong>n; sie verstan<strong>de</strong>n ihr Werk und führten es gewissenhaft aus. Viele<br />

wur<strong>de</strong> in diesen Lehranstalten zum wahren Glauben bekehrt, ja, häufig durchdrangen <strong>de</strong>ssen<br />

Grundsätze die ganze Schule, und doch konnten die päpstlichen Leiter trotz sorgfältigen<br />

Nachforschens <strong>de</strong>r sogenannten ver<strong>de</strong>rblichen Ketzerei nicht auf <strong>de</strong>n Grund kommen. Der<br />

Geist Christi offenbart sich als ein Missionsgeist. Das erneuerte Herz drängt zu allererst<br />

dahin, an<strong>de</strong>re Menschen zum Heiland zu bringen. Derart war auch <strong>de</strong>r Geist <strong>de</strong>r Wal<strong>de</strong>mser.<br />

Sie fühlten, daß Gott mehr von ihnen verlangte, als nur die Wahrheit in ihrer Lauterkeit<br />

unter <strong>de</strong>n eigenen Gemein<strong>de</strong>n zu erhalten; daß auf ihnen die feierliche Verpflichtung ruhte,<br />

ihr Licht <strong>de</strong>nen leuchten zu lassen, die in <strong>de</strong>r Finsternis waren, und durch die gewaltige<br />

Macht <strong>de</strong>s Wortes suchten sie die Knechtschaft, die Rom auferlegt hatte, zu sprengen. Die<br />

Prediger <strong>de</strong>r Wal<strong>de</strong>nser wur<strong>de</strong>n als Missionare ausgebil<strong>de</strong>t, und je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r ins Predigtamt<br />

eintreten wollte, mußte zuerst Erfahrungen als Evangelist sammeln — mußte drei Jahre lang<br />

in <strong>de</strong>m einen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Missionsfeld wirken, ehe er als Leiter einer Gemein<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r<br />

Heimat eingesetzt wur<strong>de</strong>. Dieser Dienst, <strong>de</strong>r von vornherein Selbstverleugnung und Opfer<br />

for<strong>de</strong>rte, war eine geeignete Einführung in die Erfahrungen eines Predigers in jenen Zeiten,<br />

welche die Menschenherzen auf die Probe stellten. Die jungen Menschen, die zum heiligen<br />

Amt eingesegnet wur<strong>de</strong>n, hatten keineswegs irdische Reichtümer und Ehren in Aussicht,<br />

son<strong>de</strong>rn sahen einem Leben voller Mühen und Gefahren und möglicherweise <strong>de</strong>m<br />

Märtyrertod entgegen. Die Sendboten gingen zu zweien hinaus, wie Jesus einst seine Jünger<br />

ausgesandt hatte. Je<strong>de</strong>n Jüngling beglei tete gewöhnlich ein erfahrener Alter, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m<br />

Jüngeren als Führer diente und für <strong>de</strong>ssen Ausbildung er verantwortlich war. Seinen<br />

Anweisungen mußte jener folgen. Diese Mitarbeiter waren nicht immer beisammen, trafen<br />

sich aber oft, um zu beten und zu beraten. Auf diese Weise stärkten sie sich gegenseitig im<br />

Glauben.<br />

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<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Es wür<strong>de</strong> sicherlich zu Nie<strong>de</strong>rlagen geführt haben, wenn diese Leute das Ziel ihrer<br />

Missionstätigkeit bekanntgegeben hätten; <strong>de</strong>shalb verbargen sie sorgfältig ihre wirkliche<br />

Aufgabe. Je<strong>de</strong>r Prediger verstand irgen<strong>de</strong>in Handwerk o<strong>de</strong>r Gewerbe, und diese<br />

Glaubensboten führten ihre Aufgabe unter <strong>de</strong>m Gewand eines weltlichen Berufes,<br />

gewöhnlich <strong>de</strong>m eines Verkäufers o<strong>de</strong>r Hausierers, durch. „Sie boten Sei<strong>de</strong>, Schmucksachen<br />

und an<strong>de</strong>re Gegenstän<strong>de</strong>, die zu jener Zeit nur aus weit entfernten Han<strong>de</strong>lsplätzen zu<br />

beziehen waren, zum Verkauf an und wur<strong>de</strong>n dort als Han<strong>de</strong>lsleute willkommen geheißen,<br />

wo sie als Missionare zurückgewiesen wor<strong>de</strong>n wären.“ Sie erhoben ihre Herzen zu Gott um<br />

Weisheit, damit sie einen Schatz, köstlicher als Gold und E<strong>de</strong>lsteine, ausbreiten konnten. Sie<br />

trugen Abschriften <strong>de</strong>r ganzen Heiligen Schrift o<strong>de</strong>r Teile <strong>de</strong>rselben verborgen bei sich, und<br />

wenn sich eine Gelegenheit bot, lenkten sie die Aufmerksamkeit ihrer Kun<strong>de</strong>n auf diese<br />

Handschriften. Oft wur<strong>de</strong> auf diese Weise das Verlangen wachgerufen, Gottes Wort zu<br />

lesen, und ein Teil <strong>de</strong>r Schrift <strong>de</strong>nen mit Freu<strong>de</strong>n überlassen, die es annehmen wollten.<br />

Das Werk dieser Sendboten begann in <strong>de</strong>n Ebenen und Täler am Fuße ihrer eigenen<br />

Berge, erstreckte sich jedoch weit über diese Grenzen hinaus. Barfuß, in groben, von <strong>de</strong>r<br />

Reise beschmutzten Gewän<strong>de</strong>rn, gleich <strong>de</strong>nen ihres Herrn, zogen sie durch große Städte und<br />

drangen bis in entlegene Län<strong>de</strong>r vor. Überall streuten sie die köstliche Saat aus. Gemein<strong>de</strong>n<br />

entstan<strong>de</strong>n auf ihrem Wege, und das Blut von Märtyrern zeugte für die Wahrheit. Der Tag<br />

Gottes wird eine reiche Ernte an Seelen offenbaren, die durch die Arbeit dieser Männer<br />

eingesammelt wur<strong>de</strong>. Heimlich und schweigend bahnte sich Gottes Wort seinen Weg durch<br />

die Christenheit und fand in vieler Menschen Herz und Haus freundliche Aufnahme.<br />

Den Wal<strong>de</strong>nsern war die Heilige Schrift nicht nur ein Bericht über Gottes<br />

Handlungsweise mit <strong>de</strong>n Menschen in <strong>de</strong>r Vergangenheit und eine Offenbarung <strong>de</strong>r<br />

Verantwortungen und Pflichten in <strong>de</strong>r Gegenwart, son<strong>de</strong>rn auch eine Enthüllung <strong>de</strong>r<br />

Gefahren, aber auch <strong>de</strong>r Herrlichkeit <strong>de</strong>r Zukunft. Sie glaubten, daß das En<strong>de</strong> aller Dinge<br />

nicht mehr fern sei. In<strong>de</strong>m sie die Heilige Schrift unter Gebet und Tränen erforschten,<br />

machten ihre köstlichen Aussagen einen umso tieferen Eindruck, und sie erkannten<br />

<strong>de</strong>utlicher ihre Pflicht, an<strong>de</strong>ren die darin enthaltenen heilsbringen<strong>de</strong>n Wahrheiten<br />

mitzuteilen. Durch das heilige Buch wur<strong>de</strong> vor ihnen <strong>de</strong>r Erlösungsplan klar ausgebreitet,<br />

und sie fan<strong>de</strong>n Trost, Hoffnung und Frie<strong>de</strong>n im Glauben an Jesus. Je mehr das Licht ihr<br />

Verständnis erleuchtete und ihre Herzen fröhlich machte, <strong>de</strong>sto stärker sehnten sie sich<br />

danach, seine Strahlen auch auf die zu lenken, die noch in <strong>de</strong>r Finsternis <strong>de</strong>s päpstlichen<br />

Irrtums schmachteten.<br />

Sie sahen, daß sich unter Führung <strong>de</strong>s Papstes und <strong>de</strong>r Priester viele Menschen umsonst<br />

mühten, durch Peinigung ihrer Leiber Vergebung <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>n zu empfangen. Belehrt, ihre<br />

Seligkeit durch gute Werke zu verdienen, waren diese Menschen ständig mit sich selbst<br />

beschäftigt; ihre Gedanken verweilten bei ihrem sündigen Zustand, sie wähnten sich <strong>de</strong>m<br />

Zorn Gottes ausgesetzt, kasteiten <strong>de</strong>n Leib und fan<strong>de</strong>n doch keine Erleichterung. So wur<strong>de</strong>n<br />

gewissenhafte Menschen durch die Lehren Roms gebun<strong>de</strong>n. Tausen<strong>de</strong> verließen Freun<strong>de</strong><br />

44


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

und Verwandte und brachten ihr Leben in Klosterzellen zu. Durch häufiges Fasten und<br />

grausame Geißelungen, durch nächtliche Andachten und stun<strong>de</strong>nlanges Knien auf <strong>de</strong>n<br />

kalten, feuchten Steinen ihrer armseligen Behausungen, durch lange Pilgerfahrten,<br />

erniedrigen<strong>de</strong> Bußübungen und furchtbare Qualen versuchten Tausen<strong>de</strong> vergebens <strong>de</strong>n<br />

Frie<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Gewissens zu erlangen. Nie<strong>de</strong>rgebeugt von <strong>de</strong>m Bewußtsein <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> und<br />

verfolgt von <strong>de</strong>r Furcht vor <strong>de</strong>m strafen<strong>de</strong>n Zorn Gottes litten viele Menschen so lange, bis<br />

ihre erschöpfte Natur vollständig unterlag und sie ohne einen Licht- o<strong>de</strong>r Hoffnungsstrahl<br />

ins Grab sanken.<br />

Diesen schmachten<strong>de</strong>n Seelen das Brot <strong>de</strong>s Lebens zu brechen, ihnen die Botschaft <strong>de</strong>s<br />

Frie<strong>de</strong>ns in <strong>de</strong>n Verheißungen Gottes zu erschließen und sie auf Christus, <strong>de</strong>s Menschen<br />

einzige Hoffnung, hinzuweisen, war das Lebensziel <strong>de</strong>r Wal<strong>de</strong>nser. Die Lehre, daß gute<br />

Werke die Übertretung <strong>de</strong>s Gesetzes Gottes aufzuheben vermögen, betrachteten sie als<br />

Irrtum. Sich auf menschliches Verdienst zu verlassen, versperrt <strong>de</strong>m Blick die unendliche<br />

Liebe Christi. Jesus starb als Opfer für die Menschen, weil die sündige Menschheit nichts<br />

tun kann, um das Wohlgefallen Gottes zu erringen. Die Verdienste eines gekreuzigten und<br />

auferstan<strong>de</strong>nen Heilan<strong>de</strong>s bil<strong>de</strong>n die Grundlage <strong>de</strong>s christlichen Glaubens. Die Seele ist von<br />

Christus genauso abhängig, wie ein Glied von <strong>de</strong>m Leibe o<strong>de</strong>r eine Rebe von <strong>de</strong>m<br />

Weinstock; ebenso innig, wie diese verbun<strong>de</strong>n sind, muß die Verbindung mit ihm durch <strong>de</strong>n<br />

Glauben sein.<br />

Die Lehren <strong>de</strong>r Päpste und Priester hatten die Menschen verleitet, Gottes und selbst<br />

Christi Charakter für hart, finster und abstoßend zu halten. Der Heiland wur<strong>de</strong> dargestellt,<br />

als ob es ihm an Anteilnahme mit <strong>de</strong>n Menschen in ihrem gefallenen Zustand so sehr fehlte,<br />

daß die Vermittlung von Priestern und Heiligen notwendig sei. Die Gläubigen, <strong>de</strong>ren<br />

Verständnis durch das Wort Gottes erleuchtet war, verlangten danach, diese Menschen auf<br />

Jesus als ihren barmherzigen, lieben<strong>de</strong>n Heiland hinzuweisen, <strong>de</strong>r mit ausgestreckten Armen<br />

alle einlädt, mit ihren Sün<strong>de</strong>nlasten, ihren Sorgen und Schwierigkeiten zu ihm zu kommen.<br />

Sie sehnten sich danach, die Hin<strong>de</strong>rnisse wegzuräumen, die Satan aufgetürmt hatte, damit<br />

die Menschen we<strong>de</strong>r die Verheißungen erkennen noch unmittelbar zu Gott kommen sollten,<br />

um ihre Sün<strong>de</strong>n zu bekennen und Vergebung und Frie<strong>de</strong>n zu erlangen.<br />

Eifrig enthüllte <strong>de</strong>r wal<strong>de</strong>nsische Glaubensbote <strong>de</strong>n forschen<strong>de</strong>n Seelen die köstlichen<br />

Wahrheiten <strong>de</strong>s Evangeliums und holte vorsichtig die sorgfältig geschriebenen Teile <strong>de</strong>r<br />

Heiligen Schrift hervor. Es bereitete ihm die größte Freu<strong>de</strong>, solchen aufrichtig Suchen<strong>de</strong>n,<br />

die von ihren Sün<strong>de</strong>n überzeugt waren, die Hoffnung einzuflößen, daß sie es nicht mit<br />

einem Gott <strong>de</strong>r Rache zu tun haben, <strong>de</strong>r nur darauf wartet, seiner Gerechtigkeit freien Lauf<br />

lassen zu können. Mit beben<strong>de</strong>n Lippen und tränen<strong>de</strong>n Augen, manchmal kniend, entfaltete<br />

er seinen Brü<strong>de</strong>rn die köstlichen Verheißungen, die <strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong>rs einzige Hoffnung<br />

offenbaren. Auf diese Weise durchdrang das Licht <strong>de</strong>r Wahrheit manches verfinsterte<br />

Gemüt und vertrieb die dunkle Wolke, bis die Sonne <strong>de</strong>r Gerechtigkeit mit ihren heilen<strong>de</strong>n<br />

Strahlen in das Herz schien. Oft wur<strong>de</strong> ein Teil <strong>de</strong>r Heiligen Schrift immer wie<strong>de</strong>r gelesen,<br />

45


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

weil <strong>de</strong>r Hörer es wünschte, als ob er sich vergewissern wollte, daß er recht gehört habe.<br />

Beson<strong>de</strong>rs jene Worte wollten die Gläubigen immer wie<strong>de</strong>r hören: „Das Blut Jesu Christi,<br />

seines Sohnes, macht uns rein von aller Sün<strong>de</strong>.“ 1.Johannes 1,7. — „Wie Mose in <strong>de</strong>r Wüste<br />

eine Schlange erhöht hat, also muß <strong>de</strong>s Menschen Sohn erhöht wer<strong>de</strong>n, auf daß alle, die an<br />

ihn glauben, nicht verloren wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn das ewige Leben haben.“ Johannes 3,14.15.<br />

Vielen wur<strong>de</strong>n die Ansprüche Roms <strong>de</strong>utlich vor Augen geführt. Sie erkannten, wie<br />

vergeblich die Vermittlung von Menschen o<strong>de</strong>r Engeln zugunsten <strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong>rs ist. Als ihnen<br />

das Licht aufging, riefen sie mit Freu<strong>de</strong>n aus: „Christus ist mein Priester, sein Blut ist mein<br />

Opfer; sein Altar ist mein Beichtstuhl.“ Sie stützten sich völlig auf die Verdienste Jesu und<br />

wie<strong>de</strong>rholten die Worte: „Ohne Glauben ist‘s unmöglich, Gott zu gefallen.“ Es ist „kein<br />

an<strong>de</strong>rer Name unter <strong>de</strong>m Himmel <strong>de</strong>n Menschen gegeben, darin wir sollen selig<br />

wer<strong>de</strong>n.“ Hebräer 11,6; Apostelgeschichte 4,12.<br />

Die Gewißheit <strong>de</strong>r Liebe <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s schien einigen dieser armen, sturmumwehten<br />

Seelen unfaßbar. Die verursachte Erleichterung war so groß, die Flut <strong>de</strong>s Lichtes so hell,<br />

daß sie sich in <strong>de</strong>n Himmel versetzt glaubten. Ihre Hand ruhte vertrauensvoll in <strong>de</strong>r Hand<br />

Christi, ihre Füße stan<strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>m Fels <strong>de</strong>s Heils. Alle To<strong>de</strong>sfurcht war verbannt, ja, sie<br />

wollten gern Gefängnis und Scheiterhaufen auf sich nehmen, wenn sie dadurch <strong>de</strong>n Namen<br />

ihres Erlösers preisen konnten. An geheimen Orten wur<strong>de</strong> das Wort Gottes hervorgeholt und<br />

vorgelesen, zuweilen einem einzelnen, manchmal einer kleinen Schar, die sich nach Licht<br />

und Wahrheit sehnte. Oft brachte man die ganze Nacht auf diese Weise zu. Das Erstaunen<br />

und die Bewun<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Zuhörer waren so groß, daß <strong>de</strong>r Evangeliumsbote sich nicht selten<br />

gezwungen sah, mit <strong>de</strong>m Lesen innezuhalten, bis <strong>de</strong>r Verstand die frohe Botschaft <strong>de</strong>s Heils<br />

erfassen konnte. Häufig wur<strong>de</strong>n ähnliche Worte wie diese laut: „Wird Gott wirklich mein<br />

Opfer annehmen?<br />

Wird er gnädig auf mich herabschauen? Wird er mir vergeben?“ Als Antwort wur<strong>de</strong><br />

gelesen: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und bela<strong>de</strong>n seid; ich will euch<br />

erquicken.“ Matthäus 11,28. Der Glaube erfaßte die Verheißung, und als freudige<br />

Erwi<strong>de</strong>rung vernahm man die Worte: Keine langen Pilgerfahrten mehr; keine<br />

beschwerlichen Reisen nach heiligen Reliquienschreinen! Ich kann zu Jesus kommen, so<br />

wie ich bin, sündhaft und unrein, und er wird das bußfertige Gebet nicht verachten. „Deine<br />

Sün<strong>de</strong>n sind dir vergeben“; auch meine — sogar meine können vergeben wer<strong>de</strong>n!<br />

Eine Flut heiliger Freu<strong>de</strong> erfüllte die Herzen, und <strong>de</strong>r Name Jesu wur<strong>de</strong> durch<br />

Lobgesänge und Danksagungen verherrlicht. Jene glücklichen Seelen kehrten in ihre<br />

Wohnungen zurück, um Licht zu verbreiten und an<strong>de</strong>rn, so gut sie konnten, ihre neue<br />

Erfahrung zu wie<strong>de</strong>rholen, daß sie <strong>de</strong>n wahren und lebendigen Weg gefun<strong>de</strong>n hätten. Es lag<br />

eine seltsame und feierliche Macht in <strong>de</strong>n Worten <strong>de</strong>r Heiligen Schrift, die jenen, die sich<br />

nach <strong>de</strong>r Wahrheit sehnten, unmittelbar zu Herzen ging. Es war die Stimme Gottes, welche<br />

die Hörer zur Überzeugung führte.<br />

46


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Der Bote <strong>de</strong>r Wahrheit ging seinen Weg; doch waren sein <strong>de</strong>mütiges Auftreten, seine<br />

Aufrichtigkeit, sein Ernst und seine tiefe Inbrunst häufig Gegenstand von Gesprächen. In<br />

vielen Fällen hatten seine Zuhörer ihn we<strong>de</strong>r gefragt, woher er käme noch wohin er ginge.<br />

Sie waren erst so überrascht und später dankbar und freudig überwältigt gewesen, daß sie<br />

nicht daran gedacht hatten, Fragen an ihn zu richten. Hatten sie ihn gebeten, sie nach ihren<br />

Wohnungen zu begleiten, so hatte er erwi<strong>de</strong>rt, daß er die verlorenen Schafe <strong>de</strong>r Her<strong>de</strong><br />

besuchen müsse. Konnte es möglich sein, daß er ein Engel Gottes gewesen war? fragten sie<br />

sich.<br />

In vielen Fällen sahen sie <strong>de</strong>n Wahrheitsboten nie wie<strong>de</strong>r. Er war vielleicht in an<strong>de</strong>re<br />

Län<strong>de</strong>r gegangen o<strong>de</strong>r verbrachte sein Leben in irgen<strong>de</strong>inem unbekannten Gefängnis o<strong>de</strong>r<br />

seine Gebeine bleichten gar dort, wo er für die Wahrheit gezeugt hatte. Die Worte aber, die<br />

er zurückließ, konnten nicht ausgelöscht wer<strong>de</strong>n; sie arbeiteten in <strong>de</strong>n Menschenherzen, und<br />

ihr segensreiches Wirken wird erst im Gericht völlig erkannt wer<strong>de</strong>n.Die wal<strong>de</strong>nsischen<br />

Sendboten fielen in Satans Reich ein und regten dadurch die Kräfte <strong>de</strong>r Finsternis zu<br />

größerer Wachsamkeit an. Je<strong>de</strong>r Versuch, die Wahrheit zu för<strong>de</strong>rn, wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>m Fürsten<br />

<strong>de</strong>r Bosheit überwacht, und er erweckte die Befürchtungen seiner Helfershelfer. Die<br />

führen<strong>de</strong>n Männer <strong>de</strong>r Kirche sahen in <strong>de</strong>m Wirken dieser beschei<strong>de</strong>nen Wan<strong>de</strong>rer ein<br />

Anzeichen <strong>de</strong>r Gefahr für ihre Sache. Wenn sie das Licht <strong>de</strong>r Wahrheit ungehin<strong>de</strong>rt<br />

scheinen ließen, zerstreute es die schweren Wolken <strong>de</strong>s Irrtums, die das Volk einhüllten,<br />

lenkte die Gemüter <strong>de</strong>r Menschen auf Gott allein und richtete am En<strong>de</strong> die Herrschaft Roms<br />

zugrun<strong>de</strong>.<br />

Schon allein das Vorhan<strong>de</strong>nsein dieser Leute, die <strong>de</strong>n Glauben <strong>de</strong>r alten Gemein<strong>de</strong><br />

aufrechterhielten, war ein beständiges Zeugnis für Roms Abfall und erregte <strong>de</strong>shalb<br />

bittersten Haß und Verfolgung. Ihre Weigerung, die Heilige Schrift auszuliefern, galt<br />

ebenfalls als eine Beleidigung, die Rom nicht zu dul<strong>de</strong>n gewillt war. Es beschloß <strong>de</strong>shalb,<br />

die Anhänger <strong>de</strong>s wahren Glaubens von <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> zu vertilgen. Jetzt begannen die<br />

schrecklichsten Kreuzzüge gegen Gottes Volk in seinen Gebirgswohnungen. Inquisitoren<br />

spürten ihm nach, und oft geschahen Dinge, die <strong>de</strong>n Bru<strong>de</strong>rmord Kains an <strong>de</strong>m<br />

unschuldigen Abel von einst wie<strong>de</strong>rholten.<br />

Immer wie<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong>n ihre fruchtbaren Äcker verwüstet, ihre Wohnungen und Kapellen<br />

<strong>de</strong>m Erdbo<strong>de</strong>n gleichgemacht,so daß dort, wo einst blühen<strong>de</strong> Fel<strong>de</strong>r und die Behausungen<br />

eines unschuldigen, arbeitsamen Volkes stan<strong>de</strong>n, nur eine wüste Einö<strong>de</strong> übrigblieb. Viele<br />

dieser Zeugen eines reinen Glaubens wur<strong>de</strong>n bis über die Berge verfolgt und in <strong>de</strong>n Tälern<br />

aufgescheucht, in <strong>de</strong>nen sie sich, von mächtigen Wäl<strong>de</strong>rn und Felsspitzen umgeben,<br />

verborgen hatten. Der sittliche Charakter dieser geächteten Christen war über je<strong>de</strong><br />

Beschuldigung erhaben. Sogar ihre Fein<strong>de</strong> bezeugten, daß sie ein friedfertiges, stilles,<br />

frommes Volk seien. Ihr großes Vergehen lag nur darin, daß sie Gott nicht nach <strong>de</strong>m Willen<br />

<strong>de</strong>s Papstes dienen wollten. Wegen dieses Vergehens erlitten sie je<strong>de</strong> Demütigung,<br />

Beschimpfung und Folter, die Menschen o<strong>de</strong>r Teufel nur ersinnen können.<br />

47


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Als Rom einst beschloß, diese verhaßte Sekte auszurotten, wur<strong>de</strong> eine Bulle erlassen,<br />

die die Wal<strong>de</strong>nser als Ketzer verdammte und sie <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rmetzelung preisgab. Sie wur<strong>de</strong>n<br />

nicht als Müßiggänger wegen Unredlichkeit o<strong>de</strong>r Ausschweifung angeklagt, son<strong>de</strong>rn es<br />

wur<strong>de</strong> erklärt, sie bewahrten einen Schein von Frömmigkeit und Heiligkeit, die die Schafe<br />

<strong>de</strong>r wahren Her<strong>de</strong> verführten. Deshalb wur<strong>de</strong> angeordnet, diese heimtückische und<br />

abscheuliche Sekte von Bösewichtern gleich giftigen Schlagen zu zermalmen, falls sie sich<br />

weigerte abzuschwören. Erwarteten die Machthaber diese Worte je wie<strong>de</strong>r zu hören?<br />

Wußten sie, daß diese in <strong>de</strong>n Büchern <strong>de</strong>s Himmels aufgezeichnet wur<strong>de</strong>n, um ihnen beim<br />

Gericht vorgehalten zu wer<strong>de</strong>n? Jesus sagte: „Was ihr getan habt, einem unter diesen<br />

meinen geringsten Brü<strong>de</strong>rn, das habt ihr mir getan.“ Matthäus 25,40.<br />

Eine Bulle for<strong>de</strong>rte alle Glie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Kirche auf, sich <strong>de</strong>m Kreuzzug <strong>de</strong>r Ketzer<br />

anzuschließen. Zur Ermunterung zu diesem grausamen Werk sprach sie alle, die am<br />

Kreuzzug teilnahmen, von allen Kirchenbußen und von allen Strafen, <strong>de</strong>n allgemeinen und<br />

<strong>de</strong>n persönlichen, frei, entband sie von sämtlichen Ei<strong>de</strong>n, die sie geleistet haben mochten,<br />

erklärte ihre etwaigen unrechtmäßigen Ansprüche auf irgen<strong>de</strong>in Besitztum als rechtsgültig<br />

und verhieß je<strong>de</strong>m,<strong>de</strong>r einen Ketzer tötete, <strong>de</strong>n Erlaß aller Sün<strong>de</strong>n. Sie erklärte alle<br />

zugunsten <strong>de</strong>r Wal<strong>de</strong>nser geschlossenen Verträge für nichtig, befahl <strong>de</strong>n Dienstboten, ihren<br />

Dienst bei <strong>de</strong>n Wal<strong>de</strong>nsern aufzugeben, verbot allen, jenen irgendwelche Hilfe zu gewähren,<br />

und berechtigte je<strong>de</strong>n, sich <strong>de</strong>s Eigentums jener zu bemächtigen. Dies Schriftstück<br />

offenbarte <strong>de</strong>utlich <strong>de</strong>n Geist, <strong>de</strong>r diese Maßnahmen beherrschte; das Gebrüll <strong>de</strong>s Drachen,<br />

und nicht die Stimme Christi war hier zu vernehmen.<br />

Die päpstlichen Wür<strong>de</strong>nträger waren nicht bereit, ihren Charakter <strong>de</strong>m Anspruch <strong>de</strong>s<br />

Gesetzes Gottes zu unterwerfen; sie schufen sich selbst einen ihnen passen<strong>de</strong>n Maßstab. Sie<br />

beschlossen, alle zu zwingen, sich danach zu richten, weil Rom es so wünsche. Die<br />

schrecklichsten Tragödien spielten sich ab. Unwürdige und gotteslästerliche Priester und<br />

Päpste erfüllten <strong>de</strong>n Auftrag, <strong>de</strong>n Satan ihnen zugewiesen hatte. Die Barmherzigkeit fand<br />

keinen Raum in ihren Herzen. Der gleiche Geist, <strong>de</strong>r Christus kreuzigte, die Apostel tötete<br />

und <strong>de</strong>n blutdürstigen Nero gegen die treuen Christen wüten ließ, war auch am Wirken, um<br />

die Er<strong>de</strong> von <strong>de</strong>nen zu befreien, die von Gott geliebt wur<strong>de</strong>n.<br />

Die Verfolgungen, von <strong>de</strong>nen diese gottesfürchtigen Menschen viele Jahrhun<strong>de</strong>rte lang<br />

heimgesucht wur<strong>de</strong>n, ertrugen sie mit einer Geduld und Ausdauer, die ihren Erlöser ehrte.<br />

Ungeachtet <strong>de</strong>r gegen sie unternommenen Kreuzzüge, ungeachtet <strong>de</strong>r unmenschlichen<br />

Metzelei, <strong>de</strong>r sie ausgesetzt waren, sandten sie weiterhin ihre Sendboten aus, um die<br />

köstliche Wahrheit zu verbreiten. Sie wur<strong>de</strong>n zu To<strong>de</strong> gejagt, doch ihr Blut tränkte die<br />

ausgestreute Saat, die gute Frucht brachte. So zeugten die Wal<strong>de</strong>nser für Gott schon<br />

Hun<strong>de</strong>rte von Jahren vor <strong>de</strong>r Geburt Luthers. Über viele Län<strong>de</strong>r verstreut, warfen sie <strong>de</strong>n<br />

Samen <strong>de</strong>r Reformation aus, die zur Zeit Wiklifs begann, in <strong>de</strong>n Tagen Luthers weit um sich<br />

griff und bis zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Zeit von <strong>de</strong>nen fortgeführt wer<strong>de</strong>n soll, die ebenfalls willig sind,<br />

48


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

alles zu lei<strong>de</strong>n „um <strong>de</strong>s Wortes Gottes willen und <strong>de</strong>s Zeugnisses Jesu Christi“. Offenbarung<br />

1,9.<br />

49


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 5- Champion <strong>de</strong>r Wahrheit<br />

Vor <strong>de</strong>r Reformation waren zeitweise nur wenige Exemplare <strong>de</strong>r Bibel vorhan<strong>de</strong>n, aber<br />

Gott hatte sein Wort nicht völlig untergehen lassen. Seine Wahrheiten sollten nicht für<br />

immer verborgen bleiben. Er konnte ebenso leicht das Wort <strong>de</strong>s Lebens entketten wie<br />

Gefängnistüren öffnen und eiserne Tore entriegeln, um seine Diener zu befreien. In <strong>de</strong>n<br />

verschie<strong>de</strong>nen Län<strong>de</strong>rn Europas wur<strong>de</strong>n Menschen vom Geist Gottes angetrieben, nach <strong>de</strong>r<br />

Wahrheit wie nach verborgenen Schätzen zu suchen. Durch die Vorsehung zur Heiligen<br />

Schrift geführt, erforschten sie diese mit größtem Eifer. Sie waren willig, das Licht<br />

anzunehmen, koste es, was es wolle. Konnten sie auch nicht alles <strong>de</strong>utlich wahrnehmen, so<br />

wur<strong>de</strong>n sie doch befähigt, manche lange Zeit begrabene Wahrheit zu erkennen. Als vom<br />

Himmel gesandte Boten gingen sie hinaus, zerbrachen die Ketten <strong>de</strong>s Aberglaubens und <strong>de</strong>s<br />

Irrtums und for<strong>de</strong>rten Menschen auf, die lange Sklaven gewesen waren, sich zu erheben und<br />

ihre Freiheit zu behaupten.<br />

Das Wort Gottes war, ausgenommen bei <strong>de</strong>n Wal<strong>de</strong>nsern, jahrhun<strong>de</strong>rtelang durch die<br />

Sprachen, die nur <strong>de</strong>n Gelehrten verständlich waren, versiegelt geblieben; doch die Zeit kam,<br />

da es übersetzt und <strong>de</strong>n Völkern verschie<strong>de</strong>ner Län<strong>de</strong>r in ihrer Muttersprache in die Hand<br />

gegeben wer<strong>de</strong>n sollte. Die Welt hatte ihre Mitternachtszeit überschritten. Die Stun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r<br />

Finsternis schwan<strong>de</strong>n dahin, und in vielen Län<strong>de</strong>rn erschienen Anzeichen <strong>de</strong>r anbrechen<strong>de</strong>n<br />

Morgendämmerung. Im 14.Jahrhun<strong>de</strong>rt ging in England <strong>de</strong>r „Morgenstern <strong>de</strong>r<br />

Reformation“ auf. John Wiklif war <strong>de</strong>r Herold <strong>de</strong>r Erneuerung nicht allein für England,<br />

son<strong>de</strong>rn für die ganze Christenheit. Der mächtige Protest gegen Rom, <strong>de</strong>n er einleiten durfte,<br />

konnte nicht mehr zum Schweigen gebracht wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn er sollte <strong>de</strong>n Kampf eröffnen,<br />

<strong>de</strong>r zur Befreiung <strong>de</strong>s Einzelnen, zur Befreiung <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>r Völker führte.<br />

Wiklif erhielt eine gute Erziehung. Für ihn galt die Furcht <strong>de</strong>s Herrn als <strong>de</strong>r Weisheit<br />

Anfang. Er war auf <strong>de</strong>r Universität seiner inbrünstigen Frömmigkeit, seiner hervorragen<strong>de</strong>n<br />

Talente und seiner gründlichen Gelehrsamkeit wegen bekannt. In seinem Wissensdrang<br />

suchte er je<strong>de</strong>n Zweig <strong>de</strong>r Wissenschaft kennenzulernen. Er wur<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>n Gedanken <strong>de</strong>r<br />

Scholastik, mit <strong>de</strong>n Glaubensvorschriften <strong>de</strong>r Kirche und <strong>de</strong>n bürgerlichen Gesetzen,<br />

beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>nen seines eigenen Lan<strong>de</strong>s, vertraut gemacht. In seiner späteren Arbeit trat <strong>de</strong>r<br />

Wert seiner genossenen Schulung klar zutage. Seine gründliche Kenntnis <strong>de</strong>r spekulativen<br />

Philosophie seiner Zeit befähigte ihn, <strong>de</strong>ren Irrtümer bloßzustellen, und durch seine Studien<br />

<strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>sund Kirchenrechte war er vorbereitet, sich an <strong>de</strong>m großen Kampf um die<br />

bürgerliche und religiöse Freiheit zu beteiligen. Während er die <strong>de</strong>m Wort Gottes<br />

entnommenen Waffen zu führen verstand, hatte er sich auch die Geisteswelt <strong>de</strong>r Schulen<br />

erarbeitet und war mit <strong>de</strong>r Kampfesweise <strong>de</strong>r Gelehrten vertraut. Dank seiner natürlichen<br />

Anlagen und <strong>de</strong>m Umfang und <strong>de</strong>r Gründlichkeit seines Wissens erwarb er sich die Achtung<br />

von Freund und Feind. Wiklifs Anhänger sahen mit Genugtuung, daß er unter <strong>de</strong>n<br />

tonangeben<strong>de</strong>n Geistern <strong>de</strong>r Nation einen führen<strong>de</strong>n Platz einnahm, und seinen Fein<strong>de</strong>n war<br />

50


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

es nicht möglich, die Sache <strong>de</strong>r Erneuerung durch Bloßstellen irgen<strong>de</strong>iner Unwissenheit<br />

o<strong>de</strong>r Schwäche ihres Verteidigers in Verruf zu bringen.<br />

Noch auf <strong>de</strong>r Universität nahm Wiklif das Studium <strong>de</strong>r Heiligen Schrift auf. In <strong>de</strong>n<br />

damaligen Zeiten, als es nur Bibeln in <strong>de</strong>n alten Sprachen gab, waren allein die Gelehrten<br />

imstan<strong>de</strong>, <strong>de</strong>n Pfad zur Quelle <strong>de</strong>r Wahrheit zu fin<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n Sprachen<br />

ungebil<strong>de</strong>ten Klassen verschlossen blieb. Somit war <strong>de</strong>r Weg für Wiklifs zukünftiges Werk<br />

als Reformator bereits gebahnt wor<strong>de</strong>n. Gelehrte Männer hatten die Heilige Schrift studiert<br />

und die große Wahrheit von <strong>de</strong>r darin offenbarten freien Gna<strong>de</strong> Gottes gefun<strong>de</strong>n. In ihrem<br />

Unterricht hatten sie die Erkenntnis dieser Wahrheit ausgestreut und an<strong>de</strong>re veranlaßt, sich<br />

zu <strong>de</strong>m lebendigen Gotteswort zu kehren.<br />

Als Wiklif seine Aufmerksamkeit auf die Heilige Schrift richtete, machte er sich mit<br />

<strong>de</strong>rselben Gründlichkeit an ihre Erforschung, die es ihm ermöglicht hatte, das Schulwissen<br />

zu meistern. Bisher hatte er sich unbefriedigt gefühlt; dieses Gefühl <strong>de</strong>s Unbefriedigtseins<br />

konnte we<strong>de</strong>r durch sein Studium noch durch die Lehren <strong>de</strong>r Kirche behoben wer<strong>de</strong>n. Im<br />

Wort Gottes fand er, was er zuvor vergebens gesucht hatte; er sah darin <strong>de</strong>n Erlösungsplan<br />

offenbart und Christus als <strong>de</strong>n alleinigen Fürsprecher für die Menschen dargestellt. Er<br />

widmete sich <strong>de</strong>m Dienst Christi und beschloß, die ent<strong>de</strong>ckten Wahrheiten zu verkündigen.<br />

Gleich späteren Reformern sah Wiklif anfangs nicht voraus, wohin ihn sein Wirken<br />

führen wür<strong>de</strong>. Er wi<strong>de</strong>rsetzte sich Rom nicht vorsätzlich; doch war bei seiner Hingabe an<br />

die Wahrheit eine Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>m Irrtum unvermeidlich. Je <strong>de</strong>utlicher er die<br />

Irrtümer <strong>de</strong>s Papsttums erkannte, <strong>de</strong>sto ernsthafter trug er die Lehren <strong>de</strong>r Bibel vor. Er sah,<br />

daß Rom Gottes Wort wegen menschlicher Überlieferungen verlassen hatte; er beschuldigte<br />

unerschrocken die Geistlichkeit, die Heilige Schrift verbannt zu haben, und verlangte, daß<br />

die Bibel <strong>de</strong>m Volk wie<strong>de</strong>rgegeben und ihre Autorität in <strong>de</strong>r Kirche wie<strong>de</strong>r aufgerichtet<br />

wer<strong>de</strong>. Er war ein fähiger, eifriger Lehrer, ein beredter Prediger, und sein tägliches Leben<br />

zeugte für die Wahrheiten, die er predigte. Seine Schriftkenntnis, sein durchdringen<strong>de</strong>r<br />

Verstand, die Reinheit seines Lebens sowie sein unbeugsamer Mut und seine<br />

Rechtschaffenheit gewannen ihm Achtung und allgemeines Zutrauen. Viele aus <strong>de</strong>m Volk<br />

waren mit ihrem Glauben unzufrie<strong>de</strong>n, als sie die Ungerechtigkeit sahen, die in <strong>de</strong>r<br />

römischen Kirche herrschte, und sie begrüßten die Wahrheiten, die nun durch Wiklif ans<br />

Licht gebracht wur<strong>de</strong>n, mit unverhohlener Freu<strong>de</strong>. Die päpstlichen Führer aber rasten vor<br />

Wut, als sie wahrnahmen, daß dieser Reformator einen größeren Einfluß gewann als sie<br />

selbst besaßen.<br />

Wiklif war ein scharfsinniger Ent<strong>de</strong>cker <strong>de</strong>s Irrtums und griff furchtlos viele <strong>de</strong>r von<br />

Rom gebilligten Mißbräuche an. Während er als Kaplan <strong>de</strong>s Königs tätig war, behauptete er<br />

kühn seinen Standpunkt gegen die Abgaben, die <strong>de</strong>r Papst von <strong>de</strong>m englischen Monarchen<br />

verlangte, und zeigte, daß die päpstliche Anmaßung <strong>de</strong>r Gewalt über weltliche Herrscher<br />

sowohl <strong>de</strong>r Vernunft als auch <strong>de</strong>r Offenbarung zuwi<strong>de</strong>r sei. Die Ansprüche <strong>de</strong>s Papstes<br />

hatten große Entrüstung hervorgerufen, und Wiklifs Lehren blieben nicht ohne Einfluß auf<br />

51


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

die tonangeben<strong>de</strong>n Geister <strong>de</strong>s Volkes. Der König und <strong>de</strong>r A<strong>de</strong>l vereinigten sich, <strong>de</strong>n<br />

Anspruch <strong>de</strong>s Papstes auf weltliche Machtstellung zu verneinen und die Zahlung <strong>de</strong>r<br />

verlangten Steuer zu verweigern. Auf diese Weise wur<strong>de</strong> ein kräftiger Schlag gegen die<br />

päpstliche Oberherrschaft in England geführt.<br />

Ein an<strong>de</strong>res Übel, gegen das <strong>de</strong>r Reformator einen langen und entschlossenen Kampf<br />

führte, war <strong>de</strong>r Or<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Bettelmönche. Diese Mönche schwärmten in England umher und<br />

übten einen Einfluß aus, <strong>de</strong>r sich auf die Größe und Wohlfahrt <strong>de</strong>r Nation schädlich<br />

auswirkte und vor allem Wirtschaft, Wissenschaft und Volksmoral lähmte. Das träge<br />

Bettlerleben <strong>de</strong>r Mönche stellte nicht nur schwere Anfor<strong>de</strong>rungen an die Mittel <strong>de</strong>s Volkes,<br />

son<strong>de</strong>rn machte nützliche Arbeit verächtlich. Die Jugend wur<strong>de</strong> entsittlicht und ver<strong>de</strong>rbt.<br />

Durch <strong>de</strong>n Einfluß <strong>de</strong>r Mönche ließen sich viele zum Mönchsleben verleiten und traten<br />

nicht nur ohne Einwilligung, son<strong>de</strong>rn sogar ohne das Wissen ihrer Eltern und entgegen ihren<br />

Anordnungen ins Kloster ein. Einer <strong>de</strong>r ersten Väter <strong>de</strong>r römischen Kirche, <strong>de</strong>r die<br />

Ansprüche <strong>de</strong>s Mönchtums <strong>de</strong>n Verpflichtungen <strong>de</strong>r kindlichen Liebe und <strong>de</strong>s Gehorsams<br />

gegenüber als erhaben hinstellte, hatte behauptet: „Sollte auch <strong>de</strong>in Vater weinend und<br />

jammernd vor <strong>de</strong>iner Tür liegen und <strong>de</strong>ine Mutter dir <strong>de</strong>n Leib zeigen, <strong>de</strong>r dich getragen,<br />

und die Brüste, die dich gesäugt, so siehe zu, daß du sie mit Füßen trittst und dich<br />

unverwandt zu Christus begibst.“ Durch dies „greulich ungeheuer Ding“, wie Luther es<br />

später kennzeichnete, das mehr an einen Wolf und Tyrannen als einen Christen und Mann<br />

erinnert, wur<strong>de</strong>n die Herzen <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r gegen ihre Eltern verhärtet. So haben die<br />

päpstlichen Führer wie einst die Pharisäer die Gebote Gottes um ihrer Satzungen willen<br />

aufgehoben; die Heime verö<strong>de</strong>ten, und die Eltern mußten die Gesellschaft ihrer Söhne und<br />

Töchter entbehren.<br />

Selbst die Stu<strong>de</strong>nten auf <strong>de</strong>n Universitäten wur<strong>de</strong>n durch die falschen Vorspiegelungen<br />

<strong>de</strong>r Mönche verlockt und dazu bewogen, <strong>de</strong>ren Or<strong>de</strong>n beizutreten. Viele bereuten später<br />

diesen Schritt und sahen ein, daß sie ihr Lebensglück zerstört und ihren Eltern Kummer<br />

bereitet hatten; aber saßen sie einmal in dieser Schlinge gefangen, war es ihnen unmöglich,<br />

ihre Freiheit wie<strong>de</strong>rzugewinnen. Viele Eltern lehnten es aus Furcht vor <strong>de</strong>m Einfluß <strong>de</strong>r<br />

Mönche ab, ihre Söhne auf die Universitäten zu schicken. Dies hatte eine erhebliche<br />

Abnahme <strong>de</strong>r Zahl <strong>de</strong>r Studieren<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n großen Bildungszentren zur Folge. Die Schulen<br />

lagen danie<strong>de</strong>r; Unwissenheit herrschte vor.<br />

Der Papst hatte jenen Mönchen das Recht übertragen, Beichten abzunehmen und<br />

Vergebung zu erteilen. Dies wur<strong>de</strong> zu einer Quelle großen Übels. Entschlossen, ihre<br />

Einkünfte zu erhöhen, gewährten die Bettelmönche die Absolution unter so leichten<br />

Bedingungen, daß Verbrecher aller Art zu ihnen strömten; infolge<strong>de</strong>ssen nahmen die<br />

schrecklichsten Laster schnell überhand. Die Armen und Kranken ließ man lei<strong>de</strong>n, während<br />

die Gaben, die ihre Bedürfnisse hätten befriedigen können, <strong>de</strong>n Mönchen zuteil wur<strong>de</strong>n, die<br />

unter Drohungen die Almosen <strong>de</strong>s Volkes for<strong>de</strong>rten und jene für gottlos erklärten, die ihrem<br />

Or<strong>de</strong>n Geschenke verweigerten. Ungeachtet ihres Bekenntnisses zur Armut nahm <strong>de</strong>r<br />

52


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Reichtum <strong>de</strong>r Bettelmönche ständig zu, und ihre prächtigen Gebäu<strong>de</strong> und ihre<br />

reichge<strong>de</strong>ckten Tafeln ließen die wachsen<strong>de</strong> Armut <strong>de</strong>s Volkes um so augenscheinlicher<br />

wer<strong>de</strong>n. Die Mönche verbrachten ihre Zeit in Üppigkeit und Freu<strong>de</strong>n und sandten an ihrer<br />

Statt unwissen<strong>de</strong> Männer aus, die wun<strong>de</strong>rbare Geschichte, Legen<strong>de</strong>n und Späße zur<br />

Unterhaltung <strong>de</strong>r Leute erzählen mußten und sie dadurch noch vollkommener in <strong>de</strong>n<br />

Täuschungen <strong>de</strong>r Mönche verfingen. Diesen hingegen gelang es, ihren Einfluß auf die<br />

abergläubische Menge zu wahren und sie glauben zu machen, daß die Oberhoheit <strong>de</strong>s<br />

Papstes anzuerkennen, die Heiligen zu verehren und <strong>de</strong>n Mönchen Almosen zu geben die<br />

Summe aller religiösen Pflichten sei und hinreiche, ihnen einen Platz im Himmel zu sichern.<br />

Gelehrte und fromme Männer hatten sich vergebens bemüht, unter diesen Mönchsor<strong>de</strong>n<br />

eine Reform durchzuführen; Wiklif jedoch ging <strong>de</strong>m Übel mit klarer Einsicht an die Wurzel<br />

und erklärte, daß das System selbst unrichtig sei und abgetan wer<strong>de</strong>n müsse. Jetzt erhoben<br />

sich Debatten und Fragen. Als die Mönche das Land durchzogen und <strong>de</strong>n Ablaß verkauften,<br />

begannen viele die Möglichkeit, sich Vergebung mit Geld zu erkaufen, anzuzweifeln, und<br />

sie fragten sich, ob sie die Vergebung <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>n nicht lieber bei Gott statt bei <strong>de</strong>m<br />

Priesterfürsten zu Rom suchen sollten. (Siehe Anm. 011) Nicht wenige waren über die<br />

Raubgier <strong>de</strong>r Bettelmönche beunruhigt, <strong>de</strong>ren Habsucht nie befriedigt zu wer<strong>de</strong>n schien.<br />

„Die Mönche und Priester“, sagten sie, „fressen uns wie ein Krebsscha<strong>de</strong>n; Gott muß uns<br />

helfen, sonst geht alles zugrun<strong>de</strong>.“ Um ihre Habsucht zu ver<strong>de</strong>cken, behaupteten diese<br />

Bettelmönche, daß sie <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s Beispiel befolgten, da auch Christus und seine Apostel<br />

von <strong>de</strong>n Almosen <strong>de</strong>s Volkes gelebt hätten. Diese Behauptung jedoch scha<strong>de</strong>te ihrer Sache,<br />

da sie viele veranlaßte, zur Bibel zu greifen, um selbst die Wahrheit zu erforschen — eine<br />

Folge, wie sie Rom am allerwenigsten wünschte. Die Gemüter <strong>de</strong>r Menschen wur<strong>de</strong>n auf<br />

die Quelle <strong>de</strong>r Wahrheit gelenkt, und gera<strong>de</strong> sie suchte Rom zu verbergen.<br />

Wiklif begann kurze Abhandlungen gegen die Bettelmönche zu schreiben und zu<br />

veröffentlichen, damit er mit ihnen so weit in ein Streitgespräch käme, wie nötig war, um<br />

das Volk auf die Lehren <strong>de</strong>r Bibel und ihres Urhebers aufmerksam machen zu können. Er<br />

erklärte, daß <strong>de</strong>r Papst die Macht <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>nvergebung und <strong>de</strong>s Kirchenbannes in keinem<br />

höheren Gra<strong>de</strong> besitze als die gewöhnlichen Priester und daß niemand rechtsgültig<br />

ausgeschlossen wer<strong>de</strong>n könne, es sei <strong>de</strong>nn, er habe sich zuerst die Verdammung Gottes<br />

zugezogen. In keiner wirksameren Weise hätte er <strong>de</strong>n Umsturz <strong>de</strong>s riesenhaften<br />

Machwerkes geistlicher und weltlicher Herrschaft, die <strong>de</strong>r Papst aufgerichtet hatte, und in<br />

<strong>de</strong>r Leib und Seele von Millionen Menschen gefangengehalten wur<strong>de</strong>n, unternehmen<br />

können.<br />

Wie<strong>de</strong>rum wur<strong>de</strong> Wiklif berufen, die Rechte <strong>de</strong>r englischen Krone gegen die Übergriffe<br />

Roms zu verteidigen, und er brachte als königlicher Gesandter zwei Jahre in <strong>de</strong>n<br />

Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n zu, wo er mit Abgeordneten <strong>de</strong>s Papstes verhan<strong>de</strong>lte. Hier kam er mit <strong>de</strong>n<br />

französischen, italienischen und spanischen Wür<strong>de</strong>nträgern <strong>de</strong>r Kirche zusammen und hatte<br />

Gelegenheit, hinter die Kulissen zu schauen und einen Einblick in manche Dinge zu<br />

53


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

gewinnen, die ihm in England verborgen geblieben wären. Er erfuhr manches, das seinem<br />

späteren Wirken das Gepräge und die Schärfe gab.<br />

In diesen Gesandten <strong>de</strong>s päpstlichen Hofes las er <strong>de</strong>n wahren Charakter und die echten<br />

Absichten <strong>de</strong>r Priesterherrschaft. Er kehrte nach England zurück, wie<strong>de</strong>rholte seine früheren<br />

Lehren offener und mit größerem Eifer und erklärte, Habsucht, Stolz und Betrug seien die<br />

Götter Roms. In einer seiner Abhandlungen schrieb er wi<strong>de</strong>r die Geldgier Roms: Der Papst<br />

und seine Einsammler „ziehen aus unserm Lan<strong>de</strong>, was zum Lebensunterhalt <strong>de</strong>r Armen<br />

dienen sollte, und viele tausend Mark aus <strong>de</strong>m Schatz <strong>de</strong>s Königs für die Sakramente und<br />

geistlichen Dinge“. Diese letzten Worte sind gegen die von Rom geför<strong>de</strong>rte Simonie<br />

gerichtet. „Gewiß, wenn unser Reich einen ungeheuren Berg von Gold hätte und keiner<br />

davon nähme, als nur <strong>de</strong>r Einsammler dieses hochmütigen, weltlichen Priesters, so wür<strong>de</strong><br />

im Laufe <strong>de</strong>r Zeit dieser Berg verzehrt wer<strong>de</strong>n. Er zieht alles Geld aus unserem Lan<strong>de</strong> und<br />

gibt nichts dafür zurück als Gottes Fluch für seine Simonie.“<br />

Bald nach <strong>de</strong>r Rückkehr nach England wur<strong>de</strong> Wiklif vom König zum Pfarrer von<br />

Lutterworth ernannt — ein Beweis, daß wenigstens <strong>de</strong>r König kein Mißfallen an seiner<br />

offenen Re<strong>de</strong> gefun<strong>de</strong>n hatte. Wiklifs Einfluß verspürte man sowohl in <strong>de</strong>r Umgangsweise<br />

am Hofe als auch in <strong>de</strong>r Umgestaltung <strong>de</strong>s Glaubens <strong>de</strong>r Nation. Roms Donner trafen ihn<br />

bald. Drei Bullen wur<strong>de</strong>n nach England gesandt: an die Universität, an <strong>de</strong>n König und an<br />

die Prälaten. In ihnen war befohlen, unverzügliche und entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Maßregeln zu treffen,<br />

um <strong>de</strong>n ketzerischen Lehrer zum Schweigen zu bringen. Die Bischöfe hatten jedoch in<br />

ihrem Eifer Wiklif schon vor <strong>de</strong>r Ankunft <strong>de</strong>r Bullen zu einem Verhör vorgela<strong>de</strong>n. Zwei <strong>de</strong>r<br />

mächtigsten Fürsten <strong>de</strong>s Reiches begleiteten ihm zum Gerichtshof, und das Volk, welches<br />

das Gebäu<strong>de</strong> umgab und hineindrang, schüchterte die Richter <strong>de</strong>rart ein, daß die<br />

Verhandlungen einstweilen ausgesetzt wur<strong>de</strong>n und man <strong>de</strong>m Reformator gestattete, friedlich<br />

seines Weges zu gehen. Bald darauf starb Eduard III., <strong>de</strong>n die römischen Geistlichen in<br />

seinen alten Tagen gegen <strong>de</strong>n Reformator zu beeinflussen gesucht hatten, und Wiklifs<br />

einstiger Beschützer wur<strong>de</strong> Herrscher <strong>de</strong>s Reiches.<br />

Die päpstlichen Bullen legten ganz England <strong>de</strong>n unbedingten Befehl auf, <strong>de</strong>n Ketzer<br />

festzunehmen und einzukerkern. Diese Maßregeln wiesen unmittelbar auf <strong>de</strong>n<br />

Scheiterhaufen, und es schien sicher, daß Wiklif bald <strong>de</strong>r Rache Roms anheimfallen wür<strong>de</strong>.<br />

Der aber, <strong>de</strong>r zu seinem Knecht vor alters gesagt hatte: „Fürchte dich nicht ... Ich bin <strong>de</strong>in<br />

Schild“ (1.Mose 15,1), streckte seine Hand aus, um seinen Diener zu beschützen. Der Tod<br />

kam, aber nicht zu <strong>de</strong>m Reformator, son<strong>de</strong>rn zu <strong>de</strong>m Papst, <strong>de</strong>r Wiklifs Untergang<br />

beschlossen hatte. Gregor XI. starb, und die Geistlichen, die sich zu Wiklifs Verhör<br />

versammelt hatten, gingen wie<strong>de</strong>r auseinan<strong>de</strong>r.<br />

Gottes Vorsehung leitete auch weiterhin die Ereignisse, um die Reformation<br />

voranzutreiben. Auf <strong>de</strong>n Tod Gregors folgte die Wahl zweier Gegenpäpste. Zwei streiten<strong>de</strong><br />

Mächte, je<strong>de</strong>, wie sie erklärten, unfehlbar, verlangten Gehorsam. Je<strong>de</strong> for<strong>de</strong>rte die<br />

Gläubigen auf, ihr beizustehen, um gegen die an<strong>de</strong>re Macht Krieg zu führen, und bekräftigte<br />

54


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

ihre For<strong>de</strong>rungen mit schrecklichen Bannflüchen gegen ihre Gegner und mit<br />

Versprechungen himmlischen Lohnes für die Helfer. Dieser Vorfall schwächte die Macht<br />

<strong>de</strong>s Papsttums ganz außeror<strong>de</strong>ntlich. Die nebenbuhlerischen Parteien hatten vollauf damit zu<br />

tun, sich gegenseitig zu bekämpfen, dadurch blieb Wiklif eine Zeitlang unbehelligt.<br />

Bannflüche und Gegenbeschuldigungen flogen von Papst zu Papst, und Ströme von Blut<br />

flossen, um ihre wi<strong>de</strong>rsprechen<strong>de</strong>n Ansprüche durchzusetzen. Verbrechen und Schandtaten<br />

überfluteten die Kirche. Während<strong>de</strong>ssen war <strong>de</strong>r Reformator in <strong>de</strong>r stillen<br />

Zurückgezogenheit seiner Pfarrei zu Lutterworth eifrig damit beschäftigt, die Menschen von<br />

<strong>de</strong>n streiten<strong>de</strong>n Päpsten ab- und zu Jesus, <strong>de</strong>m Fürsten <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns, hinzulenken.<br />

Diese Spaltung mit allem Streit und aller Ver<strong>de</strong>rbnis, die daraus hervorgingen, bereitete<br />

<strong>de</strong>r geistlichen Erneuerung <strong>de</strong>n Weg; <strong>de</strong>nn dadurch erkannte das Volk das wirkliche Wesen<br />

<strong>de</strong>s Papsttums. In einer Abhandlung über die Kirche und ihre Regierung for<strong>de</strong>rte Wiklif das<br />

Volk auf, zu überlegen, ob diese bei<strong>de</strong>n Päpste nicht die Wahrheit sagten, wenn sie sich<br />

gegenseitig als Antichrist verurteilten. Und so „wollte Gott nicht länger lei<strong>de</strong>n“, sagte er,<br />

„daß <strong>de</strong>r Feind in einem einzigen solcher Priester herrschte, son<strong>de</strong>rn ... machte eine<br />

Spaltung zwischen zweien, so daß man in Christi Namen leichter bei<strong>de</strong> sollte überwin<strong>de</strong>n<br />

können“ .<br />

Wiklif predigte das Evangelium wie sein Meister <strong>de</strong>n Armen. Nicht damit zufrie<strong>de</strong>n,<br />

das Licht in <strong>de</strong>n beschei<strong>de</strong>nen Familien seines Kirchspiels Lutterworth zu verbreiten,<br />

beschloß er, daß es in alle Gebiete Englands getragen wer<strong>de</strong>n sollte. Um dies auszuführen,<br />

scharte er eine Gruppe einfacher, gottergebener Männer um sich, welche die Wahrheit<br />

liebten und nichts so sehr begehrten, als sie zu verbreiten. Diese Männer gingen überallhin,<br />

lehrten auf <strong>de</strong>n Marktplätzen, auf <strong>de</strong>n Straßen <strong>de</strong>r Großstädte und auf <strong>de</strong>n Landwegen,<br />

suchten die Betagten, Kranken und Armen auf und verkündigten ihnen die frohe Botschaft<br />

von <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong> Gottes.<br />

Als Professor <strong>de</strong>r Theologie in Oxford predigte Wiklif das Wort Gottes in <strong>de</strong>n Hörsälen<br />

<strong>de</strong>r Universität. Er lehrte die Stu<strong>de</strong>nten, die seine Vorlesungen besuchten, die Wahrheit so<br />

gewissenhaft, daß er <strong>de</strong>n Titel „<strong>de</strong>r evangelische Doktor“ erhielt. Die größte Aufgabe seines<br />

Lebens jedoch sollte die Übersetzung <strong>de</strong>r Heiligen Schrift ins Englische sein. In seinem<br />

Buch „Über die Wahrheit und <strong>de</strong>n Sinn <strong>de</strong>r Heiligen Schrift“ drückte er seine Absicht aus,<br />

die Bibel zu übersetzen, damit sie je<strong>de</strong>r Englän<strong>de</strong>r in seiner Muttersprache lesen könne.<br />

Plötzlich wur<strong>de</strong> seiner Arbeit Halt geboten. Obwohl noch nicht sechzig Jahre alt, hatten<br />

unaufhörliche Arbeit, rastloses Studium und die Angriffe seiner Fein<strong>de</strong> seine Kräfte<br />

geschwächt und ihn vor <strong>de</strong>r Zeit altern lassen. Eine gefährliche Krankheit warf ihn nie<strong>de</strong>r.<br />

Diese Kun<strong>de</strong> bereitete <strong>de</strong>n Mönchen große Freu<strong>de</strong>. Jetzt, dachten sie, wer<strong>de</strong> er das Übel, das<br />

er <strong>de</strong>r Kirche zugefügt hatte, bitter bereuen; sie eilten in sein Haus, um seine Beichte zu<br />

hören. Vertreter <strong>de</strong>r vier religiösen Or<strong>de</strong>n mit vier weltlichen Beamten versammelten sich<br />

um <strong>de</strong>n Mann, <strong>de</strong>r sich nach ihrer Meinung zu sterben anschickte. „Der Tod sitzt euch auf<br />

<strong>de</strong>n Lippen“, sagten sie, „<strong>de</strong>nket bußfertig an eure Sün<strong>de</strong>n, und nehmet in unserer<br />

55


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Gegenwart alles zurück, was ihr gegen uns gesagt habt.“ Der Reformator hörte schweigend<br />

zu; dann bat er seinen Diener, ihn im Bett aufzurichten. Seinen Blick ernst auf die<br />

Warten<strong>de</strong>n heftend, sagte er mit <strong>de</strong>r festen, starken Stimme, die sie so oft zittern gemacht<br />

hatte: „Ich wer<strong>de</strong> nicht sterben, son<strong>de</strong>rn leben und die Greuel <strong>de</strong>r Mönche<br />

erzählen.“ Bestürzt und verwirrt eilten diese aus <strong>de</strong>m Zimmer.<br />

Wiklifs Worte erfüllten sich. Er blieb am Leben, um seinen Landsleuten die Bibel, die<br />

mächtigste aller Waffen gegen Rom, das vom Himmel bestimmte Werkzeug zur Befreiung,<br />

Erleuchtung und Evangelisation <strong>de</strong>s Volkes, in die Hän<strong>de</strong> zu legen. Bei <strong>de</strong>r Ausführung<br />

dieser Aufgabe galt es, viele Hin<strong>de</strong>rnisse zu überwin<strong>de</strong>n. Wiklif war von körperlicher<br />

Schwäche nie<strong>de</strong>rgebeugt; er wußte, daß ihm nur noch wenige Jahre zur Arbeit blieben; er<br />

sah <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rstand, <strong>de</strong>m er entgegentreten mußte; aber durch die Verheißungen <strong>de</strong>s Wortes<br />

Gottes ermutigt, ging er unerschrocken voran. In voller geistiger Kraft und reich an<br />

Erfahrungen hatte Gottes beson<strong>de</strong>re Vorsehung ihn für diese größte seiner Aufgaben<br />

vorbereitet und erhalten. Während die ganze Christenheit in Aufregung war, widmete sich<br />

<strong>de</strong>r Reformator in seiner Pfarre zu Lutterworth seiner selbstgewählten Arbeit, ohne das<br />

Rasen <strong>de</strong>s Sturmes zu beachten, <strong>de</strong>r draußen tobte.<br />

Endlich war die erste englische Übersetzung <strong>de</strong>r Heiligen Schrift vollen<strong>de</strong>t. Das Wort<br />

Gottes war England zugänglich. Jetzt fürchtete <strong>de</strong>r Reformator we<strong>de</strong>r das Gefängnis noch<br />

<strong>de</strong>n Scheiterhaufen, hatte er doch <strong>de</strong>m englischen Volk ein Licht in die Hän<strong>de</strong> gegeben, das<br />

nie ausgelöscht wer<strong>de</strong>n sollte. In<strong>de</strong>m er seinen Landsleuten die Bibel gab, hatte er mehr<br />

getan, die Fesseln <strong>de</strong>r Unwissenheit und <strong>de</strong>s Lasters abzustreifen und sein Land zu befreien<br />

und zu erheben, als je durch <strong>de</strong>n glänzendsten Sieg auf <strong>de</strong>m Schlachtfeld erreicht wur<strong>de</strong><br />

noch auch in Zukunft erreicht wer<strong>de</strong>n sollte.<br />

Da die Buchdruckerkunst noch unbekannt war, konnte nur durch mühevolle Arbeit<br />

Abschriften <strong>de</strong>r Bibel hergestellt wer<strong>de</strong>n. So groß war das Verlangen, das Buch zu erhalten,<br />

daß viele freiwillig die Heilige Schrift abschrieben, und doch konnten die Abschreiber nur<br />

mit Mühe <strong>de</strong>r Nachfrage gerecht wer<strong>de</strong>n. Manche wohlhaben<strong>de</strong> Käufer verlangten die ganze<br />

Bibel, an<strong>de</strong>re schafften sich nur Teile <strong>de</strong>s Wortes Gottes an. In vielen Fällen taten sich<br />

mehrere Familien zusammen um ein Exemplar zu kaufen. So fand Wiklifs Bibel in kurzer<br />

Zeit ihren Weg in die Wohnungen <strong>de</strong>s Volkes. Wiklifs Appell an <strong>de</strong>n klaren<br />

Menschenverstand weckte das Volk aus seiner wi<strong>de</strong>rstandslosen Unterwerfung unter die<br />

päpstlichen Glaubenssätze. Er lehrte die spätere Auffassung <strong>de</strong>s Protestantismus: Erlösung<br />

durch <strong>de</strong>n Glauben an Christus und alleinige Unfehlbarkeit <strong>de</strong>r Heiligen Schrift. Die<br />

Prediger, die er ausgesandt hatte, verbreiteten die Bibel und <strong>de</strong>s Reformators Schriften mit<br />

solchem Erfolg, daß nahezu die Hälfte <strong>de</strong>s englischen Volkes voller Begeisterung <strong>de</strong>n neuen<br />

Glauben annahm.<br />

Das Erscheinen <strong>de</strong>r Heiligen Schrift versetzte die kirchlichen Behör<strong>de</strong>n in Bestürzung.<br />

Sie hatten es nun mit einem mächtigeren Gegner zu tun, als es Wiklif war, einem Gegner,<br />

gegen <strong>de</strong>n ihre Waffen nicht viel ausrichten konnten. Zu jener Zeit bestand in England kein<br />

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<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Gesetz, das die Bibel verbot; <strong>de</strong>nn sie war nie zuvor in <strong>de</strong>r Sprache dieses Lan<strong>de</strong>s<br />

veröffentlicht wor<strong>de</strong>n. Solche Gesetze wur<strong>de</strong>n erst später erlassen und streng gehandhabt.<br />

Unter<strong>de</strong>ssen gab es trotz <strong>de</strong>r Bemühungen <strong>de</strong>r Priester mancherlei Möglichkeiten, das Wort<br />

Gottes zu verbreiten. Aufs neue versuchte die päpstliche Kirche, die Stimme <strong>de</strong>s<br />

Reformators zum Schweigen zu bringen. Dreimal wur<strong>de</strong> er zum Verhör vor ein geistliches<br />

Gericht gela<strong>de</strong>n, aber ohne Erfolg wie<strong>de</strong>r entlassen. Dann erklärte eine Syno<strong>de</strong> von<br />

Bischöfen seine Schriften für ketzerisch, und in<strong>de</strong>m sie <strong>de</strong>n jungen König Richard II. für<br />

sich gewann, erlangte sie einen königlichen Erlaß, <strong>de</strong>r alle, die sich zu <strong>de</strong>n verurteilten<br />

Lehren bekannten, <strong>de</strong>m Gefängnis überwies.<br />

Wiklif wandte sich an das Parlament, beschuldigte die Hierarchie furchtlos vor <strong>de</strong>r<br />

nationalen Ratsversammlung und verlangte die Abkehr von <strong>de</strong>n ungeheuren Mißbräuchen,<br />

die von <strong>de</strong>r Kirche gebilligt wur<strong>de</strong>n. Mit überzeugen<strong>de</strong>r Kraft schil<strong>de</strong>rte er die Übergriffe<br />

und die Ver<strong>de</strong>rbnis <strong>de</strong>s päpstlichen Stuhles. Seine Fein<strong>de</strong> wur<strong>de</strong>n verwirrt. Die Freun<strong>de</strong> und<br />

Helfer Wiklifs waren zum Nachgeben gezwungen wor<strong>de</strong>n, man hatte zuversichtlich erwartet,<br />

daß sich <strong>de</strong>r betagte Reformator, allein und ohne Freun<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r vereinten Macht <strong>de</strong>r Krone<br />

und <strong>de</strong>r Mitra beugen wür<strong>de</strong>. Statt <strong>de</strong>ssen sahen sich die Römlinge geschlagen. Das<br />

Parlament, durch die erregen<strong>de</strong>n Ansprachen Wiklifs angefeuert, wi<strong>de</strong>rrief das Edikt zu<br />

seiner Verfolgung, und <strong>de</strong>r Reformator war wie<strong>de</strong>rum frei.<br />

Zum drittenmal wur<strong>de</strong> er verhört, und zwar vor <strong>de</strong>m höchsten kirchlichen Gerichtshof<br />

<strong>de</strong>s Reiches. Hier wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ketzerei keine Gunst erwiesen wer<strong>de</strong>n; hier wür<strong>de</strong> endlich<br />

Rom siegen und das Werk <strong>de</strong>s Reformators zum Stillstand gebracht wer<strong>de</strong>n. So dachten die<br />

Römlinge. Konnten sie ihre Absicht erreichen, dann wäre Wiklif gezwungen, seine Lehre<br />

abzuschwören, o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Gerichtshof zu verlassen, um <strong>de</strong>n Scheiterhaufen zu besteigen.<br />

Wiklif wi<strong>de</strong>rrief nicht; er wollte nicht heucheln. Furchtlos verteidigte er seine Lehren und<br />

wi<strong>de</strong>rlegte die Anklagen seiner Verfolger. Sich selbst, seine Stellung und <strong>de</strong>n Anlaß dieser<br />

Versammlung vergessend, for<strong>de</strong>rte er seine Zuhörer vor das göttliche Gericht und wog ihre<br />

Sophistereien und Täuschungen auf <strong>de</strong>r Waage <strong>de</strong>r ewigen Wahrheit. Die Macht <strong>de</strong>s<br />

Heiligen Geistes wur<strong>de</strong> im Gerichtssaal spürbar. Gott hielt die Zuhörer in Bann; sie<br />

schienen keine Macht zu haben, die Stätte zu verlassen. Wie Pfeile aus <strong>de</strong>m Köcher <strong>de</strong>s<br />

Herrn durchbohrten die Worte <strong>de</strong>s Reformators ihre Herzen. Die Anklage <strong>de</strong>r Ketzerei, die<br />

sie gegen ihn vorgebracht hatten, schleu<strong>de</strong>rte er mit überzeugen<strong>de</strong>r Macht auf sie zurück.<br />

Aus welchem Grun<strong>de</strong>, fragte er, hätten sie sich erkühnt, ihre Irrtümer zu verbreiten? — Um<br />

<strong>de</strong>s Gewinnes willen, um mit <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong> Gottes Han<strong>de</strong>l zu treiben.<br />

„Mit wem, glaubt ihr“, sagte er zum Schluß, „daß ihr streitet? Mit einem alten Manne<br />

am Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Grabes? — Nein! Mit <strong>de</strong>r Wahrheit, die stärker ist als ihr und euch<br />

überwin<strong>de</strong>n wird.“ Mit diesen Worten verließ er die Versammlung. Keiner seiner Fein<strong>de</strong><br />

versuchte ihn daran zu hin<strong>de</strong>rn. Wiklifs Aufgabe war nahezu erfüllt; das Banner <strong>de</strong>r<br />

Wahrheit, das er so lange getragen hatte, sollte bald seiner Hand entfallen. Doch noch<br />

einmal mußte er für das Evangelium zeugen. Die Wahrheit sollte mitten aus <strong>de</strong>r Festung <strong>de</strong>s<br />

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<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Reiches <strong>de</strong>s Irrtums verkündigt wer<strong>de</strong>n. Wiklif wur<strong>de</strong> aufgefor<strong>de</strong>rt, sich vor <strong>de</strong>m<br />

päpstlichen Gerichtshof zu Rom, <strong>de</strong>r so oft das Blut <strong>de</strong>r Heiligen vergossen hatte, zu<br />

verantworten. Er war durchaus nicht blind gegen die ihm drohen<strong>de</strong> Gefahr, wäre dieser<br />

Auffor<strong>de</strong>rung aber <strong>de</strong>nnoch gefolgt, hätte ihn nicht ein Schlaganfall die Reise unmöglich<br />

gemacht. Konnte er nun auch seine Stimme in Rom nicht persönlich zu Gehör bringen, so<br />

wollte er doch durch einen Brief sprechen, und dazu war er bereit. — Von seiner Pfarre aus<br />

schrieb <strong>de</strong>r Reformator einen Brief an <strong>de</strong>n Papst, <strong>de</strong>r, obwohl in achtungsvollem Ton und<br />

christlichem Geist gehalten, <strong>de</strong>n Pomp und <strong>de</strong>n Stolz <strong>de</strong>s päpstlichen Stuhles heftig ta<strong>de</strong>lte.<br />

„Wahrlich, ich freue mich“, sagte er, „je<strong>de</strong>m <strong>de</strong>n Glauben, <strong>de</strong>n ich halte, kundzutun und<br />

zu erklären und beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>m Bischof von Rom, <strong>de</strong>r bereitwilligst meinen dargelegten<br />

Glauben, soviel ich für richtig und wahr halte, bestätigen, o<strong>de</strong>r falls er irrtümlich ist,<br />

berichtigen wird. Erstens setze ich voraus, daß das Evangelium Christi die Gesamtheit <strong>de</strong>s<br />

Gesetzes Gottes ist ... Ich halte dafür, daß <strong>de</strong>r Bischof von Rom, insofern er Statthalter<br />

Christi auf Er<strong>de</strong>n ist, vor allen an<strong>de</strong>ren Menschen am meisten an das Gesetz <strong>de</strong>s<br />

Evangeliums gebun<strong>de</strong>n ist. Denn die Größe <strong>de</strong>r Jünger bestand nicht in weltlicher Wür<strong>de</strong><br />

o<strong>de</strong>r Ehre, son<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r nahen und genauen Nachfolge <strong>de</strong>s Lebens und <strong>de</strong>s Wan<strong>de</strong>ls<br />

Christi ... Christus war während <strong>de</strong>r Zeit seiner Pilgerschaft hier ein sehr armer Mann, <strong>de</strong>r<br />

alle weltliche Herrschaft und Ehre verwarf und von sich stieß ... Kein treuer Mensch sollte<br />

we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Papst noch irgen<strong>de</strong>inem Heiligen nachfolgen, außer in <strong>de</strong>n Punkten, in <strong>de</strong>nen<br />

dieser Jesus Christus nachgefolgt ist; <strong>de</strong>nn Petrus und die Söhne Zebedäi sündigten, in<strong>de</strong>m<br />

sie nach weltlicher Ehre verlangten, die <strong>de</strong>r Nachfolge Christ zuwi<strong>de</strong>r ist; <strong>de</strong>shalb sollte man<br />

ihnen in jenen Irrtümern nicht nachfolgen ... Der Papst sollte allen irdischen Besitz und alle<br />

Herrschaft <strong>de</strong>r weltlichen Macht überlassen und dazu seine ganze Geistlichkeit<br />

nachdrücklich bewegen und ermahnen; <strong>de</strong>nn so tat Christus, und beson<strong>de</strong>rs durch seine<br />

Apostel.<br />

Habe ich in irgen<strong>de</strong>inem dieser Punkte geirrt, so will ich mich <strong>de</strong>mütigst <strong>de</strong>r<br />

Zurechtweisung unterwerfen, selbst <strong>de</strong>m To<strong>de</strong>, falls die Notwendigkeit es so verlangt.<br />

Könnte ich nach meinem Wunsch und Willen in eigener Person wirken, so wür<strong>de</strong> ich mich<br />

<strong>de</strong>m Bischof von Rom persönlich vorstellen, aber <strong>de</strong>r Herr hat mich auf eine an<strong>de</strong>re Art<br />

heimgesucht und mich gelehrt, Gott mehr zu gehorchen als Menschen.“ Am En<strong>de</strong> seines<br />

Briefes sagte er: „Deshalb beten wir zu Gott, daß er unseren Papst Urban VI. so anregen<br />

wolle, daß er mit seiner Geistlichkeit <strong>de</strong>m Herrn Jesus Christus in Leben und Sitten<br />

nachfolge, daß sie das Volk wirksam lehren und daß das Volk ihnen wie<strong>de</strong>rum in <strong>de</strong>nselben<br />

Stücken getreulich nachfolge.“1<br />

Auf diese Weise zeigte Wiklif <strong>de</strong>m Papst und seinen Kardinälen die Sanftmut und<br />

Demut Christi, wobei er nicht nur ihnen, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r ganzen Christenheit <strong>de</strong>n Gegensatz<br />

zwischen ihnen und <strong>de</strong>m Meister, <strong>de</strong>ssen Vertreter sie sein wollten, darlegte. 1Foxe, „Acts<br />

and Monuments“, Bd. III, 49.50; Nean<strong>de</strong>r, „Kirchengeschichte“, 6.Per., 2.Abschnitt, §29<br />

Wiklif erwartete nichts an<strong>de</strong>res, als daß seine Treue ihm das Leben kosten wer<strong>de</strong>. König,<br />

58


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Papst und Bischöfe hatten sich vereint, um seinen Untergang herbeizuführen, und es schien<br />

unausweichlich, daß er in spätestens einigen Monaten <strong>de</strong>n Scheiterhaufen wür<strong>de</strong> besteigen<br />

müssen. Aber sein Mut war unerschüttert. „Man braucht nicht weit zu gehen, um die Palme<br />

<strong>de</strong>r Märtyrer zu suchen“, sagte er. „Nur das Wort Christi stolzen Bischöfen verkündigt und<br />

das Märtyrertum wird nicht ausbleiben! Leben und schweigen? Niemals! Mag das Schwert,<br />

das über meinem Haupte hängt, getrost fallen! Ich erwarte <strong>de</strong>n Streich!“<br />

Immer noch beschützte Gottes Vorsehung seinen Diener. Der Mann, <strong>de</strong>r ein ganzes<br />

Leben lang unter Lebensgefahr kühn die Wahrheit verteidigt hatte, sollte <strong>de</strong>m Haß seiner<br />

Fein<strong>de</strong> nicht zum Opfer fallen. Wiklif hatte sich nie selbst zu schützen gesucht, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r<br />

Herr war sein Schutz gewesen. Als seine Fein<strong>de</strong> sich ihrer Beute sicher glaubten, entrückte<br />

ihn Gott ihrem Bereich. Als er im Begriff war, in seiner Kirche zu Lutterworth das<br />

Abendmahl auszuteilen, fiel er, von Schlag getroffen, nie<strong>de</strong>r und verschied kure Zeit darauf.<br />

Gott hatte Wiklif zu seiner Aufgabe berufen. Er hatte das Wort <strong>de</strong>r Wahrheit in seinen<br />

Mund gelegt und ihn allezeit bewahrt, damit dies Wort durch ihn ins Volk gelangte. Sein<br />

Leben wur<strong>de</strong> beschützt und sein Wirken verlängert, bis ein Grundstein für das große Werk<br />

<strong>de</strong>r Erneuerung gelegt war.<br />

Wiklif kam aus <strong>de</strong>r Finsternis <strong>de</strong>s Mittelalters. Niemand war ihm vorausgegangen, nach<br />

<strong>de</strong>ssen Werk er seine reformatorische Aufgabe hätte planen können. Gleich Johannes <strong>de</strong>m<br />

Täufer erweckt, eine beson<strong>de</strong>re Mission auszuführen, war er <strong>de</strong>r Herold eines neuen<br />

Zeitalters. In <strong>de</strong>m Gebäu<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Wahrheit, die er verkündigte, bestand eine Einheit und<br />

Vollständigkeit, die von nach ihm aufgetretenen Reformatoren nicht übertroffen, von<br />

etlichen sogar hun<strong>de</strong>rt Jahre später nicht erreicht wur<strong>de</strong>. So breit und tief, so fest und sicher<br />

war das Fundament angelegt, daß die Reformatoren, die nach ihm kamen, darauf<br />

weiterbauen konnten.<br />

Die große Bewegung, die Wiklif anbahnte, die das Gewissen und <strong>de</strong>n Verstand frei<br />

machte und die so lange an <strong>de</strong>n Triumphwagen Roms gespannten Völker befreite, hatte<br />

ihren Ursprung in <strong>de</strong>r Heiligen Schrift. Diese war die Quelle <strong>de</strong>s Segensstromes, <strong>de</strong>r seit<br />

<strong>de</strong>m 14.Jahrhun<strong>de</strong>rt wie Lebenswasser durch die Zeiten fließt. Wiklif nahm die Heilige<br />

Schrift in unbedingtem Glauben als eine von Gott eingegebene Offenbarung <strong>de</strong>s göttlichen<br />

Willens an, als eine untrügliche Richtschnur <strong>de</strong>s Glaubens und Han<strong>de</strong>lns. Er war erzogen<br />

wor<strong>de</strong>n, die römische Kirche als göttliche, unfehlbare Autorität zu betrachten und die<br />

bestehen<strong>de</strong>n Lehren und Gebräuche eines Jahrtausends mit kritikloser Verehrung<br />

anzunehmen; aber er wandte sich von all diesem ab, um <strong>de</strong>n Lehren <strong>de</strong>s heiligen Wortes<br />

Gottes zu lauschen. Dies war die Autorität, an die zu glauben er das Volk nachdrücklich<br />

auffor<strong>de</strong>rte. Er erklärte, daß nicht die durch <strong>de</strong>n Papst vertretene Kirche, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r<br />

Heiligen Schrift sich offenbaren<strong>de</strong> Gott die einzig wahre Autorität sei. Er lehrte nicht nur,<br />

daß die Bibel eine vollkommene Offenbarung <strong>de</strong>s göttlichen Willens ist, son<strong>de</strong>rn auch, daß<br />

<strong>de</strong>r Heilige Geist ihr einziger Ausleger ist und je<strong>de</strong>rmann durch das Erforschen ihrer Lehren<br />

59


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

selbst seine Pflicht erkennen muß. Auf diese Weise lenkte er die Gemüter <strong>de</strong>r Menschen<br />

vom Papst und von <strong>de</strong>r römischen Kirche auf das Wort Gottes.<br />

Wiklif war einer <strong>de</strong>r größten Reformatoren. An Größe <strong>de</strong>s Verstan<strong>de</strong>s, an Klarheit <strong>de</strong>r<br />

Gedanken, an Festigkeit, die Wahrheit zu behaupten und an Kühnheit, sie zu verteidigen,<br />

kamen ihm nur wenige gleich. Reinheit <strong>de</strong>s Lebens, unermüdlicher Fleiß im Studium und in<br />

<strong>de</strong>r Arbeit, unantastbare Rechtschaffenheit und eine Christus ähnliche Liebe und Treue in<br />

seinem Amt kennzeichneten diesen ersten Reformator in einem Zeitalter geistiger Finsternis<br />

und sittlicher Ver<strong>de</strong>rbtheit.<br />

Wiklifs Charakter ist ein Zeugnis für die bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>, umgestalten<strong>de</strong> Macht <strong>de</strong>r Heiligen<br />

Schrift. Die Bibel machte ihn zu <strong>de</strong>m, was er war. Das Streben, die großen Wahrheiten <strong>de</strong>r<br />

Offenbarung zu erfassen, erfrischt und kräftig alle unsere Fähigkeiten, erweitert <strong>de</strong>n<br />

Verstand, schärft die Vorstellungskraft und reift das Urteilsvermögen. Das Studium <strong>de</strong>r<br />

Heiligen Schrift vere<strong>de</strong>lt wie kein an<strong>de</strong>res Studium die Gedanken, Gefühle und jegliches<br />

Trachten; es verleiht Zielstrebigkeit, Geduld, Mut und Geistesstärke; es läutert <strong>de</strong>n<br />

Charakter und heiligt die Seele. Ein ernstes, andachtsvolles Studium <strong>de</strong>r Heiligen Schrift,<br />

welches das Gemüt <strong>de</strong>s Forschers in unmittelbare Berührung mit <strong>de</strong>m unendlichen Geist<br />

bringt, wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Welt Menschen bescheren, die einen schärferen und gesün<strong>de</strong>ren<br />

Menschenverstand und edlere Grundsätze besäßen, als sie je <strong>de</strong>r beste menschliche<br />

Weisheitslehrer hervorgebracht hat. „Wenn <strong>de</strong>in Wort offenbar wird“, sagt <strong>de</strong>r Psalmist, „so<br />

erfreut es und macht klug.“ Psalm 119,130.<br />

Die Wahrheiten, die Wiklif gelehrt hatte, breiteten sich eine Zeitlang weiter aus. Seine<br />

als Wiklifiten und Lollar<strong>de</strong>n bekannten Nachfolger durchzogen nicht nur England, son<strong>de</strong>rn<br />

zerstreuten sich auch in an<strong>de</strong>re Län<strong>de</strong>r und brachten ihnen die Kenntnis <strong>de</strong>s Evangeliums.<br />

Jetzt, da ihr geistiger Führer von ihnen genommen war, arbeiteten die Prediger mit noch<br />

größerem Eifer als zuvor; große Volksmengen strömten zusammen, ihren Lehren zu<br />

lauschen. Einige Adlige und sogar die Gemahlin <strong>de</strong>s Königs waren unter <strong>de</strong>n Bekehrten. An<br />

vielen Orten zeigte sich eine bemerkenswerte Umgestaltung <strong>de</strong>r Gebräuche <strong>de</strong>s Volkes, und<br />

auch die irreführen<strong>de</strong>n Sinnbil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Papsttums wur<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>n Kirchen entfernt. Bald<br />

jedoch brach <strong>de</strong>r erbarmungslose Sturm <strong>de</strong>r Verfolgung über jene los, die es gewagt hatten,<br />

die Heilige Schrift als ihren Führer anzunehmen. Die englischen Fürsten, eifrig darauf<br />

bedacht, ihre Macht zu stärken, in<strong>de</strong>m sie sich Roms Beistand sicherten, zögerten nicht, die<br />

Reformatoren <strong>de</strong>m Untergang zu weihen. Zum erstenmal in <strong>de</strong>r Geschichte Englands wur<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Scheiterhaufen für die Jünger <strong>de</strong>s Evangeliums aufgerichtet. Ein Märtyrertum folgte<br />

<strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn. Die geächteten und gefolterten Verteidiger <strong>de</strong>r Wahrheit konnten nur zu Gott,<br />

<strong>de</strong>m Herrn, schreien. Als Kirchenfein<strong>de</strong> und Lan<strong>de</strong>sverräter verfolgt, ließen sie <strong>de</strong>nnoch<br />

nicht ab, an geheimen Orten zu predigen, wobei sie, so gut es ging, in <strong>de</strong>n beschei<strong>de</strong>nen<br />

Wohnungen <strong>de</strong>r Armen Zuflucht fan<strong>de</strong>n und sich oft in Gruben und Höhlen verbargen.<br />

Trotz <strong>de</strong>s Rasens <strong>de</strong>r Verfolgung wur<strong>de</strong> jahrhun<strong>de</strong>rtelang ein ruhiger, in christlichem<br />

Geist geführter, ernster und geduldiger Wi<strong>de</strong>rstand gegen die vorherrschen<strong>de</strong> Ver<strong>de</strong>rbnis<br />

60


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

<strong>de</strong>r Religion fortgesetzt. Die Christen <strong>de</strong>r damaligen Zeit kannten die Wahrheit nur teilweise,<br />

aber sie hatten gelernt, Gottes Wort zu lieben, ihm zu gehorchen und um seinetwillen<br />

geduldig zu lei<strong>de</strong>n. Gleich <strong>de</strong>n Gläubigen in <strong>de</strong>n apostolischen Tagen opferten viele ihren<br />

weltlichen Besitz für die Sache Christi. Die in ihren eigenen Wohnungen sein durften,<br />

gewährten ihren vertriebenen Brü<strong>de</strong>rn freudig Obdach, und als auch sie vertrieben wur<strong>de</strong>n,<br />

nahmen sie das Los <strong>de</strong>r Verstoßenen freudig auf sich. Allerdings erkauften Tausen<strong>de</strong>,<br />

erschreckt durch die Wut ihrer Verfolger, ihre Freiheit, in<strong>de</strong>m sie ihren Glauben opferten.<br />

Sie verließen ihre Gefängnisse in Bußklei<strong>de</strong>rn, um ihren Wi<strong>de</strong>rruf öffentlich<br />

bekanntzumachen.<br />

Doch die Zahl <strong>de</strong>rer — und darunter befan<strong>de</strong>n sich Männer von adliger Herkunft ebenso<br />

wie Geringe und Niedrige —, die in Gefängniszellen, in „Lollar<strong>de</strong>n-Türmen“, bei<br />

Folterschmerzen und Flammen furchtlos für die Wahrheit zeugten und sich freuten, daß sie<br />

würdig erachtet wur<strong>de</strong>n, „die Gemeinschaft <strong>de</strong>r Lei<strong>de</strong>n“ Christi zu erfahren, war nicht<br />

gering. Es war Rom nicht gelungen, Wiklif bei Lebzeiten <strong>de</strong>n Willen <strong>de</strong>r Kirche<br />

aufzuzwingen, und Roms Haß konnte nicht befriedigt wer<strong>de</strong>n, solange <strong>de</strong>ssen Leib friedlich<br />

im Grabe ruhte. Einem Erlaß <strong>de</strong>s Konzils zu Konstanz zufolge wur<strong>de</strong>n seine Gebeine mehr<br />

als vierzig Jahre nach seinem To<strong>de</strong> ausgegraben, öffentlich verbrannt und die Asche in<br />

einen benachbarten Bach gestreut. „Der Bach“, sagt ein alter Schriftsteller, „führte seine<br />

Asche mit sich in <strong>de</strong>n Avon, <strong>de</strong>r Avon in die Severn, die Severn in die Meerengen und diese<br />

in <strong>de</strong>n großen Ozean; und somit ist Wiklifs Asche ein Sinnbild seiner Lehre, die jetzt über<br />

die ganze Welt verbreitet ist.“ Seine Fein<strong>de</strong> erkannten kaum die Be<strong>de</strong>utung ihrer gehässigen<br />

Tat.<br />

Von Wiklifs Schriften angeregt, sagte sich Jan Hus in Böhmen von vielen Irrtümern <strong>de</strong>r<br />

römischen Kirche los und begann eine auf Erneuerung abzielen<strong>de</strong> Tätigkeit zu entfalten. So<br />

wur<strong>de</strong> in diesen bei<strong>de</strong>n so weit voneinan<strong>de</strong>r entfernten Län<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Same <strong>de</strong>r Wahrheit<br />

gesät. Von Böhmen erstreckte sich das Werk auf an<strong>de</strong>re Län<strong>de</strong>r. Der Sinn <strong>de</strong>r Menschen<br />

wur<strong>de</strong> auf das lange Zeit vergessen gewesene Wort Gottes gerichtet. Gott bereitete <strong>de</strong>r<br />

großen Reformation <strong>de</strong>n Weg.<br />

61


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 6- Zwei Hel<strong>de</strong>n<br />

Das Evangelium war schon im neunten Jahrhun<strong>de</strong>rt nach Böhmen gebracht wor<strong>de</strong>n. Die<br />

Bibel wur<strong>de</strong> übersetzt und <strong>de</strong>r öffentliche Gottesdienst in <strong>de</strong>r Sprache <strong>de</strong>s Volkes gehalten.<br />

Aber wie die Macht <strong>de</strong>s Papsttums zunahm, wur<strong>de</strong> auch das Wort Gottes verdunkelt. Gregor<br />

VII., <strong>de</strong>r es sich zur Aufgabe gesetzt hatte, <strong>de</strong>n Stolz <strong>de</strong>r Fürsten zu <strong>de</strong>mütigen, war nicht<br />

weniger darauf bedacht, das Volk zu knechten. Demgemäß erließ er eine Bulle, die <strong>de</strong>n<br />

öffentlichen Gottesdienst in tschechischer Sprache untersagte. Der Papst erklärte, es sei <strong>de</strong>m<br />

Allmächtigen angenehm, daß seine Anbetung in einer unbekannten Sprache geschehe und<br />

daß viele Übel und Irrlehren aus <strong>de</strong>r Nichtbeachtung dieser Regel entstan<strong>de</strong>n seien. Auf<br />

diese Weise verfügte Rom, das Licht <strong>de</strong>s Wortes Gottes auszulöschen und das Volk in<br />

Finsternis zu belassen. Aber <strong>de</strong>r Himmel hatte an<strong>de</strong>re Mittel und Wege zur Erhaltung <strong>de</strong>r<br />

Gemein<strong>de</strong> vorgesehen. Viele Wal<strong>de</strong>nser und Albigenser, die durch die Verfolgung aus ihrer<br />

französischen und italienischen Heimat vertrieben wor<strong>de</strong>n waren, hatten sich in Böhmen<br />

angesie<strong>de</strong>lt. Wenn sie es auch nicht wagten, öffentlich zu lehren, arbeiteten sie doch eifrig<br />

im geheimen. Auf diese Weise wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r wahre Glaube von Jahrhun<strong>de</strong>rt zu Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

bewahrt.<br />

Schon vor Hus gab es in Böhmen Männer, die die Ver<strong>de</strong>rbnis <strong>de</strong>r Kirche und die Laster<br />

<strong>de</strong>s Volkes öffentlich verurteilten. Ihr Wirken erweckte große Anteilnahme. Die<br />

Befürchtungen <strong>de</strong>r Priester wur<strong>de</strong>n wachgerufen, und man begann die Jünger <strong>de</strong>s<br />

Evangeliums zu verfolgen. Gezwungen, ihren Gottesdienst in <strong>de</strong>n Wäl<strong>de</strong>rn und Bergen zu<br />

halten, wur<strong>de</strong>n sie von Soldaten aufgespürt und viele umgebracht. Später wur<strong>de</strong> von Rom<br />

beschlossen, daß alle, die die römischen Gottesdienste verließen, verbrannt wer<strong>de</strong>n sollten.<br />

Während diese Christen ihr Leben dahingaben, richteten sie <strong>de</strong>n Blick auf <strong>de</strong>n Sieg ihrer<br />

Sache. Einer von <strong>de</strong>nen, die lehrten, daß das Heil nur durch <strong>de</strong>n Glauben an <strong>de</strong>n<br />

gekreuzigten Heiland zu fin<strong>de</strong>n sei, erklärte im Sterben: „Jetzt hat die Wut <strong>de</strong>r Fein<strong>de</strong> die<br />

Oberhand über uns, aber es wird nicht für immer sein; es wird sich einer aus <strong>de</strong>m gemeinen<br />

Volk erheben, ohne Schwert und Autorität, gegen <strong>de</strong>n sie nichts vermögen wer<strong>de</strong>n.“ Luthers<br />

Zeit war noch weit entfernt; aber schon trat einer auf, <strong>de</strong>ssen Zeugnis gegen Rom die Völker<br />

bewegen sollte.<br />

Jan Hus war von geringer Herkunft und wur<strong>de</strong> durch <strong>de</strong>n Tod seines Vaters frühzeitig<br />

Halbwaise. Seine fromme Mutter, die eine Erziehung in <strong>de</strong>r Furcht Gottes als das<br />

wertvollste Besitztum ansah, wollte ihrem Sohn dieses Erbgut vermitteln. Hus besuchte erst<br />

die Kreisschule und begab sich dann auf die Universität in Prag, wo man ihm eine Freistelle<br />

gewährte. Seine Mutter begleitete ihn auf <strong>de</strong>r Reise. (Siehe Anm. 021) Da sie arm und<br />

verwitwet war, konnte sie ihrem Sohn keine weltlichen Güter mitgeben; doch als sie sich<br />

<strong>de</strong>r großen Stadt näherten, kniete sie mit <strong>de</strong>m vaterlosen Jüngling nie<strong>de</strong>r und erflehte für ihn<br />

<strong>de</strong>n Segen ihres himmlischen Vaters. Wie wenig ahnte diese Mutter, auf welche Weise ihr<br />

Gebet erhört wer<strong>de</strong>n sollte!<br />

62


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Auf <strong>de</strong>r Universität zeichnete sich Hus bald durch seinen unermüdlichen Fleiß und seine<br />

raschen Fortschritte aus. Sein ta<strong>de</strong>lloser Wan<strong>de</strong>l und sein freundliches, liebenswürdiges<br />

Betragen erwarben ihm allgemeine Achtung. Er war ein aufrichtiger Anhänger <strong>de</strong>r<br />

römischen Kirche, und ihn verlangte ernstlich nach <strong>de</strong>m von ihr versprochenen Segen.<br />

Anläßlich einer Jubiläumsfeier ging er zur Beichte, gab seine letzten wenigen Geldstücke<br />

hin, die er besaß und schloß sich <strong>de</strong>r Prozession an, damit er <strong>de</strong>r verheißenen Absolution<br />

teilhaftig wür<strong>de</strong>. Nach<strong>de</strong>m er seine Studien vollen<strong>de</strong>t hatte, trat er in <strong>de</strong>n Priesterstand, in<br />

<strong>de</strong>m er rasch zu Ehren kam und bald an <strong>de</strong>n königlichen Hof gezogen wur<strong>de</strong>. Auch wur<strong>de</strong> er<br />

zum Professor und später zum Rektor <strong>de</strong>r Universität ernannt, an <strong>de</strong>r er studiert hatte. In<br />

wenigen Jahren war <strong>de</strong>r beschei<strong>de</strong>ne Freischüler <strong>de</strong>r Stolz seines Vaterlan<strong>de</strong>s gewor<strong>de</strong>n,<br />

und sein Name wur<strong>de</strong> in ganz Europa berühmt.<br />

Auf einem an<strong>de</strong>rn Gebiet jedoch begann Hus das Werk <strong>de</strong>r Erneuerung. Einige Jahre<br />

nach Empfang <strong>de</strong>r Priesterweihe wur<strong>de</strong> er zum Prediger an <strong>de</strong>r Betlehemskapelle ernannt.<br />

Der Grün<strong>de</strong>r dieser Kapelle sah das Predigen <strong>de</strong>r Heiligen Schrift in <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>ssprache als<br />

außeror<strong>de</strong>ntlich wichtig an. Obwohl dieser Brauch <strong>de</strong>n schärfsten Wi<strong>de</strong>rstand Roms<br />

hervorrief, war er doch in Böhmen nicht völlig eingestellt wor<strong>de</strong>n. Dennoch blieb die<br />

Unkenntnis <strong>de</strong>r Heiligen Schrift groß, und die schlimmsten Laster herrschten unter <strong>de</strong>n<br />

Menschen aller Klassen. Schonungslos trat Hus diesen Übelstän<strong>de</strong>n entgegen, in<strong>de</strong>m er sich<br />

auf das Wort Gottes berief, die Grundsätze <strong>de</strong>r Wahrheit und Reinheit durchzusetzen,<br />

welche er einschärfte.<br />

Ein Bürger von Prag, Hieronymus, <strong>de</strong>r sich später so innig mit Hus verband, hatte bei<br />

seiner Rückkehr aus England Wiklifs Schriften mitgebracht. Die Königin von England, die<br />

sich zu Wiklifs Lehren bekannte, war eine böhmische Prinzessin, und durch ihren Einfluß<br />

wur<strong>de</strong>n die Schriften <strong>de</strong>s Reformators auch in ihrem Heimatland weit verbreitet. Mit<br />

größtem Interesse las Hus diese Werke; er hielt <strong>de</strong>n Verfasser für einen aufrichtigen<br />

Christen und war geneigt, die Reform, die dieser vertrat, wohlwollend zu betrachten. Schon<br />

hatte Hus, ohne es zu wissen, einen Pfad betreten, <strong>de</strong>r ihn weit von Rom wegführen sollte.<br />

Ungefähr um diese Zeit kamen in Prag zwei Freun<strong>de</strong> aus England an, Gelehrte, die das<br />

Licht empfangen hatten und in diesem entlegenen Land verbreiten wollten. Da sie mit einem<br />

offenen Angriff auf die Oberherrschaft <strong>de</strong>s Papstes begannen, wur<strong>de</strong>n sie von <strong>de</strong>n Behör<strong>de</strong>n<br />

zum Schweigen gebracht; weil sie aber nicht willens waren, ihre Absicht aufzugeben,<br />

nahmen sie Zuflucht zu an<strong>de</strong>rn Mitteln. Sie waren sowohl Prediger als auch Künstler und<br />

versuchten es mit ihrer Geschicklichkeit. An einem <strong>de</strong>m Volke zugänglichen Ort zeichneten<br />

sie zwei Bil<strong>de</strong>r: eins stellte Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem dar, sanftmütig und auf<br />

einem Esel reitend (Matthäus 21,5), gefolgt von seinen Jüngern, barfuß und mit von <strong>de</strong>r<br />

Reise abgetragenen Klei<strong>de</strong>rn. Das an<strong>de</strong>re Bild zeigte eine päpstliche Prozession — <strong>de</strong>n<br />

Papst beklei<strong>de</strong>t mit seinen reichen Gewän<strong>de</strong>rn und <strong>de</strong>r dreifachen Krone, auf einem prächtig<br />

geschmückten Pferd sitzend; vor ihm her gingen Trompeter, und hinter ihm folgten die<br />

Kardinäle, Priester und Prälaten in verwirren<strong>de</strong>r Pracht.<br />

63


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Das war eine Predigt, die die Aufmerksamkeit aller Klassen auf sich zog. Ganze<br />

Scharen kamen herbei, um die Zeichnungen anzustaunen. Nieman<strong>de</strong>m blieb die darin<br />

enthaltene Lehre verborgen, und auf viele machte <strong>de</strong>r große Unterschied zwischen <strong>de</strong>r<br />

Sanftmut und Demut Christi, <strong>de</strong>s Meisters, und <strong>de</strong>m Stolz und <strong>de</strong>r Anmaßung <strong>de</strong>s Papstes,<br />

seines angeblichen Dieners, einen tiefen Eindruck. In Prag entstand große Aufregung, und<br />

nach einer Weile fan<strong>de</strong>n es die Fremdlinge für ihre eigene Sicherheit am besten,<br />

weiterzuziehen. Die Lehre aber, die sie verkündigt hatten, wur<strong>de</strong> nicht vergessen. Hus zeigte<br />

sich von diesen Bil<strong>de</strong>rn tief beeindruckt, und sie veranlaßten ihn zu einem eingehen<strong>de</strong>ren<br />

Erforschen <strong>de</strong>r Bibel und <strong>de</strong>r Schriften Wiklifs. Obwohl er auch jetzt noch nicht vorbereitet<br />

war, alle von Wiklif befürworteten Reformen anzunehmen, sah er doch <strong>de</strong>utlicher <strong>de</strong>n<br />

wahren Charakter <strong>de</strong>s Papsttums und brandmarkte mit größerem Eifer <strong>de</strong>n Stolz, die<br />

Anmaßung und die Ver<strong>de</strong>rbtheit <strong>de</strong>r Priesterherrschaft. Von Böhmen breitete sich das Licht<br />

nach Deutschland aus; <strong>de</strong>nn Unruhen an <strong>de</strong>r Universität in Prag bewirkten, daß Hun<strong>de</strong>rte<br />

von <strong>de</strong>utschen Stu<strong>de</strong>nten die dortige Universität verließen. Viele von ihnen hatten von Hus<br />

die erste Kenntnis <strong>de</strong>r Bibel erhalten und verkündigten nach ihrer Rückkehr in ihr Vaterland<br />

das Evangelium.<br />

Die Kun<strong>de</strong> von <strong>de</strong>n Prager Geschehnissen gelangte nach Rom, und bald wur<strong>de</strong> Hus<br />

aufgefor<strong>de</strong>rt, vor <strong>de</strong>m Papst zu erscheinen. Gehorchen hätte hier be<strong>de</strong>utet, sich <strong>de</strong>m sicheren<br />

To<strong>de</strong> aussetzen; <strong>de</strong>shalb verfaßten <strong>de</strong>r König und die Königin von Böhmen, die Universität,<br />

Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s A<strong>de</strong>ls und etliche Regierungsbeamte eine Bittschrift an <strong>de</strong>n Papst, es Hus zu<br />

gestatten, in Prag zu bleiben und einen Bevollmächtigten nach Rom zu schicken. Statt diese<br />

Bitte zu gewähren, nahm <strong>de</strong>r Papst die Untersuchung selbst in die Hand, verurteilte Hus und<br />

verhängte über die Stadt Prag <strong>de</strong>n Bann.<br />

Zu jener Zeit rief ein solches Urteil, wo es auch ausgesprochen wur<strong>de</strong>, große<br />

Bestürzung hervor. Die begleiten<strong>de</strong>n Umstän<strong>de</strong> waren wohl geeignet, das Volk, das <strong>de</strong>n<br />

Papst als <strong>de</strong>n Stellvertreter Gottes ansah, <strong>de</strong>r die Schlüssel Himmels und <strong>de</strong>r Hölle sowie die<br />

Macht besäße, weltliche und auch geistliche Strafgerichte herabzubeschwören, mit<br />

Schrecken zu erfüllen. Man glaubte, daß die Tore <strong>de</strong>s Himmels für die mit <strong>de</strong>m Bann<br />

belegten Gebiete verschlossen seien und daß die Toten von <strong>de</strong>n Wohnungen <strong>de</strong>r<br />

Glückseligkeit ausgeschlossen wären, bis es <strong>de</strong>m Papst gefalle, <strong>de</strong>n Bann aufzuheben. Als<br />

Zeichen dieses schrecklichen Zustan<strong>de</strong>s wur<strong>de</strong>n alle Gottesdienste eingestellt, die Kirchen<br />

geschlossen, die Hochzeiten auf <strong>de</strong>n Kirchhöfen vollzogen und die Toten, da ihnen die<br />

Bestattung in geweihtem Bo<strong>de</strong>n versagt war, ohne die übliche Begräbnisfeier in Gräben<br />

o<strong>de</strong>r Fel<strong>de</strong>rn zur Ruhe gelegt. Durch diese Maßnahmen, die tief auf das<br />

Vorstellungsvermögen einwirkten, versuchte Rom, die Gewissen <strong>de</strong>r Menschen zu<br />

beherrschen.<br />

In Prag herrschte Aufruhr. Ein großer Teil klagte Hus als <strong>de</strong>n Urheber alles Unglücks an<br />

und verlangte, daß er <strong>de</strong>r Vergeltung Roms übergeben wer<strong>de</strong>. Um <strong>de</strong>n Aufruhr zu beruhigen,<br />

zog sich <strong>de</strong>r Reformator eine Zeitlang zu Freun<strong>de</strong>n nach Kozi Hrá<strong>de</strong>k und später nach <strong>de</strong>r<br />

64


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Burg Krakovec zurück. In seinen Briefen an seine Freun<strong>de</strong> in Prag schrieb er: „Wisset also,<br />

daß ich, durch diese Ermahnung Christi und sein Beispiel geleitet, mich zurückgezogen<br />

habe, um nicht <strong>de</strong>n Bösen Gelegenheit zur ewigen Verdammnis und <strong>de</strong>n Guten zur<br />

Bedrückung und Betrübnis Ursache zu wer<strong>de</strong>n; und dann auch, damit nicht die gottlosen<br />

Priester die Predigt <strong>de</strong>s göttlichen Worts ganz verhin<strong>de</strong>rn sollten. Ich bin also nicht <strong>de</strong>shalb<br />

gewichen, damit durch mich die göttliche Wahrheit verleugnet wür<strong>de</strong>, für welche ich mit<br />

Gottes Beistand zu sterben hoffe.“<br />

Hus gab sein Wirken nicht auf, son<strong>de</strong>rn bereiste die umliegen<strong>de</strong> Gegend und predigte<br />

<strong>de</strong>r begierigen Menge. Auf diese Weise wur<strong>de</strong>n die Maßnahmen, <strong>de</strong>ren sich <strong>de</strong>r Papst<br />

bediente, um das Evangelium zu unterdrücken, zur Ursache seiner weiteren Ausbreitung.<br />

„Denn wir können nichts wi<strong>de</strong>r die Wahrheit, son<strong>de</strong>rn für die Wahrheit.“ 2.Korinther 13,8.<br />

„Hus muß in dieser Zeit seiner Laufbahn einen schmerzlichen Kampf durchgemacht haben.<br />

Obgleich die Kirche ihn durch die Verhängung <strong>de</strong>s Bannes zu überwältigen suchte, hatte er<br />

sich nicht von ihrer Autorität losgesagt. Die römische Kirche war für ihn immer noch die<br />

Braut Christi, und <strong>de</strong>r Papst Gottes Stellvertreter und Statthalter. Hus kämpfte gegen <strong>de</strong>n<br />

Mißbrauch <strong>de</strong>r Autorität und nicht gegen <strong>de</strong>n Grundsatz selbst. Dadurch entstand ein<br />

fürchterlicher Kampf zwischen <strong>de</strong>n Überzeugungen seiner Vernunft und <strong>de</strong>n For<strong>de</strong>rungen<br />

seines Gewissens. War die Autorität gerecht und unfehlbar, wie er doch glaubte, wie kam es,<br />

daß er sich gezwungen fühlte, ihr ungehorsam zu sein?<br />

Gehorchen hieß für ihn sündigen; aber warum sollte <strong>de</strong>r Gehorsam gegen eine<br />

unfehlbare Kirche zu solchen Folgen führen? Dies war eine Frage, die er nicht beantworten<br />

konnte; es war <strong>de</strong>r Zweifel, <strong>de</strong>r ihn von Stun<strong>de</strong> zu Stun<strong>de</strong> quälte. Die größte Annäherung an<br />

eine Lösung, die er zu machen vermochte, setzte die Verhältnisse gleich mit <strong>de</strong>nen, die in<br />

<strong>de</strong>n Tagen <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s herrschten, daß die Priester <strong>de</strong>r Kirche gottlos gewor<strong>de</strong>n waren<br />

und sich ihrer rechtmäßigen Autorität zu unrechtmäßigen Zwecken bedienten. Dies<br />

veranlaßte ihn, sich selbst <strong>de</strong>n Grundsatz zur Richtschnur zu machen und ihn an<strong>de</strong>rn als <strong>de</strong>n<br />

ihrigen einzuschärfen, daß die Lehren <strong>de</strong>r Heiligen Schrift durch das Verständnis unser<br />

Gewissen beherrschen sollen; in an<strong>de</strong>rn Worten, daß Gott, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Heiligen Schrift spricht<br />

und nicht in <strong>de</strong>r Kirche, die durch die Priester re<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>r eine unfehlbare Führer sei.“<br />

Als sich die Erregung in Prag nach einiger Zeit legte, kehrte Hus zu seiner<br />

Betlehemskapelle zurück, um mit größerem Eifer und Mut die Predigt <strong>de</strong>s Wortes Gottes<br />

fortzusetzen. Seine Fein<strong>de</strong> waren tätig und mächtig, aber die Königin und viele <strong>de</strong>r Adligen<br />

galten als seine Freun<strong>de</strong>, und große Teile <strong>de</strong>s Volkes hielten zu ihm. Sie verglichen seine<br />

reinen und erheben<strong>de</strong>n Lehren und sein heiliges Leben mit <strong>de</strong>n entwürdigen<strong>de</strong>n<br />

Glaubenssätzen, die die Römlinge predigten, und mit <strong>de</strong>m Geiz und <strong>de</strong>r Schwelgerei, die<br />

jene trieben, und rechneten es sich zur Ehre an, auf seiner Seite zu stehen. Bis dahin hatte<br />

Hus in seiner Arbeit allein gestan<strong>de</strong>n, nun aber verband sich mit ihm in seiner<br />

reformatorischen Aufgabe Hiernoymus, <strong>de</strong>r während seines Aufenthaltes in England die<br />

65


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Lehren Wiklifs angenommen hatte. Die bei<strong>de</strong>n wirkten von da an in ihrem Leben Hand in<br />

Hand und sollten auch im To<strong>de</strong> nicht getrennt wer<strong>de</strong>n.<br />

Hieronymus besaß glänzen<strong>de</strong> Anlagen, große Beredsamkeit und hohe Bildung —<br />

Gaben, welche die öffentliche Gunst fesseln; doch in <strong>de</strong>n Eigenschaften, die die wahre<br />

Charakterstärke ausmachen, war Hus <strong>de</strong>r größere. Dessen besonnenes Urteil zügelte <strong>de</strong>n<br />

ungestümen Geist <strong>de</strong>s Hieronymus, und da dieser in christlicher Demut Hus‘ Be<strong>de</strong>utung<br />

erkannte, fügte er sich seinen Ratschlägen. Durch ihre gemeinsame Arbeit breitete sich die<br />

Reformbewegung schneller aus.<br />

Gott erleuchtete <strong>de</strong>n Verstand dieser auserwählten Männer und offenbarte ihnen viele<br />

<strong>de</strong>r Irrtümer Roms; doch sie empfingen nicht alles Licht, das <strong>de</strong>r Welt gegeben wer<strong>de</strong>n<br />

sollte. Durch diese seine Diener führte Gott seine Kin<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r Finsternis <strong>de</strong>r römischen<br />

Kirche. Weil es jedoch viele und große Hin<strong>de</strong>rnisse zu überwin<strong>de</strong>n gab, führte er sie Schritt<br />

für Schritt, wie sie es bewältigen konnten. Sie waren nicht vorbereitet, alles Licht auf einmal<br />

zu empfangen. Wie <strong>de</strong>r volle Glanz <strong>de</strong>r Mittagssonne solche, die lange im Dunkeln waren,<br />

blen<strong>de</strong>t, so wür<strong>de</strong>n sie sich auch von diesem Licht abgewandt haben, falls es ihnen sogleich<br />

in seiner Fülle gestrahlt hätte. Deshalb offenbarte Gott es <strong>de</strong>n Führern nach und nach, wie<br />

das Volk das Licht aufzunehmen in <strong>de</strong>r Lage war. Von Jahrhun<strong>de</strong>rt zu Jahrhun<strong>de</strong>rt sollten<br />

immer wie<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re treue Verkün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Evangeliums folgen, um das Volk auf <strong>de</strong>m Pfad<br />

<strong>de</strong>r geistlichen Erneuerung weiterzuführen.<br />

Die Spaltung in <strong>de</strong>r Kirche dauerte an. Drei Päpste stritten um die Oberherrschaft, und<br />

ihre Kämpfe erfüllten die Christenheit mit Verbrechen und Aufruhr. Nicht damit<br />

zufrie<strong>de</strong>n,ihre Bannstrahlen zu schleu<strong>de</strong>rn, griffen sie auch zu weltlichen Mitteln. Je<strong>de</strong>r<br />

trachtete danach, Waffen zu kaufen und Söldner zu werben. Natürlich mußte Geld<br />

herbeigeschafft wer<strong>de</strong>n, und um dieses zu erlangen, wur<strong>de</strong>n alle Gaben, Ämter und<br />

Segnungen <strong>de</strong>r Kirche zum Verkauf angeboten. Desgleichen nahmen die Priester, <strong>de</strong>m<br />

Beispiel ihrer Vorgesetzten folgend, ihre Zuflucht zur Simonie und zum Krieg, um ihre<br />

Rivalen zu <strong>de</strong>mütigen und ihre eigene Macht zu stärken. Mit täglich wachsen<strong>de</strong>r Kühnheit<br />

donnerte Hus gegen die Greuel, die im Namen <strong>de</strong>r Religion gedul<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>n; und das Volk<br />

klagte öffentlich die römischen Oberhäupter als Ursache <strong>de</strong>s Elends an, das die Christenheit<br />

überflutete.<br />

Wie<strong>de</strong>rum schien Prag an <strong>de</strong>r Schwelle eines blutigen Kampfes zu stehen. Wie in<br />

früherer Zeit wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Diener Gottes angeklagt, <strong>de</strong>r zu sein, „<strong>de</strong>r Israel verwirrt“. 1.Könige<br />

18,17. Die Stadt wur<strong>de</strong> abermals in <strong>de</strong>n Bann getan, und Hus zog sich in seine heimatliche<br />

Umgebung zurück. Die Zeit, da er in seiner geliebten Betlehemska- pelle so treulich<br />

Zeugnis abgelegt hatte, war zu En<strong>de</strong>; er sollte von einer größeren Bühne herab zu <strong>de</strong>r<br />

ganzen Christenheit re<strong>de</strong>n, ehe er sein Leben als Zeuge für die Wahrheit dahingab. Um die<br />

Übelstän<strong>de</strong>, die Europa zerrütteten, zu beseitigen, wur<strong>de</strong> ein allgemeines Konzil nach<br />

Konstanz einberufen. Das Konzil kam durch die beharrlichen Bemühungen Sigismunds<br />

66


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

zustan<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r einen <strong>de</strong>r drei Gegenpäpste, Johann XXIII., dazu veranlaßte. Diese<br />

Auffor<strong>de</strong>rung war zwar <strong>de</strong>m Papst Johann unwillkommen, <strong>de</strong>nn sein<br />

Charakter und seine Absichten konnten eine Untersuchung schlecht vertragen, nicht<br />

einmal von solchen Prälaten, die in ihren Sitten ebenso locker waren, wie die Geistlichkeit<br />

jener Zeit im allgemeinen. Er wagte es jedoch nicht, sich <strong>de</strong>m Willen Sigismunds zu<br />

wi<strong>de</strong>rsetzen. Das Hauptanliegen dieses Konzils war die Beseitigung <strong>de</strong>r Kirchenspaltung<br />

und die Ausrottung <strong>de</strong>r Ketzerei. Es wur<strong>de</strong>n <strong>de</strong>shalb die bei<strong>de</strong>n Gegenpäpste sowie <strong>de</strong>r<br />

Hauptvertreter <strong>de</strong>r neuen Ansichten, Jan Hus, aufgefor<strong>de</strong>rt, vor ihm zu erscheinen. Jene<br />

erschienen aus Rücksicht auf ihre eigene Sicherheit nicht persönlich, son<strong>de</strong>rn ließen sich<br />

durch ihre Gesandten vertreten. Papst Johann, <strong>de</strong>m Anschein nach <strong>de</strong>r Einberufer <strong>de</strong>s<br />

Konzils, erschien selbst nur unter vielen Besorgnissen, <strong>de</strong>nn er vermutete, <strong>de</strong>r Kaiser habe<br />

die heimliche Absicht, ihn abzusetzen, und er fürchtete, für die Laster, die die päpstliche<br />

Krone entwürdigt, und die Verbrechen, die ihn auf <strong>de</strong>n Thron gehoben hatten, zur<br />

Rechenschaft gezogen zu wer<strong>de</strong>n. Doch hielt er seinen Einzug in Konstanz mit großem<br />

Gepränge, umgeben von Geistlichen höchsten Ranges und gefolgt von einem Zug von<br />

Höflingen. Der ganze Klerus und die Wür<strong>de</strong>nträger <strong>de</strong>r Stadt mit einer riesigen<br />

Menschenmenge kamen heraus, um ihn willkommen zu heißen. Über seinem Haupt<br />

schwebte ein gol<strong>de</strong>ner Baldachin, getragen von vier höchsten Beamten; vor ihm her trug<br />

man die Hostie. Die reichen Gewän<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Kardinäle und <strong>de</strong>s A<strong>de</strong>ls ergaben ein<br />

eindrucksvolles Bild.<br />

Unter<strong>de</strong>ssen näherte sich ein an<strong>de</strong>rer Reisen<strong>de</strong>r Konstanz. Hus war sich <strong>de</strong>r Gefahren,<br />

die ihm drohten, bewußt. Er schied von seinen Freun<strong>de</strong>n, als käme er nie wie<strong>de</strong>r mit ihnen<br />

zusammen, und machte sich mit <strong>de</strong>m Gefühl auf <strong>de</strong>n Weg, daß dieser ihn zum<br />

Scheiterhaufen führen wer<strong>de</strong>. Obgleich er ein Sicherheitsgeleit vom König von Böh men<br />

erhalten hatte und ihm auf <strong>de</strong>r Reise noch ein Geleitbrief von Kaiser Sigismund zugestellt<br />

wur<strong>de</strong>, traf er doch alle Vorbereitungen im Hinblick auf seinen wahrscheinlichen Tod. In<br />

einem an seine Freun<strong>de</strong> in Prag gerichteten Brief schrieb er: „Ich hoffe auf Gott, meinen<br />

allmächtigen Heiland, daß er seiner Verheißung wegen und wegen eures heißen Gebets mir<br />

Weisheit verleihen wird und eine geschickte Zunge, so daß ich ihnen zu wi<strong>de</strong>rstehen<br />

vermögen wer<strong>de</strong>. Er wird mir auch verleihen ein Gemüt, zu verachten die Versuchungen,<br />

<strong>de</strong>n Kerker, <strong>de</strong>n Tod; wie wir sehen, daß Christus selbst gelitten hat um seiner Auserwählten<br />

willen, in<strong>de</strong>m er uns ein Beispiel gab, für ihn und unser Heil alles zu erdul<strong>de</strong>n. Gewiß kann<br />

nicht umkommen, wer an ihn glaubt und in seiner Wahrheit verharrt ... Wenn mein Tod<br />

seinen Ruhm verherrlichen kann, so möge er ihn beschleunigen und mir die Gna<strong>de</strong> geben,<br />

alles Übel, welches es auch sei, guten Muts ertragen zu können. Wenn es aber für mein Heil<br />

besser ist, daß ich zu euch zurückkehre, so wollen wir Gott darum bitten, daß ich ohne<br />

Unrecht vom Konzil wie<strong>de</strong>r zu euch komme; das heißt ohne Beeinträchtigung seiner<br />

Wahrheit, so daß wir dieselbe nachher reiner erkennen können, die Lehre <strong>de</strong>s Antichrist<br />

vertilgen und unseren Brü<strong>de</strong>rn ein gutes Beispiel zurücklassen ... Vielleicht wer<strong>de</strong>t ihr mich<br />

67


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

in Prag nicht wie<strong>de</strong>rsehen; wenn aber Gott nach seiner Gna<strong>de</strong> mich euch wie<strong>de</strong>rschenken<br />

will, so wer<strong>de</strong>n wir mit <strong>de</strong>sto freudigerem Gemüt in <strong>de</strong>m Gesetz <strong>de</strong>s Herrn fortschreiten.“<br />

In einem an<strong>de</strong>rn Brief an einen Priester, <strong>de</strong>r ein Jünger <strong>de</strong>s Evangeliums gewor<strong>de</strong>n war,<br />

sprach Hus mit tiefer Demut von seinen Fehlern und klagte sich an, mit Genugtuung reiche<br />

Gewän<strong>de</strong>r getragen und Stun<strong>de</strong>n mit wertlosen Dingen vergeu<strong>de</strong>t zu haben. Er fügte<br />

folgen<strong>de</strong> rühren<strong>de</strong> Ermahnung hinzu: „Möge die Herrlichkeit Gottes und das Heil von<br />

Seelen <strong>de</strong>in Gemüt in Anspruch nehmen und nicht <strong>de</strong>r Besitz von Pfrün<strong>de</strong>n und Vermögen.<br />

Hüte dich, <strong>de</strong>in Haus mehr zu schmücken als <strong>de</strong>ine Seele, und verwen<strong>de</strong> <strong>de</strong>ine größte<br />

Sorgfalt auf das geistliche Gebäu<strong>de</strong>. Sei liebevoll und <strong>de</strong>mütig <strong>de</strong>n Armen gegenüber und<br />

verschwen<strong>de</strong> <strong>de</strong>ine Habe nicht durch Festgelage. Solltest du <strong>de</strong>in Leben nicht bessern und<br />

dich <strong>de</strong>s Überflüssigen enthalten, so fürchte ich, wirst du hart gezüchtigt wer<strong>de</strong>n, wie ich<br />

selbst es bin ... Du kennst meine Lehre, <strong>de</strong>nn du hast meine Unter- weisungen von <strong>de</strong>iner<br />

Kindheit an empfangen, <strong>de</strong>shalb ist es unnütz für mich, dir weiter zu schreiben. Aber ich<br />

beschwöre dich bei <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong> unseres Herrn, mich nicht in irgen<strong>de</strong>iner <strong>de</strong>r Eitelkeiten<br />

nachzuahmen, in welche du mich fallen sahest.“ Auf <strong>de</strong>m Umschlag <strong>de</strong>s Briefes fügte er bei:<br />

„Ich beschwöre dich, mein Freund, diese Siegel nicht zu erbrechen, bis du die Gewißheit<br />

erlangt hast, daß ich tot bin.“ Auf seiner Reise sah Hus überall Anzeichen <strong>de</strong>r Verbreitung<br />

seiner Lehren und <strong>de</strong>r Zuneigung, die für seine Sache empfun<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>. Das Volk scharte<br />

sich zusammen, um ihn zu begrüßen, und in einigen Städten begleitete ihn <strong>de</strong>r Magistrat<br />

durch die Straßen.<br />

Nach seiner Ankunft in Konstanz konnte sich Hus zuerst völlig frei bewegen. Dem<br />

Sicherheitsgeleit <strong>de</strong>s Kaisers fügte man noch eine Versicherung <strong>de</strong>s päpstlichen Schutzes<br />

hinzu. Trotz dieser feierlichen und wie<strong>de</strong>rholten Erklärungen wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Reformator bald<br />

danach mit Zustimmung <strong>de</strong>s Papstes und <strong>de</strong>r Kardinäle verhaftet und in einem<br />

ekelerregen<strong>de</strong>n Verlies festgehalten. Später brachte man ihn nach <strong>de</strong>r starken Burg<br />

Gottlieben jenseits <strong>de</strong>s Rheins und hielt ihn dort gefangen. Dem Papst aber nützte seine<br />

Treulosigkeit nichts, <strong>de</strong>nn er war bald danach auf <strong>de</strong>rselben Burg eingekerkert. Er wur<strong>de</strong><br />

von <strong>de</strong>m Konzil <strong>de</strong>r gemeinsten Verbrechen schuldig gesprochen — Mord, Simonie,<br />

Unkeuschheit und „an<strong>de</strong>rer Sün<strong>de</strong>n, die nicht passend sind, genannt zu wer<strong>de</strong>n“, wie das<br />

Konzil selbst erklärte. Die Krone wur<strong>de</strong> ihm genommen und er ins Gefängnis geworfen. )<br />

Die Gegenpäpste setzte man ebenfalls ab; dann wählten die Versammelten einen neuen<br />

Papst.<br />

Obwohl <strong>de</strong>r Papst selbst größerer Verbrechen überführt wor<strong>de</strong>n war, als Hus je <strong>de</strong>n<br />

Priestern zur Last gelegt und abzustellen verlangt hatte, schritt doch dasselbe Konzil, das<br />

<strong>de</strong>n Papst abgesetzt hatte, zur Vernichtung <strong>de</strong>s Reformators. Hus‘ Gefangennahme rief<br />

große Entrüstung in Böhmen hervor. Mächtige Adlige protestierten gegen diese Schmach.<br />

Der Kaiser, <strong>de</strong>r die Verletzung eines Sicherheitsgeleites ungern zugab, wi<strong>de</strong>rsetzte sich <strong>de</strong>m<br />

Vorgehen gegen ihn.1 Aber die Fein<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Reformators waren gehässig und entschlossen,<br />

ihren Vorsatz auszuführen. Sie nutzten <strong>de</strong>s Kaisers Vorurteile, seine Furchtsamkeit und<br />

68


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

seinen Eifer für die Kirche aus. Sie brachten weitschweifige Beweise vor, um darzutun, daß<br />

es vollkommen freistehe, „Ketzern und Leuten, die unter <strong>de</strong>m Verdacht <strong>de</strong>r Ketzerei<br />

stün<strong>de</strong>n, Wort zu halten, selbst wenn sie auch mit Sicherheitsgeleit von Kaiser und Königen<br />

versehen seien“ Auf diese Weise setzten sie ihren Willen durch.<br />

Durch Krankheit und Gefangenschaft geschwächt — die feuchte, verdorbene Luft<br />

seines Kerkers verursachte Fieber, das sein Leben ernstlich bedrohte — wur<strong>de</strong> Hus endlich<br />

vor das Konzil geführt. Mit Ketten bela<strong>de</strong>n stand er vor <strong>de</strong>m Kaiser, <strong>de</strong>r seine Ehre und sein<br />

Wort verpfän<strong>de</strong>t hatte, ihn zu beschützen. Während seines langen Verhörs vertrat er<br />

standhaft die Wahrheit und schil<strong>de</strong>rte vor <strong>de</strong>n versammelten Wür<strong>de</strong>nträgern <strong>de</strong>r Kirche und<br />

<strong>de</strong>s Reiches ernst und gewissenhaft die Ver<strong>de</strong>rbtheit <strong>de</strong>r Priesterherrschaft. Als man ihm die<br />

Wahl ließ, seine Lehren zu wi<strong>de</strong>rrufen o<strong>de</strong>r zu sterben, zog er das Schicksal <strong>de</strong>s Märtyrers<br />

vor.<br />

Gottes Gna<strong>de</strong> hielt ihn aufrecht. Während <strong>de</strong>r Lei<strong>de</strong>nswochen, die seiner endgültigen<br />

Verurteilung vorausgingen, erfüllte <strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Himmels seine Seele. In einem<br />

Abschiedsbrief an einen Freund schrieb er: „Ich schrieb diesen Brief im Kerker und in<br />

Ketten, mein To<strong>de</strong>surteil morgen erwartend ... Was <strong>de</strong>r gnädige Gott an mir bewirkt und wie<br />

er mir beisteht in wun<strong>de</strong>rlichen Versuchungen, wer<strong>de</strong>t ihr erst dann einsehen, wenn wir uns<br />

bei unserem Herrn Gott durch <strong>de</strong>ssen Gna<strong>de</strong> in Freu<strong>de</strong>n wie<strong>de</strong>rfin<strong>de</strong>n.“ In <strong>de</strong>r Dunkelheit<br />

seines Kerkers sah er <strong>de</strong>n Sieg <strong>de</strong>s wahren Glaubens voraus. In seinen Träumen wur<strong>de</strong> er in<br />

die Bethlehemskapelle zu Prag zurückversetzt, wo er das Evangelium gepredigt hatte, und er<br />

sah, wie <strong>de</strong>r Papst und seine Bischöfe die Bil<strong>de</strong>r Jesu Christi, die er an die Wän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Kirche hatte malen lassen, auslöschten. Dies Traumbild betrübte ihn, aber „am an<strong>de</strong>rn Tage<br />

stand er auf und sah viele Maler, welche noch mehr Bil<strong>de</strong>r und schönere entworfen hatten,<br />

die er mit Freu<strong>de</strong>n anblickte. Und die Maler sprachen, umgeben von vielem Volk: ‚Mögen<br />

die Bischöfe und Priester kommen und diese Bil<strong>de</strong>r zerstören¡“ Der Reformator setzte hinzu:<br />

„So hoffe ich doch, daß das Leben Christi, das in Bethlehem durch mein Wort in <strong>de</strong>n<br />

Gemütern <strong>de</strong>r Menschen abgebil<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n .... durch eine größere Anzahl von besseren<br />

Predigern, als ich bin, besser wird abgebil<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n, zur Freu<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Volkes, welches das<br />

Leben Christi liebt.“<br />

Zum letztenmal wur<strong>de</strong> Hus vor das Konzil gestellt. Es war eine große und glänzen<strong>de</strong><br />

Versammlung: <strong>de</strong>r Kaiser, Reichsfürsten, königliche Abgeordnete, Kardinäle, Bischöfe,<br />

Priester und eine große Volksmenge, die als Zuschauer <strong>de</strong>m Ereignis beiwohnten. Aus allen<br />

Teilen <strong>de</strong>r Christenheit waren Zeugen dieses ersten großen Opfers in <strong>de</strong>m lange währen<strong>de</strong>n<br />

Kampf, durch <strong>de</strong>n die Gewissensfreiheit gesichert wer<strong>de</strong>n sollte, versammelt. Als Hus zu<br />

einer letzten Aussage aufgefor<strong>de</strong>rt wur<strong>de</strong>, beharrte er auf seiner Weigerung, abzuschwören,<br />

und seinen durchdringen<strong>de</strong>n Blick auf <strong>de</strong>n Fürsten richtend, <strong>de</strong>ssen verpfän<strong>de</strong>tes Wort so<br />

schamlos verletzt wor<strong>de</strong>n war, erklärte er: „Ich bin aus eigenem freien Entschluß vor <strong>de</strong>m<br />

Konzil erschienen, unter <strong>de</strong>m öffentlichen Schutz und <strong>de</strong>m Ehrenwort <strong>de</strong>s hier anwesen<strong>de</strong>n<br />

69


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kaisers.“ Tiefe Röte überzog das Angesicht Sigismunds, als sich die Augen <strong>de</strong>r ganzen<br />

Versammlung auf ihn richteten.<br />

Das Urteil wur<strong>de</strong> gefällt, und die Zeremonie <strong>de</strong>r Amtsenthebung begann. Die Bischöfe<br />

klei<strong>de</strong>ten ihren Gefangenen in das priesterliche Gewand. Als er es anlegte, sagte er: „Unser<br />

Herr Jesus Christus wur<strong>de</strong> zum Zeichen <strong>de</strong>r Schmähung mit einem weißen Mantel be<strong>de</strong>ckt,<br />

als Hero<strong>de</strong>s ihn vor Pilatus bringen ließ.“ Abermals zum Wi<strong>de</strong>rruf ermahnt, sprach er zum<br />

Volk: „Mit welchem Auge könnte ich <strong>de</strong>n Himmel anblicken, mit welcher Stirn könnte ich<br />

auf diese Menschenmenge sehen, <strong>de</strong>r ich das reine Evangelium gepredigt habe? Nein, ich<br />

erachte ihre Seligkeit höher als diesen armseligen Leib, <strong>de</strong>r nun zum To<strong>de</strong> bestimmt<br />

ist.“ Dann wur<strong>de</strong>n ihm die Teile <strong>de</strong>s Priesterornats nacheinan<strong>de</strong>r abgenommen. Während<br />

dieser Handlung sprach je<strong>de</strong>r Bischof einen Fluch über ihn aus. Schließlich „wur<strong>de</strong> ihm eine<br />

hohe Papiermütze aufgesetzt, mit Teufeln bemalt, welche vorn die auffällige Inschrift trug:<br />

‚Haeresiarcha‘ (Erzketzer).<br />

‚Mit größter Freu<strong>de</strong>‘, sagte Hus, ‚will ich diese Krone <strong>de</strong>r Schmach um <strong>de</strong>inetwillen<br />

tragen, o Jesus, <strong>de</strong>r du für mich die Dornenkrone getragen hast‘.“ Als er so aufgeputzt war,<br />

sprachen die Prälaten: „Nun übergeben wir <strong>de</strong>ine Seele <strong>de</strong>m Teufel.“ „Aber ich“, sprach<br />

Hus, seine Augen zum Himmel erhoben, „befehle meinen Geist in <strong>de</strong>ine Hän<strong>de</strong>, o Herr<br />

Jesus, <strong>de</strong>nn du hast mich erlöst.“ Dann wur<strong>de</strong> er <strong>de</strong>r weltlichen Obrigkeit übergeben und<br />

nach <strong>de</strong>m Richtplatz geführt. Ein riesiger Zug folgte nach, Hun<strong>de</strong>rte von Bewaffneten,<br />

Priestern und Bischöfen in ihren kostbaren Gewän<strong>de</strong>rn und die Einwohner von Konstanz.<br />

Als er gebun<strong>de</strong>n am Pfahl stand und alles zum Anzün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Feuers bereit war, wur<strong>de</strong> er<br />

nochmals ermahnt, sich durch Wi<strong>de</strong>rruf seiner Irrtümer zu retten. „Welche Irrtümer“, sagte<br />

Hus, „sollte ich wi<strong>de</strong>rrufen, da ich mir keines Irrtums bewußt bin? Ich rufe Gott zum<br />

Zeugen an, daß ich das, was falsche Zeugen gegen mich behaupteten, we<strong>de</strong>r gelehrt noch<br />

gepredigt habe! Ich wollte die Menschen von ihren Sün<strong>de</strong>n abbringen! Was immer ich sagte<br />

und schrieb, war stets für die Wahrheit; <strong>de</strong>shalb stehe ich bereit, die Wahrheit, welche ich<br />

geschrieben und gepredigt habe, freudigst mit meinem Blut zu besiegeln.“ Als das Feuer ihn<br />

umflammte, begann Hus laut zu singen: „Christe, du Sohn <strong>de</strong>s lebendigen Gottes, erbarme<br />

dich meiner!“ Er sang so lange, bis seine Stimme für immer verstummte.<br />

Selbst seine Fein<strong>de</strong> bewun<strong>de</strong>rten seine hel<strong>de</strong>nmütige Haltung. Ein päpstlicher<br />

Schriftsteller, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Märtyrertod <strong>de</strong>s Hus und <strong>de</strong>s Hieronymus, <strong>de</strong>r ein Jahr darauf starb,<br />

beschreibt, sagt: „Bei<strong>de</strong> ertrugen <strong>de</strong>n gewaltsamen Tod mit standhaftem Gemüt und<br />

bereiteten sich auf das Feuer vor, als ob sie zu einem Hochzeitsfest gela<strong>de</strong>n wären. Sie<br />

gaben keinen Schmerzenslaut von sich. Als die Flammen emporschlugen, fingen sie an,<br />

Loblie<strong>de</strong>r zu singen, und kaum vermochte die Heftigkeit <strong>de</strong>s Feuers ihrem Gesang Einhalt<br />

zu tun.“<br />

Als Hus‘ Körper völlig verbrannt war, wur<strong>de</strong> seine Asche samt <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>, auf <strong>de</strong>r sie lag,<br />

gesammelt, in <strong>de</strong>n Rhein geworfen und auf diese Weise <strong>de</strong>m Meer zugeführt. Seine<br />

Verfolger bil<strong>de</strong>ten sich törichterweise ein, sie hätten die von ihm verkün<strong>de</strong>ten Wahrheiten<br />

70


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

ausgerottet. Schwerlich ahnten sie, daß die Asche, die an jenem Tage <strong>de</strong>m Meer zuströmte,<br />

<strong>de</strong>m Samen gleichen sollte, <strong>de</strong>r über alle Lan<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> ausgestreut wird, und daß er in<br />

noch unbekannten Län<strong>de</strong>rn eine reiche Ernte an Zeugen für die Wahrheit hervorbringen<br />

wür<strong>de</strong>. Durch die Stimme, die im Konziliumssaal zu Konstanz gesprochen hatte, war ein<br />

Wi<strong>de</strong>rhall erweckt wor<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r durch alle künftigen Zeitalter fortgepflanzt wer<strong>de</strong>n sollte.<br />

Hus war nicht mehr; aber die Wahrheit, für die er gestorben war, konnte nicht untergehen.<br />

Sein Beispiel <strong>de</strong>s Glaubens und <strong>de</strong>r Standhaftigkeit wür<strong>de</strong> viele ermutigen, trotz Qual und<br />

Tod entschie<strong>de</strong>n für die Wahrheit einzustehen. Seine Verbrennung hatte <strong>de</strong>r ganzen Welt<br />

die hinterlistige Grausamkeit Roms offenbart. Unbewußt hatten die Fein<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Wahrheit die<br />

Sache geför<strong>de</strong>rt, die sie zu vernichten gedachten.<br />

Noch ein zweiter Scheiterhaufen sollte in Konstanz aufgerichtet wer<strong>de</strong>n. Das Blut eines<br />

an<strong>de</strong>rn Märtyrers sollte für die Wahrheit zeugen. Als Hus sich vor seiner Abreise zum<br />

Konzil von Hieronymus verabschie<strong>de</strong>te, wur<strong>de</strong> er von diesem zu Mut und Standhaftigkeit<br />

ermahnt. Hieronymus erklärte Hus, er wer<strong>de</strong> zu seinem Beistand herbeieilen, falls er in<br />

irgen<strong>de</strong>ine Gefahr gerate. Als er von <strong>de</strong>r Einkerkerung <strong>de</strong>s Reformators hörte, bereitete sich<br />

<strong>de</strong>r treue Jünger sofort vor, sein Versprechen einzulösen. Ohne Sicherheitsgeleit machte er<br />

sich mit einem einzigen Gefährten auf <strong>de</strong>n Weg nach Konstanz. Nach seiner Ankunft mußte<br />

er sich überzeugen lassen, daß er sich nur in Gefahr begeben hatte, ohne etwas für<br />

Hus‘ Befreiung tun zu können. Er floh aus <strong>de</strong>r Stadt, wur<strong>de</strong> aber auf <strong>de</strong>r Heimreise verhaftet<br />

und mit Ketten bela<strong>de</strong>n, von Soldaten bewacht, zurückgebracht. Bei seinem ersten<br />

Erscheinen vor <strong>de</strong>m Konzil wur<strong>de</strong>n seine Versuche, auf die gegen ihn vorgebrachten<br />

Anklagen zu antworten, mit <strong>de</strong>m Ruf erwi<strong>de</strong>rt: „In die Flammen mit ihm, in die<br />

Flammen!“ Man warf ihn in ein Verlies, kettete ihn in einer Lage an, die ihm große<br />

Schmerzen verursachte, und gab ihm nur Wasser und Brot. Nach einigen Monaten erkrankte<br />

Hieronymus unter <strong>de</strong>n Grausamkeiten seiner Gefangenschaft lebensgefährlich, und da seine<br />

Fein<strong>de</strong> befürchteten, er könnte seiner Strafe entrinnen, behan<strong>de</strong>lten sie ihn weniger hart;<br />

<strong>de</strong>nnoch brachte er insgesamt ein Jahr im Gefängnis zu.<br />

Hus‘ Tod hatte nicht die Wirkung gehabt, die Rom erhofft hatte. Die Verletzung <strong>de</strong>s<br />

Sicherheitsgeleites hatte einen Sturm <strong>de</strong>r Entrüstung hervorgerufen, und um einen sicheren<br />

Weg einzuschlagen, beschloß das Konzil, Hieronymus nicht zu verbrennen, son<strong>de</strong>rn ihn,<br />

wenn möglich, zum Wi<strong>de</strong>rruf zu zwingen. Man brachte ihn vor die Versammlung und ließ<br />

ihn wählen, entwe<strong>de</strong>r zu wi<strong>de</strong>rrufen o<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m Scheiterhaufen zu sterben. Am Anfang<br />

seiner Kerkerhaft wäre <strong>de</strong>r Tod für ihn eine Wohltat gewesen im Vergleich mit <strong>de</strong>n<br />

schrecklichen Lei<strong>de</strong>n, die er ausgestan<strong>de</strong>n hatte; aber jetzt, geschwächt durch Krankheit,<br />

durch die strenge Haft und die Qualen <strong>de</strong>r Angst und Ungewißheit, getrennt von seinen<br />

Freun<strong>de</strong>n und entmutigt durch <strong>de</strong>n Tod seines Glaubensfreun<strong>de</strong>s Hus, ließ seine<br />

Standhaftigkeit nach, und er willigte ein, sich <strong>de</strong>m Konzil zu unterwerfen. Er verpflichtete<br />

sich, am katholischen Glauben festzuhalten, und stimmte <strong>de</strong>m Konzil in <strong>de</strong>r Verdammung<br />

<strong>de</strong>r Lehren Wiklifs und Hus‘ bei, ausgenommen die „heiligen Wahrheiten“, die sie gelehrt<br />

hatten.<br />

71


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Durch diesen Ausweg versuchte Hieronymus, die Stimme <strong>de</strong>s Gewissens zu beruhigen<br />

und seinem Schicksal zu entrinnen. Doch in <strong>de</strong>r Einsamkeit seines Gefängnisses sah er<br />

klarer, was er getan hatte. Er dachte an <strong>de</strong>n Mut und die Treue seines Freun<strong>de</strong>s und erwog<br />

im Gegensatz dazu sein eigenes Verleugnen <strong>de</strong>r Wahrheit. Er dachte an seinen göttlichen<br />

Meister, <strong>de</strong>m zu dienen er sich verpflichtet hatte, und <strong>de</strong>r um seinetwillen ans Kreuz<br />

gegangen war. Vor seinem Wi<strong>de</strong>rruf hatte er in all seinen Lei<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Gewißheit <strong>de</strong>r<br />

Gna<strong>de</strong> Gottes Trost gefun<strong>de</strong>n; jetzt aber quälten ihn Reue und Zweifel. Er wußte, daß er<br />

sich nur durch weitere Wi<strong>de</strong>rrufe mit Rom versöhnen konnte. Der Pfad, <strong>de</strong>n er jetzt betrat,<br />

mußte zum völligen Abfall führen. Sein Entschluß war daher gefaßt: Er wollte seinen Herrn<br />

nicht verleugnen, um einer kurzen Zeit <strong>de</strong>s Lei<strong>de</strong>ns zu entrinnen. Hieronymus wur<strong>de</strong><br />

abermals vor das Konzil gestellt. Seine Unterwerfung hatte seine Richter nicht befriedigt.<br />

Ihr durch Hus‘ Tod gereizter Blutdurst verlangte nach neuen Opfern. Nur durch eine<br />

bedingungslose Absage an die Wahrheit konnte Hieronymus sein Leben erhalten. Aber er<br />

hatte sich nunmehr fest entschlossen, seinen Glauben zu bekennen und seinem<br />

Lei<strong>de</strong>nsbru<strong>de</strong>r unbeirrt auf <strong>de</strong>n Scheiterhaufen zu folgen.<br />

Er nahm seinen Wi<strong>de</strong>rruf zurück und verlangte als ein <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> Verfallener feierlich<br />

eine Gelegenheit, sich zu verteidigen. Die Folgen seiner Worte fürchtend, bestan<strong>de</strong>n die<br />

Kirchenfürsten darauf, daß er einfach die Wahrheit <strong>de</strong>r gegen ihn erhobenen Anklagen<br />

bestätigen o<strong>de</strong>r ableugnen solle. Hieronymus erhob Einwän<strong>de</strong> gegen solche Grausamkeit<br />

und Ungerechtigkeit: „Ganze 340 Tage habt ihr mich in <strong>de</strong>m schwersten, schrecklichsten<br />

Gefängnis, da nichts als Unflat, Gestank, Kot und Fußfesseln neben höchstem Mangel aller<br />

notwendigsten Dinge, gehalten. Meinen Fein<strong>de</strong>n gewährt ihr gnädige Audienz, mich aber<br />

wollt ihr nicht eine Stun<strong>de</strong> hören ... Ihr wer<strong>de</strong>t Lichter <strong>de</strong>r Welt und verständige Männer<br />

genannt, so sehet zu, daß ihr nichts unbedachtsam wi<strong>de</strong>r die Gerechtigkeit tut. Ich bin zwar<br />

nur ein armer Mensch, welches Haut es gilt. Ich sage auch dies nicht, <strong>de</strong>r ich sterblich bin,<br />

meinetwegen. Das verdrießt mich, daß ihr als weise, verständige Männer wi<strong>de</strong>r alle<br />

Billigkeit ein Urteil fällt.“<br />

Sein Gesuch wur<strong>de</strong> ihm schließlich gewährt. In Gegenwart seiner Richter kniete<br />

Hieronymus nie<strong>de</strong>r und betete, <strong>de</strong>r göttliche Geist möge seine Gedanken und Worte leiten,<br />

damit er nichts spreche, was gegen die Wahrheit o<strong>de</strong>r seines Meisters unwürdig sei. An ihm<br />

erfüllte sich an jenem Tag die <strong>de</strong>n ersten Jüngern gegebene Verheißung Gottes: „Und man<br />

wird euch vor Fürsten und Könige führen um meinetwillen ... Wenn sie euch nun<br />

überantworten wer<strong>de</strong>n, so sorget nicht, wie o<strong>de</strong>r was ihr re<strong>de</strong>n sollt; <strong>de</strong>nn es soll euch zu <strong>de</strong>r<br />

Stun<strong>de</strong> gegeben wer<strong>de</strong>n, was ihr re<strong>de</strong>n sollt. Denn ihr seid es nicht, die da re<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn<br />

eures Vaters Geist ist es, <strong>de</strong>r durch euch re<strong>de</strong>t.“ Matthäus 10,18-20.<br />

Hieronymus‘ Worte erregten selbst bei seinen Fein<strong>de</strong>n Staunen und Bewun<strong>de</strong>rung. Ein<br />

ganzes Jahr hatte er hinter Kerkermauern gesessen, ohne die Möglichkeit zu lesen o<strong>de</strong>r<br />

etwas zu sehen, in großen körperlichen Lei<strong>de</strong>n und in Seelenangst. Doch er trug seine<br />

Beweise so klar und machtvoll vor, als hätte er ungestört Gelegenheit zum Studium gehabt.<br />

72


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Er verwies seine Zuhörer auf die lange Reihe vortrefflicher Männer, die von ungerechten<br />

Richtern verurteilt wor<strong>de</strong>n waren. In fast je<strong>de</strong>r Generation habe es Männer gegeben, die das<br />

Volk ihrer Zeit zu läutern suchten, aber mit Vorwürfen überhäuft und ausgestoßen wur<strong>de</strong>n;<br />

erst später habe sich herausgestellt, daß sie aller Ehren würdig waren. Christus selbst sei von<br />

einem ungerechten Gericht als Übeltäter verdammt wor<strong>de</strong>n.<br />

Hieronymus hatte bei seinem Wi<strong>de</strong>rruf <strong>de</strong>r Rechtlichkeit <strong>de</strong>s Urteils zugestimmt, das<br />

Hus verdammt hatte; nun bereute er seine Handlungsweise und zeugte von <strong>de</strong>r Unschuld<br />

und Heiligkeit <strong>de</strong>s Märtyrers. „Ich kannte ihn von seiner Kindheit an“, sagte er, „er war ein<br />

außeror<strong>de</strong>ntlich begabter Mann,gerecht und heilig; er wur<strong>de</strong> trotz seiner Unschuld<br />

verurteilt ... Ich bin ebenfalls bereit zu sterben. Ich schrecke nicht zurück vor <strong>de</strong>n Qualen,<br />

die mir von meinen Fein<strong>de</strong>n und falschen Zeugen bereitet wer<strong>de</strong>n, welche eines Tages vor<br />

<strong>de</strong>m großen Gott, <strong>de</strong>n nichts täuschen kann, für ihre Verleumdungen Rechenschaft ablegen<br />

müssen.“ Sich selbst wegen seiner Verleugnung <strong>de</strong>r Wahrheit anklagend, fuhr Hieronymus<br />

fort: „Über<strong>de</strong>m nagt und plagt mich keine Sün<strong>de</strong>, die ich von Jugend an getan habe, so hart,<br />

als die an diesem pestilenzischen Ort begangene, da ich <strong>de</strong>m unbilligen Urteil, so über<br />

Wiklif und <strong>de</strong>n heiligen Märtyrer Hus, meinen getreuen Lehrer, verhängt wur<strong>de</strong>, beistimmte<br />

und aus Zagheit und To<strong>de</strong>sfurcht sie verfluchte. Deshalb ich an <strong>de</strong>rselben Stelle dagegen<br />

durch Hilfe, Trost und Beistand Gottes und <strong>de</strong>s Heiligen Geistes frei öffentlich mit Herz und<br />

Mund und Stimme bekenne, daß ich meinen Fein<strong>de</strong>n zu Gefallen sehr viel Übels getan habe.<br />

Ich bitte Gott, mir solches aus Gna<strong>de</strong>n zu verzeihen und aller meiner Missetaten, worunter<br />

diese die größte ist, nicht zu ge<strong>de</strong>nken.“<br />

Dann wandte sich Hieronymus an seine Richter mit <strong>de</strong>n kühnen Worten: „Ihr habt<br />

Wiklif und Hus verdammt, nicht etwa, weil sie an <strong>de</strong>n Lehren <strong>de</strong>r Kirche gerüttelt, son<strong>de</strong>rn<br />

weil sie die Schandtaten <strong>de</strong>r Geistlichkeit, ihren Aufwand, Hochmut und ihre Laster<br />

gebrandmarkt hatten. Ihre Behauptungen sind unwi<strong>de</strong>rlegbar, auch ich halte daran fest,<br />

gleichwie sie.“ Die vor Wut beben<strong>de</strong>n geistlichen Wür<strong>de</strong>nträger unterbrachen ihn mit <strong>de</strong>n<br />

Worten: „Was bedarf es weiteren Beweises? Wir sehen mit unseren eigenen Augen <strong>de</strong>n<br />

halsstarrigsten Ketzer!“<br />

Von ihrem Rasen unberührt, rief Hieronymus aus: „Was! Meint ihr, ich fürchte mich, zu<br />

sterben? Ihr habt mich ein ganzes Jahr in einem fürchterlichen Verlies gehalten,<br />

schrecklicher als <strong>de</strong>r Tod selbst. Ihr habt mich grausamer behan<strong>de</strong>lt <strong>de</strong>nn einen Türken,<br />

Ju<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Hei<strong>de</strong>n; mein Fleisch ist mir buchstäblich auf meinen Knochen bei lebendigem<br />

Leibe verfault; und <strong>de</strong>nnoch erhebe ich keine Anklage, <strong>de</strong>nn Klagen ziemen sich nicht für<br />

einen Mann von Herz und Mut; ich wun<strong>de</strong>re mich nur über so unmenschliche, will nicht<br />

sagen, unchristliche Grausamkeit.“ Abermals brach ein wüten<strong>de</strong>r Sturm los, und<br />

Hieronymus mußte wie<strong>de</strong>r ins Gefängnis. Doch waren unter <strong>de</strong>n Zuhörern etliche, auf die<br />

seine Worte tiefen Eindruck gemacht hatten und die sein Leben retten wollten. Hohe<br />

Wür<strong>de</strong>nträger kamen zu ihm ins Gefängnis und drangen in ihn, sich <strong>de</strong>m Konzil zu<br />

73


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

unterwerfen. Die großartigsten Aussichten wur<strong>de</strong>n ihm vor Augen gestellt, wenn er seinen<br />

Wi<strong>de</strong>rstand gegen Rom aufgäbe.<br />

Aber gleich seinem Meister, als ihm die Herrlichkeit <strong>de</strong>r Welt angeboten wur<strong>de</strong>, blieb<br />

Hieronymus standhaft und antwortete: „Kann ich aus <strong>de</strong>r Heiligen Schrift überführt wer<strong>de</strong>n,<br />

will ich von Herzen um Vergebung bitten; wo nicht, will ich nicht weichen, auch nicht einen<br />

Schritt.“ Darauf sagte einer <strong>de</strong>r Versucher: „Muß alles aus <strong>de</strong>r Schrift beurteilt wer<strong>de</strong>n? Wer<br />

kann sie verstehen? Muß man nicht die Kirchenväter zu ihrer Auslegung<br />

heranziehen?“ Hieronymus erwi<strong>de</strong>rte: „Was höre ich da? Soll das Wort falsch sein o<strong>de</strong>r<br />

urteilen? Soll es nicht allein gehört wer<strong>de</strong>n? Sollen die Menschen mehr gelten als das<br />

heilige Wort Gottes? ... Warum hat Paulus seine Bischöfe nicht ermahnt, <strong>de</strong>n Ältesten zu<br />

hören, son<strong>de</strong>rn gesagt, die Heilige Schrift kann dich unterweisen? Nein, das nehme ich nicht<br />

an, es koste mein Leben. Gott kann es wie<strong>de</strong>rgeben.“ Da sah ihn <strong>de</strong>r Frager an und sagte mit<br />

scharfer Stimme: „Du Ketzer; es reut mich, daß ich soviel <strong>de</strong>inetwegen getan habe. Ich sehe<br />

wohl, daß <strong>de</strong>r Teufel dich regiert.“<br />

Bald darauf fällte man das To<strong>de</strong>surteil über ihn. Er wur<strong>de</strong> an <strong>de</strong>nselben Ort geführt, an<br />

<strong>de</strong>m Hus <strong>de</strong>n Flammentod gestorben war. Singend ging er seinen Weg und auf seinem<br />

Angesicht leuchteten Freu<strong>de</strong> und Frie<strong>de</strong>n. Sein Blick war auf Christus gerichtet, und <strong>de</strong>r<br />

Tod hatte für ihn seine Schrecken verloren. Als <strong>de</strong>r Henker im Begriff war, hinter seinem<br />

Rücken <strong>de</strong>n Holzstoß anzuzün<strong>de</strong>n, rief <strong>de</strong>r Märtyrer aus: „Kommt mutig nach vorn und<br />

zün<strong>de</strong>t ihn vor meinen Augen an. Wenn ich mich gefürchtet hätte, wäre ich nicht hier.“ Die<br />

letzten Worte, die er sprach, als die Flammen um ihn herum schon emporschlugen, waren<br />

ein Gebet: „Herr, allmächtiger Vater, erbarme dich mein und vergib mir meine Sün<strong>de</strong>; <strong>de</strong>nn<br />

du weißt, daß ich <strong>de</strong>ine Wahrheit allezeit geliebt habe.“ Seine Stimme verstummte; aber<br />

seine Lippen bewegten sich weiter im Gebet. Als das Feuer sein Werk getan hatte, wur<strong>de</strong><br />

die Asche <strong>de</strong>s Märtyrers samt <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>, auf <strong>de</strong>r sie lag, aufgenommen und gleich <strong>de</strong>r Asche<br />

<strong>de</strong>s Hus in <strong>de</strong>n Rhein geworfen.<br />

So starben Gottes treue Lichtträger. Das Licht <strong>de</strong>r Wahrheiten aber, die sie verkündigt<br />

hatten, das Licht <strong>de</strong>s hel<strong>de</strong>nmütigen Beispiels, konnte nicht ausgelöscht wer<strong>de</strong>n. Die<br />

Menschen hätten ebensogut versuchen können, die Sonne in ihrem Lauf zurückzuhalten,<br />

wie die Dämmerung jenes Tages zu verhin<strong>de</strong>rn, <strong>de</strong>r damals gera<strong>de</strong> über die Welt<br />

hereinzubrechen begann. Hus‘ Hinrichtung hatte in Böhmen eine Flamme <strong>de</strong>r Entrüstung<br />

und <strong>de</strong>s Schreckens angefacht. Die ganze Nation empfand es, daß er <strong>de</strong>r Ruchlosigkeit <strong>de</strong>r<br />

Priester und <strong>de</strong>r Treulosigkeit <strong>de</strong>s Kaisers zum Opfer gefallen war. Man sagte, er sei ein<br />

treuer Lehrer <strong>de</strong>r Wahrheit gewesen, und erklärte das Konzil, das ihn zum To<strong>de</strong> verurteilt<br />

hatte, <strong>de</strong>s Mor<strong>de</strong>s schuldig. Seine Lehren erregten nun größere Aufmerksamkeit als je zuvor.<br />

Wiklifs Schriften waren durch päpstliche Erlasse <strong>de</strong>n Flammen übergeben wor<strong>de</strong>n; alle, die<br />

jedoch <strong>de</strong>r Vernichtung entgangen waren, wur<strong>de</strong>n nun aus ihren Verstecken hervorgeholt<br />

und in Verbindung mit <strong>de</strong>r Bibel o<strong>de</strong>r Teilen <strong>de</strong>r Bibel, die das Volk sich zu verschaffen<br />

vermochte, studiert. Viele Seelen fühlten sich auf diese Weise gedrungen, <strong>de</strong>n reformierten<br />

74


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Glauben anzunehmen und ihn auszuleben. Hus‘ Mör<strong>de</strong>r sahen <strong>de</strong>m Sieg seiner Sache<br />

keineswegs tatenlos zu. Papst und Kaiser vereinigten sich, um <strong>de</strong>r Bewegung ein En<strong>de</strong> zu<br />

machen, und Sigismunds Heere stürzten sich auf Böhmen.<br />

Aber es erstand Böhmen ein Befreier. Ziska, <strong>de</strong>r bald nach Beginn <strong>de</strong>s Krieges völlig<br />

sein Augenlicht verlor, aber <strong>de</strong>nnoch einer <strong>de</strong>r tüchtigsten Feldherrn seines Zeitalters war,<br />

führte die Böhmen. Auf die Hilfe Gottes und die Gerechtigkeit seiner Sache vertrauend,<br />

wi<strong>de</strong>rstand dies Volk <strong>de</strong>n mächtigsten Heeren, die ihm gegenübergestellt wer<strong>de</strong>n konnten.<br />

Wie<strong>de</strong>rholt hob <strong>de</strong>r Kaiser neue Armeen aus und drang in Böhmen ein, um erneut<br />

schimpflich zurückgeschlagen zu wer<strong>de</strong>n. Die Hussiten waren über die To<strong>de</strong>sfurcht erhaben,<br />

und nichts konnte ihnen standhalten. Wenige Jahre nach Kriegsbeginn starb <strong>de</strong>r tapfere<br />

Ziska; seine Stelle füllte Prokop <strong>de</strong>r Große aus, ein ebenso mutiger und geschickter Feldherr,<br />

ja in mancher Beziehung ein noch fähigerer Anführer.<br />

Als <strong>de</strong>r blin<strong>de</strong> Krieger tot war, betrachteten die Fein<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Böhmen die Gelegenheit für<br />

günstig, alles, was sie verloren hatten, wie<strong>de</strong>rzugewinnen. Der Papst kündigte einen<br />

Kreuzzug gegen die Hussiten an; wie<strong>de</strong>rum warf sich eine ungeheure Streitmacht auf<br />

Böhmen, und abermals wur<strong>de</strong> sie vernichtend geschlagen. Ein neuer Keuzzug wur<strong>de</strong><br />

angekündigt. In allen katholischen Län<strong>de</strong>rn Europas wur<strong>de</strong>n Männer zusammengerufen,<br />

Geld und Waffen gesammelt. Große Scharen strömten unter <strong>de</strong>r päpstlichen Fahne<br />

zusammen im Vertrauen darauf, daß <strong>de</strong>n hussitischen Ketzern schließlich ein En<strong>de</strong> gemacht<br />

wer<strong>de</strong>. Siegesgewiß drang das riesige Heer in Böhmen ein. Das Volk sammelte sich, um es<br />

zurückzuschlagen. Die bei<strong>de</strong>n Heere marschierten aufeinan<strong>de</strong>r zu, bis nur noch ein Fluß<br />

zwischen ihnen lag. Die Kreuzfahrer waren an Zahl weit überlegen; doch anstatt kühn über<br />

<strong>de</strong>n Fluß zu setzen und die Hussiten anzugreifen, wozu sie doch von so weit her gekommen<br />

waren, stan<strong>de</strong>n sie schweigend und blickten auf die Krieger. Die Scharen <strong>de</strong>s Kaisers<br />

überkam plötzlich ein seltsamer Schrecken. Fast ohne Schwertstreich wich das kaiserliche<br />

Heer vor <strong>de</strong>n anmarschieren<strong>de</strong>n Hussiten zurück, löste sich schließlich auf und zerstreute<br />

sich, von <strong>de</strong>r furchtgebieten<strong>de</strong>n Streitmacht <strong>de</strong>r Hussiten verjagt. Sehr viele wur<strong>de</strong>n von<br />

<strong>de</strong>m hussitischen Heer, das die Flüchtlinge verfolgte, erschlagen, und ungeheure Beute fiel<br />

in die Hän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Sieger, so daß <strong>de</strong>r Krieg, statt die Böhmen arm zu machen, sie bereicherte.<br />

Wenige Jahre später wur<strong>de</strong> unter einem neuen Papst wie<strong>de</strong>rum ein Kreuzzug<br />

unternommen, und zwar schaffte man wie zuvor aus allen päpstlichen Län<strong>de</strong>rn Europas<br />

Männer und Mittel herbei. Große Vorteile wur<strong>de</strong>n <strong>de</strong>nen, die sich an diesem gefährlichen<br />

Unternehmen beteiligen wür<strong>de</strong>n, in Aussicht gestellt, so eine völlige Vergebung <strong>de</strong>r<br />

abscheulichsten Sün<strong>de</strong>n. Allen, die im Kriege umkämen, verhieß man eine reichliche<br />

Belohnung im Himmel, und die Überleben<strong>de</strong>n sollten auf <strong>de</strong>m Schlachtfeld Ehre und<br />

Reichtum ernten. Ein großes Heer wur<strong>de</strong> zusammengestellt, das die Grenze überschreitend<br />

in Böhmen eindrang. Die husitischen Streitkräfte zogen sich bei seinem Herannahen zurück,<br />

lockten die Eindringlinge immer tiefer ins Land und verleiteten sie dadurch zu <strong>de</strong>r Annahme,<br />

<strong>de</strong>n Sieg bereits in <strong>de</strong>r Tasche zu haben.<br />

75


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Schließlich machte das Heer <strong>de</strong>s Prokop halt, wandte sich gegen <strong>de</strong>n Feind und ging<br />

zum Angriff über. Die Kreuzfahrer, ihren Irrtum ent<strong>de</strong>ckend, blieben in ihrem Lager und<br />

erwarteten <strong>de</strong>n Angriff. Als sie das Getöse <strong>de</strong>r herannahen<strong>de</strong>n Streitkräfte vernahmen,<br />

ergriff sie Schrecken, noch ehe sie die Hussiten zu Gesicht bekamen; Fürsten, Feldherrn und<br />

gemeine Soldaten warfen ihre Rüstungen weg und flohen in alle Richtungen. Umsonst<br />

versuchte <strong>de</strong>r päpstliche Gesandte, <strong>de</strong>r Anführer <strong>de</strong>s eingefallenen Heeres, seine<br />

erschreckten und aufgelösten Truppen wie<strong>de</strong>r zu sammeln. Trotz seiner äußersten<br />

Bemühungen wur<strong>de</strong> er selbst vom Strom <strong>de</strong>r Fliehen<strong>de</strong>n mitgerissen. Die Nie<strong>de</strong>rlage war<br />

vollständig, und wie<strong>de</strong>r fiel ungeheure Beute in die Hän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Sieger.<br />

So floh zum zweitenmal ein gewaltiges Heer, eine Schar tapferer, kriegstüchtiger, zur<br />

Schlacht geschulter und gerüsteter Männer, die von <strong>de</strong>n mächtigsten Nationen Europas<br />

ausgesandt wor<strong>de</strong>n waren, fast ohne einen Schwertstreich vor <strong>de</strong>n Verteidigern eines<br />

unbe<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n und bisher schwachen Volkes. Hier offenbarte sich göttliche Macht. Die<br />

kaiserlichen Soldaten waren von einem übernatürlichen Schrecken erfaßt wor<strong>de</strong>n. Der die<br />

Scharen Pharaos im Roten Meer vernichtete, <strong>de</strong>r die Midianiter vor Gi<strong>de</strong>on und seinen<br />

dreihun<strong>de</strong>rt Mann in die Flucht schlug, <strong>de</strong>r in einer Nacht die Streitkräfte <strong>de</strong>r stolzen<br />

Assyrer zerstörte, hatte abermals seine Hand ausgestreckt, die Macht <strong>de</strong>r Gegner zu<br />

ver<strong>de</strong>rben. „Da fürchten sie sich aber, wo nichts zu fürchten ist; <strong>de</strong>nn Gott zerstreut die<br />

Gebeine <strong>de</strong>rer, die dich belagern, Du machst sie zu Schan<strong>de</strong>n; <strong>de</strong>nn Gott verschmäht<br />

sie.“ Psalm 53,6.<br />

Als schließlich die päpstlichen Führer am Wi<strong>de</strong>rstand <strong>de</strong>r Hussiten zu verzweifeln<br />

drohten, hielten sie sich an <strong>de</strong>n Verhandlungsweg, und es kam ein Vergleich zustan<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r,<br />

während er scheinbar <strong>de</strong>n Böhmen Gewissensfreiheit gewährte, sie eigentlich in die Gewalt<br />

Roms verriet. Die Böhmen hatten vier Punkte als Bedingung eines Frie<strong>de</strong>ns mit Rom<br />

angegeben: freie Predigt <strong>de</strong>s göttlichen Wortes; die Berechtigung <strong>de</strong>r ganzen Gemein<strong>de</strong> zum<br />

Brot und Wein beim Abendmahl und <strong>de</strong>n Gebrauch <strong>de</strong>r Muttersprache beim Gottesdienst;<br />

<strong>de</strong>n Ausschluß <strong>de</strong>r Geistlichkeit von allen weltlichen Ämtern und weltlicher Gewalt; und bei<br />

Vergehen gegen das Gesetz die gleiche Gerichtsbarkeit bürgerlicher Gerichtshöfe über<br />

Geistliche und Laien.<br />

Die päpstlichen Machthaber kamen „schließlich dahin überein, die vier Artikel <strong>de</strong>r<br />

Hussiten anzunehmen; aber das Recht ihrer Auslegung, also die Bestimmung ihrer genauen<br />

Be<strong>de</strong>utung sollte <strong>de</strong>m Konzil — mit an<strong>de</strong>rn Worten <strong>de</strong>m Papst und <strong>de</strong>m Kaiser —<br />

zustehen“. Auf dieser Grundlage wur<strong>de</strong> eine Übereinkunft geschlossen, und Rom gewann<br />

durch Hinterlist und Betrug, was es durch Waffengewalt vergebens zu erlangen gesucht<br />

hatte; <strong>de</strong>nn in<strong>de</strong>m es die hussitischen Artikel, wie auch die Bibel, auf seine Weise auslegte,<br />

konnte es ihren Sinn verdrehen und dabei an seinen eigenen Absichten festhalten.<br />

Viele Böhmen konnten, weil sie sahen, daß dadurch ihre Freiheit verraten wur<strong>de</strong>, <strong>de</strong>m<br />

Vertrag nicht zustimmen. Es entstan<strong>de</strong>n Uneinigkeit und Spaltungen, die unter ihnen selbst<br />

zu Streit und Blutvergießen führten. In diesem Kampf fiel <strong>de</strong>r edle Prokop, und die Freiheit<br />

76


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Böhmens ging unter. Sigismund, <strong>de</strong>r Verräter <strong>de</strong>s Hus und <strong>de</strong>s Hieronymus, wur<strong>de</strong> nun<br />

König von Böhmen, und ohne Rücksicht auf seinen Eid, die Rechte <strong>de</strong>r Böhmen zu<br />

unterstützen, begann er, das Papsttum wie<strong>de</strong>reinzuführen. Durch seine Willfährigkeit<br />

gegenüber Rom hatte er jedoch wenig gewonnen. Zwanzig Jahre lang war sein Leben mit<br />

Arbeit und Gefahren angefüllt gewesen; seine Heere waren aufgerieben und seine Schätze<br />

durch einen langen und fruchtlosen Kampf erschöpft; und nun, nach<strong>de</strong>m er ein Jahr regiert<br />

hatte, starb er und ließ sein Reich am Ran<strong>de</strong> eines Bürgerkrieges, <strong>de</strong>r Nachwelt aber einen<br />

schmachbe<strong>de</strong>ckten Namen zurück.<br />

Aufruhr, Streit und Blutvergießen folgten einan<strong>de</strong>r; frem<strong>de</strong> Heere drangen wie<strong>de</strong>rum in<br />

Böhmen ein, und innere Zwietracht zerrüttete weiterhin das Volk. Die <strong>de</strong>m Evangelium treu<br />

blieben, waren einer blutigen Verfolgung ausgesetzt. Während ihre früheren Brü<strong>de</strong>r einen<br />

Vertrag mit Rom schlossen und <strong>de</strong>ssen Irrtümer annahmen, bil<strong>de</strong>ten die, welche zum alten<br />

Glauben hielten, unter <strong>de</strong>m Namen „Vereinte Brü<strong>de</strong>r“ eine getrennte Gemein<strong>de</strong>. Dieser<br />

Schritt zog ihnen die Verwünschung aller Klassen zu. Dennoch blieb ihre Festigkeit<br />

unerschüttert. Gezwungen, in <strong>de</strong>n Wäl<strong>de</strong>rn und Höhlen Zuflucht zu suchen, versammelten<br />

sie sich auch dann noch in ihren Zufluchtsstätten, um Gottes Wort zu lesen und ihn<br />

gemeinsam anzubeten.<br />

Durch Boten, die sie heimlich in verschie<strong>de</strong>ne Län<strong>de</strong>r aussandten, erfuhren sie, daß hier<br />

und da „vereinzelte Bekenner <strong>de</strong>r Wahrheit lebten, etliche in dieser, etliche in jener Stadt,<br />

die wie sie verfolgt wur<strong>de</strong>n, und daß es in <strong>de</strong>n Alpen eine alte Gemein<strong>de</strong> gebe, die auf <strong>de</strong>r<br />

Grundlage <strong>de</strong>r Schrift stehe und gegen die abgöttischen Ver<strong>de</strong>rbnisse Roms Einspruch<br />

erhebe“. Diese Kun<strong>de</strong> wur<strong>de</strong> mit großer Freu<strong>de</strong> begrüßt und ein schriftlicher Verkehr mit<br />

<strong>de</strong>n Wal<strong>de</strong>nsern, um die es sich hierbei han<strong>de</strong>lte, aufgenommen. Dem Evangelium treu,<br />

harrten die Böhmen die lange Nacht ihrer Verfolgung hindurch aus, selbst in <strong>de</strong>r dunkelsten<br />

Stun<strong>de</strong> ihre Augen <strong>de</strong>m Horizont zugewandt, wie Menschen, die auf <strong>de</strong>n Morgen warten.<br />

„Ihr Los fiel in böse Tage; aber sie erinnerten sich <strong>de</strong>r Worte, die Hus ausgesprochen und<br />

Hieronymus wie<strong>de</strong>rholt hatte, daß ein Jahrhun<strong>de</strong>rt verstreichen müsse, ehe <strong>de</strong>r Tag<br />

hereinbrechen könne. Diese Worte waren für die Taboriten (Hussiten) das, was Josephs<br />

Worte <strong>de</strong>n Stämmen im Hause <strong>de</strong>r Knechtschaft waren: ‚Ich sterbe,und Gott wird euch<br />

heimsuchen und aus diesem Lan<strong>de</strong> führen.‘“1<br />

„Die letzten Jahre <strong>de</strong>s 15.Jahrhun<strong>de</strong>rts bezeugen <strong>de</strong>n langsamen aber sicheren Zuwachs<br />

<strong>de</strong>r Brü<strong>de</strong>rgemein<strong>de</strong>n. Obgleich sie durchaus nicht unbelästigt blieben, erfreuten sie sich<br />

verhältnismäßiger Ruhe. Am Anfang <strong>de</strong>s 16.Jahrhun<strong>de</strong>rts zählten sie in Böhmen und<br />

Mähren über zweihun<strong>de</strong>rt Gemein<strong>de</strong>n.“ „So groß war die Zahl <strong>de</strong>r Übriggebliebenen, die<br />

<strong>de</strong>r verheeren<strong>de</strong>n Wut <strong>de</strong>s Feuers und <strong>de</strong>s Schwertes entgangen waren und die Dämmerung<br />

jenes Tages sehen durften, <strong>de</strong>n Hus vorhergesagt hatte.“<br />

77


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

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<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 7- Eine Revolution Beginnt<br />

Unter <strong>de</strong>nen, die berufen wur<strong>de</strong>n, die Gemein<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>r Finsternis in das Licht eines<br />

reineren Glaubens zu führen, stand Martin Luther an vor<strong>de</strong>rster Stelle. Eifrig, feurig und<br />

hingebungsvoll kannte er kein Bangen außer <strong>de</strong>r Gottesfurcht und ließ keine an<strong>de</strong>re<br />

Grundlage für <strong>de</strong>n religiösen Glauben gelten als die Heilige Schrift. Luther war <strong>de</strong>r Mann<br />

für seine Zeit; durch ihn führte Gott ein großes Werk für die Reformation <strong>de</strong>r Kirche und die<br />

Erleuchtung <strong>de</strong>r Welt aus.<br />

Gleich <strong>de</strong>n ersten Herol<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Evangeliums stammte Luther aus einer einfachen,<br />

wenig begüterten Familie. Seine frühe Kindheit brachte er in <strong>de</strong>m beschei<strong>de</strong>nen Heim eines<br />

<strong>de</strong>utschen Landmannes zu. Durch tägliche harte Arbeit als Bergmann verdiente sein Vater<br />

die Mittel zu seiner Erziehung. Er bestimmte ihn zum Rechtsgelehrten; aber nach Gottes<br />

Willen sollte aus ihm ein Baumeister wer<strong>de</strong>n an <strong>de</strong>m großen Tempel, <strong>de</strong>r sich im Laufe <strong>de</strong>r<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rte langsam erhob. Mühsal, Entbehrung und strenge Manneszucht waren die<br />

Schule, in <strong>de</strong>r die unendliche Weisheit Luther für seine außeror<strong>de</strong>ntliche Lebensaufgabe<br />

vorbereitete.<br />

Luthers Vater war ein Mann von tatkräftigem, emsigem Geist und großer<br />

Charakterstärke, ehrlich, entschlossen und aufrichtig. Er stand zu <strong>de</strong>m, was er als seine<br />

Pflicht erkannt hatte, ganz gleich, welche Folgen dies haben mochte. Sein echter, gesun<strong>de</strong>r<br />

Menschenverstand ließ ihn das Mönchswesen mit Mißtrauen betrachten. Er war höchst<br />

unzufrie<strong>de</strong>n, als Luther ohne seine Einwilligung in ein Kloster eintrat. Es dauerte zwei Jahre,<br />

ehe sich <strong>de</strong>r Vater mit seinem Sohn ausgesöhnt hatte, und selbst dann blieben seine<br />

Ansichten dieselben.<br />

Luthers Eltern verwandten große Sorgfalt auf die Erziehung und Ausbildung ihrer<br />

Kin<strong>de</strong>r. Sie bemühten sich, sie in <strong>de</strong>r Gotteserkenntnis und in <strong>de</strong>r Ausübung christlicher<br />

Tugen<strong>de</strong>n zu unterweisen. Oft hörte <strong>de</strong>r Sohn das Gebet <strong>de</strong>s Vaters zum Himmel<br />

emporsteigen, daß das Kind <strong>de</strong>s Namens <strong>de</strong>s Herrn ge<strong>de</strong>nken und einmal die Wahrheit mit<br />

för<strong>de</strong>rn helfen möge. Soweit es ihr arbeitsreiches Leben zuließ, nutzten die Eltern eifrig je<strong>de</strong><br />

Möglichkeit, sittlich und geistig weiterzukommen. Ihre Bemühungen, ihre Kin<strong>de</strong>r für ein<br />

Leben <strong>de</strong>r Frömmigkeit und Nützlichkeit zu erziehen, waren ernsthaft und ausdauernd. In<br />

ihrer Entschie<strong>de</strong>nheit und Charakterfestigkeit verlangten sie von ihren Kin<strong>de</strong>rn zuweilen<br />

etwas zu viel; aber <strong>de</strong>r Reformator selbst fand an ihrer Erziehungsweise mehr zu billigen als<br />

zu ta<strong>de</strong>ln, obwohl er sich in mancher Beziehung bewußt war, daß sie geirrt hatten.<br />

In <strong>de</strong>r Schule, die er schon in jungen Jahren besuchte, wur<strong>de</strong> Luther streng, ja gera<strong>de</strong>zu<br />

hart behan<strong>de</strong>lt. Die Armut seiner Eltern war so groß, daß er, als er das Vaterhaus verließ, um<br />

die Schule eines an<strong>de</strong>rn Ortes zu besuchen, eine Zeitlang genötigt war, sich seinen Unterhalt<br />

als Kurren<strong>de</strong>-Sänger zu erwerben, wobei er oft Hunger litt. Die damals herrschen<strong>de</strong>n<br />

finsteren, abergläubischen Vorstellungen von <strong>de</strong>r Religion erfüllten ihn mit Furcht. Er legte<br />

sich abends mit sorgenschwerem Herzen nie<strong>de</strong>r, sah mit Zittern in die dunkle Zukunft und<br />

79


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

schwebte in ständiger Furcht, wenn er an Gott dachte, in <strong>de</strong>m er mehr einen harten,<br />

unerbittlichen Richter und grausamen Tyrannen als einen liebevollen himmlischen Vater sah.<br />

Dennoch strebte Luther unter sehr vielen und großen Entmutigungen entschlossen<br />

vorwärts, <strong>de</strong>m hohen Ziel sittlicher und geistiger Vortrefflichkeit zu, das seine Seele anzog.<br />

Ihn dürstete nach Erkenntnis, und sein ernster und praktisch veranlagter Charakter verlangte<br />

eher nach <strong>de</strong>m Dauerhaften und Nützlichen als nach Schein und Oberflächlichkeiten. Als er<br />

mit achtzehn Jahren die Universität in Erfurt bezog, war seine Lage günstiger und seine<br />

Aussichten waren erfreulicher als in seinen jüngeren Jahren. Da es seine Eltern durch Fleiß<br />

und Sparsamkeit zu einigem Wohlstand gebracht hatten, waren sie imstan<strong>de</strong>, ihm alle nötige<br />

Hilfe zu gewähren; auch hatte <strong>de</strong>r Einfluß verständiger Freun<strong>de</strong> die düsteren Wirkungen<br />

seiner früheren Erziehung etwas gemil<strong>de</strong>rt. Er studierte nun eifrig die besten Schriftsteller,<br />

bereicherte sein Verständnis mit ihren wichtigsten Gedanken und eignete sich<br />

die Weisheit <strong>de</strong>r Weisen an. Sogar unter <strong>de</strong>r rauhen Zucht seiner ehemaligen<br />

Lehrmeister hatte er schon früh zu Hoffnungen berechtigt, daß er sich einmal auszeichnen<br />

könnte, und unter günstigen Einflüssen entwickelte sich sein Geist jetzt schnell. Ein gutes<br />

Gedächtnis, ein lebhaftes Vorstellungsvermögen, eine überzeugen<strong>de</strong> Urteilskraft und<br />

unermüdlicher Fleiß ließen ihn bald einen Platz in <strong>de</strong>n vor<strong>de</strong>rsten Reihen seiner Gefährten<br />

gewinnen. Die geistige Erziehung reifte seinen Verstand und erweckte eine Geistestätigkeit<br />

und einen Scharfblick, die ihn für die Kämpfe seines Lebens vorbereiteten. Die Furcht <strong>de</strong>s<br />

Herrn wohnte in Luthers Herzen; sie befähigte ihn, an seinen Vorsätzen festzuhalten und<br />

führte ihn zu tiefer Demut vor Gott. Er war sich ständig seiner Abhängigkeit von <strong>de</strong>r<br />

göttlichen Hilfe bewußt und versäumte nicht, je<strong>de</strong>n Tag mit Gebet zu beginnen, während<br />

sein Herz ständig um Führung und Beistand flehte. Oft sagte er: „Fleißig gebetet ist über die<br />

Hälfte studiert.“<br />

Als Luther eines Tages in <strong>de</strong>r Universitätsbibliothek die Bücher durchschaute, ent<strong>de</strong>ckte<br />

er eine lateinische Bibel. Solch ein Buch hatte er nie zuvor gesehen, wie er selbst bezeugte:<br />

„Da ich zwanzig Jahr alt war, hatte ich noch keine gesehen. Ich meinte, es wären keine<br />

Evangelien noch Episteln mehr, <strong>de</strong>nn die in <strong>de</strong>n Postillen sind.“ Nun blickte er zum<br />

erstenmal auf das ganze Wort Gottes. Mit ehrfürchtigem Staunen wen<strong>de</strong>te er die heiligen<br />

Blätter um; mit beschleunigtem Puls und klopfen<strong>de</strong>m Herzen las er selbst die Worte <strong>de</strong>s<br />

Lebens, hin und wie<strong>de</strong>r anhaltend, um auszurufen: „Oh, daß Gott mir solch ein Buch als<br />

mein Eigentum geben wollte!“ Engel Gottes stan<strong>de</strong>n ihm zur Seite, und Strahlen <strong>de</strong>s Lichtes<br />

vom Thron <strong>de</strong>s Höchsten enthüllten seinem Verständnis die Schätze <strong>de</strong>r Wahrheit. Er hatte<br />

sich stets gefürchtet, Gott zu beleidigen; jetzt aber ergriff ihn wie nie zuvor eine tiefe<br />

Überzeugung seines sündhaften Zustan<strong>de</strong>s.<br />

Das aufrichtige Verlangen, von Sün<strong>de</strong>n frei zu sein und Frie<strong>de</strong>n mit Gott zu haben,<br />

veranlaßte ihn schließlich, in ein Kloster einzutreten und ein Mönchsleben zu führen. Hier<br />

mußte er sich <strong>de</strong>n niedrigsten Arbeiten unterziehen und von Haus zu Haus betteln. Er stand<br />

in <strong>de</strong>m Alter, in <strong>de</strong>m man sich am meisten nach Achtung und Anerkennung sehnt, und<br />

80


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

fühlte sich in seinen natürlichen Gefühlen durch diese niedrige Beschäftigung tief gekränkt;<br />

aber geduldig ertrug er die Demütigung, weil er glaubte, daß es um seiner Sün<strong>de</strong>n willen<br />

notwendig sei.<br />

Je<strong>de</strong>n Augenblick, <strong>de</strong>n er von seinen täglichen Pflichten erübrigen konnte, verwandte er<br />

aufs Studium; er gönnte sich wenig Schlaf und nahm sich kaum die Zeit für seine<br />

beschei<strong>de</strong>nen Mahlzeiten. Vor allem an<strong>de</strong>rn erfreute ihn das Studium <strong>de</strong>s Wortes Gottes. Er<br />

hatte an <strong>de</strong>r Klostermauer angekettet eine Bibel gefun<strong>de</strong>n und zog sich oft zu ihr zurück. Je<br />

mehr er von seinen Sün<strong>de</strong>n überzeugt wur<strong>de</strong>, <strong>de</strong>sto stärker suchte er durch eigene Werke<br />

Vergebung und Frie<strong>de</strong>n zu erlangen. Er führte ein außeror<strong>de</strong>ntlich strenges Leben und<br />

bemühte sich, das Böse seines Wesens, von <strong>de</strong>m sein Mönchstum ihn nicht zu befreien<br />

vermocht hatte, durch Fasten, Wachen und Kasteien zu besiegen. Er schreckte vor keinem<br />

Opfer zurück, das ihm möglicherweise zur Reinheit <strong>de</strong>s Herzens verhelfen könnte, die ihm<br />

vor Gott Anerkennung brächte. „Wahr ist‘s, ein frommer Mönch bin ich gewesen, und habe<br />

so gestrenge meinen Or<strong>de</strong>n gehalten, daß ich‘s sagen darf: ist je ein Mönch gen Himmel<br />

gekommen durch Möncherei, so wollte ich auch hineingekommen sein; <strong>de</strong>nn ich hätte mich<br />

(wo es länger gewährt hätte) zu To<strong>de</strong> gemartert mit Wachen, Beten, Lesen und an<strong>de</strong>rer<br />

Arbeit.“ Infolge dieser schmerzhaften Zucht wur<strong>de</strong> er immer schwächer und litt an<br />

Ohnmachtsanfällen, von <strong>de</strong>ren Auswirkungen er sich nie ganz erholte. Aber trotz aller<br />

Anstrengungen fand seine angsterfüllte Seele keine Erleichterung, son<strong>de</strong>rn wur<strong>de</strong> immer<br />

verzweifelter.<br />

Als es Luther schien, daß alles verloren sei, erweckte Gott ihm einen Helfer und Freund.<br />

Der fromme Staupitz öffnete seinem Verständnis das Wort Gottes und riet ihm, seine<br />

Aufmerksamkeit von sich selbst abzulenken und mit <strong>de</strong>n Betrachtungen über eine ewige<br />

Strafe für die Übertretung <strong>de</strong>s Gesetzes Gottes aufzuhören und auf Jesus, seinen<br />

sün<strong>de</strong>nvergeben<strong>de</strong>n Heiland, zu schauen. „Statt dich wegen <strong>de</strong>iner Sün<strong>de</strong>n zu kasteien, wirf<br />

dich in die Arme <strong>de</strong>s Erlösers. Vertraue auf ihn — auf die Gerechtigkeit seines Lebens —<br />

auf die Versöhnung in seinem To<strong>de</strong>. Horch auf <strong>de</strong>n Sohn Gottes. Er ist Mensch gewor<strong>de</strong>n,<br />

dir die Gewißheit seiner göttlichen Gunst zu geben.“ — „Liebe ihn, <strong>de</strong>r dich zuerst geliebt<br />

hat.“ So sprach dieser Bote <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong>. Seine Worte machten tiefen Eindruck auf Luthers<br />

Gemüt. Nach manchem Kampf mit langgehegten Irrtümern erfaßte er die Wahrheit, und<br />

Frie<strong>de</strong> zog in seine gequälte Seele ein.<br />

Luther wur<strong>de</strong> zum Priester geweiht und aus <strong>de</strong>m Kloster als Professor an die Universität<br />

Wittenberg berufen. Hier widmete er sich <strong>de</strong>m Studium <strong>de</strong>r Heiligen Schrift in <strong>de</strong>n<br />

Grundtexten, begann darüber Vorlesungen zu halten und erschloß das Buch <strong>de</strong>r Psalmen,<br />

die Evangelien und Briefe <strong>de</strong>m Verständnis von Scharen begeisterter Zuhörer. Staupitz<br />

nötigte ihn, die Kanzel zu besteigen und das Wort Gottes zu predigen. Luther zögerte, da er<br />

sich unwürdig fühlte, als Bote Christi zum Volk zu re<strong>de</strong>n. Nur nach langem Wi<strong>de</strong>rstreben<br />

gab er <strong>de</strong>n Bitten seiner Freun<strong>de</strong> nach. Die Wahrheiten <strong>de</strong>r Heiligen Schrift erfüllten ihn<br />

schon stark, und Gottes Gna<strong>de</strong> ruhte auf ihm. Seine Beredsamkeit fesselte die Zuhörer, die<br />

81


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Klarheit und Macht in <strong>de</strong>r Darstellung <strong>de</strong>r Wahrheit überzeugte ihren Verstand, und seine<br />

Inbrunst bewegte die Herzen.<br />

Luther war noch immer ein treuer Sohn <strong>de</strong>r päpstlichen Kirche und dachte nicht daran,<br />

je etwas an<strong>de</strong>res zu sein. Nach <strong>de</strong>r Vorsehung Gottes bot sich ihm Gelegenheit, Rom zu<br />

besuchen. Er machte die Reise zu Fuß, wobei er in <strong>de</strong>n am Wege liegen<strong>de</strong>n Klöstern<br />

Herberge fand. Verwun<strong>de</strong>rung erfüllte ihn, als er in einem Kloster in Italien <strong>de</strong>n Reichtum,<br />

die Pracht und <strong>de</strong>n Aufwand dieser Stätten sah. Mit einem fürstlichen Einkommen<br />

beschenkt, wohnten die Mönche in glänzen<strong>de</strong>n Gemächern, klei<strong>de</strong>ten sich in die reichsten<br />

und köstlichsten Gewän<strong>de</strong>r und führten eine üppige Tafel. Schmerzlich besorgt, verglich<br />

Luther dieses Schauspiel mit <strong>de</strong>r Selbstverleugnung und <strong>de</strong>r Mühsal seines eigenen Lebens.<br />

Seine Gedanken wur<strong>de</strong>n verwirrt. Endlich erblickte er aus <strong>de</strong>r Ferne die Stadt <strong>de</strong>r sieben<br />

Hügel.<br />

Tief bewegt warf er sich auf die Er<strong>de</strong> nie<strong>de</strong>r und rief: „Sei mir gegrüßt, du heiliges<br />

Rom!“ Er betrat die Stadt, besuchte die Kirchen, lauschte <strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n Priestern und<br />

Mönchen vorgetragenen Wun<strong>de</strong>rerzählungen und erfüllte alle vorgeschriebenen Zeremonien.<br />

Überall boten sich ihm Szenen, die ihn in Erstaunen und Schrecken versetzten. Er sah, daß<br />

unter allen Klassen <strong>de</strong>r Geistlichkeit das Laster herrschte. Von <strong>de</strong>n Lippen <strong>de</strong>r Geistlichen<br />

mußte er unanständige Re<strong>de</strong>nsarten hören. Ihr gottloses Wesen, selbst während <strong>de</strong>r Messe,<br />

entsetzte ihn. Als er sich unter die Mönche und Bürger mischte, fand er Verschwendung und<br />

Ausschweifung. Wohin er sich auch wandte, er traf statt Heiligkeit Entweihung. „Niemand<br />

glaube, was zu Rom für Büberei und greulich Sün<strong>de</strong> und Schan<strong>de</strong> gehen ... er sehe, höre und<br />

erfahre es <strong>de</strong>nn. Daher sagt man: ‚Ist irgen<strong>de</strong>ine Hölle, so muß Rom drauf gebaut sein; <strong>de</strong>nn<br />

da gehen alle Sün<strong>de</strong>n im Schwang.‘“<br />

Durch einen kurz vorher veröffentlichten Erlaß war vom Papst allen <strong>de</strong>nen Ablaß<br />

verheißen wor<strong>de</strong>n, die auf <strong>de</strong>n Knien die „Pilatusstiege“ hinaufrutschen wür<strong>de</strong>n, von <strong>de</strong>r<br />

gesagt wird, unser Heiland sei darauf herabgestiegen, als er das römische Gerichtshaus<br />

verließ, und sie sei durch ein Wun<strong>de</strong>r von Jerusalem nach Rom gebracht wor<strong>de</strong>n. Luther<br />

erklomm eines Tages andächtig diese Treppe, als plötzlich eine donnerähnliche Stimme zu<br />

ihm zu sagen schien: „Der Gerechte wird seines Glaubens leben!“ Römer 1,17. In Scham<br />

und Schrecken sprang er auf und floh von dieser Stätte. Jene Bibelstelle verlor nie ihre<br />

Wirkung auf seine Seele. Von jener Zeit an sah er <strong>de</strong>utlicher als je zuvor die Täuschung, auf<br />

Menschenwerke zu vertrauen, um Erlösung zu erlangen, und ebenso <strong>de</strong>utlich sah er die<br />

Notwendigkeit eines unerschütterlichen Glaubens an die Verdienste Christi. Seine Augen<br />

waren geöffnet wor<strong>de</strong>n, um nie wie<strong>de</strong>r verschlossen zu wer<strong>de</strong>n. Als er Rom <strong>de</strong>n Rücken<br />

kehrte, hatte er sich auch in seinem Herzen von Rom abgewandt, und von jener Zeit an<br />

wur<strong>de</strong> die Kluft immer tiefer, bis er schließlich alle Verbindung mit <strong>de</strong>r päpstlichen Kirche<br />

abschnitt.<br />

Einige Zeit nach seiner Rückkehr aus Rom wur<strong>de</strong> Luther von <strong>de</strong>r Universität zu<br />

Wittenberg <strong>de</strong>r Titel eines Doktors <strong>de</strong>r Theologie verliehen. Nun stand es ihm frei, sich wie<br />

82


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

nie zuvor <strong>de</strong>r Heiligen Schrift zu widmen, die er liebte. Er hatte das feierliche Gelöbnis<br />

abgelegt, alle Tage seines Lebens Gottes Wort, und nicht die Aussprüche und Lehren <strong>de</strong>r<br />

Päpste, zu studieren und gewissenhaft zu predigen. Er war nicht länger <strong>de</strong>r einfache Mönch<br />

o<strong>de</strong>r Professor, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r bevollmächtigte Verkün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Heiligen Schrift; er war zu<br />

einem Hirten berufen, die Her<strong>de</strong> zu wei<strong>de</strong>n, die nach <strong>de</strong>r Wahrheit hungerte und dürstete.<br />

Mit Bestimmtheit erklärte er, die Christen sollten keine an<strong>de</strong>ren Lehren annehmen, als die,<br />

welche auf <strong>de</strong>r Autorität <strong>de</strong>r Heiligen Schrift beruhten. Diese Worte trafen ganz und gar die<br />

Grundlage <strong>de</strong>r päpstlichen Oberherrschaft; sie enthielten <strong>de</strong>n wesentlichen Grundsatz <strong>de</strong>r<br />

Reformation.<br />

Luther erkannte die Gefahr,menschliche Lehrsätze über das Wort Gottes zu erheben.<br />

Furchtlos griff er <strong>de</strong>n spitzfindigen Unglauben <strong>de</strong>r Schulgelehrten an und trat <strong>de</strong>r<br />

Philosophie und Theologie, die so lange einen herrschen<strong>de</strong>n Einfluß auf das Volk ausgeübt<br />

hatten, entgegen. Er verwarf <strong>de</strong>ren Bemühen nicht nur als wertlos, son<strong>de</strong>rn auch als<br />

ver<strong>de</strong>rblich und suchte die Gemüter seiner Zuhörer von <strong>de</strong>n Trugschlüssen <strong>de</strong>r Philosophen<br />

und Theologen abzuwen<strong>de</strong>n und auf die ewigen Wahrheiten hinzulenken, die die Propheten<br />

und Apostel verkündigten.<br />

Köstlich war die Botschaft, die er <strong>de</strong>r lebhaft anteilnehmen<strong>de</strong>n Menge, die an seinen<br />

Lippen hing, bringen durfte. Nie zuvor waren solche Lehren an ihre Ohren gedrungen. Die<br />

frohe Kun<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Liebe <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s, die Gewißheit <strong>de</strong>r Vergebung und <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns<br />

durch das versöhnen<strong>de</strong> Blut Christi erfreute ihre Herzen und füllte sie mit einer<br />

unvergänglichen Hoffnung. In Wittenberg war ein Licht angezün<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>ssen<br />

Strahlen die fernsten Teile <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> erreichen und bis zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Zeit an Glanz und<br />

Klarheit mehr und mehr zunehmen sollten.<br />

Aber Licht und Finsternis können sich nicht vertragen, und zwischen Wahrheit und<br />

Irrtum besteht ein unvermeidbarer Kampf. Das eine aufrechterhalten und verteidigen heißt<br />

das an<strong>de</strong>re angreifen und umstürzen. Unser Heiland selbst erklärte: „Ich bin nicht<br />

gekommen, Frie<strong>de</strong>n zu sen<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn das Schwert“ (Matthäus 10,34), und Luther schrieb<br />

einige Jahre nach Beginn <strong>de</strong>r Reformation: „Gott reißt, treibt und führt mich; ich bin meiner<br />

nicht mächtig; ich will stille sein und wer<strong>de</strong> mitten in <strong>de</strong>n Tumult hineingerissen.“ — Er<br />

sollte nun in <strong>de</strong>n Kampf gedrängt wer<strong>de</strong>n.<br />

Die katholische Kirche hatte die Gna<strong>de</strong> Gottes zu einem Han<strong>de</strong>lsgut herabgewürdigt.<br />

Die Tische <strong>de</strong>r Geldwechsler waren neben <strong>de</strong>n Altären aufgestellt, und das Geschrei <strong>de</strong>r<br />

Käufer und Verkäufer erfüllte die Luft. Vgl. Matthäus 21,12. Unter <strong>de</strong>m Vorwand, Mittel<br />

für <strong>de</strong>n Bau <strong>de</strong>r Peterskirche in Rom zu erheben, wur<strong>de</strong>n namens <strong>de</strong>r Autorität <strong>de</strong>s Papstes<br />

öffentlich Sün<strong>de</strong>nablässe zum Verkauf angeboten. Mit Frevelgeld sollte ein Tempel zur<br />

Anbetung Gottes errichtet, <strong>de</strong>r Grundstein mit Lösegeld von <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> gelegt wer<strong>de</strong>n. Aber<br />

gera<strong>de</strong> das zu Roms Erhebung ergriffene Mittel veranlaßte <strong>de</strong>n tödlichsten Schlag gegen<br />

seine Macht und Größe, erweckte die entschlossensten und erfolgreichsten Gegner <strong>de</strong>s<br />

83


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Papsttums und führte zu <strong>de</strong>m Kampf, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n päpstlichen Thron erschütterte und die<br />

dreifache Krone auf <strong>de</strong>m Haupt <strong>de</strong>s römischen Oberpriesters ins Wanken brachte.<br />

Der römische Beauftragte Tetzel, dazu bestimmt in Deutschland <strong>de</strong>n Verkauf von<br />

Ablässen zu leiten, war <strong>de</strong>r gemeinsten Vergehen gegen die menschliche Gesellschaft und<br />

das Gesetz Gottes überführt wor<strong>de</strong>n; nach<strong>de</strong>m er jedoch <strong>de</strong>r seinen Verbrechen<br />

angemessenen Strafe entronnen war, wur<strong>de</strong> er mit <strong>de</strong>r För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r gewinnsüchtigen und<br />

gewissenlosen Pläne <strong>de</strong>s Papstes beauftragt. In herausfor<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>r Weise wie<strong>de</strong>rholte er die<br />

schamlosesten Lügen und erzählte Wun<strong>de</strong>rgeschichten, um das unwissen<strong>de</strong>, leichtgläubige<br />

und abergläubische Volk zu täuschen. Hätten sie das Wort Gottes besessen, wären sie nicht<br />

so hintergangen wor<strong>de</strong>n. Die Heilige Schrift wur<strong>de</strong> ihnen vorenthalten, damit sie unter <strong>de</strong>r<br />

Herrschaft <strong>de</strong>s Papsttums blieben und dazu beitrügen, die Macht und <strong>de</strong>n Reichtum seiner<br />

ehrgeizigen Führer zu mehren.<br />

Wenn <strong>de</strong>r Dominikaner Tetzel, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Ablaßhan<strong>de</strong>l leitete, eine Stadt betrat, ging ein<br />

Bote vor ihm her und verkündigte: „Die Gna<strong>de</strong> Gottes und <strong>de</strong>s heiligen Vaters ist vor <strong>de</strong>n<br />

Toren.“ Und das Volk bewillkommnete <strong>de</strong>n gotteslästerlichen Betrüger, daß „man hätte<br />

nicht wohl Gott selber schöner empfangen und halten können“. Der schändliche Han<strong>de</strong>l<br />

ging in <strong>de</strong>r Kirche vor sich; Tetzel bestieg die Kanzel und pries die Ablässe als eine<br />

kostbare Gabe Gottes. Er erklärte, daß durch seine Ablaßzettel <strong>de</strong>m Käufer alle Sün<strong>de</strong>n,<br />

„auch noch so ungeheuerliche, welche <strong>de</strong>r Mensch noch begehen möchte“, verziehen<br />

wür<strong>de</strong>n. „Es wäre nicht Not, Reue noch Leid o<strong>de</strong>r Buße für die Sün<strong>de</strong> zu haben“. Seine<br />

Ablässe besäßen die<br />

Kraft, Leben<strong>de</strong> und Tote zu retten; „wenn einer Geld in <strong>de</strong>n Kasten legt für eine Seele<br />

im Fegfeuer, sobald <strong>de</strong>r Pfennig auf <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n fiel und klünge, so führe die Seele heraus<br />

gen Himmel.“ Als Simon <strong>de</strong>r Zauberer sich von <strong>de</strong>n Aposteln die Macht, Wun<strong>de</strong>r zu wirken,<br />

erkaufen wollte, antwortete ihm Petrus: „Daß du verdammt wer<strong>de</strong>st mit <strong>de</strong>inem Gel<strong>de</strong>,<br />

darum daß du meinst, Gottes Gabe wer<strong>de</strong> durch Geld erlangt!“ Apostelgeschichte 8,20.<br />

Aber Tetzels Anerbieten wur<strong>de</strong> von Tausen<strong>de</strong>n gierig ergriffen. Gold und Silber flossen in<br />

seinen Kasten. Eine Seligkeit, die mit Geld erkauft wer<strong>de</strong>n konnte, war leichter zu erlangen<br />

als eine solche, die Reue, Glauben und eifrige Anstrengungen erfor<strong>de</strong>rte, <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> zu<br />

wi<strong>de</strong>rstehen und sie zu überwin<strong>de</strong>n.<br />

Der Ablaßlehre hatten sich schon gelehrte und fromme Männer in <strong>de</strong>r römischen Kirche<br />

wi<strong>de</strong>rsetzt, und es gab viele, welche <strong>de</strong>n Behauptungen, die <strong>de</strong>r Vernunft und <strong>de</strong>r<br />

Offenbarung zuwi<strong>de</strong>r waren, nicht vertrauten. Kein Geistlicher wagte es in<strong>de</strong>ssen, seine<br />

Stimme gegen diesen gottlosen Han<strong>de</strong>l zu erheben; aber die Gemüter <strong>de</strong>r Menschen wur<strong>de</strong>n<br />

beunruhigt und ängstlich, und viele fragten sich ernsthaft, ob Gott nicht durch irgen<strong>de</strong>in<br />

Werkzeug die Reinigung seiner Kirche bewirken wür<strong>de</strong>.<br />

Obwohl Luther noch immer ein sehr eifriger Anhänger <strong>de</strong>s Papstes war, erfüllten ihn die<br />

gotteslästerlichen Anmaßungen <strong>de</strong>r Ablaßkrämer mit Entsetzen. Viele aus seiner eigenen<br />

84


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Gemein<strong>de</strong> hatten sich Ablaßbriefe gekauft und kamen bald zu ihrem Beichtvater, bekannten<br />

ihre verschie<strong>de</strong>nen Sün<strong>de</strong>n und erwarteten Freisprechung, nicht weil sie bußfertig waren<br />

und sich bessern wollten, son<strong>de</strong>rn auf Grund <strong>de</strong>s Ablasses. Luther verweigerte ihnen die<br />

Freisprechung und warnte sie, daß sie, wenn sie nicht bereuten und ihren Wan<strong>de</strong>l än<strong>de</strong>rten,<br />

in ihren Sün<strong>de</strong>n umkämen. In großer Bestürzung suchten sie Tetzel auf und klagten ihm,<br />

daß ihr Beichtvater seine Briefe verworfen habe; ja, einige for<strong>de</strong>rten kühn die Rückgabe<br />

ihres Gel<strong>de</strong>s. Der Mönch wur<strong>de</strong> zornig. Er äußerte die schrecklichsten Verwünschungen,<br />

ließ etliche Male auf <strong>de</strong>m Markt ein Feuer anzün<strong>de</strong>n und „weiset damit, wie er vom Papste<br />

Befehl hätte, die Ketzer, die sich wi<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Allerheiligsten, <strong>de</strong>n Papst und seinen<br />

allerheiligsten Ablaß legten, zu verbrennen“.<br />

Luther nahm nun kühn sein Werk als Kämpfer für die Wahrheit auf. Seine Stimme war<br />

in ernster,feierlicher Warnung von <strong>de</strong>r Kanzel zu hören. Er zeigte <strong>de</strong>m Volk das<br />

Schändliche <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> und lehrte, daß es für <strong>de</strong>n Menschen unmöglich sei, durch seine<br />

eigenen Werke die Schuld zu verringern o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Strafe zu entrinnen. Nichts als die Buße<br />

vor Gott und <strong>de</strong>r Glaube an Christus könne <strong>de</strong>n Sün<strong>de</strong>r retten. Gottes Gna<strong>de</strong> könne nicht<br />

erkauft wer<strong>de</strong>n; sie sei eine freie Gabe. Er riet <strong>de</strong>m Volk, keine Ablässe zu kaufen, son<strong>de</strong>rn<br />

gläubig auf <strong>de</strong>n gekreuzigten Erlöser zu schauen. Er erzählte seine eigene schmerzliche<br />

Erfahrung, als er umsonst versucht hatte, sich durch Demütigung und Buße Erlösung zu<br />

verschaffen, und versicherte seinen Zuhörern, daß er Frie<strong>de</strong> und Freu<strong>de</strong> gefun<strong>de</strong>n habe, als<br />

er von sich selbst wegsah und an Christus glaubte.<br />

Als Tetzel seinen Han<strong>de</strong>l und seine gottlosen Behauptungen fortsetzte, entschloß sich<br />

Luther zu einem wirksameren Wi<strong>de</strong>rstand gegen die schreien<strong>de</strong>n Mißbräuche. Bald bot sich<br />

hierzu Gelegenheit. Die Schloßkirche zu Wittenberg war im Besitz vieler Reliquien, die an<br />

gewissen Festtagen für das Volk ausgestellt wur<strong>de</strong>n. Vergebung <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>n gewährte man<br />

allen, die dann die Kirche besuchten und beichteten. Demzufolge war das Volk an diesen<br />

Tagen in großer Zahl dort zu fin<strong>de</strong>n. Eine <strong>de</strong>r wichtigsten Gelegenheiten, das Fest<br />

„Allerheiligen“, stand vor <strong>de</strong>r Tür. Am Tage zuvor schloß Luther sich <strong>de</strong>r Menge an, die<br />

bereits auf <strong>de</strong>m Wege nach <strong>de</strong>r Kirche war und heftete einen Bogen mit 95 Thesen gegen<br />

die Ablaßlehre an die Kirchentür. Er erklärte sich bereit, am folgen<strong>de</strong>n Tag in <strong>de</strong>r<br />

Universität diese Sätze gegen alle, die sie angreifen wür<strong>de</strong>n, zu verteidigen.<br />

Seine Thesen zogen die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. Sie wur<strong>de</strong>n wie<strong>de</strong>r und<br />

wie<strong>de</strong>r gelesen und nach allen Richtungen hin wie<strong>de</strong>rholt. Große Aufregung entstand in <strong>de</strong>r<br />

Universität und in <strong>de</strong>r ganzen Stadt. Durch diese Thesen wur<strong>de</strong> gezeigt, daß die Macht,<br />

Vergebung <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>n zu gewähren und ihre Strafe zu erlassen, nie <strong>de</strong>m Papst o<strong>de</strong>r<br />

irgen<strong>de</strong>inem an<strong>de</strong>rn Menschen übergeben wor<strong>de</strong>n war. Der ganze Plan sei ein Betrug, ein<br />

Kunstgriff, um Geld zu erpressen, in<strong>de</strong>m man <strong>de</strong>n Aberglauben <strong>de</strong>s Volkes ausbeute — eine<br />

List Satans, um die Seelen aller zu ver<strong>de</strong>rben, die sich auf seine lügenhaften<br />

Vorspiegelungen verließen. Ferner wur<strong>de</strong> klar dargelegt, daß das Evangelium Christi <strong>de</strong>r<br />

kostbarste Schatz <strong>de</strong>r Kirche ist und daß die darin offenbarte Gna<strong>de</strong> Gottes allen frei<br />

85


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

gewährt wird, die sie in Reue und Glauben suchen. Luthers Thesen for<strong>de</strong>rten zur Diskussion<br />

heraus; aber niemand wagte es, die Herausfor<strong>de</strong>rung anzunehmen. Die von ihm gestellten<br />

Fragen waren in wenigen Tagen in ganz Deutschland bekannt und erschollen in wenigen<br />

Wochen durch die ganze Christenheit.<br />

Viele ergebene Römlinge, welche die in <strong>de</strong>r Kirche herrschen<strong>de</strong> schreckliche<br />

Ungerechtigkeit gesehen und beklagt, aber nicht gewußt hatten, wie sie <strong>de</strong>ren Fortgang<br />

aufhalten sollten, lasen die Sätze mit großer Freu<strong>de</strong> und erkannten in ihnen die Stimme<br />

Gottes. Sie fühlten, daß <strong>de</strong>r Herr gnädig seine Hand ausgestreckt hatte, um die rasch<br />

anschwellen<strong>de</strong> Flut <strong>de</strong>r Ver<strong>de</strong>rbnis aufzuhalten, die vom römischen Stuhl ausging. Fürsten<br />

und Beamte freuten sich im geheimen, daß <strong>de</strong>r anmaßen<strong>de</strong>n Gewalt, die behauptete, gegen<br />

ihre Beschlüsse dürfe kein Einwand erhoben wer<strong>de</strong>n, Zügel angelegt wer<strong>de</strong>n sollten.<br />

Aber die sün<strong>de</strong>nlieben<strong>de</strong> und abergläubische Menge entsetzte sich, als die<br />

Spitzfindigkeiten, die ihre Furcht beseitigt hatten, hinweggefegt wur<strong>de</strong>n. Verschlagene<br />

Geistliche, die in ihrem Treiben, das Verbrechen zu billigen, gestört wur<strong>de</strong>n und ihren<br />

Gewinn gefähr<strong>de</strong>t sahen, gerieten in Wut und vereinigten sich in <strong>de</strong>m Bemühen, ihre<br />

Behauptungen aufrechtzuerhalten. Der Reformator stieß auf erbitterte Ankläger. Einige<br />

beschuldigten ihn, übereilt und impulsiv gehan<strong>de</strong>lt zu haben. An<strong>de</strong>re nannten ihn vermessen<br />

und erklärten, daß er nicht von Gott geleitet wer<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn aus Stolz und Voreiligkeit<br />

handle. „Wer kann eine neue I<strong>de</strong>e vorbringen“, antwortet er, „ohne einen Anschein von<br />

Hochmut, ohne Beschuldigung <strong>de</strong>r Streitlust? Weshalb sind Christus und alle Märtyrer<br />

getötet wor<strong>de</strong>n? Weil sie stolze Verächter <strong>de</strong>r Wahrheit ihrer Zeit schienen und neue<br />

Ansichten aussprachen, ohne die Organe <strong>de</strong>r alten Meinung <strong>de</strong>mütiglich um Rat zu fragen.<br />

Ich will nicht, daß nach Menschen Rat, son<strong>de</strong>rn nach Gottes Rat geschehe, was ich tue; ist<br />

das Werk von Gott, wer möcht‘s hin<strong>de</strong>rn, ist‘s nicht aus Gott, wer möcht‘s för<strong>de</strong>rn? Es<br />

geschehe nicht mein, noch ihr, noch euer, son<strong>de</strong>rn Dein Wille, heiliger Vater im Himmel!“<br />

Obwohl Luther vom Geist Gottes getrieben wor<strong>de</strong>n war, sein Werk zu beginnen, sollte<br />

er es doch nicht ohne schwere Kämpfe fortführen. Die Vorwürfe seiner Fein<strong>de</strong>, ihre<br />

Miß<strong>de</strong>utung seiner Absichten und ihre ungerechten und boshaften Bemerkungen über seinen<br />

Charakter und seine Beweggrün<strong>de</strong> ergossen sich gleich einer überstürzen<strong>de</strong>n Flut über ihn<br />

und blieben nicht ohne Wirkung. Er hatte zuversichtlich damit gerechnet, daß die Führer <strong>de</strong>s<br />

Volkes sowohl in <strong>de</strong>r Kirche als auch in <strong>de</strong>r Universität sich ihm bereitwillig in seinen<br />

Bemühungen zugunsten <strong>de</strong>r Reformation anschließen wür<strong>de</strong>n. Ermutigen<strong>de</strong> Worte von<br />

hochgestellten Persönlichkeiten hatten ihm Freu<strong>de</strong> und Hoffnung eingeflößt. In <strong>de</strong>r<br />

Vorahnung hatte er bereits einen helleren Tag für die Gemein<strong>de</strong> anbrechen sehen. Doch die<br />

Ermutigung verwan<strong>de</strong>lte sich in Vorwurf und Verurteilung.<br />

Viele staatliche und kirchliche Wür<strong>de</strong>nträger waren von <strong>de</strong>r Wahrheit seiner Thesen<br />

überzeugt; aber sie sahen bald, daß die Annahme dieser Wahrheiten große Umwälzungen<br />

mit sich bringen wür<strong>de</strong>n. Das Volk zu erleuchten und umzugestalten hieße in Wirklichkeit<br />

die Autorität Roms zu untergraben, Tausen<strong>de</strong> von Strömen, die nun in seine Schatzkammer<br />

86


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

flossen, aufzuhalten und auf diese Weise die Verschwendung und <strong>de</strong>n Aufwand <strong>de</strong>r Herren<br />

Roms in hohem Gra<strong>de</strong> zu beschränken. Noch mehr: Das Volk zu lehren, als verantwortliche<br />

Geschöpfe zu <strong>de</strong>nken und zu han<strong>de</strong>ln und allein auf Christus zu blicken, um selig zu wer<strong>de</strong>n,<br />

wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Thron <strong>de</strong>s Papstes stürzen und am En<strong>de</strong> auch die Autorität seiner Wür<strong>de</strong>nträger<br />

zugrun<strong>de</strong> richten. Aus dieser Ursache heraus wiesen sie die von Gott dargebotene<br />

Erkenntnis zurück und erhoben sich durch ihren Wi<strong>de</strong>rstand gegen <strong>de</strong>n Mann, <strong>de</strong>n Gott zu<br />

ihrer Erleuchtung gesandt hatte, wi<strong>de</strong>r Christus und die Wahrheit.<br />

Luther zitterte, als er auf sich sah, „mehr eine Leiche, <strong>de</strong>nn einem Menschen gleich“,<br />

<strong>de</strong>n gewaltigsten Mächten <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> gegenübergestellt. Zuweilen zweifelte er, ob ihn <strong>de</strong>r<br />

Herr in seinem Wi<strong>de</strong>rstand wi<strong>de</strong>r die Autorität <strong>de</strong>r Kirche wirklich leitete. Er schrieb: „Wer<br />

war ich elen<strong>de</strong>r, verachteter Bru<strong>de</strong>r dazumal, <strong>de</strong>r sich sollte wi<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Papstes Majestät<br />

setzen, vor welcher die Könige auf Er<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>r ganze Erdbo<strong>de</strong>n sich entsetzten und allein<br />

nach seinen Winken sich mußten richten? Was mein Herz in jenen zwei Jahren<br />

ausgestan<strong>de</strong>n und erlitten habe und in welcherlei Demut, ja Verzweiflung ich da schwebte,<br />

ach! da wissen die sichern Geister wenig von, die hernach <strong>de</strong>s Papstes Majestät mit großem<br />

Stolz und Vermessenheit angriffen.“ Doch er wur<strong>de</strong> nicht gänzlich entmutigt. Fehlten<br />

menschliche Stützen, so schaute er auf Gott allein und lernte, daß er sich in vollkommener<br />

Sicherheit auf <strong>de</strong>ssen allmächtigen Arm verlassen konnte.<br />

Einem Freund <strong>de</strong>r Reformation schrieb Luther: „Es ist vor allem gewiß, daß man die<br />

Heilige Schrift we<strong>de</strong>r durch Studium noch mit <strong>de</strong>m Verstand erfassen kann. Deshalb ist es<br />

zuerst Pflicht, daß du mit <strong>de</strong>m Gebet beginnst und <strong>de</strong>n Herrn bittest, er möge dir zu seiner<br />

Ehre, nicht zu <strong>de</strong>iner, in seiner großen Barmherzigkeit das wahre Verständnis seiner Worte<br />

schenken. Das Wort Gottes wird uns von seinem Urheber ausgelegt, wie er sagt, daß sie alle<br />

von Gott gelehrt sind. Hoffe <strong>de</strong>shalb nichts von <strong>de</strong>inem Studium und Verstand; vertraue<br />

allein auf <strong>de</strong>n Einfluß <strong>de</strong>s Geistes. Glaube meiner Erfahrung.“ Hier wird eine<br />

außeror<strong>de</strong>ntlich wichtige Erfahrung mitgeteilt für alle, die sich von Gott berufen fühlen,<br />

an<strong>de</strong>rn die ernsten Wahrheiten für die gegenwärtige Zeit zu verkündigen. Diese Wahrheiten<br />

erregen die Feindschaft Satans und <strong>de</strong>r Menschen, welche die Fabeln lieben, die er erdichtet<br />

hat. Zum Kampf mit <strong>de</strong>n bösen Mächten ist mehr vonnöten als Verstan<strong>de</strong>skraft und<br />

menschliche Weisheit.<br />

Beriefen sich die Gegner auf Gebräuche und Überlieferungen o<strong>de</strong>r auf die<br />

Behauptungen und die Autorität <strong>de</strong>s Papstes, so trat Luther ihnen mit <strong>de</strong>r Bibel,nur mit <strong>de</strong>r<br />

Bibel entgegen. Darin stan<strong>de</strong>n Beweisführungen, die sie nicht wi<strong>de</strong>rlegen konnten; <strong>de</strong>shalb<br />

schrien die Sklaven <strong>de</strong>s Formenwesens und <strong>de</strong>s Aberglaubens nach seinem Blut, wie die<br />

Ju<strong>de</strong>n nach <strong>de</strong>m Blut Christi geschrien hatten. „Er ist ein Ketzer!“ riefen die römischen<br />

Eiferer. „Es ist Hochverrat gegen die Kirche, wenn ein so schändlicher Ketzer noch eine<br />

Stun<strong>de</strong> länger lebt. Auf <strong>de</strong>n Scheiterhaufen mit ihm!“ Aber Luther fiel ihrer Wut nicht zum<br />

Opfer. Gott hatte eine Aufgabe für ihn bereit, und himmlische Engel wur<strong>de</strong>n ausgesandt, ihn<br />

zu beschützen. Viele jedoch, die von Luther das köstliche Licht empfangen hatten, wur<strong>de</strong>n<br />

87


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

die Zielscheibe <strong>de</strong>r Wut Satans und erlitten um <strong>de</strong>r Wahrheit willen furchtlos Marter und<br />

Tod.<br />

Luthers Lehren zogen die Aufmerksamkeit <strong>de</strong>nken<strong>de</strong>r Geister in ganz Deutschland auf<br />

sich. Seine Predigten und Schriften verbreiteten Lichtstrahlen, die Tausen<strong>de</strong> erschreckten<br />

und erleuchteten. Ein lebendiger Glaube trat an die Stelle toten Formenwesens, in welchem<br />

die Kirche so lange gehalten wor<strong>de</strong>n war. Das Volk verlor täglich mehr das Zutrauen zu <strong>de</strong>n<br />

abergläubischen Lehren <strong>de</strong>r römischen Religion. Die Schranken <strong>de</strong>s Vorurteils gaben nach.<br />

Das Wort Gottes, nach <strong>de</strong>m Luther je<strong>de</strong> Lehre und je<strong>de</strong> Behauptung prüfte, war gleich<br />

einem zweischneidigen Schwert, das sich seinen Weg in die Herzen <strong>de</strong>s Volkes bahnte.<br />

Überall erwachte das Verlangen nach geistlichem Wachstum; überall entstand ein so großer<br />

Hunger und Durst nach Gerechtigkeit, wie man ihn seit Jahrhun<strong>de</strong>rten nicht gekannt hatte.<br />

Die bis dahin auf menschliche Gebräuche und irdische Vermittler gerichteten Blicke <strong>de</strong>s<br />

Volkes wandten sich nun reuevoll und gläubig auf Christus, <strong>de</strong>n Gekreuzigten.<br />

Dieses weitverbreitete Heilsverlangen erweckte noch mehr die Furcht <strong>de</strong>r päpstlichen<br />

Autoritäten. Luther erhielt eine Vorladung, in Rom zu erscheinen, um sich gegen die<br />

Beschuldigung, Ketzerei getrieben zu haben, zu verantworten. Diese Auffor<strong>de</strong>rung erfüllte<br />

seine Freun<strong>de</strong> mit Schrecken. Sie kannten nur zu gut die Gefahr, die ihm in jener ver<strong>de</strong>rbten,<br />

vom Blut <strong>de</strong>r Zeugen Jesu trunkenen Stadt drohte. Sie erhoben Einspruch gegen seine Reise<br />

nach Rom und befürworteten ein Gesuch, ihn in Deutschland verhören zu lassen.<br />

Dies wur<strong>de</strong> schließlich genehmigt und <strong>de</strong>r päpstliche Gesandte Cajetan dazu bestimmt,<br />

<strong>de</strong>n Fall anzuhören. In <strong>de</strong>n ihm mitgegebenen Anweisungen hieß es, daß Luther bereits als<br />

Ketzer erklärt wor<strong>de</strong>n sei. Der päpstliche Gesandte wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>shalb beauftragt, „ihn zu<br />

verfolgen und unverzüglich in Haft zu nehmen“. Falls Luther standhaft bliebe o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

Legat seiner nicht habhaft wür<strong>de</strong>, war <strong>de</strong>r Vertreter Roms bevollmächtigt, ihn an allen Orten<br />

Deutschlands zu ächten, zu verbannen, zu verfluchen und alle seine Anhänger in <strong>de</strong>n Bann<br />

zu tun. Um die pestartige Ketzerei auszurotten, befahl <strong>de</strong>r Papst seinem Gesandten, außer<br />

<strong>de</strong>m Kaiser alle ohne Rücksicht auf ihr Amt in Kirche und Staat in die Acht zu erklären,<br />

falls sie es unterließen, Luther und seine Anhänger zu ergreifen und <strong>de</strong>r Rache Roms<br />

auszuliefern.<br />

Hier zeigte sich <strong>de</strong>r wahre Geist <strong>de</strong>s Papsttums. Nicht ein Anzeichen christlicher<br />

Grundsätze o<strong>de</strong>r auch nur gewöhnlicher Gerechtigkeit war aus <strong>de</strong>m ganzen Schriftstück<br />

ersichtlich. Luther war weit von Rom entfernt; ihm war keine Gelegenheit gegeben gewesen,<br />

seinen Standpunkt zu erklären o<strong>de</strong>r zu verteidigen, son<strong>de</strong>rn er war, bevor man seinen Fall<br />

untersucht hatte, ohne weiteres als Ketzer erklärt und am selben Tag ermahnt, angeschuldigt,<br />

gerichtet und verurteilt wor<strong>de</strong>n, und zwar von <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r sich selbst „Heiliger Vater“ nannte,<br />

<strong>de</strong>r alleinigen höchsten, unfehlbaren Autorität in Kirche und Staat!<br />

Um diese Zeit, da Luther <strong>de</strong>r Liebe und <strong>de</strong>s Rates eines treuen Freun<strong>de</strong>s so sehr<br />

bedurfte, sandte Gottes Vorsehung Melanchthon nach Wittenberg. Jung an Jahren,<br />

88


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

beschei<strong>de</strong>n und zurückhaltend in seinem Benehmen, gewannen Melanchthons gesun<strong>de</strong>s<br />

Urteil, umfassen<strong>de</strong>s Wissen und gewinnen<strong>de</strong> Beredsamkeit im Verein mit <strong>de</strong>r Reinheit und<br />

Redlichkeit seines Charakters ihm allgemeine Achtung und Bewun<strong>de</strong>rung. Seine<br />

glänzen<strong>de</strong>n Talente waren nicht bemerkenswerter als die Sanftmut seines Gemüts. Er wur<strong>de</strong><br />

bald ein eifriger Jünger <strong>de</strong>s Evangeliums und Luthers vertrautester Freund und wertvollster<br />

Helfer; seine Sanftmut, Vorsicht und Genauigkeit ergänzten Luthers Mut und Tatkraft. Ihr<br />

vereintes Wirken gab <strong>de</strong>r Reformation die erfor<strong>de</strong>rliche Kraft und war für Luther eine<br />

Quelle großer Ermutigung.<br />

Augsburg war als Ort <strong>de</strong>s Verhörs bestimmt wor<strong>de</strong>n. Der Reformator trat die Reise zu<br />

Fuß an. Man hegte seinetwegen ernste Befürchtungen. Es war ihm öffentlich gedroht<br />

wor<strong>de</strong>n, daß er auf <strong>de</strong>m Wege ergriffen und ermor<strong>de</strong>t wür<strong>de</strong>, und seine Freun<strong>de</strong> baten ihn,<br />

sich <strong>de</strong>m nicht auszusetzen. Sie drangen sogar in ihn, Wittenberg eine Zeitlang zu verlassen<br />

und sich <strong>de</strong>m Schutz <strong>de</strong>rer anzuvertrauen, die ihn bereitwillig beschirmen wür<strong>de</strong>n. Er aber<br />

wollte <strong>de</strong>n Platz nicht verlassen, auf <strong>de</strong>n Gott ihn gestellt hatte. Ungeachtet <strong>de</strong>r über ihn<br />

hereinbrechen<strong>de</strong>n Stürme mußte er getreulich die Wahrheit weiterführen. Er sagte sich: „Ich<br />

bin mit Jeremia gänzlich <strong>de</strong>r Mann <strong>de</strong>s Ha<strong>de</strong>rs und <strong>de</strong>r Zwietracht ... je mehr sie drohen,<br />

<strong>de</strong>sto freudiger bin ich ... mein Name und Ehre muß auch jetzt gut herhalten; also ist mein<br />

schwacher und elen<strong>de</strong>r Körper noch übrig, wollen sie <strong>de</strong>n hinnehmen, so wer<strong>de</strong>n sie mich<br />

etwa um ein paar Stun<strong>de</strong>n Leben ärmer machen, aber die Seele wer<strong>de</strong>n sie mir doch nicht<br />

nehmen ... wer Christi Wort in die Welt tragen will, muß mit <strong>de</strong>n Aposteln stündlich<br />

gewärtig sein, mit Verlassung und Verleugnung aller Dinge <strong>de</strong>n Tod zu lei<strong>de</strong>n.“<br />

Die Nachricht von Luthers Ankunft in Augsburg erfüllte <strong>de</strong>n päpstlichen Gesandten mit<br />

großer Genugtuung. Der unruhestiften<strong>de</strong> Ketzer, <strong>de</strong>r die Aufmerksamkeit <strong>de</strong>r ganzen Welt<br />

erregte, schien nun in <strong>de</strong>r Gewalt Roms zu sein, und <strong>de</strong>r Legat war entschlossen, ihn nicht<br />

entrinnen zu lassen. Der Reformator hatte versäumt, sich mit einem Sicherheitsgeleit zu<br />

versehen. Seine Freun<strong>de</strong> überre<strong>de</strong>ten ihn, nicht ohne Geleit vor <strong>de</strong>m Gesandten zu<br />

erscheinen, und versuchten, ihm eins vom Kaiser zu verschaffen. Der Vertreter Roms hatte<br />

die Absicht, Luther — wenn möglich — zum Wi<strong>de</strong>rruf zu zwingen o<strong>de</strong>r, falls ihm dies nicht<br />

gelänge, ihn nach Rom bringen zu lassen, damit er dort das Schicksal eines Hus und<br />

Hieronymus teile. Deshalb versuchte er durch seine Beauftragten Luther zu bewegen, ohne<br />

Sicherheitsgeleit zu erscheinen und sich seiner Gna<strong>de</strong> anzuvertrauen. Der Reformator lehnte<br />

dies jedoch ab und erschien nicht eher vor <strong>de</strong>m päpstlichen Gesandten, bis er <strong>de</strong>n Brief, <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>n Schutz <strong>de</strong>s Kaisers verbürgte, erhalten hatte.<br />

Klüglich hatten sich die Römlinge entschlossen, Luther durch scheinbares Wohlwollen<br />

zu gewinnen. Der Legat zeigte sich in seinen Unterredungen mit ihm sehr freundlich,<br />

verlangte aber, daß Luther sich <strong>de</strong>r Autorität <strong>de</strong>r Kirche bedingungslos unterwerfen und in<br />

je<strong>de</strong>m Punkt ohne Beweis o<strong>de</strong>r Frage nachgeben solle. Er hatte <strong>de</strong>n Charakter <strong>de</strong>s Mannes,<br />

mit <strong>de</strong>m er verhan<strong>de</strong>lte, nicht richtig eingeschätzt. Luther drückte in Erwi<strong>de</strong>rung seine<br />

Achtung vor <strong>de</strong>r Kirche aus, sein Verlangen nach <strong>de</strong>r Wahrheit, seine Bereitwilligkeit, alle<br />

89


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Einwän<strong>de</strong> gegen das, was er gelehrt hatte, zu beantworten und seine Lehren <strong>de</strong>m Entscheid<br />

gewisser führen<strong>de</strong>r Universitäten zu unterbreiten. Gleichzeitig aber protestierte er gegen die<br />

Verfahrensweise <strong>de</strong>s Kardinals, von ihm einen Wi<strong>de</strong>rruf zu verlangen, ohne ihm <strong>de</strong>n Irrtum<br />

bewiesen zu haben.<br />

Die einzige Antwort war: „Wi<strong>de</strong>rrufe! Wi<strong>de</strong>rrufe!“ Der Reformator berief sich auf die<br />

Heilige Schrift und erklärte entschlossen, daß er die Wahrheit nicht aufgeben könne. Der<br />

Legat, <strong>de</strong>n Beweisführungen Luthers nicht gewachsen, überhäufte ihn so mit Vorwürfen,<br />

Spott und Schmeicheleien, vermengt mit Zitaten <strong>de</strong>r Kirchenväter und aus <strong>de</strong>r Überlieferung,<br />

daß <strong>de</strong>r Reformator nicht recht zu Worte kam. Luther, <strong>de</strong>r die Nutzlosigkeit einer <strong>de</strong>rartigen<br />

Unterredung einsah, erhielt schließlich die mit Wi<strong>de</strong>rstreben erteilte Erlaubnis, seine<br />

Verteidigung schriftlich einzureichen.<br />

Dadurch erzielte Luther trotz seiner Bedrückung einen doppelten Gewinn. Er konnte<br />

seine Verteidigung <strong>de</strong>r ganzen Welt zur Beurteilung unterbreiten und auch besser durch eine<br />

gutausgearbeitete Schrift auf das Gewissen und die Furcht eines anmaßen<strong>de</strong>n und<br />

geschwätzigen Tyrannen einwirken, <strong>de</strong>r ihn immer wie<strong>de</strong>r überschrie. Bei <strong>de</strong>r nächsten<br />

Zusammenkunft gab Luther eine klare, gedrängte und eindrucksvolle Erklärung ab, die er<br />

durch viele Schriftstellen begrün<strong>de</strong>te, und überreichte sie dann <strong>de</strong>m Kardinal. Dieser warf<br />

sie jedoch verächtlich beiseite mit <strong>de</strong>r Bemerkung, sie enthalte nur eine Menge unnütze<br />

Worte und unzutreffen<strong>de</strong>r Schriftstellen. Luther, <strong>de</strong>m jetzt die Augen aufgegangen waren,<br />

begegnete <strong>de</strong>m überheblichen Prälaten auf <strong>de</strong>ssen ureigenstem Gebiet, <strong>de</strong>n Überlieferungen<br />

und Lehren <strong>de</strong>r Kirche, und wi<strong>de</strong>rlegte <strong>de</strong>ssen Darlegungen gründlich und völlig.<br />

Als <strong>de</strong>r Prälat sah, daß Luthers Grün<strong>de</strong> unwi<strong>de</strong>rlegbar waren, verlor er seine<br />

Selbstbeherrschung und rief zornig aus: „Wi<strong>de</strong>rrufe!“ Wenn er dies nicht sofort täte o<strong>de</strong>r in<br />

Rom sich seinen Richtern stellte, so wür<strong>de</strong> er über ihn und alle, die ihm gewogen seien, <strong>de</strong>n<br />

Bannfluch, und über alle, zu <strong>de</strong>nen er sich hinwen<strong>de</strong>te, das kirchliche Interdikt verhängen.<br />

Zuletzt erhob sich <strong>de</strong>r Kardinal mit <strong>de</strong>n Worten: „Geh! wi<strong>de</strong>rrufe o<strong>de</strong>r komm mir nicht<br />

wie<strong>de</strong>r vor die Augen.“ Der Reformator zog sich sofort mit seinen Freun<strong>de</strong>n zurück und gab<br />

<strong>de</strong>utlich zu verstehen, daß man keinen Wi<strong>de</strong>rruf von ihm erwarten könne. Das entsprach<br />

keineswegs <strong>de</strong>r Hoffnung <strong>de</strong>s Kardinals. Er hatte sich geschmeichelt, mit Gewalt und<br />

Einschüchterung zur Unterwerfung zwingen zu können. Mit seinen Helfern jetzt allein<br />

gelassen, blickte er höchst ärgerlich über das unerwartete Mißlingen seiner Anschläge von<br />

einem zum an<strong>de</strong>rn.<br />

Luthers Bemühungen bei diesem Anlaß waren nicht ohne gute Folgen. Die anwesen<strong>de</strong><br />

große Versammlung hatte Gelegenheit die bei<strong>de</strong>n Männer zu vergleichen und sich selbst ein<br />

Urteil zu bil<strong>de</strong>n über <strong>de</strong>n Geist, <strong>de</strong>r sich in ihnen offenbarte, und über die Stärke und die<br />

Wahrhaftigkeit ihrer Stellung. Welch bezeichnen<strong>de</strong>r Unterschied! Luther, einfach,<br />

beschei<strong>de</strong>n, entschie<strong>de</strong>n, stand da in <strong>de</strong>r Kraft Gottes, die Wahrheit auf seiner Seite; <strong>de</strong>r<br />

Vertreter <strong>de</strong>s Papstes, eingebil<strong>de</strong>t, anmaßend, hochmütig und unverständig, ohne auch nur<br />

einen einzigen Beweis aus <strong>de</strong>r Heiligen Schrift, laut schreiend: Wi<strong>de</strong>rrufe o<strong>de</strong>r du wirst<br />

90


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

nach Rom geschickt wer<strong>de</strong>n, um dort die verdiente Strafe zu erlei<strong>de</strong>n! Das Sicherheitsgeleit<br />

Luthers nicht achten wollend, planten die Römlinge, ihn zu ergreifen und einzukerkern.<br />

Seine Freun<strong>de</strong> baten ihn dringend, da es für ihn nutzlos sei, seinen Aufenthalt zu verlängern,<br />

ohne Aufschub nach Wittenberg zurückzukehren, dabei aber äußerst vorsichtig zu Werke zu<br />

gehen, um seine Absichten zu verbergen. Demgemäß verließ er Augsburg vor Tagesanbruch<br />

zu Pfer<strong>de</strong>, nur von einem Führer geleitet, <strong>de</strong>r ihm vom Stadtoberhaupt zur Verfügung<br />

gestellt wur<strong>de</strong>. Unter trüben Ahnungen nahm er heimlich seinen Weg durch die dunklen,<br />

stillen Straßen <strong>de</strong>r Stadt, sannen doch wachsame und grausame Fein<strong>de</strong> auf seinen Untergang!<br />

Wür<strong>de</strong> er <strong>de</strong>n ausgelegten Schlingen entrinnen? Dies waren Augenblicke <strong>de</strong>r Besorgnis und<br />

ernsten Gebets.<br />

Er erreichte ein kleines Tor in <strong>de</strong>r Stadtmauer. Man öffnete ihm, und ohne gehin<strong>de</strong>rt zu<br />

wer<strong>de</strong>n, zog er mit seinem Führer hinaus. Sich außerhalb <strong>de</strong>s Stadtbezirks sicherer fühlend,<br />

beschleunigten die Flüchtlinge ihren Ritt, und ehe noch <strong>de</strong>r Legat von Luthers Abreise<br />

Kenntnis erhielt, befand dieser sich außerhalb <strong>de</strong>s Bereiches seiner Verfolger. Satan und<br />

seine Abgesandten waren überlistet. Der Mann, <strong>de</strong>n sie in ihrer Gewalt glaubten, war<br />

entkommen wie <strong>de</strong>r Vogel <strong>de</strong>n Schlingen <strong>de</strong>s Voglers. Die Nachricht von Luthers Flucht<br />

überraschte und ärgerte <strong>de</strong>n Legaten. Er hatte erwartet, für die Klugheit und Entschie<strong>de</strong>nheit<br />

bei seinen Verhandlungen mit diesem Unruhestifter in <strong>de</strong>r Kirche große Ehren zu<br />

empfangen, fand sich jedoch in seiner Hoffnung getäuscht. Er gab seinem Zorn in einem<br />

Brief an <strong>de</strong>n Kurfürsten von Sachsen, Friedrich <strong>de</strong>n Weisen, Ausdruck, in <strong>de</strong>m er Luther<br />

bitter anschuldigte und verlangte, Friedrich solle <strong>de</strong>n Reformator nach Rom sen<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r aus<br />

Sachsen verbannen.<br />

Zu seiner Rechtfertigung verlangte Luther, daß <strong>de</strong>r Legat o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Papst ihn seiner<br />

Irrtümer aus <strong>de</strong>r Heiligen Schrift überführen solle, und verpflichtete sich feierlichst, seine<br />

Lehren zu wi<strong>de</strong>rrufen, falls nachgewiesen wer<strong>de</strong>n könne, daß sie <strong>de</strong>m Worte Gottes<br />

wi<strong>de</strong>rsprächen. Er dankte Gott, daß er für würdig erachtet wor<strong>de</strong>n sei, um einer so heiligen<br />

Sache willen zu lei<strong>de</strong>n. Der Kurfürst wußte bis dahin nur wenig von <strong>de</strong>n reformierten<br />

Lehren; aber die Aufrichtigkeit, die Kraft und die Klarheit <strong>de</strong>r Worte Luthers machten einen<br />

tiefen Eindruck auf ihn, und er beschloß, so lange als <strong>de</strong>s Reformators Beschützer<br />

aufzutreten, bis dieser <strong>de</strong>s Irrtums überführt wür<strong>de</strong>. Als Erwi<strong>de</strong>rung auf die For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s<br />

päpstlichen Gesandten schrieb er: „Weil <strong>de</strong>r Doktor Martinus vor euch zu Augsburg<br />

erschienen ist, so könnt ihr zufrie<strong>de</strong>n sein. Wir haben nicht erwartet, daß ihr ihn, ohne ihn<br />

wi<strong>de</strong>rlegt zu haben, zum Wi<strong>de</strong>rruf zwingen wollt. Kein Gelehrter in unseren Fürstenhäusern<br />

hat behauptet, daß die Lehre Martins gottlos, unchristlich und ketzerisch sei.“ Der Fürst<br />

weigerte sich, Luther nach Rom zu schicken o<strong>de</strong>r ihn aus seinem Lan<strong>de</strong> zu vertreiben.<br />

Der Kurfürst sah, daß die sittlichen Schranken <strong>de</strong>r Gesellschaft allgemein<br />

zusammenbrachen. Eine große Reform war nötig gewor<strong>de</strong>n. Die verwickelten und<br />

kostspieligen polizeilichen und juristischen Einrichtungen wären unnötig, wenn die<br />

Menschen Gottes Gebote und die Vorschriften eines erleuchteten Gewissens anerkennten<br />

91


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

und ihnen Gehorsam leisteten. Er sah, daß Luther darauf hinarbeitete, dieses Ziel zu<br />

erreichen, und er freute sich heimlich, daß ein besserer Einfluß in <strong>de</strong>r Kirche fühlbar wur<strong>de</strong>.<br />

Er sah auch, daß Luther als Professor an <strong>de</strong>r Universität ungemein erfolgreich war. Nur ein<br />

Jahr war verstrichen, seit <strong>de</strong>r Reformator seine Thesen an die Schloßkirche geschlagen hatte;<br />

die Zahl <strong>de</strong>r Pilger, welche die Kirche aus Anlaß <strong>de</strong>s Allerheiligenfestes besuchten, war<br />

geringer gewor<strong>de</strong>n. Rom war seiner Anbeter und Opfergaben beraubt wor<strong>de</strong>n; aber ihr Platz<br />

wur<strong>de</strong> von einer an<strong>de</strong>rn Gruppe eingenommen, die jetzt nach Wittenberg kam — es waren<br />

nicht etwa Pilger, die hier Reliquien verehren wollten, son<strong>de</strong>rn Stu<strong>de</strong>nten, die die Hörsäle<br />

füllten. Luthers Schriften hatten überall ein neues Verlangen nach <strong>de</strong>r Heiligen Schrift<br />

wachgerufen, und nicht nur aus allen Teilen Deutschlands, son<strong>de</strong>rn auch aus an<strong>de</strong>rn<br />

Län<strong>de</strong>rn strömten <strong>de</strong>r Universität Stu<strong>de</strong>nten zu. Jünglinge, die zum erstenmal <strong>de</strong>r Stadt<br />

Wittenberg ansichtig wur<strong>de</strong>n, „erhoben die Hän<strong>de</strong> gen Himmel, lobten Gott, daß er wie<br />

einst in Zion das Licht <strong>de</strong>r Wahrheit leuchten lasse und es in die fernsten Lan<strong>de</strong> schicke.“<br />

Luther sagte: „Ich sah damals noch sehr wenige Irrtümer <strong>de</strong>s Papstes.“ Als er aber<br />

Gottes Wort mit <strong>de</strong>n päpstlichen Erlassen verglich, schrieb er voll Erstaunen: „Ich gehe die<br />

Dekrete <strong>de</strong>r Päpste für meine Disputation durch und bin — ich sage dir‘s ins Ohr —<br />

ungewiß, ob <strong>de</strong>r Papst <strong>de</strong>r Antichrist selbst ist o<strong>de</strong>r ein Apostel <strong>de</strong>s Antichrist; elendiglich<br />

wird Christus, d.h. die Wahrheit von ihm in <strong>de</strong>n Dekreten gekreuzigt.“1 Aber noch immer<br />

war Luther ein Anhänger <strong>de</strong>r römischen Kirche und dachte nicht daran, sich von ihr<br />

leichtfertig und unüberlegt zu trennen. Die Schriften und Lehren <strong>de</strong>s Reformators gingen zu<br />

allen Nationen <strong>de</strong>r Christenheit. Das Werk <strong>de</strong>hnte sich bis in die Schweiz und nach Holland<br />

aus. Abschriften seiner Werke fan<strong>de</strong>n ihren Weg nach Frankreich und Spanien. In England<br />

wur<strong>de</strong>n seine Lehren als das Wort <strong>de</strong>s Lebens aufgenommen. Auch nach Belgien und Italien<br />

drang die Wahrheit. Tausen<strong>de</strong> erwachten aus einer to<strong>de</strong>sähnlichen Erstarrung zu <strong>de</strong>r Freu<strong>de</strong><br />

und Hoffnung eines Glaubenslebens.<br />

Die Angriffe Luthers erbitterten Rom mehr und mehr, und einige seiner fanatischen<br />

Gegner, ja selbst Doktoren katholischer Universitäten erklärten, daß, wer Luther ermor<strong>de</strong>,<br />

keine Sün<strong>de</strong> begehe. Eines Tages näherte sich <strong>de</strong>m Reformator ein Frem<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r eine Pistole<br />

unter <strong>de</strong>m Mantel verborgen hatte, und fragte ihn, warum er so allein gehe. „Ich stehe in<br />

Gottes Hand“, antwortete Luther. „Er ist meine Kraft und mein Schild. Was kann mir ein<br />

Mensch tun?“1 Als <strong>de</strong>r Unbekannte diese Worte hörte, erblaßte er und floh wie vor<br />

himmlischen Engeln.<br />

Rom hatte die Vernichtung Luthers beschlossen; aber Gott war seine Wehr. Überall<br />

vernahm man seine Lehren, „in Hütten und Klöstern, in Ritterburgen, in Aka<strong>de</strong>mien und<br />

königlichen Palästen“; und überall erhoben sich edle, aufrichtige Männer, um seine<br />

Anstrengungen zu unterstützen. Um diese Zeit las Luther Hus‘ Werke und als er dabei fand,<br />

daß auch <strong>de</strong>r böhmische Reformator die große Wahrheit <strong>de</strong>r Rechtfertigung durch <strong>de</strong>n<br />

Glauben hochgehalten hatte, schrieb er: „Ich habe bisher unbewußt alle seine Lehren<br />

vorgetragen und behauptet ... Wir sind Hussiten, ohne es zu wissen; schließlich sind auch<br />

92


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Paulus und Augustin bis aufs Wort Hussiten. Ich weiß vor starrem Staunen nicht, was ich<br />

<strong>de</strong>nken soll, wenn ich die schrecklichen Gerichte Gottes in <strong>de</strong>r Menschheit sehe, daß die<br />

offenkundige evangelische Wahrheit schon seit über hun<strong>de</strong>rt Jahren öffentlich verbrannt ist<br />

und für verdammt gilt.“<br />

In einem Sendbrief an <strong>de</strong>n Kaiser und <strong>de</strong>n christlichen A<strong>de</strong>l <strong>de</strong>utscher Nation zur<br />

Besserung <strong>de</strong>s christlichen Stan<strong>de</strong>s schrieb Luther über <strong>de</strong>n Papst: „Es ist greulich und<br />

erschrecklich anzusehen, daß <strong>de</strong>r Oberste in <strong>de</strong>r Christenheit, <strong>de</strong>r sich Christi Statthalter und<br />

Petri Nachfolger rühmt, so weltlich und prächtig fährt, daß ihn darin kein König, kein<br />

Kaiser mag erlangen und gleich wer<strong>de</strong>n ... Gleicht sich das mit <strong>de</strong>m armen Christus und St.<br />

Peter, so ist‘s ein neues Gleichen.“ „Sie sprechen, er sei ein Herr <strong>de</strong>r Welt; das ist erlogen,<br />

<strong>de</strong>nn Christus, <strong>de</strong>s Statthalter und Amtmann er sich rühmet, sprach vor Pilatus: ‚Mein Reich<br />

ist nicht von dieser Welt‘. Es kann doch kein Statthalter weiter regieren <strong>de</strong>nn sein<br />

Herr.“ Von <strong>de</strong>n Universitäten schrieb er folgen<strong>de</strong>s: „Ich habe große Sorge, die hohen<br />

Schulen seien große Pforten <strong>de</strong>r Hölle, so sie nicht emsiglich die Heilige Schrift üben und<br />

treiben ins junge Volk.“ „Wo aber die Heilige Schrift nicht regiert, da rate ich fürwahr<br />

niemand, daß er sein Kind hintue. Es muß ver<strong>de</strong>rben alles, was nicht Gottes Wort ohne<br />

Unterlaß treibt.“<br />

Dieser Aufruf verbreitete sich mit Win<strong>de</strong>seile über ganz Deutschland und übte einen<br />

mächtigen Einfluß auf das Volk aus. Die ganze Nation war in Erregung und große Scharen<br />

wur<strong>de</strong>n angetrieben, sich um die Fahne <strong>de</strong>r Reformation zu sammeln. Luthers Gegner<br />

drangen voller Rachegelüste in <strong>de</strong>n Papst, entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Maßnahmen gegen ihn zu treffen.<br />

Es wur<strong>de</strong> beschlossen, Luthers Lehren sofort zu verdammen. Sechzig Tage wur<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m<br />

Reformator und seinen Anhängern gewährt, zu wi<strong>de</strong>rrufen; nach dieser Zeit sollten sie sonst<br />

aus <strong>de</strong>r Gemeinschaft <strong>de</strong>r Kirche ausgeschlossen wer<strong>de</strong>n.<br />

Dies war die Zeit einer großen Entscheidung für die Reformation. Jahrhun<strong>de</strong>rtelang<br />

hatte Rom durch das Verhängen <strong>de</strong>s Kirchenbannes mächtigen Monarchen Schrecken<br />

eingeflößt und gewaltige Reiche mit Elend und Verwüstung erfüllt. Alle von Roms Fluch<br />

Betroffenen wur<strong>de</strong>n allgemein mit Furcht und Entsetzen angesehen; sie wur<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>m<br />

Verkehr mit ihren Glaubensbrü<strong>de</strong>rn ausgeschlossen und als Geächtete behan<strong>de</strong>lt, die man<br />

hetzen müsse, bis sie ausgerottet seien. Luther war nicht blind gegen <strong>de</strong>n über ihn<br />

hereinbrechen<strong>de</strong>n Sturm; aber er stand fest, vertrauend auf Christus, <strong>de</strong>r sein Helfer und sein<br />

Schirm sei. Mit <strong>de</strong>m Glauben und <strong>de</strong>m Mut eines Märtyrers schrieb er: „Wie soll es wer<strong>de</strong>n?<br />

Ich bin blind für die Zukunft und nicht darum besorgt sie zu wissen ... Wohin <strong>de</strong>r Schlag<br />

fällt, wird mich ruhig lassen ... Kein Baumblatt fällt auf die Er<strong>de</strong> ohne <strong>de</strong>n Willen <strong>de</strong>s<br />

Vaters, wieviel weniger wir ... Es ist ein geringes, daß wir um <strong>de</strong>s Wortes willen sterben<br />

o<strong>de</strong>r umkommen, da er selbst im Fleisch erst für uns gestorben ist. Also wer<strong>de</strong>n wir mit<br />

<strong>de</strong>mselben aufstehen, mit welchem wir umkommen und mit ihm durchgehen, wo er zuerst<br />

durchgegangen ist, daß wir endlich dahin kommen, wohin er auch gekommen ist und bei<br />

ihm bleiben ewiglich.“<br />

93


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Als die päpstliche Bulle Luther erreichte, schrieb er: „Endlich ist die römische Bulle mit<br />

Eck angekommen ... Ich verlache sie nur und greife sie jetzt als gottlos und lügenhaft ganz<br />

eckianisch an. Ihr sehet, daß Christus selbst darin verdammt wer<strong>de</strong> ... Ich freue mich aber<br />

doch recht herzlich, daß mir um <strong>de</strong>r besten Sache willen Böses wi<strong>de</strong>rfahre ... Ich bin nun<br />

viel freier, nach<strong>de</strong>m ich gewiß weiß, daß <strong>de</strong>r Papst als <strong>de</strong>r Antichrist und <strong>de</strong>s Satans Stuhl<br />

offenbarlich erfun<strong>de</strong>n sei.“ Doch <strong>de</strong>r Erlaß Roms blieb nicht wirkungslos. Gefängnis, Folter<br />

und Schwert erwiesen sich als mächtige Waffen, um Gehorsam zu erzwingen. Schwache<br />

und Abergläubische erzitterten vor <strong>de</strong>m Erlaß <strong>de</strong>s Papstes. Während man Luther allgemein<br />

Teilnahme bekun<strong>de</strong>te hielten doch viele ihr Leben für zu kostbar,um es für die Reformation<br />

zu wagen. Alles schien darauf hinzu<strong>de</strong>uten, daß sich das Werk <strong>de</strong>s Reformators seinem<br />

Abschluß näherte.<br />

Luther aber blieb noch immer furchtlos. Rom hatte seine Bannflüche gegen ihn<br />

geschleu<strong>de</strong>rt, und die Welt schaute zu in <strong>de</strong>r sicheren Erwartung, daß er ver<strong>de</strong>rben o<strong>de</strong>r sich<br />

unterwerfen müsse. Doch mit schrecklicher Gewalt schleu<strong>de</strong>rte er das Verdammungsurteil<br />

auf seinen Urheber zurück und erklärte öffentlich seinen Entschluß, auf immer mit Rom zu<br />

brechen. In Gegenwart einer großen Anzahl von Stu<strong>de</strong>nten, Gelehrten und Bürgersleuten<br />

jeglichen Ranges verbrannte Luther die päpstliche Bulle, auch die Dekretalien und an<strong>de</strong>re<br />

Schriftstücke seiner Gegner, die Roms Macht unterstützten. Er begrün<strong>de</strong>te sein Vorgehen<br />

mit <strong>de</strong>n Worten: „Dieweil durch ihr solch Bücherverbrennen <strong>de</strong>r Wahrheit ein großer<br />

Nachteil und bei <strong>de</strong>m schlechten, gemeinen Volk ein Wahn dadurch erfolgen möchte zu<br />

vieler Seelen Ver<strong>de</strong>rben, habe ich ... <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rsacher Bücher wie<strong>de</strong>rum verbannt.“ „Es<br />

sollen diese ein Anfang <strong>de</strong>s Ernstes sein; <strong>de</strong>nn ich bisher doch nur gescherzt und gespielt<br />

habe mit <strong>de</strong>s Papstes Sache. Ich habe es in Gottes Namen angefangen; hoffe, es sei an <strong>de</strong>r<br />

Zeit, daß es auch in <strong>de</strong>mselben ohne mich sich selbst ausführe.“<br />

Auf die Vorwürfe seiner Fein<strong>de</strong>, die ihn mit <strong>de</strong>r Schwäche seiner Sache stichelten,<br />

erwi<strong>de</strong>rte Luther: „Wer weiß, ob mich Gott dazu berufen und erweckt hat und ihnen zu<br />

fürchten ist, daß sie nicht Gott in mir verachten ... Mose war allein im Ausgang von<br />

Ägypten, Elia allein zu König Ahabs Zeiten, Elisa auch allein nach ihm; Jesaja war allein in<br />

Jerusalem ... Hesekiel allein zu Babylon ... Dazu hat er noch nie <strong>de</strong>n obersten Priester o<strong>de</strong>r<br />

an<strong>de</strong>re hohe Stän<strong>de</strong> zu Propheten gemacht; son<strong>de</strong>rn gemeiniglich niedrige, verachtete<br />

Personen auferweckt, auch zuletzt <strong>de</strong>n Hirten Amos ... Also haben die lieben Heiligen<br />

allezeit wi<strong>de</strong>r die Obersten, Könige, Fürsten, Priester, Gelehrten predigen und schelten<br />

müssen, <strong>de</strong>n Hals daran wagen und lassen ... Ich sage nicht, daß ich ein Prophet sei; ich sage<br />

aber, daß ihnen so vielmehr zu fürchten ist, ich sei einer, so vielmehr sie mich verachten und<br />

sich selbst achten ... so bin ich jedoch gewiß für mich selbst, daß das Wort Gottes bei mir<br />

und nicht bei ihnen ist.“ Aber nicht ohne gewaltigen inneren Kampf entschloß sich Luther<br />

schließlich zu einer Trennung von Rom. Etwa um diese Zeit schrieb er: „Ich empfin<strong>de</strong><br />

täglich bei mir, wie gar schwer es ist, langwährige Gewissen, und mit menschlichen<br />

Satzungen gefangen, abzulegen. Oh, mit wie viel großer Mühe und Arbeit, auch durch<br />

gegrün<strong>de</strong>te Heilige Schrift, habe ich mein eigen Gewissen kaum können rechtfertigen, daß<br />

94


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

ich einer allein wi<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Papst habe dürfen auftreten, ihn für <strong>de</strong>n Antichrist halten ... Wie<br />

oft hat mein Herz gezappelt, mich gestraft, und mir vorgeworfen ihr einig stärkstes<br />

Argument: Du bist allein klug? Sollten die an<strong>de</strong>rn alle irren, und so eine lange Zeit geirrt<br />

haben? Wie, wenn du irrest und so viele Leute in <strong>de</strong>n Irrtum verführest, welche alle<br />

ewiglich verdammt wür<strong>de</strong>n? Bis so lang, daß mich Christus mit seinem einigen gewissen<br />

Wort befestigt und bestätigt hat, daß mein Herz nicht mehr zappelt.“<br />

Der Papst hatte Luther <strong>de</strong>n Kirchenbann angedroht, falls er nicht wi<strong>de</strong>rrufen sollte, und<br />

die Drohung wur<strong>de</strong> jetzt ausgeführt. Eine neue Bulle erschien, welche die endgültige<br />

Trennung <strong>de</strong>s Reformators von <strong>de</strong>r römischen Kirche aussprach, ihn als vom Himmel<br />

verflucht erklärte und in die gleiche Verdammung alle einschloß, die seine Lehren<br />

annehmen wür<strong>de</strong>n. Der große Kampf hatte nun mit aller Gewalt begonnen. Wi<strong>de</strong>rstand ist<br />

das Schicksal aller, die Gott benutzt, um Wahrheiten, die beson<strong>de</strong>rs für ihre Zeit gelten, zu<br />

verkündigen. Es gab eine gegenwärtige Wahrheit in <strong>de</strong>n Tagen Luthers — eine Wahrheit,<br />

die zu jener Zeit von beson<strong>de</strong>rer Wichtigkeit war; es gibt auch eine gegenwärtige Wahrheit<br />

für die heutige Kirche. Gott, <strong>de</strong>r alles nach <strong>de</strong>m Rat seines Willens vollzieht, hat es gefallen,<br />

die Menschen in verschie<strong>de</strong>ne Verhältnisse zu bringen und ihnen Pflichten aufzuerlegen, die<br />

<strong>de</strong>r Zeit, in <strong>de</strong>r sie leben, und <strong>de</strong>n Umstän<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>nen sie sich befin<strong>de</strong>n, entsprechen.<br />

Wür<strong>de</strong>n sie das ihnen verliehene Licht wertschätzen, so wür<strong>de</strong> ihnen auch die Wahrheit in<br />

höherem Maße offenbart wer<strong>de</strong>n.<br />

Aber die Mehrzahl <strong>de</strong>r Menschen begehrt die Wahrheit heutzutage ebensowenig zu<br />

wissen wie damals die Römlinge, die Luther wi<strong>de</strong>rstan<strong>de</strong>n. Es besteht noch heute die<br />

gleiche Neigung wie in früheren Zeiten, statt <strong>de</strong>s Wortes Gottes Überliefe rungen und<br />

menschliche <strong>Theorie</strong>n anzunehmen. Wer die Wahrheit für diese Zeit bringt, darf nicht<br />

erwarten, eine günstigere Aufnahme zu fin<strong>de</strong>n als die früheren Reformatoren. Der große<br />

Kampf zwischen Wahrheit und Irrtum, zwischen Christus und Satan wird bis zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Geschichte dieser Welt an Heftigkeit zunehmen. Jesus sagte zu seinen Jüngern: „Wäret ihr<br />

von <strong>de</strong>r Welt, so hätte die Welt das Ihre lieb; weil ihr aber nicht von <strong>de</strong>r Welt seid, son<strong>de</strong>rn<br />

ich habe euch von <strong>de</strong>r Welt erwählt, darum haßt euch die Welt. Ge<strong>de</strong>nket an mein Wort, das<br />

ich euch gesagt habe: ‚Der Knecht ist nicht größer <strong>de</strong>nn sein Herr.‘ Haben sie mich verfolgt,<br />

sie wer<strong>de</strong>n euch auch verfolgen; haben sie mein Wort gehalten, so wer<strong>de</strong>n sie eures auch<br />

halten.“ Johannes 15,19.20. An<strong>de</strong>rseits erklärte unser Heiland <strong>de</strong>utlich: „Weh euch, wenn<br />

euch je<strong>de</strong>rmann wohlre<strong>de</strong>t! Desgleichen taten ihre Väter <strong>de</strong>n falschen Propheten<br />

auch.“ Lukas 6,26. Der Geist <strong>de</strong>r Welt steht heute <strong>de</strong>m Geist Christi nicht näher als in<br />

früheren Zeiten. Wer das Wort Gottes in seiner Reinheit verkündigt, wird heute nicht<br />

willkommener sein als damals. Die Art und Weise <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rstan<strong>de</strong>s gegen die Wahrheit<br />

mag sich än<strong>de</strong>rn, die Feindschaft mag weniger offen sein, weil sie verschlagener ist; aber<br />

dieselbe Feindschaft besteht noch und wird bis zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Zeit sichtbar sein.<br />

95


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

96


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 8- Luther vor <strong>de</strong>m Reichstag<br />

Ein neuer Kaiser, Karl V., hatte <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Thron bestiegen, und die römischen<br />

Legaten beeilten sich, um ihre Glückwünsche darzubringen und <strong>de</strong>n Monarchen zu bewegen,<br />

seine Macht gegen die Reformation einzusetzen. Auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rn Seite ersuchte ihn <strong>de</strong>r<br />

Kurfürst von Sachsen, <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Kaiser zum großen Teil seine Krone verdankte, keine<br />

Schritte gegen Luther zu unternehmen, bevor er ihn gehört hätte. Der Kaiser sah sich auf<br />

diese Weise in eine sehr schwierige Lage versetzt. Die Römlinge wür<strong>de</strong>n mit nichts<br />

Geringerem als einem kaiserlichen Erlaß zufrie<strong>de</strong>n sein, <strong>de</strong>r Luther zum To<strong>de</strong> verurteilte.<br />

Der Kurfürst hatte nachdrücklich erklärt, we<strong>de</strong>r Seine Kaiserliche Majestät noch sonst<br />

jemand hätte nachgewiesen, daß Luthers Schriften wi<strong>de</strong>rlegt seien, er verlange <strong>de</strong>shalb, daß<br />

Luther unter sicherem Geleit vor gelehrten, frommen und unparteiischen Richtern erscheine.<br />

Die Aufmerksamkeit aller Parteien richtete sich nun auf die Versammlung <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>utschen Län<strong>de</strong>r, die kurz nach Karls Thronbesteigung in Worms tagte. Wichtige<br />

politische Fragen und Belange sollten auf diesem Reichstag erörtert wer<strong>de</strong>n; zum erstenmal<br />

sollten die <strong>de</strong>utschen Fürsten ihrem jugendlichen Monarchen auf einer Ratsversammlung<br />

begegnen. Aus allen <strong>de</strong>utschen Lan<strong>de</strong>n hatten sich die Wür<strong>de</strong>nträger <strong>de</strong>r Kirche und <strong>de</strong>s<br />

Reiches eingefun<strong>de</strong>n. Der weltliche A<strong>de</strong>l, gewaltig und eifersüchtig auf seine Erbrechte<br />

bedacht; Kirchenfürsten, stolz in <strong>de</strong>m Bewußtsein ihrer Überlegenheit an Rang und Macht;<br />

höfische Ritter und ihr bewaffnetes Gefolge; Gesandte aus frem<strong>de</strong>n und fernen Län<strong>de</strong>rn —<br />

alle versammelten sich in Worms. Und auf dieser großartigen Versammlung erregte die<br />

Sache <strong>de</strong>s sächsischen Reformators die größte Aufmerksamkeit.<br />

Karl hatte zuvor <strong>de</strong>n Kurfürsten angewiesen, Luther mit auf <strong>de</strong>n Reichstag zu bringen;<br />

er hatte ihn seines Schutzes versichert und ihm eine freie Erörterung mit maßgeben<strong>de</strong>n<br />

Personen zugesagt, um die strittigen Punkte zu besprechen. Luther sah seinem Erscheinen<br />

vor <strong>de</strong>m Kaiser mit Spannung entgegen. Seine Gesundheit hatte zu jener Zeit sehr gelitten;<br />

doch schrieb er an <strong>de</strong>n Kurfürsten: „Ich wer<strong>de</strong>, wenn man mich ruft, kommen, so weit an<br />

mir liegt, ob ich mich auch krank müßte hinfahren lassen, <strong>de</strong>nn man darf nicht zweifeln, daß<br />

ich von <strong>de</strong>m Herrn gerufen wer<strong>de</strong>, wenn <strong>de</strong>r Kaiser mich ruft. Greifen sie zur Gewalt, wie<br />

es wahrscheinlich ist — <strong>de</strong>nn dazu, um belehrt zu wer<strong>de</strong>n, lassen sie mich nicht rufen —, so<br />

muß man <strong>de</strong>m Herrn die Sache befehlen; <strong>de</strong>nnoch lebt und regiert <strong>de</strong>rselbige, <strong>de</strong>r die drei<br />

Knaben im Feuerofen <strong>de</strong>s Königs von Babylon erhalten hat. Will er mich nicht erhalten, so<br />

ist‘s um meinen Kopf eine geringe Sache ... man muß nur dafür sorgen, daß wir das<br />

Evangelium, das wir begonnen, <strong>de</strong>n Gottlosen nicht zum Spott wer<strong>de</strong>n lassen ... Wir wollen<br />

lieber unser Blut dafür vergießen. Wir können nicht wissen, ob durch unser Leben o<strong>de</strong>r<br />

unsern Tod <strong>de</strong>m allgemeinen Wohle mehr genützt wer<strong>de</strong> ... Nimm von mir alles, nur nicht,<br />

daß ich fliehe o<strong>de</strong>r wi<strong>de</strong>rrufe: Fliehen will ich nicht, wi<strong>de</strong>rrufen noch viel weniger.“<br />

Als sich in Worms die Nachricht verbreitete, daß Luther vor <strong>de</strong>m Reichstag erscheinen<br />

sollte, rief sie allgemeine Aufregung hervor. Der päpstliche Gesandte, Alean<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r<br />

97


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Fall beson<strong>de</strong>rs anvertraut wor<strong>de</strong>n war, geriet in Unruhe und Wut. Er sah, daß die Folgen für<br />

die päpstliche Sache unheilvoll wer<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>n. Eine Untersuchung anzustellen in einem<br />

Fall, in <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Papst bereits das Verdammungsurteil ausgesprochen hatte, hieße die<br />

Autorität <strong>de</strong>s unumschränkten Priesterfürsten geringzuschätzen. Er befürchtete auch, daß die<br />

beredten und eindringlichen Beweisführungen dieses Mannes viele Fürsten von <strong>de</strong>r Sache<br />

<strong>de</strong>s Papstes abspenstig machen könnten. Er erhob <strong>de</strong>shalb vor Kaiser Karl in dringlicher<br />

Weise Einwendungen gegen das Erscheinen Luthers vor <strong>de</strong>m Reichstag. Ungefähr um diese<br />

Zeit wur<strong>de</strong> die Bulle, welche Luthers Exkommunikation erklärte, veröffentlicht. Diese<br />

Tatsache sowie die Vorstellungen <strong>de</strong>s Legaten veranlaßten <strong>de</strong>n Kaiser nachzugeben. Er<br />

schrieb <strong>de</strong>m Kurfürsten von Sachsen, Friedrich <strong>de</strong>m Weisen, daß <strong>de</strong>r Martinus Luther in<br />

Wittenberg bleiben müsse, wenn er nicht wi<strong>de</strong>rrufen wolle.<br />

Nicht zufrie<strong>de</strong>n mit diesem Sieg, wirkte Alean<strong>de</strong>r mit aller ihm zu Gebote stehen<strong>de</strong>n<br />

Macht und Schlauheit darauf hin, Luthers Verurteilung zu erreichen. Mit einer<br />

Beharrlichkeit, die einer besseren Sache würdig gewesen wäre, lenkte er die<br />

Aufmerksamkeit <strong>de</strong>r Fürsten, Prälaten und an<strong>de</strong>rer Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Versammlung auf Luther,<br />

in<strong>de</strong>m er <strong>de</strong>n Reformator <strong>de</strong>s Aufstan<strong>de</strong>s, <strong>de</strong>r Empörung, <strong>de</strong>r Gottlosigkeit und<br />

Gotteslästerung beschuldigte. Aber die Heftigkeit und Lei<strong>de</strong>nschaft, die <strong>de</strong>r Legat an <strong>de</strong>n<br />

Tag legte, zeigten nur zu <strong>de</strong>utlich, wessen Geist ihn antrieb. Man fühlte allgemein, „es sei<br />

mehr Neid und Rachelust als Eifer <strong>de</strong>r Frömmigkeit, die ihn aufreizten“. Die Mehrzahl <strong>de</strong>r<br />

Reichsstän<strong>de</strong> war geneigter <strong>de</strong>nn je, Luthers Sache günstig zu beurteilen.<br />

Mit doppeltem Eifer drang Alean<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Kaiser, daß es seine Pflicht sei, die<br />

päpstlichen Erlasse auszuführen. Das konnte jedoch unter <strong>de</strong>n bestehen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen<br />

Gesetzen nicht ohne die Zustimmung <strong>de</strong>r Fürsten geschehen. Schließlich gestattete Karl<br />

<strong>de</strong>m Legaten, seine Sache vor <strong>de</strong>n Reichstag zu bringen. „Es war ein großer Tag für <strong>de</strong>n<br />

Nuntius. Die Versammlung war groß, noch größer war die Sache. Alean<strong>de</strong>r sollte für Rom,<br />

die Mutter und Herrin aller Kirchen, das Wort führen.“ Er sollte vor <strong>de</strong>n versammelten<br />

Machthabern <strong>de</strong>r Christenheit das Fürstentum Petri rechtfertigen. „Er hatte die Gabe <strong>de</strong>r<br />

Beredsamkeit und zeigte sich <strong>de</strong>r Erhabenheit <strong>de</strong>s Anlasses gewachsen. Die Vorsehung<br />

wollte es, daß Rom vor <strong>de</strong>m erlauchtesten Tribunal erscheinen und seine Sache durch <strong>de</strong>n<br />

begabtesten seiner Redner vertreten wer<strong>de</strong>n sollte, ehe es verdammt wür<strong>de</strong>.“ Mit Besorgnis<br />

sahen die Gönner <strong>de</strong>s Reformators <strong>de</strong>r Wirkung <strong>de</strong>r Re<strong>de</strong> Alean<strong>de</strong>rs entgegen. Der Kurfürst<br />

von Sachsen war nicht zugegen, doch wohnten nach seiner Bestimmung etliche seiner Räte<br />

bei, um die Re<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Nuntius berichten zu können.<br />

Alean<strong>de</strong>r bot alle Gelehrsamkeit und Re<strong>de</strong>kunst auf, um die Wahrheit zu stürzen.<br />

Beschuldigung auf Beschuldigung schleu<strong>de</strong>rte er gegen Luther, <strong>de</strong>n er einen Feind <strong>de</strong>r<br />

Kirche und <strong>de</strong>s Staates, <strong>de</strong>r Leben<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>r Toten, <strong>de</strong>r Geistlichkeit und <strong>de</strong>r Laien, <strong>de</strong>r<br />

Konzilien und <strong>de</strong>r einzelnen Christen nannte. Er sagte, in Luthers Schriften seien so viele<br />

Irrtümer, daß hun<strong>de</strong>rttausend Ketzer ihrethalben verbrannt wer<strong>de</strong>n könnten. Zum Schluß<br />

versuchte er, die Anhänger <strong>de</strong>r Reformation verächtlich zu machen. „Wieviel zahlreicher,<br />

98


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

gelehrter und an jenen Gaben, die im Wettstreit <strong>de</strong>n Ausschlag geben, überlegener ist doch<br />

die katholische Partei! Die berühmtesten Universitäten haben Luther verurteilt. Wer<br />

dagegen sind diese Lutheraner? Ein Haufe unverschämter Universitätslehrer, ver<strong>de</strong>rbter<br />

Priester, unor<strong>de</strong>ntlicher Mönche, unwissen<strong>de</strong>r Advokaten, herabgekommener Adliger und<br />

verführten Pöbels. Ein einstimmiger Beschluß dieser erlauchten Versammlung wird die<br />

Einfältigen belehren, die Unklugen warnen, die Schwanken<strong>de</strong>n festigen und die Schwachen<br />

stärken.“<br />

Mit solchen Waffen sind die Verteidiger <strong>de</strong>r Wahrheit zu je<strong>de</strong>r Zeit angegriffen wor<strong>de</strong>n.<br />

Die gleichen Beweise wer<strong>de</strong>n noch immer gegen alle vorgebracht, die es wagen, <strong>de</strong>n<br />

eingebürgerten Irrtümern die klaren und <strong>de</strong>utlichen Lehren <strong>de</strong>s Wortes Gottes<br />

gegenüberzustellen. Wer sind diese Prediger neuer Lehren? rufen die aus, welche eine<br />

volkstümliche Religion begehren. Es sind Ungebil<strong>de</strong>te, gering an Zahl und aus <strong>de</strong>n ärmeren<br />

Stan<strong>de</strong>; doch behaupten sie, die Wahrheit zu haben und das auserwählte Volk Gottes zu sein.<br />

Sie sind unwissend und betrogen. Wie hoch steht unsere Kirche an Zahl und Einfluß über<br />

ihnen! Wie viele Gelehrte und große Männer sind in unseren Reihen, wieviel mehr Macht<br />

auf unserer Seite! — Dies sind Beweise, die einen entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Einfluß auf die Welt<br />

haben, die heute genauso verfangen wie in <strong>de</strong>n Tagen <strong>de</strong>s Reformators.<br />

Die Reformation en<strong>de</strong>te nicht mit Luther, wie viele annehmen; sie muß bis zum En<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Geschichte dieser Welt fortgesetzt wer<strong>de</strong>n. Luthers großes Werk bestand darin, das<br />

Licht, das Gott ihm scheinen ließ, auf an<strong>de</strong>re geworfen zu haben; doch er hatte nicht alles<br />

Licht empfangen, das <strong>de</strong>r Welt scheinen sollte. Von jener Zeit an bis in die Gegenwart<br />

haben fortwährend neue Erkenntnisse die Heilige Schrift erhellt, und seither sind ständig<br />

neue göttliche Wahrheiten enthüllt wor<strong>de</strong>n. Die Ansprache <strong>de</strong>s Legaten machte auf die<br />

Großen <strong>de</strong>s Reiches tiefen Eindruck. Kein Luther war da, um <strong>de</strong>n päpstlichen Vertreter<br />

durch die klaren und überzeugen<strong>de</strong>n Wahrheiten <strong>de</strong>s Wortes Gottes entgegenzutreten. Kein<br />

Versuch wur<strong>de</strong> gemacht, <strong>de</strong>n Reformator zu verteidigen. Man war allgemein geneigt, nicht<br />

nur ihn und seine Lehren zu verdammen, son<strong>de</strong>rn wenn möglich auch alle Ketzerei<br />

auszurotten. Rom hatte die günstigste Gelegenheit gehabt, seine Sache zu verteidigen. Alles,<br />

was es zu seiner Rechtfertigung sagen konnte, war gesagt wor<strong>de</strong>n. Aber <strong>de</strong>r scheinbare Sieg<br />

trug die Zeichen <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlage. Künftighin wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gegensatz zwischen Wahrheit und<br />

Irrtum <strong>de</strong>utlicher erkannt wer<strong>de</strong>n, da bei<strong>de</strong> sich im offenem Kampf messen sollten. Von<br />

jenem Tage an sollte Rom nie mehr so sicher stehen, wie es bis dahin gestan<strong>de</strong>n hatte.<br />

Während die meisten Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Reichstages Luther <strong>de</strong>r Rache Roms übergeben<br />

wollten, sahen und beklagten viele die in <strong>de</strong>r Kirche herrschen<strong>de</strong> Ver<strong>de</strong>rblichkeit und<br />

wünschten die Beseitigung <strong>de</strong>r Mißbräuche, die das <strong>de</strong>utsche Volk infolge <strong>de</strong>r<br />

Verkommenheit und <strong>de</strong>r Gewinnsucht <strong>de</strong>r Priesterherrschaft dul<strong>de</strong>n mußte. Der Legat hatte<br />

Roms Herrschaft im günstigsten Licht dargestellt. Nun bewog <strong>de</strong>r Herr ein Mitglied <strong>de</strong>s<br />

Reichstages, die Wirkung <strong>de</strong>r päpstlichen Gewaltherrschaft wahrheitsgetreu zu schil<strong>de</strong>rn.<br />

Mit edler Entschie<strong>de</strong>nheit erhob sich Herzog Georg von Sachsen in jener fürstlichen<br />

99


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Versammlung und beschrieb mit unerbittlicher Genauigkeit die Betrügereien und Greuel <strong>de</strong>s<br />

Papsttums und <strong>de</strong>ren schlimme Folgen. Zum Schluß sagte er:<br />

„Da ist keine Scham in Herausstreichung und Erhebung <strong>de</strong>s Ablasses, man suchet nur,<br />

daß man viel Geld zusammenbringe; also geschieht, daß die Priester, welche die Wahrheit<br />

lehren sollten, nichts als Lügen und Betrug <strong>de</strong>n Leuten vorschwatzen. Das dul<strong>de</strong>t man und<br />

diesen Leuten lohnet man,weil je mehr Geld in <strong>de</strong>n Kasten kommt,je mehr die Leute<br />

beschwatzt wer<strong>de</strong>n. Aus diesem ver<strong>de</strong>rbten Brunnen fließt ein groß Ärgernis in die Bäche<br />

heraus ... plagen die Armen mit Bußen ihrer Sün<strong>de</strong>n wegen, verschonen die Reichen,<br />

übergehen die Priester ... Daher nötig ist eine allgemeine Reformation anzustellen, welche<br />

nicht füglicher als in einem allgemeinen Konzil zu erhalten ist; darum bitten wir alle,<br />

solches mit höchstem Fleiß zu för<strong>de</strong>rn.“<br />

Luther selbst hätte die Mißbräuche nicht vortrefflicher und wirksamer geißeln können.<br />

Die Tatsache aber, daß <strong>de</strong>r Redner ein entschlossener Feind <strong>de</strong>s Reformators war, verlieh<br />

seinen Worten <strong>de</strong>sto mehr Nachdruck. Wären <strong>de</strong>n Versammelten die Augen geöffnet<br />

wor<strong>de</strong>n, so hätten sie Engel Gottes in ihrer Mitte erblickt, die durch die Finsternis <strong>de</strong>s<br />

Irrtums Strahlen <strong>de</strong>s Lichts aussandten und Gemüter und Herzen <strong>de</strong>r Wahrheit öffneten.<br />

Selbst die Gegner <strong>de</strong>r Reformation zeigten sich von <strong>de</strong>r Macht <strong>de</strong>s Gottes <strong>de</strong>r Wahrheit und<br />

Weisheit beeinflußt, und auf diese Weise wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Weg für das große Werk bereitet, das<br />

nun vollbracht wer<strong>de</strong>n sollte. Martin Luther war nicht anwesend, aber man hatte eine<br />

einflußreichere Stimme als die Luthers in jener Versammlung gehört.<br />

Sofort wur<strong>de</strong> vom Reichstag ein Ausschuß bestimmt, um eine Liste <strong>de</strong>r päpstlichen<br />

Mißbräuche aufzustellen, die so schwer auf <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utschen Volk lasteten. Dieses<br />

Verzeichnis, das 101 Beschwer<strong>de</strong>n enthielt, wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>m Kaiser mit <strong>de</strong>m Gesuch unterbreitet,<br />

sofortige Schritte zur Beseitigung dieser Mißbräuche zu unternehmen. „Es gehen so viele<br />

Seelen verloren“, sagten die Bitten<strong>de</strong>n, „so viele Räubereien, Bestechungen fin<strong>de</strong>n statt,<br />

weil das geistliche Oberhaupt <strong>de</strong>r Christenheit sie gestattet. Es muß <strong>de</strong>m Untergang und <strong>de</strong>r<br />

Schan<strong>de</strong> unseres Volkes vorgebeugt wer<strong>de</strong>n. Wir bitten euch untertänigst und inständigst,<br />

dahin zu wirken, daß eine Besserung und gemeine Reformation geschehe.“<br />

Die Reichsstän<strong>de</strong> drangen auf das Erscheinen Luthers. Ungeachtet aller Bitten,<br />

Einwän<strong>de</strong> und Drohungen Alean<strong>de</strong>rs willigte <strong>de</strong>r Kaiser schließlich doch ein, und Luther<br />

wur<strong>de</strong> aufgefor<strong>de</strong>rt, vor <strong>de</strong>m Reichstag zu erscheinen. Mit <strong>de</strong>r Auffor<strong>de</strong>rung wur<strong>de</strong>n ihm<br />

die nötigen Geleitsbriefe ausgestellt, die ihm auch seine Rückkehr nach einem sicheren Ort<br />

verbürgten. Ein Herold, <strong>de</strong>r beauftragt war, ihn sicher nach Worms zu geleiten, brachte die<br />

Briefe nach Wittenberg.<br />

Luthers Freun<strong>de</strong> wur<strong>de</strong>n von Schrecken und Bestürzung ergriffen. Sie kannten das<br />

Vorurteil und die gegen ihn herrschen<strong>de</strong> Feindschaft und befürchteten, selbst das<br />

Sicherheitsgeleit wür<strong>de</strong> nicht beachtet wer<strong>de</strong>n, und sein Leben sei gefähr<strong>de</strong>t. Auf ihr Bitten,<br />

diese Reise nicht anzutreten, erwi<strong>de</strong>rte er einem, die Römlinge wollten ihn nicht in Worms<br />

100


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

sehen, doch „ich schreibe auch jetzt und bitte dich, bete nicht für mich, son<strong>de</strong>rn für das<br />

Wort Gottes. Jener Wi<strong>de</strong>rsacher Christi setzt alle Kräfte ein, mich zu ver<strong>de</strong>rben. Der Wille<br />

Gottes geschehe! Christus wird mir seinen Geist geben, daß ich diese Wi<strong>de</strong>rsacher verachte<br />

im Leben, besiege im To<strong>de</strong> ... Sie arbeiten, daß ich viele Artikel wi<strong>de</strong>rrufe; aber mein<br />

Wi<strong>de</strong>rruf wird also lauten: Ich habe früher gesagt, <strong>de</strong>r Papst sei <strong>de</strong>r Statthalter Christi, jetzt<br />

wi<strong>de</strong>rrufe ich und sage, <strong>de</strong>r Papst ist <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rsacher Christi ...“Luther sollte seine<br />

gefahrvolle Reise nicht allein unternehmen.<br />

Außer <strong>de</strong>m kaiserlichen Boten hatten sich drei seiner treuesten Freun<strong>de</strong> entschlossen,<br />

ihn zu begleiten. Es verlangte Melanchthon herzlich, sich ihnen anzuschließen. Sein Herz<br />

hing an Luther, und er sehnte sich, ihm zu folgen, wenn es sein müsse, auch ins Gefängnis<br />

o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Tod. Seine Bitte wur<strong>de</strong> jedoch nicht erfüllt. Sollte Luther etwas zustoßen, so<br />

ruhte die Hoffnung <strong>de</strong>r Reformation allein auf seinem jugendlichen Mitarbeiter. Unterwegs<br />

nahmen sie wahr, daß die Gemüter <strong>de</strong>s Volkes von düsteren Vorahnungen beschwert waren.<br />

In einigen Städten erwies man ihnen keine Achtung. Als sie übernachteten, gab ein<br />

freundlich gesinnter Priester seinen Befürchtungen Ausdruck und zeigte Luther das Bild<br />

eines italienischen Reformators, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Scheiterhaufen besteigen mußte. Am an<strong>de</strong>rn Tag<br />

erfuhren sie, daß seine Schriften in Worms verdammt wor<strong>de</strong>n seien. Boten verkündigten <strong>de</strong>s<br />

Kaisers Erlaß und for<strong>de</strong>rten je<strong>de</strong>rmann auf, die geächteten Bücher <strong>de</strong>n Behör<strong>de</strong>n<br />

auszuliefern. Der Herold, <strong>de</strong>r um Luthers Sicherheit auf <strong>de</strong>m Reichstag fürchtete und meinte,<br />

<strong>de</strong>ssen Entschluß könnte dadurch erschüttert sein, fragte: „Herr Doktor, wollt ihr fortziehen?<br />

Da antwortete ich (Luther): Ja, unangesehen, daß man mich hätte in <strong>de</strong>n Bann getan und das<br />

in allen Städten veröffentlicht, so wollt ich doch fortziehen.“<br />

In Erfurt wur<strong>de</strong> Luther mit großen Ehren empfangen. Von <strong>de</strong>r bewun<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n Menge<br />

umgeben, durchschritt er die Straßen, in <strong>de</strong>nen er oft mit seinem Bettelsack einhergegangen<br />

war. Er besuchte seine Klosterzelle und gedachte <strong>de</strong>r Kämpfe, durch die das nun<br />

Deutschland überfluten<strong>de</strong> Licht auch seine Seele erleuchtet hatte. Man nötigte ihn zum<br />

Predigen. Zwar war ihm dies verboten, aber <strong>de</strong>r Herold gestattete es <strong>de</strong>nnoch. Der Mönch,<br />

einst im Kloster je<strong>de</strong>rmanns Handlanger gewesen, bestieg die Kanzel. In einer überfüllten<br />

Versammlung predigte er über die Worte Christi: „Frie<strong>de</strong> sei mit euch!“ „Ihr wisset<br />

auch,daß alle Philosophen, Doktoren und Skribenten sich beflissen zu lehren und schreiben,<br />

wie sich <strong>de</strong>r Mensch zur Frömmigkeit halten soll, haben sich <strong>de</strong>s sehr bemüht, aber wie man<br />

sieht, wenig ausgerichtet ... Denn Gott, <strong>de</strong>r hat auserwählet einen Menschen, <strong>de</strong>n Herrn<br />

Jesum Christ, daß <strong>de</strong>r soll <strong>de</strong>n Tod zerknirschen,die Sün<strong>de</strong>n zerstören und die Hölle<br />

zerbrechen ... Also daß wir durch seine Werke ... und nicht mit unseren Werken selig<br />

wer<strong>de</strong>n ... Unser Herr Christus hat gesagt: Habt Frie<strong>de</strong>n und sehet meine Hän<strong>de</strong>. Sieh<br />

Mensch, ich bin <strong>de</strong>r allein, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>ine Sün<strong>de</strong> hat hinweggenommen, <strong>de</strong>r dich erlöste. Nun<br />

habe Frie<strong>de</strong>n.“<br />

„So soll ein jeglicher Mensch sich besinnen und be<strong>de</strong>nken, daß wir uns nicht helfen<br />

können, son<strong>de</strong>rn Gott, auch daß unsere Werke gar gering sind: so haben wir <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>n<br />

101


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Gottes; und ein jeglicher Mensch soll sein Werk also schicken, daß ihm nicht allein nutz sei,<br />

son<strong>de</strong>rn auch einem an<strong>de</strong>rn, seinem Nächsten. Ist er reich, so soll sein Gut <strong>de</strong>n Armen nutz<br />

sein; ist er arm, soll sein Verdienst <strong>de</strong>n Reichen zugute kommen ... Denn wenn du merkst,<br />

daß du <strong>de</strong>inen Nutzen allein schaffst, so ist <strong>de</strong>in Dienst falsch.“ Das Volk lauschte wie<br />

gebannt seinen Worten. Das Brot <strong>de</strong>s Lebens wur<strong>de</strong> jenen hungern<strong>de</strong>n Seelen gebrochen.<br />

Christus erschien darin als <strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r über Papst, Legat, Kaiser und König steht. Luther<br />

machte keinerlei An<strong>de</strong>utungen über seine gefährliche Lage. We<strong>de</strong>r versuchte er, sich selbst<br />

in <strong>de</strong>n Mittelpunkt zu stellen, noch suchte er Mitgefühl zu erwecken. Sein Ich trat ganz<br />

hinter die Betrachtung Christi zurück. Er verbarg sich hinter <strong>de</strong>m Gekreuzigten von<br />

Golgatha und verlangte nur danach, Jesus als <strong>de</strong>n Erlöser <strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong>rs darzustellen.<br />

Auf <strong>de</strong>r Weiterreise brachte das Volk <strong>de</strong>m Reformator die größte Anteilnahme entgegen.<br />

Eine neugierige Menge drängte sich überall um ihn, und freundschaftliche Stimmen warnten<br />

ihn vor <strong>de</strong>n Absichten <strong>de</strong>r Römlinge. Einige sagten: Man wird dich verbrennen wie <strong>de</strong>n Hus.<br />

Luther antwortete: „Und wenn sie gleich ein Feuer machten, das zwischen Wittenberg und<br />

Worms bis an <strong>de</strong>n Himmel reicht, weil es aber gefor<strong>de</strong>rt wäre, so wollte ich doch im Namen<br />

<strong>de</strong>s Herrn erscheinen und <strong>de</strong>m Behemoth zwischen seine große Zähne treten und Christum<br />

bekennen und <strong>de</strong>nselben walten lassen.“<br />

Die Kun<strong>de</strong>, Luther nähere sich Worms, rief große Erregung hervor. Seine Freun<strong>de</strong><br />

zitterten um seine Sicherheit; seine Fein<strong>de</strong> fürchteten für <strong>de</strong>n Erfolg ihrer Sache. Ernsthaft<br />

bemühte man sich, ihm von <strong>de</strong>m Betreten <strong>de</strong>r Stadt abzuraten. Auf Anstiften <strong>de</strong>r Römlinge<br />

drang man in ihn sich auf das Schloß eines befreun<strong>de</strong>ten Ritters zu begeben, wo nach ihrer<br />

Darstellung dann alle Schwierigkeiten auf freundschaftlichem Wege beigelegt wer<strong>de</strong>n<br />

könnten. Freun<strong>de</strong> versuchten, ihm durch Vorstellungen <strong>de</strong>r ihm drohen<strong>de</strong>n Gefahr Furcht<br />

einzuflößen. Alle Bemühungen blieben nutzlos. Luther wankte nicht, son<strong>de</strong>rn erklärte: „Ich<br />

will gen Worms, wenn gleich so viel Teufel drinnen wären, als immer Ziegel auf ihren<br />

Dächern!“<br />

Bei seiner Ankunft in Worms war die Zahl <strong>de</strong>rer, die sich an <strong>de</strong>n Toren drängten, ihn<br />

willkommen zu heißen, sogar noch größer als beim Einzug <strong>de</strong>s Kaisers. Es herrschte eine<br />

ungeheure Erregung, und aus <strong>de</strong>r Mitte <strong>de</strong>r Volksmenge sang eine durchdringen<strong>de</strong>,<br />

klagen<strong>de</strong> Stimme ein Grablied, um Luther vor <strong>de</strong>m ihm bevorstehen<strong>de</strong>n Schicksal zu<br />

warnen. „Gott wird mit mir sein“, sprach er mutig beim Verlassen <strong>de</strong>s Wagens. Die<br />

Anhänger <strong>de</strong>s Papstes hatten nicht erwartet, daß Luther es wirklich wagen wür<strong>de</strong>, in Worms<br />

zu erscheinen, und seine Ankunft bestürzte sie außeror<strong>de</strong>ntlich. Der Kaiser rief sofort seine<br />

Räte zusammen, um das einzuschlagen<strong>de</strong> Verfahren zu erwägen. Einer <strong>de</strong>r Bischöfe, ein<br />

unbeugsamer Anhänger Roms, erklärte: „Wir haben uns schon lange darüber beraten.<br />

Kaiserliche Majestät möge diesen Mann beiseite tun und ihn umbringen lassen. Sigismund<br />

hat <strong>de</strong>n Johann Hus ebenso behan<strong>de</strong>lt; einem Ketzer brauch man kein Geleit zu geben o<strong>de</strong>r<br />

zu halten.“ Karl verwarf diesen Vorschlag, man müsse halten, was man versprochen habe.<br />

Der Reformator sollte also vorgela<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.<br />

102


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Die ganze Stadt wollte diesen merkwürdigen Mann sehen, und bald füllte sich sein<br />

Quartier mit vielen Besuchern. Luther hatte sich kaum von einer kürzlich überstan<strong>de</strong>n<br />

Krankheit erholt; er war ermü<strong>de</strong>t von <strong>de</strong>r Reise, die zwei Wochen in Anspruch genommen<br />

hatte; er mußte sich auf die wichtigsten Ereignisse <strong>de</strong>s morgigen Tages vorbereiten und<br />

brauchte Stille und Ruhe. Das Verlangen, ihn zu sehen, war jedoch so groß, daß er sich nur<br />

einiger Ruhestun<strong>de</strong>n erfreut hatte, als sich E<strong>de</strong>lleute, Ritter, Priester und Bürger um ihn<br />

sammelten. Unter ihnen waren viele <strong>de</strong>r Adligen, die vom Kaiser so kühn eine Reform <strong>de</strong>r<br />

kirchlichen Mißbräuche verlangt hatten, und die, wie Luther sich ausdrückte, „alle durch<br />

mein Evangelium frei gewor<strong>de</strong>n waren“. Fein<strong>de</strong> wie Freun<strong>de</strong> kamen, um <strong>de</strong>n<br />

furchtloskühnen Mönch zu sehen; er empfing sie mit unerschütterlicher Ruhe und<br />

antwortete allen mit Wür<strong>de</strong> und Weisheit. Seine Haltung war fest und mutig; sein bleiches,<br />

abgezehrtes Gesicht, das die Spuren <strong>de</strong>r Anstrengung und Krankheit nicht verleugnen<br />

konnte, zeigte einen freundlichen, ja sogar freudigen Ausdruck. Die Feierlichkeit und <strong>de</strong>r<br />

tiefe Ernst seiner Worte verliehen ihm eine Kraft, <strong>de</strong>r selbst seine Fein<strong>de</strong> nicht gänzlich<br />

wi<strong>de</strong>rstehen konnten. Freund und Feind waren voller Bewun<strong>de</strong>rung. Manche waren<br />

überzeugt, daß ein göttlicher Einfluß ihn begleite; an<strong>de</strong>re erklärten, wie die Pharisäer<br />

hinsichtlich Christi, er habe <strong>de</strong>n Teufel.<br />

Am folgen<strong>de</strong>n Tag wur<strong>de</strong> Luther aufgefor<strong>de</strong>rt, vor <strong>de</strong>m Reichstag zu erscheinen. Ein<br />

kaiserlicher Beamter sollte ihn in <strong>de</strong>n Empfangssaal führen; nur mit Mühe erreichte er<br />

diesen Ort. Je<strong>de</strong>r Zugang war mit Schaulustigen verstopft, die <strong>de</strong>n Mönch sehen wollten, <strong>de</strong>r<br />

es gewagt hatte, <strong>de</strong>r Autorität <strong>de</strong>s Papstes zu wi<strong>de</strong>rstehen. Als Luther vor seine Richter<br />

treten wollte, sagte ein Feldherr, <strong>de</strong>r Held mancher Schlacht, freundlich zu ihm: „Mönchlein,<br />

Mönchlein, du gehst jetzt einen Gang, einen Stand zu tun, <strong>de</strong>rgleichen ich und mancher<br />

Oberster auch in unsern allerernstesten Schlachtordnungen nicht getan haben; bist du auf<br />

rechter Meinung und <strong>de</strong>iner Sache gewiß, so fahre in Gottes Namen fort und sei nur getrost,<br />

Gott wird dich nicht verlassen.“<br />

Endlich stand Luther vor <strong>de</strong>m Reichstag. Der Kaiser saß auf <strong>de</strong>m Thron. Er war von <strong>de</strong>n<br />

erlauchtesten Persönlichkeiten <strong>de</strong>s Kaiserreichs umgeben. Nie zuvor war je ein Mensch vor<br />

einer be<strong>de</strong>utsameren Versammlung erschienen als jene war, vor welcher Martin Luther<br />

seinen Glauben verantworten sollte. „Sein Erscheinen allein war ein außeror<strong>de</strong>ntlicher Sieg<br />

über das Papsttum. Der Papst hatte diesen Mann verurteilt, und dieser stand jetzt vor einem<br />

Gericht, das sich dadurch über <strong>de</strong>n Papst stellte. Der Papst hatte ihn in <strong>de</strong>n Bann getan, von<br />

aller menschlichen Gesellschaft ausgestoßen, und <strong>de</strong>nnoch war er mit höflichen Worten<br />

vorgela<strong>de</strong>n und erschien nun vor <strong>de</strong>r erlauchtesten Versammlung <strong>de</strong>r Welt. Der Papst hatte<br />

ihn zu ewigem Schweigen verurteilt und jetzt sollte er vor Tausen<strong>de</strong>n aufmerksamer<br />

Zuhörer aus <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nsten Lan<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Christenheit re<strong>de</strong>n. So kam durch Luther eine<br />

gewaltige Revolution zustan<strong>de</strong>: Rom stieg von seinem Thron herab, und das Wort eines<br />

Mönches gab die Veranlassung dazu.“<br />

103


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Angesichts jener gewaltigen, aus Adligen bestehen<strong>de</strong>n Versammlung schien <strong>de</strong>r<br />

Reformator, <strong>de</strong>r von niedriger Geburt war, eingeschüchtert und verlegen. Mehrere Fürsten,<br />

die seine Gefühle bemerkten, näherten sich ihm, und einer von ihnen flüsterte: „Fürchtet<br />

euch nicht vor <strong>de</strong>nen, die <strong>de</strong>n Leib töten und die Seele nicht mögen töten.“ Ein an<strong>de</strong>rer sagte:<br />

„Wenn ihr vor Fürsten und Könige geführt wer<strong>de</strong>t um meinetwillen, wird es euch durch <strong>de</strong>n<br />

Geist eures Vaters gegeben wer<strong>de</strong>n, was ihr re<strong>de</strong>n sollt.“ Auf diese Weise wur<strong>de</strong>n Christi<br />

Worte von <strong>de</strong>n Großen dieser Er<strong>de</strong> gebraucht, um Gottes Diener in <strong>de</strong>r Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Prüfung<br />

zu stärken.<br />

Luther wur<strong>de</strong> ein Platz unmittelbar vor <strong>de</strong>m kaiserlichen Thron angewiesen. Tiefes<br />

Schweigen herrschte in <strong>de</strong>r großen Versammlung. Der vom Kaiser beauftragte Redner erhob<br />

sich und verlangte, in<strong>de</strong>m er auf eine Sammlung von Luthers Schriften wies, daß <strong>de</strong>r<br />

Reformator zwei Fragen beantworte: Ob er die hier vorliegen<strong>de</strong>n Bücher als die seinigen<br />

anerkenne o<strong>de</strong>r nicht; und ob er die Ansichten, die er darin verbreitet habe, wi<strong>de</strong>rrufe.<br />

Nach<strong>de</strong>m die Titel <strong>de</strong>r Bücher vorgelesen wor<strong>de</strong>n waren, erwi<strong>de</strong>rte Luther, daß er<br />

hinsichtlich <strong>de</strong>r ersten Frage jene Bücher als von ihm geschrieben annehme und nichts je<br />

davon ableugne. Aber was da folge, „weil dies eine Frage vom Glauben und <strong>de</strong>r Seelen<br />

Seligkeit sei und das göttliche Wort betreffe, was das höchste sei im Himmel und auf<br />

Er<strong>de</strong>n ..., da wäre es vermessen und sehr gefährlich, etwas Unbedachtes auszusprechen.<br />

Ich könnte ohne vorherige Überlegung leicht weniger behaupten als die Sache erfor<strong>de</strong>re,<br />

o<strong>de</strong>r mehr als <strong>de</strong>r Wahrheit gemäß wäre, und durch das eine und an<strong>de</strong>re jenem Urteile<br />

Christi verfallen: Wer mich verleugnet vor <strong>de</strong>n Menschen, <strong>de</strong>n wer<strong>de</strong> ich vor meinem<br />

himmlischen Vater auch verleugnen. Matthäus 10,33. Deshalb bitte ich von Kaiserlicher<br />

Majestät aufs alleruntertänigste um Be<strong>de</strong>nkzeit, damit ich ohne Nachteil für das göttliche<br />

Wort und ohne Gefahr für meine Seele dieser Frage genugtue.“ Luther han<strong>de</strong>lte sehr klug,<br />

daß er dieses Gesuch stellte. Sein Benehmen überzeugte die Versammlung, daß er nicht aus<br />

Lei<strong>de</strong>nschaft o<strong>de</strong>r bloßem Antrieb handle. Solche Ruhe und Selbstbeherrschung, die man<br />

von einem, <strong>de</strong>r so kühn und unnachgiebig war, nicht erwartet hätte, erhöhten Luthers Stärke<br />

und befähigten ihn später, mit einer Vorsicht, Entschie<strong>de</strong>nheit, Weisheit und Wür<strong>de</strong> zu<br />

antworten, daß seine Gegner überrascht und enttäuscht, ihre Anmaßung und ihr Stolz aber<br />

beschämt wur<strong>de</strong>n.<br />

Am nächsten Tag sollte er erscheinen, um seine endgültige Antwort zu geben. Als er<br />

sich die gegen die Wahrheit verbün<strong>de</strong>teten Mächte nochmals vor Augen führte, verließ ihn<br />

für einen Augenblick <strong>de</strong>r Mut. Sein Glaube schwankte, Furcht und Zittern ergriffen ihn, und<br />

Grauen lastete auf ihm. Die Gefahren vervielfältigten sich vor seinen Augen, seine Fein<strong>de</strong><br />

schienen zu siegen und die Mächte <strong>de</strong>r Finsternis die Oberhand zu gewinnen. Wolken<br />

sammelten sich um ihn und drohten ihn von Gott zu trennen. Er sehnte sich nach <strong>de</strong>r<br />

Gewißheit, daß <strong>de</strong>r Herr <strong>de</strong>r Heerscharen mit ihm sei. In seiner Seelennot warf er sich mit<br />

<strong>de</strong>m Angesicht auf die Er<strong>de</strong> und stieß jene gebrochenen herzzerreißen<strong>de</strong>n Angstrufe aus, die<br />

Gott allein in <strong>de</strong>r Lage ist, völlig zu verstehen.<br />

104


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Er betete: „Allmächtiger, ewiger Gott! Wie ist es nur ein Ding um die Welt! Wie sperrt<br />

sie <strong>de</strong>n Leuten die Mäuler auf! Wie klein und gering ist das Vertrauen <strong>de</strong>r Menschen auf<br />

Gott ... und siehet nur allein bloß an, was prächtig und gewaltig, groß und mächtig ist und<br />

ein Ansehen hat. Wenn ich auch meine Augen dahin wen<strong>de</strong>n soll, so ist‘s mit mir aus, die<br />

Glocke ist schon gegossen und das Urteil gefällt. Ach Gott! o du mein Gott, stehe du mir bei<br />

wi<strong>de</strong>r alle Welt, Vernunft und Weisheit. Tue du es; du mußt es tun, du allein. Ist es doch<br />

nicht mein, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>ine Sache. Habe ich doch für meine Person hier nichts zu schaffen<br />

und mit diesen großen Herrn <strong>de</strong>r Welt zu tun ... Aber <strong>de</strong>in ist die Sache, Herr, die gerecht<br />

und ewig ist. Stehe mir bei, du treuer, ewiger Gott! ich verlasse mich auf keinen Menschen.<br />

Es ist umsonst und vergebens, es hinket alles, was fleischlich ist ... Hast du mich dazu<br />

erwählet? Ich frage dich; wie ich es <strong>de</strong>nn gewiß weiß; ei, so walt es Gott ... Steh mir bei in<br />

<strong>de</strong>m Namen <strong>de</strong>ines lieben Sohnes Jesus Christi, <strong>de</strong>r mein Schutz und Schirm sein soll, ja<br />

meine feste Burg.“<br />

Eine allweise Vorsehung hatte Luther seine Gefahr erkennen lassen, damit er we<strong>de</strong>r auf<br />

seine eigene Kraft baute noch sich vermessen in Gefahr stürzte. Es war jedoch nicht die<br />

Furcht zu lei<strong>de</strong>n, nicht die Angst vor <strong>de</strong>r ihm scheinbar unmittelbar bevorstehen<strong>de</strong>n Qual<br />

o<strong>de</strong>r vor <strong>de</strong>m Tod, die ihn mit ihrem Schrecken überwältigte; er hatte einen entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />

Zeitpunkt erreicht und fühlte seine Untüchtigkeit, in ihm zu bestehen. Er könnte <strong>de</strong>r Sache<br />

<strong>de</strong>r Wahrheit infolge seiner Schwäche scha<strong>de</strong>n. Er rang mit Gott, nicht um seiner eigenen<br />

Sicherheit, son<strong>de</strong>rn um <strong>de</strong>s Sieges <strong>de</strong>s Evangeliums willen. Die Angst und das Ringen<br />

seiner Seele glich jenem nächtlichen Kampf Jakobs am einsamen Bach; wie jener trug auch<br />

er <strong>de</strong>n Sieg davon.<br />

In seiner gänzlichen Hilflosigkeit klammerte sich sein Glaube an Christus, <strong>de</strong>n<br />

mächtigen Befreier. Er wur<strong>de</strong> durch die Versicherung gestärkt, daß er nicht allein vor <strong>de</strong>m<br />

Reichstag erscheinen sollte; Frie<strong>de</strong> zog wie<strong>de</strong>rum in seine Seele ein, und er freute sich, daß<br />

es ihm vergönnt war, das heilige Wort Gottes vor <strong>de</strong>n Herrschern <strong>de</strong>s Volkes emporzuhalten.<br />

Mit festem Gottvertrauen bereitete sich Luther auf <strong>de</strong>n ihm bevorstehen<strong>de</strong>n Kampf vor. Er<br />

plante seine Antwort, prüfte etliche Stellen seiner eigenen Schriften und suchte in <strong>de</strong>r Bibel<br />

passen<strong>de</strong> Belege, um seine Behauptungen zu stützen. Dann gelobte er, seine Linke auf das<br />

offen vor ihm liegen<strong>de</strong> Buch legend und seine Rechte zum Himmel erhebend, „<strong>de</strong>m<br />

Evangelium treu zu bleiben und seinen Glauben frei zu bekennen, sollte er ihn auch mit<br />

seinem Blute besiegeln.“<br />

Als er wie<strong>de</strong>r vor <strong>de</strong>n Reichstag geführt wur<strong>de</strong>, war sein Angesicht frei von Furcht und<br />

Verlegenheit. Ruhig und friedvoll, <strong>de</strong>nnoch mutig und e<strong>de</strong>l stand er als Gottes Zeuge unter<br />

<strong>de</strong>n Großen <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>. Der kaiserliche Beamte verlangte nun die Entscheidung, ob er gewillt<br />

sei, seine Lehren zu wi<strong>de</strong>rrufen. Luther gab die Antwort in einem unterwürfigen und<br />

beschei<strong>de</strong>nen Ton ohne Heftigkeit o<strong>de</strong>r Erregung. Sein Benehmen war maßvoll und<br />

ehrerbietig; <strong>de</strong>nnoch offenbarte er eine Zuversicht und eine Freudigkeit, die die<br />

Versammlung überraschte.<br />

105


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Seine Antwort lautete: „Allerdurchlauchtigster, großmächtigster Kaiser,<br />

durchlauchtigste Fürsten, gnädigste und gnädige Herren! Auf die Be<strong>de</strong>nkzeit, mir auf<br />

gestrigen Abend ernannt, erscheine ich gehorsam und bitte durch die Barmherzigkeit Gottes<br />

Eure Kaiserliche Majestät um Gna<strong>de</strong>n, daß sie wollen, wie ich hoffe, diese Sachen <strong>de</strong>r<br />

Gerechtigkeit und Wahrheit gnädiglich zuhören, und so ich von wegen meiner<br />

Unerfahrenheit ... wi<strong>de</strong>r die höfischen Sitten handle, mir solches gnädig zu verzeihen als<br />

einem, <strong>de</strong>r nicht an fürstlichen Höfen erzogen, son<strong>de</strong>rn in Mönchswinkeln aufkommen.“<br />

Dann zu <strong>de</strong>r ihm aufgegebenen Frage übergehend, erklärte er, daß seine Bücher nicht<br />

einerlei Art seien. Einige behan<strong>de</strong>lten <strong>de</strong>n Glauben und die guten Werke, so daß auch seine<br />

Wi<strong>de</strong>rsacher sie für nützlich und unschädlich anerkannt hätten. Diese zu wi<strong>de</strong>rrufen, wäre<br />

ein Verdammen <strong>de</strong>r Wahrheiten, die Freun<strong>de</strong> und Fein<strong>de</strong> zugleich bekennen. Die zweite Art<br />

bestän<strong>de</strong> aus Büchern, welche die Ver<strong>de</strong>rbtheiten und Übeltaten <strong>de</strong>s Papsttums darlegten.<br />

Diese Werke zu wi<strong>de</strong>rrufen, wür<strong>de</strong> die Gewaltherrschaft Roms nur stärken und vielen und<br />

großen Gottlosigkeiten die Tür noch weiter öffnen. In <strong>de</strong>r dritten Art seiner Bücher habe er<br />

einzelne Personen angegriffen, die bestehen<strong>de</strong> Übelstän<strong>de</strong> verteidigt hätten. Im Hinblick auf<br />

diese Bücher bekenne er, heftiger gewesen zu sein, als es sich gezieme. Er beanspruche<br />

keineswegs, fehlerfrei zu sein. Aber auch diese Bücher könne er nicht wi<strong>de</strong>rrufen, <strong>de</strong>nn<br />

dann wür<strong>de</strong>n die Fein<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Wahr- heit nur noch kühner wer<strong>de</strong>n und das Volk Gottes mit<br />

noch größerer Grausamkeit als bisher unterdrücken wollen.<br />

„Dieweil aber ich ein Mensch und nicht Gott bin, so mag ich meine Büchlein an<strong>de</strong>rs<br />

nicht verteidigen, <strong>de</strong>nn mein Herr Jesus Christus seine Lehre unterstützt hat: ‚Habe ich übel<br />

gere<strong>de</strong>t, so beweise es.‘ Johannes 18,23. Derhalben bitte ich durch die Barmherzigkeit<br />

Gottes Eure Kaiserliche Majestät und Gna<strong>de</strong>n, o<strong>de</strong>r aber alle an<strong>de</strong>rn Höchsten und<br />

Niedrigen mögen mir Zeugnis geben, mich Irrtums überführen, mich mit prophetischen und<br />

evangelischen Schriften überwin<strong>de</strong>n. Ich will auf das allerwilligste bereit sein, so ich <strong>de</strong>ssen<br />

überwiesen wer<strong>de</strong>, alle Irrtümer zu wi<strong>de</strong>rrufen und <strong>de</strong>r allererste sein, meine Bücher in das<br />

Feuer zu werfen; aus welchem allem ist, meine ich, offenbar, daß ich genügsam bedacht,<br />

erwogen und ermessen habe die Gefahr, Zwietracht, Aufruhr und Empörung, so wegen<br />

meiner Lehre in <strong>de</strong>r Welt erwachsen ist ... Wahrlich, mir ist das Liebste zu hören, daß<br />

wegen <strong>de</strong>s göttlichen Wortes sich Mißhelligkeit und Uneinigkeit erheben; <strong>de</strong>nn das ist <strong>de</strong>r<br />

Lauf, Fall und Ausgang <strong>de</strong>s göttlichen Wortes, wie <strong>de</strong>r Herr selbst sagt: ‚Ich bin nicht<br />

gekommen, Frie<strong>de</strong>n zu sen<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn das Schwert‘ (Matthäus 10,34)<br />

... Darum müssen wir be<strong>de</strong>nken, wie wun<strong>de</strong>rbar und schrecklich unser Gott ist in seinen<br />

Gerichten, auf daß nicht das, was jetzt unternommen wird, um die Uneinigkeit beizulegen,<br />

hernach, so wir <strong>de</strong>n Anfang dazu mit Verdammung <strong>de</strong>s göttlichen Wortes machen, vielmehr<br />

zu einer Sintflut unerträglicher Übel ausschlage; be<strong>de</strong>nken müssen wir und fürsorgen, daß<br />

nicht diesem jungen, edlen Kaiser Karl, von welchem nächst Gott vieles zu hoffen ist, ein<br />

unseliger Eingang und ein unglücklich Regiment zuteil wer<strong>de</strong>. Ich könnte dafür reichlich<br />

Exempel bringen aus <strong>de</strong>r Heiligen Schrift, von Pharao, vom König zu Babel und von <strong>de</strong>n<br />

106


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Königen Israels, welche gera<strong>de</strong> dann am meisten Ver<strong>de</strong>rben sich bereitet haben, wenn sie<br />

mit <strong>de</strong>n klügsten Re<strong>de</strong>n und Anschlägen ihr Reich zu befrie<strong>de</strong>n und zu befestigen dachten.<br />

Denn <strong>de</strong>r Herr ist‘s, <strong>de</strong>r die Klugen erhascht in ihrer Klugheit und die Berge umkehrt, ehe<br />

sie es innewer<strong>de</strong>n; darum tut‘s not, Gott zu fürchten.“<br />

Luther hatte <strong>de</strong>utsch gesprochen; er wur<strong>de</strong> nun aufgefor<strong>de</strong>rt, dieselben Worte in<br />

lateinischer Sprache zu wie<strong>de</strong>rholen. Wiewohl er durch die voraufgegangene Anstrengung<br />

erschöpft war, willfahrte er doch dieser Bitte und trug dieselbe Re<strong>de</strong> noch einmal ebenso<br />

<strong>de</strong>utlich und kraftvoll vor, so daß ihn alle verstehen konnten. Gottes Vorsehung waltete in<br />

dieser Sache. Viele Fürsten waren durch Irrtum und Aberglauben so verblen<strong>de</strong>t, daß sie bei<br />

Luthers erster Re<strong>de</strong> die Gewichtigkeit seiner Grün<strong>de</strong> nicht klar erfassen konnten; durch<br />

diese Wie<strong>de</strong>rholung aber wur<strong>de</strong>n ihnen die angeführten Punkte klar verständlich. Solche,<br />

die ihre Herzen <strong>de</strong>m Licht hartnäckig verschlossen und sich durchaus nicht von <strong>de</strong>r<br />

Wahrheit überzeugen lassen wollten, wur<strong>de</strong>n durch die Gewalt seiner Worte in höchsten<br />

Zorn versetzt. Als er seine Re<strong>de</strong> been<strong>de</strong>t hatte, mahnte <strong>de</strong>r Wortführer <strong>de</strong>s Reichstages in<br />

strafen<strong>de</strong>m Ton, Luther hätte nicht zur Sache geantwortet, und es gehöre sich nicht, hier<br />

Verdammungsurteile und Feststellungen von Konzilien in Frage zu ziehen. Luther sollte<br />

klar und <strong>de</strong>utlich antworten, ob er wi<strong>de</strong>rrufen wolle o<strong>de</strong>r nicht.<br />

Darauf erwi<strong>de</strong>rte <strong>de</strong>r Reformator: „Weil <strong>de</strong>nn Eure Majestät und die Herrschaften eine<br />

einfache Antwort begehren, so will ich eine geben, die we<strong>de</strong>r Hörner noch Zähne hat,<br />

<strong>de</strong>rmaßen: Wenn ich nicht durch Schriftzeugnisse o<strong>de</strong>r helle Grün<strong>de</strong> wer<strong>de</strong> überwun<strong>de</strong>n<br />

wer<strong>de</strong>n (<strong>de</strong>nn ich glaube we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Papst noch <strong>de</strong>n Konzilien allein, weil feststeht, daß sie<br />

öfter geirrt und sich selbst wi<strong>de</strong>rsprochen haben), so bin ich überwun<strong>de</strong>n durch die von mir<br />

angeführten Schriften und mein Gewissen gefangen in Gottes Worten; wi<strong>de</strong>rrufen kann ich<br />

nichts und will ich nichts, weil wi<strong>de</strong>r das Gewissen zu han<strong>de</strong>ln beschwerlich, unsicher und<br />

nicht lauter ist. Hier stehe ich, ich kann nicht an<strong>de</strong>rs, Gott helfe mir, Amen.“<br />

So stand dieser rechtschaffene Mann auf <strong>de</strong>m sicheren Grund <strong>de</strong>s göttlichen Wortes.<br />

Des Himmels Licht erleuchtete sein Angesicht. Die Größe und Reinheit seines Charakters,<br />

<strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong> und die Freu<strong>de</strong> seines Herzens offenbarten sich allen, als er die Macht <strong>de</strong>s<br />

Irrtums bloßstellte und die Überlegenheit jenes Glaubens bezeugte, <strong>de</strong>r die Welt überwin<strong>de</strong>t.<br />

Die Versammlung staunte über diese kühne Verteidigung. Seine erste Antwort hatte Luther<br />

mit gedämpfter Stimme in achtungsvoller, beinahe unterwürfiger Haltung gegeben. Die<br />

Römlinge hatten dies als einen Beweis ge<strong>de</strong>utet, daß sein Mut angefangen habe zu wanken.<br />

Sie betrachteten sein Gesuch um Be<strong>de</strong>nkzeit nur als Vorspiel seines Wi<strong>de</strong>rrufs. Sogar<br />

Kaiser Karl, <strong>de</strong>r halb verächtlich die gebeugte Gestalt <strong>de</strong>s Mönches, sein schlichtes Gewand<br />

und die Einfachheit seiner Ansprache wahrnahm, hatte erklärt: „Der soll mich nicht zum<br />

Ketzer machen.“ Der Mut aber und die Festigkeit, die Luther nun an <strong>de</strong>n Tag legte,<br />

überraschte, ebenso wie die Kraft und Klarheit seiner Beweisführung,alle Parteien. Von<br />

Bewun<strong>de</strong>rung hingerissen,rief <strong>de</strong>r Kaiser: „Dieser Mönch re<strong>de</strong>t unerschrocken, mit<br />

107


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

getrostem Mut!“ Viele Fürsten blickten mit Stolz und Freu<strong>de</strong> auf diesen Vertreter ihrer<br />

Nation.<br />

Die Anhänger Roms waren geschlagen, und ihre Sache erschien in einem sehr<br />

ungünstigen Licht. Sie suchten nicht etwa dadurch ihre Macht aufrechtzuerhalten, in<strong>de</strong>m sie<br />

sich auf die Heilige Schrift beriefen, son<strong>de</strong>rn sie nahmen ihre Zuflucht zu Roms nie<br />

versagen<strong>de</strong>m Beweismittel: zur Drohung. Der Wortführer <strong>de</strong>s Reichstages sagte: Wi<strong>de</strong>rruft<br />

er nicht, so wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Kaiser samt <strong>de</strong>n Fürsten und Stän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Reiches beraten, wie sie<br />

mit einem solchen Ketzer verfahren wollen. Luthers Freun<strong>de</strong> hatten seiner glänzen<strong>de</strong>n<br />

Verteidigungsre<strong>de</strong> mit großer Freu<strong>de</strong> gelauscht, doch diese Worte ließen sie für seine<br />

Sicherheit fürchten. Luther selbst aber sagte gelassen: „So helf mir Gott, <strong>de</strong>nn einen<br />

Wi<strong>de</strong>rruf kann ich nicht tun.“<br />

Luther verließ <strong>de</strong>n Tagungsort damit die Fürsten sich beraten konnten. Sie fühlten, daß<br />

sie vor einem großen Wen<strong>de</strong>punkt stan<strong>de</strong>n. Luthers beharrliche Weigerung, sich zu<br />

unterwerfen, könnte die Geschichte <strong>de</strong>r Kirche auf Jahrhun<strong>de</strong>rte hinaus beeinflussen. Es<br />

wur<strong>de</strong> beschlossen, ihm nochmals Gelegenheit zum Wi<strong>de</strong>rruf zu geben. Zum letztenmal<br />

wur<strong>de</strong> er vor die Versammlung gebracht. Der Wortführer <strong>de</strong>r Fürsten fragte ihn nochmals<br />

im Namen <strong>de</strong>s Kaisers, ob er nicht wi<strong>de</strong>rrufen wolle. Darauf erwi<strong>de</strong>rte Luther: „Ich weiß<br />

keine an<strong>de</strong>re Antwort zu geben, wie die bereits vorgebrachte.“<br />

Er könne nicht wi<strong>de</strong>rrufen, er wäre <strong>de</strong>nn aus Gottes Wort eines besseren überführt. Es<br />

war offenbar, daß we<strong>de</strong>r Versprechungen noch Drohungen ihn zur Nachgiebigkeit<br />

gegenüber Roms Befehlen bewegen konnten. Die Vertreter Roms ärgerten sich, daß ihre<br />

Macht, die Könige und Adlige zum Erzittern gebracht hatte, auf diese Weise von einem<br />

einfachen Mönch mißachtet wer<strong>de</strong>n sollte; sie verlangten danach,ihn ihren Zorn fühlen zu<br />

lassen und ihn zu To<strong>de</strong> zu martern. Aber Luther, <strong>de</strong>r die ihm drohen<strong>de</strong> Gefahr begriff, hatte<br />

zu allen in christlicher Wür<strong>de</strong> und Gelassenheit gesprochen. Seine Worte waren frei von<br />

Stolz,Lei<strong>de</strong>nschaft o<strong>de</strong>r Täuschung gewesen. Er hatte sich selbst und die großen Männer,<br />

die ihn umgaben, aus <strong>de</strong>n Augen verloren und fühlte nur,daß er in <strong>de</strong>r Gegenwart Gottes<br />

war,<strong>de</strong>r unendlich erhaben über Päpsten, Prälaten, Königen und Kaisern thront. Christus<br />

hatte durch Luthers Zeugnis mit einer Macht und Größe gesprochen, die für <strong>de</strong>n Augenblick<br />

Freun<strong>de</strong>n und Fein<strong>de</strong>n Ehrfurcht und Erstaunen einflößte. Der Geist Gottes war in jener<br />

Versammlung gegenwärtig gewesen und hatte die Herzen <strong>de</strong>r Großen <strong>de</strong>s Reiches ergriffen.<br />

Mehrere Fürsten anerkannten offen die Gerechtigkeit <strong>de</strong>r Sache Luthers.<br />

Viele waren von <strong>de</strong>r Wahrheit überzeugt; bei einigen jedoch dauerte dieser Eindruck<br />

nicht lange an. An<strong>de</strong>re hielten mit ihrer Meinung zurück, wur<strong>de</strong>n aber später, nach<strong>de</strong>m sie<br />

die Heilige Schrift für sich selbst durchforscht hatten, furchtlose Anhänger <strong>de</strong>r Reformation.<br />

Der Kurfürst Friedrich von Sachsen hatte mit großer Besorgnis <strong>de</strong>m Erscheinen Luthers vor<br />

<strong>de</strong>m Reichstag entgegengesehen und lauschte jetzt tief bewegt seiner Re<strong>de</strong>. Mit Stolz und<br />

Freu<strong>de</strong> sah er <strong>de</strong>n Mut, die Entschie<strong>de</strong>nheit und die Selbstbeherrschung <strong>de</strong>s Doktors und<br />

nahm sich vor, ihn entschie<strong>de</strong>ner als je zu verteidigen. Er verglich die streiten<strong>de</strong>n Parteien<br />

108


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

und erkannte, daß die Weisheit <strong>de</strong>r Päpste, <strong>de</strong>r Könige und Prälaten durch die Macht <strong>de</strong>r<br />

Wahrheit zunichte gemacht wor<strong>de</strong>n war. Diese Nie<strong>de</strong>rlage <strong>de</strong>s Papsttums sollte unter allen<br />

Nationen und zu allen Zeiten fühlbar sein.<br />

Als <strong>de</strong>r Legat die Wirkung <strong>de</strong>r Re<strong>de</strong> Luthers wahrnahm, fürchtete er wie nie zuvor für<br />

die Sicherheit <strong>de</strong>r römischen Macht, und er entschloß sich, alle ihm zu Gebote stehen<strong>de</strong>n<br />

Mittel anzuwen<strong>de</strong>n, um <strong>de</strong>n Untergang <strong>de</strong>s Reformators herbeizuführen. Mit all <strong>de</strong>r<br />

Beredsamkeit und <strong>de</strong>m diplomatischen Geschick, das ihn in so hohem Gra<strong>de</strong> auszeichnete,<br />

stellte er <strong>de</strong>m jugendlichen Kaiser die Torheit und die Gefahr dar, wegen eines<br />

unbe<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Mönches die Freundschaft und Hilfe <strong>de</strong>s mächtigen Rom zu opfern.<br />

Seine Worte blieben nicht wirkungslos. Schon am nächsten Tag ließ Kaiser Karl <strong>de</strong>n<br />

Reichsstän<strong>de</strong>n seinen Beschluß mel<strong>de</strong>n, daß er nach <strong>de</strong>r Weise seiner Vorfahren fest<br />

entschlossen sei, ihren Glauben zu unterstützen und zu schützen. Da Luther sich geweigert<br />

hatte, seinen Irrtümern zu entsagen,sollten die strengsten Maßregeln gegen ihn und die<br />

Ketzereien, die er lehrte, angewandt wer<strong>de</strong>n. „Es sei offenkundig, daß ein durch seine<br />

eigene Torheit verleiteter Mönch <strong>de</strong>r Lehre <strong>de</strong>r ganzen Christenheit wi<strong>de</strong>rstreite ... so bin<br />

ich fest entschlossen, alle meine Königreiche, das Kaisertum, Herrschaften, Freun<strong>de</strong>, Leib,<br />

Blut und das Leben und mich selbst daran zu setzen, daß dies gottlose Vornehmen nicht<br />

weiter um sich greife ... Gebiete <strong>de</strong>mnach, daß er sogleich nach <strong>de</strong>r Vorschrift <strong>de</strong>s Befehls<br />

wie<strong>de</strong>r heimgebracht wer<strong>de</strong> und sich laut <strong>de</strong>s öffentlichen Geleites in acht nehme, nirgends<br />

zu predigen, noch <strong>de</strong>m Volk seine falschen Lehren weiter vorzutragen. Denn ich habe fest<br />

beschlossen, wi<strong>de</strong>r ihn als einen offenbaren Ketzer zu verfahren. Und begehre daher von<br />

euch, daß ihr in dieser Sache dasjenige beschließet, was rechten Christen gebührt und wie<br />

ihr zu tun versprochen habt.“ Der Kaiser erklärte, Luther müsse das sichere Geleit gehalten<br />

wer<strong>de</strong>n,und ehe Maßregeln gegen ihn getroffen wer<strong>de</strong>n könnten, müsse ihm gestattet<br />

wer<strong>de</strong>n, seine Heimat sicher und unbehelligt zu erreichen.<br />

Wie<strong>de</strong>rum wur<strong>de</strong>n zwei entgegengesetzte Meinungen <strong>de</strong>r Reichsstän<strong>de</strong> offenbar. Die<br />

Legaten und Vertreter <strong>de</strong>s Papstes for<strong>de</strong>rten von neuem, das Sicherheitsgeleit für Luther<br />

nicht zu beachten, und sagten: Der Rhein muß seine Asche aufnehmen wie die <strong>de</strong>s Hus vor<br />

einem Jahrhun<strong>de</strong>rt. Doch <strong>de</strong>utsche Fürsten, obwohl päpstlich gesinnt und offene Fein<strong>de</strong><br />

Luthers, wandten sich gegen einen öffentlichen Treubruch als einen Schandfleck für die<br />

Ehre <strong>de</strong>r Nation. Sie wiesen auf die folgenschweren Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen hin, die auf <strong>de</strong>n<br />

Tod <strong>de</strong>s Hus gefolgt waren, und erklärten, daß sie es nicht wagten, eine Wie<strong>de</strong>rholung<br />

dieser schrecklichen Ereignisse über Deutschland und auf das Haupt ihres jugendlichen<br />

Kaisers zu bringen.<br />

Karl selbst erwi<strong>de</strong>rte auf <strong>de</strong>n nie<strong>de</strong>rträchtigen Vorschlag: „Wenn Treue und Glauben<br />

nirgends mehr gelitten wür<strong>de</strong>n, sollten doch solche an <strong>de</strong>n fürstlichen Höfen ihre Zuflucht<br />

fin<strong>de</strong>n.“ Die unerbittlichsten <strong>de</strong>r römischen Fein<strong>de</strong> Luthers drangen noch weiter auf <strong>de</strong>n<br />

Kaiser ein, mit <strong>de</strong>m Reformator zu verfahren, wie Sigismund Hus behan<strong>de</strong>lt hatte, und ihn<br />

<strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong> und <strong>de</strong>r Ungna<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Kirche zu überlassen. Karl V. aber, <strong>de</strong>r sich ins Gedächtnis<br />

109


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

zurückrief, wie Hus in <strong>de</strong>r öffentlichen Versammlung auf seine Ketten hingewiesen und <strong>de</strong>n<br />

Kaiser an seine verpfän<strong>de</strong>te Treue erinnert hatte, erklärte entschlossen: „Ich will nicht wie<br />

Sigismund erröten!“<br />

Karl hatte jedoch wohlüberlegt die von Luther verkündigten Wahrheiten verworfen.<br />

„Ich bin“, schrieb <strong>de</strong>r Herrscher, „fest entschlossen, in die Fußtapfen meiner Ahnen zu<br />

treten.“ Er hatte entschie<strong>de</strong>n, nicht von <strong>de</strong>m Pfad <strong>de</strong>s herkömmlichen Glaubens<br />

abzuweichen, selbst nicht, um in <strong>de</strong>n Wegen <strong>de</strong>r Wahrheit und <strong>de</strong>r Gerechtigkeit zu<br />

wan<strong>de</strong>ln. Weil seine Väter <strong>de</strong>m römischen Glauben gefolgt waren, wollte auch er das<br />

Papsttum mit all seiner Grausamkeit und Ver<strong>de</strong>rbtheit aufrechterhalten. Bei diesem<br />

Entscheid blieb er, und er weigerte sich, irgendwelches weitere Licht, das über die<br />

Erkenntnis seiner Väter hinausging, anzunehmen o<strong>de</strong>r irgen<strong>de</strong>ine Pflicht auszuüben, die sie<br />

nicht ausgeübt hatten.<br />

Viele halten heute in gleicher Weise an <strong>de</strong>n Gebräuchen und Überlieferungen <strong>de</strong>r Väter<br />

fest. Schickt <strong>de</strong>r Herr ihnen weiteres Licht, so weigern sie sich, es anzunehmen, weil ihre<br />

Väter es auch nicht angenommen hatten, ohne zu be<strong>de</strong>nken, daß es jenen gar nicht gewährt<br />

wor<strong>de</strong>n war. Wir sind viel weiter vorwärts geschritten als unsere Väter waren, infolge<strong>de</strong>ssen<br />

sind unsere Pflichten und Verantwortlichkeiten auch nicht die gleichen. Gott wird es nicht<br />

gutheißen, wenn wir auf das Beispiel unserer Väter blicken, statt das Wort <strong>de</strong>r Wahrheit für<br />

uns selbst zu untersuchen, um unsere Pflichten zu erkennen. Unsere Verantwortung ist<br />

größer als die unserer Vorfahren. Wir sind verantwortlich für das Licht, das sie erhielten und<br />

das uns als Erbgut zuteil wur<strong>de</strong>. Wir müssen aber auch Rechenschaft ablegen über das neu<br />

hinzugekommene Licht, das jetzt aus <strong>de</strong>m Worte Gottes auf uns scheint.<br />

Christus sagte von <strong>de</strong>n ungläubigen Ju<strong>de</strong>n: „Wenn ich nicht gekommen wäre und hätte<br />

es ihnen gesagt, so hätten sie keine Sün<strong>de</strong>; nun aber können sie nichts vorwen<strong>de</strong>n, ihre<br />

Sün<strong>de</strong> zu entschuldigen.“ Johannes 15,22. Dieselbe göttliche Macht hatte durch Luther zum<br />

Kaiser und zu <strong>de</strong>n Fürsten Deutschlands gesprochen. Und als das Licht aus <strong>de</strong>m Worte<br />

Gottes strahlte, sprach sein Geist für viele in jener Versammlung zum letztenmal. Wie<br />

Pilatus Jahrhun<strong>de</strong>rte zuvor <strong>de</strong>m Stolz und <strong>de</strong>r Gunst <strong>de</strong>s Volkes gestattet hatte, <strong>de</strong>m Erlöser<br />

<strong>de</strong>r Welt sein Herz zu verschließen; wie <strong>de</strong>r zittern<strong>de</strong> Felix <strong>de</strong>n Boten <strong>de</strong>r Wahrheit gebeten<br />

hatte: „Gehe hin auf diesmal; wenn ich gelegene Zeit habe, will ich dich herrufen<br />

lassen“ (Apostelgeschichte 24,25), wie <strong>de</strong>r stolze Agrippa bekannt hatte: „Es fehlt nicht viel,<br />

du überre<strong>de</strong>st mich, daß ich ein Christ wür<strong>de</strong>“ (Apostelgeschichte 26,28), und sich doch von<br />

<strong>de</strong>r vom Himmel gesandten Botschaft abwandte — so entschied sich Karl V., <strong>de</strong>n<br />

Eingebungen weltlichen Stolzes und <strong>de</strong>r Staatsklugheit folgend, das Licht <strong>de</strong>r Wahrheit zu<br />

verwerfen.<br />

Gerüchte über die Absichten gegen Luther wur<strong>de</strong>n weithin laut und verursachten große<br />

Aufregung in <strong>de</strong>r ganzen Stadt. Der Reformator hatte sich viele Freun<strong>de</strong> erworben, die<br />

beschlossen, da sie die verräterische Grausamkeit Roms gegen alle kannten, welche es<br />

wagten, seine Verkommenheit bloßzustellen, daß er nicht geopfert wer<strong>de</strong>n sollte. Hun<strong>de</strong>rte<br />

110


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

von E<strong>de</strong>lleuten verpflichteten sich, ihn zu beschützen. Nicht wenige rügten die kaiserliche<br />

Botschaft öffentlich als einen Beweis <strong>de</strong>r Schwäche gegenüber <strong>de</strong>r beherrschen<strong>de</strong>n Macht<br />

Roms. An Haustüren und auf öffentlichen Plätzen wur<strong>de</strong>n Plakate angebracht, von <strong>de</strong>nen<br />

manche Luther verurteilten, an<strong>de</strong>re ihn unterstützten. Auf einem von ihnen stan<strong>de</strong>n nur die<br />

be<strong>de</strong>utsamen Worte <strong>de</strong>s weisen Salomo: „Weh dir, Land, <strong>de</strong>ssen König ein Kind<br />

ist!“ Prediger 10,6. Die Begeisterung <strong>de</strong>s Volkes für Luther, die in ganz Deutschland<br />

herrschte, überzeugte sowohl <strong>de</strong>n Kaiser als auch <strong>de</strong>n Reichstag, daß irgen<strong>de</strong>in ihm<br />

zugefügtes Leid <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Reiches und selbst die Sicherheit <strong>de</strong>s Thrones gefähr<strong>de</strong>n<br />

wür<strong>de</strong>.<br />

Friedrich von Sachsen hielt sich wohlweislich zurück und verbarg sorgfältig seine<br />

wirklichen Gefühle gegen <strong>de</strong>n Reformator, während er ihn gleichzeitig mit unermüdlicher<br />

Wachsamkeit beschützte und sowohl seine als auch seiner Fein<strong>de</strong> Schritte scharf<br />

beobachtete. Viele jedoch brachten ihre Sympathie für Luther offen zum Ausdruck. Er<br />

wur<strong>de</strong> von vielen Fürsten, Grafen, Baronen und an<strong>de</strong>rn einflußreichen weltlichen und<br />

kirchlichen Persönlichkeiten besucht. „Das kleine Zimmer <strong>de</strong>s Doktors konnte die vielen<br />

Besucher, die sich vorstellten, nicht fassen“, schrieb Spalatin. Selbst solche, die seine<br />

Lehren nicht glaubten, mußten doch jene stolze Größe bewun<strong>de</strong>rn, die ihn antrieb, eher in<br />

<strong>de</strong>n Tod zu gehen als sein Gewissen zu verletzen.<br />

Weitere ernstliche Anstrengungen wur<strong>de</strong>n unternommen, um Luther zu einem<br />

Ausgleich mit Rom zu bewegen. Beson<strong>de</strong>re kleine Ausschüsse, aus Fürsten, Prälaten und<br />

Gelehrten bestehend, bemühten sich weiter um ihn, und sein Geleitsbrief wur<strong>de</strong> gegen <strong>de</strong>n<br />

Wunsch <strong>de</strong>s Legaten um fünf Tage verlängert. Fürsten und Adlige stellten ihm vor Augen,<br />

<strong>de</strong>r Kaiser wür<strong>de</strong> ihn aus <strong>de</strong>m Reich vertreiben und ihm in ganz Deutschland keine Zuflucht<br />

lassen, wenn er hartnäckig sein eigenes Urteil gegen das <strong>de</strong>r Kirche und Konzilien<br />

aufrechterhielte. Luther antwortete auf diese ernste Vorstellung: „Ich weigere mich nicht,<br />

Leib, Leben und Blut dahinzugeben, nur will ich nicht gezwungen wer<strong>de</strong>n, Gottes Wort zu<br />

wi<strong>de</strong>rrufen, in <strong>de</strong>ssen Verteidigung man Gott mehr als <strong>de</strong>n Menschen gehorchen muß.<br />

Auch kann ich nicht das Ärgernis <strong>de</strong>s Glaubens verhüten, sintemal Christus ein Stein<br />

<strong>de</strong>s Ärgernisses ist.“ Erneut drang man in ihn, seine Bücher <strong>de</strong>m Urteil <strong>de</strong>s Kaisers und <strong>de</strong>s<br />

Reiches furchtlos zu unterwerfen. Luther erwi<strong>de</strong>rte: „Ich habe nichts dawi<strong>de</strong>r, daß <strong>de</strong>r<br />

Kaiser o<strong>de</strong>r die Fürsten o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r geringste Christ meine Bücher prüfen, aber nur nach <strong>de</strong>m<br />

Worte Gottes. Die Menschen müssen diesem allein gehorchen. Mein Gewissen ist in Gottes<br />

Wort und Heiliger Schrift gebun<strong>de</strong>n.“<br />

Auf einen an<strong>de</strong>rn Überredungsversuch gab er zur Antwort: „Ich will eher das Geleit<br />

aufgeben, meine Person und mein Leben <strong>de</strong>m Kaiser preisgeben, aber niemals Gottes<br />

Wort.“ Er erklärte seine Bereitschaft, sich <strong>de</strong>m Entscheid eines allgemeinen Konzils zu<br />

unterwerfen, aber nur unter <strong>de</strong>r Bedingung, daß es nach <strong>de</strong>r Schrift entschei<strong>de</strong>. „Was das<br />

Wort Gottes und <strong>de</strong>n Glauben anbelangt“, fügte er hinzu, „so kann je<strong>de</strong>r Christ ebensogut<br />

urteilen wie <strong>de</strong>r Papst es für ihn tun könnte, sollten ihn auch eine Million Konzilien<br />

111


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

unterstützen.“ Freun<strong>de</strong> und Gegner waren schließlich überzeugt, daß weitere<br />

Versöhnungsversuche nutzlos seien. Hätte <strong>de</strong>r Reformator nur in einem einzigen Punkt<br />

nachgegeben, so wür<strong>de</strong>n die Mächte <strong>de</strong>r Finsternis <strong>de</strong>n Sieg davongetragen haben.<br />

Aber sein felsenfestes Ausharren beim Worte Gottes war das Mittel zur Befreiung <strong>de</strong>r<br />

Gemein<strong>de</strong> und <strong>de</strong>r Anfang eines neuen und besseren Zeitalters. In<strong>de</strong>m Luther in religiösen<br />

Dingen selbständig zu <strong>de</strong>nken und zu han<strong>de</strong>ln wagte, beeinflußte er nicht nur die Kirche, ja<br />

die ganze Welt seiner Zeit, son<strong>de</strong>rn auch alle künftigen Geschlechter. Seine Standhaftigkeit<br />

und Treue sollten bis zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Tage alle stärken, die ähnliche Erfahrungen zu bestehen<br />

haben wer<strong>de</strong>n. Gottes Macht und Majestät stan<strong>de</strong>n erhaben über <strong>de</strong>m Rat <strong>de</strong>r Menschen und<br />

über <strong>de</strong>r gewaltigen Macht <strong>de</strong>s Bösen.<br />

Bald darauf erging an Luther <strong>de</strong>r kaiserliche Befehl, in seine Heimat<br />

zurückzukehren,und er wußte,daß dieser Weisung bald seine Verurteilung folgen wür<strong>de</strong>.<br />

Drohen<strong>de</strong> Wolken hingen über seinem Pfad. Doch als er Worms verließ, erfüllten Freu<strong>de</strong><br />

und Dank sein Herz. „Der Teufel hat auch wohl verwahret <strong>de</strong>s Papstes Regiment und wollte<br />

es verteidigen; aber Christus machte ein Loch darein.“ Auf seiner Heimreise schrieb Luther,<br />

<strong>de</strong>r noch immer von <strong>de</strong>m Wunsch beseelt war, daß seine Festigkeit nicht als Empörung<br />

miß<strong>de</strong>utet wer<strong>de</strong>n möchte, an <strong>de</strong>n Kaiser: „Gott, <strong>de</strong>r ein Herzenskündiger ist, ist mein Zeuge,<br />

daß ich in aller Untertänigkeit Eurer Kaiserlichen Majestät Gehorsam zu leisten ganz willig<br />

und bereit bin, es sei durch Leben o<strong>de</strong>r Tod, durch Ehre, durch Schan<strong>de</strong>, Gut o<strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>n.<br />

Ich habe auch nichts vorbehalten als allein das göttliche Wort, in welchem <strong>de</strong>r Mensch nicht<br />

allein lebt, son<strong>de</strong>rn wonach es auch <strong>de</strong>n Engeln gelüstet zu schauen.“ — „In zeitlichen<br />

Sachen sind wir schuldig, einan<strong>de</strong>r zu vertrauen, weil <strong>de</strong>rselben Dinge Unterwerfung,<br />

Gefahr und Verlust <strong>de</strong>r Seligkeit keinen Scha<strong>de</strong>n tut. Aber in Gottes Sache und ewigen<br />

Gütern lei<strong>de</strong>t Gott solche Gefahr nicht, daß <strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>m Menschen solches<br />

unterwerfe.“ — „Solcher Glaube und Unterwerfung ist das wahre rechte Anbeten und <strong>de</strong>r<br />

eigentliche Gottesdienst.“<br />

Auf <strong>de</strong>r Rückreise von Worms war Luthers Empfang in <strong>de</strong>n einzelnen Städten sogar<br />

noch großartiger als auf <strong>de</strong>r Hinreise. Hochstehen<strong>de</strong> Geistliche bewillkommneten <strong>de</strong>n mit<br />

<strong>de</strong>m Bann belegten Mönch, und weltliche Beamte ehrten <strong>de</strong>n vom Kaiser geächteten Mann.<br />

Er wur<strong>de</strong> aufgefor<strong>de</strong>rt, zu predigen und betrat auch trotz <strong>de</strong>s kaiserlichen Verbots die<br />

Kanzel. Er selbst hatte keine Be<strong>de</strong>nken; „<strong>de</strong>nn er habe nicht darein gewilligt, daß Gottes<br />

Wort gebun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>“.<br />

Die Legaten <strong>de</strong>s Papstes erpreßten bald nach seiner Abreise vom Kaiser die Erklärung<br />

<strong>de</strong>r Reichsacht. Darin wur<strong>de</strong> Luther „nicht als ein Mensch, son<strong>de</strong>rn als <strong>de</strong>r böse Feind in<br />

Gestalt eines Menschen mit angenommener Mönchskutte“ gebrandmarkt. Es wur<strong>de</strong><br />

befohlen, nach Ablauf seines Sicherheitsgeleites Maßregeln gegen ihn zu ergreifen, um sein<br />

Werk aufzuhalten. Es war je<strong>de</strong>rmann verboten, ihn zu beherbergen, ihm Speise o<strong>de</strong>r Trank<br />

anzubieten, ihm durch Wort o<strong>de</strong>r Tat öffentlich o<strong>de</strong>r geheim zu helfen o<strong>de</strong>r ihn zu<br />

unterstützen. Er sollte, gleich wo er auch war, festgenommen und <strong>de</strong>r Obrigkeit ausgeliefert<br />

112


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

wer<strong>de</strong>n. Seine Anhänger sollten ebenfalls gefangengesetzt und ihr Eigentum beschlagnahmt<br />

wer<strong>de</strong>n. Seine Schriften sollten vernichtet und schließlich alle, die es wagen wür<strong>de</strong>n, diesem<br />

Erlaß entgegenzuhan<strong>de</strong>ln, in seine Verurteilung eingeschlossen wer<strong>de</strong>n. Der Kurfürst von<br />

Sachsen und die Fürsten, die Luther am günstigsten gesonnen waren, hatten Worms bald<br />

nach seiner Abreise verlassen. Der Reichstag bestätigte nun <strong>de</strong>n Erlaß <strong>de</strong>s Kaisers.<br />

Jetzt frohlockten die Römlinge. Sie betrachteten das Schicksal <strong>de</strong>r Reformation für<br />

besiegelt. Gott hatte für seinen Diener in dieser Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gefahr einen Weg <strong>de</strong>r Rettung<br />

vorbereitet. Ein wachsames Auge war Luthers Schritten gefolgt, und ein treues und edles<br />

Herz hatte sich zu seiner Rettung entschlossen. Es war <strong>de</strong>utlich, daß Rom nichts Geringeres<br />

als seinen Tod for<strong>de</strong>rn wür<strong>de</strong>; nur in<strong>de</strong>m er sich verbarg, konnte er vor <strong>de</strong>m Rachen <strong>de</strong>s<br />

Löwen bewahrt wer<strong>de</strong>n. Gott gab Friedrich von Sachsen Weisheit, einen Plan zu entwerfen,<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Reformator am Leben erhalten sollte. Unter <strong>de</strong>r Mitwirkung treuer Freun<strong>de</strong> wur<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>s Kurfürsten Absicht ausgeführt und Luther erfolgreich vor Freun<strong>de</strong>n und Fein<strong>de</strong>n<br />

verborgen. Auf seiner Heimreise wur<strong>de</strong> er gefangengenommen, von seinen Begleitern<br />

getrennt und in aller Eile durch die Wäl<strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>r Wartburg, einer einsamen Burgfeste,<br />

gebracht. Seine Gefangennahme und auch sein Verschwin<strong>de</strong>n geschahen unter so<br />

geheimnisvollen Umstän<strong>de</strong>n, daß selbst Friedrich lange nicht wußte, wohin Luther entführt<br />

wor<strong>de</strong>n war. Mit voller Absicht blieb <strong>de</strong>r Kurfürst in Unkenntnis; <strong>de</strong>nn solange er von<br />

Luthers Aufenthalt nichts wußte, konnte er keine Auskunft geben. Er vergewisserte sich,<br />

daß <strong>de</strong>r Reformator in Sicherheit war, und damit gab er sich zufrie<strong>de</strong>n.<br />

Frühling, Sommer und Herbst gingen vorüber, <strong>de</strong>r Winter kam, und Luther blieb noch<br />

immer ein Gefangener. Alean<strong>de</strong>r und seine Anhänger frohlockten, daß das Licht <strong>de</strong>s<br />

Evangeliums <strong>de</strong>m Verlöschen nahe schien. Statt <strong>de</strong>ssen aber füllte <strong>de</strong>r Reformator seine<br />

Lampe aus <strong>de</strong>m Vorratshaus <strong>de</strong>r Wahrheit, damit ihr Licht um so heller leuchte. In <strong>de</strong>r<br />

freundlichen Sicherheit <strong>de</strong>r Wartburg erfreute sich Luther eine Zeitlang eines Daseins ohne<br />

die Hitze und das Getümmel <strong>de</strong>s Kampfes. Aber in <strong>de</strong>r Ruhe und Stille konnte er nicht lange<br />

Befriedigung fin<strong>de</strong>n. An ein Leben <strong>de</strong>r Tat und harten Kampfes gewöhnt, konnte er es<br />

schwer ertragen, untätig zu sein. In jenen einsamen Tagen vergegenwärtigte er sich <strong>de</strong>n<br />

Zustand <strong>de</strong>r Kirche, und er rief in seiner Not: „Aber, es ist niemand, <strong>de</strong>r sich aufmache und<br />

zu Gott halte o<strong>de</strong>r sich zur Mauer stelle für das Haus Israel an diesem letzten Tage <strong>de</strong>s<br />

Zorns Gottes!“<br />

Wie<strong>de</strong>rum richteten sich seine Gedanken auf seine Person, und er fürchtete, er könnte<br />

durch seinen Rückzug vom Kampf <strong>de</strong>r Feigheit beschuldigt wer<strong>de</strong>n. Dann machte er sich<br />

Vorwürfe wegen seiner Lässigkeit und Bequemlichkeit. Und doch vollbrachte er zur selben<br />

Zeit täglich mehr, als ein Mann zu leisten imstan<strong>de</strong> schien. Seine Fe<strong>de</strong>r war nie müßig.<br />

Während seine Fein<strong>de</strong> sich schmeichelten, ihn zum Schweigen gebracht zu haben, wur<strong>de</strong>n<br />

sie in Erstaunen versetzt und verwirrt durch handgreifliche Beweise seines Wirkens. Eine<br />

Fülle von Abhandlungen , die aus seiner Fe<strong>de</strong>r flossen, machten die Run<strong>de</strong> durch ganz<br />

Deutschland. Vor allem leistete er seinen Landsleuten einen außeror<strong>de</strong>ntlich wichtigen<br />

113


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Dienst, in<strong>de</strong>m er das Neue Testament in die <strong>de</strong>utsche Sprache übersetzte. Auf seinem<br />

felsigen Patmos arbeitete er fast ein Jahr lang, durch Schriften das Evangelium zu<br />

verkündigen und die Sün<strong>de</strong>n und Irrtümer <strong>de</strong>r Zeit zu rügen.<br />

Gott hatte seinen Diener <strong>de</strong>m Schauplatz <strong>de</strong>s öffentlichen Lebens nicht nur <strong>de</strong>shalb<br />

entrückt, um ihn vor <strong>de</strong>m Zorn seiner Fein<strong>de</strong> zu bewahren o<strong>de</strong>r um ihm für jene wichtigen<br />

Aufgaben eine Zeitlang Ruhe zu verschaffen. Köstlichere Erfolge als diese sollten erzielt<br />

wer<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>r Einsamkeit und Verborgenheit seiner bergigen Zufluchtsstätte war Luther<br />

allen irdischen Stützen fern und ohne menschlichen Lobpreis. Somit blieb er vor Stolz und<br />

<strong>de</strong>m Auf-sichselbst-Verlassen bewahrt, die so oft durch Erfolg verursacht wer<strong>de</strong>n. Durch<br />

Lei<strong>de</strong>n und Demütigung wur<strong>de</strong> er vorbereitet, wie<strong>de</strong>rum sicher die schwin<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Höhen zu<br />

betreten, zu <strong>de</strong>nen er so plötzlich erhoben wor<strong>de</strong>n war.<br />

Wenn Menschen sich <strong>de</strong>r Freiheit erfreuen, welche die Wahrheit ihnen bringt, sind sie<br />

geneigt, die zu verherrlichen, <strong>de</strong>ren sich Gott bedient, um die Ketten <strong>de</strong>s Irrtums und <strong>de</strong>s<br />

Aberglaubens zu brechen. Satan versucht, <strong>de</strong>r Menschen Gedanken und Neigungen von<br />

Gott abzuwen<strong>de</strong>n und auf menschliche Werkzeuge zu richten. Er veranlaßt sie, das bloße<br />

Werkzeug zu ehren und die Hand, die alle Ereignisse <strong>de</strong>r Vorsehung leitet, unbeachtet zu<br />

lassen. Nur zu oft verlieren religiöse Verantwortungsträger, die auf diese Weise gepriesen<br />

und verehrt wer<strong>de</strong>n, ihre Abhängigkeit von Gott aus <strong>de</strong>n Augen und verlassen sich auf sich<br />

selbst. Sie suchen dann die Gemüter und Gewissen <strong>de</strong>s Volkes zu beherrschen, das eher<br />

bereit ist, auf sie, statt auf das Wort Gottes zu sehen. Das Werk einer Umgestaltung wird oft<br />

gehemmt, weil dieser Geist von ihren Anhängern genährt wird. Vor dieser Gefahr wollte<br />

Gott die Reformation bewahren. Er wünschte, dieses Werk solle sein Gepräge nicht durch<br />

Menschen, son<strong>de</strong>rn durch ihn selbst erhalten. Die Augen <strong>de</strong>r Menschen hatten sich auf<br />

Luther, <strong>de</strong>n Ausleger <strong>de</strong>r Wahrheit, gewandt; dieser trat nun zurück, damit sich all unser<br />

Schauen auf <strong>de</strong>n Einen richten kann, in <strong>de</strong>m die Wahrheit gegrün<strong>de</strong>t ist.<br />

114


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 9- Der Reformator <strong>de</strong>r Schweiz<br />

In <strong>de</strong>r Wahl <strong>de</strong>r Werkzeuge für eine Reform <strong>de</strong>r Kirche zeigt sich <strong>de</strong>r gleiche göttliche<br />

Plan wie bei <strong>de</strong>r Gründung <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong>. Der himmlische Lehrer ging an <strong>de</strong>n Großen <strong>de</strong>r<br />

Er<strong>de</strong>, an <strong>de</strong>n Angesehenen und Reichen, die gewohnt waren, als Führer <strong>de</strong>s Volkes Lob und<br />

Huldigung zu empfangen, vorüber. Diese waren so stolz und vertrauten so sehr auf ihre<br />

vielgerühmte Überlegenheit, daß sie nicht umgeformt wer<strong>de</strong>n konnten, um mit ihren<br />

Mitmenschen zu fühlen und Mitarbeiter <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mütigen Nazareners zu wer<strong>de</strong>n. An die<br />

ungelehrten, schwer arbeiten<strong>de</strong>n Fischer aus Galiläa erging <strong>de</strong>r Ruf: „Folget mir nach; ich<br />

will euch zu Menschenfischern machen!“ Matthäus 4,19. Diese Jünger waren <strong>de</strong>mütig und<br />

ließen sich belehren. Je weniger sie von <strong>de</strong>n falschen Lehren ihrer Zeit beeinflußt waren,<br />

<strong>de</strong>sto erfolgreicher konnte Christus sie unterrichten und für seinen Dienst heranbil<strong>de</strong>n. So<br />

war es auch in <strong>de</strong>n Tagen <strong>de</strong>r großen Reformation. Die leiten<strong>de</strong>n Reformatoren waren von<br />

geringer Herkunft — Männer, die unter ihren Zeitgenossen am wenigsten von Dünkel und<br />

vom Einfluß <strong>de</strong>r Scheinfrömmigkeit und <strong>de</strong>s Priestertrugs belastet waren. Es liegt im Plan<br />

Gottes, sich beschei<strong>de</strong>ner Mitarbeiter zu bedienen, um große Erfolge zu erreichen. Dann<br />

wer<strong>de</strong>n Ruhm und Ehre nicht <strong>de</strong>n Menschen zufallen, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r durch sie das<br />

Wollen und das Vollbringen nach seinem Wohlgefallen wirkt.<br />

Nur wenige Wochen nach Luthers Geburt in <strong>de</strong>r Hütte eines sächsischen Bergmannes<br />

wur<strong>de</strong> Ulrich Zwingli als Sohn eines Landamtmannes in <strong>de</strong>n Alpen geboren. Zwinglis<br />

Umgebung in seiner Kindheit und seine erste Erziehung waren eine gute Vorbereitung für<br />

seine künftige Aufgabe. Inmitten einer Umgebung von natürlicher Pracht, Schönheit und<br />

Erhabenheit erzogen, wur<strong>de</strong> sein Gemüt frühzeitig von einem Gefühl <strong>de</strong>r Größe, Macht und<br />

Majestät Gottes erfüllt. Die Berichte von <strong>de</strong>n auf seinen heimatlichen Bergen vollbrachten<br />

tapferen Taten entzün<strong>de</strong>te seine jugendliche Sehnsucht. Zu <strong>de</strong>n Füßen seiner frommen<br />

Großmutter lauschte er <strong>de</strong>n köstlichen Erzählungen aus <strong>de</strong>r Bibel, die sie aus <strong>de</strong>n Legen<strong>de</strong>n<br />

und Überlieferungen <strong>de</strong>r Kirche ausgewählt hatte. Mit tiefer Anteilnahme hörte er von <strong>de</strong>n<br />

großen Taten <strong>de</strong>r Erzväter und Propheten, von <strong>de</strong>n Hirten, die auf <strong>de</strong>n Hügeln Palästinas<br />

ihre Her<strong>de</strong>n gewei<strong>de</strong>t hatten, wo Engel mit ihnen von <strong>de</strong>m Kindlein zu Bethlehem und <strong>de</strong>m<br />

Mann von Golgatha re<strong>de</strong>ten.<br />

Gleich Hans Luther wollte auch Zwinglis Vater seinem Sohn eine gute Ausbildung<br />

mitgeben. Der Knabe wur<strong>de</strong> sehr bald aus seinem heimatlichen Tal fortgeschickt. Sein<br />

Verstand entwickelte sich rasch, und bald tauchte die Frage auf, wo man fähige Lehrer für<br />

ihn fin<strong>de</strong>n könne. Mit dreizehn Jahren ging er nach Bern, wo sich damals die<br />

hervorragendste Schule <strong>de</strong>r Schweiz befand. Hier jedoch erstand eine Gefahr, die sein<br />

vielversprechen<strong>de</strong>s Leben zu vernichten drohte. Die Mönche bemühten sich beharrlich, ihn<br />

zum Eintritt in ein Kloster zu bewegen. Dominikaner und Franziskaner wetteiferten um die<br />

Gunst <strong>de</strong>s Volkes, die sie durch <strong>de</strong>n glänzen<strong>de</strong>n Schmuck ihrer Kirchen, das Gepränge ihrer<br />

Zeremonien, <strong>de</strong>n Reiz berühmter Reliquien und Wun<strong>de</strong>r wirken<strong>de</strong>r Bil<strong>de</strong>r zu erreichen<br />

suchten.<br />

115


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Die Dominikaner von Bern erkannten, daß sie sich Gewinn und Ehre verschaffen<br />

wür<strong>de</strong>n, wenn sie diesen begabten jungen Stu<strong>de</strong>nten gewönnen. Seine außeror<strong>de</strong>ntliche<br />

Jugend, seine natürliche Fähigkeit als Redner und Schreiber sowie seine Begabung für<br />

Musik und Dichtkunst wären wirksamer, das Volk zu ihren Gottesdiensten herbeizuziehen<br />

und die Einkünfte ihres Or<strong>de</strong>ns zu mehren, als all ihr Prunk und Aufwand. Durch<br />

Täuschung und Schmeichelei versuchten sie Zwingli zu verleiten, in ihr Kloster einzutreten.<br />

Luther hatte sich während seiner Studienzeit in einer Klosterzelle vergraben und wäre für<br />

die Welt verloren gewesen, hätte nicht Gottes Vorsehung ihn daraus befreit. Zwingli geriet<br />

nicht in diese Gefahr. Die Vorsehung fügte es, daß sein Vater von <strong>de</strong>n Absichten <strong>de</strong>r<br />

Mönche erfuhr. Da er nicht gewillt war, seinen Sohn <strong>de</strong>m müßigen und nutzlosen Leben <strong>de</strong>r<br />

Mönche frönen zu lassen, und außer<strong>de</strong>m erkannte, daß <strong>de</strong>ssen zukünftige Brauchbarkeit auf<br />

<strong>de</strong>m Spiel stand, wies er ihn an, unverzüglich nach Hause zurückzukehren.<br />

Der Jüngling gehorchte; doch blieb er nicht lange in seinem heimatlichen Tal, son<strong>de</strong>rn<br />

nahm bald seine Studien wie<strong>de</strong>r auf und begab sich wenig später nach Basel. Hier hörte<br />

Zwingli zum erstenmal das Evangelium von <strong>de</strong>r freien Gna<strong>de</strong> Gottes. Wyttenbach, ein<br />

Lehrer <strong>de</strong>r alten Sprachen, war durch das Studium <strong>de</strong>s Griechischen und Hebräischen zur<br />

Heiligen Schrift geführt wor<strong>de</strong>n. Durch ihn wur<strong>de</strong>n seinen Stu<strong>de</strong>nten „gewisse Samenkörner<br />

mitgeteilt und <strong>de</strong>r Antrieb geweckt, ohne weitere Rücksicht auf die sophistischen Torheiten<br />

<strong>de</strong>m Lesen <strong>de</strong>r Schrift selbst sich zuzuwen<strong>de</strong>n“. „Er wi<strong>de</strong>rlegte <strong>de</strong>n päpstlichen Ablaß und<br />

die Verdienstlichkeit <strong>de</strong>r sogenannten guten Werke und behauptete, <strong>de</strong>r Tod Christi sei die<br />

einzige Genugtuung für unsere Sün<strong>de</strong>n.“ Auf Zwingli wirkten diese Worte wie <strong>de</strong>r erste<br />

Lichtstrahl, mit <strong>de</strong>m die Morgendämmerung anbricht.<br />

Bald wur<strong>de</strong> Zwingli von Basel abberufen, um seine Lebensaufgabe anzutreten. Sein<br />

erstes Arbeitsfeld war eine Pfarrei in <strong>de</strong>n Alpen, nicht weit von seinem heimatlichen Tal.<br />

Nach<strong>de</strong>m Zwingli die Priesterweihe empfangen hatte, widmete er sich ganz <strong>de</strong>r Erforschung<br />

<strong>de</strong>r göttlichen Wahrheit, „<strong>de</strong>nn er wußte“, fügte Myconius hinzu, „wie vieles <strong>de</strong>rjenige zu<br />

wissen nötig hat, welchem das Amt anvertraut ist, die Her<strong>de</strong> Christi zu lehren“. Je mehr <strong>de</strong>r<br />

junge Priester in <strong>de</strong>r Heiligen Schrift forschte, <strong>de</strong>sto <strong>de</strong>utlicher sah er <strong>de</strong>n Gegensatz<br />

zwischen ihren Wahrheiten und <strong>de</strong>n Irrlehren Roms. Er unterwarf sich <strong>de</strong>r Bibel als <strong>de</strong>m<br />

Worte Gottes, <strong>de</strong>r allein hinreichen<strong>de</strong>n, unfehlbaren Richtschnur. Er erkannte, daß sie sich<br />

selbst auslegen müsse und wagte es <strong>de</strong>shalb nicht, die Heilige Schrift auszulegen, um eine<br />

angenommene Ansicht o<strong>de</strong>r Lehre zu beweisen, son<strong>de</strong>rn hielt es für seine Pflicht, ihre<br />

unmittelbaren, <strong>de</strong>utlichen Aussagen zu erforschen. Er bediente sich je<strong>de</strong>s Hilfsmittels, um<br />

ein volles und richtiges Verständnis ihres Sinnes zu erlangen und erflehte <strong>de</strong>n Beistand <strong>de</strong>s<br />

Heiligen Geistes, <strong>de</strong>r nach seiner Überzeugung allen, die ihn aufrichtig und unter Gebet<br />

suchen, das göttliche Wort offenbart.<br />

Zwingli schrieb hierüber: „Die Schrift ist von Gott und nicht von Menschen<br />

hergekommen“ 2.Petrus 1,21. „Eben <strong>de</strong>r Gott, <strong>de</strong>r ihn erleuchtet, <strong>de</strong>r wird auch dir zu<br />

verstehen geben, daß seine Re<strong>de</strong> von Gott kommt.“ — „Das Wort Gottes ist gewiß, fehlt<br />

116


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

nicht, es ist klar, läßt nicht in <strong>de</strong>r Finsternis irren, es lehrt sich selbst, tut sich selbst auf und<br />

bescheint die menschliche Seele mit allem Heil und Gna<strong>de</strong>n, tröstet sie in Gott, <strong>de</strong>mütigt sie,<br />

so daß sie selbst verliert, ja verwirft und faßt Gott in sich, in <strong>de</strong>m lebt sie, danach fechtet<br />

sie.“ Zwingli hatte die Wahrheit dieser Worte an sich selbst erfahren. Später spricht er noch<br />

einmal von dieser Erfahrung: „Als ich vor sieben o<strong>de</strong>r acht Jahren anhub, mich ganz an die<br />

Heilige Schrift zu lassen, wollte mir die Philosophie und Theologie <strong>de</strong>r Zänker immerdar<br />

ihre Einwürfe machen. Da kam ich zuletzt dahin, daß ich dachte (doch mit Schrift und Wort<br />

Gottes dazu geleitet): Du mußt das alles lassen liegen und die Meinung Gottes lauter aus<br />

seinem eigenen einfältigen Wort lernen. Da hub ich an, Gott um sein Licht zu bitten, und<br />

fing mir an, die Schrift viel heller zu wer<strong>de</strong>n.“<br />

Die Lehre, die Zwingli verkündigte, hatte er nicht von Luther empfangen: es war die<br />

Lehre Christi. „Predigt Luther Christus“, schrieb <strong>de</strong>r schweizerische Reformator, „so tut er<br />

eben dasselbe, was ich tue; wiewohl, Gott sei gelobt, durch ihn eine unzählbare Welt mehr<br />

als durch mich und an<strong>de</strong>re zu Gott geführt wer<strong>de</strong>n. Dennoch will ich keinen an<strong>de</strong>ren Namen<br />

tragen als <strong>de</strong>n meines Hauptmanns Christi, <strong>de</strong>ssen Kriegsmann ich bin; <strong>de</strong>r wird mir Amt<br />

und Sold geben, so viel ihm gut dünkt.“ — „Dennoch bezeuge ich vor Gott und allen<br />

Menschen, daß ich keinen Buchstaben alle Tage meines Lebens Luther geschrieben habe,<br />

noch er mir, noch habe ich solches veranstaltet. Solches habe ich nicht unterlassen aus<br />

Menschenfurcht, son<strong>de</strong>rn weil ich dadurch habe allen Menschen offenbaren wollen, wie<br />

einhellig <strong>de</strong>r Geist Gottes sei, daß wir so weit von einan<strong>de</strong>r wohnen, <strong>de</strong>nnoch so einhellig<br />

die Lehre Christi lehren, obwohl ich ihm nicht anzuzählen bin, <strong>de</strong>nn je<strong>de</strong>r von uns tut, soviel<br />

ihm Gott weist.“<br />

Zwingli wur<strong>de</strong> 1516 eine Pfarrstelle am Kloster zu Einsie<strong>de</strong>ln angeboten. Hier erhielt er<br />

einen klareren Einblick in die Ver<strong>de</strong>rbtheit Roms. Er übte einen reformerischen Einfluß aus,<br />

<strong>de</strong>r sich weit über seine heimatlichen Alpen hinaus fühlbar machen sollte. Ein angeblich<br />

Wun<strong>de</strong>r wirken<strong>de</strong>s Gna<strong>de</strong>nbild <strong>de</strong>r Jungfrau Maria gehörte zu <strong>de</strong>n Hauptanziehungspunkten<br />

in Einsie<strong>de</strong>ln. Über <strong>de</strong>r Eingangspforte <strong>de</strong>s Klosters prangte die Inschrift: „Hier fin<strong>de</strong>t man<br />

volle Vergebung <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>n.“1 Das ganze Jahr hindurch zogen Pilger zum Altar <strong>de</strong>r Maria.<br />

Doch einmal im Jahr kamen sie in großer Zahl aus allen Teilen <strong>de</strong>r Schweiz und auch aus<br />

Deutschland und Frankreich. Dieser Anblick schmerzte Zwingli sehr, und er benutzte solche<br />

Gelegenheiten, ihnen die herrliche Freiheit <strong>de</strong>s Evangeliums zu verkündigen.<br />

Die Vergebung <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>n und das ewige Leben seien „bei Christo und nicht bei <strong>de</strong>r<br />

heiligen Jungfrau zu suchen; <strong>de</strong>r Ablaß, die Wallfahrt und Gelüb<strong>de</strong>, die Geschenke, die man<br />

<strong>de</strong>n Heiligen machte, haben wenig Wert. Gottes Gna<strong>de</strong> und Hilfe sei allen Orten gleich nahe<br />

und er höre das Gebet an<strong>de</strong>rswo nicht weniger als zu Einsie<strong>de</strong>ln“. — „Wir ehren Gott mit<br />

Plappergebeten, mit auswendigem Schein <strong>de</strong>r Kutten, mit weißem Geschleife, mit<br />

säuberlich geschorenen Glatzen, mit langen, schön gefalteten Röcken, mit wohlvergül<strong>de</strong>ten<br />

Mauleseln.“ — „Aber das Herz ist fern von Gott.“ — „Christus, <strong>de</strong>r sich einmal für uns<br />

117


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

geopfert hat, ist ein in Ewigkeit währen<strong>de</strong>s und bezahlen<strong>de</strong>s Opfer für die Sün<strong>de</strong>n aller<br />

Gläubigen.“<br />

Nicht allen seiner vielen Zuhörer war diese Lehre willkommen. Manche zeigten sich<br />

sehr enttäuscht, daß ihre lange und mühsame Pilgerreise vergebens unternommen wor<strong>de</strong>n<br />

war. Sie konnten die ihnen in Christus frei angebotene Vergebung nicht fassen. Sie waren<br />

zufrie<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>m alten Weg zum Himmel, <strong>de</strong>n Rom ihnen vorgezeichnet hatte. Die<br />

Schwierigkeit, nach etwas Besserem zu suchen, schreckte sie zurück. Ihre Seligkeit Papst<br />

und Priestern anzuvertrauen, fiel ihnen leichter, als nach Reinheit <strong>de</strong>s Herzens zu trachten.<br />

An<strong>de</strong>re aber freuten sich über die frohe Kun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Erlösung in Christus. Ihnen hatten die<br />

von Rom auferlegten Bür<strong>de</strong>n keinen Seelenfrie<strong>de</strong>n gebracht, und gläubig nahmen sie <strong>de</strong>s<br />

Heilan<strong>de</strong>s Blut zu ihrer Versöhnung an. Sie kehrten in ihre Heimat zurück, um an<strong>de</strong>ren das<br />

köstliche Licht zu offenbaren, das sie empfangen hatten. Auf diese Weise pflanzte sich die<br />

Wahrheit von Weiler zu Weiler von Stadt zu Stadt fort; die Zahl <strong>de</strong>r Pilger zu <strong>de</strong>m Altar <strong>de</strong>r<br />

Jungfrau dagegen nahm ab, die Gaben verringerten sich, und somit auch Zwinglis Gehalt,<br />

das aus diesen Einkünften bestritten wer<strong>de</strong>n mußte. Trotz alle<strong>de</strong>m verursachte es ihm nur<br />

Freu<strong>de</strong> zu sehen, daß die Macht <strong>de</strong>s Fanatismus und Aberglaubens auch hier gebrochen<br />

wur<strong>de</strong>.<br />

Seine Vorgesetzten wußten um sein Bemühen. Er drang in sie,die Mißstän<strong>de</strong><br />

abzustellen; aber sie schritten nicht ein, son<strong>de</strong>rn hofften, ihn durch Schmeichelei für ihre<br />

Sache zu gewinnen. Unter<strong>de</strong>ssen schlug die Wahrheit in <strong>de</strong>n Herzen <strong>de</strong>s Volkes Wurzel.<br />

Zwinglis Wirken in Einsie<strong>de</strong>ln hatte ihn für ein größeres Feld vorbereitet, das er bald<br />

betreten sollte. Im Dezember 1518 wur<strong>de</strong> er zum Leutpriester am Großmünster zu Zürich<br />

berufen. Zürich war damals schon die be<strong>de</strong>utendste Stadt <strong>de</strong>r schweizerischen<br />

Genossenschaft, so daß <strong>de</strong>r dort ausgeübte Einfluß weithin fühlbar wur<strong>de</strong>. Die Domherren,<br />

auf <strong>de</strong>ren Einladung Zwingli nach Zürich gekommen war, schärften ihm, da sie Neuerungen<br />

befürchteten, bei seiner Amtsübernahme folgen<strong>de</strong> Hauptpflichten ein: „Du mußt nicht<br />

versäumen, für die Einkünfte <strong>de</strong>s Domkapitels zu sorgen und auch das Geringste nicht<br />

verachten. Ermahne die Gläubigen von <strong>de</strong>r Kanzel und <strong>de</strong>m Beichtstuhle, alle Abgaben und<br />

Zehnten zu entrichten und durch Gaben ihre Anhänglichkeit an die Kirche zu bewähren.<br />

Auch die Einkünfte von Kranken, von Opfern und je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rn kirchlichen Handlung mußt<br />

du zu mehren suchen. Auch gehört zu <strong>de</strong>inen Pflichten die Verwaltung <strong>de</strong>s Sakramentes, die<br />

Predigt und die Seelsorge. In mancher Hinsicht, beson<strong>de</strong>rs in <strong>de</strong>r Predigt, kannst du dich<br />

durch einen Vikar ersetzen lassen. Die Sakramente brauchst du nur <strong>de</strong>n Vornehmen, wenn<br />

sie dich for<strong>de</strong>rn, zu reichen; du darfst es sonst ohne Unterschied <strong>de</strong>r Personen nicht tun.“<br />

Ruhig hörte Zwingli diesem Auftrag zu, drückte auch seinen gebühren<strong>de</strong>n Dank aus für<br />

die Ehre, zu einem so wichtigen Amt berufen wor<strong>de</strong>n zu sein, versicherte, alles treu und<br />

redlich ausführen zu wollen, fuhr dann aber fort, „von <strong>de</strong>r Geschichte Christi, <strong>de</strong>s Erlösers,<br />

wie sie <strong>de</strong>r Evangelist Matthäus beschrieben hat, sei wohl schon <strong>de</strong>r Titel länger bekannt,<br />

aber <strong>de</strong>ren Vortrefflichkeit sei schon lange Zeit nicht ohne Verlust <strong>de</strong>s göttlichen Ruhmes<br />

118


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

und <strong>de</strong>r Seelen verborgen geblieben. Dasselbe sei nicht nach menschlichem Gut- dünken zu<br />

erklären, son<strong>de</strong>rn im Sinne <strong>de</strong>s Geistes mit sorgfältigem Vergleich und innigem Gebet“,<br />

„alles zur Ehre Gottes und seines einigen Sohnes und <strong>de</strong>m rechten Heil <strong>de</strong>r Seelen und<br />

Unterrichtung <strong>de</strong>r frommen und bie<strong>de</strong>rn Leute.“ Obwohl etliche <strong>de</strong>r Domherren diesen Plan<br />

nicht billigten und ihn davon abzubringen suchten, blieb Zwingli doch standhaft und<br />

erklärte, so zu predigen sei nicht neu, son<strong>de</strong>rn es sei die alte und ursprüngliche Predigtweise,<br />

wie sie die Kirche in ihrem reineren Zustand geübt habe.<br />

Da das Interesse für die von ihm gelehrten Wahrheiten bereits geweckt war, strömte das<br />

Volk in großer Zahl zu seinen Predigten. Unter seinen Zuhörern befan<strong>de</strong>n sich viele, die<br />

schon lange keine Gottesdienste besucht hatten. Er begann sein Amt mit <strong>de</strong>m ersten Kapitel<br />

<strong>de</strong>s Matthäusbriefes und erklärte, wie ein Zuhörer dieser ersten Predigt berichtet, „das<br />

Evangelium so köstlich durch alle Propheten und Patriarchen, <strong>de</strong>sgleichen auch nach aller<br />

Urteil nie gehört wor<strong>de</strong>n war“. Wie in Einsie<strong>de</strong>ln, so stellte er auch hier das Wort Gottes als<br />

die alleinige Autorität und <strong>de</strong>n Tod Christi als das einzige hinreichen<strong>de</strong> Opfer dar. Seine<br />

Hauptaufgabe sah er darin, „Christus aus <strong>de</strong>r Quelle zu predigen und <strong>de</strong>n reinen Christus in<br />

die Herzen einzupflanzen“. Alle Stän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Volkes, Ratsherren und Gelehrte, Handwerker<br />

und Bauern, scharten sich um diesen Prediger. Mit tiefer Anteilnahme lauschten sie seinen<br />

Worten. Er verkündigte nicht nur das Anerbieten <strong>de</strong>r freien Erlösung, son<strong>de</strong>rn rügte auch<br />

furchtlos die Übelstän<strong>de</strong> und Ver<strong>de</strong>rbnisse seiner Zeit. Viele priesen Gott bei ihrer<br />

Rückkehr aus <strong>de</strong>m Großmünster und sprachen: „Dieser ist ein rechter Prediger <strong>de</strong>r Wahrheit,<br />

<strong>de</strong>r wird sagen, wie die Sachen stehn und als ein Mose uns aus Ägypten führen.“1<br />

Seine Bemühungen wur<strong>de</strong>n zuerst mit großer Begeisterung aufgenommen; doch mit <strong>de</strong>r<br />

Zeit regte sich immer häufiger Wi<strong>de</strong>rspruch. Die Mönche versuchten, sein Werk zu hin<strong>de</strong>rn<br />

und seine Lehren zu verurteilen. Viele bestürmten ihn mit Hohn und Spott; an<strong>de</strong>re drohten<br />

und schmähten. Zwingli trug alles in christlicher Geduld und sagte: „Wenn man die Bösen<br />

zu Christus führen will, so muß man bei manchem die Augen zudrücken.“1 Um diese Zeit<br />

kam ein neues Mittel hinzu, um die Erneuerung <strong>de</strong>r Kirche zu för<strong>de</strong>rn. Der Humanist Beatus<br />

Rhenanus in Basel, ein Freund <strong>de</strong>s evangelischen Glaubens sandte einen gewissen Lucian<br />

mit etlichen Büchern Luthers nach Zürich. Er sah in <strong>de</strong>r Verbreitung solcher Bücher ein<br />

mächtiges Mittel zur För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Lichtes und schrieb Zwingli: „Wenn nun dieser Lucian<br />

Klugheit und Geschmeidigkeit genügend zu haben scheint, so muntere ihn auf, daß er<br />

Luthers Schriften, vor allem die für Laien gedruckte Auslegung <strong>de</strong>s Herrn Gebets, in allen<br />

Städten, Flecken, Dörfern, auch von Haus zu Haus verbreite. Je mehr man ihn kennt, <strong>de</strong>sto<br />

mehr Absatz hat er. Doch soll er sich hüten, gleichzeitig an<strong>de</strong>re Bücher zu verkaufen, <strong>de</strong>nn<br />

je mehr er gezwungen ist, nur diese anzupreisen, eine <strong>de</strong>sto größere Menge solcher Bücher<br />

verkauft er.“ Auf diese Weise fand das Licht Eingang in die Herzen vieler Menschen.<br />

Doch wenn Gott sich anschickt, die Fesseln <strong>de</strong>r Unwissenheit und <strong>de</strong>s Aberglaubens zu<br />

sprengen, dann wirkt auch Satan mit größter Macht, die Menschen in Finsternis zu hüllen<br />

und ihre Ban<strong>de</strong> noch fester zu schmie<strong>de</strong>n. In verschie<strong>de</strong>nen Län<strong>de</strong>rn erhoben sich Männer,<br />

119


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

um <strong>de</strong>n Menschen die freie Vergebung und Rechtfertigung durch das Blut Christi zu<br />

verkündigen. Rom aber begann mit erneuerter Tatkraft in <strong>de</strong>r ganzen Christenheit seinen<br />

Han<strong>de</strong>l, Vergebung gegen Geld feilzubieten. Je<strong>de</strong> Sün<strong>de</strong> hatte ihren Preis, und <strong>de</strong>n<br />

Menschen wur<strong>de</strong> volle Freiheit für grobe Vergehen gewährt, wenn damit nur <strong>de</strong>r<br />

Schatzkasten <strong>de</strong>r Kirche wohl zu füllen war. So schritten bei<strong>de</strong> Bewegungen voran, die eine<br />

bot Freisprechung von Sün<strong>de</strong>n durch Geld, die an<strong>de</strong>re Vergebung durch Christus. Rom<br />

erlaubte die Sün<strong>de</strong> und machte sie zu einer Quelle seiner Einnahmen; die Reformer<br />

verurteilten die Sün<strong>de</strong> und wiesen auf Christus hin als <strong>de</strong>n einzigen Versöhner und Befreier.<br />

In Deutschland war <strong>de</strong>r Verkauf von Ablässen <strong>de</strong>n Dominikanermönchen anvertraut<br />

wor<strong>de</strong>n, wobei Tetzel eine berüchtigte Rolle spielte. In <strong>de</strong>r Schweiz lag <strong>de</strong>r Han<strong>de</strong>l in <strong>de</strong>n<br />

Hän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Franziskaner und wur<strong>de</strong> von Samson, einem italienischen Mönch, geleitet.<br />

Samson hatte <strong>de</strong>r Kirche bereits gute Dienste geleistet, als von ihm in Deutschland und in<br />

<strong>de</strong>r Schweiz ungeheure Summen für die Schatzkammer <strong>de</strong>s Papstes gesammelt wor<strong>de</strong>n<br />

waren. Jetzt durchreiste er die Schweiz unter großem Zuzug, beraubte die armen Landsleute<br />

ihres dürftigen Einkommens und erpreßte Geschenke von <strong>de</strong>n wohlhaben<strong>de</strong>n Klassen. Doch<br />

<strong>de</strong>r Einfluß <strong>de</strong>r Reformbestrebungen machte sich bereits bemerkbar, und <strong>de</strong>r Ablaßhan<strong>de</strong>l<br />

wur<strong>de</strong>, wenn ihm auch nicht völlig Einhalt geboten wer<strong>de</strong>n konnte, sehr beschnitten,<br />

Zwingli weilte noch in Einsie<strong>de</strong>ln, als Samson, kurz nach<strong>de</strong>m er in die Schweiz gekommen<br />

war, <strong>de</strong>n Ablaß in einem benachbarten Ort anbot. Kaum hatte er von <strong>de</strong>ssen Kommen gehört,<br />

als er sich ihm auch schon wi<strong>de</strong>rsetzte. Die bei<strong>de</strong>n trafen sich nicht, doch stellte Zwingli die<br />

Anmaßungen <strong>de</strong>s Mönches mit solchem Erfolg bloß, daß Samson die Gegend verlassen<br />

mußte.<br />

Auch in Zürich predigte Zwingli eifrig gegen <strong>de</strong>n Ablaßhan<strong>de</strong>l, und als Samson sich<br />

später dieser Stadt näherte, be<strong>de</strong>utete ihm ein Ratsbote, er solle weiterziehen. Schließlich<br />

gelang es ihm, durch eine List sich Eingang zu verschaffen; er wur<strong>de</strong> jedoch fortgeschickt,<br />

ohne einen einzigen Ablaß verkauft zu haben,und bald darauf verließ er die Schweiz. Das<br />

Auftreten <strong>de</strong>r Pest, <strong>de</strong>s sogenannten „schwarzen To<strong>de</strong>s“, die 1519 die Schweiz heimsuchte,<br />

verlieh <strong>de</strong>n Erneuerungsbestrebungen starken Auftrieb. Als die Menschen auf diese Weise<br />

<strong>de</strong>m Ver<strong>de</strong>rben unmittelbar gegenübergestellt wur<strong>de</strong>n, sahen viele ein, wie nichtig und<br />

wertlos die Ablässe waren, die sie kürzlich erst gekauft hatten, und sie sehnten sich nach<br />

einem sicheren Grund für ihren Glauben. In Zürich wur<strong>de</strong> auch Zwingli aufs Krankenlager<br />

geworfen. Er lag so schwer danie<strong>de</strong>r, daß man auf seine Genesung nicht mehr zu hoffen<br />

wagte und das Gerücht sich verbreitete, er sei tot. In jener schweren Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Prüfung<br />

blieben jedoch seine Hoffnungen und sein Mut unerschüttert. Im Glauben blickte er auf das<br />

Kreuz von Golgatha und vertraute auf die allgenügsame Versöhnung für die Sün<strong>de</strong>. Als er<br />

von <strong>de</strong>r Pforte <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s zurückgekehrt war, predigte er das Evangelium mit größerer Kraft<br />

als je zuvor, und seine Worte übten eine ungewöhnliche Macht aus. Das Volk begrüßte<br />

freudig seinen verehrten Seelsorger, <strong>de</strong>r ihm wie<strong>de</strong>rgeschenkt war. Mit <strong>de</strong>r Besorgung <strong>de</strong>r<br />

Kranken und Sterben<strong>de</strong>n selbst beschäftigt gewesen, fühlte es wie nie zuvor <strong>de</strong>n Wert <strong>de</strong>s<br />

Evangeliums.<br />

120


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Zwingli war zu einem klareren Verständnis <strong>de</strong>r Evangeliumswahrheiten gelangt und<br />

hatte an sich selbst <strong>de</strong>ren neugestalten<strong>de</strong> Macht völliger erfahren. Der Sün<strong>de</strong>nfall und <strong>de</strong>r<br />

Erlösungsplan waren die Themen, mit <strong>de</strong>nen er sich beschäftigte. Er schrieb: „In Adam sind<br />

wir alle tot und in Ver<strong>de</strong>rbnis und Verdammnis versunken“, aber Christus ist „wahrer<br />

Mensch gleichwie wahrer Gott und ein ewig währen<strong>de</strong>s Gut“. „Sein Lei<strong>de</strong>n ist ewig gut und<br />

fruchtbar, tut <strong>de</strong>r göttlichen Gerechtigkeit in Ewigkeit für die Sün<strong>de</strong>n aller Menschen genug,<br />

die sich sicher und gläubig darauf verlassen.“ Doch lehrte er <strong>de</strong>utlich, daß es <strong>de</strong>n Menschen<br />

unter <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong> Christi nicht freistehe, weiterhin zu sündigen. „Siehe, wo <strong>de</strong>r wahre Glaube<br />

ist (<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Liebe nicht geschie<strong>de</strong>n), da ist Gott. Wo aber Gott ist, da geschieht nichts<br />

Arges ... da fehlt es nicht an guten Werken.“<br />

Zwinglis Predigten erregten solches Aufsehen, daß das Großmünster die Menge nicht<br />

fassen konnte, die ihm zuhören wollte. Nach und nach, wie sie es aufnehmen konnten,<br />

öffnete er seinen Zuhörern die Wahrheit. Er war sorgfältig darauf bedacht, nicht gleich am<br />

Anfang Lehren einzuführen, die sie erschrecken und die Vorurteile erregen wür<strong>de</strong>n. Seine<br />

Aufgabe hieß, ihre Herzen für die Lehren Christi zu gewinnen, sie durch <strong>de</strong>ssen Liebe zu<br />

erweichen und ihnen <strong>de</strong>ssen Beispiel vor Augen zu halten. Nähmen sie die Grundsätze <strong>de</strong>s<br />

Evangeliums an, schwän<strong>de</strong>n unvermeidlich ihre abergläubischen Begriffe und Gebräuche.<br />

Schritt für Schritt ging die Reformation in Zürich vorwärts. Schreckensvoll erhoben sich<br />

ihre Fein<strong>de</strong> zu tatkräftigem Wi<strong>de</strong>rstand. Ein Jahr zuvor hatte <strong>de</strong>r Mönch von Wittenberg in<br />

Worms Papst und Kaiser sein „Nein“ entgegengehalten, und nun schien in Zürich alles auf<br />

ein ähnliches Wi<strong>de</strong>rstreben gegen die päpstlichen Ansprüche hinzu<strong>de</strong>uten. Zwingli wur<strong>de</strong><br />

wie<strong>de</strong>rholt angegriffen. In <strong>de</strong>n päpstlichen Kantonen wur<strong>de</strong>n von Zeit zu Zeit Jünger <strong>de</strong>s<br />

Evangeliums auf <strong>de</strong>n Scheiterhaufen gebracht, doch das genügte nicht; <strong>de</strong>r Lehrer <strong>de</strong>r<br />

Ketzerei mußte zum Schweigen gebracht wer<strong>de</strong>n. Deshalb sandte <strong>de</strong>r Bischof von Konstanz<br />

drei Abgeordnete zu <strong>de</strong>m Rat zu Zürich, die Zwingli anklagten, er lehre das Volk, die Gesetze<br />

<strong>de</strong>r Kirche zu übertreten, und gefähr<strong>de</strong> so <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>n und die Ordnung <strong>de</strong>s Volkes.<br />

Sollte aber die Autorität <strong>de</strong>r Kirche unberücksichtigt bleiben, so träte ein Zustand<br />

allgemeiner Gesetzlosigkeit ein. Zwingli antwortete: „Ich habe schon beinahe vier Jahre<br />

lang das Evangelium Jesu mit saurer Mühe und Arbeit gepredigt. Zürich ist ruhiger und<br />

friedlicher, als je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Ort <strong>de</strong>r Eidgenossenschaft, und dies schreiben alle guten Bürger<br />

<strong>de</strong>m Evangelium zu.“<br />

Die Abgeordneten <strong>de</strong>s Bischofs hatten die Räte ermahnt, in <strong>de</strong>r Kirche zu bleiben, da es<br />

außer ihr kein Heil gebe. Zwingli erwi<strong>de</strong>rte: „Laßt euch, liebe Herrn und Bürger, durch<br />

diese Ermahnung nicht auf <strong>de</strong>n Gedanken führen, daß ihr euch jemals von <strong>de</strong>r Kirche<br />

Christi geson<strong>de</strong>rt habt. Ich glaube zuversichtlich, daß ihr euch noch wohl zu erinnern wißt,<br />

was ich euch in meiner Erklärung über Matthäus gesagt habe, daß jener Fels, welcher <strong>de</strong>m<br />

ihn redlich bekennen<strong>de</strong>n Jünger <strong>de</strong>n Namen Petrus gab, das Fundament <strong>de</strong>r Kirche sei. In<br />

jeglichem Volk, an je<strong>de</strong>m Ort, wer mit seinem Mun<strong>de</strong> Jesum bekennt und im Herzen glaubt,<br />

Gott habe ihn von <strong>de</strong>n Toten auferweckt, wird selig wer<strong>de</strong>n. Es ist gewiß, daß niemand<br />

121


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

außer <strong>de</strong>rjenigen Kirche selig wer<strong>de</strong>n kann.“ Die Folge dieser Verhandlung war, daß bald<br />

darauf Wanner, einer <strong>de</strong>r drei Abgesandten <strong>de</strong>s Bischofs, sich offen zum Evangelium<br />

bekannte.<br />

Der Zürcher Rat lehnte je<strong>de</strong>s Vorgehen gegen Zwingli ab, und Rom rüstete sich zu<br />

einem neuen Angriff. Als Zwingli von <strong>de</strong>n Plänen <strong>de</strong>r Römlinge hörte, schrieb er von ihnen<br />

als solchen, „welche ich weniger fürchte, wie ein hohes Ufer die Wellen drohen<strong>de</strong>r Flüsse“.<br />

Die Anstrengungen <strong>de</strong>r Priester för<strong>de</strong>rten nur die Sache, die sie zu vernichten trachteten.<br />

Die Wahrheit breitete sich immer weiter aus. In Deutschland faßten die Anhänger Luthers,<br />

die durch <strong>de</strong>ssen Verschwin<strong>de</strong>n entmutigt waren, neuen Mut, als sie von <strong>de</strong>m Wachstum <strong>de</strong>s<br />

Evangeliums in <strong>de</strong>r Schweiz hörten. Als die Reformation in Zürich Wurzel gefaßt hatte, sah<br />

man ihre Früchte in <strong>de</strong>r Unterdrückung <strong>de</strong>s Lasters und in <strong>de</strong>r För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Ordnung und<br />

friedlichen Einvernehmens, so daß Zwingli schreiben konnte: „Der Frie<strong>de</strong> weilt in unserer<br />

Stadt. Zu dieser Ruhe hat aber wohl die Einigkeit <strong>de</strong>r Prediger <strong>de</strong>s Worts nicht das geringste<br />

beigetragen. Zwischen uns gibt es keine Spannung, keine Zwietracht, keinen Neid, keine<br />

Zänkereien und Streitigkeiten. Wem könnte man aber diese Übereinstimmung <strong>de</strong>r Gemüter<br />

mehr zuschreiben als wie <strong>de</strong>m höchsten, besten Gott?“<br />

Die von <strong>de</strong>r Reformation errungenen Erfolge reizten die Anhänger Roms zu noch<br />

größeren Anstrengungen, sie zu vernichten. Da die Unterdrückung <strong>de</strong>r Sache Luthers in<br />

Deutschland durch Verfolgungen so wenig fruchtete, entschlossen sie sich, die<br />

Reformbestrebungen mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Es sollte ein Streitgespräch mit<br />

Zwingli stattfin<strong>de</strong>n, und da die Anordnung dieses Gespräches in ihren Hän<strong>de</strong>n lag, wollten<br />

sie sich dadurch <strong>de</strong>n Sieg sichern, in<strong>de</strong>m sie <strong>de</strong>n Kampfplatz und die Richter, die zwischen<br />

<strong>de</strong>n Streiten<strong>de</strong>n entschei<strong>de</strong>n sollten, wählten. Konnten sie erst einmal Zwingli in ihre<br />

Gewalt bekommen, dann wollten sie schon dafür sorgen, daß er ihnen nicht entwischte. Und<br />

war <strong>de</strong>r führen<strong>de</strong> Kopf zum Schweigen gebracht, dann konnte die Reformationsbewegung<br />

rasch erstickt wer<strong>de</strong>n. Doch sorgfältig verheimlichten sie ihre Absicht.<br />

Das Religionsgespräch sollte in Ba<strong>de</strong>n stattfin<strong>de</strong>n; Zwingli aber war nicht dabei. Der<br />

Zürcher Rat mißtraute <strong>de</strong>n Absichten Roms, auch das Auflo<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n katholischen<br />

Kantonen für die evangelischen Gläubigen angezün<strong>de</strong>ten Scheiterhaufen diente als<br />

Warnung; <strong>de</strong>shalb verbot er seinem Seelsorger, sich dieser Gefahr auszusetzen. Zwingli war<br />

bereit, sich allen Römlingen in Zürich zu stellen; aber nach Ba<strong>de</strong>n zu gehen, wo eben erst<br />

das Blut <strong>de</strong>r Märtyrer um <strong>de</strong>r Wahrheit willen vergossen wor<strong>de</strong>n war, hätte für ihn <strong>de</strong>n<br />

sicheren Tod be<strong>de</strong>utet. Ökolampadius und Haller vertraten die Reformation, während <strong>de</strong>r<br />

bekannte Doktor Eck, <strong>de</strong>n eine Schar päpstlicher Gelehrter und Kirchenfürsten unterstützte,<br />

<strong>de</strong>r Vertreter Roms war.<br />

Nahm Zwingli auch an <strong>de</strong>m Gespräch nicht teil, sein Einfluß war doch spürbar. Die<br />

Katholiken selbst hatten die Schreiber bestimmt; allen an<strong>de</strong>rn war je<strong>de</strong> Aufzeichnung bei<br />

To<strong>de</strong>sstrafe verboten. Dennoch erhielt Zwingli täglich von <strong>de</strong>n in Ba<strong>de</strong>n abgehaltenen<br />

Re<strong>de</strong>n genauen Bericht. Ein bei <strong>de</strong>n Verhandlungen anwesen<strong>de</strong>r Stu<strong>de</strong>nt schrieb je<strong>de</strong>n<br />

122


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Abend die Beweisführungen auf. Zwei an<strong>de</strong>re Stu<strong>de</strong>nten übernahmen es, diesen<br />

Verhandlungsbericht sowie die brieflichen Anfragen Ökolampads und seiner<br />

Glaubensbrü<strong>de</strong>r an Zwingli zu beför<strong>de</strong>rn. Die Antworten <strong>de</strong>s Reformators, die Ratschläge<br />

und Winke enthielten, mußten nachts geschrieben wer<strong>de</strong>n. Frühmorgens kehrten dann die<br />

Boten nach Ba<strong>de</strong>n zurück. Um <strong>de</strong>r Wachsamkeit <strong>de</strong>r an <strong>de</strong>n Stadttoren postierten Hüter zu<br />

entgehen, trugen sie auf ihren Köpfen Körbe mit Fe<strong>de</strong>rvieh und konnten so ungehin<strong>de</strong>rt<br />

durchgehen.<br />

Auf diese Weise kämpfte Zwingli mit seinen verschlagenen Gegnern. „Er hat“, schreibt<br />

Myconius, „während <strong>de</strong>s Gesprächs durch Nach<strong>de</strong>nken, Wachen, Raten, Ermahnen und<br />

Schreiben mehr gearbeitet, als wenn er <strong>de</strong>r Disputation selbst beigewohnt hätte.“ Die<br />

Römlinge hatten sich im Vorgefühl ihres vermeintlichen Triumphes in ihren schönsten<br />

Klei<strong>de</strong>rn und funkelndsten Juwelen nach Ba<strong>de</strong>n begeben. Sie lebten schwelgerisch; ihre<br />

Tafeln waren mit <strong>de</strong>n köstlichsten Leckerbissen und ausgesuchtesten Weinen besetzt. Die<br />

Last ihrer geistlichen Pflichten wur<strong>de</strong> durch Schmausen und Lustbarkeiten erleichtert. In<br />

bezeichnen<strong>de</strong>m Gegensatz dazu erschienen die Reformatoren, die vom Volk kaum höher<br />

angesehen wur<strong>de</strong>n <strong>de</strong>nn eine Schar von Bettlern, und <strong>de</strong>ren anspruchslose Mahlzeiten sie<br />

nur kurze Zeit bei Tische hielten. Ökolampads Hauswirt, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Anhänger Zwinglis auf<br />

seinem Zimmer zu überwachen suchte, fand ihn stets beim Studium o<strong>de</strong>r im Gebet und<br />

sagte sehr verwun<strong>de</strong>rt: „Man muß gestehen, das ist ein sehr frommer Ketzer.“<br />

Bei <strong>de</strong>r Versammlung betrat Eck „eine prächtig verzierte Kanzel, <strong>de</strong>r einfach geklei<strong>de</strong>te<br />

Ökolampad mußte ihm gegenüber auf ein grobgearbeitetes Gerüste treten“. Ecks mächtige<br />

Stimme und unbegrenzte Zuversicht ließen ihn nie im Stich. Sein Eifer wur<strong>de</strong> durch die<br />

Aussicht auf Gold und Ruhm angespornt, war doch <strong>de</strong>m Verteidiger <strong>de</strong>s Glaubens eine<br />

ansehnliche Belohnung zugesichert. Wo es ihm an besseren Belegen mangelte, überschrie er<br />

seinen Gegner und griff zu Schimpf-und Schandworten. Der beschei<strong>de</strong>ne Ökolampad, <strong>de</strong>r<br />

kein Selbstvertrauen hatte, war vor <strong>de</strong>m Streit zurückgeschreckt und erklärte am Anfang<br />

feierlich, daß alles nach Gottes Wort als Richtschnur ausgemacht wer<strong>de</strong>n sollte. Sein<br />

Auftreten war beschei<strong>de</strong>n und geduldig, doch erwies er sich als fähig und tapfer. „Eck, <strong>de</strong>r<br />

mit <strong>de</strong>r Schrift nicht zurechtkommen konnte, berief sich immer wie<strong>de</strong>r auf Überlieferung<br />

und Herkommen. Ökolampad antwortete: ‚Über allen Übungen steht in unserem<br />

Schweizerlan<strong>de</strong> das Landrecht. Unser Landbuch aber (in Glaubenssachen) ist die<br />

Bibel.‘“ Der Gegensatz zwischen <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Hauptrednern verfehlte seine Wirkung nicht.<br />

Die ruhige, klare Beweisführung Ökolampads und sein beschei<strong>de</strong>nes Betragen gewannen<br />

die Gemüter für ihn, die sich mit Wi<strong>de</strong>rwillen von <strong>de</strong>n prahlerischen und lauten<br />

Behauptungen Ecks abwandten. Das Religionsgespräch dauerte 18 Tage. Am En<strong>de</strong><br />

beanspruchten die Anhänger Roms zuversichtlich <strong>de</strong>n Sieg. Die meisten Abgesandten<br />

stan<strong>de</strong>n auf Roms Seite, und die Versammelten erklärten die Reformatoren für unterlegen<br />

und einschließlich ihres Oberhauptes Zwingli für aus <strong>de</strong>r Kirche ausgeschlossen. Die<br />

Früchte dieses Religionsgespräches offenbarten jedoch, auf welcher Seite die Überlegenheit<br />

123


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

lag. Das Streitgespräch verlieh <strong>de</strong>r protestantischen Sache starken Auftrieb, und wenig<br />

später bekannten sich die wichtigen Städte Bern und Basel zur Reformation.<br />

124


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 10- Fortschritt <strong>de</strong>r Reformation in Deutschland<br />

Ganz Deutschland war bestürzt über Luthers geheimnisvolles Verschwin<strong>de</strong>n. Überall<br />

forschte man nach seinem Verbleib. Die wil<strong>de</strong>sten Gerüchte wur<strong>de</strong>n in Umlauf gesetzt, und<br />

viele glaubten, er sei ermor<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n. Es erhob sich großes Wehklagen, nicht nur unter<br />

seinen offenen Freun<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn auch unter Tausen<strong>de</strong>n, die sich nicht öffentlich zur<br />

Reformation bekannt hatten. Manche ban<strong>de</strong>n sich durch einen feierlichen Eid, seinen Tod zu<br />

rächen. Die römischen Machthaber sahen mit Schrecken, bis zu welcher Stärke die<br />

Stimmung gegen sie angeschwollen war. Obgleich sie anfangs über <strong>de</strong>n vermeintlichen Tod<br />

Luthers frohlockten, wünschten sie bald, sich vor <strong>de</strong>m Zorn <strong>de</strong>s Volkes zu verbergen. Seine<br />

Fein<strong>de</strong> waren durch die kühnsten Handlungen während seines Verweilens unter ihnen nicht<br />

so beunruhigt wor<strong>de</strong>n wie durch sein Verschwin<strong>de</strong>n. Die in ihrer Wut <strong>de</strong>n kühnen<br />

Reformator umbringen wollten, wur<strong>de</strong>n mit Furcht erfüllt, als er ein hilfloser Gefangener<br />

war. „Es bleibt uns nur das Rettungsmittel übrig“, sagte einer, „daß wir Fackeln anzün<strong>de</strong>n<br />

und Luther in <strong>de</strong>r Welt aufsuchen, um ihn <strong>de</strong>m Volke, das nach ihm verlangt,<br />

wie<strong>de</strong>rzugeben.“ Der Erlaß <strong>de</strong>s Kaisers schien wirkungslos zu sein, und die päpstlichen<br />

Gesandten zeigten sich entrüstet, als sie sahen, daß <strong>de</strong>m Erlaß <strong>de</strong>s Kaisers weit weniger<br />

Aufmerksamkeit geschenkt wur<strong>de</strong> als <strong>de</strong>m Schicksal Luthers.<br />

Die Kun<strong>de</strong>, daß er, wenngleich ein Gefangener, doch in Sicherheit sei, beruhigte zwar<br />

die Befürchtungen <strong>de</strong>s Volkes, steigerte aber noch <strong>de</strong>ssen Begeisterung für ihn. Seine<br />

Schriften wur<strong>de</strong>n mit größerem Verlangen gelesen als je zuvor. Eine stetig wachsen<strong>de</strong> Zahl<br />

schloß sich <strong>de</strong>r Sache <strong>de</strong>s hel<strong>de</strong>nmütigen Mannes an, <strong>de</strong>r gegen eine so ungeheure<br />

Übermacht das Wort Gottes verteidigt hatte. Die Reformation gewann fortwährend an<br />

Stärke. Der von Luther gesäte Same ging überall auf. In seiner Abwesenheit wuchs eine<br />

Bewegung, die sich in seiner Anwesenheit niemals entfaltet hätte. An<strong>de</strong>re Mitarbeiter<br />

fühlten jetzt, da <strong>de</strong>r große Reformator verschwun<strong>de</strong>n war, eine ernste Verantwortlichkeit.<br />

Mit neuem Glauben und Eifer strebten sie voran, um alles in ihrer Macht stehen<strong>de</strong> zu tun,<br />

damit das so vortrefflich begonnene Werk nicht gehin<strong>de</strong>rt wür<strong>de</strong>.<br />

Satan war jedoch auch nicht müßig. Er versuchte, was er bei je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rn<br />

Reformbestrebung versucht hatte — das Volk zu täuschen und zu ver<strong>de</strong>rben, in<strong>de</strong>m er an<br />

Stelle <strong>de</strong>s wahren Werkes eine Nachahmung unterschob. Wie im ersten Jahrhun<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>r<br />

christlichen Gemein<strong>de</strong> immer wie<strong>de</strong>r falsche Christusse aufstan<strong>de</strong>n, so erhoben sich auch im<br />

sechzehnten Jahrhun<strong>de</strong>rt verschie<strong>de</strong>ne falsche Propheten.Etliche Männer, durch die<br />

Erregung in <strong>de</strong>r religiösen Welt tief ergriffen, bil<strong>de</strong>ten sich ein, beson<strong>de</strong>re Offenbarungen<br />

vom Himmel erhalten zu haben, und erhoben <strong>de</strong>n Anspruch, von Gott beauftragt zu sein,<br />

das Werk <strong>de</strong>r Reformation, das Luther nur eben erst begonnen hatte, zu vollen<strong>de</strong>n. In<br />

Wahrheit rissen sie gera<strong>de</strong> das nie<strong>de</strong>r, was er aufgebaut hatte. Sie verwarfen <strong>de</strong>n<br />

Hauptgrundsatz, die wahre Grundlage <strong>de</strong>r Reformation — das Wort Gottes als die<br />

allgenügsame Glaubens- und Lebensregel —, und setzten an die Stelle jener untrüglichen<br />

Richtschnur <strong>de</strong>n verän<strong>de</strong>rlichen, unsicheren Maßstab ihrer eigenen Gefühle und Eindrücke.<br />

125


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Dadurch wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r große Prüfstein <strong>de</strong>s Irrtums und <strong>de</strong>s Betrugs beseitigt und Satan <strong>de</strong>r Weg<br />

geöffnet, die Gemüter zu beherrschen, wie es ihm am besten gefiel.<br />

Einer dieser Propheten behauptete, von <strong>de</strong>m Engel Gabriel unterrichtet wor<strong>de</strong>n zu sein.<br />

Ein Stu<strong>de</strong>nt, <strong>de</strong>r sich mit ihm zusammentat, verließ seine Studien und erklärte, von Gott<br />

selbst die Weisheit empfangen zu haben, die Schrift auslegen zu können. An<strong>de</strong>re, die von<br />

Natur aus zur Schwärmerei neigten, verban<strong>de</strong>n sich mit ihnen. Das Vorgehen dieser<br />

Schwarmgeister rief keine geringe Aufregung hervor. Luthers Predigten hatten überall das<br />

Volk geweckt, um die Notwendigkeit einer Reform einzusehen, und nun wur<strong>de</strong>n manche<br />

wirklich redlichen Seelen durch die Behauptungen <strong>de</strong>r neuen Propheten irregeleitet. Die<br />

Anführer dieser Bewegung begaben sich nach Wittenberg und nötigten Melanchthon und<br />

seinen Mitarbeitern ihre Ansprüche auf. Sie sagten: „Wir sind von Gott gesandt, das Volk zu<br />

unterweisen.<br />

Wir haben vertrauliche Gespräche mit Gott und sehen in die Zukunft, wir sind Apostel<br />

und Propheten und berufen uns auf <strong>de</strong>n Doktor Luther.“ Die Reformatoren waren erstaunt<br />

und verlegen. Diese Richtung hatten sie nie zuvor angetroffen, und sie wußten nicht,<br />

welchen Weg sie nun einschlagen sollten. Melanchthon sagte: „Diese Leute sind<br />

ungewöhnliche Geister, aber was für Geister? ... Wir wollen <strong>de</strong>n Geist nicht dämpfen, aber<br />

uns auch vom Teufel nicht verführen lassen.“<br />

Die Früchte dieser neuen Lehre wur<strong>de</strong>n bald offenbar. Das Volk wur<strong>de</strong> verleitet, die<br />

Bibel zu vernachlässigen o<strong>de</strong>r gänzlich zu verwerfen. Die Hochschulen wur<strong>de</strong>n in<br />

Verwirrung gestürzt. Stu<strong>de</strong>nten wi<strong>de</strong>rsetzten sich allen Verboten, gaben ihr Studium auf und<br />

zogen sich von <strong>de</strong>r Universität zurück. Die Männer, die sich selbst als zuständig<br />

betrachteten, das Werk <strong>de</strong>r Reformation wie<strong>de</strong>r zu beleben und zu leiten,brachten sie bis an<br />

<strong>de</strong>n Rand <strong>de</strong>s Untergangs. Die Römlinge gewannen nun ihre Zuversicht wie<strong>de</strong>r und riefen<br />

frohlockend aus: „Noch ein Versuch ... und alles wird wie<strong>de</strong>rgewonnen.“ Als Luther auf <strong>de</strong>r<br />

Wartburg hörte, was vorging, sagte er in tiefem Kummer: „Ich habe immer gewartet, daß<br />

Satan uns eine solche Wun<strong>de</strong> versetzen wür<strong>de</strong>.“<br />

Der Reformator erkannte <strong>de</strong>n wahren Charakter jener angeblichen Propheten und sah<br />

die Gefahr, die <strong>de</strong>r Wahrheit drohte. Der Wi<strong>de</strong>rstand <strong>de</strong>s Papstes und <strong>de</strong>s Kaisers hatte ihm<br />

nicht so große Unruhe und Kummer verursacht, wie er nun durchlebte. Aus <strong>de</strong>n angeblichen<br />

Freun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Reformation waren die schlimmsten Fein<strong>de</strong> gewor<strong>de</strong>n. Gera<strong>de</strong> die Wahrheiten,<br />

die ihm in erheblichem Maße Freu<strong>de</strong> und Trost gebracht hatten, wur<strong>de</strong>n jetzt benutzt, um<br />

Zwiespalt und Verwirrung in <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> zu stiften. Bei <strong>de</strong>n Reformbestrebungen war<br />

Luther vom Geist Gottes angetrieben und über sich selbst hinausgeführt wor<strong>de</strong>n. Er hatte<br />

nicht beabsichtigt, die Stellung, die er jetzt einnahm, jemals einzunehmen o<strong>de</strong>r so<br />

durchgreifen<strong>de</strong> Verän<strong>de</strong>rungen durchzuführen. Er war nur das Werkzeug Gottes gewesen.<br />

Doch fürchtete er oft die Folgen seines Werkes und sagte einmal: „Wüßte ich, daß meine<br />

Lehre einem einfältigen Menschen scha<strong>de</strong>te (und das kann sie nicht, <strong>de</strong>nn sie ist das<br />

Evangelium selbst), so möchte ich eher zehn To<strong>de</strong> lei<strong>de</strong>n, als nicht wi<strong>de</strong>rrufen.“<br />

126


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Jetzt aber fiel Wittenberg selbst, <strong>de</strong>r eigentliche Mittelpunkt <strong>de</strong>r Reformation, schnell<br />

unter die Macht <strong>de</strong>s Fanatismus und <strong>de</strong>r Gesetzlosigkeit. Dieser schreckliche Zustand wur<strong>de</strong><br />

nicht durch Luthers Lehren verursacht, und doch warfen seine Fein<strong>de</strong> in ganz Deutschland<br />

die Schuld auf ihn. Bitterkeit in seinem Herzen, fragte er zuweilen: „Dahin sollt es mit <strong>de</strong>r<br />

Reformation kommen?“ Wenn er aber mit Gott im Gebet rang, zog Frie<strong>de</strong> in sein Herz ein:<br />

„Gott hat das angefangen, Gott wird es wohl vollen<strong>de</strong>n.“ „Du wirst es nicht dul<strong>de</strong>n, daß es<br />

durch Aberglauben und Fanatismus ver<strong>de</strong>rbt wird.“ Doch <strong>de</strong>r Gedanke, in dieser<br />

entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Zeit noch länger von <strong>de</strong>m Schauplatz <strong>de</strong>s Kampfes fern zu sein, wur<strong>de</strong> ihm<br />

unerträglich; er entschloß sich, nach Wittenberg zurückzukehren. Unverzüglich trat er seine<br />

gefahrvolle Reise an. Er stand unter <strong>de</strong>r Reichsacht. Seine Fein<strong>de</strong> konnten ihm je<strong>de</strong>rzeit ans<br />

Leben gehen; seinen Freun<strong>de</strong>n war es untersagt, ihm zu helfen o<strong>de</strong>r ihn zu beschützen. Die<br />

kaiserliche Regierung ergriff die strengsten Maßregeln gegen seine Anhänger. Aber er sah,<br />

das Evangeliumswerk war gefähr<strong>de</strong>t, und im Namen <strong>de</strong>s Herrn ging er furchtlos für die<br />

Wahrheit in <strong>de</strong>n Kampf.<br />

In einem Schreiben an <strong>de</strong>n Kurfürsten erklärte Luther, nach<strong>de</strong>m er seine Absicht, die<br />

Wartburg zu verlassen, ausgesprochen hatte: „Eure Kurfürstliche Gna<strong>de</strong>n wisse, ich komme<br />

gen Wittenberg in gar viel einem höhern Schutz <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>s Kurfürsten. Ich hab‘s auch nicht<br />

im Sinne, von Eurer Kurfürstlichen Gna<strong>de</strong>n Schutz zu begehren. Ja, ich halt, ich wolle Eure<br />

Kurfürstlichen Gna<strong>de</strong>n mehr schützen, <strong>de</strong>nn sie mich schützen könnte. Dazu wenn ich<br />

wüßte, daß mich Eure Kurfürstenlichen Gna<strong>de</strong>n könnte und wollte schützen, so wollte ich<br />

nicht kommen. Dieser Sache soll noch kann kein Schwert raten o<strong>de</strong>r helfen, Gott muß hier<br />

allein schaffen, ohne alles menschliche Sorgen und Zutun. Darum, wer am meisten glaubt,<br />

<strong>de</strong>r wird hier am meisten schützen.“ In einem zweiten Brief, <strong>de</strong>n er auf <strong>de</strong>m Weg nach<br />

Wittenberg verfaßte, fügte Luther hinzu: „Ich will Eurer Kurfürstlichen Gna<strong>de</strong>n Ungunst<br />

und <strong>de</strong>r ganzen Welt Zorn ertragen. Die Wittenberger sind meine Schafe. Gott hat sie mir<br />

anvertraut. Ich muß mich für sie in <strong>de</strong>n Tod begeben. Ich fürchte in Deutschland einen<br />

großen Aufstand, wodurch Gott unser Volk strafen will.“<br />

Vorsichtig und <strong>de</strong>mütig, doch fest und entschlossen begann er sein Werk. „Mit <strong>de</strong>m<br />

Worte“, sagte er, „müssen wir streiten, mit <strong>de</strong>m Worte stürzen, was die Gewalt eingeführt<br />

hat. Ich will keinen Zwang gegen Aber- und Ungläubige ... Keiner soll zum Glauben und zu<br />

<strong>de</strong>m, was <strong>de</strong>s Glaubens ist, gezwungen wer<strong>de</strong>n.“ ald wur<strong>de</strong> in Wittenberg bekannt, daß<br />

Luther zurückgekehrt sei und predigen wolle. Das Volk strömte aus allen Richtungen herbei,<br />

und die Kirche war überfüllt. Luther bestieg die Kanzel und lehrte, ermahnte und ta<strong>de</strong>lte mit<br />

großer Weisheit und Güte. In<strong>de</strong>m er auf die Handlungsweise etlicher hinwies, die sich <strong>de</strong>r<br />

Gewalt bedient hatten, um die Messe abzuschaffen, sagte er:<br />

„Die Messe ist ein böses Ding, und Gott ist ihr Feind; sie muß abgetan wer<strong>de</strong>n, und ich<br />

wollte, daß in <strong>de</strong>r ganzen Welt allein die gemeine evangelische Messe gehalten wür<strong>de</strong>.<br />

Doch soll man niemand mit <strong>de</strong>m Haar davonreißen, <strong>de</strong>nn Gott soll man hierin die Ehre<br />

geben und sein Wort allein wirken lassen, nicht unser Zutun und Werk. Warum? Ich habe<br />

127


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

nicht in meiner Hand die Herzen <strong>de</strong>r Menschen, wie <strong>de</strong>r Hafner <strong>de</strong>n Leimen. Wir haben<br />

wohl das Recht <strong>de</strong>r Re<strong>de</strong>, aber nicht das Recht <strong>de</strong>r Vollziehung. Das Wort sollen wir<br />

predigen, aber die Folge soll allein in seinem Gefallen sein. So ich nun darein falle, so wird<br />

dann aus <strong>de</strong>m Gezwang o<strong>de</strong>r Gebot ein Spiegelfechten, ein äußerlich Wesen, ein Affenspiel,<br />

aber da ist kein gut Herz, kein Glaube, keine Liebe. Wo diese drei fehlen, ist ein Werk<br />

nichts; ich wollte nicht einen Birnstiel darauf geben ... Also wirkt Gott mit seinem Wort<br />

mehr, <strong>de</strong>nn wenn du und ich alle Gewalt auf einen Haufen schmelzen. Also wenn du das<br />

Herz hast, so hast du ihn nun gewonnen ...<br />

Predigen will ich‘s, sagen will ich‘s, schreiben will ich‘s; aber zwingen, dringen mit <strong>de</strong>r<br />

Gewalt will ich niemand, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Glaube will willig und ohne Zwang angezogen wer<strong>de</strong>n.<br />

Nehmt ein Exempel an mir. Ich bin <strong>de</strong>m Ablaß und allen Papisten entgegen gewesen, aber<br />

mit keiner Gewalt. Ich hab allein Gottes Wort getrieben, gepredigt und geschrieben, sonst<br />

hab ich nichts getan. Das hat, wenn ich geschlafen habe ... also viel getan, daß das Papsttum<br />

also schwach gewor<strong>de</strong>n ist, daß ihm noch nie kein Fürst noch Kaiser so viel abgebrochen<br />

hat. Ich habe nichts getan, das Wort Gottes hat es alles gehan<strong>de</strong>lt und ausgericht. Wenn ich<br />

hätte wollen mit Ungemach fahren, ich wollte Deutschland in ein groß Blutvergießen<br />

gebracht haben. Aber was wär es? Ein Ver<strong>de</strong>rbnis an Leib und Seele. Ich habe nichts<br />

gemacht, ich habe das Wort Gottes lassen han<strong>de</strong>ln.“<br />

Tag um Tag, eine Woche lang, predigte Luther <strong>de</strong>r aufmerksam lauschen<strong>de</strong>n Menge.<br />

Das Wort Gottes brach <strong>de</strong>n Bann <strong>de</strong>r fanatischen Erregung. Die Macht <strong>de</strong>s Evangeliums<br />

brachte das irregeleitete Volk auf <strong>de</strong>n Weg <strong>de</strong>r Wahrheit zurück. Luther zeigte kein<br />

Verlangen, <strong>de</strong>n Schwärmern zu begegnen, <strong>de</strong>ren Verhalten so viel Unheil angerichtet hatte.<br />

Er kannte sie als Menschen mit unzuverlässigem Urteil und unbeherrschten Lei<strong>de</strong>nschaften,<br />

die zwar behaupteten, vom Himmel beson<strong>de</strong>rs erleuchtet zu sein, aber we<strong>de</strong>r geringsten<br />

Wi<strong>de</strong>rspruch noch wohlwollen<strong>de</strong>n Ta<strong>de</strong>l o<strong>de</strong>r Rat vertrugen. Sie maßten sich höchste<br />

Autorität an und verlangten von allen, als solche ohne je<strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rspruch anerkannt zu<br />

wer<strong>de</strong>n. Als sie aber auf eine Unterredung drangen, willigte er ein. Bei dieser Gelegenheit<br />

entlarvte er ihre Anmaßungen so gründlich, daß die Betrüger Wittenberg sofort wie<strong>de</strong>r<br />

verließen.<br />

Der Schwärmerei war eine Zeitlang Einhalt geboten; einige Jahre später brach sie<br />

jedoch heftiger und schrecklicher wie<strong>de</strong>r hervor. Luther sagte über die Führer dieser<br />

Bewegung: „Die Heilige Schrift war für sie nichts als ein toter Buchstabe, und alle schrien:<br />

Geist! Geist! Aber wahrlich, ich gehe nicht mit ihnen, wohin ihr Geist sie führt. Der<br />

barmherzige Gott behüte mich ja vor <strong>de</strong>r christlichen Kirche, darin lauter Heilige sind. Ich<br />

will da bleiben, wo es Schwache, Niedrige, Kranke gibt, welche ihre Sün<strong>de</strong> kennen und<br />

empfin<strong>de</strong>n, welche unablässig nach Gott seufzen und schreien aus Herzensgrund, umseinen<br />

Trost und Beistand zu erlangen.“<br />

Thomas Münzer , <strong>de</strong>r eifrigste unter <strong>de</strong>n Schwärmern, war ein Mann mit<br />

bemerkenswerten Anlagen, die ihn, richtig geleitet, befähigt hätten, Gutes zu tun; aber er<br />

128


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

hatte nicht einmal die einfachsten Grundsätze wahrer Religion begriffen. „Er war von <strong>de</strong>m<br />

Wunsche besessen, die Welt zu reformieren, und vergaß dabei, wie alle Schwärmer, daß die<br />

Reform bei ihm selbst beginnen mußte.“ Er hatte <strong>de</strong>n Ehrgeiz, Stellung und Einfluß zu<br />

gewinnen und wollte nieman<strong>de</strong>m nachstehen, nicht einmal Luther. Er erklärte, daß die<br />

Reformatoren, die die Autorität <strong>de</strong>s Papstes durch die <strong>de</strong>r Heiligen Schrift ersetzten, nur<br />

eine an<strong>de</strong>re Form <strong>de</strong>s Papsttums aufrichteten. Er selbst betrachtete sich als von Gott berufen,<br />

die wahre Reformation einzuführen. „Wer diesen Geist besitzt“, sagte Münzer, „besitzt <strong>de</strong>n<br />

wahren Glauben, und wenn er niemals in seinem Leben die Heilige Schrift zu Gesicht<br />

bekäme.“<br />

Die schwärmerischen Lehrer ließen sich von Eindrücken leiten, in<strong>de</strong>m sie je<strong>de</strong>n<br />

Gedanken und je<strong>de</strong> Eingebung als die Stimme Gottes ansahen; infolge<strong>de</strong>ssen begingen sie<br />

die größten Übertreibungen. Einige verbrannten sogar ihre Bibeln, wobei sie ausriefen: „Der<br />

Buchstabe tötet, aber <strong>de</strong>r Geist macht lebendig.“ Münzers Lehre kam <strong>de</strong>m Verlangen <strong>de</strong>r<br />

Menschen nach <strong>de</strong>m Wun<strong>de</strong>rbaren entgegen, während es ihren Stolz befriedigte, wenn<br />

menschliche I<strong>de</strong>en und Meinungen über das Wort Gottes erhoben wur<strong>de</strong>n. Tausen<strong>de</strong><br />

nahmen seine Lehren an. Er rügte je<strong>de</strong> Art öffentlichen Gottesdienstes und erklärte, <strong>de</strong>n<br />

Fürsten gehorchen hieße versuchen, Gott und Belial zu dienen. Die Menschen, die das Joch<br />

<strong>de</strong>s Papsttums abzuwerfen begannen, wur<strong>de</strong>n nunmehr auch ungeduldig unter <strong>de</strong>n<br />

Einschränkungen <strong>de</strong>r weltlichen Obrigkeit. Münzers revolutionäre Lehren, für die er<br />

göttliche Eingebung beanspruchte, führten sie dahin, allen Zwang abzuschütteln und ihren<br />

Vorurteilen und Lei<strong>de</strong>nschaften freien Lauf zu lassen. Schreckliche Szenen von Aufruhr und<br />

Aufstän<strong>de</strong>n folgten, und <strong>de</strong>r Bo<strong>de</strong>n Deutschlands wur<strong>de</strong> mit Blut getränkt.<br />

Der Seelenkampf, <strong>de</strong>n Luther lange vorher in Erfurt durchlebt hatte, bedrängte ihn nun<br />

doppelt, als er die Folgen <strong>de</strong>r Schwärmerei sah, die man <strong>de</strong>r Reformation zur Last legte. Die<br />

päpstlichen Fürsten erklärten — und viele waren bereit, <strong>de</strong>m Glauben zu schenken —, <strong>de</strong>r<br />

Bürgerkrieg sei die natürliche Folge <strong>de</strong>r Lehren Luthers. Obwohl diese Behauptung je<strong>de</strong>r<br />

Grundlage entbehrte, brachte sie <strong>de</strong>n Reformator doch in große Verlegenheit. Daß die Sache<br />

<strong>de</strong>r Wahrheit mit <strong>de</strong>r niedrigsten Schwärmerei auf eine Stufe gestellt und auf diese Weise<br />

herabgewürdigt wur<strong>de</strong>, schien Luther unerträglich. An<strong>de</strong>rseits haßten die empörerischen<br />

Führer ihn, weil er nicht nur ihre Lehren angriff und ihren Anspruch auf göttliche<br />

Eingebung bestritt, son<strong>de</strong>rn weil er sie als Rebellen gegen die weltliche Obrigkeit<br />

bezeichnete. Als Vergeltung nannten sie ihn einen Erzscharlatan. Ihm schien es, als habe er<br />

sowohl die Feindschaft <strong>de</strong>r Fürsten als auch die <strong>de</strong>s Volkes auf sich gezogen.<br />

Die Katholiken frohlockten und erwarteten, Zeugen <strong>de</strong>s baldigen Nie<strong>de</strong>rgangs <strong>de</strong>r<br />

Reformation zu sein; und sie beschuldigten Luther sogar <strong>de</strong>r Irrtümer, um <strong>de</strong>ren<br />

Richtigstellung er am meisten bemüht gewesen war. Der schwärmerischen Partei gelang es<br />

schließlich mit <strong>de</strong>r Behauptung, ungerecht behan<strong>de</strong>lt wor<strong>de</strong>n zu sein, immer mehr<br />

Sympathien unter <strong>de</strong>m Volk zu gewinnen und, wie dies oft <strong>de</strong>r Fall ist bei <strong>de</strong>nen, die einen<br />

falschen Weg einschlagen, für Märtyrer gehalten zu wer<strong>de</strong>n. So wur<strong>de</strong>n diejenigen, die sich<br />

129


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

<strong>de</strong>r Reformation mit aller Energie wi<strong>de</strong>rsetzten, als Opfer <strong>de</strong>r Grausamkeit und<br />

Unterdrückung bemitlei<strong>de</strong>t und gepriesen. Das war Satans Werk, angetrieben von <strong>de</strong>m<br />

gleichen aufrührerischen Geist, <strong>de</strong>r sich zuerst im Himmel bekun<strong>de</strong>t hatte.<br />

Satan ist ständig bemüht, die Menschen zu täuschen und zu verleiten, die Sün<strong>de</strong><br />

Gerechtigkeit und die Gerechtigkeit Sün<strong>de</strong> zu nennen. Wie erfolgreich ist sein Werk<br />

gewesen! Wie oft wer<strong>de</strong>n Gottes treue Diener geta<strong>de</strong>lt und mit Vorwürfen überhäuft, weil<br />

sie furchtlos die Wahrheit verteidigen! Menschen, die nur Werkzeuge Satans sind, wer<strong>de</strong>n<br />

gepriesen und mit Schmeicheleien überschüttet, ja sogar als Märtyrer angesehen, während<br />

die, welche wegen ihrer Treue zu Gott geachtet und unterstützt wer<strong>de</strong>n sollten, unter<br />

Verdacht und Mißtrauen alleinstehen müssen. Unechte Heiligkeit und falsche Heiligung<br />

verrichten noch immer ihr betrügerisches Werk. In ihren verschie<strong>de</strong>nen Formen zeigen sie<br />

<strong>de</strong>n gleichen Geist wie in Luthers Tagen, lenken die Gemüter von <strong>de</strong>r Heiligen Schrift ab<br />

und verleiten die Menschen, lieber ihren eigenen Gefühlen und Eindrücken zu folgen, als<br />

<strong>de</strong>m Gesetz Gottes Gehorsam zu zollen. Hierin liegt eine <strong>de</strong>r erfolgreichsten Anschläge<br />

Satans, die Reinheit und die Wahrheit herabzuwürdigen. Furchtlos verteidigte Luther das<br />

Evangelium gegen die von allen Seiten losbrechen<strong>de</strong>n Angriffe. Das Wort Gottes erwies<br />

sich als eine mächtige Waffe in je<strong>de</strong>m Streit. Mit diesem Wort kämpfte er gegen die<br />

angemaßte Autorität <strong>de</strong>s Papstes und die vernunftgemäße Philosophie <strong>de</strong>r Gelehrten, und<br />

damit wi<strong>de</strong>rstand er ebenso fest wie ein Fels <strong>de</strong>r Schwärmerei, die sich mit <strong>de</strong>r Reformation<br />

vergeblich zu verbin<strong>de</strong>n suchte.<br />

Alle gegnerischen Strömungen setzten auf ihre Art die Heilige Schrift beiseite und<br />

erhoben menschliche Weisheit zur Quelle religiöser Wahrheit und Erkenntnis. Der<br />

Rationalismus vergöttert die Vernunft und macht sie zum Maßstab <strong>de</strong>r Religion. Die<br />

römischkatholische Kirche, die für <strong>de</strong>n Papst eine unmittelbar von <strong>de</strong>n Aposteln<br />

überkommene und für alle Zeiten unwan<strong>de</strong>lbare Inspiration (göttliche Eingebung)<br />

beansprucht, bietet genügend Beispiele von Ausschweifung und Entartung, was allerdings<br />

unter <strong>de</strong>r Heiligkeit <strong>de</strong>s apostolischen Auftrags verheimlicht bleiben mußte. Die Eingebung,<br />

auf die sich Münzer und seine Anhänger beriefen, stammte aus <strong>de</strong>n wun<strong>de</strong>rlichen Einfällen<br />

ihrer Einbildungskraft; ihr Einfluß untergrub sowohl die menschliche als auch die göttliche<br />

Autorität. Wahre Christen betrachten die Heilige Schrift als die Schatzkammer <strong>de</strong>r von Gott<br />

eingegebenen Wahrheit und als Prüfstein für je<strong>de</strong> Eingebung.<br />

Nach seiner Rückkehr von <strong>de</strong>r Wartburg vollen<strong>de</strong>te Luther seine Übersetzung <strong>de</strong>s<br />

Neuen Testaments, und bald wur<strong>de</strong> das Evangelium <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utschen Volk in seiner eigenen<br />

Sprache gegeben. Diese Übersetzung nahmen alle, die die Wahrheit liebten, mit großer<br />

Freu<strong>de</strong> auf, wur<strong>de</strong> aber von <strong>de</strong>nen, die menschliche Überlieferungen und Menschengebote<br />

vorzogen, höhnisch verworfen. Die Priester beunruhigte <strong>de</strong>r Gedanke, daß das gemeine<br />

Volk jetzt fähig sein wür<strong>de</strong>, mit ihnen die Lehren <strong>de</strong>s Wortes Gottes zu besprechen und daß<br />

ihre eigene Unwissenheit dadurch ans Licht käme. Die Waffen ihrer menschlichen Vernunft<br />

waren machtlos gegen das Schwert <strong>de</strong>s Geistes. Rom bot seinen ganzen Einfluß auf, um die<br />

130


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Verbreitung <strong>de</strong>r Heiligen Schrift zu hin<strong>de</strong>rn; aber Dekrete, Bannflüche und Folter blieben<br />

gleich wirkungslos. Je entschie<strong>de</strong>ner die Bibel verdammt und verboten wur<strong>de</strong>, <strong>de</strong>sto stärker<br />

verlangte das Volk zu erfahren, was sie wirklich lehre. Alle, die lesen konnten, waren<br />

begierig, das Wort Gottes selber zu erforschen. Sie trugen das Neue Testament bei sich, sie<br />

lasen es wie<strong>de</strong>r und wie<strong>de</strong>r und waren nicht eher zufrie<strong>de</strong>n, bis sie große Teile auswendig<br />

gelernt hatten. Als Luther sah, mit welcher Gunst das Neue Testament aufgenommen wur<strong>de</strong>,<br />

machte er sich unverzüglich an die Übersetzung <strong>de</strong>s Alten Testaments und veröffentlichte<br />

Teile davon, sobald sie fertig waren.<br />

Luthers Schriften wur<strong>de</strong>n in Stadt und Land gleich günstig aufgenommen. „Was Luther<br />

und seine Freun<strong>de</strong> schrieben, wur<strong>de</strong> von an<strong>de</strong>rn verbreitet. Mönche, welche sich von <strong>de</strong>r<br />

Ungesetzlichkeit <strong>de</strong>r Klostergelüb<strong>de</strong> überzeugt hatten und nach ihrer langen Untätigkeit ein<br />

arbeitsames Leben führen wollten, aber für die Predigt <strong>de</strong>s göttlichen Wortes zu geringe<br />

Kenntnisse besaßen, durchstreiften die Provinzen, um Luthers Bücher zu verkaufen. Es gab<br />

bald sehr viele dieser mutigen Hausierer.“ Sehr aufmerksam wur<strong>de</strong>n diese Schriften von<br />

Reichen und Armen, Gelehrten und Laien durchforscht. Abends lasen die Dorfschullehrer<br />

sie kleinen um <strong>de</strong>n Herd versammelten Gruppen laut vor. Bei je<strong>de</strong>r dieser Bemühungen<br />

wur<strong>de</strong>n einige Seelen von <strong>de</strong>r Wahrheit überzeugt, nahmen das Wort freudig auf und<br />

erzählten an<strong>de</strong>rn wie<strong>de</strong>rum die frohe Kun<strong>de</strong>.<br />

Die Worte <strong>de</strong>r Bibel bewahrheiteten sich: „Wenn <strong>de</strong>in Wort offenbar wird, so erfreut es<br />

und macht klug die Einfältigen.“ Psalm 119,130. Das Erforschen <strong>de</strong>r Heiligen Schrift<br />

bewirkte eine durchgreifen<strong>de</strong> Verän<strong>de</strong>rung in <strong>de</strong>n Gemütern und Herzen <strong>de</strong>s Volkes. Die<br />

päpstliche Herrschaft hatte ihren Untertanen ein eisernes Joch auferlegt, das sie in<br />

Unwissenheit und Erniedrigung hielt. Gewissenhaft hatte man eine abergläubische<br />

Wie<strong>de</strong>rholung von Formen befolgt; aber an all diesem Dienst war <strong>de</strong>r Anteil von Herz und<br />

Verstand nur gering. Luthers Predigten, die die ein<strong>de</strong>utigen Wahrheiten <strong>de</strong>s Wortes Gottes<br />

hervorhoben, und das Wort selbst, das, in die Hän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Volkes gelegt, seine schlafen<strong>de</strong>n<br />

Kräfte geweckt hatte, reinigten und vere<strong>de</strong>lten nicht nur die geistliche Wesensart, son<strong>de</strong>rn<br />

verliehen <strong>de</strong>m Verstand neue Kraft und Stärke.<br />

Personen aller Stän<strong>de</strong> konnte man mit <strong>de</strong>r Bibel in <strong>de</strong>r Hand die Lehren <strong>de</strong>r<br />

Reformation verteidigen sehen. Die Päpstlichen, die das Studium <strong>de</strong>r Heiligen Schrift <strong>de</strong>n<br />

Priestern und Mönchen überlassen hatten, for<strong>de</strong>rten diese jetzt auf, herauszugehen und die<br />

neuen Lehren zu wi<strong>de</strong>rlegen. Aber die Priester und Mönche, welche die Heilige Schrift und<br />

die Kraft Gottes nicht kannten, waren <strong>de</strong>nen, die sie als ketzerisch und ungelehrt angeklagt<br />

hatten, vollkommen unterlegen. „Lei<strong>de</strong>r“, sagte ein katholischer Schriftsteller, „hatte Luther<br />

<strong>de</strong>n Seinigen eingebil<strong>de</strong>t, man dürfe nur <strong>de</strong>n Aussprüchen <strong>de</strong>r heiligen Bücher Glauben<br />

schenken.“ Ganze Scharen versammelten sich, um zu hören, wie Männer von nur geringer<br />

Bildung die Wahrheit verteidigten, ja sich sogar mit gelehrten und beredten Theologen<br />

auseinan<strong>de</strong>rsetzten. Die schmähliche Unwissenheit <strong>de</strong>r großen Männer wur<strong>de</strong> offenbar, als<br />

man ihren Beweisführungen die einfachen Lehren <strong>de</strong>s Wortes Gottes entgegenstellte.<br />

131


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Handwerker und Soldaten, Frauen und selbst Kin<strong>de</strong>r waren mit <strong>de</strong>n Lehren <strong>de</strong>r Bibel<br />

vertrauter als die Priester und die gelehrten Doktoren.<br />

Der Unterschied zwischen <strong>de</strong>n Jüngern <strong>de</strong>s Evangeliums und <strong>de</strong>n Verteidigern <strong>de</strong>s<br />

päpstlichen Aberglaubens gab sich nicht min<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Reihen <strong>de</strong>r Gelehrten als unter <strong>de</strong>m<br />

gewöhnlichen Volk zu erkennen. „Die alten Stützen <strong>de</strong>r Hierarchie hatten die Kenntnis <strong>de</strong>r<br />

Sprachen und das Studium <strong>de</strong>r Wissenschaft vernachlässigt, ihnen trat eine studieren<strong>de</strong>, in<br />

<strong>de</strong>r Schrift forschen<strong>de</strong>, mit <strong>de</strong>n Meisterwerken <strong>de</strong>s Altertums sich befreun<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Jugend<br />

entgegen. Diese aufgeweckten Köpfe und unerschrockenen Männer erwarben sich bald<br />

solche Kenntnisse, daß sich lange Zeit keiner mit ihnen messen konnte ... Wo die jungen<br />

Verteidiger <strong>de</strong>r Reformation mit <strong>de</strong>n römischen Doktoren zusammentrafen, griffen sie diese<br />

mit solcher Ruhe und Zuversicht an, daß diese unwissen<strong>de</strong>n Menschen zögerten, verlegen<br />

wur<strong>de</strong>n und sich allgemein gerechte Verachtung zuzogen.“<br />

Als die römischen Geistlichen sahen, daß ihre Zuhörerschar geringer wur<strong>de</strong>, riefen sie<br />

die Hilfe <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong>n an und versuchten, mit allen ihnen zu Gebote stehen<strong>de</strong>n Mitteln ihre<br />

Anhänger zurückzugewinnen. Aber das Volk hatte in <strong>de</strong>n neuen Lehren das gefun<strong>de</strong>n, was<br />

die Bedürfnisse <strong>de</strong>r Seele befriedigte, und wandte sich von jenen ab, die es so lange mit<br />

wertlosen Trebern abergläubischer Gebräuche und menschlicher Überlieferungen gespeist<br />

hatten. Als gegen die Lehrer <strong>de</strong>r Wahrheit die Verfolgung entbrannte, beachteten diese die<br />

Worte Christi: „Wenn sie euch aber in einer Stadt verfolgen, so fliehet in eine<br />

an<strong>de</strong>re.“ Matthäus 10,23. Das Licht drang überallhin. Die Flüchten<strong>de</strong>n fan<strong>de</strong>n irgendwo<br />

eine gastfreundliche Tür, die sich ihnen auftat, und dort einkehrend, predigten sie Christus,<br />

ganz gleich, ob es in <strong>de</strong>r Kirche war o<strong>de</strong>r, wenn ihnen dieser Vorzug versagt wur<strong>de</strong>, in<br />

Privatwohnungen o<strong>de</strong>r unter freiem Himmel. Wo man ihnen Gehör schenkte, war für sie ein<br />

geweihter Tempel. Die mit solcher Tatkraft und Zuversicht verkündigte Wahrheit<br />

verbreitete sich mit unwi<strong>de</strong>rstehlicher Kraft. Vergebens riefen die Römlinge die kirchliche<br />

und die weltliche Obrigkeit an, die Ketzerei zu unterdrücken. Ohne Erfolg blieben<br />

Gefängnis, Folter, Feuer und Schwert. Tausen<strong>de</strong> von Gläubigen besiegelten ihren Glauben<br />

mit ihrem Blut, und doch ging das Werk vorwärts. Die Verfolgung diente nur dazu, die<br />

Wahrheit auszubreiten, und die auf Satans Antrieb mit ihr verbun<strong>de</strong>ne Schwärmerei<br />

bewirkte, daß <strong>de</strong>r Unterschied zwischen <strong>de</strong>m Werk Gottes und <strong>de</strong>m Werk Satans um so<br />

<strong>de</strong>utlicher hervortrat.<br />

132


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 11- Der Protest <strong>de</strong>r Fürsten<br />

Eines <strong>de</strong>r mächtigsten je für die Reformation abgelegten Bekenntnisse ist <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n<br />

christlichen Fürsten Deutschlands 1529 auf <strong>de</strong>m zweiten Reichstag zu Speyer erhobene<br />

Protest. Der Mut, die Zuversicht und die Entschie<strong>de</strong>nheit dieser frommen Männer bahnten<br />

kommen<strong>de</strong>n Geschlechtern <strong>de</strong>n Weg zu Glaubens- und Gewissensfreiheit. Wegen dieses<br />

Protestes hießen die Anhänger <strong>de</strong>s neuen Glaubens fortan Protestanten; die Grundsätze ihres<br />

Protestes „sind <strong>de</strong>r wesentliche Inhalt <strong>de</strong>s Protestantismus“.<br />

Ein dunkler und drohen<strong>de</strong>r Tag war für die Reformation angebrochen. Der Erlaß von<br />

Worms hatte Luther für vogelfrei erklärt und die Verbreitung <strong>de</strong>s evangelischen Glaubens<br />

untersagt; doch beließ man es im Reich bei einer religiösen Duldung. Die göttliche<br />

Vorsehung hatte die <strong>de</strong>r Wahrheit wi<strong>de</strong>rstreiten<strong>de</strong>n Mächte im Zaum gehalten. Wohl war<br />

Karl V. entschlossen, die Reformation auszurotten; so oft er aber die Hand zum Streich<br />

ausholte, zwangen ihn immer wie<strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>re Umstän<strong>de</strong>, davon abzusehen. Mehrmals<br />

schien <strong>de</strong>r unmittelbare Untergang aller Gegner Roms unausbleiblich; aber in diesen<br />

kritischen Zeitpunkten bewahrte sie einmal das Erscheinen <strong>de</strong>s türkischen Heeres an <strong>de</strong>r<br />

Ostgrenze vor Verfolgung, zum an<strong>de</strong>rn zogen <strong>de</strong>r König von Frankreich, ja gar <strong>de</strong>r Papst,<br />

mißgünstig gestimmt über die zunehmen<strong>de</strong> Größe <strong>de</strong>s Kaisers, gegen diesen in <strong>de</strong>n Krieg.<br />

Dadurch bot sich <strong>de</strong>r Reformation inmitten <strong>de</strong>r Streitigkeiten <strong>de</strong>r Völker Gelegenheit, sich<br />

innerlich zu festigen und auszubreiten.<br />

Schließlich hatten die katholischen Fürsten ihre Zwistigkeiten beigelegt, um gemeinsam<br />

gegen die Reformatoren vorgehen zu können. Der Reichstag zu Speyer im Jahre 1526 hatte<br />

je<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Län<strong>de</strong>r völlige Freiheit in Religionssachen zugebilligt bis zur<br />

Einberufung eines allgemeinen Konzils. Doch kaum waren die Gefahren, unter <strong>de</strong>nen dieses<br />

Übereinkommen vereinbart wur<strong>de</strong>, vorüber, berief <strong>de</strong>r Kaiser 1529 einen weiteren<br />

Reichstag nach Speyer, um die Ketzerei zu vernichten. Die Fürsten sollten womöglich durch<br />

friedliche Mittel veranlaßt wer<strong>de</strong>n, sich gegen die Reformation zu erklären; sollte das<br />

jedoch ergebnislos sein, wollte <strong>de</strong>r Kaiser zum Schwert greifen.<br />

Die päpstlich Gesinnten stellten sich in gehobener Stimmung zahlreich in Speyer ein<br />

und legten ihre Feindseligkeit gegen die Reformatoren und ihre Gönner offen an <strong>de</strong>n Tag.<br />

Da sagte Melanchthon: „Wir sind <strong>de</strong>r Abschaum und <strong>de</strong>r Kehrricht <strong>de</strong>r Welt; aber Christus<br />

wird auf sein armes Volk herabsehen und es bewahren.“ Den evangelischen Kirchenfürsten,<br />

die an <strong>de</strong>m Reichstag teilnahmen, wur<strong>de</strong> es sogar untersagt, das Evangelium in ihrer<br />

Wohnung predigen zu lassen. Doch die Menschen in Speyer dürsteten nach <strong>de</strong>m Worte<br />

Gottes, und Tausen<strong>de</strong> strömten trotz <strong>de</strong>s Verbotes zu <strong>de</strong>n Gottesdiensten, die in <strong>de</strong>r Kapelle<br />

<strong>de</strong>s Kurfürsten von Sachsen abgehalten wur<strong>de</strong>n.<br />

Dies beschleunigte die Entscheidung. Eine kaiserliche Botschaft for<strong>de</strong>rte <strong>de</strong>n Reichstag<br />

auf, <strong>de</strong>n Gewissensfreiheit gewähren<strong>de</strong>n Beschluß, da er zu großen Unordnungen Anlaß<br />

gegeben habe, für null und nichtig zu erklären. Diese willkürliche Handlung erregte bei <strong>de</strong>n<br />

133


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

evangelischen Christen Entrüstung und Bestürzung. Einer sagte: „Christus ist wie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n<br />

Hän<strong>de</strong>n von Kaiphas und Pilatus.“ Die Römlinge wur<strong>de</strong>n immer heftiger. Ein von blin<strong>de</strong>m<br />

Eifer ergriffener Päpstlicher erklärte: „Die Türken sind besser als die Lutheraner; <strong>de</strong>nn die<br />

Türken beobachten das Fasten, und diese verletzen es. Man darf eher die Schrift als die alten<br />

Irrtümer <strong>de</strong>r Kirche verwerfen.“ Melanchthon schrieb über Faber, <strong>de</strong>n Beichtvater König<br />

Ferdinands und späteren Bischof von Wien: „Täglich schleu<strong>de</strong>rte er in seinen Predigten<br />

einen neuen Pfeil gegen die Evangelischen.“<br />

Die religiöse Duldung war gesetzlich eingeführt wor<strong>de</strong>n, und die evangelischen Län<strong>de</strong>r<br />

waren entschlossen, sich je<strong>de</strong>m Eingriff in ihre Rechte zu wi<strong>de</strong>rsetzen. Luther, <strong>de</strong>r noch<br />

immer unter <strong>de</strong>r durch das Edikt von Worms auferlegten Reichsacht stand, durfte in Speyer<br />

nicht teilnehmen; seine Stelle nahmen seine Mitarbeiter und die Fürsten ein, die Gott<br />

erweckt hatte, seine Sache bei diesem Anlaß zu verteidigen. Der edle Kurfürst Friedrich von<br />

Sachsen, Luthers früherer Beschützer, war gestorben; aber auch Kurfürst Johann, sein<br />

Bru<strong>de</strong>r und Nachfolger, hatte die Reformation freudig begrüßt. Während er sich als ein<br />

Freund <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns erwies, legte er gleichzeitig in allen Glaubensangelegenheiten Mut und<br />

große Tatkraft an <strong>de</strong>n Tag.<br />

Die Priester verlangten, die Län<strong>de</strong>r, die sich zur Reformation bekannt hatten, sollten<br />

sich <strong>de</strong>r römischen Gerichtsbarkeit bedingungslos unterwerfen. Die Reformatoren auf <strong>de</strong>r<br />

an<strong>de</strong>rn Seite machten die Freiheit geltend, die ihnen früher gewährt wor<strong>de</strong>n war. Sie<br />

konnten nicht einwilligen, daß Rom jene Län<strong>de</strong>r unter seine Herrschaft brächte, die das<br />

Wort Gottes mit so großer Freu<strong>de</strong> aufgenommen hatten. Man schlug schließlich vor, das<br />

Edikt von Worms solle dort streng gehandhabt wer<strong>de</strong>n, wo die Reformation noch nicht Fuß<br />

gefaßt hätte; „wo man aber davon abgewichen und wo <strong>de</strong>ssen Einführung ohne<br />

Volksaufruhr nicht möglich sei, solle man wenigstens nicht weiter reformieren, keine<br />

Streitfragen verhan<strong>de</strong>ln, die Messe nicht verbieten, keinen Katholiken zum Luthertum<br />

übertreten lassen“. Dieser Vorschlag wur<strong>de</strong> zur großen Genugtuung <strong>de</strong>r päpstlichen Priester<br />

und Prälaten vom Reichstag genehmigt.<br />

Falls diese Maßregel „Gesetzeskraft erhielt, so konnte sich die Reformation we<strong>de</strong>r<br />

weiter ausbreiten ... wo sie noch nicht war, noch wo sie bestand, festen Bo<strong>de</strong>n gewinnen“.<br />

Die Freiheit <strong>de</strong>r Re<strong>de</strong> wür<strong>de</strong> dadurch verboten, keine Bekehrungen mehr gestattet wer<strong>de</strong>n.<br />

Von <strong>de</strong>n Freun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Reformation wur<strong>de</strong> verlangt, sich diesen Einschränkungen und<br />

Verboten ohne weiteres zu unterwerfen. Die Hoffnung <strong>de</strong>r Welt schien <strong>de</strong>m Erlöschen nahe.<br />

„Die ... Wie<strong>de</strong>rherstellung <strong>de</strong>r römischen Hierarchie mußte die alten Mißbräuche<br />

hervorrufen“, und leicht konnte eine Gelegenheit gefun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n, „das so stark<br />

erschütterte Werk durch Schwärmerei und Zwiespalt vollends zu vernichten“.<br />

Als die evangelische Partei zur Beratung zusammentrat, blickte man sich bestürzt an.<br />

Von einem zum an<strong>de</strong>rn ging die Frage: „Was ist zu tun?“ Gewaltige Folgen für die Welt<br />

stan<strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>m Spiel. „Sollten die führen<strong>de</strong>n Köpfe <strong>de</strong>r Reformation nachgeben und das<br />

Edikt annehmen? Wie leicht hätten die Reformatoren in diesem entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Augenblick,<br />

134


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Tat außeror<strong>de</strong>ntlich wichtig war, sich dazu überre<strong>de</strong>n können, einen falschen Weg<br />

einzuschlagen. Wie viele glaubhafte Vorwän<strong>de</strong> und annehmbare Grün<strong>de</strong> für ihre<br />

Unterwerfung hätten sich fin<strong>de</strong>n lassen! Den lutherisch gesinnten Fürsten war die freie<br />

Ausübung ihres Glaubens zugesichert. Dieselbe Begünstigung erstreckte sich auch auf alle<br />

ihre Untertanen, die, noch ehe die Maßregeln getroffen wur<strong>de</strong>n, die reformierte Lehre<br />

angenommen hatten. Konnte sie dies nicht zufrie<strong>de</strong>nstellen? Wie vielen Gefahren wür<strong>de</strong><br />

man durch eine Unterwerfung ausweichen! Doch auf welch unbekannte Wagnisse und<br />

Kämpfe wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rstand sie treiben! Wer weiß, ob sich in Zukunft je wie<strong>de</strong>r solch<br />

eine Gelegenheit bieten wür<strong>de</strong>! Lasset uns <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>n annehmen; lasset uns <strong>de</strong>n Ölzweig<br />

ergreifen, <strong>de</strong>n Rom uns entgegenhält, und die Wun<strong>de</strong>n Deutschlands schließen. Mit<br />

<strong>de</strong>rartigen Beweisgrün<strong>de</strong>n hätten die Reformatoren sich bei <strong>de</strong>r Annahme eines Weges, <strong>de</strong>r<br />

unvermeidlich bald darauf <strong>de</strong>n Umsturz ihrer Sache herbeigeführt haben wür<strong>de</strong>,<br />

rechtfertigen können.<br />

Glücklicherweise erkannten sie <strong>de</strong>n Grundsatz, auf <strong>de</strong>m diese Anordnung beruhte, und<br />

han<strong>de</strong>lten im Glauben. Was war das für ein Grundsatz? — Es war das Recht Roms, das<br />

Gewissen zu zwingen und eine freie Untersuchung zu untersagen. Sollten aber sie selbst und<br />

ihre protestantischen Untertanen sich nicht <strong>de</strong>r Religionsfreiheit erfreuen? — Ja, als eine<br />

Gunst, die in <strong>de</strong>r Anordnung beson<strong>de</strong>rs vorgesehen war, nicht aber als ein Recht. In allem,<br />

was in diesem Abkommen nicht einbegriffen war, sollte <strong>de</strong>r herrschen<strong>de</strong> Grundsatz <strong>de</strong>r<br />

Autorität maßgebend sein; das Gewissen wur<strong>de</strong> nicht berücksichtigt; Rom war <strong>de</strong>r<br />

unfehlbare Richter, und ihm muß man gehorchen. Die Annahme <strong>de</strong>r vorgeschlagenen<br />

Vereinbarung wäre ein tatsächliches Zugeständnis gewesen, daß die Religionsfreiheit auf<br />

das protestantische Sachsen beschränkt wer<strong>de</strong>n müßte; was aber die übrige Christenheit<br />

angehe, so seien freie Untersuchung und das Bekenntnis <strong>de</strong>s reformierten Glaubens<br />

Verbrechen, die mit Kerker und Scheiterhaufen zu ahn<strong>de</strong>n wären. Dürften sie <strong>de</strong>r örtlichen<br />

Beschränkung <strong>de</strong>r Religionsfreiheit zustimmen, daß man verkündige, die Reformation habe<br />

ihren letzten Anhänger gewonnen, ihren letzten Fußbreit erobert? Und sollte dort, wo Rom<br />

zu dieser Stun<strong>de</strong> sein Zepter schwang, seine Herrschaft ständig aufgerichtet bleiben?<br />

Könnten die Reformatoren sich unschuldig fühlen an <strong>de</strong>m Blut jener Hun<strong>de</strong>rte und<br />

Tausen<strong>de</strong>, die in Erfüllung dieser Anordnung ihr Leben in päpstlichen Län<strong>de</strong>rn opfern<br />

müßten? Dies hieße, in jener so verhängnisvollen Stun<strong>de</strong> die Sache <strong>de</strong>s Evangeliums und<br />

die Freiheit <strong>de</strong>r Christenheit zu verraten.“ „Lieber wollten sie ... ihre Län<strong>de</strong>r, ihre Kronen,<br />

ihr Leben opfern.“<br />

„Wir verwerfen diesen Beschluß“, sagten die Fürsten. „In Gewissensangelegenheiten<br />

hat die Mehrheit keine Macht.“ Die Abgesandten erklärten: „Das Dekret von 1526 hat <strong>de</strong>n<br />

Frie<strong>de</strong>n im Reich gestiftet; hebt man es auf, so heißt das, Deutschland in Ha<strong>de</strong>r und Zank zu<br />

stürzen. Der Reichstag hat keine weitere Befugnis als die Aufrechterhaltung <strong>de</strong>r<br />

Glaubensfreiheit bis zu einem Konzil.“ Die Gewissensfreiheit zu schützen, ist die Pflicht <strong>de</strong>s<br />

Staates, und dies ist die Grenze seiner Machtbefugnis in religiösen Dingen. Je<strong>de</strong> weltliche<br />

Regierung, die versucht, mit Hilfe <strong>de</strong>r Staatsgewalt religiöse Gebräuche zu regeln o<strong>de</strong>r<br />

135


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

durchzusetzen, opfert gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Grundsatz, für <strong>de</strong>n die evangelischen Christen in so edler<br />

Weise kämpften.<br />

Die Päpstlichen beschlossen, das, was sie „frechen Trotz“ nannten, zu unterdrücken. Sie<br />

versuchten die Anhänger <strong>de</strong>r Reformation zu spalten, und alle, die sich nicht offen für sie<br />

erklärt hatten, einzuschüchtern. Die Vertreter <strong>de</strong>r freien Reichsstädte wur<strong>de</strong>n schließlich vor<br />

<strong>de</strong>n Reichstag gela<strong>de</strong>n und aufgefor<strong>de</strong>rt, zu sagen, ob sie auf die Bedingungen jenes<br />

Vorschlages eingehen wollten. Sie baten um Be<strong>de</strong>nkzeit, aber vergebens. Als sie auf die<br />

Probe gestellt wur<strong>de</strong>n, schloß sich fast die Hälfte von ihnen <strong>de</strong>n Reformatoren an. Die sich<br />

auf diese Weise weigerten, die Gewissensfreiheit und das Recht <strong>de</strong>s persönlichen Urteils zu<br />

opfern, wußten wohl, daß ihre Stellung sie künftigem Ta<strong>de</strong>l, Verurteilung und Verfolgung<br />

aussetzen wür<strong>de</strong>. Einer <strong>de</strong>r Abgeordneten bemerkte: „Das ist die erste Probe ... bald kommt<br />

die zweite: das Wort Gottes wi<strong>de</strong>rrufen o<strong>de</strong>r brennen.“<br />

König Ferdinand, <strong>de</strong>r Stellvertreter <strong>de</strong>s Kaisers auf <strong>de</strong>m Reichstag, sah, daß das Dekret<br />

ernstliche Spaltungen hervorriefe, falls die Fürsten nicht veranlaßt wür<strong>de</strong>n, es anzunehmen<br />

und zu unterstützen. Er versuchte es <strong>de</strong>shalb mit <strong>de</strong>r Überredungskunst, wohl wissend, daß<br />

Gewaltanwendung solche Männer nur noch entschie<strong>de</strong>ner machen wür<strong>de</strong>. Er „bat die<br />

Fürsten um Annahme <strong>de</strong>s Dekrets, für welchen Schritt <strong>de</strong>r Kaiser ihnen großen Dank wissen<br />

wür<strong>de</strong>“. Aber diese treuen Männer erkannten eine Autorität an, welche die irdischer<br />

Herrscher überstieg, und sie antworteten: „Wir gehorchen <strong>de</strong>m Kaiser in allem, was zur<br />

Erhaltung <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns und zur Ehre Gottes dienen kann.“<br />

In Gegenwart <strong>de</strong>s Reichstages kündigte <strong>de</strong>r König <strong>de</strong>m Kurfürsten und seinen Freun<strong>de</strong>n<br />

schließlich an, daß die Entschließung bald als kaiserliches Dekret abgefaßt wer<strong>de</strong>n sollte<br />

und sie sich <strong>de</strong>r Mehrheit unterwerfen müßten. Als er dies gesagt hatte, zog er sich aus <strong>de</strong>r<br />

Versammlung zurück und gab <strong>de</strong>n Protestanten keine Gelegenheit zur Beratung o<strong>de</strong>r zur<br />

Erwi<strong>de</strong>rung. Diese schickten eine Abordnung an <strong>de</strong>n König und baten ihn,<br />

zurückzukommen. Umsonst! Auf ihre Vorstellungen antwortete er nur: „Die Artikel sind<br />

beschlossen; man muß sich unterwerfen.“<br />

Die kaiserliche Partei war überzeugt, daß die christlichen Fürsten an <strong>de</strong>r Heiligen<br />

Schrift festhalten wür<strong>de</strong>n, da sie über menschlichen Lehren und Vorschriften steht; und sie<br />

wußten, daß die Annahme dieses Grundsatzes am En<strong>de</strong> zum Sturz <strong>de</strong>s Papsttums führen<br />

mußte. Aber sie schmeichelten sich wie auch Tausen<strong>de</strong> nach ihnen, in<strong>de</strong>m sie nur „auf das<br />

Sichtbare“ schauten, daß die stärkeren Trümpfe beim Kaiser und beim Papst lägen, während<br />

die Seite <strong>de</strong>r Reformation nur schwach sei. Hätten sich die Reformatoren einzig auf ihre<br />

menschliche Macht verlassen, wären sie so hilflos gewesen, wie die Päpstlichen vermuteten.<br />

Obgleich gering an Zahl und uneins mit Rom, waren sie doch stark. „Vielmehr appellierten<br />

sie vom Beschluß <strong>de</strong>s Reichstages an Gottes Wort, von Kaiser Karl an Jesus Christus, <strong>de</strong>n<br />

König aller Könige, <strong>de</strong>n Herrn aller Herren.“<br />

136


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Da Ferdinand sich geweigert hatte, ihre Gewissensüberzeugung zu berücksichtigen,<br />

beschlossen die Fürsten, ungeachtet seiner Abwesenheit ihren Protest unverzüglich vor die<br />

versammelten Stän<strong>de</strong> zu bringen. Eine feierliche Erklärung wur<strong>de</strong> aufgesetzt und <strong>de</strong>m<br />

Reichstag unterbreitet: „Wir protestieren durch diese Erklärung vor Gott, unserem einigen<br />

Schöpfer, Erhalter, Erlöser und Seligmacher, <strong>de</strong>r einst uns richten wird, und erklären vor<br />

allen Menschen und Kreaturen, daß wir für uns und die Unsrigen in keiner Weise <strong>de</strong>m<br />

vorgelegten Dekret beipflichten o<strong>de</strong>r beitreten, und allen <strong>de</strong>n Punkten, welche Gott, seinem<br />

heiligen Worte, unserem guten Gewissen, unserer Seligkeit zuwi<strong>de</strong>rlaufen.<br />

Wie sollten wir das Edikt billigen können und dadurch erklären, daß, wenn <strong>de</strong>r<br />

allmächtige Gott einen Menschen zu seiner Erkenntnis beruft, dieser Mensch nicht die<br />

Freiheit hat, diese Erkenntnis anzunehmen! ... Da nur die Lehre, welche Gottes Wort gemäß<br />

ist, gewiß genannt wer<strong>de</strong>n kann, da <strong>de</strong>r Herr eine an<strong>de</strong>re zu lehren verbietet, da je<strong>de</strong>r Text<br />

<strong>de</strong>r Heiligen Schrift durch <strong>de</strong>utlichere Stellen <strong>de</strong>rselben ausgelegt wer<strong>de</strong>n soll, da dieses<br />

heilige Buch in allem, was <strong>de</strong>m Christen not tut, leicht verständlich ist und das Dunkel zu<br />

zerstreuen vermag: so sind wir mit Gottes Gna<strong>de</strong> entschlossen, allein die Predigt <strong>de</strong>s<br />

göttlichen Wortes, wie es in <strong>de</strong>n biblischen Büchern <strong>de</strong>s Alten und Neuen Testaments<br />

enthalten ist, lauter und rein, und nichts, was dawi<strong>de</strong>r ist, aufrechtzuerhalten. Dieses Wort<br />

ist die einige Wahrheit, die alleinige Richtschnur aller Lehre und alles Lebens und kann<br />

nicht fehlen noch trügen. Wer auf diesen Grund baut, besteht gegen alle Mächte <strong>de</strong>r Hölle;<br />

alle Menschentorheit, die sich dawi<strong>de</strong>rlegt, verfällt vor Gottes Angesicht ...<br />

Deshalb verwerfen wir das Joch, das man uns auflegt ... Wir hoffen, Ihre Kaiserliche<br />

Majestät wer<strong>de</strong> als ein christlicher Fürst, <strong>de</strong>r Gott vor allen Dingen liebt, in unserer Sache<br />

verfahren, und erklären uns bereit, ihm, wie euch, gnädige Herren, alle Liebe und allen<br />

Gehorsam zu erzeigen, welches unsere gerechte und gesetzliche Pflicht ist.“ Diese<br />

Protestation machte auf <strong>de</strong>n Reichstag tiefen Eindruck. Die Mehrheit wur<strong>de</strong> ob <strong>de</strong>r<br />

Kühnheit <strong>de</strong>r Protestieren<strong>de</strong>n mit Erstaunen und Bestürzung erfüllt. Die Zukunft stellte sich<br />

ihnen stürmisch und ungewiß vor. Uneinigkeit, Streit und Blutvergießen schienen<br />

unvermeidlich. Die Protestanten aber, von <strong>de</strong>r Gerechtigkeit ihrer Sache überzeugt und sich<br />

auf <strong>de</strong>n Arm <strong>de</strong>s Allmächtigen verlassend, „blieben fest und mutig“.<br />

„Die in dieser berühmten Protestation ... ausgesprochenen Grundsätze sind <strong>de</strong>r<br />

wesentliche Inhalt <strong>de</strong>s Protestantismus. Die Protestation tritt gegen zwei menschliche<br />

Mißbräuche in Glaubenssachen auf: gegen die Einmischung <strong>de</strong>r weltlichen Macht und<br />

gegen die Willkür <strong>de</strong>s Klerus. Sie setzt an die Stelle <strong>de</strong>r weltlichen Behör<strong>de</strong> die Macht <strong>de</strong>s<br />

Gewissens, und an die Stelle <strong>de</strong>s Klerus die Autorität <strong>de</strong>s Wortes Gottes. Der<br />

Protestantismus erkennt die weltliche Gewalt in göttlichen Dingen nicht an und sagt, wie die<br />

Apostel und die Propheten: Man muß Gott mehr gehorchen als <strong>de</strong>n Menschen. Ohne Karls<br />

V. Krone anzutasten, hält er die Krone Jesu Christi aufrecht, und noch weitergehend stellt er<br />

<strong>de</strong>n Satz auf, daß alle Menschenlehre <strong>de</strong>n Aussprüchen Gottes untergeordnet sein soll.“ Die<br />

Protestieren<strong>de</strong>n hatten ferner ihr Recht geltend gemacht, ihre religiöse Überzeugung frei<br />

137


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

aussprechen zu können. Sie wollten nicht nur glauben und befolgen, was das Wort Gottes<br />

ihnen nahebrachte, son<strong>de</strong>rn es auch lehren, und sie stellten das Recht <strong>de</strong>r Priester o<strong>de</strong>r<br />

Behör<strong>de</strong>n in Abre<strong>de</strong>, sich hierbei einzumischen. Der Protest zu Speyer war ein feierliches<br />

Zeugnis gegen religiöse Unduldsamkeit und eine Behauptung <strong>de</strong>s Rechtes aller Menschen,<br />

Gott nach ihrem eigenen Gewissen anzubeten.<br />

Die Erklärung war abgegeben. Sie war Tausen<strong>de</strong>n ins Gedächtnis geschrieben und in<br />

die Bücher <strong>de</strong>s Himmels eingetragen wor<strong>de</strong>n, wo keine menschliche Anstrengung sie<br />

auslöschen konnte. Das ganze evangelische Deutschland nahm <strong>de</strong>n Protest als Ausdruck<br />

seines Glaubens an. Überall erblickten die Menschen in dieser Erklärung <strong>de</strong>n Anfang einer<br />

neuen und besseren Zeit. Einer <strong>de</strong>r Fürsten sagte <strong>de</strong>n Protestanten in Speyer: „Der<br />

allmächtige Gott, <strong>de</strong>r euch die Gna<strong>de</strong> verliehen, ihn kräftig, frei und furchtlos zu bekennen,<br />

bewahre euch in dieser christlichen Standhaftigkeit bis zum Tage <strong>de</strong>s Gerichts!“<br />

Hätte die Reformation nach einem erfolgreichen Anfang eingewilligt, sich <strong>de</strong>n<br />

Zeitumstän<strong>de</strong>n anzupassen, um sich die Gunst <strong>de</strong>r Welt zu erwerben, so wäre sie Gott und<br />

sich selbst untreu gewor<strong>de</strong>n und hätte auf diese Weise selbst ihren Untergang bewirkt. Die<br />

Erfahrung jener prächtigen Reformatoren enthält eine Lehre für alle späteren Zeiten. Satans<br />

Art und Weise, gegen Gott und sein Wort zu wirken, hat sich nicht verän<strong>de</strong>rt; er stellt sich<br />

noch immer ebenso sehr dagegen, die Heilige Schrift zum Führer <strong>de</strong>s Lebens zu machen,<br />

wie im 16.Jahrhun<strong>de</strong>rt. Heutzutage weicht man stark von ihren Lehren und Geboten ab, und<br />

eine Rückkehr zu <strong>de</strong>m protestantischen Grundsatz, die Bibel und nur die Bibel als<br />

Richtschnur <strong>de</strong>s Glaubens und <strong>de</strong>r Pflicht zu betrachten, ist notwendig. Satan wirkt noch<br />

immer mit allen Mitteln, über die er verfügt, um die religiöse Freiheit zu unterdrücken. Die<br />

Macht, die die protestieren<strong>de</strong>n Fürsten in Speyer verwarfen, suchte nun mit erneuerter Kraft<br />

die verlorene Oberherrschaft wie<strong>de</strong>rzugewinnen. Das gleiche unwan<strong>de</strong>lbare Festhalten am<br />

Worte Gottes, das sich in jener Entscheidungsstun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Reformation bekun<strong>de</strong>te, ist die<br />

einzige Hoffnung für eine Reform <strong>de</strong>r Gegenwart.<br />

Die Protestanten erkannten Anzeichen <strong>de</strong>r Gefahr. Es gab aber auch Anzeichen, daß die<br />

göttliche Hand ausgestreckt war, um die Getreuen zu beschützen. „Kurz vorher hatte<br />

Melanchthon seinen Freund Simon Grynäus rasch durch die Stadt an <strong>de</strong>n Rhein geführt mit<br />

<strong>de</strong>r Bitte, sich übersetzen zu lassen. Als dieser über das hastige Drängen erstaunt war,<br />

erzählte ihm Melanchthon: Eine ernste, würdige Greisengestalt, die er nicht gekannt, sei ihm<br />

entgegengetreten mit <strong>de</strong>r Nachricht, Ferdinand habe Häscher abgeschickt, um <strong>de</strong>n Grynäus<br />

zu verhaften.“<br />

Am Tage hatte sich Grynäus über eine Predigt Fabers, eines führen<strong>de</strong>n katholischen<br />

Gelehrten, entrüstet; nach <strong>de</strong>r Predigt machte er ihm Vorhaltungen darüber und bat ihn, „die<br />

Wahrheit nicht länger zu bekämpfen. Faber hatte seinen Zorn nicht merken lassen, sich aber<br />

gleich zum König begeben und von diesem einen Haftbefehl gegen <strong>de</strong>n unbequemen<br />

Hei<strong>de</strong>lberger Professor erwirkt. Melanchthon glaubte fest, Gott habe einen Engel vom<br />

Himmel gesandt, um seinen Freund zu retten; er blieb am Rhein stehen, bis <strong>de</strong>r Fluß<br />

138


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

zwischen ihm und seinen Verfolgern war, und als er ihn am entgegengesetzten Ufer<br />

angekommen sah, rief er: ‚Endlich ist er <strong>de</strong>nen entrissen, welche nach <strong>de</strong>m Blute <strong>de</strong>r<br />

Unschuldigen dürsten¡ Nachher erfuhr Melanchthon, daß man unter<strong>de</strong>ssen nach Grynäus in<br />

<strong>de</strong>ssen Wohnung gesucht hatte.“<br />

Die Reformation sollte vor <strong>de</strong>n Gewaltigen dieser Er<strong>de</strong> zu noch größerer Be<strong>de</strong>utung<br />

gelangen. Den evangelischen Fürsten war von König Ferdinand versagt wor<strong>de</strong>n, gehört zu<br />

wer<strong>de</strong>n; aber es sollte ihnen Gelegenheit geboten wer<strong>de</strong>n, ihre Sache in Gegenwart <strong>de</strong>s<br />

Kaisers und <strong>de</strong>r Wür<strong>de</strong>nträger <strong>de</strong>s Staates und <strong>de</strong>r Kirche vorzutragen. Um <strong>de</strong>n Zwiespalt<br />

beizulegen, <strong>de</strong>r das Reich beunruhigte, rief Karl V. im folgen<strong>de</strong>n Jahr nach <strong>de</strong>m Protest von<br />

Speyer <strong>de</strong>n Reichstag nach Augsburg zusammen und gab bekannt, daß er die Absicht habe,<br />

persönlich <strong>de</strong>n Vorsitz zu führen. Dorthin wur<strong>de</strong>n die Führer <strong>de</strong>r Protestanten gela<strong>de</strong>n.<br />

Angesichts <strong>de</strong>r drohen<strong>de</strong>n Gefahren stellten die Fürsprecher <strong>de</strong>r Reformation ihre Sache<br />

Gott anheim und gelobten, am Evangelium festzuhalten. Der Kurfürst von Sachsen wur<strong>de</strong><br />

von seinen Räten gedrängt, nicht auf <strong>de</strong>m Reichstag zu erscheinen; <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Kaiser verlange<br />

nur die Anwesenheit <strong>de</strong>r Fürsten, um sie in eine Falle zu locken. Es sei „ein Wagnis, sich<br />

mit einem so mächtigen Fein<strong>de</strong> in dieselben Mauern einzuschließen.“ Doch an<strong>de</strong>re erklärten<br />

hochherzig, „die Fürsten sollten Mut haben, und Gottes Sache wer<strong>de</strong> gerettet.“ Luther sagte:<br />

„Gott ist treu — und wird uns nicht lassen.“ Der Kurfürst und sein Gefolge begaben sich<br />

nach Augsburg. Alle kannten die Gefahren, die ihm drohten, und viele gingen mit düsteren<br />

Blicken und beunruhigten Herzen einher. Doch Luther, <strong>de</strong>r sie bis Coburg begleitete, ließ<br />

ihren sinken<strong>de</strong>n Glauben wie<strong>de</strong>r aufleben, in<strong>de</strong>m er ihnen das Lied: „Ein feste Burg ist<br />

unser Gott“ vorsang. Manche bange Ahnung wur<strong>de</strong> verscheucht, manches schwere Herz<br />

fühlte unter <strong>de</strong>n Klängen dieses begeistern<strong>de</strong>n Lie<strong>de</strong>s <strong>de</strong>n auf ihm lasten<strong>de</strong>n Druck weichen.<br />

Die reformierten Fürsten hatten beschlossen, eine Darlegung ihrer Auffassungen in<br />

systematischer Zuammenstellung mit Beweisstellen aus <strong>de</strong>r Heiligen Schrift auszuarbeiten,<br />

um sie <strong>de</strong>m Reichstag vorzulegen; die Aufgabe dieser Bearbeitung wur<strong>de</strong> Luther und<br />

Melanchthon sowie ihren Gefährten übertragen. Das auf diese Weise zum Ausdruck<br />

gebrachte Bekenntnis wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>n Protestanten als eine Erklärung ihres Glaubens<br />

angenommen, und sie versammelten sich, um <strong>de</strong>m wichtigen Schriftstück ihre<br />

Unterschriften beizufügen. Es war eine ernste Zeit <strong>de</strong>r Prüfung. Die Reformatoren waren<br />

ängstlich darauf bedacht, daß ihre Sache nicht mit politischen Fragen verwechselt wer<strong>de</strong>; sie<br />

fühlten, die Reformation sollte keinen an<strong>de</strong>rn Einfluß ausüben als <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r vom Wort Gottes<br />

bestimmt wird. Als die christlichen Fürsten die Konfession unterzeichnen wollten, trat<br />

Melanchthon dazwischen und sprach: „Die Theologen, die Diener Gottes, müssen das<br />

vorlegen, und das Gewicht <strong>de</strong>r großen <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> muß man für an<strong>de</strong>re Dinge aufsparen.“ —<br />

„Gott gebe“, antwortete Johann von Sachsen, „daß ihr mich nicht ausschließet, ich will<br />

tun, was recht ist, unbekümmert um meine Krone; ich will <strong>de</strong>n Herrn bekennen. Das Kreuz<br />

Jesu Christi ist mehr wert als mein Kurhut und mein Hermelin.“ Als er dies gesagt, schrieb<br />

er seinen Namen nie<strong>de</strong>r. Ein an<strong>de</strong>rer Fürst sprach, als er die Fe<strong>de</strong>r ergriff: „Wo es die Ehre<br />

139


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

meines Herrn Jesu Christi gilt, bin ich bereit, Gut und Leben aufzugeben ... Ehe ich eine<br />

an<strong>de</strong>re Lehre als die, welche in <strong>de</strong>r Konfession enthalten ist, annehme, will ich lieber Land<br />

und Leute aufgeben, und mit <strong>de</strong>m Stabe in <strong>de</strong>r Hand aus meiner Väter Heimat<br />

auswan<strong>de</strong>rn.“ In dieser Weise bekun<strong>de</strong>te sich <strong>de</strong>r Glaube und die Unerschrockenheit dieser<br />

Gottesmänner.<br />

Es kam die Zeit, da sie vor <strong>de</strong>m Kaiser zu erscheinen hatten. Karl V., auf seinem Thron<br />

sitzend, umgeben von <strong>de</strong>n Kurfürsten und Fürsten <strong>de</strong>s Reiches, schenkte <strong>de</strong>n<br />

protestantischen Reformatoren Gehör. Das Bekenntnis ihres Glaubens wur<strong>de</strong> verlesen. In<br />

jener erlauchten Versammlung wur<strong>de</strong>n die Wahrheiten <strong>de</strong>s Evangeliums klar dargelegt und<br />

die Irrtümer <strong>de</strong>r päpstlichen Kirche bloßgestellt. Mit Recht ist jener Tag als <strong>de</strong>r größte <strong>de</strong>r<br />

Reformation, als einer <strong>de</strong>r schönsten in <strong>de</strong>r Geschichte <strong>de</strong>s Christentums und <strong>de</strong>r<br />

Menschheit bezeichnet wor<strong>de</strong>n. Nur wenige Jahre waren vergangen, seit <strong>de</strong>r Mönch von<br />

Wittenberg in Worms allein vor <strong>de</strong>m Reichstag Jesus Christus bekannt hatte. Nun stan<strong>de</strong>n<br />

an seiner Stelle die e<strong>de</strong>lsten und mächtigsten Fürsten <strong>de</strong>s Reiches vor <strong>de</strong>m Kaiser. Es war<br />

Luther untersagt wor<strong>de</strong>n, in Augsburg zu erscheinen; doch mit seinen Worten und Gebeten<br />

war er dabei. „Ich bin über alle Maßen froh“, schrieb er, „daß ich bis zu <strong>de</strong>r Stun<strong>de</strong> gelebt<br />

habe, in welcher Christus durch solche Bekenner vor solcher Versammlung in einem<br />

herrlichen Bekenntnisse verkündigt wor<strong>de</strong>n ist.“ Auf diese Weise erfüllte sich, was die<br />

Schrift sagt: „Ich re<strong>de</strong> von <strong>de</strong>inen Zeugnissen vor Königen!“ Psalm 119,46.<br />

In <strong>de</strong>n Tagen <strong>de</strong>s Paulus war das Evangelium, um <strong>de</strong>swillen er sich in Gefangenschaft<br />

befand, in <strong>de</strong>r gleichen Weise vor die Fürsten und Edlen <strong>de</strong>r kaiserlichen Stadt gebracht<br />

wor<strong>de</strong>n. Auch bei diesem Anlaß hier wur<strong>de</strong> das, was <strong>de</strong>r Kaiser von <strong>de</strong>r Kanzel zu predigen<br />

untersagt hatte, im Palast verkündigt; was viele sogar für die Dienerschaft als unpassend<br />

angesehen hatten, wur<strong>de</strong> nun von <strong>de</strong>n Herrschern und Herren <strong>de</strong>s Reiches mit<br />

Verwun<strong>de</strong>rung vernommen. Könige und große Männer waren die Zuhörer, gekrönte Fürsten<br />

die Prediger, und die Predigt enthielt die Wahrheit Gottes. Ein Zeitgenosse, Mathesius, sagte,<br />

seit <strong>de</strong>n Zeiten <strong>de</strong>r Apostel hätte es kein größer und höher Werk gegeben.<br />

„Was die Lutheraner vorgelesen haben, ist wahr, es ist die reine Wahrheit, wir können<br />

es nicht leugnen“, erklärte ein päpstlicher Bischof. „Könnet ihr das von Kurfürsten<br />

abgefaßte Bekenntnis mit guten Grün<strong>de</strong>n wi<strong>de</strong>rlegen?“ fragte ein an<strong>de</strong>rer Dr. Eck. „Nicht<br />

mit <strong>de</strong>n Schriften <strong>de</strong>r Apostel und Propheten“, antwortete Dr. Eck, „aber wohl mit <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r<br />

Väter und Konzilien.“ — „Also sind die Lutheraner“, entgegnete <strong>de</strong>r Fragen<strong>de</strong>, „in <strong>de</strong>r<br />

Schrift, und wir daneben.“ Einige <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Fürsten waren für <strong>de</strong>n reformierten<br />

Glauben gewonnen wor<strong>de</strong>n. Der Kaiser selbst erklärte, die protestantischen Artikel seien die<br />

reine Wahrheit. Das Bekenntnis wur<strong>de</strong> in viele Sprachen übersetzt und in ganz Europa<br />

verbreitet, und es ist von Millionen Menschen <strong>de</strong>r folgen<strong>de</strong>n Geschlechter als Bekundung<br />

ihres Glaubens angenommen wor<strong>de</strong>n.<br />

Gottes treue Diener arbeiteten nicht allein. Während sie es „mit Fürsten und Gewaltigen,<br />

nämlich mit <strong>de</strong>n Herren <strong>de</strong>r Welt, die in <strong>de</strong>r Finsternis dieser Welt herrschen, mit <strong>de</strong>n bösen<br />

140


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Geistern unter <strong>de</strong>m Himmel“ (Epheser 6,12), die sich gegen sie verban<strong>de</strong>n, zu tun hatten,<br />

verließ <strong>de</strong>r Herr sein Volk nicht. Wären die Augen <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r Gottes geöffnet gewesen,<br />

hätten sie ebenso <strong>de</strong>utliche Beweise <strong>de</strong>r Gegenwart und Hilfe Gottes erkannt, wie sie einst<br />

<strong>de</strong>n Propheten gewährt wor<strong>de</strong>n waren. Als Elisas Diener seinen Meister auf das sie<br />

umgeben<strong>de</strong> feindliche Heer aufmerksam machte, das je<strong>de</strong> Gelegenheit zum Entrinnen nahm,<br />

betete <strong>de</strong>r Prophet: „Herr, öffne ihm die Augen, daß er sehe!“ 2.Könige 6,17. Und siehe, <strong>de</strong>r<br />

Berg war voll Kriegswagen und feuriger Rosse, das Heer <strong>de</strong>s Himmels stand bereit, <strong>de</strong>n<br />

Mann Gottes zu beschützen. So bewachten Engel auch die Mitarbeiter <strong>de</strong>r<br />

Reformationsbewegung.<br />

Einer <strong>de</strong>r von Luther am entschie<strong>de</strong>nsten vertretenen Grundsätze sprach sich gegen eine<br />

Unterstützung <strong>de</strong>r Reformation durch weltliche Gewalt aus. Es sollte keine For<strong>de</strong>rung an<br />

ihre Waffen gestellt wer<strong>de</strong>n, um sie zu verteidigen. Er freute sich, daß sich Fürsten <strong>de</strong>s<br />

Reiches zum Evangelium bekannt hatten; doch als sie vorschlugen, sich zu einem<br />

Verteidigungsbund zusammenzuschließen, „wollte Luther die evangelische Lehre nur von<br />

Gott allein verteidigt wissen, je weniger sich die Menschen darein mischten, <strong>de</strong>sto herrlicher<br />

wer<strong>de</strong> sich Gottes Dazwischenkunft offenbaren. Alle Umtriebe, wie die beabsichtigten,<br />

<strong>de</strong>uteten ihm auf feige Ängstlichkeit und sündhaftes Mißtrauen“. .<br />

Als sich mächtige Fein<strong>de</strong> vereinten, um <strong>de</strong>n reformierten Glauben zu Fall zu bringen,<br />

und sich Tausen<strong>de</strong> von Schwertern gegen ihn zu erheben schienen, schrieb Luther: „Satan<br />

läßt seine Wut aus, gottlose Pfaffen verschwören sich, man bedroht uns mit Krieg. Ermahne<br />

das Volk weiterzukämpfen vor Gottes Thron mit Glauben und Gebet, so daß unsere Fein<strong>de</strong>,<br />

vom Geiste Gottes besiegt, zum Frie<strong>de</strong>n gezwungen wer<strong>de</strong>n. Das erste, was not tut, die erste<br />

Arbeit, ist das Gebet. Angesichts <strong>de</strong>r Schwerter und <strong>de</strong>r Wut Satans hat das Volk nur eins zu<br />

tun: es muß beten.“<br />

Bei einem späteren Anlaß erklärte Luther, sich wie<strong>de</strong>rum auf <strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n<br />

protestantischen Fürsten beabsichtigten Bund beziehend, daß die einzige in diesem Streit<br />

anzuwen<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Waffe „das Schwert <strong>de</strong>s Geistes“ sei. Er schrieb an <strong>de</strong>n Kurfürsten von<br />

Sachsen: „Wir mögen in unserem Gewissen solch Verbündnis nicht billigen. Wir möchten<br />

lieber zehnmal tot sein, <strong>de</strong>nn solche Genossen haben, daß unser Evangelium sollte Ursach<br />

gewesen sein einiges Bluts. Wir sollen wie die Schlachtschafe gerechnet sein. Es muß ja<br />

Christi Kreuz getragen sein. Euer Kurfürstliche Gna<strong>de</strong>n seien getrost und unerschrocken,<br />

wir wollen mit Beten mehr ausrichten, <strong>de</strong>nn sie mit all ihrem Trotzen. Allein daß wir unsere<br />

Hän<strong>de</strong> rein von Blut behalten, und wo <strong>de</strong>r Kaiser mich und die an<strong>de</strong>ren for<strong>de</strong>rte, so wollen<br />

wir erscheinen. Euer Kurfürstliche Gna<strong>de</strong>n soll we<strong>de</strong>r meinen noch eines an<strong>de</strong>ren Glauben<br />

verteidigen, son<strong>de</strong>rn ein je<strong>de</strong>r soll auf sein eigen Fahr glauben.“<br />

Aus <strong>de</strong>m Gebetskämmerlein kam die Macht, die bei dieser großen Reformation die<br />

Welt erschütterte. Dort setzten die Diener Gottes in heiliger Stille ihre Füße auf <strong>de</strong>n Felsen<br />

seiner Verheißungen. Während <strong>de</strong>s Streites in Augsburg verfehlte Luther nicht, täglich „drei<br />

Stun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m Gebet zu widmen; und zwar zu einer Zeit, die <strong>de</strong>m Studium am günstigsten<br />

141


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

gewesen wäre“. In <strong>de</strong>r Zurückgezogenheit seines Kämmerleins schüttete er sein Herz vor<br />

Gott aus „mit solchem Glauben und Vertrauen ... als ob er mit seinem Freund und Vater<br />

re<strong>de</strong>. ‚Ich weiß‘, sagte <strong>de</strong>r Reformator, ‚daß du unser Vater und unser Gott bist, daß du die<br />

Verfolger <strong>de</strong>iner Kin<strong>de</strong>r zerstreuen wirst, <strong>de</strong>nn du selbst bist mit uns in <strong>de</strong>r Gefahr. Diese<br />

ganze Sache ist <strong>de</strong>in, nur weil du sie gewollt hast, haben wir sie unternommen. Schütze du<br />

uns, o Herr¡“.<br />

An Melanchthon, <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Last <strong>de</strong>r Angst und Sorge nie<strong>de</strong>rgedrückt war, schrieb er:<br />

„Gna<strong>de</strong> und Frie<strong>de</strong> in Christo! in Christo, sage ich, nicht in <strong>de</strong>r Welt. Amen! Ich hasse <strong>de</strong>ine<br />

Besorgnisse, die dich, wie du schreibst, verzehren, gewaltig. Wenn die Sache falsch ist, so<br />

wollen wir wi<strong>de</strong>rrufen; wenn sie gerecht ist, weshalb machen wir <strong>de</strong>n, welcher uns ruhig<br />

schlafen heißt, bei so vielen Verheißungen zum Lügner? ... Christus entzieht sich nicht <strong>de</strong>r<br />

Sache <strong>de</strong>r Gerechtigkeit und Wahrheit; er lebt und regiert, und welche Angst können wir<br />

noch haben?“ Gott hörte das Flehen seiner Diener. Er gab <strong>de</strong>n Fürsten und Predigern Gna<strong>de</strong><br />

und Mut, gegenüber <strong>de</strong>n Herrschern <strong>de</strong>r Finsternis dieser Welt die Wahrheit zu behaupten.<br />

Der Herr spricht: „Siehe da, ich lege einen auserwählten, köstlichen Eckstein in Zion; und<br />

wer an ihn glaubt, <strong>de</strong>r soll nicht zu Schan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.“ 1.Petrus 2,6. Die protestantischen<br />

Reformatoren hatten auf Christus gebaut, und die Pforten <strong>de</strong>r Hölle konnten sie nicht<br />

überwältigen.<br />

142


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 12- Die Reformation in Frankreich<br />

Dem Protest zu Speyer und <strong>de</strong>r Konfession zu Augsburg, die <strong>de</strong>n Sieg <strong>de</strong>r Reformation<br />

in Deutschland ankün<strong>de</strong>ten, folgten Jahre <strong>de</strong>s Kampfes und <strong>de</strong>r Finsternis. Durch<br />

Uneinigkeiten <strong>de</strong>r Anhänger geschwächt und von gewaltigen Fein<strong>de</strong>n bestürmt, schien <strong>de</strong>r<br />

Protestantismus <strong>de</strong>m vollständigen Untergang geweiht zu sein. Tausen<strong>de</strong> besiegelten ihr<br />

Zeugnis mit ihrem Blut. Kriege brachen aus, die protestantische Sache wur<strong>de</strong> von einem<br />

ihrer vornehmsten Anhänger verraten, die e<strong>de</strong>lsten <strong>de</strong>r reformierten Fürsten fielen in die<br />

Hän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Kaisers und wur<strong>de</strong>n als Gefangene von Stadt zu Stadt geschleppt. Aber im<br />

Augenblick seines augenscheinlichen Sieges erlitt <strong>de</strong>r Kaiser eine schwere Nie<strong>de</strong>rlage. Er<br />

sah die Beute seinen Hän<strong>de</strong>n entrissen und war schließlich genötigt, <strong>de</strong>n Lehren, <strong>de</strong>ren<br />

Vernichtung seine Lebensaufgabe galt, Duldung zu gewähren. Er hatte sein Reich, seine<br />

Schätze und selbst das Leben aufs Spiel gesetzt, um die Ketzerei zu vertilgen. Jetzt sah er<br />

seine Heere durch Schlachten aufgerieben, seine Schätze erschöpft, viele Teile seines<br />

Reiches von Empörung bedroht, während sich <strong>de</strong>r Glaube, <strong>de</strong>n er vergebens zu<br />

unterdrücken gesucht hatte, überall ausbreitete. Karl V. war gegen die Macht <strong>de</strong>s<br />

Allmächtigen angegangen. Gott hatte gesagt: Es wer<strong>de</strong> Licht; aber <strong>de</strong>r Kaiser hatte danach<br />

getrachtet, die Finsternis unerhellt zu erhalten. Seine Absichten waren fehlgeschlagen, und<br />

in frühem Alter, erschöpft von <strong>de</strong>m langen Kampf entsagte er <strong>de</strong>m Thron und trat in ein<br />

Kloster ein, wo er nach zwei Jahren starb.In <strong>de</strong>r Schweiz und auch in Deutschland kamen<br />

dunkle Tage für die Reformation. Während viele Kantone <strong>de</strong>n reformierten Glauben<br />

annahmen, hingen an<strong>de</strong>re mit blin<strong>de</strong>r Beharrlichkeit an <strong>de</strong>m Glaubensbekenntnis Roms und<br />

verfolgten die, welche die Wahrheit annehmen wollten, was schließlich zum Bru<strong>de</strong>rkrieg<br />

führte. Zwingli und viele seiner Reformationsfreun<strong>de</strong> fielen auf <strong>de</strong>m blutigen Schlachtfeld<br />

von Kappel. Ökolampad, von diesem furchtbaren<br />

Mißgeschick überwältigt starb bald darauf. Rom jubelte und schien an vielen Orten alles,<br />

was es verloren hatte, wie<strong>de</strong>rzugewinnen. Der aber, <strong>de</strong>ssen Ratschläge von Ewigkeit her<br />

sind, hatte we<strong>de</strong>r seine Sache noch sein Volk verlassen. Seine Hand brachte ihnen Befreiung.<br />

Er hatte schon in an<strong>de</strong>rn Län<strong>de</strong>rn Mitarbeiter erweckt, um die Reformation weiterzuführen.<br />

In Frankreich hatte <strong>de</strong>r Tag bereits zu dämmern begonnen, noch ehe man etwas von <strong>de</strong>m<br />

Reformator Luther wußte. Einer <strong>de</strong>r ersten, <strong>de</strong>r das Licht erfaßte, war <strong>de</strong>r bejahrte Lefévre<br />

(Faber Stapulensis), ein Mann von umfassen<strong>de</strong>r Gelehrsamkeit, Professor an <strong>de</strong>r Sorbonne<br />

und aufrichtiger und eifriger Anhänger <strong>de</strong>s Papsttums. Bei <strong>de</strong>n Untersuchungen über die alte<br />

Literatur war seine Aufmerksamkeit auf die Bibel gerichtet wor<strong>de</strong>n, und er führte ihr<br />

Studium bei seinen Stu<strong>de</strong>nten ein.<br />

Faber war ein schwärmerischer Verehrer <strong>de</strong>r Heiligen und hatte es unternommen, eine<br />

Geschichte <strong>de</strong>r Heiligen und Märtyrer nach <strong>de</strong>n Legen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Kirche zu verfassen. Dies war<br />

eine mühsame Arbeit, und er hatte bereits be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Fortschritte gemacht, als er mit <strong>de</strong>m<br />

Gedanken, die Bibel könne ihm dabei gute Dienste leisten, sie zu studieren begann. Hier<br />

143


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

fand er in <strong>de</strong>r Tat Heilige beschrieben, aber nicht solche, wie <strong>de</strong>r römische Heiligenkalen<strong>de</strong>r<br />

sie darstellte. Eine Flut göttlichen Lichtes erleuchtete seinen Verstand. Erstaunt und<br />

wi<strong>de</strong>rwillig wandte er sich von seiner geplanten Aufgabe ab und widmete sich <strong>de</strong>m Wort<br />

Gottes. Bald begann er, die köstlichen, in <strong>de</strong>r Heiligen Schrift ent<strong>de</strong>ckten Wahrheiten zu<br />

lehren.<br />

We<strong>de</strong>r Luther noch Zwingli hatten das Werk <strong>de</strong>r Reformation begonnen, da schrieb<br />

Faber schon im Jahre 1512: „Gott allein gibt uns die Gerechtigkeit durch <strong>de</strong>n Glauben,<br />

rechtfertigt uns allein durch seine Gna<strong>de</strong> zum ewigen Leben.“ Sich in das Geheimnis <strong>de</strong>r<br />

Erlösung vertiefend, rief er aus: „O wun<strong>de</strong>rbarer Austausch: die Unschuld wird verurteilt,<br />

<strong>de</strong>r Schuldige freigesprochen; <strong>de</strong>r Gesegnete verflucht, <strong>de</strong>r Verfluchte gesegnet; das Leben<br />

stirbt, <strong>de</strong>r Tote erhält das Leben; die Ehre ist mit Schmach be<strong>de</strong>ckt, <strong>de</strong>r Geschmähte wird<br />

geehrt.“<br />

Und während er lehrte, daß die Ehre <strong>de</strong>r Erlösung nur Gott zukomme, erklärte er auch,<br />

daß die Pflicht <strong>de</strong>s Gehorsams <strong>de</strong>m Menschen obliege. „Bist du <strong>de</strong>r Kirche Christi<br />

angehörig“, sagt er, „so bist du ein Glied am Leibe Christi und als solches mit Göttlichkeit<br />

erfüllt ... Wenn die Menschen dieses Vorrecht begriffen, so wür<strong>de</strong>n sie sich rein, keusch und<br />

heilig halten, alle Ehre dieser Welt für eine Schmach achten im Vergleich zu <strong>de</strong>r inneren<br />

Herrlichkeit, welche <strong>de</strong>n fleischlichen Augen verborgen ist.“<br />

Unter Fabers Schülern befan<strong>de</strong>n sich etliche, die eifrig seinen Worten lauschten, und die<br />

lange, nach<strong>de</strong>m die Stimme ihres Lehrers zum Schweigen gebracht wor<strong>de</strong>n war, fortfahren<br />

sollten, die Wahrheit zu verkündigen. Zu diesen gehörte William Farel. Als Sohn frommer<br />

Eltern erzogen, die Lehren <strong>de</strong>r Kirche in unbedingtem Glauben hinzunehmen, hätte er mit<br />

<strong>de</strong>m Apostel Paulus von sich selbst erklären können: „Ich bin ein Pharisäer gewesen,<br />

welches ist die strengste Sekte unsers Gottesdienstes.“ Apostelgeschichte 26,5. Als<br />

ergebener Anhänger Roms brannte er vor Eifer, alle jene zu vernichten, die es wagen sollten,<br />

sich <strong>de</strong>r Kirche zu wi<strong>de</strong>rsetzen. „Ich knirschte mit <strong>de</strong>n Zähnen wie ein wüten<strong>de</strong>r Wolf, wenn<br />

sich irgen<strong>de</strong>iner gegen <strong>de</strong>n Papst äußerte“, sagte er später über diesen Abschnitt seines<br />

Lebens. Er war unermüdlich gewesen in seiner<br />

Verehrung <strong>de</strong>r Heiligen und hatte gemeinschaftlich mit Faber die Run<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n Kirchen<br />

gemacht, in <strong>de</strong>nen er an <strong>de</strong>n Altären anbetete und die Heiligenschreine mit Gaben<br />

schmückte. Aber diese äußerliche Frömmigkeit konnte ihm keinen Seelenfrie<strong>de</strong>n<br />

verschaffen. Ein Bewußtsein <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>, das alle Bußübungen, die er sich auferlegte, nicht<br />

verbannen konnten, bemächtigte sich seiner. Er lauschte <strong>de</strong>n Worten <strong>de</strong>s Reformators, wie<br />

auf eine Stimme vom Himmel: „Das Heil ist aus Gna<strong>de</strong>n; <strong>de</strong>r Unschuldige wird verurteilt,<br />

<strong>de</strong>r Schuldige freigesprochen.“ „Das Kreuz Christi allein öffnet <strong>de</strong>n Himmel, schließt allein<br />

das Tor <strong>de</strong>r Hölle.“<br />

Freudig nahm Farel die Wahrheit an. Durch eine Bekehrung, die <strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Apostels<br />

Paulus ähnlich war, wandte er sich von <strong>de</strong>r Knechtschaft menschlicher Satzungen zu <strong>de</strong>r<br />

144


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Freiheit <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r Gottes und „war so umgewan<strong>de</strong>lt, daß er nicht mehr die Mordlust eines<br />

wil<strong>de</strong>n Wolfes hatte, son<strong>de</strong>rn einem sanften Lamme glich, nach<strong>de</strong>m er sich vom Papst<br />

entfernt und ganz Christus hingegeben hatte“. Während Faber fortfuhr, das Licht unter<br />

seinen Schülern auszubreiten, trat Farel, <strong>de</strong>r im Werke Christi ebenso eifrig wirkte wie<br />

ehe<strong>de</strong>m in jenem <strong>de</strong>s Papstes, öffentlich auf, um die Wahrheit zu verkündigen. Ein<br />

Wür<strong>de</strong>nträger <strong>de</strong>r Kirche, <strong>de</strong>r Bischof von Meaux, schloß sich ihnen bald darauf an; an<strong>de</strong>re<br />

Lehrer, die wegen ihrer Fähigkeiten und ihrer Gelehrsamkeit hohes Ansehen genossen,<br />

vereinten sich mit ihnen in <strong>de</strong>r Verkündigung <strong>de</strong>s Evangeliums, das Anhänger unter allen<br />

Stän<strong>de</strong>n gewann, von <strong>de</strong>r Wohnung <strong>de</strong>s Handwerkers und <strong>de</strong>s Bauern an bis zum Palast <strong>de</strong>s<br />

Königs. Die Schwester Franz I., <strong>de</strong>r damals auf <strong>de</strong>m Thron saß, nahm <strong>de</strong>n reformierten<br />

Glauben an. Der König und die Königinmutter schienen ihm eine Zeitlang wohlwollend<br />

gegenüberzustehen, und mit großen Hoffnungen sahen die Reformatoren <strong>de</strong>r Zeit entgegen,<br />

da Frankreich für das Evangelium gewonnen wäre.<br />

Doch ihre Hoffnungen sollten sich nicht erfüllen. Prüfungen und Verfolgungen<br />

erwarteten die Jünger Christi, obgleich sie vor ihren Augen gnädig verhüllt waren. Eine Zeit<br />

<strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns trat ein, auf daß sie Kraft gewönnen, <strong>de</strong>m Sturm zu begegnen. Die Reformation<br />

machte rasche Fortschritte. Der Bischof von Meaux bemühte sich eifrig in seiner Diözese,<br />

sowohl die Geistlichen als auch das Volk zu unterweisen. Ungebil<strong>de</strong>te und unsittliche<br />

Priester wur<strong>de</strong>n entlassen und soweit als möglich durch fromme und gebil<strong>de</strong>te Männer<br />

ersetzt. Der Bischof wünschte sehr, seine Leute möchten selbst Zugang zum<br />

Worte Gottes haben, und dies wur<strong>de</strong> bald erreicht. Faber nahm die Übersetzung <strong>de</strong>s<br />

Neuen Testaments in Angriff, und gera<strong>de</strong> zur selben Zeit, als Luthers <strong>de</strong>utsche Bibel in<br />

Wittenberg die Presse verließ, wur<strong>de</strong> in Meaux das französische Neue Testament<br />

veröffentlicht. Der Bischof sparte we<strong>de</strong>r Mühe noch Ausgaben, um es in seinen Pfarreien zu<br />

verbreiten, und bald waren die Bauern von Meaux im Besitz <strong>de</strong>r Heiligen Schrift. Wie <strong>de</strong>r<br />

vor Durst verschmachten<strong>de</strong> Wan<strong>de</strong>rer mit Freu<strong>de</strong>n eine spru<strong>de</strong>ln<strong>de</strong> Wasserquelle begrüßt,<br />

so nahmen diese Seelen die Botschaft <strong>de</strong>s Himmels auf. Die Arbeiter auf <strong>de</strong>m Fel<strong>de</strong> und die<br />

Handwerker in ihren Werkstätten erleichterten sich die tägliche Arbeit, in<strong>de</strong>m sie von <strong>de</strong>n<br />

köstlichen Wahrheiten <strong>de</strong>r Bibel re<strong>de</strong>ten. Statt am Abend ins Wirtshaus zu gehen,<br />

versammelten sie sich in ihren Wohnungen, um das Wort Gottes zu lesen und sich in Gebet<br />

und Lobpreisungen zu vereinen. Bald machte sich in diesen Gemein<strong>de</strong>n eine große<br />

Verän<strong>de</strong>rung bemerkbar. Obwohl sie <strong>de</strong>r beschei<strong>de</strong>nsten Klasse angehörten, ungebil<strong>de</strong>t<br />

waren und schwere Landarbeit verrichteten, wur<strong>de</strong> doch die umgestalten<strong>de</strong>, erheben<strong>de</strong> Kraft<br />

<strong>de</strong>r göttlichen Gna<strong>de</strong> in ihrem Leben sichtbar. Demütig, liebend und heilig erfüllten sie das<br />

Zeugnis ihres Glaubens; eine Haltung, die das Evangelium für alle vollbringt, die es<br />

aufrichtig annehmen.<br />

Das zu Meaux angezün<strong>de</strong>te Licht ließ seine Strahlen weit hinausleuchten. Täglich nahm<br />

die Zahl <strong>de</strong>r Neubekehrten zu. Die Wut <strong>de</strong>r Priester wur<strong>de</strong> vom König, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n engherzigen,<br />

blin<strong>de</strong>n Eifer <strong>de</strong>r Mönche verachtete, eine Zeitlang im Zaum gehalten; aber schließlich<br />

145


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

gewannen die päpstlichen Führer die Oberhand. Der Scheiterhaufen wur<strong>de</strong> aufgerichtet. Der<br />

Bischof von Meaux, gezwungen zwischen Feuer und Wi<strong>de</strong>rruf zu entschei<strong>de</strong>n, wählte <strong>de</strong>n<br />

leichteren Weg. Obwohl <strong>de</strong>r Anführer fiel, die Her<strong>de</strong> blieb standhaft. Viele zeugten noch<br />

inmitten <strong>de</strong>r Flammen für die Wahrheit. Durch ihren Mut und ihre Treue auf <strong>de</strong>m<br />

Scheiterhaufen sprachen diese <strong>de</strong>mütigen Christen zu tausen<strong>de</strong>n Menschen, die in <strong>de</strong>n<br />

Tagen <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns ihr Zeugnis nie vernommen hätten.<br />

Nicht nur die Niedrigen und Armen wagten es, sich inmitten von Spott und Lei<strong>de</strong>n zu<br />

Christus zu bekennen. Auch in <strong>de</strong>n fürstlichen Gemächern <strong>de</strong>r Schlösser und Paläste gab es<br />

edle Seelen, <strong>de</strong>nen die Wahrheit mehr galt als Reichtum, Rang o<strong>de</strong>r selbst das Leben. Die<br />

ritterliche Rüstung barg einen erhabeneren und standhafteren Geist als <strong>de</strong>r Bischofsmantel<br />

und die Bischofsmütze. Ludwig von Berquin war von adliger Abkunft, ein tapferer<br />

höfischer Ritter, <strong>de</strong>m Studium zugetan, von feiner Lebensart und ta<strong>de</strong>llosen Sitten. „Er war“,<br />

sagt ein Schriftsteller, „ein sehr eifriger Beobachter aller päpstlichen Einrichtungen, wohnte<br />

aufs genaueste allen Messen und Predigten bei ... und setzte allen seinen übrigen Tugen<strong>de</strong>n<br />

dadurch die Krone auf, daß er das Luthertum ganz beson<strong>de</strong>rs verabscheute.“ Doch gleich<br />

vielen an<strong>de</strong>rn Menschen, die die göttliche Vorsehung zum Studium <strong>de</strong>r Bibel geführt hatte,<br />

war er erstaunt, hier nicht etwa „die Satzungen Roms, son<strong>de</strong>rn die Lehren Luthers“ zu<br />

fin<strong>de</strong>n, und er widmete sich von nun an ganz <strong>de</strong>r Sache <strong>de</strong>s Evangeliums.<br />

Berquin schien bestimmt, <strong>de</strong>r Reformator seines Vaterlan<strong>de</strong>s zu wer<strong>de</strong>n, nannten doch<br />

viele diesen Günstling <strong>de</strong>s Königs wegen seiner Begabung, seiner Beredsamkeit, seines<br />

unbeugsamen Mutes, seines Hel<strong>de</strong>neifers und seines Einflusses am Hofe „<strong>de</strong>n Gelehrtesten<br />

unter <strong>de</strong>n Adligen“. Nach Beza wäre Berquin vielleicht ein zweiter Luther gewor<strong>de</strong>n, hätte<br />

er in Franz I. einen zweiten Kurfürsten gefun<strong>de</strong>n. Die Römlinge aber verschrien ihn, daß er<br />

schlimmer wäre als Luther; sicher ist, daß sie ihn mehr fürchteten. Sie warfen ihn als Ketzer<br />

ins Gefängnis, doch ließ ihn <strong>de</strong>r König wie<strong>de</strong>r frei. Jahrelang zog sich <strong>de</strong>r Kampf hin. Franz,<br />

zwischen Rom und <strong>de</strong>r Reformation schwankend, dul<strong>de</strong>te und zügelte abwechselnd <strong>de</strong>n<br />

grimmigen Eifer <strong>de</strong>r Mönche. Dreimal wur<strong>de</strong> Berquin von <strong>de</strong>n päpstlichen Behör<strong>de</strong>n<br />

eingekerkert, jedoch von <strong>de</strong>m Monarchen, <strong>de</strong>r sich in Bewun<strong>de</strong>rung seiner Geistesgaben<br />

und seines edlen Charakters weigerte, ihn <strong>de</strong>r Bosheit <strong>de</strong>r Priesterherrschaft preiszugeben,<br />

immer wie<strong>de</strong>r freigelassen.<br />

Berquin wur<strong>de</strong> wie<strong>de</strong>rholt vor <strong>de</strong>r ihm in Frankreich drohen<strong>de</strong>n Gefahr gewarnt, und<br />

man drang in ihn, <strong>de</strong>n Schritten <strong>de</strong>rer zu folgen, die in einem freiwilligen Exil Sicherheit<br />

gefun<strong>de</strong>n hatten. Der furchtsame, unbeständige Erasmus, <strong>de</strong>r trotz all seiner glänzen<strong>de</strong>n<br />

Gelehrsamkeit jener moralischen Größe ermangelte, die das Leben und die Ehre <strong>de</strong>r<br />

Wahrheit unterordnet, schrieb an Berquin: „Halte darum an, als Gesandter ins Ausland<br />

geschickt zu wer<strong>de</strong>n. Bereise Deutschland. Du kennst Beda und seinesgleichen — er ist ein<br />

tausendköpfiges Ungeheuer, das Gift nach allen Seiten ausspeit. Deine Fein<strong>de</strong> heißen<br />

Legion. Selbst wenn <strong>de</strong>ine Sache besser wäre als Jesu Christi, so wür<strong>de</strong>n sie dich nicht<br />

gehen lassen, bis sie dich elendiglich umgebracht haben. Verlasse dich nicht allzusehr auf<br />

146


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

<strong>de</strong>n Schutz <strong>de</strong>s Königs. Auf je<strong>de</strong>n Fall bringe mich nicht in Ungelegenheiten bei <strong>de</strong>r<br />

theologischen Fakultät.“<br />

Doch als sich die Gefahren häuften, wur<strong>de</strong> Bequins Eifer um so größer. Weit davon<br />

entfernt, auf die weltklugen und eigennützigen Ratschläge <strong>de</strong>s Erasmus einzugehen,<br />

entschloß er sich zu noch kühneren Maßnahmen. Er wollte nicht nur die Wahrheit<br />

verteidigen, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>n Irrtum angreifen. Die Anschuldigung <strong>de</strong>r Ketzerei, welche die<br />

Katholiken gegen ihn geltend zu machen suchten, wandte er gegen sie. Die rührigsten und<br />

erbittersten seiner Gegner waren die gelehrten Doktoren und Mönche an <strong>de</strong>r theologischen<br />

Fakultät <strong>de</strong>r großen Universität Paris, eine <strong>de</strong>r höchsten kirchlichen Autoritäten sowohl für<br />

die Stadt als auch für die Nation. Den Schriften dieser Doktoren entnahm Berquin zwölf<br />

Sätze, die er öffentlich als <strong>de</strong>r Heiligen Schrift zuwi<strong>de</strong>rlaufend und ketzerisch erklärte; und<br />

er wandte sich an <strong>de</strong>n König mit <strong>de</strong>r Bitte, in dieser Sache zu entschei<strong>de</strong>n.<br />

Der Monarch, <strong>de</strong>r nicht abgeneigt war, die Kraft und <strong>de</strong>n Scharfsinn <strong>de</strong>r sich<br />

bekämpfen<strong>de</strong>n Führer zu messen, freute sich, eine Gelegenheit zu haben, <strong>de</strong>n Hochmut<br />

dieser stolzen Mönche zu <strong>de</strong>mütigen, und gebot ihnen, ihre Sache mit <strong>de</strong>r Bibel zu<br />

verteidigen. Diese Waffe konnte ihnen, wie sie wohl wußten, wenig helfen; Einkerkerung,<br />

Marterqualen und <strong>de</strong>r Scheiterhaufen waren Waffen, die sie besser zu gebrauchen<br />

verstan<strong>de</strong>n. Die Lage hatte sich gewen<strong>de</strong>t, und sie sahen sich im Begriff, selbst in die Grube<br />

zu fallen, in die sie Berquin stürzen wollten. Ratlos sannen sie auf einen Weg, wie sie<br />

entkommen könnten.<br />

Um diese Zeit war ein an einer Straßenecke aufgestelltes Standbild <strong>de</strong>r Jungfrau Maria<br />

verstümmelt wor<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>r Stadt herrschte große Aufregung. Scharenweise strömte das<br />

Volk zu <strong>de</strong>r Stätte und gab seinem Bedauern und seiner Entrüstung über diese Freveltat<br />

Ausdruck. Auch <strong>de</strong>r König war tief betroffen. Hier bot sich eine Gelegenheit, aus welcher<br />

die Mönche großen Vorteil ziehen konnten, und sie zögerten nicht lange. „Dies sind die<br />

Früchte <strong>de</strong>r Lehren Berquins“, riefen sie. „Alles geht seinem Umsturz entgegen — die<br />

Religion, die Gesetze, ja selbst <strong>de</strong>r Thron — infolge dieser lutherischen Verschwörung.“<br />

Wie<strong>de</strong>rum setzte man Berquin gefangen. Der König verließ Paris, und so hatten die<br />

Mönche Freiheit, nach eigenem Willen zu han<strong>de</strong>ln. Der Reformator wur<strong>de</strong> verhört und zum<br />

To<strong>de</strong> verurteilt, und damit Franz zuletzt nicht noch einschritte, ihn zu retten, vollzog man<br />

das Urteil am gleichen Tage, da es ausgesprochen wor<strong>de</strong>n war. Um die Mittagsstun<strong>de</strong> führte<br />

man Berquin zum Richtplatz. Eine un geheure Menschenmenge hatte sich versammelt, um<br />

<strong>de</strong>r Hinrichtung beizuwohnen, und viele erkannten mit Staunen und Besorgnis, daß das<br />

Opfer <strong>de</strong>n besten und rechtschaffensten A<strong>de</strong>lsfamilien Frankreichs angehörte. Bestürzung,<br />

Entrüstung, Verachtung und bitterer Haß verfinsterten die Angesichter jener wogen<strong>de</strong>n<br />

Menge; aber auf einem Antlitz ruhte kein Schatten. Die Gedanken <strong>de</strong>s Märtyrers weilten<br />

weitab von jenem Schauplatz <strong>de</strong>r Aufregung; er war sich nur <strong>de</strong>r Gegenwart seines Herrn<br />

bewußt.<br />

147


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Der elen<strong>de</strong> Sturzkarren, auf <strong>de</strong>m er saß, die düsteren Gesichtszüge seiner Verfolger, <strong>de</strong>r<br />

schreckliche Tod, <strong>de</strong>m er entgegenging — all dies beachtete er nicht. Der da lebendig ist<br />

von Ewigkeit zu Ewigkeit und die Schlüssel <strong>de</strong>r Hölle und <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s hat, war ihm zur Seite.<br />

Auf Berquins Antlitz leuchtete <strong>de</strong>s Himmels Licht und Frie<strong>de</strong>. „Er war mit einem Samtrock<br />

sowie mit Gewän<strong>de</strong>rn von Atlas und Damast angetan und trug goldbestickte<br />

Beinklei<strong>de</strong>r.“ Er stand im Begriff, seinen Glauben in Gegenwart <strong>de</strong>s Königs aller Könige<br />

und vor <strong>de</strong>m ganzen Weltall zu bekennen, und kein Anzeichen <strong>de</strong>r Trauer sollte seine<br />

Freu<strong>de</strong> Lügen strafen.<br />

Als <strong>de</strong>r Zug sich langsam durch die von <strong>de</strong>r Menge umdrängten Straßen bewegte, nahm<br />

das Volk mit Bewun<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>n unumwölkten Frie<strong>de</strong>n und die freudige Siegesgewißheit<br />

seines Blickes und seiner Haltung war. „Er ist“, sagten einige, „wie einer, <strong>de</strong>r in einem<br />

Tempel sitzt und über heilige Dinge nach<strong>de</strong>nkt.“ Auf <strong>de</strong>m Scheiterhaufen versuchte Berquin<br />

einige Worte an die Menge zu richten; aber die Mönche begannen, da sie <strong>de</strong>ren Folgen<br />

fürchteten, zu schreien und die Soldaten klirrten mit ihren Waffen, daß <strong>de</strong>r Lärm die Stimme<br />

<strong>de</strong>s Märtyrers übertönte. „Auf diese Weise setzte im Jahre 1529 die höchste gelehrte und<br />

kirchliche Autorität in <strong>de</strong>m gebil<strong>de</strong>ten Paris <strong>de</strong>r Bevölkerung von 1793 das gemeine<br />

Beispiel, auf <strong>de</strong>m Schafott die ehrwürdigen Worte eines Sterben<strong>de</strong>n zu ersticken.“<br />

Berquin blieb bis zum letzten Augenblick standhaft. Er wur<strong>de</strong> vom Henker erdrosselt<br />

und sein Leichnam <strong>de</strong>n Flammen übergeben. Die Kun<strong>de</strong> von seinem To<strong>de</strong> rief in ganz<br />

Frankreich unter <strong>de</strong>n Freun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Reformation Trauer hervor; aber sein Beispiel war nicht<br />

vergebens. „Wir wollen“, sagten die Wahrheitszeugen, „mit gutem Mut <strong>de</strong>m Tod<br />

entgegengehen, in<strong>de</strong>m wir unseren Blick nach <strong>de</strong>m jenseitigen Leben richten.“ Während <strong>de</strong>r<br />

Verfolgung in Meaux wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Lehrern <strong>de</strong>s reformierten Glaubens das Recht zu predigen<br />

entzogen. Daraufhin begaben sie sich in an<strong>de</strong>re Gebiete. Faber ging bald darauf nach<br />

Deutschland, während Farel in seine Geburtsstadt im östlichen Frankreich zurückkehrte, um<br />

das Licht in <strong>de</strong>r Heimat seiner Kindheit zu verbreiten. Dort waren die Vorgänge von Meaux<br />

bereits bekannt gewor<strong>de</strong>n, und es fan<strong>de</strong>n sich Zuhörer, als er die Wahrheit mit<br />

unerschrockenem Eifer lehrte. Die Behör<strong>de</strong>n aber fühlten sich veranlaßt, ihn zum<br />

Schweigen zu bringen und wiesen ihn aus <strong>de</strong>r Stadt. Wenn er nun auch nicht länger<br />

öffentlich arbeiten konnte, durchzog er doch die Ebenen und Dörfer, lehrte in<br />

Privatwohnungen und auf einsam gelegenen Wiesen und fand Schutz in <strong>de</strong>n Wäl<strong>de</strong>rn und<br />

felsigen Höhlen, die ihm in seiner Jugend als Schlupfwinkel gedient hatten. Gott bereitete<br />

ihn für größere Prüfungen vor. „Kreuz und Verfolgung und die Umtriebe Satans“, schrieb er,<br />

„haben mir nicht gefehlt; sie sind stärker gewesen, als daß ich aus eigener Kraft sie hätte<br />

aushalten können; aber Gott ist mein Vater, er hat mir alle nötige Kraft verliehen und wird<br />

es auch ferner tun.“<br />

Wie in <strong>de</strong>n apostolischen Tagen war die Verfolgung „nur mehr zur För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s<br />

Evangeliums geraten“. Philipper 1,12. Aus Paris und Meaux waren sie vertrieben wor<strong>de</strong>n,<br />

und „die nun zerstreut waren, gingen um und predigten das Wort“. Apostelgeschichte 8,4.<br />

148


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Auf diese Weise fand das Licht seinen Weg in viele <strong>de</strong>r entlegensten Provinzen Frankreichs.<br />

Gott bereitete noch immer Mitarbeiter darauf vor, seine Sache auszu<strong>de</strong>hnen. In einer <strong>de</strong>r<br />

Schulen in Paris war ein tiefsinniger, ruhiger Jüngling, <strong>de</strong>r bereits Beweise eines gewaltigen,<br />

durchdringen<strong>de</strong>n Verstan<strong>de</strong>s gegeben hatte und sich nicht weniger durch die Reinheit seines<br />

Lebens als durch vernünftigen Eifer und religiöse Hingabe auszeichnete. Seine Talente und<br />

sein Fleiß machten ihn bald zum Stolz <strong>de</strong>r Schule, und man sagte sich zuversichtlich, daß<br />

Johannes Calvin einer <strong>de</strong>r tüchtigsten und geehrtesten Verteidiger <strong>de</strong>r Kirche wer<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>.<br />

Aber ein Strahl göttlichen Lichtes durchdrang sogar die Mauern <strong>de</strong>r Schulweisheit und <strong>de</strong>s<br />

Aberglaubens, von <strong>de</strong>nen Clavin umgeben war. Mit Schau<strong>de</strong>rn hörte er von <strong>de</strong>n neuen<br />

Lehren, ohne <strong>de</strong>n geringsten Zweifel zu hegen, daß die Ketzer das Feuer, <strong>de</strong>m sie übergeben<br />

wur<strong>de</strong>n, vollständig verdienten. Ganz unwissentlich jedoch kam er mit <strong>de</strong>r Ketzerei<br />

unmittelbar in Berührung und wur<strong>de</strong> gezwungen, die Macht <strong>de</strong>r päpstlichen Theologie zu<br />

prüfen, um die protestantischen Lehren zu bekämpfen.<br />

Ein Vetter Calvins, <strong>de</strong>r sich <strong>de</strong>r Reformation angeschlossen hatte, befand sich in Paris.<br />

Die bei<strong>de</strong>n Verwandten trafen sich oft und besprachen miteinan<strong>de</strong>r die Angelegenheiten,<br />

welche die Christenheit beunruhigten. „Es gibt nur zwei Religionen in <strong>de</strong>r Welt“, sagte<br />

Olivetan, <strong>de</strong>r Protestant, „die eine ist die, welche die Menschen erfun<strong>de</strong>n haben und nach<br />

<strong>de</strong>r die Menschen sich durch Zeremonien und gute Werke retten; die an<strong>de</strong>re ist die Religion,<br />

welche in <strong>de</strong>r Bibel offenbart ist und die lehrt, daß die Menschen nur durch die freie Gna<strong>de</strong><br />

Gottes selig wer<strong>de</strong>n können.“<br />

„Weg mit euren neuen Lehren!“ rief Calvin. „Bil<strong>de</strong>t ihr euch ein, daß ich mein ganzes<br />

Leben lang im Irrtum gewesen bin?“ Aber in ihm waren Gedanken erweckt wor<strong>de</strong>n, die er<br />

nicht willkürlich verbannen konnte. Allein in seinem Zimmer, dachte er über die Worte<br />

seines Vetters nach. Ein Bewußtsein <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> bemächtigte sich seiner; er sah sich ohne<br />

Mittler in <strong>de</strong>r Gegenwart eines heiligen und gerechten Richters. Die Fürsprache <strong>de</strong>r Heiligen,<br />

gute Werke, die Zeremonien <strong>de</strong>r Kirche, sie alle waren machtlos, für die Sün<strong>de</strong> Genugtuung<br />

zu leisten. Calvin sah nichts vor sich als das Dunkel ewiger Verzweiflung. Vergebens<br />

bemühten sich die Gelehrten <strong>de</strong>r Kirche, seiner Angst abzuhelfen, vergebens nahm er seine<br />

Zuflucht zu Beichte und Bußübungen: seine Seele konnten sie nicht mit Gott versöhnen.<br />

Während Calvin noch diese vergeblichen Kämpfe durchlebte, kam er eines Tages wie<br />

von ungefähr an einem <strong>de</strong>r öffentlichen Plätze vorbei und wur<strong>de</strong> dort Augenzeuge <strong>de</strong>r<br />

Verbrennung eines Ketzers. Er war betroffen über <strong>de</strong>n Ausdruck <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns, <strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m<br />

Angesicht <strong>de</strong>s Märtyrers ruhte. Unter <strong>de</strong>n Qualen jenes furchtbaren To<strong>de</strong>s und unter <strong>de</strong>r<br />

noch schrecklicheren Verdammung <strong>de</strong>r Kirche bekun<strong>de</strong>te er einen Glauben und Mut, <strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r junge Stu<strong>de</strong>nt schmerzlich mit seiner eigenen Verzweiflung und Finsternis verglich,<br />

während er doch in strengstem Gehorsam gegen die Kirche lebte. Auf die Bibel, so wußte er,<br />

stützten die Ketzer ihren Glauben, und er entschloß sich, die Heilige Schrift zu studieren,<br />

um womöglich das Geheimnis ihrer Freu<strong>de</strong> zu ent<strong>de</strong>cken.<br />

149


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

In <strong>de</strong>r Bibel fand er Christus. „O Vater!“ rief er aus, „sein Opfer hat <strong>de</strong>inen Zorn<br />

besänftigt, sein Blut hat meine Flecken gereinigt, sein Kreuz hat meinen Fluch getragen,<br />

sein Tod hat für mich Genugtuung geleistet. Wir hatten viel unnütze Torheiten geschmie<strong>de</strong>t;<br />

aber du hast mir <strong>de</strong>in Wort gleich einer Fackel gegeben, und du hast mein Herz gerührt,<br />

damit ich je<strong>de</strong>s an<strong>de</strong>re Verdienst, ausgenommen das <strong>de</strong>s Erlösers, verabscheue.“ Calvin war<br />

für das Priesteramt erzogen wor<strong>de</strong>n. Schon im Alter von zwölf Jahren wur<strong>de</strong> er zum Kaplan<br />

einer kleinen Gemein<strong>de</strong> ernannt. Sein Haupt hatte <strong>de</strong>r Bischof nach <strong>de</strong>n Verordnungen <strong>de</strong>r<br />

Kirche geschoren. Er erhielt we<strong>de</strong>r eine Weihe noch erfüllte er die Pflichten eines Priesters,<br />

aber er war Mitglied <strong>de</strong>r Geistlichkeit, trug <strong>de</strong>n Titel seines Amtes und erhielt in Anbetracht<br />

<strong>de</strong>ssen ein Gehalt.<br />

Als er nun fühlte, daß er nie ein Priester wer<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>, widmete er sich eine Zeitlang<br />

<strong>de</strong>m Studium <strong>de</strong>r Rechte, gab aber schließlich seinen Vorsatz auf und entschloß sich, sein<br />

Leben <strong>de</strong>m Evangelium zu weihen. Er zögerte jedoch, öffentlich zu lehren; <strong>de</strong>nn er war von<br />

Natur aus schüchtern. Das Bewußtsein <strong>de</strong>r großen Verantwortlichkeit einer solchen Stellung<br />

lastete schwer auf ihm, und es verlangte ihn nach weiterem Studium. Schließlich willigte er<br />

doch auf die ernsten Bitten seiner Freun<strong>de</strong> hin ein. „Wun<strong>de</strong>rbar ist es“, sagte er, „daß einer<br />

von so niedriger Herkunft zu so hoher Wür<strong>de</strong> erhoben wer<strong>de</strong>n sollte.“<br />

Ruhig trat Calvin sein Werk an, und seine Worte waren wie <strong>de</strong>r Tau, <strong>de</strong>r nie<strong>de</strong>rfällt, um<br />

die Er<strong>de</strong> zu erquicken. Er hatte Paris verlassen und hielt sich nun in einer Stadt in <strong>de</strong>r<br />

Provinz unter <strong>de</strong>m Schutz <strong>de</strong>r Prinzessin Magarete auf, <strong>de</strong>n sie auch seinen Jüngern zuteil<br />

wer<strong>de</strong>n ließ, weil sie das Evangelium liebte. Calvin war noch immer ein Jüngling,<br />

freundlich und anspruchslos in seinem Wesen. Er begann seine Aufgabe bei <strong>de</strong>n Leuten in<br />

ihren Wohnungen. Umgeben von <strong>de</strong>n Angehörigen <strong>de</strong>s Haushaltes las er die Bibel und<br />

erklärte die Heilswahrheiten. Die Zuhörer brachten an<strong>de</strong>rn die frohe Kun<strong>de</strong>, und bald ging<br />

Calvin von <strong>de</strong>r Stadt in die umliegen<strong>de</strong>n kleineren Städte und Dörfer. Er fand ebenso in<br />

Schlössern wie in Hütten Eingang; er machte Fortschritte und legte <strong>de</strong>n Grund zu<br />

Gemein<strong>de</strong>n, aus <strong>de</strong>nen unerschrockene Zeugen für die Wahrheit hervorgehen sollten.<br />

Einige Monate später war er wie<strong>de</strong>r in Paris. Im Kreise <strong>de</strong>r Gebil<strong>de</strong>ten und Gelehrten<br />

herrschte eine ungewohnte Aufregung. Das Studium <strong>de</strong>r alten Sprachen hatte die Menschen<br />

zur Bibel geführt, und viele, <strong>de</strong>ren Herzen von ihren Wahrheiten unberührt waren,<br />

besprachen sie eifrig und stritten sogar mit <strong>de</strong>n Verfechtern <strong>de</strong>r römischen Kirche. Calvin,<br />

ein tüchtiger Kämpfer auf <strong>de</strong>m Gebiete theologischer Streitigkeiten, hatte einen höheren<br />

Auftrag zu erfüllen als diese lärmen<strong>de</strong>n Schulgelehrten. Die Gemüter <strong>de</strong>r Menschen waren<br />

geweckt, und jetzt war die Zeit gekommen, ihnen die Wahrheit nahezubringen. Während die<br />

Hörsäle <strong>de</strong>r Universitäten von <strong>de</strong>m Geschrei theologischer Streitfragen erfüllt waren, ging<br />

Calvin von Haus zu Haus, öffnete <strong>de</strong>n Menschen das Verständnis <strong>de</strong>r Heiligen Schrift und<br />

sprach zu ihnen von Christus, <strong>de</strong>m Gekreuzigten.<br />

Durch Gottes gnädige Vorsehung sollte Paris wie<strong>de</strong>rum eine Einladung erhalten, das<br />

Evangelium anzunehmen. Es hatte <strong>de</strong>n Ruf Fabers und Farels verworfen; doch erneut<br />

150


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

sollten alle Stän<strong>de</strong> in jener großen Hauptstadt die Botschaft vernehmen. Der König hatte<br />

sich politischer Rücksichten halber noch nicht völlig für Rom und gegen die Reformation<br />

entschie<strong>de</strong>n. Margarete hegte noch immer die Hoffnung, daß <strong>de</strong>r Protestantismus in<br />

Frankreich siegen wür<strong>de</strong>. Sie bestimmte, daß in Paris <strong>de</strong>r reformierte Glaube gepredigt<br />

wer<strong>de</strong>n sollte. Während <strong>de</strong>r Abwesenheit <strong>de</strong>s Königs ließ sie einen protestantischen<br />

Prediger in <strong>de</strong>n Kirchen <strong>de</strong>r Stadt <strong>de</strong>n wahren Bibelglauben verkündigen. Als dies von <strong>de</strong>n<br />

päpstlichen Wür<strong>de</strong>nträgern verboten wur<strong>de</strong>, stellte die Fürstin ihren Palast zur Verfügung.<br />

Ein Gemach wur<strong>de</strong> als Kapelle hergerichtet, und dann gab man bekannt, daß täglich zu einer<br />

bestimmten Stun<strong>de</strong> eine Predigt stattfän<strong>de</strong> und daß das Volk aller Stän<strong>de</strong> dazu eingela<strong>de</strong>n<br />

sei. Große Scharen strömten zum Gottesdienst. Nicht nur die Kapelle, son<strong>de</strong>rn auch die<br />

Vorzimmer und Hallen waren gedrängt voll. Tausen<strong>de</strong> kamen je<strong>de</strong>n Tag zusammen: Adlige,<br />

Staatsmänner, Rechtsgelehrte, Kaufleute und Handwerker. Statt die Versammlungen zu<br />

untersagen, befahl <strong>de</strong>r König, in Paris zwei Kirchen zu öffnen. Nie zuvor war die Stadt so<br />

vom Worte Gottes bewegt wor<strong>de</strong>n. Es schien, als wäre <strong>de</strong>r Geist <strong>de</strong>s Lebens vom Himmel<br />

auf das Volk gekommen. Mäßigkeit, Reinheit, Ordnung und Fleiß traten an die Stelle von<br />

Trunkenheit, Ausschweifung, Zwietracht und Müßiggang.<br />

Die Priesterschaft war jedoch nicht müßig. Da <strong>de</strong>r König sich weigerte,einzuschreiten<br />

und die Predigt zu verbieten,wandte sie sich an die Bevölkerung. Kein Mittel wur<strong>de</strong> gespart,<br />

um die Furcht, die Vorurteile und <strong>de</strong>n Fanatismus <strong>de</strong>r unwissen<strong>de</strong>n und abergläubischen<br />

Menge zu erregen. Und Paris, das sich seinen falschen Lehrern blindlings ergab, erkannte<br />

wie einst Jerusalem we<strong>de</strong>r die Zeit seiner Heimsuchung noch was zu seinem Frie<strong>de</strong>n diente.<br />

Zwei Jahre lang wur<strong>de</strong> das Wort Gottes in <strong>de</strong>r Hauptstadt verkündigt; doch während viele<br />

das Evangelium annahmen, verwarf es die Mehrheit <strong>de</strong>s Volkes. Franz hatte, nur um seinem<br />

eigenen Zweck zu dienen, eine gewisse religiöse Duldung an <strong>de</strong>n Tag gelegt, und es gelang<br />

<strong>de</strong>n päpstlichen Anhängern, wie<strong>de</strong>r die Oberhand zu gewinnen. Abermals wur<strong>de</strong>n die<br />

Kirchen geschlossen und Scheiterhaufen aufgerichtet.<br />

Calvin war noch in Paris, bereitete sich durch Studium, tiefes Nach<strong>de</strong>nken und Gebet<br />

auf seine künftige Arbeit vor und fuhr fort, das Licht auszubreiten. Schließlich geriet auch er<br />

in <strong>de</strong>n Verdacht <strong>de</strong>r Ketzerei. Die Behör<strong>de</strong>n beschlossen,ihn <strong>de</strong>n Flammen zu übergeben.<br />

Da er sich in seiner Abgeschie<strong>de</strong>nheit außer je<strong>de</strong>r Gefahr wähnte, dachte er an nichts Böses.<br />

Plötzlich eilten Freun<strong>de</strong> auf sein Zimmer mit <strong>de</strong>r Nachricht, daß Beamte auf <strong>de</strong>m Wege<br />

seien, ihn zu verhaften. Im selben Augenblick vernahmen sie lautes Klopfen am äußeren<br />

Eingang. Es galt, keine Zeit zu verlieren. Einige Freun<strong>de</strong> hielten die Beamten an <strong>de</strong>r Tür auf,<br />

während an<strong>de</strong>re <strong>de</strong>m Reformator behilflich waren,sich durchs Fenster hinunterzulassen und<br />

schnell aus <strong>de</strong>r Stadt zu entkommen. Er fand Zuflucht in <strong>de</strong>r Hütte eines Arbeiters, <strong>de</strong>r ein<br />

Freund <strong>de</strong>r Reformation war; dort verklei<strong>de</strong>te er sich, in<strong>de</strong>m er einen Anzug seines<br />

Gastgebers anzog und setzte mit einer Hacke auf <strong>de</strong>r Schulter die Reise fort. Seine Schritte<br />

nach <strong>de</strong>m Sü<strong>de</strong>n lenkend, fand er wie<strong>de</strong>rum eine Zuflucht, diesmal auf <strong>de</strong>n Besitzungen<br />

Margaretes von Parma.<br />

151


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Hier blieb er einige Monate, sicher unter <strong>de</strong>m Schutz mächtiger Freun<strong>de</strong>, und befaßte<br />

sich wie zuvor mit seinen Studien. Aber sein Herz war auf die Verbreitung <strong>de</strong>s Evangeliums<br />

in Frankreich bedacht, er konnte nicht lange untätig bleiben. Sobald <strong>de</strong>r Sturm sich etwas<br />

gelegt hatte, suchte er ein neues Arbeitsfeld in Poitiers, wo eine Universität war, und wo<br />

man die neue Auffassungen bereits günstig aufgenommen hatte. Leute aller Stän<strong>de</strong><br />

lauschten freudig <strong>de</strong>m Evangelium. Es wur<strong>de</strong> nicht öffentlich gepredigt; aber im Hause <strong>de</strong>s<br />

Oberbürgermeisters, in seiner eigenen Wohnung und zuweilen in einer öffentlichen<br />

Gartenanlage erschloß Calvin die Worte <strong>de</strong>s Lebens <strong>de</strong>nen, die sie hören wollten. Als die<br />

Zahl seiner Zuhörer wuchs, hielt man es für sicherer, sich außerhalb <strong>de</strong>r Stadt zu<br />

versammeln. Eine Höhle an <strong>de</strong>r Seite einer tiefen, engen Bergschlucht, wo Bäume und<br />

überhängen<strong>de</strong> Felsen die Abgeschie<strong>de</strong>nheit vervollständigten, wur<strong>de</strong> als Versammlungsort<br />

gewählt. Kleine Gruppen, die die Stadt auf verschie<strong>de</strong>nen Wegen verließen, fan<strong>de</strong>n ihren<br />

Weg dorthin. An diesem abgelegenen Ort wur<strong>de</strong> die Bibel gelesen und ausgelegt. Hier<br />

wur<strong>de</strong> zum erstenmal von <strong>de</strong>n Protestanten Frankreichs das heilige Abendmahl gefeiert.<br />

Diese kleine Gemein<strong>de</strong> sandte mehrere treue Evangelisten aus.<br />

Noch einmal kehrte Calvin nach Paris zurück. Auch jetzt konnte er die Hoffnung noch<br />

nicht aufgeben, daß Frankreich als Ganzes die Reformation annehmen wer<strong>de</strong>. Aber er fand<br />

fast überall verschlossene Türen. Das Evangelium lehren, hieß <strong>de</strong>n gera<strong>de</strong>n Weg auf <strong>de</strong>n<br />

Scheiterhaufen einschlagen, und er entschloß sich schließlich, nach Deutschland zu gehen.<br />

Kaum hatte Calvin Frankreich verlassen, brach <strong>de</strong>r Sturm über die Protestanten herein, <strong>de</strong>r<br />

ihn, wäre er länger dort geblieben, sicherlich mit in das allgemeine Ver<strong>de</strong>rben gerissen hätte.<br />

Die französischen Reformatoren, die ernstlich wünschten, daß ihr Land mit Deutschland<br />

und <strong>de</strong>r Schweiz Schritt hielte, beschlossen gegen die abergläubischen Gebräuche Roms<br />

einen kühnen Streich zu führen, <strong>de</strong>r die ganze Nation aufwecken sollte. Demgemäß wur<strong>de</strong>n<br />

in einer Nacht in ganz Frankreich Plakate gegen die Messe angeschlagen. Statt die<br />

Reformation zu för<strong>de</strong>rn, brachte jedoch dieser eifrige aber unkluge Schritt nicht nur seinen<br />

Urhebern, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>n Freun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s reformierten Glaubens in ganz Frankreich<br />

Ver<strong>de</strong>rben. Er lieferte <strong>de</strong>n Katholiken <strong>de</strong>n schon lange erwünschten<br />

Vorwand, um die gänzliche Ausrottung <strong>de</strong>r Ketzer als Aufrührer, die <strong>de</strong>r Sicherheit <strong>de</strong>s<br />

Thrones und <strong>de</strong>m Frie<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Nation gefährlich wären, zu verlangen. Von unbekannter<br />

Hand — ob <strong>de</strong>r eines unbesonnen Freun<strong>de</strong>s o<strong>de</strong>r eines verschlagenen Fein<strong>de</strong>s stellte sich nie<br />

heraus — wur<strong>de</strong> eines <strong>de</strong>r Plakate an <strong>de</strong>r Tür <strong>de</strong>s königlichen Privatgemaches befestigt. Der<br />

Monarch war entsetzt. In dieser Schrift wur<strong>de</strong>n abergläubische Gebräuche, die<br />

jahrhun<strong>de</strong>rtelang bestan<strong>de</strong>n hatten, schonungslos angegriffen. Die beispiellose<br />

Verwegenheit, diese ungeschminkten und erschrecken<strong>de</strong>n Äußerungen vor ihn zu bringen,<br />

erregte seinen Zorn. Vor Entsetzen stand er einen Augenblick bebend und sprachlos, dann<br />

brach seine Wut mit <strong>de</strong>n schrecklichen Worten los: „Man ergreife ohne Unterschied alle, die<br />

<strong>de</strong>s Luthertums verdächtigt sind ... Ich will sie alle ausrotten.“ Die Würfel waren gefallen.<br />

Der König hatte entschie<strong>de</strong>n, sich ganz auf die Seite Roms zu stellen.<br />

152


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Sofort wur<strong>de</strong>n Maßnahmen ergriffen, je<strong>de</strong>n Lutheraner in Paris zu verhaften. Ein armer<br />

Handwerker, Anhänger <strong>de</strong>s reformierten Glaubens, <strong>de</strong>r die Gläubigen zu ihren geheimen<br />

Versammlungen aufzufor<strong>de</strong>rn pflegte, wur<strong>de</strong> festgenommen, und man gebot ihm unter<br />

Androhung <strong>de</strong>s sofortigen To<strong>de</strong>s auf <strong>de</strong>m Scheiterhaufen, <strong>de</strong>n päpstlichen Boten in die<br />

Wohnung eines je<strong>de</strong>n Protestanten in <strong>de</strong>r Stadt zu führen. Entsetzt schreckte er vor diesem<br />

gemeinen Antrag zurück; doch schließlich siegte die Furcht vor <strong>de</strong>n Flammen, und er<br />

willigte ein, <strong>de</strong>r Verräter seiner Brü<strong>de</strong>r zu wer<strong>de</strong>n. Mit <strong>de</strong>r vor ihm hergetragenen Hostie<br />

und von einem Gefolge von Priestern, Weihrauchträgern, Mönchen und Soldaten umgeben,<br />

zog Morin, <strong>de</strong>r königliche Kriminalrichter mit <strong>de</strong>m Verräter langsam und schweigend durch<br />

die Straßen <strong>de</strong>r Stadt. Der Zug sollte scheinbar zu Ehren „<strong>de</strong>s heiligen Sakramentes“ sein,<br />

eine versöhnen<strong>de</strong> Handlung für die Beleidigungen, welche die Protestieren<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Messe<br />

zugefügt hatten. Doch unter diesem Aufzug verbarg sich eine tödliche Ab sicht. Kamen sie<br />

an <strong>de</strong>m Hause eines Lutheraners vorbei, gab <strong>de</strong>r Verräter ein Zeichen; kein Wort wur<strong>de</strong><br />

gesprochen. Der Zug machte Halt, das Haus wur<strong>de</strong> betreten, die Familie herausgeschleppt<br />

und in Ketten gelegt, und die schreckliche Schar ging weiter, um neue Opfer aufzusuchen.<br />

„Er schonte we<strong>de</strong>r große noch kleine Häuser noch die Gebäu<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Universität ... Vor<br />

Morin zitterte die ganze Stadt ... Es war eine Zeit <strong>de</strong>r Schreckensherrschaft.“<br />

Die Opfer wur<strong>de</strong>n unter grausamen Schmerzen getötet; <strong>de</strong>nn ein beson<strong>de</strong>rer Befehl war<br />

ergangen, das Feuer abzuschwächen, um die Qualen <strong>de</strong>r Opfer zu verlängern. Sie starben<br />

jedoch als Sieger. Ihre Standhaftigkeit blieb unerschüttert, ihr Frie<strong>de</strong> ungetrübt. Ihre<br />

Verfolger, die ihrer unbeugsamen Festigkeit gegenüber machtlos waren, fühlten sich<br />

geschlagen. „Scheiterhaufen wur<strong>de</strong>n in allen Stadtteilen von Paris errichtet, und das<br />

Verbrennen erfolgte an verschie<strong>de</strong>nen aufeinan<strong>de</strong>rfolgen<strong>de</strong>n Tagen in <strong>de</strong>r Absicht, durch<br />

Aus<strong>de</strong>hnung <strong>de</strong>r Hinrichtungen Furcht vor <strong>de</strong>r Ketzerei zu verbreiten. Der Vorteil blieb<br />

jedoch schließlich auf <strong>de</strong>r Seite <strong>de</strong>s Evangeliums. Ganz Paris konnte sehen, was für Männer<br />

die neuen Lehren hervorbrachten! Keine Kanzel konnte so beredt sein wie <strong>de</strong>r<br />

Scheiterhaufen <strong>de</strong>s Märtyrers. Die stille Freu<strong>de</strong>, die auf <strong>de</strong>n Angesichtern jener Männer<br />

ruhte, wenn sie <strong>de</strong>m Richtplatz zuschritten, ihr Hel<strong>de</strong>nmut inmitten <strong>de</strong>r peinigen<strong>de</strong>n<br />

Flammen, ihr sanftmütiges Vergeben <strong>de</strong>r Beleidigungen wan<strong>de</strong>lten nicht selten <strong>de</strong>n Zorn in<br />

Mitleid und <strong>de</strong>n Haß in Liebe um und zeugten mit unwi<strong>de</strong>rstehlicher Beredsamkeit für das<br />

Evangelium.<br />

Die Priester, die es darauf abgesehen hatten, die Wut <strong>de</strong>s Volkes aufrechtzuerhalten,<br />

verbreiteten die schrecklichsten Anklagen gegen die Protestanten. Man beschuldigte sie,<br />

sich verbun<strong>de</strong>n zu haben, <strong>de</strong>n König zu ermor<strong>de</strong>n, die Katholiken hinzuschlachten und die<br />

Regierung zu stürzen. Aber sie konnten nicht <strong>de</strong>n geringsten Beweis zur Unterstützung<br />

dieser Behauptungen erbringen. Doch sollten diese Vorhersagen kommen<strong>de</strong>n Unheils erfüllt<br />

wer<strong>de</strong>n, wenn auch unter ganz an<strong>de</strong>rsartigen Umstän<strong>de</strong>n und aus entgegengesetzten<br />

Ursachen. Die von <strong>de</strong>n Katholiken an <strong>de</strong>n unschuldigen Protestanten verübten<br />

153


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Grausamkeiten häuften sich zu einer Last <strong>de</strong>r Vergeltung und beschworen in späteren<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rten gera<strong>de</strong> das Schicksal herauf, das sie <strong>de</strong>m König, seiner Regierung und seinen<br />

Untertanen prophezeit hatten; aber es wur<strong>de</strong> durch Ungläubige und durch die päpstlichen<br />

Anhänger selbst herbeigeführt. Es war nicht die Aufrichtung, son<strong>de</strong>rn die Unterdrückung<br />

<strong>de</strong>s Protestantismus, die dreihun<strong>de</strong>rt Jahre später diese schrecklichen Heimsuchungen über<br />

Frankreich bringen sollte.<br />

Argwohn, Mißtrauen und Entsetzen durchdrangen nun alle Klassen <strong>de</strong>r Gesellschaft.<br />

Inmitten <strong>de</strong>r allgemeinen Aufregung zeigte es sich wie tief die lutherische Lehre in <strong>de</strong>n<br />

Herzen <strong>de</strong>r Männer Wurzel gefaßt hatte, die sich durch ihre Bildung, ihren Einfluß und<br />

ihren vorzüglichen Charakter auszeichneten. Vertrauensstellungen und Ehrenposten fand<br />

man plötzlich unbesetzt. Handwerker, Drucker, Gelehrte, Professoren <strong>de</strong>r Universitäten,<br />

Schriftsteller, ja sogar Höflinge verschwan<strong>de</strong>n. Hun<strong>de</strong>rte flohen aus Paris und verließen<br />

freiwillig ihre Heimat und gaben dadurch in vielen Fällen kund, daß sie <strong>de</strong>n reformierten<br />

Glauben begünstigten. Die Katholiken blickten erstaunt um sich bei <strong>de</strong>m Gedanken an die<br />

Ketzer, die man ahnungslos in ihrer Mitte gedul<strong>de</strong>t hatte. Ihre Wut ließen sie an <strong>de</strong>n<br />

zahlreichen niedrigeren Opfern aus, die sich in ihrer Gewalt befan<strong>de</strong>n. Die Gefängnisse<br />

waren gedrängt voll und <strong>de</strong>r Himmel schien verdunkelt durch <strong>de</strong>n Rauch <strong>de</strong>r brennen<strong>de</strong>n<br />

Scheiterhaufen, die für die Bekenner <strong>de</strong>s Evangeliums angezün<strong>de</strong>t waren.<br />

Franz I. hatte sich gerühmt, ein Bahnbrecher <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rbelebung <strong>de</strong>r Gelehrsamkeit zu<br />

sein, die <strong>de</strong>n Beginn <strong>de</strong>s 16.Jahrhun<strong>de</strong>rts kennzeichnete. Es hatte ihm Freu<strong>de</strong> gemacht,<br />

gelehrte Männer aus allen Län<strong>de</strong>rn an seinem Hof zu versammeln. Seine Liebe zur<br />

Gelehrsamkeit und seiner Verachtung <strong>de</strong>r Unwissenheit und <strong>de</strong>s Aberglaubens <strong>de</strong>r Mönche<br />

verdankte man wenigstens zum Teil <strong>de</strong>n Grad religiöser Duldung, die <strong>de</strong>r Reformation<br />

gewährt wor<strong>de</strong>n war. Aber von <strong>de</strong>m Eifer angetrieben, die Ketzerei auszurotten, erließ<br />

dieser Schutzherr <strong>de</strong>r Wissenschaft ein Edikt, welches in ganz Frankreich das Drucken<br />

verbot. Franz I. lieferte eins <strong>de</strong>r vielen Beispiele in <strong>de</strong>r Geschichte, die beweisen, daß<br />

geistige Bildung nicht vor religiöser Unduldsamkeit und Verfolgung schützt.<br />

Durch eine feierliche und öffentliche Handlung sollte Frankreich sich völlig zur<br />

Vernichtung <strong>de</strong>s Protestantismus hergeben. Die Priester verlangten, daß <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Himmel<br />

durch Verdammung <strong>de</strong>r Messe wi<strong>de</strong>rfahrene Schimpf durch Blut gesühnt wer<strong>de</strong>n müsse,<br />

und daß <strong>de</strong>r König um seines Volkes willen dieses schreckliche Werk öffentlich gutheißen<br />

solle. Der 21. Januar 1535 wur<strong>de</strong> für diese schreckliche Handlung bestimmt. Die<br />

abergläubischen Befürchtungen und <strong>de</strong>r blin<strong>de</strong> Haß <strong>de</strong>s gesamten Volkes waren geweckt<br />

wor<strong>de</strong>n. Die Straßen von Paris füllte eine Menschenmenge, die sich aus <strong>de</strong>r ganzen<br />

umliegen<strong>de</strong>n Gegend eingefun<strong>de</strong>n hatte. Der Tag sollte durch eine großartige, prunkvolle<br />

Prozession eingeleitet wer<strong>de</strong>n. Die Häuser, an <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Zug vorüberführen sollte, waren<br />

mit Trauerflor behangen, und hier und da erhoben sich Altäre. Vor je<strong>de</strong>r Tür befand sich zu<br />

Ehren <strong>de</strong>s „heiligen Sakramentes“ eine brennen<strong>de</strong> Fackel. Der Festzug bil<strong>de</strong>te sich vor<br />

Tagesanbruch im königlichen Palast. „Zuerst kamen die Banner und Kreuze <strong>de</strong>r<br />

154


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

verschie<strong>de</strong>nen Kirchspiele, dann erschienen paarweise Bürger mit Fackeln in <strong>de</strong>n<br />

Hän<strong>de</strong>n.“ Ihnen folgten die Vertreter <strong>de</strong>r vier Mönchsor<strong>de</strong>n, je<strong>de</strong>r in seiner ihm eigenen<br />

Tracht. Dann kam eine große Sammlung berühmter Reliquien. Hinter diesen ritten<br />

Kirchenfürsten in ihren Pupur- und Scharlachgewän<strong>de</strong>rn und ihrem Juwelenschmuck —<br />

eine prunkvolle, glänzen<strong>de</strong> Anordnung.<br />

„Die Hostie wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>m Bischof von Paris unter einem kostbaren Baldachin, ... <strong>de</strong>r<br />

von vier Prinzen von Geblüt gehalten wur<strong>de</strong>, einhergetragen ... Hinter <strong>de</strong>r Hostie ging <strong>de</strong>r<br />

König ... Franz I. trug we<strong>de</strong>r Krone noch königliche Gewän<strong>de</strong>r; mit entblößtem Haupt und<br />

gesenktem Blick, in <strong>de</strong>r Hand eine brennen<strong>de</strong> Kerze haltend“, erschien <strong>de</strong>r König von<br />

Frankreich „als ein Büßen<strong>de</strong>r“.1 Vor je<strong>de</strong>m Altar verneigte er sich in Demut, nicht wegen<br />

<strong>de</strong>r Laster, die seine Seele verunreinigten, o<strong>de</strong>r um <strong>de</strong>s unschuldigen Blutes willen, das<br />

seine Hän<strong>de</strong> befleckte, son<strong>de</strong>rn um die Todsün<strong>de</strong> seiner Untertanen zu versöhnen, die es<br />

gewagt hatten, die Messe zu verdammen. Ihm folgten die Königin und paarweise die<br />

Wür<strong>de</strong>nträger <strong>de</strong>s Staates, je<strong>de</strong>r mit einer brennen<strong>de</strong>n Kerze.<br />

Als einen Teil <strong>de</strong>s Dienstes an jenem Tage hielt <strong>de</strong>r Monarch selbst im großen Saal <strong>de</strong>s<br />

bischöflichen Palastes eine Ansprache an die hohen Beamten <strong>de</strong>s Reiches. Mit sorgenvoller<br />

Miene erschien er vor ihnen und beklagte mit bewegten Worten „<strong>de</strong>n Frevel, die<br />

Gotteslästerung, <strong>de</strong>n Tag <strong>de</strong>s Schmerzes und <strong>de</strong>r Schan<strong>de</strong>“, <strong>de</strong>r über das Volk<br />

hereingebrochen sei. Dann for<strong>de</strong>rte er je<strong>de</strong>n treuen Untertanen auf, an <strong>de</strong>r Ausrottung <strong>de</strong>r<br />

ver<strong>de</strong>rblichen Ketzerei mitzuhelfen, die Frankreich mit <strong>de</strong>m Untergang bedrohe. „So wahr<br />

ich euer König bin, ihr Herren, wüßte ich eines meiner eigenen Glie<strong>de</strong>r von dieser<br />

abscheulichen Fäulnis befleckt und angesteckt, ich ließe es mir von euch abhauen ... Noch<br />

mehr: sähe ich eines meiner Kin<strong>de</strong>r damit behaftet, ich wür<strong>de</strong> sein nicht schonen ... Ich<br />

wür<strong>de</strong> es selbst ausliefern und Gott zum Opfer bringen!“ Tränen erstickten seine Re<strong>de</strong>, die<br />

ganze Versammlung weinte und rief einstimmig: „Wir wollen leben und sterben für <strong>de</strong>n<br />

katholischen Glauben!“<br />

Schrecklich war die Finsternis <strong>de</strong>s Volkes gewor<strong>de</strong>n, welches das Licht <strong>de</strong>r Wahrheit<br />

verworfen hatte. „Die heilsame Gna<strong>de</strong>“ war ihm erschienen; doch Frankreich hatte sich,<br />

nach<strong>de</strong>m es ihre Macht und Heiligkeit geschaut, nach<strong>de</strong>m Tausen<strong>de</strong> von ihrem göttlichen<br />

Reiz gefesselt, Städte und Weiler von ihrem Glanz erleuchtet wor<strong>de</strong>n waren, abgewandt und<br />

die Finsternis <strong>de</strong>m Licht vorgezogen. Es hatte die himmlische Gabe von sich gewiesen, als<br />

sie ihm angeboten wur<strong>de</strong>. Es hatte Böses gut und Gutes böse geheißen, bis es ein Opfer<br />

seiner hartnäckigen Selbsttäuschung gewor<strong>de</strong>n war. Und wenn es jetzt auch wirklich<br />

glauben mochte, Gott einen Dienst zu erweisen, in<strong>de</strong>m es <strong>de</strong>ssen Kin<strong>de</strong>r verfolgte, so<br />

konnte seine Aufrichtigkeit doch nicht seine Schuld abtragen. Frankreich hatte das Licht,<br />

das es vor Täuschung und vor <strong>de</strong>m Makel <strong>de</strong>r Blutschuld hätte bewahren können,<br />

eigenwillig verworfen.<br />

In <strong>de</strong>r großen Kathedrale, wo fast drei Jahrhun<strong>de</strong>rte später die „Göttin <strong>de</strong>r<br />

Vernunft“ von einem Volk auf <strong>de</strong>n Thron gehoben wur<strong>de</strong>, das <strong>de</strong>n lebendigen Gott<br />

155


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

vergessen hatte, dort legten die Teilnehmer <strong>de</strong>r Prozession einen feierlichen Eid ab, die<br />

Ketzerei auszurotten. Von neuem bil<strong>de</strong>te sich <strong>de</strong>r Zug, und die Vertreter Frankreichs<br />

schickten sich an, das Werk zu beginnen, das sie geschworen hatten, auszuführen. „In<br />

geringen Zwischenräumen waren Gerüste errichtet wor<strong>de</strong>n, auf <strong>de</strong>nen gewisse Protestanten<br />

lebendig verbrannt wer<strong>de</strong>n sollten, und es war bestimmt wor<strong>de</strong>n, die Holzscheite beim<br />

Herannahen <strong>de</strong>s Königs anzuzün<strong>de</strong>n, damit die Prozession anhalten und Augenzeuge <strong>de</strong>r<br />

Hinrichtung sein möchte.“1 Die Einzelheiten <strong>de</strong>r von diesen Zeugen für Christus<br />

ausgestan<strong>de</strong>nen Qualen sind zu schauerlich, um angeführt zu wer<strong>de</strong>n; doch die Opfer<br />

wur<strong>de</strong>n nicht schwankend. Als man auf sie eindrang, zu wi<strong>de</strong>rrufen, antwortete einer <strong>de</strong>r<br />

Märtyrer: „Ich glaube nur, was die Propheten und Apostel ehemals gepredigt haben und was<br />

die ganze Gemeinschaft <strong>de</strong>r Heiligen geglaubt hat. Mein Glaube setzt seine Zuversicht auf<br />

Gott und wird aller Gewalt <strong>de</strong>r Hölle wi<strong>de</strong>rstehen.“<br />

Immer wie<strong>de</strong>r hielt die Prozession an <strong>de</strong>n Marterstätten an. Nach<strong>de</strong>m sie zu ihrem<br />

Ausgangspunkt, <strong>de</strong>m königlichen Palast, zurückgekehrt war, verlief sich die Menge, und <strong>de</strong>r<br />

König und die Prälaten zogen sich, mit <strong>de</strong>n Vorgängen <strong>de</strong>s Tages zufrie<strong>de</strong>n, zurück und<br />

beglückwünschten sich in <strong>de</strong>r Hoffnung, daß das eben begonnene Werk bis zur gänzlichen<br />

Ausrottung <strong>de</strong>r Ketzerei erfolgreich fortgesetzt wer<strong>de</strong>n könnte.<br />

Das Evangelium <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns, das Frankreich verworfen hatte, war nur zu sicher<br />

ausgewurzelt wor<strong>de</strong>n, und schrecklich sollten die Folgen sein. Am 21. Januar 1793, 258<br />

Jahre nach jenen Tagen <strong>de</strong>r Verfolgung <strong>de</strong>r Reformation in Frankreich, zog ein an<strong>de</strong>rer Zug<br />

mit einem ganz an<strong>de</strong>ren Zweck durch die Straßen von Paris. „Abermals war <strong>de</strong>r König die<br />

Hauptperson, abermals erhoben sich Tumult und Lärm; wie<strong>de</strong>rum wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ruf nach mehr<br />

Opfern laut; aufs neue gab es schwarze Schafotte, und nochmals wur<strong>de</strong>n die Auftritte <strong>de</strong>s<br />

Tages mit schrecklichen Hinrichtungen beschlossen. Ludwig XVI., <strong>de</strong>r sich <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n<br />

seiner Kerkermeister und Henker zu entwin<strong>de</strong>n strebte, wur<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>n Henkerblock<br />

geschleppt und hier mit Gewalt gehalten, bis das Beil gefallen war und sein abgeschlagenes<br />

Haupt auf das Schafott rollte.“1 Doch <strong>de</strong>r König war nicht das einzige Opfer; nahe an <strong>de</strong>r<br />

gleichen Stätte kamen während <strong>de</strong>r blutigen Tage <strong>de</strong>r Schreckensherrschaft 2800 Menschen<br />

durch die Guillotine ums Leben.<br />

Die Reformation hatte <strong>de</strong>r Welt eine allen zugängliche Bibel angeboten, in<strong>de</strong>m sie das<br />

Gesetz Gottes aufschloß und seine Ansprüche auf das Gewissen <strong>de</strong>s Volkes geltend machte.<br />

Die unendliche Liebe hatte <strong>de</strong>n Menschen die Grundsätze und Ordnungen <strong>de</strong>s Himmels<br />

entfaltet. Gott hatte gesagt: „So behaltet‘s nun und tut es. Denn das wird eure Weisheit und<br />

Verstand sein bei allen Völkern, wenn sie hören wer<strong>de</strong>n alle diese Gebote, daß sie müssen<br />

sagen: Ei, welch weise und verständige Leute sind das und ein herrlich Volk!“ 5.Mose 4,6.<br />

Als Frankreich die Gabe <strong>de</strong>s Himmels verwarf, säte es <strong>de</strong>n Samen <strong>de</strong>r Gesetzlosigkeit und<br />

<strong>de</strong>s Ver<strong>de</strong>rbens; und die unausbleibliche Entwicklung von Ursache und Wirkung gipfelte in<br />

<strong>de</strong>r Revolution und <strong>de</strong>r Schreckensherrschaft.<br />

156


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Schon lange vor <strong>de</strong>r durch jene Plakate heraufbeschworenen Verfolgung hatte sich <strong>de</strong>r<br />

kühne und eifrige Farel gezwungen gesehen, aus seinem Vaterland zu fliehen. Er begab sich<br />

in die Schweiz, trug durch sein Wirken, Zwinglis Werk unterstützend, dazu bei, <strong>de</strong>n<br />

Ausschlag zugunsten <strong>de</strong>r Reformation zu geben. Seine späteren Jahre verbrachte er hier,<br />

fuhr jedoch fort, einen entschie<strong>de</strong>nen Einfluß auf die Reformation in Frankreich auszuüben.<br />

Während <strong>de</strong>r ersten Jahre seiner freiwilligen Verbannung waren seine Bemühungen ganz<br />

beson<strong>de</strong>rs auf die Ausbreitung <strong>de</strong>r Reformation in seinem Geburtsland gerichtet. Er<br />

verwandte viel Zeit auf die Predigt <strong>de</strong>s Evangeliums unter seinen Landsleuten nahe <strong>de</strong>r<br />

Grenze, wo er mit unermüdlicher Wachsamkeit <strong>de</strong>n Kampf verfolgte und mit ermutigen<strong>de</strong>n<br />

Worten und Ratschlägen half. Mit Hilfe an<strong>de</strong>rer Verbannter wur<strong>de</strong>n die Schriften <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>utschen Reformatoren ins Französische übersetzt und zusammen mit <strong>de</strong>r französischen<br />

Bibel in großen Auflagen gedruckt. Wan<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Buchhändler verkauften diese Werke in<br />

ganz Frankreich, und da sie ihnen zu niedrigen Preisen geliefert wur<strong>de</strong>n, ermöglichte es<br />

ihnen <strong>de</strong>r Gewinn aus dieser Arbeit, diese Aufgabe fortzusetzen.<br />

Farel trat seine Arbeit in <strong>de</strong>r Schweiz unter <strong>de</strong>m beschei<strong>de</strong>nen Gewan<strong>de</strong> eines<br />

Schullehrers an. Auf einem abgeschie<strong>de</strong>nen Kirchspiel widmete er sich <strong>de</strong>r Erziehung <strong>de</strong>r<br />

Kin<strong>de</strong>r. Außer <strong>de</strong>n gewöhnlichen Lehrfächern führte er vorsichtig die Wahrheiten <strong>de</strong>r Bibel<br />

ein und hoffte, durch die Kin<strong>de</strong>r die Eltern zu erreichen. Etliche glaubten; aber die Priester<br />

traten dazwischen, um das Werk Christi aufzuhalten, und die abergläubischen Landleute<br />

wur<strong>de</strong>n aufgehetzt, sich ihm zu wi<strong>de</strong>rsetzen. Das könne nicht das Evangelium Christi sein,<br />

betonten die Priester, wenn <strong>de</strong>ssen Predigt keinen Frie<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn Krieg bringe. Gleich <strong>de</strong>n<br />

ersten Jüngern floh Farel, wenn er in einer Stadt verfolgt wur<strong>de</strong>, in eine an<strong>de</strong>re, wan<strong>de</strong>rte<br />

von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt, ertrug Hunger, Kälte und Müdigkeit und war überall<br />

in Lebensgefahr. Er predigte auf Marktplätzen, in Kirchen, mitunter auf <strong>de</strong>n Kanzeln <strong>de</strong>r<br />

Kathedralen. Manchmal fand er die Kirche ohne Zuhörer; zuweilen wur<strong>de</strong> seine Predigt von<br />

Geschrei und Spott unterbrochen, ja, er wur<strong>de</strong> sogar gewaltsam von <strong>de</strong>r Kanzel<br />

heruntergerissen. Mehr als einmal griff ihn <strong>de</strong>r Pöbel an und schlug ihn fast tot. Dennoch<br />

drängte Farel vorwärts, wenn er auch oft zurückgeschlagen wur<strong>de</strong>. Mit unermüdlicher<br />

Ausdauer wandte er sich immer wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Kampfe zu, und nach und nach sah er Dörfer<br />

und Städte, die zuvor Hochburgen <strong>de</strong>s Papsttums gewesen waren, <strong>de</strong>m Evangelium ihre<br />

Tore öffnen.<br />

Das kleine Kirchspiel, in <strong>de</strong>m er mit seiner Arbeit begonnen hatte, nahm bald <strong>de</strong>n<br />

reformierten Glauben an. Auch die Städte Murten und Neuenburg gaben die römischen<br />

Bräuche auf und entfernten die Bil<strong>de</strong>r aus ihren Kirchen. Schon lange hatte Farel gewünscht,<br />

die protestantische Fahne in Genf aufzupflanzen. Könnte diese Stadt gewonnen wer<strong>de</strong>n, sie<br />

wäre <strong>de</strong>r Mittelpunkt für die Reformation in Frankreich, in <strong>de</strong>r Schweiz und in Italien. Mit<br />

diesem Ziel im Auge hatte er seine Arbeit fortgesetzt, bis viele <strong>de</strong>r umliegen<strong>de</strong>n Städte und<br />

Ortschaften gewonnen wor<strong>de</strong>n waren. Dann ging er mit einem einzigen Gefährten nach<br />

Genf. Aber nur zwei Predigten durfte er dort halten. Die Priester, die sich umsonst<br />

bemühten hatten, von <strong>de</strong>n zivilen Behör<strong>de</strong>n seine Verurteilung zu erlangen, beschie<strong>de</strong>n ihn<br />

157


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

jetzt vor einen Kirchenrat, zu <strong>de</strong>m sie sich mit unter <strong>de</strong>n Klei<strong>de</strong>rn verborgenen Waffen<br />

begaben, entschlossen, ihn zu töten. Vor <strong>de</strong>r Halle sammelte sich eine wüten<strong>de</strong> Menge mit<br />

Knütteln und Schwertern, um ihn umzubringen, falls es ihm gelingen sollte, <strong>de</strong>m Rat zu<br />

entrinnen. Die Anwesenheit weltlicher Beamter und eine bewaffnete Macht retteten ihn<br />

jedoch. Früh am nächsten Morgen wur<strong>de</strong> er mit seinem Gefährten über <strong>de</strong>n See an einen<br />

sicheren Ort gebracht. So en<strong>de</strong>te dieser Versuch, Genf das Evangelium zu verkündigen.<br />

Für <strong>de</strong>n nächsten Versuch wur<strong>de</strong> ein einfacheres Werkzeug erwählt — ein junger Mann<br />

von so beschei<strong>de</strong>nem Aussehen, daß ihn sogar die offenherzigen Freun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Reformation<br />

kalt behan<strong>de</strong>lten. Was konnte ein solcher auch da tun, wo Farel verworfen wor<strong>de</strong>n war? Wie<br />

konnte einer, <strong>de</strong>r wenig Mut und Erfahrung besaß, <strong>de</strong>m Sturm wi<strong>de</strong>rstehen, <strong>de</strong>r die<br />

Stärksten und Tapfersten zur Flucht gezwungen hatte? „Es soll nicht durch Heer o<strong>de</strong>r Kraft,<br />

son<strong>de</strong>rn durch meinen Geist geschehen, spricht <strong>de</strong>r Herr Zebaoth.“ Sacharja 4,6. „Was<br />

töricht ist vor <strong>de</strong>r Welt, das hat Gott erwählt, daß er die Weisen zu Schan<strong>de</strong>n mache“, „<strong>de</strong>nn<br />

die göttliche Torheit ist weiser, als die Menschen sind; und die göttliche Schwachheit ist<br />

stärker, als die Menschen sind.“ 1.Korinther 1,27.25.<br />

Froment begann seine Aufgabe als Schulmeister. Die Wahrheiten, die er die Kin<strong>de</strong>r in<br />

<strong>de</strong>r Schule lehrte, wie<strong>de</strong>rholten diese zu Hause; bald kamen die Eltern, um <strong>de</strong>n<br />

Bibelerklärungen zu lauschen, und das Schulzimmer füllte sich mit aufmerksamen Zuhörern.<br />

Neue Testamente und kleinere Schriften wur<strong>de</strong>n reichlich verteilt und erreichten viele<br />

Menschen, die es nicht wagten, offen zu kommen, um die neuen Lehren zu hören. Bald<br />

wur<strong>de</strong> auch dieser Prediger <strong>de</strong>s Wortes Gottes zur Flucht gezwungen; aber die Wahrheiten,<br />

die er gelehrt hatte, waren in die Herzen <strong>de</strong>s Volkes gedrungen. Die Reformation war<br />

gepflanzt wor<strong>de</strong>n, sie wur<strong>de</strong> stärker und <strong>de</strong>hnte sich aus. Die Prediger kehrten zurück, und<br />

durch ihre Arbeit wur<strong>de</strong> schließlich <strong>de</strong>r protestantische Gottesdienst in Genf eingeführt.<br />

Die Stadt hatte sich bereits zur Reformation bekannt als Calvin nach verschie<strong>de</strong>nen<br />

Wan<strong>de</strong>rungen und Wechselfällen ihre Tore betrat. Von einem letzten Besuch seines<br />

Geburtsortes zurückkehrend, befand er sich auf <strong>de</strong>m Wege nach Basel; doch da er die<br />

direkte Straße von <strong>de</strong>n Truppen Karls V. besetzt fand, sah er sich gezwungen, <strong>de</strong>n Umweg<br />

über Genf zu nehmen. In diesem Besuch erkannte Farel die Hand Gottes. Obgleich Genf <strong>de</strong>n<br />

reformierten Glauben angenommen hatte, blieb dort noch immer eine große Aufgabe zu<br />

erfüllen. Nicht als Gemeinschaften, son<strong>de</strong>rn als Einzelwesen müssen Menschen zu Gott<br />

bekehrt wer<strong>de</strong>n; das Werk <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rgeburt muß im Herzen und Gewissen durch die Kraft<br />

<strong>de</strong>s Heiligen Geistes und nicht durch Konzilienbeschlüsse bewirkt wer<strong>de</strong>n. Während die<br />

Genfer wohl die Botmäßigkeit Roms abgeschüttelt hatten, waren sie jedoch noch nicht<br />

bereit, die Laster zu fliehen, welche unter Roms Herrschaft gediehen waren. Hier die reinen<br />

Grundsätze <strong>de</strong>s Evangeliums einzuführen und dies Volk zuzubereiten, würdig die Stellung<br />

auszufüllen, zu <strong>de</strong>r die Vorsehung es berufen zu haben schien, das war keine leichte<br />

Aufgabe.<br />

158


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Farel war überzeugt, daß er in Calvin jemand gefun<strong>de</strong>n hatte, <strong>de</strong>r sich ihm bei dieser<br />

Aufgabe anschließen konnte. Im Namen Gottes beschwor er <strong>de</strong>n jungen Prediger feierlich,<br />

in Genf zu bleiben und da zu arbeiten. Calvin erschrak sehr. Furchtsam und friedliebend,<br />

schreckte er zurück vor <strong>de</strong>r Berührung mit <strong>de</strong>m kühnen, unabhängigen, ja sogar heftigen<br />

Geist <strong>de</strong>r Genfer. Seine geschwächte Gesundheit und die Gewohnheit, zu studieren und zu<br />

forschen, veranlaßten ihn, die Zurückgezogenheit zu suchen. In <strong>de</strong>r Meinung, <strong>de</strong>r<br />

Reformation am besten durch seine Fe<strong>de</strong>r dienen zu können, wünschte er sich ein ruhiges<br />

Plätzchen zum Studium, um dort vermittels <strong>de</strong>r Druckpresse die Gemein<strong>de</strong>n zu unterweisen<br />

und aufzubauen. Aber Farels feierliche Ermahnung kam zu ihm wie ein Ruf vom Himmel,<br />

und er wagte es nicht, sich zu wi<strong>de</strong>rsetzen. Es schien ihm, wie er sagte, „als ob die Hand<br />

Gottes vom Himmel herab ausgereckt ihn ergriffen und unwi<strong>de</strong>rruflich an <strong>de</strong>n Ort gesetzt<br />

habe, <strong>de</strong>n er so gern verlassen wollte“. Zu dieser Zeit umgaben die protestantische Sache<br />

große Gefahren. Die Bannflüche <strong>de</strong>s Papstes donnerten gegen die Stadt Genf, und mächtige<br />

Nationen bedrohten sie mit Vernichtung. Wie sollte die kleine Stadt <strong>de</strong>r gewaltigen<br />

Priestermacht wi<strong>de</strong>rstehen, die so oft Könige und Kaiser gezwungen hatte, sich zu<br />

unterwerfen? Wie könnte sie <strong>de</strong>n Heeren <strong>de</strong>r großen Eroberer <strong>de</strong>r Welt standhalten?<br />

In <strong>de</strong>r ganzen Christenheit drohten <strong>de</strong>m Protestantismus furchtbare Fein<strong>de</strong>. Als die<br />

ersten Siege <strong>de</strong>r Reformation erfochten waren, sammelte Rom neue Kräfte in <strong>de</strong>r Hoffnung,<br />

ihre Vernichtung zu vollführen. Um diese Zeit wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Jesuitenor<strong>de</strong>n gestiftet. Von<br />

irdischen Ban<strong>de</strong>n und menschlichen Beziehungen abgeschnitten, <strong>de</strong>n Ansprüchen<br />

natürlicher Neigungen abgestorben, die Vernunft und das Gewissen völlig zum Schweigen<br />

gebracht, kannten seine Mitglie<strong>de</strong>r keine Herrschaft, keine Verbindung als nur die ihres<br />

Or<strong>de</strong>ns und keine an<strong>de</strong>re Pflicht als die, seine Macht auszu<strong>de</strong>hnen. Das Evangelium Christi<br />

hatte seine Anhänger befähigt, ungeachtet <strong>de</strong>r Kälte, <strong>de</strong>s Hungers, <strong>de</strong>r Mühe und Armut<br />

Gefahren zu begegnen und Lei<strong>de</strong>n zu erdul<strong>de</strong>n und das Banner <strong>de</strong>r Wahrheit angesichts <strong>de</strong>s<br />

Kerkers, <strong>de</strong>r Folter und <strong>de</strong>s Scheiterhaufens hochzuhalten. Um diese Männer zu bekämpfen,<br />

begeisterte das Jesuitentum seine Anhänger mit einem fanatischen Glaubenseifer, <strong>de</strong>r ihnen<br />

die Möglichkeit gab, gleiche Gefahren zu erdul<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>r Macht <strong>de</strong>r Wahrheit alle Waffen<br />

<strong>de</strong>r Täuschung gegenüberzustellen.<br />

Durch ein Gelüb<strong>de</strong> an ständige Armut und Niedrigkeit gebun<strong>de</strong>n, richtete sich ihr<br />

Streben darauf, Reichtum und Macht zu erlangen, um bei<strong>de</strong>s zum Sturz <strong>de</strong>s Protestantismus<br />

und zur Wie<strong>de</strong>rherstellung <strong>de</strong>r päpstlichen Oberherrschaft zu verwen<strong>de</strong>n. Als Mitglie<strong>de</strong>r<br />

ihres Or<strong>de</strong>ns erschienen sie unter <strong>de</strong>m Deckmantel <strong>de</strong>r Heiligkeit, besuchten Gefängnisse<br />

und Krankenhäuser, halfen <strong>de</strong>n Kranken und Armen, gaben vor, <strong>de</strong>r Welt entsagt zu haben<br />

und trugen <strong>de</strong>n heiligen Namen Jesu, <strong>de</strong>r umhergegangen war, Gutes zu tun. Aber unter<br />

diesem ta<strong>de</strong>llosen Äußeren wur<strong>de</strong>n oft die gewissenlosesten und tödlichsten Absichten<br />

verborgen. Es war ein Hauptgrundsatz <strong>de</strong>s Or<strong>de</strong>ns, daß <strong>de</strong>r Zweck die Mittel heilige. Durch<br />

diese Regel wur<strong>de</strong>n Lüge, Diebstahl, Meineid, Meuchelmord nicht nur verzeihlich, son<strong>de</strong>rn<br />

sogar lobenswert, wenn sie <strong>de</strong>m Interesse <strong>de</strong>r Kirche dienten. Unter <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nsten<br />

Masken bahnten sich die Jesuiten ihren Weg zu Staatsämtern, arbeiteten sich zu Ratgebern<br />

159


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

<strong>de</strong>r Könige empor und leiteten die Politik <strong>de</strong>r Nationen. Sie wur<strong>de</strong>n Diener, um als Spione<br />

ihre Herren zu überwachen. Sie errichteten Hochschulen für die Söhne <strong>de</strong>r Fürsten und<br />

Adligen und Schulen für das gewöhnliche Volk und brachten die Kin<strong>de</strong>r protestantischer<br />

Eltern dahin, daß sie päpstlichen Gebräuchen huldigten. Der ganze äußerliche Glanz und<br />

Prunk <strong>de</strong>s päpstlichen Gottesdienstes sollte darauf hinwirken, <strong>de</strong>n Verstand zu verwirren,<br />

das Gemüt zu beeindrucken und die Einbildungskraft zu blen<strong>de</strong>n und zu fesseln. Auf diese<br />

Weise wur<strong>de</strong> die Freiheit, für die die Väter gearbeitet und geblutet hatten, von <strong>de</strong>n Söhnen<br />

verraten. Rasch breitete sich die jesuitische Bewegung über ganz Europa aus, und wohin sie<br />

auch kamen, bewirkten sie eine Wie<strong>de</strong>rbelebung <strong>de</strong>s Papsttums.<br />

Um ihnen größere Macht zu geben, wur<strong>de</strong> eine Bulle erlassen, die die Inquisition<br />

wie<strong>de</strong>r einführte. Trotz <strong>de</strong>s allgemeinen Abscheus, mit <strong>de</strong>m man die Inquisition sogar in<br />

katholischen Län<strong>de</strong>rn betrachtete, wur<strong>de</strong> dieses schreckliche Gericht von päpstlichen<br />

Herrschern aufs neue eingesetzt, und Abscheulichkeiten, die zu schrecklich sind, um ans<br />

Tageslicht gebracht zu wer<strong>de</strong>n, wur<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n verborgenen Kerkern wie<strong>de</strong>r begangen. In<br />

zahlreichen Län<strong>de</strong>rn wur- <strong>de</strong>n Tausen<strong>de</strong> und aber Tausen<strong>de</strong>, die Blüte <strong>de</strong>r Nation, die<br />

Reinsten und E<strong>de</strong>lsten, die Intelligentesten und Gebil<strong>de</strong>testen, fromme und ergebene<br />

Prediger, arbeitsame und vaterlandslieben<strong>de</strong> Bürger, große Gelehrte, begabte Künstler und<br />

tüchtige Gewerbetreiben<strong>de</strong> erschlagen o<strong>de</strong>r gezwungen, in an<strong>de</strong>re Län<strong>de</strong>r zu fliehen.<br />

Das waren die Mittel, die Rom ersonnen hatte, um das Licht <strong>de</strong>r Reformation<br />

auszulöschen, <strong>de</strong>n Menschen die Bibel zu entziehen und die Unwissenheit und <strong>de</strong>n<br />

Aberglauben <strong>de</strong>s Mittelalters wie<strong>de</strong>rherzustellen. Aber durch Gottes Segen und durch die<br />

Bemühungen jener edlen Männer, die <strong>de</strong>r Herr als Luthers Nachfolger erweckt hatte, wur<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Protestantismus nicht besiegt. Nicht <strong>de</strong>r Gunst o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Arm <strong>de</strong>r Fürsten sollte er seine<br />

Stärke verdanken. Die kleinsten Län<strong>de</strong>r, die beschei<strong>de</strong>nsten und am wenigsten mächtig zu<br />

nennen<strong>de</strong>n Völker wur<strong>de</strong>n seine Bollwerke. Da war das kleine Genf inmitten starker Fein<strong>de</strong>,<br />

die auf seinen Untergang bedacht waren; da war Holland mit seinen sandigen Küsten an <strong>de</strong>r<br />

Nordsee, das gegen die Tyrannei Spaniens kämpfte, damals das größte <strong>de</strong>r Königreiche; da<br />

war das rauhe, unfruchtbare Schwe<strong>de</strong>n; sie alle errangen Siege für die Reformation.<br />

Fast dreißig Jahre lang arbeitete Calvin in Genf, einmal, um dort eine Gemein<strong>de</strong> zu<br />

grün<strong>de</strong>n, die sich an die reine Sittlichkeit <strong>de</strong>r Bibel hielte, und dann, um die Reformation<br />

über ganz Europa auszu<strong>de</strong>hnen. Seine Art und Weise als öffentlicher Lehrer war nicht ohne<br />

Fehler, noch waren seine Lehren frei von Irrtum. Aber er war das Werkzeug <strong>de</strong>r<br />

Verkündigung <strong>de</strong>r großen Wahrheiten,die in seiner Zeit von beson<strong>de</strong>rer Wichtigkeit waren,<br />

zur Aufrechterhaltung <strong>de</strong>r Grundsätze <strong>de</strong>s Protestantismus gegen die rasch zurückkehren<strong>de</strong><br />

Flut <strong>de</strong>s Papsttums und zur För<strong>de</strong>rung eines reinen und einfachen Lebens in <strong>de</strong>n<br />

reformierten Gemein<strong>de</strong>n an Stelle <strong>de</strong>s Stolzes und <strong>de</strong>r Ver<strong>de</strong>rbnis, die durch die päpstlichen<br />

Lehren genährt wur<strong>de</strong>n.<br />

Von Genf gingen nicht nur Schriften hinaus, son<strong>de</strong>rn auch Lehrer wur<strong>de</strong>n ausgesandt,<br />

um die reformierten Lehren zu vertreten. Nach Genf schauten die Verfolgten aller Län<strong>de</strong>r,<br />

160


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

um Belehrung, Rat und Ermutigung zu erlangen. Die Stadt Calvins wur<strong>de</strong> zu einer<br />

Zufluchtsstätte für die verfolgten Reformatoren <strong>de</strong>s ganzen westlichen Europa. Auf <strong>de</strong>r<br />

Flucht vor <strong>de</strong>n schrecklichen Stürmen, die jahrhun<strong>de</strong>rtelang anhielten, kamen die<br />

Flüchtlinge an die Tore Genfs. Ausgehungert, verwun<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>r Heimat und <strong>de</strong>r Verwandten<br />

beraubt, wur<strong>de</strong>n sie herzlich empfangen und liebevoll versorgt. Die hier eine Heimat fan<strong>de</strong>n,<br />

gereichten <strong>de</strong>r Stadt, die sie aufgenommen hatte, durch ihre Frömmigkeit, Gelehrsamkeit<br />

und Tüchtigkeit zum Segen.<br />

Viele, die hier eine Zuflucht gesucht hatten, kehrten in ihre Heimat zurück, um <strong>de</strong>r<br />

Tyrannei Roms Wi<strong>de</strong>rstand zu bieten. John Knox, <strong>de</strong>r wackere schottische Reformator,<br />

nicht wenige <strong>de</strong>r englischen Puritaner, die Protestanten aus Holland und Spanien und die<br />

Hugenotten aus Frankreich trugen die Fackel <strong>de</strong>r Wahrheit von Genf hinaus, um die<br />

Finsternis ihres Heimatlan<strong>de</strong>s zu erleuchten.<br />

161


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 13- Die Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong> und Skandinavien<br />

In <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n rief die päpstliche Tyrannei schon sehr früh entschie<strong>de</strong>nen<br />

Wi<strong>de</strong>rstand hervor. Bereits siebenhun<strong>de</strong>rt Jahre vor <strong>de</strong>r Zeit Luthers waren zwei Bischöfe<br />

mit einem Auftrag nach Rom gesandt wor<strong>de</strong>n. Dort hatten sie <strong>de</strong>n wahren Charakter <strong>de</strong>s<br />

„Heiligen Stuhles“ kennengelernt und klagten nun unerschrocken <strong>de</strong>n Papst an: Gott „hat<br />

seine Königin und Braut, die Gemein<strong>de</strong>, zu einer edlen und ewigen Einrichtung für ihre<br />

Familie gesetzt mit einer Mitgift, die we<strong>de</strong>r vergänglich noch ver<strong>de</strong>rbbar ist, und hat ihr eine<br />

ewige Krone, ein Zepter gegeben ... Wohltaten, die du wie ein Dieb abschnei<strong>de</strong>st. Du setzest<br />

dich in <strong>de</strong>n Tempel Gottes als ein Gott; statt ein Hirte zu sein, bist du <strong>de</strong>n Schafen zum<br />

Wolf gewor<strong>de</strong>n ... Du willst, daß wir dich für einen hohen Bischof halten; aber du beträgst<br />

dich vielmehr wie ein Tyrann ... Statt ein Knecht aller Knechte zu sein, wie du dich nennst,<br />

bemühst du dich, ein Herr aller Herren zu wer<strong>de</strong>n ... Du bringst die Gebote Gottes in<br />

Verachtung ... Der Heilige Geist ist <strong>de</strong>r Erbauer aller Gemein<strong>de</strong>n, so weit sich die Er<strong>de</strong><br />

aus<strong>de</strong>hnt ... Die Stadt unseres Gottes, <strong>de</strong>ren Bürger wir sind, reicht zu allen Teilen <strong>de</strong>s<br />

Himmels, und sie ist größer als die Stadt, welche die heiligen Propheten Babylon nannten,<br />

die vorgibt, göttlich zu sein, sich zum Himmel erhebt und sich rühmt, daß ihre Weisheit<br />

unsterblich sei, und schließlich, wenn auch ohne Grund, daß sie nie irre noch irren könne“.<br />

An<strong>de</strong>re Stimmen erhoben sich von Jahrhun<strong>de</strong>rt zu Jahrhun<strong>de</strong>rt, um diesen Protest von<br />

neuem erschallen zu lassen. Und jene ersten Lehrer, die verschie<strong>de</strong>ne Län<strong>de</strong>r durchzogen,<br />

unter verschie<strong>de</strong>nen Namen bekannt waren, <strong>de</strong>n Charakter <strong>de</strong>r wal<strong>de</strong>nsischen Missionare<br />

hatten und überall die Erkenntnis <strong>de</strong>s Evangeliums ausbreiteten, drangen auch in die<br />

Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong> ein. Rasch verbreiteten sich ihre Lehren. Die wal<strong>de</strong>nsische Bibel übersetzten<br />

sie in Versen in die holländische Sprache. Sie erklärten, „daß ein großer Vorteil darin sei,<br />

daß sich in ihr keine Scherze, keine Fabeln, kein Spielwerk, kein Betrug, nichts als Worte<br />

<strong>de</strong>r Wahrheit befän<strong>de</strong>n, daß allerdings hier und da eine harte Kruste sei, aber dadurch nur<br />

<strong>de</strong>r Kern und die Süßigkeit alles <strong>de</strong>ssen, was gut und heilig ist, leichter ent<strong>de</strong>ckt wer<strong>de</strong>“. So<br />

schrieben die Freun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s alten Glaubens im zwölften Jahrhun<strong>de</strong>rt.<br />

Auch als die päpstlichen Verfolgungen begannen, wuchs trotz Scheiterhaufen und<br />

Folter die Zahl <strong>de</strong>r Gläubigen, und diese erklärten standhaft, daß die Bibel die einzige<br />

untrügliche Autorität in Religionssachen sei, und daß „niemand gezwungen wer<strong>de</strong>n solle zu<br />

glauben, son<strong>de</strong>rn durch die Predigt gewonnen wer<strong>de</strong>n müsse“. Luthers Lehren fan<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n<br />

Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n einen günstigen Bo<strong>de</strong>n; ernste, aufrechte Männer traten auf, um das<br />

Evangelium zu predigen. Aus einer Provinz Hollands kam Menno Simons.<br />

Römischkatholisch erzogen und zum Priester geweiht, war er <strong>de</strong>r Bibel völlig unkundig und<br />

fürchtete sich, sie zu lesen, um nicht zur Ketzerei verführt zu wer<strong>de</strong>n. Als sich ihm ein<br />

Zweifel über die Verwandlungslehre (Transsubstantiationslehre) aufdrängte, betrachtete er<br />

dies als eine Versuchung Satans und suchte sich durch Gebet und Beichte davon zu<br />

befreien — aber vergebens. In weltlichen Vergnügungen wollte er die anklagen<strong>de</strong> Stimme<br />

<strong>de</strong>s Gewissens zum Schweigen bringen; aber auch das ohne Erfolg. Nach einiger Zeit<br />

162


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

begann er mit <strong>de</strong>m Studium <strong>de</strong>s Neuen Testaments, das ihn, nebst Luthers Schriften,<br />

veranlaßte, <strong>de</strong>n protestantischen Glauben anzunehmen.<br />

Bald darauf war er in einem benachbarten Dorf Augenzeuge <strong>de</strong>r Enthauptung eines<br />

Mannes, <strong>de</strong>r getötet wur<strong>de</strong>, weil er sich hatte wie<strong>de</strong>rtaufen lassen. Daraufhin studierte<br />

Simons die Bibel auf ihre Aussagen hinsichtlich <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>rtaufe. Er konnte keine Beweise<br />

dafür in <strong>de</strong>r Heiligen Schrift fin<strong>de</strong>n, sah aber, daß Reue und Glauben in allen Texten die<br />

Bedingung zum Empfang <strong>de</strong>r Taufe waren. Menno zog sich von <strong>de</strong>r römischen Kirche<br />

zurück und widmete sich <strong>de</strong>r Verkündigung <strong>de</strong>r Wahrheiten, die er empfangen hatte.<br />

Sowohl in Deutschland als auch in <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n waren Schwärmer aufgetreten, die<br />

aufrührerische Lehren vertraten, Ordnung und Sittsamkeit schmähten und zu Gewalt und<br />

Empörung schritten. Menno erkannte die schrecklichen Folgen, welche dieses Vorgehen<br />

unvermeidlich nach sich ziehen mußte, und wi<strong>de</strong>rsetzte sich heftig <strong>de</strong>n irrigen Lehren und<br />

wil<strong>de</strong>n Hirngespinsten dieser Schwärmer. Es gab viele durch die Schwärmer irregeleitete<br />

Menschen, die später <strong>de</strong>ren verführerischen Lehren entsagten; auch waren noch viele<br />

Nachkommen <strong>de</strong>r alten Christen, die Früchte <strong>de</strong>r wal<strong>de</strong>nsischen Lehren, übriggeblieben.<br />

Unter diesen Klassen arbeitete Menno mit großem Eifer und Erfolg.<br />

Fünfundzwanzig Jahre reiste er mit seiner Frau und seinen Kin<strong>de</strong>rn umher, erdul<strong>de</strong>te<br />

große Mühsale und Entbehrungen und war oft in Lebensgefahr. Er durchreiste die<br />

Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong> und das nördliche Deutschland, arbeitete hauptsächlich unter <strong>de</strong>n niedrigeren<br />

Klassen, übte jedoch einen weitreichen<strong>de</strong>n Einfluß aus. Von Natur beredt, wenn auch von<br />

begrenzter Bildung, war er ein Mann von unerschütterlicher Rechtschaffenheit, <strong>de</strong>mütigem<br />

Geist, freundlichem Wesen und von aufrichtiger und ernster Frömmigkeit, <strong>de</strong>r die<br />

Grundsätze, die er lehrte, in seinem eigenen Leben bekun<strong>de</strong>te und sich das Vertrauen <strong>de</strong>s<br />

Volkes erwarb. Seine Nachfolger wur<strong>de</strong>n zerstreut und unterdrückt. Sie litten viel, weil sie<br />

mit <strong>de</strong>n Schwärmern aus Münster verwechselt wur<strong>de</strong>n. Durch sein Wirken bekehrten sich<br />

viele Seelen zur Wahrheit.<br />

Nirgends faßten die reformierten Lehren auf breiterem Bo<strong>de</strong>n Fuß als in <strong>de</strong>n<br />

Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n. In wenigen Län<strong>de</strong>rn erdul<strong>de</strong>ten ihre Anhänger aber auch eine schrecklichere<br />

Verfolgung. In Deutschland hatte Karl V. die Reformation geächtet und hätte gern alle ihre<br />

Anhänger auf <strong>de</strong>n Scheiterhaufen gebracht; aber die Fürsten stellten sich gegen seine<br />

Willkür. In <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n war seine Macht größer, und in kurzen Abstän<strong>de</strong>n kam ein<br />

Verfolgungsbefehl nach <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn. Die Bibel zu lesen, sie zu predigen o<strong>de</strong>r zu hören o<strong>de</strong>r<br />

auch nur von ihr zu re<strong>de</strong>n, wur<strong>de</strong> als ein Verbrechen angesehen, das mit <strong>de</strong>m Tod auf <strong>de</strong>m<br />

Scheiterhaufen bestraft wer<strong>de</strong>n sollte. Die geheime Anrufung Gottes, die Weigerung, vor<br />

einem Heiligenbild die Knie zu beugen, o<strong>de</strong>r das Singen eines Psalm wur<strong>de</strong> gleichfalls mit<br />

<strong>de</strong>m To<strong>de</strong> bestraft. Selbst die ihrem Glauben abschworen, wur<strong>de</strong>n verurteilt: Die Männer<br />

starben durch das Schwert; die Frauen begrub man lebendigen Leibes. Tausen<strong>de</strong> kamen<br />

unter <strong>de</strong>r Regierung Karls V. und Philipps II. ums Leben.<br />

163


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Einmal wur<strong>de</strong> eine ganze Familie vor die Inquisitionsrichter gebracht und angeklagt,<br />

von <strong>de</strong>r Messe weggeblieben zu sein und zu Hause Gottesdienst gehalten zu haben. Als <strong>de</strong>r<br />

jüngste Sohn über ihre geheimen Gewohnheiten befragt wur<strong>de</strong>, antwortete er: „Wir fallen<br />

auf unsere Knie und beten, daß Gott unsere Gemüter erleuchten und unsere Sün<strong>de</strong>n<br />

verzeihen wolle. Wir beten für unseren Lan<strong>de</strong>sfürsten, daß seine Regierung ge<strong>de</strong>ihlich und<br />

sein Leben glücklich sein möge. Wir beten für unsere Stadtbehör<strong>de</strong>, daß Gott sie erhalten<br />

wolle.“ Etliche Richter waren tief bewegt, <strong>de</strong>nnoch wur<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Vater und einer seiner<br />

Söhne zum Scheiterhaufen verurteilt.<br />

Der Wut <strong>de</strong>r Verfolger stand <strong>de</strong>r Glaubensmut <strong>de</strong>r Märtyrer nicht nach. Nicht nur<br />

Männer, son<strong>de</strong>rn auch zarte Frauen und junge Mädchen legten einen unerschütterlichen Mut<br />

an <strong>de</strong>n Tag. „Frauen stellten sich neben <strong>de</strong>n Marterpfahl ihrer Gatten, und während diese<br />

das Feuer erdul<strong>de</strong>ten, flüsterten sie ihnen Worte <strong>de</strong>s Trostes zu o<strong>de</strong>r sangen Psalmen, um sie<br />

aufzumuntern.“ — „Jungfrauen legten sich lebendig in ihr Grab, als ob sie das<br />

Schlafgemach zur nächtlichen Ruhe beträten, o<strong>de</strong>r sie gingen in ihren besten Gewän<strong>de</strong>rn auf<br />

das Schafott o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Feuertod, als ob sie zur Hochzeit gingen.“ Wie in <strong>de</strong>n Tagen, da<br />

das Hei<strong>de</strong>ntum das Evangelium zu vernichten suchte, wirkte das Blut <strong>de</strong>r Christen als ein<br />

Same. Die Verfolgung ließ die Zahl <strong>de</strong>r Wahrheitszeugen wachsen. Jahr für Jahr betrieb <strong>de</strong>r<br />

durch die unbesiegbare Entschlossenheit <strong>de</strong>s Volkes zur Wut gereizte Monarch sein<br />

grausames Werk, ohne sein Ziel zu erreichen. Der Aufstand unter <strong>de</strong>m edlen Prinzen<br />

Wilhelm von Oranien brachte Holland schließlich die Freiheit, Gott zu dienen.<br />

Auf <strong>de</strong>n Bergen von Piemont, in <strong>de</strong>n Ebenen Frankreichs und an <strong>de</strong>n Küsten Hollands<br />

war <strong>de</strong>r Fortschritt <strong>de</strong>s Evangeliums durch das Blut seiner Jünger gekennzeichnet; aber in<br />

<strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Nor<strong>de</strong>ns fand das Evangelium friedlichen Eingang. Wittenbergische<br />

Stu<strong>de</strong>nten brachten bei <strong>de</strong>r Rückkehr in ihre Heimat <strong>de</strong>n evangelischen Glauben nach<br />

Skandinavien; auch durch die Veröffentlichung von Luthers Schriften wur<strong>de</strong> das Licht<br />

ausgebreitet. Das einfache, abgehärtete Volk <strong>de</strong>s Nor<strong>de</strong>ns wandte sich von <strong>de</strong>r Ver<strong>de</strong>rbnis,<br />

<strong>de</strong>m pomphaften Gepränge und <strong>de</strong>m finsteren Aberglauben Roms ab, um Reinheit,<br />

Schlichtheit sowie die lebenspen<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Wahrheiten <strong>de</strong>r Bibel willkommen zu heißen.<br />

Tausen, <strong>de</strong>r Reformator Dänemarks, war <strong>de</strong>r Sohn eines Landmannes. Frühzeitig gab<br />

<strong>de</strong>r Knabe Beweise eines scharfen Verstan<strong>de</strong>s. Ihn verlangte nach einer or<strong>de</strong>ntlichen<br />

Ausbildung, die ihm aber die beschränkten Verhältnisse seiner Eltern nicht erlaubten.<br />

Deshalb trat er in ein Kloster ein. Hier gewannen ihm die Lauterkeit seines Lebens sowie<br />

sein Fleiß und seine Treue die Gunst seines Vorgesetzten. Eine Prüfung zeige, daß er Gaben<br />

besaß, die <strong>de</strong>r Kirche für die Zukunft gute Dienste versprachen. Man beschloß, ihn an einer<br />

<strong>de</strong>utschen o<strong>de</strong>r nie<strong>de</strong>rländischen Universität studieren zu lassen. Dem jungen Stu<strong>de</strong>nten<br />

gestattete man, sich seine Universität selbst zu wählen, jedoch unter <strong>de</strong>m Vorbehalt nicht<br />

nach Wittenberg zu gehen. Er, <strong>de</strong>r sich für <strong>de</strong>n Dienst in <strong>de</strong>r Kirche vorbereitete, sollte nicht<br />

durch das Gift <strong>de</strong>r Ketzerei gefähr<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n, sagten die Mönche.<br />

164


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Tausen ging nach Köln, das damals wie auch heute noch eine Hochburg <strong>de</strong>s<br />

Katholizismus war. Hier wi<strong>de</strong>rte ihn bald <strong>de</strong>r Mystizismus <strong>de</strong>r Schulgelehrten an. Etwa um<br />

diese Zeit kam er zum ersten Mal in <strong>de</strong>n Besitz von Luthers Schriften. Er laß sie mit Freu<strong>de</strong><br />

und Erstaunen und wünschte sehnlich, <strong>de</strong>n persönlichen Unterricht <strong>de</strong>s Reformators zu<br />

genießen. Um dies zu ermöglichen, mußte er sich <strong>de</strong>r Gefahr aussetzen, seinen klösterlichen<br />

Oberen zu beleidigen und seine Unterstützung zu verwirken. Sein Entschluß war bald gefaßt,<br />

und nicht lange danach wur<strong>de</strong> er in Wittenberg als Stu<strong>de</strong>nt eingetragen. Bei seiner Rückkehr<br />

nach Dänemark begab er sich wie<strong>de</strong>r in sein Kloster. Keiner verdächtigte ihn <strong>de</strong>s<br />

Luthertums; er behielt sein Geheimnis für sich, bemühte sich aber, ohne das Vorurteil seiner<br />

Gefährten zu erregen, sie zu einem reineren Glauben und heiligeren Leben zu führen. Er<br />

erschloß ihnen die Bibel, erklärte <strong>de</strong>ren wahren Sinn und predigte schließlich offen Christus<br />

als <strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong>rs Gerechtigkeit und einzige Hoffnung zur Seligkeit. Gewaltig war <strong>de</strong>r Zorn<br />

<strong>de</strong>s Priors, <strong>de</strong>r große Hoffnungen auf ihn als tapferen Verteidiger Roms gesetzt hatte.<br />

Tausen wur<strong>de</strong> ohne weiteres nach einem an<strong>de</strong>ren Kloster versetzt und unter strenger<br />

Aufsicht auf seine Zelle beschränkt.<br />

Zum Schrecken seiner neuen Hüter bekannten sich bald mehrere <strong>de</strong>r Mönche zum<br />

Protestantismus. Durch das Gitter seiner Zelle hindurch sprechend, hatte Tausen seine<br />

Gefährten zur Erkenntnis <strong>de</strong>r Wahrheit gebracht. Wären diese dänischen Väter mit <strong>de</strong>r Art<br />

und Weise bewan<strong>de</strong>rt gewesen, wie die Kirche mit <strong>de</strong>r Ketzerei umging, so wäre Tausens<br />

Stimme nie wie<strong>de</strong>r gehört wor<strong>de</strong>n; statt ihm <strong>de</strong>m Grabe in irgen<strong>de</strong>inem unterirdischen<br />

Kerker zu übergeben, jagten sie ihn aus <strong>de</strong>m Kloster. Nun waren sie machtlos. Ein soeben<br />

veröffentlichter königlicher Erlaß bot <strong>de</strong>n Verkündigern <strong>de</strong>r neuen Lehre Schutz, und<br />

Tausen begann zu predigen. Die Kirchen öffneten sich ihm, und das Volk strömte herzu, ihn<br />

zu hören. Auch an<strong>de</strong>re predigten das Wort Gottes. Das Neue Testament in dänischer<br />

Sprache wur<strong>de</strong> überall verbreitet. Die Anstrengungen <strong>de</strong>r Päpstlichen, das Werk zu stürzen,<br />

bewirkte nur seine weitere Aus<strong>de</strong>hnung, und es dauerte nicht lange, bis Dänemark offiziell<br />

<strong>de</strong>n reformierten Glauben annahm.<br />

Auch in Schwe<strong>de</strong>n brachten junge Männer, die von <strong>de</strong>r Quelle Wittenbergs getrunken<br />

hatten, das Wasser <strong>de</strong>s Lebens zu ihren Landsleuten. Zwei <strong>de</strong>r ersten För<strong>de</strong>rer <strong>de</strong>r<br />

schwedischen Reformbestrebungen, die Brü<strong>de</strong>r Olaus und Lorenz Petri, Söhne eines<br />

Schmie<strong>de</strong>s in Oerebro, hatten unter Luther und Melanchthon studiert und lehrten nun eifrig<br />

die Wahrheit, die ihnen auf diese Weise bekannt gewor<strong>de</strong>n war. Gleich <strong>de</strong>m großen<br />

Reformator weckte Olaus das Volk durch seinen Eifer und durch seine Beredsamkeit auf,<br />

während Lorenz sich wie Melanchthon durch Gelehrsamkeit, Denkkraft und Ruhe<br />

auszeichnete. Bei<strong>de</strong> waren Männer von glühen<strong>de</strong>r Frömmigkeit, vorzüglichen theologischen<br />

Kenntnissen und unerschütterlichem Mut bei <strong>de</strong>r Verbreitung <strong>de</strong>r Wahrheit. An päpstlichem<br />

Wi<strong>de</strong>rstand fehlte es nicht. Die katholischen Priester wiegelten das unwissen<strong>de</strong> und<br />

abergläubische Volk auf. Olaus Petri wur<strong>de</strong> oft von <strong>de</strong>r Menge angegriffen und kam<br />

verschie<strong>de</strong>ntlich nur knapp mit <strong>de</strong>m Leben davon. Diese Reformatoren wur<strong>de</strong>n jedoch vom<br />

König beschützt und begünstigt.<br />

165


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Unter <strong>de</strong>r Herrschaft <strong>de</strong>r römischen Kirche war das Volk in Armut versunken und durch<br />

Unterdrückung geplagt. Es besaß keine Heilige Schrift, hatte aber eine Religion, <strong>de</strong>ren<br />

Inhalt in Bil<strong>de</strong>rn und Zeremonien bestand, die jedoch <strong>de</strong>m Gemüt kein Licht zuführten, so<br />

daß es zum Aberglauben und zu <strong>de</strong>n Gewohnheiten seiner heidnischen Vorfahren<br />

zurückkehrte. Das Volk teilte sich in streiten<strong>de</strong> Parteien, <strong>de</strong>ren endlose Kämpfe das Elend<br />

aller vermehrten. Der König entschloß sich zu einer Reformation in Staat und Kirche und<br />

begrüßte diese fähigen Helfer (die Brü<strong>de</strong>r Petri) im Kampfe gegen Rom.<br />

In Gegenwart <strong>de</strong>s Königs und <strong>de</strong>r ersten Männer Schwe<strong>de</strong>ns verteidigte Olaus Petri sehr<br />

geschickt die Lehren <strong>de</strong>s reformierten Glaubens gegen die Verfechter Roms. Olaus erklärte,<br />

daß die Lehren <strong>de</strong>r Kirchenväter nur angenommen wer<strong>de</strong>n dürften, wenn sie mit <strong>de</strong>r<br />

Heiligen Schrift übereinstimmten, und fügte hinzu, alle wesentlichen Glaubenslehren seien<br />

in <strong>de</strong>r Bibel in so klarer und einfacher Weise dargestellt wor<strong>de</strong>n, daß alle Menschen sie<br />

verstehen könnten. Christus sagte: „Meine Lehre ist nicht mein, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s, <strong>de</strong>r mich<br />

gesandt hat.“ Johannes 7,16. Und Paulus erklärte, daß er verflucht wäre, falls er ein an<strong>de</strong>res<br />

Evangelium predigte als jenes, das er empfangen hatte. Galater 1,8. „Wie <strong>de</strong>nn“, sagte <strong>de</strong>r<br />

Reformator, „sollen an<strong>de</strong>re sich anmaßen, nach ihrem Wohlgefallen Lehrsätze aufzustellen<br />

und sie als zur Seligkeit notwendige Dinge aufzubür<strong>de</strong>n?“ Er zeigte, daß die Erlasse <strong>de</strong>r<br />

Kirche keine Autorität besitzen, wenn sie <strong>de</strong>n Geboten Gottes zuwi<strong>de</strong>rlaufen, und hielt <strong>de</strong>n<br />

maßgeben<strong>de</strong>n protestantischen Grundsatz aufrecht, daß die Heilige Schrift, und nur die<br />

Heilige Schrift, Richtschnur <strong>de</strong>s Glaubens und <strong>de</strong>s Wan<strong>de</strong>ls sei.<br />

Obgleich dieser Kampf auf einem verhältnismäßig unbekannten Schauplatz vor sich<br />

ging, zeigt er uns doch, „aus welchen Männern das Heer <strong>de</strong>r Reformatoren bestand. Es<br />

waren keine ungebil<strong>de</strong>ten sektiererischen, lärmen<strong>de</strong>n Wortfechter — weit davon entfernt; es<br />

waren Männer, die das Wort Gottes studiert hatten und wohl verstan<strong>de</strong>n, die Waffen zu<br />

führen, mit <strong>de</strong>nen die Rüstkammer <strong>de</strong>r Bibel sie versehen hatte. Bezüglich <strong>de</strong>r Ausbildung<br />

waren sie ihrer Zeit weit voraus. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf solch glänzen<strong>de</strong><br />

Mittelpunkte wie Wittenberg und Zürich und auf solch glorreiche Namen wie die Luthers<br />

und Melanchthons, Zwinglis und Ökolampads richten, so könnte man uns sagen, das seien<br />

die Leiter <strong>de</strong>r Bewegung, und wir wür<strong>de</strong>n natürlicherweise eine ungeheure Kraft und große<br />

Errungenschaft bei ihnen erwarten; die Untergeordneten hingegen seien ihnen nicht gleich.<br />

Wen<strong>de</strong>n wir uns aber <strong>de</strong>m ent legenen Schauplatz Schwe<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n schlichten Namen Olaus<br />

und Lorenz Petri zu — von <strong>de</strong>n Meistern zu <strong>de</strong>n Jüngern —, so fin<strong>de</strong>n wir <strong>de</strong>sgleichen<br />

Gelehrte und Theologen, Männer, die gründlich die gesamte Evangeliumswahrheit kennen<br />

und einen leichten Sieg über die Sophisten <strong>de</strong>r Schulen und die Wür<strong>de</strong>nträger Roms<br />

gewinnen.“<br />

Als Ergebnis dieser Aussprache nahm <strong>de</strong>r König von Schwe<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n protestantischen<br />

Glauben an. Bald darauf bekannte sich auch die Nationalversammlung zur Reformation.<br />

Das Neue Testament war von Olaus Petri ins Schwedische übersetzt wor<strong>de</strong>n. Auf Wunsch<br />

<strong>de</strong>s Königs übernahmen die bei<strong>de</strong>n Brü<strong>de</strong>r die Übersetzung <strong>de</strong>r ganzen Bibel. So erhielt das<br />

166


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

schwedische Volk zum erstenmal das Wort Gottes in seiner Muttersprache. Der Reichstag<br />

ordnete an, daß im ganzen Lan<strong>de</strong> Prediger die Bibel auslegen sollten. Auch die Kin<strong>de</strong>r in<br />

<strong>de</strong>r Schule sollten unterrichtet wer<strong>de</strong>n, darin zu lesen. Allmählich aber sicher wur<strong>de</strong> das<br />

Dunkel <strong>de</strong>r Unwissenheit und <strong>de</strong>s Aberglaubens durch das herrliche Licht <strong>de</strong>s Evangeliums<br />

zerteilt. Von <strong>de</strong>r römischen Unterdrückung befreit, stieg die Nation zu einer Stärke und<br />

Größe empor, die sie noch nie zuvor erreicht hatte. Schwe<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong> eines <strong>de</strong>r Bollwerke<br />

<strong>de</strong>s Protestantismus. Ein Jahrhun<strong>de</strong>rt später, in einer Zeit höchster Gefahr, kam diese kleine<br />

und bis dahin schwache Nation — die einzige in Europa, die es wagte, eine retten<strong>de</strong> Hand<br />

auszustrecken — Deutschland in <strong>de</strong>n schrecklichen Kämpfen <strong>de</strong>s Dreißigjährigen Krieges<br />

zu Hilfe. Das ganze nördliche Europa schien so weit zu sein, daß es wie<strong>de</strong>r unter die<br />

Gewaltherrschaft Roms gebracht wer<strong>de</strong>n könnte. Da waren es die schwedischen Truppen,<br />

die es Deutschland ermöglichten, die Zeit <strong>de</strong>r römischen Erfolge zu wen<strong>de</strong>n, Duldung für<br />

die Protestanten Reformierte wie Lutheraner, zu erringen, und <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn, die die<br />

Reformation angenommen hatten, die Gewissensfreiheit wie<strong>de</strong>rzugeben.<br />

167


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 14- Spätere englische Reformatoren<br />

Während Luther <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utschen Volk die Bibel erschloß, wur<strong>de</strong> Tyndale vom Geist<br />

Gottes angetrieben, das gleiche für England zu tun. Wiklifs Bibel war aus <strong>de</strong>m lateinischen<br />

Text übersetzt wor<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r viele Irrtümer enthielt. Man hatte sie nie gedruckt; und <strong>de</strong>r Preis<br />

eines geschriebenen Exemplars war so hoch, daß außer <strong>de</strong>n Reichen o<strong>de</strong>r Adligen nur<br />

wenige sie sich verschaffen konnten. Da die Kirche sie überdies aufs schärfste geächtet hatte,<br />

war diese Ausgabe nur verhältnismäßig wenig verbreitet. Im Jahre 1516, ein Jahr vor<br />

Luthers Thesenanschlag, hatte Erasmus seine griechische und lateinische Fassung <strong>de</strong>s<br />

Neuen Testaments veröffentlicht, und damit wur<strong>de</strong> das Wort Gottes zum erstenmal in <strong>de</strong>r<br />

Ursprache gedruckt. In diesem Werk sind viele Irrtümer <strong>de</strong>r früheren Fassungen berichtigt<br />

und <strong>de</strong>r Sinn <strong>de</strong>utlicher wie<strong>de</strong>rgegeben. Dies führte viele <strong>de</strong>r gebil<strong>de</strong>ten Klassen zu einem<br />

besseren Verständnis <strong>de</strong>r Wahrheit und gab <strong>de</strong>n reformatorischen Bestrebungen neuen<br />

Auftrieb. Doch <strong>de</strong>n meisten Menschen aus <strong>de</strong>m gewöhnlichen Volk war das Wort Gottes<br />

noch immer unzugänglich. Tyndale sollte Wiklifs Werk vollen<strong>de</strong>n und seinen Landsleuten<br />

die Bibel geben.<br />

Als eifriger Schüler, <strong>de</strong>r ernstlich nach Wahrheit suchte, hatte er das Evangelium aus<br />

<strong>de</strong>m griechischen Neuen Testament <strong>de</strong>s Erasmus empfangen. Furchtlos predigte er seine<br />

Überzeugung und drang darauf, alle Lehren durch das Wort Gottes zu prüfen. Auf die<br />

päpstliche Behauptung, daß die Kirche die Bibel gegeben habe und sie allein erklären könne,<br />

sagte Tyndale: „Wer hat <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>n Adler gelehrt, seine Beute zu fin<strong>de</strong>n? Derselbe Gott lehrt<br />

seine hungrigen Kin<strong>de</strong>r ihren Vater in seinem Worte fin<strong>de</strong>n. Nicht ihr habt uns die Schrift<br />

gegeben, vielmehr habt ihr sie uns vorenthalten; ihr seid es, die solche verbrennen, die sie<br />

predigen, ja ihr wür<strong>de</strong>t die Schrift selbst verbrennen, wenn ihr könntet.“<br />

Tyndales Predigten machten großen Eindruck; viele nahmen die Wahrheit an. Aber die<br />

Priester waren auf <strong>de</strong>r Hut, und sobald er das Feld verlassen hatte, versuchten sie mit ihren<br />

Drohungen und Entstellungen sein Werk zu vernichten. Nur zu oft gelang es ihnen. „Was<br />

soll ich tun?“ rief Tyndale aus. „Während ich hier säe, reißt <strong>de</strong>r Feind dort wie<strong>de</strong>r alles aus,<br />

wo ich gera<strong>de</strong> herkomme. Ich kann nicht überall zugleich sein. Oh, daß die Christen die<br />

Heilige Schrift in ihrer Sprache besäßen, so könnten sie <strong>de</strong>n Sophisten selbst wi<strong>de</strong>rstehen!<br />

Ohne die Bibel ist es unmöglich, die Laien in <strong>de</strong>r Wahrheit zu grün<strong>de</strong>n.“<br />

Ein neuer Vorsatz reifte jetzt in ihm. Er sagte: „In Israels eigener Sprache erschollen die<br />

Psalmen im Tempel <strong>de</strong>s Herrn, und das Evangelium sollte unter uns nicht re<strong>de</strong>n dürfen in<br />

<strong>de</strong>r Sprache Englands? Die Kirche sollte weniger Licht haben jetzt im hohen Mittag als<br />

ehemals in <strong>de</strong>n ersten Stun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Dämmerung? Das Neue Testament muß in <strong>de</strong>r<br />

Volkssprache gelesen wer<strong>de</strong>n können.“ (D‘Aubigné, „Geschichte <strong>de</strong>r Reformation“,<br />

18.Buch, 4.Abschnitt) Die Doktoren und Lehrer <strong>de</strong>r Kirche stimmten nicht miteinan<strong>de</strong>r<br />

überein. Nur durch die Heilige Schrift konnte das Volk zur Wahrheit gelangen. Der eine<br />

168


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

hatte diese Lehre, <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re jene; ein Gelehrter wi<strong>de</strong>rsprach <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn. „Wie sollen wir<br />

da das Wahre vom Falschen unterschei<strong>de</strong>n? Allein durch das Wort Gottes.“<br />

Nicht lange danach erklärte ein katholischer Gelehrter, mit <strong>de</strong>m er in eine<br />

Auseinan<strong>de</strong>rsetzung geriet, daß es besser wäre, ohne das Gesetz Gottes als ohne das Gesetz<br />

<strong>de</strong>s Papstes zu sein, worauf Tyndale erwi<strong>de</strong>rte: „Ich trotze <strong>de</strong>m Papst samt all seinen<br />

Gesetzen. Wenn Gott mir das Leben schenkt, so soll in wenig Jahren ein Bauernknecht, <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>n Pflug führt, die Schrift noch besser verstehen als ich.“ Er wur<strong>de</strong> in seiner Absicht, die<br />

Heilige Schrift in seiner eigenen Sprache zu schaffen, dadurch bestärkt, und sofort begab er<br />

sich an die Arbeit. Durch die Verfolgung aus <strong>de</strong>r Heimat vertrieben, ging er nach London<br />

und arbeitete dort eine Zeitlang ungestört. Aber wie<strong>de</strong>rum zwang ihn die Gewalttätigkeit <strong>de</strong>r<br />

Päpstlichen zur Flucht. Ganz England schien ihm verschlossen zu sein, und er entschied sich,<br />

in Deutschland Zuflucht zu suchen. Hier begann er das englische Neue Testament zu<br />

drucken. Zweimal wur<strong>de</strong> sein Vorhaben aufgehalten; und wenn es ihm verboten wur<strong>de</strong>, in<br />

einer Stadt zu drucken, ging er in eine an<strong>de</strong>re. Schließlich kam er nach Worms, wo Luther<br />

wenige Jahre zuvor das Evangelium vor <strong>de</strong>m Reichstag verteidigt hatte. In jener alten Stadt<br />

lebten viele Freun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Reformation, und Tyndale setzte dort sein Werk ohne weitere<br />

Behin<strong>de</strong>rungen fort. Dreitausend Exemplare <strong>de</strong>s Neuen Testaments waren bald fertig, und<br />

eine neue Auflage folgte noch im selben Jahre.<br />

Mit großem Eifer und unermüdlicher Ausdauer führte er seine Arbeit fort. Obwohl die<br />

englischen Behör<strong>de</strong>n ihre Häfen mit größter Wachsamkeit hüteten, gelangte das Wort<br />

Gottes auf verschie<strong>de</strong>ne Weise heimlich nach London. Von dort aus wur<strong>de</strong> es über das<br />

ganze Land verbreitet. Die Päpstlichen suchten die Wahrheit zu unterdrücken, aber<br />

vergebens. Der Bischof von Durham kaufte einmal von einem Buchhändler, <strong>de</strong>r ein Freund<br />

Tyndales war, seinen ganzen Vorrat an Bibeln auf, um sie zu vernichten, in <strong>de</strong>r Meinung,<br />

daß dadurch das Werk gehin<strong>de</strong>rt wür<strong>de</strong>. Doch mit <strong>de</strong>m auf diese Weise gewonnenen Geld<br />

wur<strong>de</strong> das Material zu einer neuen und verbesserten Auflage gekauft, die sonst nicht hätte<br />

erscheinen können. Als Tyndale später gefangengesetzt wur<strong>de</strong>, bot man ihm die Freiheit<br />

unter <strong>de</strong>r Bedingung an, daß er die Namen <strong>de</strong>rer angäbe, die ihm geholfen hatten, die<br />

Ausgaben für <strong>de</strong>n Druck seiner Bibeln zu bestreiten. Er antwortete, daß <strong>de</strong>r Bischof von<br />

Durham mehr getan habe als sonst jemand; <strong>de</strong>nn da dieser für die vorrätigen Bücher einen<br />

hohen Preis bezahlt habe, sei er, Tyndale, in die Lage versetzt wor<strong>de</strong>n, guten Mutes<br />

weiterzuarbeiten.<br />

Tyndale wur<strong>de</strong> seinen Fein<strong>de</strong>n in die Hän<strong>de</strong> gespielt und mußte viele Monate im Kerker<br />

zubringen. Schließlich bezeugte er seinen Glauben mit <strong>de</strong>m Märtyrertod; doch die von ihm<br />

zubereiteten Waffen haben an<strong>de</strong>re Streiter befähigt, <strong>de</strong>n Kampf durch alle Jahrhun<strong>de</strong>rte<br />

hindurch bis in unsere Zeit weiterzuführen. Latimer verfocht von <strong>de</strong>r Kanzel herab die<br />

Auffassung, daß die Bibel in <strong>de</strong>r Sprache <strong>de</strong>s Volkes gelesen wer<strong>de</strong>n müsse. „Der Urheber<br />

<strong>de</strong>r Heiligen Schrift“, sagte er, „ist Gott selbst, und diese Schrift hat einen Anteil an <strong>de</strong>r<br />

Macht und Ewigkeit ihres Urhebers. Es gibt we<strong>de</strong>r Könige, Kaiser, Obrigkeiten noch<br />

169


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Herrscher, ... die nicht gebun<strong>de</strong>n wären, ... seinem heiligen Wort zu gehorchen ... Laßt uns<br />

keine Nebenwege einschlagen, son<strong>de</strong>rn laßt das Wort Gottes uns leiten; laßt uns nicht<br />

unsern Vätern nachfolgen und auf das sehen, was sie getan haben, son<strong>de</strong>rn auf das, was sie<br />

hätten tun sollen.“<br />

Barnes und Frith, die treuen Freun<strong>de</strong> Tyndales, erhoben sich, um die Wahrheit zu<br />

verteidigen. Ihnen folgten die Gebrü<strong>de</strong>r Ridley und Cranmer. Diese führen<strong>de</strong>n Köpfe in <strong>de</strong>r<br />

englischen Reformationsbewegung galten als gebil<strong>de</strong>te Männer, und die meisten von ihnen<br />

waren ihres Eifers o<strong>de</strong>r ihrer Frömmigkeit wegen in <strong>de</strong>r römischen Kirche hoch geachtet<br />

gewesen. Ihr Wi<strong>de</strong>rstand gegen das Papsttum rührte daher, daß sie die Irrtümer <strong>de</strong>s<br />

„Heiligen Stuhles“ kannten. Ihre Kenntnis <strong>de</strong>r Geheimnisse Babylons verlieh ihrem Zeugnis<br />

gegen ihre Macht um so größeres Gewicht.<br />

„Ich muß euch eine seltsame Frage stellen“, sagte Latimer, „wißt ihr, wer <strong>de</strong>r eifrigste<br />

Bischof und Prälat in England ist? ... Ich sehe, ihr horcht und wartet auf seinen Namen ...<br />

Ich will ihn nennen: Es ist <strong>de</strong>r Teufel ... Er entfernt sich nie aus seinem Kirchsprengel; ...<br />

sucht ihn, wann ihr wollt, er ist immer zu Hause, ... er ist stets bei <strong>de</strong>r Arbeit ... Ihr wer<strong>de</strong>t<br />

ihn nie träge fin<strong>de</strong>n, dafür bürge ich euch ... Wo <strong>de</strong>r Teufel wohnt, ... dort weg mit <strong>de</strong>n<br />

Büchern, und Kerzen herbei; weg mit <strong>de</strong>n Bibeln, und Rosenkränze herbei; weg mit <strong>de</strong>m<br />

Licht <strong>de</strong>s Evangeliums, und Wachsstöcke hoch, ja sogar am hellen Mittag; ... nie<strong>de</strong>r mit<br />

<strong>de</strong>m Kreuz Christi, es lebe das Fegefeuer, das die Tasche leert; ... hinweg mit <strong>de</strong>m<br />

Beklei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Nackten, Armen und Lahmen; herbei mit <strong>de</strong>r Verzierung von Bil<strong>de</strong>rn und <strong>de</strong>r<br />

bunten Schmückung von Stock und Stein; herbei mit menschlichen Überlieferungen und<br />

Gesetzen; nie<strong>de</strong>r mit Gottes Einrichtungen und seinem allerheiligsten Worte ... Oh, daß<br />

unsere Prälaten so eifrig wären, die Körner guter Lehre auszustreuen, wie Satan fleißig ist,<br />

allerlei Unkraut zu säen!“<br />

Die unfehlbare Autorität und Macht <strong>de</strong>r Heiligen Schrift als Richtschnur <strong>de</strong>s Glaubens<br />

und <strong>de</strong>s Wan<strong>de</strong>ls war <strong>de</strong>r große, von diesen Reformatoren aufgestellte Grundsatz, <strong>de</strong>n auch<br />

die Wal<strong>de</strong>nser, <strong>de</strong>n Wiklif, Jan Hus, Luther, Zwingli und ihre Mitarbeiter hochgehalten<br />

hatten. Sie verwarfen die Anmaßung <strong>de</strong>s Papstes, <strong>de</strong>r Konzilien, <strong>de</strong>r Väter und <strong>de</strong>r Könige,<br />

in religiösen Dingen das Gewissen zu beherrschen. Die Bibel war ihnen Autorität, und mit<br />

ihren Lehren prüften sie alle Lehrsätze und Ansprüche. Der Glaube an Gott und sein Wort<br />

stärkte diese heiligen Männer, als ihr Leben auf <strong>de</strong>m Scheiterhaufen en<strong>de</strong>te. „Sei guten<br />

Mutes“, rief Latimer seinem Lei<strong>de</strong>nsgefährten zu, als die Flammen begannen, ihre Stimme<br />

zum Schweigen zu bringen, „wir wer<strong>de</strong>n heute durch Gottes Gna<strong>de</strong> ein Licht in England<br />

anzün<strong>de</strong>n, das, wie ich hoffe, nie ausgelöscht wer<strong>de</strong>n wird.“<br />

In Schottland war <strong>de</strong>r von Columban und seinen Mitarbeitern ausgestreute Same <strong>de</strong>r<br />

Wahrheit nie völlig vernichtet wor<strong>de</strong>n. Nach<strong>de</strong>m sich die Kirchen Englands Rom<br />

unterworfen hatten, hielten jene in Schottland jahrhun<strong>de</strong>rtelang ihre Freiheit aufrecht. Im<br />

zwölften Jahrhun<strong>de</strong>rt jedoch faßte das Papsttum auch hier Fuß, und in keinem Lan<strong>de</strong> hat es<br />

eine unumschränktere Herrschaft ausgeübt als in Schottland. Nirgends war die Finsternis<br />

170


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

dichter. Dennoch kamen auch Strahlen <strong>de</strong>s Lichts dahin, um das Dunkel zu durchdringen<br />

und <strong>de</strong>n kommen<strong>de</strong>n Tag anzukün<strong>de</strong>n. Die mit <strong>de</strong>r Heiligen Schrift und <strong>de</strong>n Lehren Wiklifs<br />

aus England kommen<strong>de</strong>n Lollar<strong>de</strong>n trugen viel dazu bei, die Kenntnis <strong>de</strong>s Evangeliums zu<br />

erhalten. Je<strong>de</strong>s Jahrhun<strong>de</strong>rt hatte somit seine Zeugen und Märtyrer.<br />

Am Anfang <strong>de</strong>r großen Reformation erschienen Luthers Schriften; wenig später<br />

Tyndales Neues Testament in englischer Sprache. Unbemerkt von <strong>de</strong>r Priesterschaft<br />

wan<strong>de</strong>rten diese Boten schweigend über Berge und Täler, fachten, wo sie auch hinkamen,<br />

die Fackel <strong>de</strong>r Wahrheit, die in Schottland nahezu ausgegangen war, zu neuer Flamme an<br />

und machten das Werk <strong>de</strong>r Unterdrückung zunichte, das Rom vier Jahrhun<strong>de</strong>rte hindurch<br />

getrieben hatte. Dann gab das Blut <strong>de</strong>r Märtyrer <strong>de</strong>r Bewegung neuen Auftrieb. Die<br />

päpstlichen Anführer, die plötzlich zur Erkenntnis <strong>de</strong>r ihrer Sache drohen<strong>de</strong>n Gefahr kamen,<br />

brachten etliche <strong>de</strong>r e<strong>de</strong>lsten und gelehrtesten Söhne Schottlands auf <strong>de</strong>n Scheiterhaufen.<br />

Sie errichteten aber damit nur eine Kanzel, von <strong>de</strong>r aus die Worte <strong>de</strong>r sterben<strong>de</strong>n<br />

Zeugen im ganzen Lan<strong>de</strong> zu hören waren, die das Herz <strong>de</strong>s Volkes mit einem<br />

unerschütterlichen Vorsatz erfüllten: die Fesseln <strong>de</strong>r römischen Herrschaft abzustreifen.<br />

Hamilton und Wishart, zwei junge Menschen von adligem Geschlecht und ebensolchem<br />

Charakter, gaben mit einer großen Anzahl geringerer Jünger ihr Leben auf <strong>de</strong>m<br />

Scheiterhaufen hin. Aber aus <strong>de</strong>m brennen<strong>de</strong>n Scheiterhaufen Wisharts ging einer hervor,<br />

<strong>de</strong>n die Flammen nicht zum Schweigen bringen sollten, einer, <strong>de</strong>m mit Gottes Beistand<br />

bestimmt war, <strong>de</strong>m Papsttum in Schottland die Sterbeglocke zu läuten.<br />

John Knox hatte sich von <strong>de</strong>n Überlieferungen und <strong>de</strong>m Wun<strong>de</strong>rglauben <strong>de</strong>r Kirche<br />

abgewandt, um von <strong>de</strong>n Wahrheiten <strong>de</strong>s Wortes Gottes zu leben. Wisharts Lehren hatten<br />

seinen Entschluß bestärkt, die Gemeinschaft Roms zu verlassen und sich <strong>de</strong>n verfolgten<br />

Reformatoren anzuschließen. Von seinen Gefährten gebeten, das Amt eines Predigers<br />

anzunehmen, schreckte er zaghaft vor <strong>de</strong>ssen Verantwortung zurück. In <strong>de</strong>r<br />

Abgeschie<strong>de</strong>nheit rang er tagelang mit sich selbst, ehe er einwilligte. Nach<strong>de</strong>m er diese<br />

Stellung einmal angenommen hatte, drängte er mit unbeugsamer Entschlossenheit und<br />

unverzagtem Mut vorwärts, solange er lebte. Dieser unerschrockene Reformator fürchtete<br />

keine Menschen. Die Feuer <strong>de</strong>s Märtyrertums, die um ihn herum auflo<strong>de</strong>rten, dienten nur<br />

dazu, seinen Eifer um so mehr anzufachen. Ungeachtet <strong>de</strong>s drohend über seinem Haupte<br />

schweben<strong>de</strong>n Henkersbeils <strong>de</strong>s Tyrannen behauptete er seine Stellung und teilte nach rechts<br />

und nach links kräftige Schläge aus, um <strong>de</strong>n Götzendienst zu zertrümmern.<br />

Als er <strong>de</strong>r Königin von Schottland, in <strong>de</strong>ren Gegenwart <strong>de</strong>r Eifer vieler führen<strong>de</strong>r<br />

protestantischer Männer abgenommen hatte, gegenübertrat, zeugte John Knox<br />

unerschütterlich für die Wahrheit. Er war nicht durch Schmeicheleien zu gewinnen; er<br />

verzagte nicht vor Drohungen. Die Königin beschuldigte ihn <strong>de</strong>r Ketzerei. Sie erklärte, er<br />

habe das Volk verleitet, eine vom Staat verbotene Religion anzunehmen und damit Gottes<br />

Gebot, das <strong>de</strong>n Untertanen befehle, ihren Fürsten zu gehorchen, übertreten. Knox antwortete<br />

fest:<br />

171


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

„Da die richtige Religion we<strong>de</strong>r ihren Ursprung noch ihre Autorität von weltlichen<br />

Fürsten, son<strong>de</strong>rn von <strong>de</strong>m ewigen Gott allein erhielt, so sind die Untertanen nicht<br />

gezwungen, ihren Glauben nach <strong>de</strong>m Geschmack ihrer Fürsten zu richten. Denn oft kommt<br />

es vor, daß die Fürsten vor allen an<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r wahren Religion am allerunwissendsten<br />

sind ... Hätte aller Same Abrahams die Religion Pharaos angenommen, <strong>de</strong>ssen Untertanen<br />

sie lange waren, welche Religion, ich bitte Sie, Madame, wür<strong>de</strong> dann in <strong>de</strong>r Welt gewesen<br />

sein? O<strong>de</strong>r wenn in <strong>de</strong>n Tagen <strong>de</strong>r Apostel alle Menschen die Religion <strong>de</strong>r römischen Kaiser<br />

gehabt hätten, welche Religion wür<strong>de</strong> dann auf Er<strong>de</strong>n gewesen sein? ... Und so, Madame,<br />

können Sie sehen, daß Untertanen nicht von <strong>de</strong>r Religion ihrer Fürsten abhängen, wenn<br />

ihnen auch geboten wird, ihnen Ehrfurcht zu erzeigen.“<br />

Da sagte Maria: „Ihr legt die Heilige Schrift auf diese Weise aus, sie (die römischen<br />

Lehrer) auf eine an<strong>de</strong>re; wem soll ich glauben, und wer soll Richter sein?“ „Sie sollen Gott<br />

glauben, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utlich spricht in seinem Worte“, antwortete <strong>de</strong>r Reformator, „und weiter als<br />

das Wort lehrt, brauchen Sie we<strong>de</strong>r das eine noch das an<strong>de</strong>re zu glauben. Das Wort Gottes<br />

ist klar in sich selbst, und wenn irgen<strong>de</strong>ine Stelle dunkel ist, so erklärt <strong>de</strong>r Heilige Geist, <strong>de</strong>r<br />

sich nie wi<strong>de</strong>rspricht, sie <strong>de</strong>utlicher an an<strong>de</strong>rn Stellen, so daß kein Zweifel obwalten kann,<br />

es sei <strong>de</strong>nn für die, welche hartnäckig unwissend sind.“<br />

Solche Wahrheiten verkün<strong>de</strong>te <strong>de</strong>r furchtlose Reformator unter Lebensgefahr vor <strong>de</strong>n<br />

Ohren seiner Regentin. Mit <strong>de</strong>m gleichen unerschrockenen Mut hielt er an seinem Vorhaben<br />

fest und betete und kämpfte für <strong>de</strong>n Herrn so lange, bis Schottland vom Papsttum frei war.<br />

In England wur<strong>de</strong> durch die Einführung <strong>de</strong>s Protestantismus als Staatsreligion die<br />

Verfolgung zwar vermin<strong>de</strong>rt, aber nicht völlig zum Stillstand gebracht. Während man vielen<br />

Lehren Roms absagte, blieben nicht wenige seiner Gebräuche erhalten. Die oberste<br />

Autorität <strong>de</strong>s Papstes wur<strong>de</strong> verworfen, aber an seiner Stelle wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>sherr als<br />

Haupt <strong>de</strong>r Kirche eingesetzt. Der Gottesdienst wich noch immer erheblich von <strong>de</strong>r Reinheit<br />

und Einfachheit <strong>de</strong>s Evangeliums ab. Der große Grundsatz religiöser Freiheit wur<strong>de</strong> noch<br />

nicht verstan<strong>de</strong>n. Wenn auch die schrecklichen Grausamkeiten, die Rom gegen die Ketzerei<br />

angewandt hatte, von protestantischen Herrschern nur selten ausgeübt wur<strong>de</strong>n, so<br />

anerkannte man doch nicht das Recht eines je<strong>de</strong>n einzelnen, Gott nach seinem eigenen<br />

Gewissen zu verehren. Von allen wur<strong>de</strong> verlangt, die Lehren anzunehmen und die<br />

gottesdienstlichen Formen zu beachten, welche die Staatskirche vorschrieb.<br />

An<strong>de</strong>rs<strong>de</strong>nken<strong>de</strong> waren mehr o<strong>de</strong>r weniger <strong>de</strong>r Verfolgung ausgesetzt. Jahrhun<strong>de</strong>rtelang<br />

blieben diese Metho<strong>de</strong>n bestehen.<br />

Im 17.Jahrhun<strong>de</strong>rt wur<strong>de</strong>n Tausen<strong>de</strong> von Predigern aus ihren Ämtern vertrieben. Dem<br />

Volk war es bei Androhung schwerer Geldbußen, von Gefängnis und Verbannung untersagt,<br />

irgendwelche religiöse Versammlungen zu besuchen, die die Kirche nicht genehmigt hatte.<br />

Jene treuen Seelen, die sich nicht enthalten konnten, zur Anbetung Gottes<br />

zusammenzukommen, waren genötigt, sich in dunklen Gassen, in finsteren Bo<strong>de</strong>nkammern<br />

und zu gewissen Jahreszeiten mitternachts in <strong>de</strong>n Wäl<strong>de</strong>rn zu versammeln. In <strong>de</strong>n<br />

172


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

schützen<strong>de</strong>n Tiefen <strong>de</strong>s Wal<strong>de</strong>s, <strong>de</strong>m von Gott selbst erbauten Tempel, kamen jene<br />

zerstreuten und verfolgten Kin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Herrn zusammen, um in Gebet und Lobpreis ihre<br />

Herzen auszuschütten. Aber ungeachtet all ihrer Vorsichtsmaßregeln mußten viele um ihres<br />

Glaubens willen lei<strong>de</strong>n. Die Gefängnisse waren überfüllt, Familien wur<strong>de</strong>n getrennt, und<br />

viele Menschen aus <strong>de</strong>m Lan<strong>de</strong> vertrieben. Doch Gott hielt zu seinem Volk, und die<br />

Verfolgung vermochte <strong>de</strong>ssen Zeugnis nicht zum Schweigen zu bringen. Viele lenkten ihre<br />

Schritte nach Amerika, wo sie <strong>de</strong>n Grundstein zu <strong>de</strong>r bürgerlichen und religiösen Freiheit<br />

legten, die das Bollwerk und <strong>de</strong>r Ruhm jenes Lan<strong>de</strong>s gewesen ist.<br />

Auch hier diente wie in <strong>de</strong>n Tagen <strong>de</strong>r Apostel die Verfolgung <strong>de</strong>r För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s<br />

Evangeliums. In einem abscheulichen, mit Verworfenen und Verbrechern belegten Kerker<br />

schien John Bunyan Himmelsluft zu atmen. Er schrieb dort sein wun<strong>de</strong>rbares Gleichnis von<br />

<strong>de</strong>r Reise <strong>de</strong>s Pilgers aus <strong>de</strong>m Lan<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Ver<strong>de</strong>rbens nach <strong>de</strong>r Himmelsstadt. Länger als<br />

zweihun<strong>de</strong>rt Jahre sprach jene Stimme <strong>de</strong>s Gefangenen zu Bedford mit durchdringen<strong>de</strong>r<br />

Macht zu <strong>de</strong>n Herzen <strong>de</strong>r Menschen. Bunyans „Pilgerreise“ und „Überschwengliche Gna<strong>de</strong><br />

für <strong>de</strong>n größten <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>r“ haben manchen irren<strong>de</strong>n Fuß auf <strong>de</strong>n Weg <strong>de</strong>s Lebens geleitet.<br />

Baxter, Flavel, Alleine und an<strong>de</strong>re talentvolle, gebil<strong>de</strong>te Männer mit tiefer christlicher<br />

Erfahrung erhoben sich zu kühner Verteidigung <strong>de</strong>s Glaubens, „<strong>de</strong>r einmal <strong>de</strong>n Heiligen<br />

übergeben ist“. Judas 3. Das Werk, das diese von <strong>de</strong>n Herrschern dieser Welt verfemten und<br />

geächteten Männer vollbrachten, kann niemals untergehen. Flavels „Brunnquell <strong>de</strong>s<br />

Lebens“ und „Wirkung <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong>“ haben Tausen<strong>de</strong> gelehrt, wie sie ihre Seelen Christus<br />

anbefehlen können. Baxters „Der umgewan<strong>de</strong>lte Pfarrer“ hat sich vielen, die eine<br />

Wie<strong>de</strong>rbelebung <strong>de</strong>s Werkes Gottes wünschten, als Segen erwiesen; seine „Ewige Ruhe <strong>de</strong>r<br />

Heiligen“ hat insofern Erfolg gehabt, als diese Schrift Seelen zu <strong>de</strong>r Ruhe führte, die noch<br />

für das Volk Gottes vorhan<strong>de</strong>n ist.<br />

Hun<strong>de</strong>rt Jahre später erschienen zu einer Zeit großer Finsternis Whitefield und die<br />

Gebrü<strong>de</strong>r Wesley als Lichtträger für Gott. Unter <strong>de</strong>r Herrschaft <strong>de</strong>r Staatskirche war das<br />

Volk einem religiösen Verfall ausgeliefert, <strong>de</strong>r sich vom Hei<strong>de</strong>ntum nur wenig unterschied.<br />

Eine Naturreligion erwies sich als das bevorzugte Studiengebiet <strong>de</strong>r Geistlichkeit und schloß<br />

auch <strong>de</strong>n größten Teil ihrer Theologie ein. Die höheren Klassen verspotteten die<br />

Frömmigkeit und brüsteten sich damit, über solche Schwärmereien, wie sie es nannten,<br />

erhaben zu sein. Die nie<strong>de</strong>ren Stän<strong>de</strong> waren in großer Unwissenheit befangen und <strong>de</strong>m<br />

Laster ergeben, während die Kirche we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Mut noch <strong>de</strong>n Glauben aufbrachte, die in<br />

Verfall geratene Sache <strong>de</strong>r Wahrheit länger zu unterstützen.<br />

Die von Luther so klar und ein<strong>de</strong>utig gelehrte große Wahrheit von <strong>de</strong>r Rechtfertigung<br />

durch <strong>de</strong>n Glauben war nahezu völlig aus <strong>de</strong>n Augen verloren wor<strong>de</strong>n, während <strong>de</strong>r<br />

römische Grundsatz, daß die Seligkeit durch gute Werke erlangt wer<strong>de</strong>, <strong>de</strong>ren Stelle<br />

eingenommen hatte. Whitefield und die bei<strong>de</strong>n Wesleys, die Glie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>skirche<br />

waren, suchten aufrichtig nach <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong> Gottes, die, wie man sie gelehrt hatte, durch ein<br />

173


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

tugendhaftes Leben und durch die Beachtung <strong>de</strong>r religiösen Verordnungen erlangt wer<strong>de</strong>n<br />

konnte.<br />

Als Charles Wesley einst erkrankte und seinen Tod erwartete, wur<strong>de</strong> er gefragt, worauf<br />

er seine Hoffnung auf ein ewiges Leben stütze. Seine Antwort lautete: „Ich habe mich nach<br />

Kräften bemüht, Gott zu dienen.“ Als <strong>de</strong>r Freund, <strong>de</strong>r ihm die Frage gestellt hatte, mit seiner<br />

Antwort nicht völlig zufrie<strong>de</strong>n zu sein schien, dachte Wesley: „Sind meine Bemühungen<br />

nicht ein genügen<strong>de</strong>r Grund <strong>de</strong>r Hoffnung? Wür<strong>de</strong> er mir diese rauben, so hätte ich nichts<br />

an<strong>de</strong>res, worauf ich vertrauen könnte.“ Derart dicht war die Finsternis, die sich auf die<br />

Kirche gesenkt hatte, welche die Versöhnung verbarg, Christus seiner Ehre beraubte, und<br />

<strong>de</strong>n Geist <strong>de</strong>r Menschen von <strong>de</strong>r einzigen Hoffnung auf die Seligkeit, <strong>de</strong>m Blute <strong>de</strong>s<br />

gekreuzigten Erlöser, abwandte.<br />

Wesley und seine Mitarbeiter kamen zu <strong>de</strong>r Einsicht, daß die wahre Religion im Herzen<br />

wohnt, und daß sich das Gesetz Gottes sowohl auf die Gedanken als auch auf die Worte und<br />

Handlungen erstreckt. Von <strong>de</strong>r Notwendigkeit eines heiligen Herzens und eines rechten<br />

Wan<strong>de</strong>ls überzeugt, trachteten sie jetzt ernstlich nach einem neuen Leben. Durch Fleiß und<br />

Gebet versuchten sie, das Böse ihres natürlichen Herzens zu überwin<strong>de</strong>n. Sie lebten ein<br />

Leben <strong>de</strong>r Selbstverleugnung, Liebe und Demut und beachteten streng und genau je<strong>de</strong><br />

Maßregel, die ihnen zur Erfüllung ihres größten Wunsches — jene Heiligkeit zu erlangen,<br />

welche die Huld Gottes verschaffen kann — dienlich schien. Aber sie erreichten das<br />

vorgesteckte Ziel nicht. Vergebens waren ihre Bemühungen, sich von <strong>de</strong>r Verdammnis <strong>de</strong>r<br />

Sün<strong>de</strong> zu befreien o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>ren Macht zu brechen. Es war das gleiche Ringen, das auch<br />

Luther in seiner Zelle in Erfurt durchzustehen hatte, es war die gleiche Frage, die auch seine<br />

Seele gemartert hatte: „Wie mag ein Mensch gerecht sein bei Gott?“ Hiob 9,2 (Parallelbibel).<br />

Das auf <strong>de</strong>n Altären <strong>de</strong>s Protestantismus nahezu ausgelöschte Feuer <strong>de</strong>r göttlichen<br />

Wahrheit sollte von <strong>de</strong>r alten Fackel, die die böhmischen Christen brennend erhalten hatten,<br />

wie<strong>de</strong>r angezün<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. Nach <strong>de</strong>r Reformation war <strong>de</strong>r Protestantismus in Böhmen von<br />

<strong>de</strong>n römischen Hor<strong>de</strong>n nie<strong>de</strong>rgetreten wor<strong>de</strong>n. Alle, die <strong>de</strong>r Wahrheit nicht entsagen wollten,<br />

wur<strong>de</strong>n zur Flucht gezwungen.Etliche von diesen fan<strong>de</strong>n eine Zuflucht in Sachsen, wo sie<br />

<strong>de</strong>n alten Glauben aufrechterhielten. Über die Nachkommen dieser Christen gelangte das<br />

Licht zu Wesley und seinen Gefährten.<br />

Nach<strong>de</strong>m John und Charles Wesley zum Predigtamt eingesegnet wor<strong>de</strong>n waren, wur<strong>de</strong>n<br />

sie mit einem Missionsauftrag nach Amerika gesandt. An Bord <strong>de</strong>s Schiffes befand sich eine<br />

Gesellschaft mährischer Brü<strong>de</strong>r. Während <strong>de</strong>r Überfahrt gab es heftige Stürme und als John<br />

Wesley <strong>de</strong>n Tod vor Augen sah, fühlte er, daß er nicht die Gewißheit <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns mit Gott<br />

hatte. Die mährischen Brü<strong>de</strong>r hingegen bekun<strong>de</strong>ten eine Ruhe und ein Vertrauen, die ihm<br />

fremd waren.<br />

Er sagte: „Ich hatte lange zuvor <strong>de</strong>n großen Ernst in ihrem Benehmen beobachtet. Sie<br />

hatten beständig ihre Demut an <strong>de</strong>n Tag gelegt, in<strong>de</strong>m sie für die an<strong>de</strong>rn Reisen<strong>de</strong>n niedrige<br />

174


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Dienstleistungen verrichteten, <strong>de</strong>ren sich keiner <strong>de</strong>r Englän<strong>de</strong>r unterziehen wollte. Sie hatten<br />

dafür keine Bezahlung verlangt, son<strong>de</strong>rn sie ausgeschlagen, in<strong>de</strong>m sie sagten, es wäre gut<br />

für ihre stolzen Herzen, und ihr Heiland hätte noch mehr für sie getan. Je<strong>de</strong>r Tag hatte ihnen<br />

Gelegenheit geboten, eine Sanftmut zu zeigen, die keine Beleidigung beseitigen konnte.<br />

Wur<strong>de</strong>n sie gestoßen, geschlagen o<strong>de</strong>r nie<strong>de</strong>rgeworfen, so erhoben sie sich wie<strong>de</strong>r und<br />

gingen weg; aber keine Klage wur<strong>de</strong> in ihrem Mun<strong>de</strong> gefun<strong>de</strong>n. Jetzt sollten sie geprüft<br />

wer<strong>de</strong>n, ob sie von <strong>de</strong>m Geist <strong>de</strong>r Furcht ebenso frei waren wie von <strong>de</strong>m <strong>de</strong>s Stolzes, <strong>de</strong>s<br />

Zornes und <strong>de</strong>r Rachsucht. Während sie gera<strong>de</strong> einen Psalm sangen mit <strong>de</strong>m ihr<br />

Gottesdienst begann, brach eine Sturzwelle herein, riß das große Segel in Stücke, be<strong>de</strong>ckte<br />

das Schiff und ergoß sich zwischen die Decks, so daß es schien, als ob die große Tiefe uns<br />

bereits verschlungen hätte. Unter <strong>de</strong>n Englän<strong>de</strong>rn erhob sich ein furchtbares Angstgeschrei.<br />

Die Brü<strong>de</strong>r aber sangen ruhig weiter. Ich fragte nachher einen von ihnen: ‚Waren Sie nicht<br />

erschrocken¿.<br />

Er antwortete: ‚Gott sei Dank nicht.‘ ‚Aber‘, sagte ich, ‚waren ihre Weiber und ihre<br />

Kin<strong>de</strong>r nicht erschrocken¿. Er erwi<strong>de</strong>rte mild: ‚Nein unsere Weiber und Kin<strong>de</strong>r fürchten<br />

sich nicht, zu sterben.‘“ Nach <strong>de</strong>r Ankunft in Savannah weilte Wesley kurze Zeit bei <strong>de</strong>n<br />

mährischen Brü<strong>de</strong>rn und war tief beeindruckt von ihrem christlichen Verhalten. Über einen<br />

ihrer Gottesdienste, die in auffallen<strong>de</strong>m Gegensatz zu <strong>de</strong>m leblosen Formenwesen <strong>de</strong>r<br />

anglikanischen Kirche stan<strong>de</strong>n, schrieb er: „Sowohl die große Einfachheit als auch die<br />

Feierlichkeit <strong>de</strong>s Ganzen ließen mich die dazwischenliegen<strong>de</strong>n 1700 Jahre beinahe<br />

vergessen und versetzten mich in eine Versammlung wo Form und Staat nicht galten,<br />

son<strong>de</strong>rn wo Paulus, <strong>de</strong>r Zeltmacher, o<strong>de</strong>r Petrus, <strong>de</strong>r Fischer, unter Bekundung <strong>de</strong>s Geistes<br />

und <strong>de</strong>r Kraft <strong>de</strong>n Vorsitz hatten.“<br />

Auf seiner Rückreise nach England gelangte Wesley unter <strong>de</strong>r Belehrung eines<br />

mährischen Predigers zu einem klareren Verständnis <strong>de</strong>s biblischen Glaubens. Er ließ sich<br />

überzeugen, daß sein Seelenheil nicht von seinen eigenen Werken abhängt, son<strong>de</strong>rn daß er<br />

einzig auf „Gottes Lamm, welches <strong>de</strong>r Welt Sün<strong>de</strong> trägt“, vertrauen müsse. Auf einer in<br />

London tagen<strong>de</strong>n Versammlung <strong>de</strong>r mährischen Brü<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong> eine Schrift Luthers<br />

vorgelesen (Luthers Vorre<strong>de</strong> zum Römerbrief, enthaltend die Lehre von <strong>de</strong>r Rechtfertigung<br />

durch <strong>de</strong>n Glauben), welche die Verän<strong>de</strong>rung beschrieb, die <strong>de</strong>r Geist Gottes im Herzen <strong>de</strong>s<br />

Gläubigen bewirkt. Während Wesley zuhörte, entzün<strong>de</strong>te sich auch in seiner Seele <strong>de</strong>r<br />

Glaube. „Ich fühlte mein Herz seltsam erwärmt“, sagte er. „Ich fühlte, daß ich mein ganzes<br />

Vertrauen für mein Seelenheil auf Christus, ja auf Christus allein setzte, und ich erhielt die<br />

Versicherung, daß er meine — ja meine Sün<strong>de</strong>n weggenommen und mich von <strong>de</strong>m Gesetz<br />

<strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> und <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s erlöst hatte.“<br />

Während langer Jahre mühsamen und unbequemen Ringens, Jahre strenger<br />

Selbstverleugnung, <strong>de</strong>r Schmach und Erniedrigung, hatte Wesley unverwandt <strong>de</strong>n einen<br />

Vorsatz festgehalten: Gott zu suchen. Nun hatte er ihn gefun<strong>de</strong>n, und er erfuhr, daß die<br />

Gna<strong>de</strong>, die er durch Beten und Fasten, durch Almosengeben und Selbstverleugnung<br />

175


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

erlangen wollte, eine Gabe war „ohne Geld und umsonst“. Einmal gegrün<strong>de</strong>t im Glauben<br />

Christi, brannte seine Seele vor Verlangen, überall das herrliche Evangelium von <strong>de</strong>r freien<br />

Gna<strong>de</strong> Gottes zu verkündigen. „Ich betrachte die ganze Welt als mein Kirchspiel“, sagte er,<br />

„und wo ich auch immer sein mag, erachte ich es als passend, recht und meine Pflicht und<br />

Schuldigkeit, allen, die willens sind zuzuhören, die frohe Botschaft <strong>de</strong>s Heils zu<br />

verkündigen.“<br />

Er setzte sein strenges, selbstverleugnen<strong>de</strong>s Leben fort, das nun nicht mehr <strong>de</strong>r Grund,<br />

son<strong>de</strong>rn die Folge <strong>de</strong>s Glaubens, nicht mehr die Wurzel, son<strong>de</strong>rn die Frucht <strong>de</strong>r Heiligung<br />

war. Die Gna<strong>de</strong> Gottes in Christus ist die Grundlage <strong>de</strong>r Hoffnung <strong>de</strong>s Christen, und diese<br />

Gna<strong>de</strong> wird offenbar im Gehorsam. Wesleys Leben war <strong>de</strong>r Verkündigung jener großen<br />

Wahrheiten gewidmet, die er empfangen hatte: Gerechtigkeit durch <strong>de</strong>n Glauben an das<br />

versöhnen<strong>de</strong> Blut Christi, und die herzerneuern<strong>de</strong> Macht <strong>de</strong>s Heiligen Geistes, die sich in<br />

einem neuen Leben erweist, das mit <strong>de</strong>m Beispiel Christi übereinstimmt. Whitefield und die<br />

bei<strong>de</strong>n Wesleys waren durch eine lange und tiefe persönliche Überzeugung von ihrem<br />

menschlichen Verlorensein für ihre Aufgabe vorbereitet wor<strong>de</strong>n. Damit sie fähig wären, als<br />

gute Streiter Christi Schwierigkeiten zu erdul<strong>de</strong>n, waren sie <strong>de</strong>r Feuerprobe <strong>de</strong>s Spottes, <strong>de</strong>s<br />

Hohnes und <strong>de</strong>r Verfolgung sowohl an <strong>de</strong>r Universität als auch beim Antritt ihres<br />

Predigtamtes ausgesetzt gewesen. Sie und einige an<strong>de</strong>re, die mit ihnen übereinstimmten,<br />

wur<strong>de</strong>n von ihren gottlosen Kommilitonen verächtlich Methodisten genannt — ein Name,<br />

<strong>de</strong>r von einer <strong>de</strong>r größten christlichen Gemeinschaften in England und Amerika als<br />

ehrenvoll angesehen wird.<br />

Als Glie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r anglikanischen Kirche waren sie <strong>de</strong>n Formen ihres Gottesdienst sehr<br />

ergeben; aber <strong>de</strong>r Herr hatte ihnen in seinem Wort ein höheres Ziel gezeigt. Der Heilige<br />

Geist nötigte sie, Christus, <strong>de</strong>n Gekreuzigten, zu predigen. Die Macht <strong>de</strong>s Höchsten<br />

begleitete ihre Arbeit. Tausen<strong>de</strong> wur<strong>de</strong>n überzeugt und wahrhaft bekehrt. Diese Schafe<br />

mußten vor <strong>de</strong>n reißen<strong>de</strong>n Wölfen geschützt wer<strong>de</strong>n. Wesley dachte zwar nicht im<br />

geringsten daran, eine neue Gemeinschaft zu grün<strong>de</strong>n, doch vereinigte er seine Anhänger in<br />

einer sogenannten methodistischen Verbindung. Geheimnisvoll und schwierig war <strong>de</strong>r<br />

Wi<strong>de</strong>rstand, <strong>de</strong>n diese Prediger von <strong>de</strong>r anglikanischen Kirche erfuhren; doch Gott hatte in<br />

seiner Weisheit diese Ereignisse gelenkt, um die Reformation in <strong>de</strong>r Kirche selbst zu<br />

beginnen. Wäre sie völlig von außen gekommen, so hätte sie dort nicht durchdringen<br />

können, wo sie so sehr vonnöten war. Da aber die Erweckungsprediger Kirchenmänner<br />

waren und im Bereich <strong>de</strong>r Kirche arbeiteten, wo sie gera<strong>de</strong> Gelegenheit hatten, fand die<br />

Wahrheit in jene Bezirke Eingang, in <strong>de</strong>nen sonst die Türen verschlossen geblieben wären.<br />

Einige Geistliche wur<strong>de</strong>n aus ihrer sittlichen Erstarrung aufgerüttelt und begannen eifrig in<br />

ihren eigenen Pfarreien zu predigen. Gemein<strong>de</strong>n, die durch ein veräußerlichtes<br />

Formenwesen versteinert waren, erwachten zu geistlichem Leben.<br />

Zu Wesleys Zeiten wie zu allen Zeiten <strong>de</strong>r Kirchengeschichte vollzogen verschie<strong>de</strong>n<br />

begabte Männer <strong>de</strong>n ihnen zugewiesenen Auftrag. Sie stimmten nicht in je<strong>de</strong>m Lehrpunkt<br />

176


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

überein, waren aber alle vom Geist Gottes getrieben und nur von <strong>de</strong>m einen Wunsch beseelt,<br />

Seelen für Christus zu gewinnen. Meinungsverschie<strong>de</strong>nheiten drohten einst Whitefield und<br />

die Wesleys zu entfrem<strong>de</strong>n; als sie aber in <strong>de</strong>r Schule Christi Sanftmut lernten, versöhnte sie<br />

gegenseitige Geduld und christliche Liebe. Sie hatten keine Zeit zum Streit, <strong>de</strong>nn überall<br />

machten sich Sün<strong>de</strong> und Irrtum breit, und Sün<strong>de</strong>r gingen <strong>de</strong>m Ver<strong>de</strong>rben entgegen.<br />

Gottes Diener wan<strong>de</strong>lten auf einem rauhen Pfad. Einflußreiche und gebil<strong>de</strong>te Männer<br />

traten ihnen entgegen. Nach einiger Zeit bekun<strong>de</strong>ten viele Geistliche eine ausgesprochene<br />

Feindschaft gegen sie, und die Türen <strong>de</strong>r Kirche wur<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m reinen Glauben sowie <strong>de</strong>nen,<br />

die ihn verkündigten, verschlossen. Das Verfahren <strong>de</strong>r Geistlichkeit, sie von <strong>de</strong>r Kanzel<br />

herab zu verdammen, rief die Mächte <strong>de</strong>r Finsternis, <strong>de</strong>r Unwissenheit und <strong>de</strong>r<br />

Ungerechtigkeit hervor. Zu wie<strong>de</strong>rholten Malen entging John Wesley <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> nur durch<br />

ein Wun<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r göttlichen Gna<strong>de</strong>. Wenn die Wut <strong>de</strong>s Pöbels gegen ihn aufgestachelt war<br />

und es keinen Weg <strong>de</strong>s Entrinnens zu geben schien, trat ein Engel in Menschengestalt an<br />

seine Seite, und die Menge wich zurück, und <strong>de</strong>r Diener Gottes verließ unbehelligt die Stätte<br />

<strong>de</strong>r Gefahr.<br />

Über seine Errettung vor <strong>de</strong>m aufgebrachten Pöbel bei einem solchen Anlaß sagte<br />

Wesley: „Viele versuchten mich hinzuwerfen, während wir auf einem schlüpfrigen Pfa<strong>de</strong><br />

bergab zur Stadt gingen, da sie richtig urteilten, daß ich wohl kaum wie<strong>de</strong>r aufstehen wür<strong>de</strong>,<br />

wenn ich einmal zu Fall gebracht wäre. Aber ich fiel nicht, glitt nicht einmal im geringsten<br />

aus, bis ich gänzlich aus ihren Hän<strong>de</strong>n war ... Obgleich viele sich Mühe gaben, mich am<br />

Kragen o<strong>de</strong>r an meinem Rock zu fassen, um mich nie<strong>de</strong>rzuziehen, konnten sie doch keinen<br />

Halt gewinnen; nur einem gelang es, einen Zipfel meines Rockschoßes festzuhalten, <strong>de</strong>r<br />

bald in seiner Hand blieb, während die an<strong>de</strong>re Hälfte, in <strong>de</strong>r sich eine Tasche mit einer<br />

Banknote befand, nur halb abgerissen wur<strong>de</strong>. Ein <strong>de</strong>rber Mensch unmittelbar hinter mir<br />

holte mehrmals aus, mich mit einem dicken Eichenstock zu schlagen; hätte er mich nur<br />

einmal damit auf <strong>de</strong>n Hinterkopf getroffen, so wür<strong>de</strong> er sich je<strong>de</strong> weitere Mühe gespart<br />

haben können. Aber je<strong>de</strong>smal wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Schlag abgewen<strong>de</strong>t, ich weiß nicht wie; <strong>de</strong>nn ich<br />

konnte mich we<strong>de</strong>r zur Rechten noch zur Linken bewegen. Ein an<strong>de</strong>rer stürzte sich durch<br />

das Gedränge, erhob seinen Arm zum Schlag, ließ ihn aber plötzlich sinken und streichelte<br />

mir <strong>de</strong>n Kopf mit <strong>de</strong>n Worten: ‚Was für weiches Haar er hat¡ ... Die allerersten, <strong>de</strong>ren<br />

Herzen verwan<strong>de</strong>lt wur<strong>de</strong>n, waren die Gassenhel<strong>de</strong>n, bei allen Anlässen die Anführer <strong>de</strong>s<br />

Pöbelhaufens, von <strong>de</strong>nen einer als Ringkämpfer im Bärengarten auftrat ..<br />

Wie allmählich bereitet Gott uns auf seinen Willen vor! Vor zwei Jahren streifte ein<br />

Stück von einem Ziegelstein meine Schultern, ein Jahr später traf mich ein Stein zwischen<br />

die Augen, letzten Monat empfing ich einen Schlag und heute Abend zwei, einen ehe wir in<br />

die Stadt kamen, und einen nach<strong>de</strong>m wir hinausgegangen waren; doch bei<strong>de</strong> waren wie<br />

nichts; <strong>de</strong>nn obgleich mich ein Mann mit aller Gewalt auf die Brust schlug und <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re<br />

mit solcher Wucht auf <strong>de</strong>n Mund, daß das Blut sofort hervorströmte, so fühlte ich doch nicht<br />

mehr Schmerz von bei<strong>de</strong>n Schlägen, als wenn sie mich mit einem Strohhalm berührt<br />

177


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

hätten.“ Die Methodisten jener Zeit — das Volk und auch die Prediger — ertrugen Spott<br />

und Verfolgung sowohl von Kirchenglie<strong>de</strong>rn als auch von <strong>de</strong>n offenbar Gottlosen, die sich<br />

durch die falschen Darstellungen jener anstacheln ließen. Sie wur<strong>de</strong>n vor Gerichte gestellt,<br />

die freilich nur <strong>de</strong>m Namen nach als solche angesprochen wer<strong>de</strong>n konnten; <strong>de</strong>nn<br />

Gerechtigkeit fand sich selten in <strong>de</strong>n Gerichtshöfen jener Zeit. Oft wur<strong>de</strong>n die Gläubigen<br />

von ihren Verfolgern gepeinigt. Der Mob ging von Haus zu Haus, zerstörte Hausgeräte und<br />

Güter, plün<strong>de</strong>rte, was ihm gefiel, und mißhan<strong>de</strong>lte in brutaler Weise Männer, Frauen und<br />

Kin<strong>de</strong>r. Durch öffentliche Bekanntmachungen wur<strong>de</strong>n alle, die sich am Einwerfen von<br />

Fenstern und am Plün<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Häuser <strong>de</strong>r Methodisten zu beteiligen wünschten,<br />

aufgefor<strong>de</strong>rt, sich zu gegebener Stun<strong>de</strong> an einem bestimmten Ort zu versammeln. Diese<br />

offene Verletzung menschlicher wie auch göttlicher Gesetze ließ man ungeta<strong>de</strong>lt zu. Man<br />

verfolgte planmäßig die Menschen, <strong>de</strong>ren einziger Fehler es war, daß sie versuchten, <strong>de</strong>n<br />

Fuß <strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong>rs vom Pfad <strong>de</strong>s Ver<strong>de</strong>rbens auf <strong>de</strong>n Weg <strong>de</strong>r Heiligkeit zu lenken.<br />

John Wesley sagte über die Anschuldigungen gegen ihn und seine Gefährten: „Manche<br />

machen geltend, daß die Lehren dieser Männer falsch, irrig, schwärmerisch, daß sie neu und<br />

bis kürzlich unbekannt gewesen und daß sie Quäkerismus, Schwärmerei und Papsttum seien.<br />

Diese ganze Behauptung ist bereits an <strong>de</strong>r Wurzel abgehauen wor<strong>de</strong>n, da ausführlich gezeigt<br />

wur<strong>de</strong>, daß je<strong>de</strong>r Zweig dieser Lehre die <strong>de</strong>utliche Lehre <strong>de</strong>r Heiligen Schrift ist, wie sie<br />

von unserer eigenen Kirche ausgelegt wird, und die <strong>de</strong>shalb nicht falsch o<strong>de</strong>r irrtümlich sein<br />

kann, vorausgesetzt, daß die Heilige Schrift wahr ist ... An<strong>de</strong>re geben vor: ‚Ihre Lehre ist zu<br />

streng, sie machen <strong>de</strong>n Weg zum Himmel zu schmal‘. Und dies ist in Wahrheit <strong>de</strong>r<br />

ursprüngliche Einwand (<strong>de</strong>r eine Zeitlang <strong>de</strong>r einzige war), und liegt heimlich tausend<br />

an<strong>de</strong>rn zugrun<strong>de</strong>, die in verschie<strong>de</strong>ner Gestalt erscheinen. Aber machen sie <strong>de</strong>n Weg<br />

himmelwärts schmaler als unser Herr und seine Apostel ihn machten? Ist ihre Lehre strenger<br />

als die <strong>de</strong>r Bibel? Betrachtet nur einige <strong>de</strong>utliche Bibelstellen: ‚Du sollst Gott, <strong>de</strong>inen Herrn,<br />

lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem<br />

Gemüte.‘ ‚Die Menschen müssen Rechenschaft geben am Jüngsten Gericht von einem<br />

jeglichen unnützen Wort, das sie gere<strong>de</strong>t haben.‘ ‚Ihr esset nun o<strong>de</strong>r trinket o<strong>de</strong>r was ihr tut,<br />

so tut es alles zu Gottes Ehre.‘ Lukas 10,27; Matthäus 12,36; 1.Korinther 10,31.<br />

Wenn ihre Lehre strenger ist als dies, so sind sie zu ta<strong>de</strong>ln; ihr seid aber in eurem<br />

Gewissen überzeugt, daß <strong>de</strong>m nicht so ist. Und wer kann um ein Jota weniger genau sein,<br />

ohne das Wort Gottes zu verdrehen? Kann irgen<strong>de</strong>in Haushalter <strong>de</strong>s Geheimnisses Gottes<br />

treu erfun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n, wenn er irgen<strong>de</strong>inen Teil jenes heiligen Unterpfan<strong>de</strong>s verän<strong>de</strong>rt?<br />

Nein, er kann nichts umstoßen; er kann nichts gelin<strong>de</strong>r machen; er ist gezwungen, allen<br />

Menschen zu erklären: Ich darf die Heilige Schrift nicht zu eurem Geschmack<br />

herabwürdigen. Ihr müßt euch nach ihr richten o<strong>de</strong>r auf ewig zugrun<strong>de</strong> gehen. Dies gibt<br />

allerdings Veranlassung zu <strong>de</strong>m volkstümlichen Geschrei: die Lieblosigkeit dieser<br />

Menschen! Lieblos sind sie? In welcher Beziehung? Speisen sie nicht die Hungrigen und<br />

klei<strong>de</strong>n die Nackten? Ja, aber das ist nicht die Sache; diesbezüglich mangelt es ihnen nicht;<br />

178


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

aber sie sind lieblos im Urteil; sie <strong>de</strong>nken, es könne niemand gerettet wer<strong>de</strong>n außer jenen,<br />

die auf <strong>de</strong>m von ihnen vorgeschriebenen Weg gehen.“<br />

Das geistliche Siechtum, das sich in England unmittelbar vor Wesleys Zeit bekun<strong>de</strong>t<br />

hatte, war in hohem Gra<strong>de</strong> die Folge <strong>de</strong>r gesetzesfeindlichen Lehre. Viele behaupteten,<br />

Christus habe das Sittengesetz abgeschafft, die Christen stän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>shalb nicht mehr unter<br />

<strong>de</strong>r Verpflichtung, nach ihm zu han<strong>de</strong>ln; <strong>de</strong>nn ein Gläubiger sei von <strong>de</strong>r „Knechtschaft <strong>de</strong>r<br />

guten Werke“ befreit. Obgleich an<strong>de</strong>re die Fortdauer <strong>de</strong>s Gesetzes zugaben, erklärten sie es<br />

für unnötig, daß die Prediger das Volk zur Beachtung seiner Vorschriften anhielten, da die<br />

Menschen, die Gott zum Heil bestimmt habe, „durch <strong>de</strong>n un- wi<strong>de</strong>rstehlichen Antrieb <strong>de</strong>r<br />

göttlichen Gna<strong>de</strong> zur Frömmigkeit und Tugend angeleitet wür<strong>de</strong>n“, wogegen die zur ewigen<br />

Verdammnis Bestimmten „nicht die Kraft hätten, <strong>de</strong>m göttlichen Gesetz Gehorsam zu<br />

leisten“.<br />

An<strong>de</strong>re, die gleichfalls behaupteten, dass die Auserwählten we<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong><br />

abfallen noch <strong>de</strong>r göttlichen Gunst verlustig gehen könnten, kamen zu <strong>de</strong>r noch<br />

schrecklicheren Annahme, daß „die bösen Handlungen, welche sie begehen, in Wirklichkeit<br />

nicht sündhaft seien noch als Übertretung <strong>de</strong>s göttlichen Gesetzes betrachtet wer<strong>de</strong>n<br />

könnten, und daß sie folglich keinen Grund hätten, ihre Sün<strong>de</strong>n zu bekennen, noch sich von<br />

ihnen durch Buße abzuwen<strong>de</strong>n“. Deshalb erklärten sie, dass selbst eine <strong>de</strong>r gröbsten Sün<strong>de</strong>n,<br />

„die allgemein als eine schreckliche Übertretung <strong>de</strong>s Gesetzes Gottes betrachtet wer<strong>de</strong>, in<br />

Gottes Augen keine Sün<strong>de</strong> sei“, wenn sie von einem seiner Auserwählten begangen wer<strong>de</strong>,<br />

„da es eins <strong>de</strong>r wesentlichen und auszeichnen<strong>de</strong>n Merkmale <strong>de</strong>r Auserwählten <strong>de</strong>s Herrn sei,<br />

nichts tun zu können, das entwe<strong>de</strong>r nicht wohlgefällig vor Gott o<strong>de</strong>r durch das Gesetz<br />

verboten ist“.<br />

Diese ungeheuerlichen Lehren sind wesentlich die gleichen wie die späteren Lehren <strong>de</strong>r<br />

beim Volke beliebten Erzieher und Theologen: daß es kein unverän<strong>de</strong>rliches göttliches<br />

Gesetz als Richtmaß <strong>de</strong>s Rechtes gebe, son<strong>de</strong>rn daß <strong>de</strong>r Maßstab <strong>de</strong>r Sittlichkeit durch die<br />

Gesellschaft selbst bestimmt wird und beständig <strong>de</strong>m Wechsel unterworfen war. Alle diese<br />

Gedanken sind von <strong>de</strong>mselben Geisterfürsten eingegeben, <strong>de</strong>r einst unter <strong>de</strong>n sündlosen<br />

Bewohnern <strong>de</strong>s Himmels sein Werk anfing und versuchte, die gerechten Einschränkungen<br />

<strong>de</strong>s Gesetzes Gottes zu beseitigen. Die Lehre von <strong>de</strong>r Unverbrüchlichkeit <strong>de</strong>r göttlichen<br />

Verordnung, die ein für allemal das Wesen <strong>de</strong>s Menschen bestimmt, hat viele zu einer<br />

wirklichen Verwerfung <strong>de</strong>s Gesetzes Gottes geführt. Wesley trat <strong>de</strong>n Irrtümern <strong>de</strong>r<br />

gesetzesfeindlichen (antinomistischen) Lehrer standhaft entgegen und zeigte, daß diese<br />

Lehre, die zur Gesetzesverwerfung führte, <strong>de</strong>r Heiligen Schrift zuwi<strong>de</strong>rlief. „Denn es ist<br />

erschienen die heilsame Gna<strong>de</strong> Gottes allen Menschen.“ — „Denn solches ist gut und<br />

angenehm vor Gott, unserm Heiland, welcher will, daß allen Menschen geholfen wer<strong>de</strong> und<br />

sie zur Erkenntnis <strong>de</strong>r Wahrheit kommen. Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen<br />

Gott und <strong>de</strong>n Menschen, nämlich <strong>de</strong>r Mensch Christus Jesus, <strong>de</strong>r sich selbst gegeben hat für<br />

alle zur Erlösung.“ Titus 2,11; 1.Timotheus 2,3-6. Der Geist Gottes wird in reichlichem<br />

179


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Maße verliehen, um je<strong>de</strong>n Menschen zu befähigen, das Heil zu ergreifen. So erleuchtet<br />

Christus, „das wahrhaftige Licht, ... alle Menschen ..., die in diese Welt kommen“. Johannes<br />

1,9. Die Menschen verlieren das Heil durch ihre eigene vorsätzliche Weigerung, die Gabe<br />

<strong>de</strong>s Lebens anzunehmen.<br />

Als Antwort auf <strong>de</strong>n Anspruch, daß beim To<strong>de</strong> Christi die Zehn Gebote mit <strong>de</strong>m<br />

Zeremonialgesetz abgeschafft wor<strong>de</strong>n seien, entgegnete Wesley: „Das Sittengesetz, wie es<br />

in <strong>de</strong>n Zehn Geboten enthalten und von <strong>de</strong>n Propheten eingeschärft wor<strong>de</strong>n ist, hat er nicht<br />

abgetan. Es war nicht <strong>de</strong>r Zweck seines Kommens, irgen<strong>de</strong>inen Teil davon abzuschaffen. Es<br />

ist dies ein Gesetz, das nie gebrochen wer<strong>de</strong>n kann, das feststeht wie <strong>de</strong>r treue Zeuge im<br />

Himmel ... Es war von Anbeginn <strong>de</strong>r Welt und wur<strong>de</strong> nicht auf steinerne Tafeln, son<strong>de</strong>rn in<br />

die Herzen aller Menschenkin<strong>de</strong>r geschrieben, als sie aus <strong>de</strong>r Hand <strong>de</strong>s Schöpfers<br />

hervorgingen. Und wie sehr auch die einst von Gottes Finger geschriebenen Buchstaben<br />

jetzt durch die Sün<strong>de</strong> verwischt sein mögen, so können sie doch nicht gänzlich ausgetilgt<br />

wer<strong>de</strong>n, solange uns ein Bewußtsein von gut und böse bleibt. Je<strong>de</strong>r Teil dieses Gesetzes<br />

muß für alle Menschen und zu allen Zeitaltern in Kraft bleiben; da es nicht von Zeit o<strong>de</strong>r<br />

Ort noch von irgendwelchen an<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>m Wechsel unterworfenen Umstän<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn von<br />

<strong>de</strong>r Natur Gottes und <strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>r Menschen und ihren unverän<strong>de</strong>rlichen Beziehungen<br />

zueinan<strong>de</strong>r abhängig ist.<br />

‚Ich bin nicht gekommen, aufzulösen, son<strong>de</strong>rn zu erfüllen ... ‘ Matthäus 5,17.<br />

Unzweifelhaft meint er hier (in Übereinstimmung mit alle<strong>de</strong>m, was vorangeht und folgt):<br />

Ich bin gekommen, es in seiner Vollkommenheit aufzurichten, trotz aller menschlichen<br />

Deutungen; ich bin gekommen, alles, was in ihm dunkel und un<strong>de</strong>utlich war, in ein volles<br />

und klares Licht zu stellen; ich bin gekommen, die wahre und volle Be<strong>de</strong>utung je<strong>de</strong>s Teiles<br />

zu erklären, die Länge und Breite und die ganze Tragweite eines jeglichen darin enthaltenen<br />

Gebotes sowie die Höhe und Tiefe, <strong>de</strong>ssen unbegreifliche Reinheit und Geistlichkeit in allen<br />

seinen Zweigen zu zeigen.“ Wesley verkündigte die vollkommene Übereinstimmung<br />

zwischen Gesetz und Evangelium und erklärte: „Es besteht <strong>de</strong>shalb die <strong>de</strong>nkbar innigste<br />

Verbindung zwischen <strong>de</strong>m Gesetz und <strong>de</strong>m Evangelium. Einerseits bahnt das Gesetz<br />

beständig <strong>de</strong>n Weg für das Evangelium und weist uns darauf hin, an<strong>de</strong>rseits führt uns das<br />

Evangelium beständig zu einer genaueren Erfüllung <strong>de</strong>s Gesetzes. Das Gesetz zum Beispiel<br />

verlangt von uns, Gott und <strong>de</strong>n Nächsten zu lieben und sanftmütig, <strong>de</strong>mütig o<strong>de</strong>r heilig zu<br />

sein. Wir fühlen, daß wir hierzu nicht tüchtig sind, ja daß dies <strong>de</strong>m Menschen unmöglich ist.<br />

Aber wir sehen eine Verheißung Gottes, uns diese Liebe zu geben und uns <strong>de</strong>mütig,<br />

sanftmütig und heilig zu machen. Wir ergreifen dies Evangelium, diese frohe Botschaft; uns<br />

geschieht nach unserem Glauben, und die Gerechtigkeit <strong>de</strong>s Gesetzes wird in uns erfüllt<br />

durch <strong>de</strong>n Glauben an Christus Jesus ...<br />

Die größten Fein<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Evangeliums Christi sind die, welche offen und ausdrücklich<br />

das Gesetz richten und übel davon re<strong>de</strong>n, welche die Menschen lehren, das ganze Gesetz,<br />

nicht nur eins seiner Gebote, sei es das geringste o<strong>de</strong>r das größte, son<strong>de</strong>rn sämtliche Gebote<br />

180


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

zu brechen (aufzuheben, zu lösen, seine Verbindlichkeit zu beseitigen)... Höchst erstaunlich<br />

ist es, daß die, welche sich dieser starken Täuschung ergeben haben, wirklich glauben,<br />

Christus dadurch zu ehren, daß sie sein Gesetz umstoßen, und wähnen, sein Amt zu<br />

verherrlichen, während sie seine Lehre vernichten! Ach, sie ehren ihn gera<strong>de</strong> wie Judas tat,<br />

als er sagte: ‚Gegrüßet seist du, Rabbi‘ und küßte ihn. Wohl mag <strong>de</strong>r Herr ebenso billig zu<br />

einem jeglichen von ihnen sagen: ‚Verrätst du <strong>de</strong>s Menschen Sohn mit einem Kuß¿<br />

Matthäus 26,49; Lukas 22,48. Irgen<strong>de</strong>inen Teil seines Gesetzes auf leichtfertige Weise<br />

beiseitezusetzen unter <strong>de</strong>m Vorwand, sein Evangelium zu för<strong>de</strong>rn, ist nichts an<strong>de</strong>res, als ihn<br />

mit einem Kuß zu verraten, von seinem Blute zu re<strong>de</strong>n und seine Krone wegzunehmen. In<br />

<strong>de</strong>r Tat kann keiner dieser Anschuldigung entgehen, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Glauben in einer Weise<br />

verkündigt, die direkt o<strong>de</strong>r indirekt dahin führt, irgen<strong>de</strong>inen Teil <strong>de</strong>s Gehorsams<br />

beiseitezusetzen — keiner, <strong>de</strong>r Jesus Christus also predigt, daß dadurch irgendwie selbst das<br />

geringste <strong>de</strong>r heiligen Gebote Gottes ungültig gemacht, geschwächt o<strong>de</strong>r aufgehoben<br />

wer<strong>de</strong>.“<br />

Denen, die darauf bestan<strong>de</strong>n, daß „das Predigen <strong>de</strong>s Evangelium allen Zwecken <strong>de</strong>s<br />

Gesetzes entspreche“, erwi<strong>de</strong>rte Wesley: „Dies leugnen wir gänzlich. Es kommt schon <strong>de</strong>m<br />

allerersten Endzweck <strong>de</strong>s Gesetzes nicht nach, nämlich die Menschen <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> zu<br />

überführen und die, welche noch immer am Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Hölle schlafen, aufzurütteln.“ Der<br />

Apostel Paulus erklärt: „Durch das Gesetz kommt Erkenntnis <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>“ (Römer 3,20);<br />

„und nicht ehe <strong>de</strong>r Mensch sich <strong>de</strong>r Schuld bewußt ist, wird er wirklich die Notwendigkeit<br />

<strong>de</strong>s versöhnen<strong>de</strong>n Blutes Christi fühlen ... Wie unser Heiland auch selbst sagt: ‚Die<br />

Gesun<strong>de</strong>n bedürfen <strong>de</strong>s Arztes nicht, son<strong>de</strong>rn die Kranken.‘ Lukas 5,31. Es ist <strong>de</strong>shalb<br />

töricht, <strong>de</strong>n Gesun<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>nen, die sich gesund wähnen, einen Arzt aufzudrängen. Sie<br />

müssen erst überzeugt sein, daß sie krank sind, sonst wer<strong>de</strong>n sie keine Hilfe verlangen.<br />

Ebenso töricht ist es, <strong>de</strong>mjenigen Christus anzubieten, <strong>de</strong>ssen Herz noch ganz und<br />

unzerbrochen ist.“<br />

So bemühte sich Wesley, während er das Evangelium von <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong> Gottes predigte,<br />

gleich seinem Herrn, „das Gesetz herrlich und groß“ zu machen. Gewissenhaft führte er das<br />

ihm von Gott anvertraute Werk aus, und herrlich waren die Ergebnisse, die er sehen durfte.<br />

Am En<strong>de</strong> eines über achtzigjährigen Lebens, von <strong>de</strong>m er mehr als ein halbes Jahrhun<strong>de</strong>rt als<br />

Wan<strong>de</strong>rprediger zugebracht hatte, betrug die Zahl <strong>de</strong>r sich zu ihm bekennen<strong>de</strong>n Anhänger<br />

mehr als eine halbe Million Seelen. Doch die Menge, die durch sein Wirken aus <strong>de</strong>m<br />

Ver<strong>de</strong>rben und <strong>de</strong>r Erniedrigung <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> zu einem höheren und reinerem Leben erhoben<br />

wor<strong>de</strong>n war, und die Zahl <strong>de</strong>rer, die durch seine Lehre, eine tiefere und reichere Erfahrung<br />

gewonnen hatten, wer<strong>de</strong>n wir erst erfahren, wenn die gesamte Familie <strong>de</strong>r Erlösten in das<br />

Reich Gottes gesammelt wer<strong>de</strong>n wird. Wesleys Leben bietet je<strong>de</strong>m Christen eine Lehre von<br />

unschätzbarem Wert. Mögen sich doch <strong>de</strong>r Glaube und die Demut, <strong>de</strong>r unermüdliche Eifer<br />

und die Selbstaufopferung und Hingabe dieses Dieners Jesu Christi in <strong>de</strong>n heutigen<br />

Gemein<strong>de</strong>n wi<strong>de</strong>rspiegeln!<br />

181


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

182


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 15- Die Franzosische Revolution<br />

Im 16. Jahrhun<strong>de</strong>rt hatte die Reformation, die <strong>de</strong>m Volk die Bibel zugänglich machte, in<br />

allen Län<strong>de</strong>rn Europas Eingang gesucht. Einige Nationen hießen sie mit Freu<strong>de</strong>n als einen<br />

Boten vom Himmel willkommen. In an<strong>de</strong>rn Län<strong>de</strong>rn gelang es <strong>de</strong>m Papsttum in<br />

erheblichem Maße, ihren Eingang zu verhin<strong>de</strong>rn. Das Licht biblischer Erkenntnis mit<br />

seinem vere<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Einfluß war nahezu gänzlich erloschen. In einem Lan<strong>de</strong> allerdings<br />

wur<strong>de</strong> das Licht, obgleich es Eingang gefun<strong>de</strong>n hatte von <strong>de</strong>r Finsternis nicht begriffen.<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rtelang kämpften Wahrheit und Irrtum um die Oberherrschaft. Schließlich siegte<br />

das Böse, und die Wahrheit <strong>de</strong>s Himmels wur<strong>de</strong> hinausgestoßen. „Das ist aber das Gericht,<br />

daß das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als<br />

das Licht.“ Johannes 3,19. Diese Nation mußte die Folgen ihrer Wahl tragen. Der Einhalt<br />

gebieten<strong>de</strong> Einfluß <strong>de</strong>s Geistes Gottes wur<strong>de</strong> einem Volk, das seine Gna<strong>de</strong>ngabe verachtet<br />

hatte, entzogen. Gott ließ das Böse ausreifen und alle Welt sah die Früchte <strong>de</strong>r vorsätzlichen<br />

Verwerfung <strong>de</strong>s Lichtes.<br />

Der in Frankreich viele Jahrhun<strong>de</strong>rte lang gegen die Bibel geführte Kampf erreichte in<br />

<strong>de</strong>n Geschehnissen <strong>de</strong>r Revolution seinen Höhepunkt. Jener schreckliche Ausbruch war die<br />

unausbleibliche Folge <strong>de</strong>r von Rom geübten Unterdrückung <strong>de</strong>r Heiligen Schrift. Er bot <strong>de</strong>r<br />

Welt das schlagendste Beispiel von <strong>de</strong>r Wirkung <strong>de</strong>r päpstlichen Politik: eine Darstellung<br />

<strong>de</strong>r Folgen, auf die die Lehren <strong>de</strong>r römischen Kirche mehr als ein Jahrtausend zugesteuert<br />

hatten.<br />

Die Unterdrückung <strong>de</strong>r Heiligen Schrift während <strong>de</strong>r päpstlichen Oberherrschaft wur<strong>de</strong><br />

von <strong>de</strong>n Propheten vorhergesagt; auch <strong>de</strong>r Schreiber <strong>de</strong>r Offenbarung weist auf die<br />

schrecklichen Folgen hin, die beson<strong>de</strong>rs Frankreich von <strong>de</strong>r Herrschaft <strong>de</strong>s „Menschen <strong>de</strong>r<br />

Sün<strong>de</strong>“ (2.Thessalonicher 2,3) erwachsen sollten. Der Engel <strong>de</strong>s Herrn sagte: „Die heilige<br />

Stadt wer<strong>de</strong>n sie zertreten zweiundvierzig Monate. Und ich will meinen zwei Zeugen geben,<br />

daß sie sollen weissagen tausendzweihun<strong>de</strong>rtundsechzig Tage, angetan mit Säcken ... Und<br />

wenn sie ihr Zeugnis geen<strong>de</strong>t haben, so wird das Tier, das aus <strong>de</strong>m Abgrund aufsteigt, mit<br />

ihnen einen Streit halten und wird sie überwin<strong>de</strong>n und wird sie töten. Und ihre Leichname<br />

wer<strong>de</strong>n liegen auf <strong>de</strong>r Gasse <strong>de</strong>r großen Stadt, die da heißt geistlich ‚Sodom und Ägypten‘,<br />

da auch ihr Herr gekreuzigt ist ... Und die auf Er<strong>de</strong>n wohnen, wer<strong>de</strong>n sich freuen über sie<br />

und wohlleben und Geschenke untereinan<strong>de</strong>r sen<strong>de</strong>n; <strong>de</strong>nn diese zwei Propheten quälten die<br />

auf Er<strong>de</strong>n wohnten. Und nach drei Tagen und einem halben fuhr in sie <strong>de</strong>r Geist <strong>de</strong>s Lebens<br />

von Gott, und sie traten auf ihre Füße; und eine große Furcht fiel über die, so sie<br />

sahen.“ Offenbarung 11,2-11.<br />

Die hier erwähnten „zweiundvierzig Monate“ und „tausendzweihun<strong>de</strong>rtsechzig<br />

Tage“ sind ein und dieselbe Zeitangabe. Bei<strong>de</strong> bezeichnen die Zeit, als die Gemein<strong>de</strong><br />

Christi von Rom unterdrückt wur<strong>de</strong>. Die 1260 Jahre päpstlicher Oberherrschaft begannen<br />

mit <strong>de</strong>m Jahre 538 n. Chr. und mußten <strong>de</strong>mnach 1798 ablaufen. Zu dieser Zeit drang eine<br />

183


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

französische Armee in Rom ein und nahm <strong>de</strong>n Papst gefangen, <strong>de</strong>r später in <strong>de</strong>r Verbannung<br />

starb. Wenn auch bald darauf ein neuer Papst gewählt wur<strong>de</strong>, so hat die päpstliche<br />

Priesterherrschaft doch nie wie<strong>de</strong>r die Macht auszuüben vermocht, die sie ehe<strong>de</strong>m besessen<br />

hatte.<br />

Die Verfolgung <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> Christi erstreckte sich nicht bis an das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 1260<br />

Jahre. Aus Erbarmen mit seinem Volk verkürzte Gott die Zeit <strong>de</strong>r Feuerprobe. In seiner<br />

Weissagung von <strong>de</strong>r „großen Trübsal“, welche die Gemein<strong>de</strong> heimsuchen sollte, sagte <strong>de</strong>r<br />

Heiland: „Wo diese Tage nicht wür<strong>de</strong>n verkürzt, so wür<strong>de</strong> kein Mensch selig; aber um <strong>de</strong>r<br />

Auserwählten willen wer<strong>de</strong>n die Tage verkürzt.“ Matthäus 24,22. Durch <strong>de</strong>n Einfluß <strong>de</strong>r<br />

Reformation wur<strong>de</strong> die Verfolgung schon vor <strong>de</strong>m Jahre 1798 eingestellt.<br />

Über die zwei Zeugen sagt <strong>de</strong>r Prophet ferner: „Diese sind die zwei Ölbaume und zwei<br />

Fackeln, stehend vor <strong>de</strong>m Herrn <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>.“ Der Psalmist erklärt: „Dein Wort ist meines<br />

Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.“ Offenbarung 11,4; Psalm 119,105. Die<br />

bei<strong>de</strong>n Zeugen stellen die Schriften <strong>de</strong>s Alten und Neuen Testaments dar. Bei<strong>de</strong> sind<br />

wichtige Zeugnisse für <strong>de</strong>n Ursprung und die Fortdauer <strong>de</strong>s Gesetzes Gottes. Bei<strong>de</strong> sind<br />

gleichfalls Zeugen für <strong>de</strong>n Heilsplan. Die Vorbil<strong>de</strong>r, die Opfer und die Weissagungen <strong>de</strong>s<br />

Alten Testaments weisen auf <strong>de</strong>n kommen<strong>de</strong>n Erlöser hin. Die Evangelien und die Briefe<br />

<strong>de</strong>s Neuen Testaments berichten von einem Heiland, <strong>de</strong>r genauso gekommen ist, wie es die<br />

Vorbil<strong>de</strong>r und Weissagungen vorhergesagt hatten.<br />

„Sie sollen weissagen tausendzweihun<strong>de</strong>rtsechzig Tage, angetan mit Säcken.“ Während<br />

<strong>de</strong>s größeren Teiles dieser Zeit blieben Gottes Zeugen im Verborgenen. Die päpstliche<br />

Macht versuchte das Wort <strong>de</strong>r Wahrheit vor <strong>de</strong>m Volk zu verbergen und stellte falsche<br />

Zeugen auf, die <strong>de</strong>m Zeugnis <strong>de</strong>s Volkes wi<strong>de</strong>rsprechen sollten. Als die Bibel von<br />

kirchlichen und weltlichen Behör<strong>de</strong>n verbannt und ihr Zeugnis verfälscht wur<strong>de</strong> und man<br />

allerlei Versuche unternahm, die Menschen und Dämonen nur ersinnen konnten, um die<br />

Gemüter <strong>de</strong>s Volkes von ihr abzulenken; als die, welche es wagten, ihre heiligen<br />

Wahrheiten zu verkündigen, gehetzt, verraten, gequält, in Gefängniszellen begraben, um<br />

ihres Glaubens willen getötet o<strong>de</strong>r in die Festen <strong>de</strong>r Berge und in die Schluchten und<br />

Höhlen <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> zu fliehen gezwungen wur<strong>de</strong>n, — da weissagten die Zeugen in Säcken.<br />

Dennoch setzten sie ihr Zeugnis während <strong>de</strong>r ganzen 1260 Jahre fort.<br />

In <strong>de</strong>n dunkelsten Zeiten gab es treue Männer, die Gottes Wort liebten und um seine<br />

Ehre eiferten. Diesen treuen Knechten wur<strong>de</strong> Weisheit, Macht und Stärke verliehen,<br />

während dieser ganzen Zeit seine Wahrheit zu verkündigen. „Und so jemand sie will<br />

schädigen, so geht Feuer aus ihrem Mun<strong>de</strong> und verzehrt ihre Fein<strong>de</strong>; und so jemand sie will<br />

schädigen, <strong>de</strong>r muß also getötet wer<strong>de</strong>n.“ Offenbarung 11,5. Die Menschen können nicht<br />

ungestraft das Wort Gottes mit Füßen treten. Die Be<strong>de</strong>utung dieser schrecklichen Drohung<br />

wird uns im letzten Kapitel <strong>de</strong>r Offenbarung gegeben: „Ich bezeuge allen, die da hören die<br />

Worte <strong>de</strong>r Weissagung in diesem Buch: So jemand dazusetzt, so wird Gott zusetzen auf ihn<br />

die Plagen, die in diesem Buch geschrieben stehen. Und so jemand davontut von <strong>de</strong>n<br />

184


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Worten <strong>de</strong>s Buchs dieser Weissagung, so wird Gott abtun sein Teil vom Holz <strong>de</strong>s Lebens<br />

und von <strong>de</strong>r heiligen Stadt, davon in diesem Buch geschrieben ist.“ Offenbarung 22,18,19.<br />

Das sind Warnungen, die Gott gegeben hat, um <strong>de</strong>n Menschen zu wehren, auf irgen<strong>de</strong>ine<br />

Weise zu verän<strong>de</strong>rn, was er offenbart o<strong>de</strong>r geboten hat. Diese ernsten Drohungen richten<br />

sich an alle, die durch ihren Einfluß die Menschen veranlassen, das Gesetz Gottes<br />

geringzuachten. Sie sollen jene in Furcht und Zittern versetzen, die leichtfertig behaupten,<br />

es be<strong>de</strong>ute wenig, ob wir Gottes Gesetz halten o<strong>de</strong>r nicht. Alle, die ihre eigenen Ansichten<br />

über die göttliche Offenbarung erheben; alle, die die klaren Aussagen <strong>de</strong>s Wortes Gottes<br />

ihrer eigenen Bequemlichkeit o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Meinung <strong>de</strong>r Welt anpassen möchten, la<strong>de</strong>n eine<br />

furchtbare Verantwortung auf sich. Das geschriebene Wort, das Gesetz Gottes, wird <strong>de</strong>n<br />

Charakter aller messen und alle verdammen, <strong>de</strong>ren Charakter diesem unfehlbaren Prüfstein<br />

nicht entspricht.<br />

„Wenn sie ihr Zeugnis geen<strong>de</strong>t haben“: <strong>de</strong>r Zeitabschnitt, in <strong>de</strong>m die zwei Zeugen, mit<br />

Säcken angetan, weissagten, en<strong>de</strong>te 1798. Wenn ihr Werk im Verborgenen sich seinem<br />

En<strong>de</strong> nähern wür<strong>de</strong>, sollte die Macht, die als „das Tier, das aus <strong>de</strong>m Abgrund aufsteigt“,<br />

dargestellt wird, mit ihnen in Streit geraten. In vielen europäischen Nationen waren die<br />

Mächte, die in Kirche und Staat das Zepter führten, seit Jahrhun<strong>de</strong>rten von Satan beherrscht<br />

wor<strong>de</strong>n. Doch hier wird uns eine neue Bekundung satanischer Macht vor Augen geführt.<br />

Unter <strong>de</strong>m Vorwand <strong>de</strong>r Ehrfurcht vor <strong>de</strong>r Bibel hatte Roms Politik diese in einer<br />

unbekannten Sprache verschlossen und vor <strong>de</strong>m Volke verborgen gehalten. Unter dieser<br />

Herrschaft weissagten die Zeugen „angetan mit Säcken“. Aber eine an<strong>de</strong>re Macht — das<br />

Tier aus <strong>de</strong>m Abgrund — sollte sich erheben und Gottes Wort <strong>de</strong>n Krieg erklären.<br />

Die „große Stadt“, in <strong>de</strong>ren Gassen die Zeugen erschlagen wur<strong>de</strong>n und wo ihre<br />

Leichname lagen, heißt „geistlich ... Ägypten“. Die biblische Geschichte sagt uns von keiner<br />

Nation, die das Dasein <strong>de</strong>s lebendigen Gottes dreister verleugnete und sich seinen Geboten<br />

mehr wi<strong>de</strong>rsetzte als Ägypten. Kein Monarch wagte je eine offenere o<strong>de</strong>r vermessenere<br />

Empörung gegen die Autorität <strong>de</strong>s Himmels als <strong>de</strong>r König Ägyptens. Als Mose ihm im<br />

Namen <strong>de</strong>s Herrn <strong>de</strong>ssen Botschaft brachte, gab Pharao stolz zur Antwort: „Wer ist <strong>de</strong>r Herr,<br />

<strong>de</strong>s Stimme ich hören müsse und Israel ziehen lassen? Ich weiß nichts von <strong>de</strong>m Herrn, will<br />

auch Israel nicht lassen ziehen.“ 2.Mose 5,2. Dies ist Gottesleugnung, und die durch<br />

Ägypten versinnbil<strong>de</strong>te Nation sollte die Ansprüche <strong>de</strong>s lebendigen Gottes in ähnlicher<br />

Weise verleugnen und <strong>de</strong>n gleichen ungläubigen und herausfor<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n Geist an <strong>de</strong>n Tag<br />

legen. Die „große Stadt“ wird auch geistlich mit Sodom verglichen. Die Ver<strong>de</strong>rbtheit<br />

Sodoms in <strong>de</strong>r Übertretung <strong>de</strong>s Gesetzes Gottes bekun<strong>de</strong>te sich ganz beson<strong>de</strong>rs in seinem<br />

zuchtlosen Verhalten. Diese Sün<strong>de</strong> war ebenfalls ein sehr hervorstechen<strong>de</strong>r Zug <strong>de</strong>s Volkes,<br />

das die Einzelheiten dieser Schriftstelle erfüllen sollte.<br />

Nach <strong>de</strong>n Angaben <strong>de</strong>s Propheten sollte sich kurz vor <strong>de</strong>m Jahre 1798 eine Macht<br />

satanischen Ursprungs und Charakters wi<strong>de</strong>r die Bibel erheben. Und in <strong>de</strong>m Lan<strong>de</strong>, in <strong>de</strong>m<br />

185


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

das Zeugnis <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Zeugen Gottes auf diese Weise zum Schweigen gebracht wer<strong>de</strong>n<br />

sollte, wür<strong>de</strong> sich die Gottesleugnung Pharaos und die Unzucht Sodoms offenbaren.<br />

Diese Weissagung hat in <strong>de</strong>r Geschichte Frankreichs eine überaus genaue und treffen<strong>de</strong><br />

Erfüllung gefun<strong>de</strong>n. Während <strong>de</strong>r Revolutionszeit, im Jahre 1793,„hörte die Welt zum<br />

erstenmal, daß eine Versammlung von Männern, die gesittet geboren und erzogen waren<br />

und sich das Recht anmaßten, eine <strong>de</strong>r schönsten Nationen Europas zu regieren, ihre<br />

vereinte Stimme erhob, um die feierlichste Wahrheit, welche die Seele <strong>de</strong>s Menschen<br />

empfangen kann, zu verleugnen und einstimmig <strong>de</strong>n Glauben an Gott und die Anbetung <strong>de</strong>r<br />

Gottheit zu verwerfen“. — „Frankreich ist die einzige Nation in <strong>de</strong>r Welt, von <strong>de</strong>r berichtet<br />

wird, daß sie als Nation ihre Hand in offener Empörung gegen <strong>de</strong>n Schöpfer <strong>de</strong>s Weltalls<br />

erhoben hat. Es gab und gibt noch eine Menge von Lästerern und Ungläubigen in England,<br />

Deutschland, Spanien und an<strong>de</strong>rswo; aber Frankreich steht in <strong>de</strong>r Weltgeschichte als<br />

einziger Staat da, <strong>de</strong>r durch <strong>de</strong>n Erlaß seiner gesetzgeben<strong>de</strong>n Versammlung erklärte, daß es<br />

keinen Gott gebe, in <strong>de</strong>ssen Hauptstadt sämtliche Bewohner, und eine ungeheure Menge<br />

an<strong>de</strong>rswo, Weiber und Männer, vor Freu<strong>de</strong> sangen und tanzten, als sie die Bekanntmachung<br />

empfingen.“<br />

Frankreich zeigte die Merkmale, die Sodom beson<strong>de</strong>rs gekennzeichnet hatten. Während<br />

<strong>de</strong>r Revolution herrschte ein Zustand sittlicher Erniedrigung und Ver<strong>de</strong>rbtheit ähnlich <strong>de</strong>m,<br />

<strong>de</strong>r einst <strong>de</strong>n Untergang über die Städte Sodom und Gomorra brachte. Ein Historiker spricht<br />

über die Gottesleugnung und die Unzucht Frankreichs, wie sie uns in <strong>de</strong>r Weissagung<br />

vorhergesagt sind: „Eng verbun<strong>de</strong>n mit diesen religionsfeindlichen Gesetzen war jenes,<br />

welches das Ehebündnis — die heiligste Verbindung, das menschliche Wesen eingehen<br />

können, und <strong>de</strong>ren Dauerhaftigkeit am meisten zur Festigung <strong>de</strong>r Gesellschaft beiträgt —<br />

auf die Stufe eines rein bürgerlichen Übereinkommens vorübergehen<strong>de</strong>r Natur<br />

herabwürdigte, welches irgendwelche zwei Personen miteinan<strong>de</strong>r treffen und nach Willkür<br />

wie<strong>de</strong>r lösen konnten ... Hätten böse Geister es unternommen, ein Verfahren zu ent<strong>de</strong>cken,<br />

welches auf die wirksamste Weise alles zugrun<strong>de</strong> richtet, was sich an Ehrwürdigem,<br />

Anmutigem o<strong>de</strong>r Dauerhaftem im Familienleben bietet, und hätten sie gleicherzeit die<br />

Zusicherung gehabt, daß das Unheil, das sie anzurichten beabsichtigten, von einem<br />

Geschlecht auf das an<strong>de</strong>re fortgepflanzt wer<strong>de</strong>n sollte, so hätten sie keinen wirksameren<br />

Plan ersinnen können als die Herabwürdigung <strong>de</strong>r Ehe ... Sophie Arnould, eine durch ihren<br />

geistreichen Witz berühmte Sängerin, beschrieb die republikanische Hochzeit als das<br />

‚Sakrament <strong>de</strong>s Ehebruchs‘.“<br />

„Da auch ihr Herr gekreuzigt ist.“ Dieses Merkmal <strong>de</strong>r Weissagung erfüllte Frankreich<br />

ebenfalls. In keinem Land hatte sich <strong>de</strong>r Geist <strong>de</strong>r Feindschaft wi<strong>de</strong>r Christus auffallen<strong>de</strong>r<br />

entfaltet. Nirgends ist die Wahrheit auf bittereren o<strong>de</strong>r grausameren Wi<strong>de</strong>rstand gestoßen. In<br />

<strong>de</strong>n Verfolgungen, mit <strong>de</strong>nen Frankreich die Bekenner <strong>de</strong>s Evangeliums heimsuchte, hatte<br />

es Christus in <strong>de</strong>r Person seiner Jünger gekreuzigt. Jahrhun<strong>de</strong>rtelang war das Blut <strong>de</strong>r<br />

Heiligen vergossen wor<strong>de</strong>n. Während die Wal<strong>de</strong>nser in <strong>de</strong>n Gebirgen Piemonts um <strong>de</strong>s<br />

186


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Wortes Gottes und <strong>de</strong>s Zeugnisses Jesu Christi willen ihr Leben ließen, hatten ihre Brü<strong>de</strong>r,<br />

die Albigenser in Frankreich, ein ähnliches Zeugnis für die Wahrheit abgelegt. In <strong>de</strong>n Tagen<br />

<strong>de</strong>r Reformation waren ihre Anhänger unter schrecklichsten Qualen hingerichtet wor<strong>de</strong>n.<br />

König und A<strong>de</strong>l, hochgeborene Frauen und zarte Mädchen, <strong>de</strong>r Stolz und Glanz <strong>de</strong>r Nation,<br />

ergötzten sich an <strong>de</strong>n Lei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Märtyrer Jesu. Die tapferen Hugenotten hatten im Kampf<br />

um die Rechte, die das menschliche Herz für die heiligsten hält, ihr Blut auf manchem<br />

heftig umstrittenen Feld dahingegeben. Die Protestanten wur<strong>de</strong>n für vogelfrei erklärt. Man<br />

setzte Kopfpreise aus und hetzte sie von Ort zu Ort wie wil<strong>de</strong> Tiere.<br />

Im 18.Jahrhun<strong>de</strong>rt hielt die „Gemein<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Wüste“, die wenigen Nachkommen <strong>de</strong>r<br />

alten Christen, die versteckt in <strong>de</strong>n Gebirgen <strong>de</strong>s südlichen Frankreichs übriggeblieben<br />

waren, noch immer am ehrwürdigen Glauben ihrer Väter fest. Wagten sie es, sich nachts an<br />

<strong>de</strong>n Gebirgsabhängen o<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r einsamen Hei<strong>de</strong> zu versammeln, wur<strong>de</strong>n sie von <strong>de</strong>n<br />

Dragonern verfolgt und zu lebenslänglicher Gefangenschaft auf die Galeeren geschleppt.<br />

Die Reinsten, die Gebil<strong>de</strong>sten und Verständigsten <strong>de</strong>r Franzosen wur<strong>de</strong>n unter<br />

schrecklichen Qualen mit Räubern und mit Meuchelmör<strong>de</strong>rn zusammengekettet. An<strong>de</strong>rn<br />

wi<strong>de</strong>rfuhr eine barmherzigere Behandlung: sie wur<strong>de</strong>n, während sie unbewaffnet und hilflos<br />

betend auf die Knie fielen, kaltblütig nie<strong>de</strong>rgeschossen. Hun<strong>de</strong>rte von betagten Männern,<br />

wehrlosen Frauen und unschuldigen Kin<strong>de</strong>rn wur<strong>de</strong>n am Versammlungsort tot auf <strong>de</strong>m<br />

Bo<strong>de</strong>n liegend zurückgelassen. Beim Durchstreifen <strong>de</strong>r Gebirgsabhänge o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Wäl<strong>de</strong>r,<br />

wo sie sich gewöhnlich versammelten, waren nicht selten „alle vier Schritte Leichname auf<br />

<strong>de</strong>m Rasen o<strong>de</strong>r an <strong>de</strong>n Bäumen hängend zu fin<strong>de</strong>n“. Ihr Land, von Schwert, Henkerbeil<br />

und Feuerbrand verwüstet, „wur<strong>de</strong> zu einer großen düsteren Wildnis ... Diese Greuel<br />

wur<strong>de</strong>n nicht in <strong>de</strong>m finsteren Zeitalter ..., son<strong>de</strong>rn in jener glänzen<strong>de</strong>n Zeitperio<strong>de</strong> Ludwigs<br />

XIV. begangen. Die Wissenschaften wur<strong>de</strong>n damals gepflegt, die Literatur blühte, die<br />

Geistlichkeit <strong>de</strong>s Hofes und <strong>de</strong>r Hauptstadt waren gelehrte und beredte Männer, welche sich<br />

gern mit <strong>de</strong>m Anschein <strong>de</strong>r Demut und <strong>de</strong>r Liebe zierten.“<br />

Doch das schwärzeste in <strong>de</strong>m schwarzen Verzeichnis <strong>de</strong>r Verbrechen, die schrecklichste<br />

unter <strong>de</strong>n höllischen Taten aller Schreckensjahrhun<strong>de</strong>rte war die blutige Bartholomäusnacht<br />

(1572). Noch erinnert sich die Welt mit Schau<strong>de</strong>rn und Entsetzen jenes beson<strong>de</strong>rs<br />

grausamen und feigen Gemetzels. Der König von Frankreich genehmigte, durch römische<br />

Priester und Prälaten gedrängt, das schreckliche Werk. Eine Glocke gab in nächtlicher Stille<br />

das Zeichen zum Blutbad, Tausen<strong>de</strong> von Hugenotten, die ruhig in ihren Wohnungen<br />

schliefen und sich auf die verpfän<strong>de</strong>te Ehre <strong>de</strong>s Königs verließen, wur<strong>de</strong>n ohne Warnung<br />

hervorgeschleppt und kaltblütig nie<strong>de</strong>rgemacht.<br />

Wie Christus unsichtbar sein Volk aus <strong>de</strong>r ägyptischen Knechtschaft führte, so<br />

unsichtbar leitete Satan seine Untertanen in diesem schrecklichen Werk, die Zahl <strong>de</strong>r<br />

Märtyrer zu vergrößern. Sieben Tage lang wur<strong>de</strong> das Gemetzel in Paris fortgesetzt; an <strong>de</strong>n<br />

ersten drei Tagen mit unbegreiflicher Raserei. Auf beson<strong>de</strong>ren Befehl <strong>de</strong>s Königs erstreckte<br />

es sich nicht nur auf Paris selbst, son<strong>de</strong>rn auch auf alle Provinzen und Städte, in <strong>de</strong>nen sich<br />

187


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Protestanten befan<strong>de</strong>n. We<strong>de</strong>r Alter noch Geschlecht wur<strong>de</strong> geachtet, we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r unschuldige<br />

Säugling noch <strong>de</strong>r Greis blieben verschont. Der Adlige wie <strong>de</strong>r Bauer, alt und jung, Mutter<br />

und Kind wur<strong>de</strong>n zusammen nie<strong>de</strong>rgehauen. Das Gemetzel hielt in ganz Frankreich zwei<br />

Monate lang an. Siebzigtausend <strong>de</strong>r Besten <strong>de</strong>r Nation kamen ums Leben.<br />

„Als die Nachricht von <strong>de</strong>m Blutbad Rom erreichte, kannte die Freu<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Geistlichkeit<br />

keine Grenzen. Der Kardinal von Lothringen belohnte <strong>de</strong>n Boten mit tausend Kronen, <strong>de</strong>r<br />

Domherr von St. Angelo ließ hun<strong>de</strong>rt Freu<strong>de</strong>nschüsse abgeben, die Glocken läuteten von<br />

je<strong>de</strong>m Turm, Freu<strong>de</strong>nfeuer verwan<strong>de</strong>lten die Nacht in einen Tag, und Gregor XIII. zog,<br />

begleitet von <strong>de</strong>n Kardinälen und an<strong>de</strong>rn geistlichen Wür<strong>de</strong>nträgern, in einer großen<br />

Prozession nach <strong>de</strong>r Kirche von St. Ludwig, wo <strong>de</strong>r Kardinal von Lothringen ein Te<strong>de</strong>um<br />

sang ... Zur Erinnerung an das Gemetzel wur<strong>de</strong> eine Ge<strong>de</strong>nkmünze geprägt, und im Vatikan<br />

kann man drei Freskogemäl<strong>de</strong> von Vasari sehen, welche <strong>de</strong>n Angriff auf <strong>de</strong>n Admiral, <strong>de</strong>n<br />

König, wie er im<br />

Rate das Hinschlachten plante, und das Blutbad selbst darstellen. Gregor sandte Karl die<br />

gol<strong>de</strong>ne Rose und hörte vier Monate später ... ruhigen Gemüts die Predigt eines<br />

französischen Priesters an ..., <strong>de</strong>r von jenem Tage <strong>de</strong>s Glücks und <strong>de</strong>r Freu<strong>de</strong> sprach, als <strong>de</strong>r<br />

Heilige Vater die Nachricht empfing und höchst feierlich hinging, um Gott und St. Ludwig<br />

seinen Dank darzubringen.“ Der gleiche mächtige Geist, <strong>de</strong>r zu <strong>de</strong>m Blutbad in <strong>de</strong>r<br />

Bartholomäusnacht <strong>de</strong>n Antrieb gab, bekun<strong>de</strong>te sich auch in <strong>de</strong>n Ereignissen <strong>de</strong>r Revolution.<br />

Jesus Christus wur<strong>de</strong> als Betrüger hingestellt, und <strong>de</strong>r gemeinsame Kampfruf <strong>de</strong>r<br />

französischen Gottesleugner hieß: „Nie<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m Elen<strong>de</strong>n!“, womit sie Christus meinten.<br />

Den Himmel herausfor<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Lästerung und abscheuliche Gottlosigkeit gingen Hand in<br />

Hand. Die gemeinsten Menschen, die verwahrlosesten Ungeheuer, voller Grausamkeit und<br />

Laster, wur<strong>de</strong>n aufs höchste erhoben. Durch all dieses Geschehen wur<strong>de</strong> Satan die äußerste<br />

Huldigung gezollt, während man Christus mit seinen Eigenschaften <strong>de</strong>r Wahrheit, <strong>de</strong>r<br />

Reinheit und <strong>de</strong>r selbstlosen Liebe kreuzigte.<br />

„So wird das Tier, das aus <strong>de</strong>m Abgrund aufsteigt mit ihnen einen Streit halten und wird<br />

sie überwin<strong>de</strong>n und wird sie töten.“ Die gottesleugnerische Macht, die in Frankreich<br />

während <strong>de</strong>r Revolution und <strong>de</strong>r nachfolgen<strong>de</strong>n Schreckensherrschaft das Zepter führte,<br />

unternahm einen solchen Krieg gegen Gott und sein heiliges Wort, wie ihn die Welt noch<br />

nie gesehen hatte. Die Anbetung Gottes wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Nationalversammlung verboten.<br />

Bibeln wur<strong>de</strong>n eingesammelt und unter je<strong>de</strong>m möglichen Zeichen <strong>de</strong>r Verachtung öffentlich<br />

verbrannt. Das Gesetz Gottes trat man mit Füßen. Biblische Einrichtungen wur<strong>de</strong>n<br />

abgeschafft. Den wöchentlichen Ruhetag hob man auf; statt diesem widmete man je<strong>de</strong>n<br />

zehnten Tag <strong>de</strong>r Lustbarkeit und <strong>de</strong>r Gotteslästerung. Taufe und Abendmahl wur<strong>de</strong>n<br />

verboten. Über <strong>de</strong>n Grabstätten <strong>de</strong>utlich sichtbar angebrachte Inschriften erklärten <strong>de</strong>n Tod<br />

für einen ewigen Schlaf.<br />

Die Gottesfurcht, behauptete man, sei nicht <strong>de</strong>r Anfang <strong>de</strong>r Weisheit, son<strong>de</strong>rn vielmehr<br />

<strong>de</strong>r Anfang <strong>de</strong>r Torheit. Jegliche Verehrung ausgenommen die <strong>de</strong>r Freiheit und <strong>de</strong>s<br />

188


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Vaterlan<strong>de</strong>s, wur<strong>de</strong> untersagt. Der „konstitutionelle Bischof von Paris wur<strong>de</strong> herbeigeholt,<br />

um in <strong>de</strong>r schamlosesten und anstößigsten Posse, die sich je vor einer Nationalvertretung<br />

abspielte, die Hauptrolle zu übernehmen ... Man führte ihn in einer förmlichen Prozession<br />

vor, um <strong>de</strong>r Versammlung zu erklären, daß die Religion, welche er so viele Jahre lang<br />

gelehrt hatte, in jeglicher Hinsicht ein Stück Pfaffentrug ohne irgen<strong>de</strong>inen Grund in <strong>de</strong>r<br />

Geschichte noch in <strong>de</strong>r heiligen Wahrheit sei. Er verleugnete mit feierlichen und <strong>de</strong>utlichen<br />

Worten das Dasein <strong>de</strong>r Gottheit, zu <strong>de</strong>ren Dienst er eingesegnet wor<strong>de</strong>n war, und widmete<br />

sich in Zukunft <strong>de</strong>r Verehrung <strong>de</strong>r Freiheit, Gleichheit, Tugend und Sittlichkeit. Dann legte<br />

er seinen bischöflichen Schmuck auf <strong>de</strong>n Tisch und empfing eine brü<strong>de</strong>rliche Umarmung<br />

von <strong>de</strong>m Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>s Konvents. Verschie<strong>de</strong>ne abgefallene Priester folgten <strong>de</strong>m<br />

wür<strong>de</strong>losen Beispiel dieses Prälaten.“ .<br />

„Und die auf Er<strong>de</strong>n wohnen, wer<strong>de</strong>n sich freuen über sie und wohlleben und Geschenke<br />

untereinan<strong>de</strong>r sen<strong>de</strong>n; <strong>de</strong>nn diese zwei Propheten quälten die auf Er<strong>de</strong>n wohnten.“ Das<br />

ungläubige Frankreich hatte die strafen<strong>de</strong> Stimme jener bei<strong>de</strong>n Zeugen Gottes zum<br />

Schweigen gebracht. Das Wort Gottes lag erstorben auf seinen Straßen, und alle, die die<br />

Einschränkungen und For<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Gesetzes Gottes haßten, frohlockten. Öffentlich<br />

for<strong>de</strong>rten Menschen <strong>de</strong>n König <strong>de</strong>s Himmels heraus. Wie vor alters die Sün<strong>de</strong>r, riefen sie<br />

aus: „Was merkt Gott? Weiß <strong>de</strong>r Höchste überhaupt etwas?“ Psalm 73,11 (Schlachter).<br />

Mit lästerlicher Vermessenheit, die beinahe alle Glaubwürdigkeit übersteigt, sagte einer<br />

<strong>de</strong>r Priester dieser neuen Art: „Gott, so du existierst, räche <strong>de</strong>inen beleidigten Namen. Ich<br />

biete dir Trotz! Du schweigst! Du wagst es nicht, <strong>de</strong>ine Donner zu schleu<strong>de</strong>rn! Wer wird<br />

hinfort an <strong>de</strong>in Dasein glauben?“ Welch ein Wi<strong>de</strong>rhall <strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rung Pharaos: „Wer ist <strong>de</strong>r<br />

Herr, <strong>de</strong>s Stimme ich hören müsse? ... Ich weiß nichts von <strong>de</strong>m Herrn.“ „Die Toren<br />

sprechen in ihrem Herzen: Es ist kein Gott.“ Psalm 14,1. Und <strong>de</strong>r Herr erklärt von <strong>de</strong>n<br />

Verfälschern seiner Wahrheit: „Ihre Torheit wird offenbar wer<strong>de</strong>n je<strong>de</strong>rmann.“ 2.Timotheus<br />

3,9. Nach<strong>de</strong>m Frankreich sich von <strong>de</strong>r Anbetung <strong>de</strong>s lebendigen Gottes, <strong>de</strong>s „Hohen und<br />

Erhabenen, <strong>de</strong>r ewiglich wohnt“, losgesagt hatte, verstrich nur kurze Zeit, bis es zu<br />

erniedrigen<strong>de</strong>m Götzendienst herabsank, in<strong>de</strong>m es die Göttin <strong>de</strong>r Vernunft in <strong>de</strong>r Person<br />

eines lasterhaften Frauenzimmers anbetete — dies in <strong>de</strong>r Nationalversammlung, durch die<br />

Vertreter <strong>de</strong>s Volkes und durch seine höchsten zivilen und gesetzgeben<strong>de</strong>n Behör<strong>de</strong>n!<br />

Ein Geschichtsschreiber sagt: „Eine <strong>de</strong>r Zeremonien dieser wahnsinngen Zeit steht<br />

unübertroffen da wegen ihrer mit Gottlosigkeit verbun<strong>de</strong>nen Abgeschmacktheit. Die Tore<br />

<strong>de</strong>s Konvents wur<strong>de</strong>n einer Schar von Musikanten geöffnet, <strong>de</strong>r in feierlichem Zuge die<br />

Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Stadtbehör<strong>de</strong> folgten, während sie ein Loblied auf die Freiheit sangen und<br />

<strong>de</strong>n Gegen- stand ihrer zukünftigen Anbetung, ein verschleiertes Frauenzimmer, welches sie<br />

die Göttin <strong>de</strong>r Vernunft nannten, geleiteten. Als man sie innerhalb <strong>de</strong>r Schranken gebracht,<br />

mit großer Förmlichkeit entschleiert und zur Rechten <strong>de</strong>s Präsi<strong>de</strong>nten hingesetzt hatte,<br />

erkannte man sie allgemein als eine Tänzerin aus <strong>de</strong>r Oper .. Dieser Person, <strong>de</strong>r passendsten<br />

189


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Vertreterin jener Vernunft, die man anbetete, brachte die Nationalversammlung Frankreichs<br />

öffentliche Huldigung dar.<br />

Jene gottlose und lächerliche Mummerei wur<strong>de</strong> zu einem gewissen Brauch, und die<br />

Einsetzung <strong>de</strong>r Göttin <strong>de</strong>r Vernunft wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r ganzen Nation an allen Orten, wo die<br />

Bewohner sich auf <strong>de</strong>r Höhe <strong>de</strong>r Revolution zeigen wollten, erneuert und nachgeahmt.“ Der<br />

Redner,<strong>de</strong>r die Anbetung <strong>de</strong>r Vernunft einführte,sagte: „Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r gesetzgeben<strong>de</strong>n<br />

Versammlung! Der Fanatismus ist <strong>de</strong>r Vernunft gewichen. Seine getrübten Augen konnten<br />

<strong>de</strong>n Glanz <strong>de</strong>s Lichts nicht ertragen. Heute hat sich eine unermeßliche Menge in <strong>de</strong>n<br />

gotischen Gewölben versammelt, welche zum erstenmal von <strong>de</strong>r Stimme <strong>de</strong>r Wahrheit<br />

wi<strong>de</strong>rhallen. Dort haben die Franzosen die wahre Anbetung <strong>de</strong>r Freiheit und <strong>de</strong>r Vernunft<br />

vollzogen; dort haben wir neue Wünsche für das Glück <strong>de</strong>r Waffen <strong>de</strong>r Republik<br />

ausgesprochen; dort haben wir die leblosen Götzen gegen die Vernunft, dieses belebte Bild,<br />

das Meisterwerk <strong>de</strong>r Natur, eingetauscht.“<br />

Als die Göttin in <strong>de</strong>n Konvent geführt wur<strong>de</strong>, nahm <strong>de</strong>r Redner sie bei <strong>de</strong>r Hand und<br />

sagte, in<strong>de</strong>m er sich an die Versammlung wandte: „‚Sterbliche, hört auf vor <strong>de</strong>m<br />

ohnmächtigen Donner eines Gottes zu beben, <strong>de</strong>n eure Furcht geschaffen hat. Hinfort<br />

erkennet keine Gottheit außer <strong>de</strong>r Vernunft. Ich stelle euch ihr reinstes und e<strong>de</strong>lstes Bild vor;<br />

müßt ihr Götter haben, so opfert nur solchen wie dieser ... O Schleier <strong>de</strong>r Vernunft, falle vor<br />

<strong>de</strong>m erlauchten Senat <strong>de</strong>r Freiheit! ...‘<br />

Nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Präsi<strong>de</strong>nt die Göttin umarmt hatte, wur<strong>de</strong> sie auf einen prächtigen Wagen<br />

gesetzt und inmitten eines ungeheuren Gedränges zur Liebfrauenkirche geführt, damit sie<br />

dort die Stelle <strong>de</strong>r Gottheit einnehme. Dann wur<strong>de</strong> sie auf <strong>de</strong>n Hochaltar gehoben und von<br />

allen Anwesen<strong>de</strong>n verehrt.“ Bald darauf erfolgte die öffentliche Verbrennung <strong>de</strong>r Bibel. Bei<br />

einem <strong>de</strong>rartigen Anlaß betrat die „Gesellschaft <strong>de</strong>r Volksfreun<strong>de</strong>“ <strong>de</strong>n Saal <strong>de</strong>r höchsten<br />

Behör<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>m Ruf: „Es lebe die Vernunft!“ Auf <strong>de</strong>r Spitze einer Stange trugen sie die<br />

halbverbrannten Überreste verschie<strong>de</strong>ner Bücher, darunter Gebetbücher, Meßbücher und<br />

das Alte und Neue Testament, die wie <strong>de</strong>r Präsi<strong>de</strong>nt sich ausdrückte, „in einem großen<br />

Feuer die gesamten Torheiten sühnten, die zu begehen sie das menschliche Geschlecht<br />

veranlaßt hatten“.<br />

Das Papsttum hatte das Werk begonnen, das die Gottesleugner nun vollen<strong>de</strong>ten. Roms<br />

Politik hatte jene gesellschaftlichen, politischen und religiösen Zustän<strong>de</strong> zur Folge die<br />

Frankreich <strong>de</strong>m Ver<strong>de</strong>rben zutrieben. Schriftsteller, die die Schrecken <strong>de</strong>r Revolution<br />

schil<strong>de</strong>rn, sagen, daß jene Ausschreitungen <strong>de</strong>m Thron und <strong>de</strong>r Kirche zur Last gelegt<br />

wer<strong>de</strong>n müssen. Ein gerechtes Urteil muß sie <strong>de</strong>r Kirche zurechnen. Das Papsttum hatte<br />

Voreingenommenheit gegen die Reformation in die Gemüter <strong>de</strong>r Könige gesät, als wäre sie<br />

ein Feind <strong>de</strong>r Krone, eine Ursache zur Uneinigkeit, die sich <strong>de</strong>m Frie<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>r Eintracht<br />

<strong>de</strong>r Nation verhängnisvoll erwiese. Der Einfluß Roms führte auf diese Weise zu <strong>de</strong>n<br />

entsetzlichsten Grausamkeiten und zur bittersten Unterdrückung, die je von einem Thron<br />

ausgegangen sind.<br />

190


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Der Geist <strong>de</strong>r Freiheit zog mit <strong>de</strong>r Bibel in die Herzen <strong>de</strong>r Menschen ein. Wo das<br />

Evangelium Aufnahme fand, wur<strong>de</strong>n die Gemüter <strong>de</strong>r Menschen belebt. Sie fingen an, die<br />

Fesseln, die sie als Sklaven <strong>de</strong>r Unwissenheit, <strong>de</strong>s Lasters und <strong>de</strong>s Aberglaubens gehalten<br />

hatten, abzuschütteln und wie Männer zu <strong>de</strong>nken und zu han<strong>de</strong>ln. Die Herrscher sahen es<br />

und fürchteten für ihre unumschränkte Gewalt.<br />

Rom versäumte es nicht, ihre eifersüchtigen Befürchtungen zu nähren. Der Papst sagte<br />

im Jahre 1525 zu <strong>de</strong>m Regenten Frankreichs: „Diese Tollwut (<strong>de</strong>r Protestantismus) wird<br />

nicht nur die Religion verwirren und ver<strong>de</strong>rben, son<strong>de</strong>rn außer<strong>de</strong>m auch alle Fürsten- und<br />

A<strong>de</strong>lswür<strong>de</strong>n, Gesetze, Or<strong>de</strong>n und Rangunterschie<strong>de</strong>.“ Einige Jahre später warnte ein<br />

päpstlicher Gesandter <strong>de</strong>n König: „Sire, täuschen Sie sich nicht, die Protestanten wer<strong>de</strong>n die<br />

bürgerliche wie die religiöse Ordnung untergraben ... Der Thron ist ebensosehr in Gefahr<br />

wie <strong>de</strong>r Altar ... Die Einführung einer neuen Religion bringt notwendigerweise die einer<br />

neuen Regierung mit sich.“ Theologen machten sich das Vorurteil <strong>de</strong>s Volkes zunutze,<br />

in<strong>de</strong>m sie erklärten, daß die protestantische Lehre „die Leute zu Neuerungen und Torheiten<br />

verlocke, <strong>de</strong>m Könige die aufopfern<strong>de</strong> Liebe seiner Untertanen raube und Kirche und Staat<br />

verheere“. So gelang es Rom, Frankreich dahin zu bringen, daß es sich gegen die<br />

Reformation erhob. „Zur Erhaltung <strong>de</strong>s Thrones, zur Bewahrung <strong>de</strong>s A<strong>de</strong>ls und zur<br />

Aufrechterhaltung <strong>de</strong>r Gesetze wur<strong>de</strong> das Schwert <strong>de</strong>r Verfolgung in Frankreich zuerst<br />

gezogen.“<br />

Die Herrscher jenes Lan<strong>de</strong>s waren weit davon entfernt, die Folgen dieser<br />

verhängnisvollen Politik vorauszusehen. Die Lehren <strong>de</strong>r Heiligen Schrift hätten in die<br />

Gemüter und Herzen <strong>de</strong>s Volkes jene Grundsätze <strong>de</strong>r Gerechtigkeit, Mäßigkeit, Wahrheit,<br />

Gleichheit und Wohltätigkeit eingepflanzt, die die eigentliche Grundlage zu seiner<br />

Wohlfahrt sind. „Gerechtigkeit erhöhet ein Volk“; „durch Gerechtigkeit wird <strong>de</strong>r Thron<br />

befestigt.“ Sprüche 14,34; Sprüche 16,12. „Und <strong>de</strong>r Gerechtigkeit Frucht wird Frie<strong>de</strong> sein“,<br />

ja „ewige Stille und Sicherheit“. Jesaja 32,17. Wer das göttliche Gesetz hält, wird auch aufs<br />

getreueste die Gesetze seines Lan<strong>de</strong>s achten und ihnen gehorchen. Wer Gott fürchtet, wird<br />

<strong>de</strong>n König in <strong>de</strong>r Ausübung aller gerechten und gesetzlichen Macht ehren. Aber das<br />

unglückliche Frankreich verbot die Heilige Schrift und verbannte <strong>de</strong>ren Anhänger. Ein<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rt nach <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn mußten aufrichtige, unbescholtene Männer — Männer mit<br />

guten Grundsätzen, von geistigem Scharfblick und sittlicher Kraft, die <strong>de</strong>n Mut hatten, ihrer<br />

Überzeugung treu zu bleiben, und <strong>de</strong>n Glauben besaßen, für die Wahrheit lei<strong>de</strong>n zu<br />

können — als Sklaven auf <strong>de</strong>n Galeeren arbeiten, auf <strong>de</strong>n Scheiterhaufen zugrun<strong>de</strong> gehen,<br />

in dumpfen Kerkerzellen vermo<strong>de</strong>rn, während sich Tausen<strong>de</strong> und aber Tausen<strong>de</strong> nur durch<br />

die Flucht <strong>de</strong>n Verfolgungen entziehen konnten; und dies dauerte noch zweihun<strong>de</strong>rtfünfzig<br />

Jahre nach Beginn <strong>de</strong>r Reformation fort.<br />

„Während jener langen Zeitspanne gab es unter <strong>de</strong>n Franzosen wohl kaum ein<br />

Geschlecht, das nicht Zeuge gewesen wäre, wie Jünger <strong>de</strong>s Evangeliums vor <strong>de</strong>r<br />

wahnsinnigen Wut <strong>de</strong>r Verfolger flohen und Bildung, Künste, Gewerbefleiß und<br />

191


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Ordnungsliebe, in <strong>de</strong>nen sie sich in <strong>de</strong>r Regel auszeichneten, mit sich nahmen und damit das<br />

Land, das ihnen Zuflucht bot, bereicherten. Im gleichen Verhältnis, wie an<strong>de</strong>re Län<strong>de</strong>r mit<br />

diesen guten Gaben beglückt wur<strong>de</strong>n, verarmte ihr eigenes Land. Wären alle, die vertrieben<br />

wur<strong>de</strong>n, in Frankreich geblieben, hätte die Geschicklichkeit dieser Verbannten in ihren<br />

Gewerben während <strong>de</strong>r dreihun<strong>de</strong>rt Jahre auf heimatlicher Scholle befruchtend wirken<br />

können, wären in dieser langen Zeit ihre künstlerischen Anlagen <strong>de</strong>m heimatlichen<br />

Gewerbefleiß zugute gekommen, hätte ihr schöpferischer Geist und forschen<strong>de</strong>r Verstand<br />

die Literatur <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s befruchtet und seine Wissenschaften gepflegt, hätte ihre Weisheit<br />

seine Beratungen geleitet, ihre Tapferkeit seine Schlachten geschlagen, ihre Unparteilichkeit<br />

seine Gesetze aufgestellt, hätte die Religion <strong>de</strong>r Bibel <strong>de</strong>n Geist <strong>de</strong>s Volkes gestärkt und<br />

<strong>de</strong>ssen Gewissen beherrscht — welche Herrlichkeit wür<strong>de</strong> Frankreich an <strong>de</strong>m Tage<br />

umgeben haben! Welch großes, blühen<strong>de</strong>s und glückliches Land — <strong>de</strong>n Nationen ein<br />

Vorbild — wür<strong>de</strong> es gewesen sein!<br />

Aber eine blin<strong>de</strong> und unerbittliche Frömmelei jagte von seinem Bo<strong>de</strong>n je<strong>de</strong>n Lehrer <strong>de</strong>r<br />

Tugend, je<strong>de</strong>n Streiter für Ordnung, je<strong>de</strong>n ehrlichen Verteidiger <strong>de</strong>s Thrones; sie sagte zu<br />

<strong>de</strong>n Menschen, die ihr Land zu einem Ruhm und zu einer Herrlichkeit auf Er<strong>de</strong>n gemacht<br />

haben wür<strong>de</strong>n: Wählet, was ihr haben wollt, <strong>de</strong>n Marterpfahl o<strong>de</strong>r die Verbannung!<br />

Schließlich war das Ver<strong>de</strong>rben <strong>de</strong>s Staates vollständig. Es blieb kein Gewissen mehr, das<br />

man ächten, keine Religion, die man auf <strong>de</strong>n Scheiterhaufen schleppen, kein Patriotismus,<br />

<strong>de</strong>n man in die Verbannung jagen konnte.“ Die Revolution mit all ihren Schrecken war die<br />

entsetzliche Folge.<br />

„Mit <strong>de</strong>r Flucht <strong>de</strong>r Hugenotten geriet Frankreich in allgemeinen Verfall. Blühen<strong>de</strong><br />

Fabrikstädte gingen zugrun<strong>de</strong>, fruchtbare Strecken verfielen in ihre ursprüngliche Wildnis,<br />

geistiger Stumpfsinn und sittlicher Verfall folgten einer Zeit ungewöhnlichen Fortschritts.<br />

Paris wur<strong>de</strong> ein ungeheures Armenhaus; man sagt, daß beim Ausbruch <strong>de</strong>r Revolution<br />

200.000 Arme um Unterstützung von <strong>de</strong>r Hand <strong>de</strong>s Königs nachsuchten. Nur <strong>de</strong>r<br />

Jesuitenor<strong>de</strong>n blühte in <strong>de</strong>r verfallenen Nation und herrschte mit fürchterlicher Willkür über<br />

Kirchen und Schulen, über Gefängnisse und Galeeren.“<br />

Das Evangelium hätte Frankreich die Lösung jener politischen und sozialen Fragen<br />

gebracht, die die Geschicklichkeit seines Klerus, seines Königs und seiner Gesetzgeber<br />

durchkreuzten und schließlich die Nation in Zuchtlosigkeit und Ver<strong>de</strong>rben stürzten. Doch<br />

unter <strong>de</strong>r Herrschaft Roms hatte das Volk die segensreichen Lehren <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s über die<br />

Selbstaufopferung und selbstlose Liebe vergessen; man hatte es davon abgebracht, für das<br />

Wohl an<strong>de</strong>rer Selbstverleugnung zu üben. Die Reichen wur<strong>de</strong>n nicht dafür gerügt, daß sie<br />

die Armen unterdrückten; und die Armen blieben in ihrer Erniedrigung und Knechtschaft<br />

ohne Hilfe. Die Selbstsucht <strong>de</strong>r Wohlhaben<strong>de</strong>n und Mächtigen wur<strong>de</strong> immer<br />

augenscheinlicher und drücken<strong>de</strong>r. Jahrhun<strong>de</strong>rtelang hatte die Habgier und die<br />

Ruchlosigkeit <strong>de</strong>s A<strong>de</strong>ls die Bauern grausam erpreßt. Die Reichen übervorteilten die Armen,<br />

und die Armen haßten die Reichen.<br />

192


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

In vielen Provinzen besaßen die Adligen das Land, und die arbeiten<strong>de</strong>n Klassen waren<br />

nur Pächter, die von <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gutsbesitzer abhingen und sich gezwungen sahen, <strong>de</strong>ren<br />

übermäßigen For<strong>de</strong>rungen nachzukommen. Die Last, die Kirche und <strong>de</strong>n Staat zu<br />

unterhalten, ruhte auf <strong>de</strong>n mittleren und nie<strong>de</strong>ren Klassen, die von <strong>de</strong>n zivilen Behör<strong>de</strong>n und<br />

<strong>de</strong>r Geistlichkeit schwer besteuert wur<strong>de</strong>n. „Die Willkür <strong>de</strong>s A<strong>de</strong>ls galt als das höchste<br />

Gesetz; die Bauern und Landbewohner konnten verhungern, ohne daß die Unterdrücker sich<br />

darum gekümmert hätten ... Die Leute sahen sich bei je<strong>de</strong>r Gelegenheit gezwungen, einzig<br />

und allein <strong>de</strong>n Vorteil <strong>de</strong>s Gutsbesitzers zu berücksichtigen. Das Leben <strong>de</strong>r Landarbeiter<br />

war nichts als beständige Mühsal und ungelin<strong>de</strong>rtes Elend; ihre Klagen, falls sie es<br />

überhaupt wagten, solche vorzubringen, wur<strong>de</strong>n mit beleidigen<strong>de</strong>r Verachtung abgewiesen.<br />

Die Gerichtshöfe liehen eher einem Adligen als einem Bauern Gehör. Bestechung <strong>de</strong>r<br />

Richter wur<strong>de</strong> offenkundig betrieben, und die geringste Laune <strong>de</strong>r Vornehmen hatte infolge<br />

dieser allgemeinen Ver<strong>de</strong>rbtheit Gesetzeskraft. Nicht einmal die Hälfte <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n arbeiten<strong>de</strong>n<br />

Klassen von <strong>de</strong>n weltlichen Großen einerseits und <strong>de</strong>r Geistlichkeit an<strong>de</strong>rseits abgepreßten<br />

Steuern gelangten in die königliche o<strong>de</strong>r kirchliche Schatzkammer; alles an<strong>de</strong>re wur<strong>de</strong> in<br />

schändlicher Genußsucht verschleu<strong>de</strong>rt. Und die Leute, die auf diese Weise ihre<br />

Mitmenschen an <strong>de</strong>n Bettelstab brachten, waren selbst aller Steuern enthoben und durch<br />

Gesetze o<strong>de</strong>r Brauch- tum zu allen Staatsämtern berechtigt. Zu <strong>de</strong>n bevorzugten Klassen<br />

zählten 150.000 Personen, und für <strong>de</strong>ren Annehmlichkeiten wur<strong>de</strong>n Millionen zu einem<br />

hoffnungslosen und herabwürdigen<strong>de</strong>n Leben verdammt.“<br />

Der Hof ergab sich <strong>de</strong>r Üppigkeit und <strong>de</strong>r Ausschweifung. Zwischen <strong>de</strong>n Regieren<strong>de</strong>n<br />

und <strong>de</strong>n Untertanen bestand nur wenig Vertrauen. An alle Maßnahmen <strong>de</strong>r Regierung<br />

heftete sich <strong>de</strong>r Verdacht, daß sie hinterlistig und selbstsüchtig seien. Mehr als ein halbes<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rt vor <strong>de</strong>r Revolution bestieg Ludwig XV., <strong>de</strong>r sich selbst in jenen bösen Zeiten<br />

als ein träger, leichtfertiger und sinnlicher Fürst auszeichnete, <strong>de</strong>n Thron. Angesichts <strong>de</strong>s<br />

ver<strong>de</strong>rbten und grausamen A<strong>de</strong>ls, <strong>de</strong>r verarmten und unwissen<strong>de</strong>n unteren Klasse, <strong>de</strong>r<br />

finanziellen Verlegenheit <strong>de</strong>s Staates und <strong>de</strong>r Erbitterung <strong>de</strong>s Volkes bedurfte es keines<br />

prophetischen Auges, um einen schrecklichen Ausbruch vorauszusehen. Auf die Warnung<br />

seiner Ratgeber erwi<strong>de</strong>rte <strong>de</strong>r König gewöhnlich: „Bemüht euch, alles im Gang zu erhalten,<br />

solange ich leben mag; nach meinem To<strong>de</strong> mag es kommen, wie es will.“ Vergebens drang<br />

man auf die Notwendigkeit einer Reform. Er sah die Übelstän<strong>de</strong>, hatte aber we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Mut<br />

noch die Macht, ihnen zu begegnen. Das Schicksal, das Frankreich bevorstand, wur<strong>de</strong> nur<br />

zu <strong>de</strong>utlich durch seine lässige und selbstsüchtige Antwort gekennzeichnet: „Nach mir die<br />

Sintflut!“<br />

Rom hatte durch ständiges Schüren <strong>de</strong>r Eifersucht <strong>de</strong>r Könige und <strong>de</strong>r herrschen<strong>de</strong>n<br />

Klassen diese beeinflußt, das Volk in Knechtschaft zu halten, wohl wissend, daß <strong>de</strong>r Staat<br />

dadurch geschwächt wür<strong>de</strong>; damit wollte es jedoch sowohl die Herrscher als auch das Volk<br />

zu seinen Sklaven machen. Mit weitsichtiger Politik erkannte die päpstliche Macht, daß man,<br />

um die Menschen endgültig zu unterjochen, ihren Seelen Fesseln anlegen müsse; daß es am<br />

193


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

sichersten sei, sie für die Freiheit unfähig zu machen, um ihr Entrinnen aus <strong>de</strong>r Knechtschaft<br />

zu verhin<strong>de</strong>rn. Tausendmal schrecklicher als die körperlichen Lei<strong>de</strong>n, die aus solcher Politik<br />

hervorgingen, war die sittliche Erniedrigung. Der Bibel beraubt, <strong>de</strong>n Lehren <strong>de</strong>r Frömmelei<br />

und <strong>de</strong>r Selbstsucht preisgegeben, wur<strong>de</strong> das Volk in Unwissenheit und Aberglauben<br />

eingehüllt, so daß es in Laster versank und völlig untüchtig wur<strong>de</strong>, sich selbst zu<br />

beherrschen.<br />

Doch die Ergebnisse dieser Bemühungen unterschie<strong>de</strong>n sich erheblich von <strong>de</strong>m, was<br />

Rom angestrebt hatte. Statt daß sich die Massen blind ergeben seinen Lehrsätzen<br />

unterstellten, wur<strong>de</strong>n sie zu Gottesleugnern und Revolutionären. Die Politik, die Lehren und<br />

Gebräuche <strong>de</strong>r Kirche verachteten sie als Pfaffentrug und betrachteten die Geistlichkeit als<br />

mitverantwortlich für ihr elen<strong>de</strong>s Dasein. Der Gott Roms war <strong>de</strong>r einzige Gott, <strong>de</strong>n sie<br />

kannten, Roms Lehre ihre einzige Religion.<br />

Rom hatte <strong>de</strong>n Charakter Gottes falsch dargestellt und seine For<strong>de</strong>rungen verdreht, und<br />

nun verwarfen die Menschen sowohl die Bibel als auch ihren Urheber. Rom hatte einen<br />

blin<strong>de</strong>n Glauben an seine Lehrsätze gefor<strong>de</strong>rt, und dabei die Schrift angeblich gutgeheißen.<br />

Die Rückwirkung sah so aus, daß Voltaire und die ihm Geistesverwandten das Wort Gottes<br />

gänzlich beiseitesetzten und überall das Gift <strong>de</strong>s Unglaubens verbreiteten. Rom hatte das<br />

Volk unter seinen eisernen Füßen nie<strong>de</strong>rgetreten, und nun brachen die entwürdigten und<br />

verrohten Massen als Erwi<strong>de</strong>rung auf die Zwangsherrschaft alle Schranken. Rasend vor Wut<br />

über <strong>de</strong>n gleißen<strong>de</strong>n Betrug, <strong>de</strong>m sie so lange gehuldigt hatten, verwarfen sie Wahrheit und<br />

Irrtum zusammen. In<strong>de</strong>m sie die Zügellosigkeit für Freiheit hielten, jubelten die Sklaven <strong>de</strong>s<br />

Lasters in ihrer vermeintlichen Freiheit.<br />

Nach Beginn <strong>de</strong>r Revolution räumte <strong>de</strong>r König <strong>de</strong>m Volk eine Vertretung ein, die die<br />

gemeinsame <strong>de</strong>s A<strong>de</strong>ls und <strong>de</strong>r Geistlichkeit überwog. Somit befand sich das Übergewicht<br />

<strong>de</strong>r Macht in <strong>de</strong>r Hand <strong>de</strong>s Volkes, das aber nicht imstan<strong>de</strong> war, sie zu benutzen. Eifrig<br />

bestrebt, das erlittene Unrecht zu ahn<strong>de</strong>n, beschloß es, die Erneuerung <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />

vorzunehmen. Die schimpflich behan<strong>de</strong>lten Volksmassen, <strong>de</strong>ren Gemüter mit bitteren, seit<br />

langem angehäuften Erinnerungen an Ungerechtigkeiten erfüllt waren, erklärten, <strong>de</strong>n<br />

unerträglich gewor<strong>de</strong>nen Zustand <strong>de</strong>s Elends än<strong>de</strong>rn und sich an <strong>de</strong>nen rächen zu wollen,<br />

die sie als Urheber ihrer Lei<strong>de</strong>n ansahen. Die Unterdrückten setzten die Lehre, die sie unter<br />

<strong>de</strong>r Gewaltherrschaft gelernt hatten, in die Tat um und tyrannisierten jetzt die, von <strong>de</strong>nen sie<br />

unterdrückt wor<strong>de</strong>n waren.<br />

Das unglückliche Frankreich heimste eine blutige Ernte <strong>de</strong>r ausgestreuten Saat ein.<br />

Schrecklich waren die Folgen seiner Unterwerfung unter die beherrschen<strong>de</strong> Macht Roms.<br />

Wo Frankreich unter <strong>de</strong>m Einfluß Roms beim Beginn <strong>de</strong>r Reformation <strong>de</strong>n ersten<br />

Scheiterhaufen errichtet hatte, stellte die Revolution ihre erste Guillotine auf. An <strong>de</strong>rselben<br />

Stätte, wo die ersten Märtyrer <strong>de</strong>s protestantischen Glaubens im 16.Jahrhun<strong>de</strong>rt verbrannt<br />

wur<strong>de</strong>n, fielen die ersten Opfer <strong>de</strong>r Revolution im 18.Jahrhun<strong>de</strong>rt unter <strong>de</strong>r Guillotine.<br />

In<strong>de</strong>m Frankreich das Evangelium verwarf, das ihm Heilung hätte bringen können, öffnete<br />

194


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

es <strong>de</strong>m Unglauben und <strong>de</strong>m Ver<strong>de</strong>rben die Tür. Als das Volk die Schranken <strong>de</strong>s Gesetzes<br />

Gottes nie<strong>de</strong>rgeworfen hatte, stellte es sich heraus, daß die menschlichen Gesetze<br />

unzulänglich waren, um die mächtige Flut menschlicher Lei<strong>de</strong>nschaften zu hemmen, und im<br />

Lan<strong>de</strong> herrschten Empörung und Gesetzlosigkeit. Der Krieg gegen die Bibel eröffnete eine<br />

Zeitperio<strong>de</strong>, die in die Weltgeschichte als „die Schreckensherrschaft“ eingegangen ist.<br />

Frie<strong>de</strong> und Glück waren aus <strong>de</strong>n Wohnungen und <strong>de</strong>n Herzen <strong>de</strong>r Menschen verbannt.<br />

Keiner war sicher. Wer heute triumphierte, wur<strong>de</strong> morgen verdächtigt und verdammt.<br />

Gewalt und Wollust führten unbestritten das Zepter.<br />

Der König, die Geistlichkeit und <strong>de</strong>r A<strong>de</strong>l waren genötigt, sich <strong>de</strong>r Grausamkeit eines<br />

erregten und sich wie toll gebär<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Volkes zu fügen. Der Rachedurst wur<strong>de</strong> durch die<br />

Hinrichtung <strong>de</strong>s Königs nur noch stärker, und die seinen Tod bestimmt hatten, folgten ihm<br />

bald aufs Schafott. Man beschloß eine allgemeine Nie<strong>de</strong>rmetzelung aller, die verdächtig<br />

waren, <strong>de</strong>r Revolution feindlich gesonnen zu sein. Die Gefängnisse waren überfüllt und<br />

bargen zu einer Zeit mehr als 200.000 Häftlinge. In <strong>de</strong>n Städten <strong>de</strong>s Königreichs spielten<br />

sich die furchtbarsten Schreckensszenen ab. Die revolutionären Parteien bekämpften sich<br />

gegenseitig. Frankreich wur<strong>de</strong> zu einem ungeheuren Schlachtfeld streiten<strong>de</strong>r Volksmassen,<br />

die sich von <strong>de</strong>r Wut ihrer Lei<strong>de</strong>nschaften beherrschen ließen. „In Paris folgte ein Aufstand<br />

<strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn, und die Bürger waren in viele Parteien zersplittert, die es auf nichts an<strong>de</strong>res als<br />

auf ihre gegenseitige Ausrottung abgesehen zu haben schienen.“ Zu <strong>de</strong>m allgemeinen Elend<br />

kam noch hinzu, daß die Nation in einen langen, verheeren<strong>de</strong>n Krieg mit <strong>de</strong>n europäischen<br />

Großmächten verwickelt wur<strong>de</strong>.<br />

„Das Land war beinahe bankrott, die Truppen schrien nach ihrem rückständigen Sold,<br />

die Pariser waren am Verhungern, die Provinzen wur<strong>de</strong>n von Räubern verwüstet und die<br />

Zivilisation ging beinahe unter im Aufruhr und in <strong>de</strong>r Zügellosigkeit.“ Nur zu genau hatte<br />

das Volk die Lehren <strong>de</strong>r Grausamkeit und <strong>de</strong>r Folter gelernt, die Rom mit solchem Fleiß<br />

erteilt hatte. Jetzt war <strong>de</strong>r Tag <strong>de</strong>r Vergeltung gekommen. Aber es waren nicht mehr die<br />

Jünger Jesu, die in Kerker geworfen und auf Scheiterhaufen geschleppt wur<strong>de</strong>n; <strong>de</strong>nn diese<br />

waren längst umgekommen o<strong>de</strong>r aus ihrer Heimat vertrieben wor<strong>de</strong>n. Das unbarmherzige<br />

Rom selbst fühlte die tödliche Macht <strong>de</strong>rer, die es ausgebil<strong>de</strong>t hatte, sich an Bluttaten zu<br />

vergnügen. „Das Beispiel <strong>de</strong>r Verfolgung, das die französische Geistlichkeit so lange<br />

gegeben hatte, wur<strong>de</strong> ihr nun mit großem Nachdruck vergolten. Die Schafotte färbten sich<br />

rot von <strong>de</strong>m Blut <strong>de</strong>r Priester. Die Galeeren und Gefängnisse, die einst Hugenotten bargen,<br />

wur<strong>de</strong>n jetzt mit <strong>de</strong>ren Verfolgern angefüllt. An die Ru<strong>de</strong>rbank gekettet und mühsam am<br />

Riemen ziehend, machte die katholische Geistlichkeit alle Qualen durch, die sie so reichlich<br />

über die friedlieben<strong>de</strong>n Ketzer gebracht hatte.“<br />

„Dann kamen jene Tage, als die grausamsten aller Gesetze von <strong>de</strong>m unmenschlichsten<br />

aller Gerichtshöfe gehandhabt wur<strong>de</strong>n, als niemand seinen Nachbar grüßen o<strong>de</strong>r sein Gebet<br />

verrichten konnte ..., ohne Gefahr zu laufen, ein Kapitalverbrechen zu begehen, als in je<strong>de</strong>m<br />

Winkel Spione lauerten, als allmorgendlich die Guillotine lange und schwer arbeitete, die<br />

195


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Gefängnisse so gedrängt voll waren wie die Räume eines Sklavenschiffes, in <strong>de</strong>n<br />

Straßenrinnen das Blut schäumend <strong>de</strong>r Seine zueilte ... Während täglich Wagenladungen mit<br />

Opfern durch die Straßen von Paris ihrem Schicksal entgegengefahren wur<strong>de</strong>n, schwelgten<br />

die Kommissare, die <strong>de</strong>r Konvent in die Provinzen gesandt hatte, in übermäßiger<br />

Grausamkeit, wie man sie selbst in <strong>de</strong>r Hauptstadt nicht kannte. Das Messer <strong>de</strong>r<br />

To<strong>de</strong>smaschine stieg und fiel zu langsam für das Werk <strong>de</strong>r Metzelei. Lange Reihen von<br />

Gefangenen mähte man mit Kartätschen nie<strong>de</strong>r. Besetzte Boote wur<strong>de</strong>n angebohrt. Lyon<br />

wur<strong>de</strong> zur Wüste. In Arras blieb <strong>de</strong>n Gefangenen selbst die grausame Barmherzigkeit eines<br />

schnellen To<strong>de</strong>s versagt. Die ganze Loire hinab, von Saumur bis zum Meer, fraßen Scharen<br />

von Krähen und Weihen (habichtartige Falken) an <strong>de</strong>n nackten Leichnamen, die in<br />

abscheulichen Umarmungen miteinan<strong>de</strong>r verschlungen waren. We<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Geschlecht noch<br />

<strong>de</strong>m Alter erwies man Barmherzigkeit. Die Anzahl <strong>de</strong>r Jünglinge und Mädchen von<br />

siebzehn Jahren, die von dieser fluchwürdigen Regierung ermor<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>, läßt sich nach<br />

Hun<strong>de</strong>rten berechnen. Der Brust entrissene Säuglinge wur<strong>de</strong>n von Spieß zu Spieß die<br />

Reihen <strong>de</strong>r Jakobiner entlang geworfen.“ In <strong>de</strong>m kurzen Zeitraum von zehn Jahren kamen<br />

Scharen von Menschen ums Leben.<br />

All dies war nach Satans Sinn; dies zu erreichen, hatte er sich seit Jahrhun<strong>de</strong>rten bemüht.<br />

Sein Plan beruhte von Anfang bis En<strong>de</strong> auf Täuschung, und sein unverwandter Vorsatz ist,<br />

Leid und Elend über die Menschen zu bringen, Gottes Werke zu entstellen und zu beflecken,<br />

die göttliche Absicht <strong>de</strong>r Liebe und <strong>de</strong>s Wohlwollens zu vereiteln und dadurch Trauer im<br />

Himmel zu verursachen. Dann verblen<strong>de</strong>t er durch seine täuschen<strong>de</strong>n Künste die Sinne <strong>de</strong>r<br />

Menschen und verleitet sie, statt ihn, Gott zu ta<strong>de</strong>ln, als sei alles Elend die Folge <strong>de</strong>s<br />

göttlichen Planes. Auf die gleiche Weise treibt er alle, die durch seine grausame Macht in<br />

einen erniedrigen<strong>de</strong>n und entmenschten Zustand geraten sind, wenn sie ihre Freiheit<br />

erringen, zu allerlei Ausschreitungen und Greueltaten, und dann weisen grausame und<br />

gewissenlose Tyrannen auf dieses Bild zügelloser Ausgelassenheit hin als ein Beispiel,<br />

welche Folgen die Freiheit habe. Wird <strong>de</strong>r Irrtum in einem Gewand ent<strong>de</strong>ckt, so hüllt Satan<br />

ihn einfach in ein an<strong>de</strong>res, und die Menge nimmt ihn ebenso gierig an wie zuerst. Als das<br />

Volk fand, daß die römisch-katholischen Lehren und Gebräuche eine Täuschung waren, als<br />

Satan es nicht mehr dadurch zur Übertretung <strong>de</strong>s Gesetzes Gottes bringen konnte, nötigte er<br />

es, alle Religion als einen Betrug und die Heilige Schrift als ein Märchen zu betrachten. Das<br />

Volk setzte die göttlichen Grundsätze beiseite und gab sich <strong>de</strong>r ungezügelten<br />

Gesetzlosigkeit hin.<br />

Der ver<strong>de</strong>rbliche Irrtum, <strong>de</strong>r solches Weh über die Bewohner Frankreichs brachte,<br />

bestand darin, daß sie die große Wahrheit verachteten und nicht erkannten, daß die wahre<br />

Freiheit innerhalb <strong>de</strong>r Schranken <strong>de</strong>s Gesetzes Gottes liegt. „O daß du auf meine Gebote<br />

merktest, so wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>in Frie<strong>de</strong> sein wie ein Wasserstrom, und <strong>de</strong>ine Gerechtigkeit wie<br />

Meereswellen ... Aber die Gottlosen, spricht <strong>de</strong>r Herr, haben keinen Frie<strong>de</strong>n.“ — „Wer aber<br />

mir gehorcht, wird sicher bleiben und genug haben und kein Unglück fürchten.“ Jesaja<br />

48,18,22; Sprüche 1,33. Gottesleugner, Ungläubige und Abtrünnige wi<strong>de</strong>rsetzen sich Gottes<br />

196


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Gesetz und verwerfen es; aber die Folgen ihres Einflusses beweisen, daß die Wohlfahrt <strong>de</strong>s<br />

Menschen mit <strong>de</strong>m Gehorsam gegen die göttlichen Verordnungen verbun<strong>de</strong>n ist. Wer diese<br />

Lehre nicht aus <strong>de</strong>m Buche Gottes erkennen will, muß sie in <strong>de</strong>r Geschichte <strong>de</strong>r Nation<br />

erkennen lernen.<br />

Als Satan die Menschen durch die römische Kirche vom Gehorsam wegzuführen<br />

versuchte, war seine Tätigkeit <strong>de</strong>rart verborgen und sein Wirken so verstellt, daß die<br />

Entartung und das Elend, die daraus entstan<strong>de</strong>n, nicht als Früchte <strong>de</strong>r Übertretung erkannt<br />

wur<strong>de</strong>n; aber das Wirken <strong>de</strong>s Geistes Gottes vereitelte <strong>de</strong>s Bösen Macht so weit, daß seine<br />

Absichten nicht zur vollen Reife gelangten. Das Volk schloß nicht von <strong>de</strong>n Wirkungen auf<br />

die Ursache; ihm blieb daher die Quelle seines Elends verborgen. Bei <strong>de</strong>r Revolution aber<br />

wur<strong>de</strong> das Gesetz Gottes von <strong>de</strong>r Nationalversammlung öffentlich beiseitegesetzt, und<br />

während <strong>de</strong>r darauf folgen<strong>de</strong>n Schreckensherrschaft konnten alle <strong>de</strong>n wahren<br />

Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung <strong>de</strong>utlich erkennen.<br />

Als Frankreich öffentlich Gott leugnete und die Bibel beiseitesetzte, frohlockten böse<br />

Menschen und Geister <strong>de</strong>r Finsternis, daß sie das so lang erwünschte Ziel, ein Reich, frei<br />

von <strong>de</strong>n Schranken <strong>de</strong>s Gesetzes Gottes, erreicht hatten. „Weil nicht alsbald geschieht ein<br />

Urteil über die bösen Werke, dadurch wird das Herz <strong>de</strong>r Menschen voll, Böses zu<br />

tun.“ Prediger 8,11. Aber die Übertretung eines gerechten und heiligen Gesetzes muß<br />

unvermeidlich in Elend und Ver<strong>de</strong>rben en<strong>de</strong>n. Wenn die Menschen auch nicht sofort von<br />

Strafgerichten heimgesucht wer<strong>de</strong>n, so bewirkt ihre Gottlosigkeit doch ihr sicheres<br />

Ver<strong>de</strong>rben. Jahrhun<strong>de</strong>rte <strong>de</strong>s Abfalls und <strong>de</strong>s Verbrechens hatten <strong>de</strong>n Zorn auf <strong>de</strong>n Tag <strong>de</strong>r<br />

Vergeltung angehäuft, und als das Maß ihrer Ungerechtigkeit voll war, erfuhren die<br />

Verächter Gottes zu spät, daß es etwas Schreckliches ist, die göttliche Geduld verwirkt zu<br />

haben.<br />

Der zügeln<strong>de</strong> Geist Gottes, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r grausamen Macht Satans Schranken setzt, wur<strong>de</strong> in<br />

hohem Maße hinweggetan, und <strong>de</strong>r, <strong>de</strong>ssen einzige Freu<strong>de</strong> das Elend <strong>de</strong>r Menschen ist,<br />

durfte nach seinem Willen han<strong>de</strong>ln. Alle, die sich <strong>de</strong>m Aufruhr ergaben, ernteten <strong>de</strong>ssen<br />

Früchte, bis das Land von Verbrechen erfüllt war, die je<strong>de</strong>r Beschreibung spotteten. Aus <strong>de</strong>n<br />

verwüsteten Provinzen und zerstörten Städten erhob sich ein schrecklicher Schrei — ein<br />

Schrei furchtbarster Angst. Frankreich wur<strong>de</strong> erschüttert, als bebte die Er<strong>de</strong>. Religion,<br />

Gesetz, soziale Ordnung, Familie, Staat und Kirche — alles wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r ruchlosen Hand<br />

nie<strong>de</strong>rgestreckt, was sich gegen das Gesetz Gottes erhoben hatte. Wahr ist das Wort <strong>de</strong>s<br />

weisen Mannes: „Der Gottlose wird fallen durch sein gottlos Wesen.“ „Ob ein Sün<strong>de</strong>r<br />

hun<strong>de</strong>rtmal Böses tut und lange lebt, so weiß ich doch, daß es wohl gehen wird <strong>de</strong>nen, die<br />

Gott fürchten, die sein Angesicht scheuen. Aber <strong>de</strong>m Gottlosen wird es nicht wohl<br />

gehen.“ „Darum, daß sie haßten die Lehre und wollten <strong>de</strong>s Herrn Furcht nicht haben, ... so<br />

sollen sie essen von <strong>de</strong>n Früchten ihres Wesens und ihres Rats satt wer<strong>de</strong>n.“ Sprüche 11,5;<br />

Prediger 8,12,13; Sprüche 1,29,31.<br />

197


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Gottes treue Zeugen, die durch die lästerliche Macht, die „aus <strong>de</strong>m Abgrund aufsteigt“,<br />

erschlagen wur<strong>de</strong>n, sollten nicht lange schweigen. „Nach drei Tagen und einem halben fuhr<br />

in sie <strong>de</strong>r Geist <strong>de</strong>s Lebens von Gott, und sie traten auf ihre Füße, und eine große Furcht fiel<br />

über die, so sie sahen.“ Offenbarung 11,11. Es war im Jahre 1793, als die französische<br />

Nationalversammlung die Erlasse genehmigte, welche die christliche Religion abschafften<br />

und die Bibel verboten. Dreieinhalb Jahre später wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r gleichen Versammlung ein<br />

Beschluß angenommen, <strong>de</strong>r diese Erlasse wi<strong>de</strong>rrief und somit <strong>de</strong>r Heiligen Schrift Duldung<br />

gewährte. Die Welt war über die ungeheure Schuld, die aus <strong>de</strong>r Verwerfung <strong>de</strong>s lebendigen<br />

Wortes Gottes hervorgegangen war, bestürzt, und die Menschen erkannten die<br />

Notwendigkeit <strong>de</strong>s Glaubens an Gott und sein Wort als die Grundlage von Tugend und<br />

Sittlichkeit. Der Herr sagt: „Wen hast du geschmäht und gelästert? Über wen hast du die<br />

Stimme erhoben? Du hebst <strong>de</strong>ine Augen empor wi<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Heiligen in Israel.“ „Darum siehe,<br />

nun will ich sie lehren und meine Hand und Gewalt ihnen kundtun, daß sie erfahren sollen,<br />

ich heiße <strong>de</strong>r Herr.“ Jesaja 37,23; Jeremia 6,21.<br />

Über die zwei Zeugen sagt <strong>de</strong>r Prophet ferner: „Und sie hörten eine große Stimme vom<br />

Himmel zu ihnen sagen: Steiget herauf! Und sie stiegen auf in <strong>de</strong>n Himmel in einer Wolke,<br />

und es sahen sie ihre Fein<strong>de</strong>.“ Offenbarung 11,12. Seit Frankreich sich gegen Gottes bei<strong>de</strong><br />

Zeugen erhoben hatte, sind diese wie nie zuvor geehrt wor<strong>de</strong>n. Im Jahre 1804 wur<strong>de</strong> die<br />

Britische und die Ausländische Bibelgesellschaft gegrün<strong>de</strong>t. Es folgten ähnliche<br />

Einrichtungen mit zahlreichen Zweigen auf <strong>de</strong>m europäischen Festland. Im Jahre 1816<br />

nahm die amerikanische Bibelgesellschaft ihre Tätigkeit auf. Zur Gründungszeit <strong>de</strong>r<br />

britischen Gesellschaft war die Bibel in fünfzig Sprachen gedruckt und verbreitet wor<strong>de</strong>n.<br />

Seit<strong>de</strong>m hat man sie in mehr als vierhun<strong>de</strong>rt Sprachen und Mundarten übersetzt.<br />

Während <strong>de</strong>r letzten fünfzig Jahre vor <strong>de</strong>m Jahre 1792 wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>m ausländischen<br />

Missionswerk nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Es gab keine neuen<br />

Missionsgesellschaften und nur wenige Gemeinschaften, die sich irgendwie bemühten, das<br />

Christentum in heidnischen Län<strong>de</strong>rn zu verbreiten. Erst gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 18. Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />

än<strong>de</strong>rte sich das. Man wur<strong>de</strong> unzufrie<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>n Ergebnissen <strong>de</strong>s Vernunftglaubens und<br />

erkannte die Notwendigkeit einer göttlichen Offenbarung und einer Erfahrungsreligion. Von<br />

dieser Zeit an wuchs das Werk <strong>de</strong>r äußeren Mission mit bis dahin noch nie dagewesener<br />

Schnelligkeit. . Die Verbesserungen <strong>de</strong>r Buchdruckerkunst haben <strong>de</strong>r Verbreitung <strong>de</strong>r Bibel<br />

neuen Auftrieb gegeben. Durch die zahlreichen Verkehrserleichterungen zwischen<br />

verschie<strong>de</strong>nen Län<strong>de</strong>rn, <strong>de</strong>n Zusammenbruch althergebrachter Schranken, sei es Vorurteil<br />

o<strong>de</strong>r nationale Abgeschlossenheit, und durch <strong>de</strong>n Verlust <strong>de</strong>r weltlichen Macht <strong>de</strong>s Papstes<br />

wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Weg für <strong>de</strong>n Eingang <strong>de</strong>s Wortes Gottes gebahnt. Schon seit langem ist die Bibel<br />

ohne irgendwelche Behin<strong>de</strong>rungen auf <strong>de</strong>n Straßen Roms verkauft und jetzt auch nach allen<br />

Teilen <strong>de</strong>r bewohnten Erdkugel getragen wor<strong>de</strong>n.<br />

Prahlend sagte einst <strong>de</strong>r ungläubige Voltaire: „Ich habe es satt, die Leute immer wie<strong>de</strong>r<br />

sagen zu hören, daß zwölf Männer die christliche Religion gegrün<strong>de</strong>t haben. Ich will<br />

198


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

beweisen, daß ein Mann genügt sie umzustoßen.“ Ein Jahrhun<strong>de</strong>rt ist seit seinem To<strong>de</strong><br />

verstrichen. Millionen haben sich <strong>de</strong>m Kampf gegen die Heilige Schrift angeschlossen.<br />

Aber statt ausgerottet zu sein, sind dort, wo zu Voltaires Zeit hun<strong>de</strong>rt Bibeln waren, nun<br />

zehntausend, ja hun<strong>de</strong>rttausend Exemplare <strong>de</strong>r Heiligen Schrift. Die Worte eines <strong>de</strong>r ersten<br />

Reformatoren über die christliche Lehre lauten: „Die Bibel und die Französische Revolution<br />

ist ein Amboß, <strong>de</strong>r viele Männer abgenutzt hat.“ Der Herr sagt: „Einer jeglichen Waffe, die<br />

wi<strong>de</strong>r dich zubereitet wird, soll es nicht gelingen; und alle Zunge, so sich wi<strong>de</strong>r dich setzt,<br />

sollst du im Gericht verdammen.“ Jesaja 54,17. „Das Wort unsres Gottes bleibt<br />

ewiglich.“ „Alle seine Gebote sind rechtschaffen. Sie wer<strong>de</strong>n erhalten immer und ewiglich<br />

und geschehen treulich und redlich.“ Jesaja 40,8; Psalm 111,7.8. Was immer auf<br />

menschliche Macht gebaut ist, wird umgestoßen wer<strong>de</strong>n, was aber auf <strong>de</strong>n Felsen <strong>de</strong>s<br />

unverän<strong>de</strong>rlichen Wortes Gottes gegrün<strong>de</strong>t ist, wird ewiglich bestehen. Erweckung und<br />

Hinkehr zum wahren Glauben<br />

199


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 16- Land <strong>de</strong>r Freiheit<br />

Die englischen Reformatoren hatten, während sie <strong>de</strong>n Lehren <strong>de</strong>r römisch-katholischen<br />

Kirche entsagten, viele ihrer Formen beibehalten. Wenn auch <strong>de</strong>r Anspruch und das<br />

Glaubensbekenntnis Roms verworfen war, wur<strong>de</strong>n doch im Gottesdienst <strong>de</strong>r anglikanischen<br />

Kirche viele seiner Sitten und Gebräuche geübt. Man behauptete, daß diese Dinge keine<br />

Gewissensfragen seien, weil sie in <strong>de</strong>r Heiligen Schrift nicht geboten, <strong>de</strong>shalb auch nicht<br />

wesentlich, und weil sie nicht verboten, auch eigentlich nicht unrecht seien. Ihre Befolgung<br />

diene dazu, die Kluft, welche die protestantischen Kirchen von Rom trenne, zu verringern,<br />

und man betonte, daß sie die Annahme <strong>de</strong>s protestantischen Glaubens durch die Anhänger<br />

Roms erleichtere.<br />

Den bewahren<strong>de</strong>n und ausgleichen<strong>de</strong>n Kräften schienen diese Grün<strong>de</strong> überzeugend zu<br />

sein. Es gab jedoch noch eine an<strong>de</strong>re Gruppe, die nicht so urteilte. Die Tatsache, daß diese<br />

Gebräuche „dahin zielten, die Kluft zwischen Rom und <strong>de</strong>r Reformation zu überbrücken“,<br />

war in ihren Augen ein endgültiges Argument gegen ihre Beibehaltung. Sie sahen sie als<br />

Zeichen <strong>de</strong>r Sklaverei an, von <strong>de</strong>r sie befreit wor<strong>de</strong>n waren und zu <strong>de</strong>r sie nicht<br />

zurückkehren wollten. Sie waren <strong>de</strong>r Ansicht, daß Gott die Verordnungen zu seiner<br />

Verehrung in seinem Wort nie<strong>de</strong>rgelegt habe, und daß es <strong>de</strong>n Menschen nicht freistehe,<br />

etwas hinzuzufügen o<strong>de</strong>r davon wegzunehmen. Der erste Beginn <strong>de</strong>s großen Abfalls bestand<br />

darin, daß man die Autorität Gottes durch die Kirche zu ergänzen suchte. Rom machte zur<br />

Pflicht, was Gott nicht verboten hatte, und verbot schließlich das, was Gott ausdrücklich<br />

befohlen hatte.<br />

Viele wünschten ernstlich zu <strong>de</strong>r Reinheit und Schlichtheit zurückzukehren, welche die<br />

erste Gemein<strong>de</strong> ausgezeichnet hatten. Viele <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r anglikanischen Kirche eingeführten<br />

Gebräuche betrachteten sie als Denkmäler <strong>de</strong>s Götzendienstes, und sie konnten sich nicht<br />

mit gutem Gewissen an ihrem Gottesdienst beteiligen. Die Kirche jedoch, vom Staat<br />

unterstützt, dul<strong>de</strong>te keine Abweichung von ihren gottesdienstlichen Formen. Der Besuch<br />

ihrer Gottesdienste wur<strong>de</strong> vom Gesetz verlangt, und unerlaubte religiöse Versammlungen<br />

waren bei Androhung von Kerker, Verbannung und To<strong>de</strong>sstrafe untersagt.<br />

Am Anfang <strong>de</strong>s 17. Jahrhun<strong>de</strong>rts erklärte <strong>de</strong>r eben auf <strong>de</strong>n Thron von England gelangte<br />

König seine Entschlossenheit, die Puritaner zu zwingen, sich „entwe<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn<br />

anzupassen, o<strong>de</strong>r er wür<strong>de</strong> sie aus <strong>de</strong>m Lan<strong>de</strong> hinaushetzen o<strong>de</strong>r ihnen noch Schlimmeres<br />

tun“. Gejagt, verfolgt und eingekerkert, konnten sie in <strong>de</strong>r Zukunft keine Hoffnung auf<br />

bessere Tage erspähen, und viele kamen zu <strong>de</strong>r Überzeugung, daß für solche, die Gott nach<br />

ihrem eigenen Gewissen dienen wollten, „England für immer aufgehört habe, ein<br />

bewohnbares Land zu sein“. Etliche entschlossen sich schließlich, in Holland Zuflucht zu<br />

suchen. Sie mußten Schwierigkeiten, Verluste und Gefängnis erlei<strong>de</strong>n; ihre Absichten<br />

wur<strong>de</strong>n durchkreuzt und sie selbst ihren Fein<strong>de</strong>n verraten; aber ihre unerschütterliche<br />

200


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Beharrlichkeit setzte sich endlich durch, und sie fan<strong>de</strong>n Zuflucht an <strong>de</strong>n freundschaftlichen<br />

Gesta<strong>de</strong>n Hollands.<br />

Durch die Flucht hatten sie ihre Häuser, ihre Güter und ihren Lebensunterhalt verloren;<br />

sie waren Fremdlinge in einem frem<strong>de</strong>n Land, unter einem Volk von an<strong>de</strong>rer Sprache und<br />

an<strong>de</strong>ren Sitten. Sie mußten neue und ungewohnte Beschäftigungen ergreifen, um ihr Brot zu<br />

verdienen. Männer von mittlerem Alter, die ihr Leben bisher mit Ackerbau zugebracht<br />

hatten, waren gezwungen, nun dies o<strong>de</strong>r jenes Handwerk zu erlernen. Aber freudig fügten<br />

sie sich in je<strong>de</strong> Lage und verschwen<strong>de</strong>ten keine Zeit mit Müßiggang o<strong>de</strong>r Unzufrie<strong>de</strong>nheit.<br />

Oft von Armut bedrängt, lobten sie Gott für die Segnungen, die er ihnen gewährte, und<br />

fan<strong>de</strong>n ihre Freu<strong>de</strong> in ungestörter geistlicher Gemeinschaft. „Sie wußten, daß sie Pilger<br />

waren, und sie schauten nicht viel auf irdische Dinge, son<strong>de</strong>rn hoben ihre Augen auf gen<br />

Himmel, ihrem liebsten Heimatland, und beruhigten ihr Gemüt.“<br />

In Verbannung und Ungemach erstarkten ihre Liebe und ihr Glaube. Sie vertrauten auf<br />

die Verheißungen Gottes, und er verließ sie in Zeiten <strong>de</strong>r Not nicht. Seine Engel stan<strong>de</strong>n<br />

ihnen zur Seite, um sie zu ermutigen und zu unterstützen. Und als Gottes Hand sie übers<br />

Meer nach einem Lan<strong>de</strong> zu weisen schien, in <strong>de</strong>m sie für sich selbst einen Staat grün<strong>de</strong>n und<br />

ihren Kin<strong>de</strong>rn das kostbare Erbe religiöser Freiheit hinterlassen konnten, folgten sie ohne<br />

Zagen willig <strong>de</strong>m Pfad <strong>de</strong>r Vorsehung. Gott hatte Prüfungen über sein Volk kommen lassen,<br />

um es auf die Erfüllung seiner Gna<strong>de</strong>nabsichten vorzubereiten. Die Gemein<strong>de</strong> war<br />

erniedrigt wor<strong>de</strong>n, damit sie erhöht wür<strong>de</strong>. Gott stand im Begriff, seine Macht zu ihren<br />

Gunsten zu entfalten und <strong>de</strong>r Welt aufs neue einen Beweis zu geben, daß er die nicht<br />

verlassen will, die ihm vertrauen. Er hatte die Ereignisse so gelenkt, daß <strong>de</strong>r Zorn Satans<br />

und die Anschläge böser Menschen seine Ehre för<strong>de</strong>rn und sein Volk an einen Ort <strong>de</strong>r<br />

Sicherheit bringen mußten. Verfolgung und Auswan<strong>de</strong>rung bahnten <strong>de</strong>n Weg in die Freiheit.<br />

Als sich die Puritaner zuerst gezwungen fühlten, sich von <strong>de</strong>r anglikanischen Kirche zu<br />

trennen, schlossen sie untereinan<strong>de</strong>r einen feierlichen Bund, als freies Volk <strong>de</strong>s Herrn in<br />

„allen seinen Wegen, die ihnen bekannt waren o<strong>de</strong>r noch bekanntgemacht wür<strong>de</strong>n,<br />

gemeinsam zu wan<strong>de</strong>ln“. Dies war <strong>de</strong>r wahre Geist <strong>de</strong>r Freiheit, die lebendige Grundlage<br />

<strong>de</strong>s Protestantismus. Mit diesem Vorsatz verließen die Pilger Holland um in <strong>de</strong>r Neuen Welt<br />

eine Heimat zu suchen. John Robinson, ihr Prediger, <strong>de</strong>r durch göttliche Vorsehung<br />

verhin<strong>de</strong>rt war, sie zu begleiten, sagte in seiner Abschiedsre<strong>de</strong> an die Auswan<strong>de</strong>rer:<br />

„Geschwister, wir gehen nun voneinan<strong>de</strong>r, und <strong>de</strong>r Herr weiß, ob ich euch, solange ich lebe,<br />

je wie<strong>de</strong>rsehen wer<strong>de</strong>. Wie <strong>de</strong>r Herr es aber fügt, ich befehle euch vor Gott und seinen<br />

heiligen Engeln, mir nicht weiter zu folgen, als ich Christus gefolgt bin. Falls Gott euch<br />

durch ein an<strong>de</strong>res Werkzeug irgend etwas offenbaren sollte, so seid ebenso bereit es<br />

anzunehmen wie zu <strong>de</strong>r Zeit, da ihr die Wahrheit durch meine Predigt annahmt; <strong>de</strong>nn ich bin<br />

sehr zuversichtlich, daß <strong>de</strong>r Herr noch mehr Wahrheit und Licht aus seinem heiligen<br />

Worthervorbrechen lassen wird.“1<br />

201


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

„Was mich anbetrifft, so kann ich <strong>de</strong>n Zustand <strong>de</strong>r reformierten Kirche nicht genug<br />

beklagen, die in <strong>de</strong>r Religion bis zu einer gewissen Stufe gelangt sind und nicht weitergehen<br />

wollen, als die Werkzeuge ihrer Erneuerungsbewegung gegangen sind. Die Lutheraner sind<br />

nicht zu veranlassen, über das hinauszugehen, was Luther sah ... Und die Calvinisten<br />

bleiben, wie ihr seht, da stehen, wo sie von jenem großen Gottesmann, <strong>de</strong>r noch nicht alle<br />

Dinge sah, zurückgelassen wur<strong>de</strong>n. Dies ist ein sehr beklagenswertes Elend; <strong>de</strong>nn wenn jene<br />

Männer in ihrer Zeit auch brennen<strong>de</strong> und leuchten<strong>de</strong> Lichter waren, so erkannten sie doch<br />

nicht alle Ratschläge Gottes; sie wür<strong>de</strong>n aber, lebten sie jetzt, ebenso bereit sein, weiteres<br />

Licht anzunehmen, wie sie damals bereit waren, das erste zu empfangen.“<br />

„Denkt an euer Gemein<strong>de</strong>gelöbnis, in <strong>de</strong>m ihr euch verpflichtet habt, in allen Wegen<br />

<strong>de</strong>s Herrn zu wan<strong>de</strong>ln, wie sie euch bekannt gewor<strong>de</strong>n sind o<strong>de</strong>r noch bekannt wer<strong>de</strong>n.<br />

Denkt an euer Versprechen und an euren Bund mit Gott und miteinan<strong>de</strong>r, alles Licht und<br />

alle Wahrheit, so euch noch aus seinem geschriebenen Wort kundgetan wer<strong>de</strong>n soll,<br />

anzunehmen. Dennoch achtet darauf, darum bitte ich euch, was ihr als Wahrheit annehmt;<br />

vergleicht sie, wägt sie mit an<strong>de</strong>ren Schriftstellen <strong>de</strong>r Wahrheit, ehe ihr sie annehmt, <strong>de</strong>nn es<br />

ist nicht möglich, daß die christliche Welt so plötzlich aus solch einer dichten<br />

antichristlichen Finsternis herauskomme und ihr dann auf einmal die vollkommene<br />

Erkenntnis aufgehe.“<br />

Es war das Verlangen nach Gewissensfreiheit, das die Pilger begeisterte, <strong>de</strong>n<br />

Schwierigkeiten <strong>de</strong>r langen Reise über das Meer mutig zu begegnen, die Beschwer<strong>de</strong>n und<br />

die Gefahren <strong>de</strong>r Wildnis zu erdul<strong>de</strong>n und unter Gottes Segen an <strong>de</strong>r Küste Amerikas <strong>de</strong>n<br />

Grundstein zu einer mächtigen Nation zu legen. Doch so aufrichtig und gottesfürchtig die<br />

Pilger auch waren, <strong>de</strong>n großen Grundsatz religiöser Freiheit begriffen sie noch nicht. Die<br />

Unabhängigkeit, die für sich zu erwerben sie soviel geopfert hatten, gewährten sie an<strong>de</strong>ren<br />

nicht bereitwillig in gleichem Maße. „Sehr wenige selbst <strong>de</strong>r hervorragendsten Denker und<br />

Sittenlehrer <strong>de</strong>s 17. Jahrhun<strong>de</strong>rts hatten einen richtigen Begriff von jenem herrlichen, <strong>de</strong>m<br />

Neuen Testament entstammen<strong>de</strong>n Grundsatz, <strong>de</strong>r Gott als <strong>de</strong>n einzigen Richter <strong>de</strong>s<br />

menschlichen Glaubens anerkennt.“ Die Lehre, daß Gott <strong>de</strong>r Ge- mein<strong>de</strong> das Recht<br />

verliehen habe, die Gewissen zu beherrschen und eine bestimmte Haltung als Ketzerei zu<br />

bezeichnen und zu bestrafen, ist einer <strong>de</strong>r tief eingewurzelten päpstlichen Irrtümer. Während<br />

die Reformatoren das Glaubensbekenntnis Roms verwarfen, waren sie doch nicht ganz frei<br />

von seinem unduldsamen Geist. Die dichte Finsternis, in die das Papsttum während <strong>de</strong>r<br />

langen Zeit seiner Herrschaft die gesamte Christenheit eingehüllt hatte, war selbst jetzt noch<br />

nicht völlig gewichen.<br />

Einer <strong>de</strong>r leiten<strong>de</strong>n Prediger in <strong>de</strong>r Kolonistensiedlung in <strong>de</strong>r Bucht von Massachusetts<br />

sagte: „Duldung machte die Welt antichristlich; und die Kirche hat sich durch die<br />

Bestrafung <strong>de</strong>r Ketzer nie gescha<strong>de</strong>t.“ In <strong>de</strong>n Kolonien wur<strong>de</strong> die Verordnung eingeführt,<br />

daß in <strong>de</strong>r zivilen Regierung nur Kirchenglie<strong>de</strong>r eine Stimme haben sollten. Es wur<strong>de</strong> eine<br />

Art Staatskirche gegrün<strong>de</strong>t; je<strong>de</strong>r mußte zum Unterhalt <strong>de</strong>r Geistlichkeit beitragen und die<br />

202


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Behör<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>n beauftragt, die Ketzerei zu unterdrücken. Somit war die weltliche Macht<br />

in die Hän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Kirche gegeben. Es dauerte nicht lange, bis diese Maßnahmen das<br />

unvermeidliche Ergebnis nach sich zogen — Verfolgungen.<br />

Elf Jahre nach <strong>de</strong>r Gründung <strong>de</strong>r ersten Kolonie kam Rogger Williams nach <strong>de</strong>r Neuen<br />

Welt. Gleich <strong>de</strong>n früheren Pilgervätern kam er, um sich <strong>de</strong>r Religionsfreiheit zu erfreuen;<br />

aber im Gegensatz zu ihnen sah er — was so wenige zu seiner Zeit sahen —, daß diese<br />

Freiheit das unveräußerliche Recht aller Menschen ist, wie ihr Glaubensbekenntnis auch<br />

lauten mag. Williams war ein ernster Forscher nach Wahrheit und hielt es, wie auch<br />

Robinson, für unmöglich, daß sie schon alles Licht aus <strong>de</strong>m Worte Gottes erhalten hätten.<br />

Er „war <strong>de</strong>r erste Mann im neueren Christentum, <strong>de</strong>r die zivile Verwaltung auf die Lehre<br />

von <strong>de</strong>r Gewissensfreiheit und <strong>de</strong>r Gleichberechtigung <strong>de</strong>r Anschauungen vor <strong>de</strong>m Gesetz<br />

grün<strong>de</strong>te“. Er erklärte, daß es die Pflicht <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong> sei, Verbrechen zu verhin<strong>de</strong>rn, daß sie<br />

aber nie das Gewissen beherrschen dürfe. „Das Volk o<strong>de</strong>r die Behör<strong>de</strong>n“, sagte er, „mögen<br />

entschei<strong>de</strong>n, was <strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>m Menschen schuldig ist; versuchen sie aber einem<br />

Menschen seine Pflicht gegen Gott vorzuschreiben, so tun sie, was nicht ihres Amtes ist,<br />

und man kann sich auf sie nicht mit Sicherheit verlassen; <strong>de</strong>nn es ist klar, daß <strong>de</strong>r Magistrat,<br />

wenn er die Macht hat, heute diese und morgen jene Meinungen o<strong>de</strong>r Bekenntnisse<br />

vorschreiben mag, wie es in England von <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Königen und Königinnen und<br />

in <strong>de</strong>r römischen Kirche von etlichen Päpsten und Konzilien getan wur<strong>de</strong>, so daß <strong>de</strong>r Glaube<br />

zu einem einzigen <strong>Chaos</strong> wür<strong>de</strong>.“<br />

Den Gottesdiensten <strong>de</strong>r Staatskirche beizuwohnen, wur<strong>de</strong> unter Androhung von Geldo<strong>de</strong>r<br />

Gefängnisstrafe verlangt. „Williams mißbilligte dieses Gesetz; <strong>de</strong>nn die schlimmste<br />

Satzung im englischen Gesetzbuch sei die, welche <strong>de</strong>n Besuch <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>skirche verlange.<br />

Leute zu zwingen, sich mit An<strong>de</strong>rsgläubigen zu vereinen, betrachtete er als eine offene<br />

Verletzung ihrer natürlichen Rechte; Religionsverächter und Unwillige zum öffentlichen<br />

Gottesdienst zu schleppen, hieße Heuchelei verlangen ...Niemand sollte zur Anbetung o<strong>de</strong>r<br />

Unterstützung eines Gottesdienstes gezwungen wer<strong>de</strong>n‘, fügte er hinzu. — ‚Was¡ riefen<br />

seine Gegner über seine Grundsätze erstaunt aus, ‚ist nicht <strong>de</strong>r Arbeiter seines Lohnes<br />

wert¿ — ‚Ja‘, erwie<strong>de</strong>rte er, ‚von <strong>de</strong>nen, die ihn dingen.‘“ Rogger Williams wur<strong>de</strong> als ein<br />

getreuer Prediger, als ein Mann von seltenen Gaben, von unbeugsamer Rechtschaffenheit<br />

und echter Güte geachtet und geliebt; doch konnte man es nicht vertragen, daß er <strong>de</strong>n zivilen<br />

Behör<strong>de</strong>n so entschie<strong>de</strong>n das Recht absprach, über <strong>de</strong>r Kirche zu stehen, und daß er<br />

religiöse Freiheit verlangte. Die Anwendung dieser neuen Lehre, behauptete man, „wür<strong>de</strong><br />

die Grundlage <strong>de</strong>r Regierung <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s untergraben“.1 Er wur<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>n Kolonien<br />

verbannt und sah sich schließlich, um <strong>de</strong>r Verhaftung zu entgehen, gezwungen, inmitten <strong>de</strong>r<br />

Kälte und <strong>de</strong>r Stürme <strong>de</strong>s Winters in die noch dichten, unberührten Wäl<strong>de</strong>r zu fliehen.<br />

„Vierzehn Wochen lang“, so schrieb er, „mußte ich mich in <strong>de</strong>r bitteren Jahreszeit<br />

herumschlagen, und ich wußte nicht, was Brot o<strong>de</strong>r Bett heißt. Die Raben speisten mich in<br />

<strong>de</strong>r Wüste.“1 Ein hohler Baum diente ihm oft als Obdach. Auf diese Weise setzte er seine<br />

203


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

mühevolle Flucht durch Schnee und pfadlose Wäl<strong>de</strong>r fort, bis er bei einem Indianerstamm<br />

Zuflucht fand, <strong>de</strong>ssen Vertrauen und Liebe er gewann, während er sich bemühte, ihnen die<br />

Wahrheiten <strong>de</strong>s Evangeliums zu predigen. Nach Monaten wechselvollen Wan<strong>de</strong>rns kam er<br />

schließlich an die Küste <strong>de</strong>r Narragansett-Bucht und legte dort <strong>de</strong>n Grund zu <strong>de</strong>m ersten<br />

Staat <strong>de</strong>r Neuzeit,<strong>de</strong>r im vollsten Sinne das Recht auf religiöse Freiheit anerkannte. Der<br />

Grundsatz, auf <strong>de</strong>m die Kolonie Rogger Williams‘ beruhte, lautete, „daß je<strong>de</strong>rmann das<br />

Recht haben sollte, Gott nach seinem eigenen Gewissen zu verehren.“ Sein kleiner Staat,<br />

Rho<strong>de</strong> Island, wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Zufluchtsort <strong>de</strong>r Unterdrückten und er wuchs und gedieh, bis seine<br />

Grundfesten — die bürgerliche und religiöse Freiheit — auch die Ecksteine <strong>de</strong>r<br />

amerikanischen Republik wur<strong>de</strong>n.<br />

In jenem be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n alten Schriftstück, daß diese Männer als ihre Verfassung —<br />

Unabhängigkeitserklärung — aufstellten, sagten sie: „Wir halten diese Wahrheiten als<br />

selbstverständlich: daß alle Menschen gleich geschaffen sind; daß ihnen <strong>de</strong>r Schöpfer<br />

gewisse unveräußerliche Rechte verliehen hat; daß zu diesen Leben, Freiheit und die<br />

Erlangung <strong>de</strong>s Glückes gehören.“ Und die Verfassung schützt in <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utlichsten<br />

Ausdrücken die Unverletzlichkeit <strong>de</strong>s Gewissens: „Keine Religionsprüfung soll je<br />

erfor<strong>de</strong>rlich sein zur Bekleidung irgen<strong>de</strong>ines öffentlichen Vertrauenspostens in <strong>de</strong>n<br />

Vereinigten Staaten.“ — „Der Kongreß soll kein Gesetz erlassen, das die Einführung einer<br />

Religion bezweckt o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>ren freie Ausübung verbietet.“ „Die Verfasser <strong>de</strong>r Konstitution<br />

erkannten <strong>de</strong>n ewigen Grundsatz an, daß die Beziehungen <strong>de</strong>s Menschen zu seinem Gott<br />

über <strong>de</strong>r menschlichen Gesetzgebung stehen, und daß sein Gewissensrecht unveräußerlich<br />

ist. Es waren zur Begründung dieser Wahrheit keine Vernunftschlüsse erfor<strong>de</strong>rlich; wir sind<br />

uns ihrer in unserem eigenen Herzen bewußt. Dies Bewußtsein ist es, das, <strong>de</strong>n menschlichen<br />

Gesetzen Trotz bietend, so viele Märtyrer in Qualen und Flammen standhaft machte. Sie<br />

fühlten, daß ihre Pflicht gegen Gott über menschliche Verordnungen erhaben sei, und daß<br />

Menschen keine Autorität über ihr Gewissen ausüben könnten. Es ist dies ein angeborener<br />

Grundsatz, <strong>de</strong>n nichts auszutilgen vermag.“<br />

Als sich die Kun<strong>de</strong> von einem Lan<strong>de</strong>, in <strong>de</strong>m je<strong>de</strong>r die Frucht seiner eigenen Arbeit<br />

genießen und <strong>de</strong>r Überzeugung seines eigenen Gewissens folgen könnte, in Europa<br />

verbreitete, wan<strong>de</strong>rten Tausen<strong>de</strong> nach Nordamerika aus. In schneller Folge wur<strong>de</strong> Kolonie<br />

auf Kolonie gegrün<strong>de</strong>t. „Massachusetts bot durch eine beson<strong>de</strong>re Verordnung <strong>de</strong>n Christen<br />

je<strong>de</strong>r Nation, die sich über <strong>de</strong>n Atlantischen Ozean flüchteten, ‚um Kriegen, Hungersnot<br />

o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Unterdrückung ihrer Verfolger zu entgehen‘, freundliche, unentgeltliche Aufnahme<br />

und Hilfe an. Somit wur<strong>de</strong>n die Flüchtlinge und die Unterdrückten durch gesetzliche<br />

Verordnungen Gäste <strong>de</strong>s Staates.“ In <strong>de</strong>n ersten zwanzig Jahren nach <strong>de</strong>r Landung in<br />

Plymouth hatten sich ebenso viele tausend Pilger in Neuengland nie<strong>de</strong>rgelassen.<br />

Um ihr Ziel zu erreichen, „waren sie zufrie<strong>de</strong>n, sich durch ein enthaltsames und<br />

arbeitsames Leben einen kargen Unterhalt verdienen zu können. Sie verlangten von <strong>de</strong>m<br />

Bo<strong>de</strong>n nur einen leidlichen Ertrag ihrer Arbeit. Keine gol<strong>de</strong>nen Aussichten warfen ihren<br />

204


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

trügerischen Schein auf ihren Pfad ... Sie waren mit <strong>de</strong>m langsamen aber beständigen<br />

Fortschritt ihres gesellschaftlichen Gemeinwesens zufrie<strong>de</strong>n. Sie ertrugen geduldig die<br />

Entbehrungen <strong>de</strong>r Wildnis, netzten <strong>de</strong>n Baum <strong>de</strong>r Freiheit mit ihren Tränen und mit <strong>de</strong>m<br />

Schweiß ihres Angesichts, bis er im Lan<strong>de</strong> tief Wurzel geschlagen hatte“. Die Bibel galt<br />

ihnen als Grundlage <strong>de</strong>s Glaubens, als Quelle <strong>de</strong>r Weisheit und als Freiheitsbrief. Ihre<br />

Grundsätze wur<strong>de</strong>n zu Hause, in <strong>de</strong>r Schule und in <strong>de</strong>r Kirche fleißig gelehrt, und ihre<br />

Früchte offenbarten sich in Wohlstand, Bildung, sittlicher Reinheit und Mäßigkeit. Man<br />

konnte jahrelang in <strong>de</strong>n puritanischen Nie<strong>de</strong>rlassungen wohnen, ohne „einen Trunkenbold<br />

zu sehen, einen Fluch zu hören o<strong>de</strong>r einem Bettler zu begegnen“. Es wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Beweis<br />

erbracht, daß die Grundsätze <strong>de</strong>r Heiligen Schrift <strong>de</strong>r sicherste Schutz für nationale Größe<br />

sind. Die schwachen und isolierten Kolonien wuchsen zu einer Verbindung mächtiger<br />

Staaten heran, und die Welt nahm mit Bewun<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>n und das Ge<strong>de</strong>ihen „einer<br />

Kirche ohne Papst und eines Staates ohne König“ wahr.<br />

Doch ständig wachsen<strong>de</strong> Scharen, angetrieben von Grün<strong>de</strong>n, die sich von <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r<br />

ersten Pilgerväter stark unterschie<strong>de</strong>n, zog es an die Küsten Amerikas. Obgleich <strong>de</strong>r<br />

einfache Glaube und <strong>de</strong>r lautere Wan<strong>de</strong>l eine weitverbreitete und bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Macht ausübten,<br />

wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>ren Einfluß doch immer schwächer, als die Zahl <strong>de</strong>rer wuchs, die nur weltlichen<br />

Vorteil suchten. Die von <strong>de</strong>n ersten Kolonisten angenommene Verordnung, das Stimmrecht<br />

und die Besetzung von Staatsämtern nur Gemein<strong>de</strong>glie<strong>de</strong>rn zu gestatten, wirkte sich äußerst<br />

schädlich aus. Diese Maßnahme war getroffen wor<strong>de</strong>n, um die Reinheit <strong>de</strong>s Staates zu<br />

bewahren; aber sie wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Kirche zum Ver<strong>de</strong>rben. Das Stimmrecht zu erhalten und zu<br />

öffentlichen Ämtern zugelassen zu wer<strong>de</strong>n, setzte ein Religionsbekenntnis voraus, so daß<br />

sich viele einzig und allein aus weltlicher Klugheit <strong>de</strong>r Kirche anschlossen, ohne eine<br />

Än<strong>de</strong>rung ihres Herzens erfahren zu haben. So kam es, daß zur Kirche zum großen Teil nur<br />

unbekehrte Menschen zählten, und daß sich selbst unter <strong>de</strong>n Predigern solche befan<strong>de</strong>n, die<br />

nicht nur irrige Lehren aufstellten, son<strong>de</strong>rn auch nichts von <strong>de</strong>r erneuern<strong>de</strong>n Kraft <strong>de</strong>s<br />

Heiligen Geistes wußten. Auf diese Weise zeigte es sich abermals, wie schon oft in <strong>de</strong>r<br />

Kirchengeschichte seit <strong>de</strong>n Tagen Konstantins bis in unsere Zeit, daß es ver<strong>de</strong>rblich ist, die<br />

Kirche mit Hilfe <strong>de</strong>s Staates aufbauen zu wollen und die weltliche Macht aufzufor<strong>de</strong>rn, das<br />

Evangelium Jesu Christi zu unterstützen, <strong>de</strong>r erklärt hat: „Mein Reich ist nicht von dieser<br />

Welt.“ Johannes 18,36. Die Verbindung zwischen Kirche und Staat, wäre sie noch so gering,<br />

führt, während sie die Welt <strong>de</strong>r Kirche näherzubringen scheint, in Wirklichkeit die Kirche<br />

näher zur Welt.<br />

Den von Robinson und Rogger Williams auf so edle Weise verteidigten Grundsatz, daß<br />

die Wahrheit sich entfaltet, und daß die Christen bereit sein sollten, alles Licht anzunehmen,<br />

das aus Gottes heiligem Wort scheinen mag, verloren ihre Nachkommen aus <strong>de</strong>n Augen.<br />

Die protestantischen Kirchen Amerikas und auch Europas, die so sehr begünstigt wor<strong>de</strong>n<br />

waren, in<strong>de</strong>m sie die Segnungen <strong>de</strong>r Reformation empfingen, drangen auf <strong>de</strong>m Pfad <strong>de</strong>r<br />

Reform nicht weiter vor. Wenn auch von Zeit zu Zeit etliche treue Männer auftraten, um<br />

neue Wahrheiten zu verkündigen und lang gehegte Irrtümer bloßzustellen, so war doch die<br />

205


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Mehrzahl, wie die Ju<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n Tagen Christi o<strong>de</strong>r die Päpstlichen zur Zeit Luthers, damit<br />

zufrie<strong>de</strong>n, zu glauben, was ihre Väter geglaubt, und zu leben, wie ihre Väter gelebt hatten.<br />

Deshalb artete ihre Religion abermals in Formenwesen aus, und Irrtümer und Aberglaube<br />

die man verworfen hätte, wäre die Gemein<strong>de</strong> weiterhin im Lichte <strong>de</strong>s Wortes Gottes<br />

gewan<strong>de</strong>lt, wur<strong>de</strong>n beibehalten und gepflegt. Auf diese Weise starb <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r<br />

Reformation eingeflößte Geist allmählich aus, bis sich in <strong>de</strong>n protestantischen Kirchen ein<br />

beinahe ebenso großes Bedürfnis nach einer Reformation einstellte wie in <strong>de</strong>r römischen<br />

Kirche zur Zeit Luthers. Es herrschte die gleiche weltliche Gesinnung, die gleiche geistliche<br />

Abgestumpftheit, eine ähnliche Ehrfurcht vor <strong>de</strong>n Ansichten <strong>de</strong>r Menschen, und man<br />

ersetzte die Lehren <strong>de</strong>s Wortes Gottes durch menschliche <strong>Theorie</strong>n.<br />

Der weiten Verbreitung <strong>de</strong>r Bibel zu Anfang <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts und <strong>de</strong>m vielen Licht,<br />

das auf diese Weise über die Welt gekommen war, folgte kein entsprechen<strong>de</strong>r Fortschritt in<br />

<strong>de</strong>r Erkenntnis <strong>de</strong>r offenbarten Wahrheit o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r religiösen Erfahrung. Satan konnte<br />

nicht wie in früheren Zeiten <strong>de</strong>m Volke das Wort Gottes vorenthalten, weil es allen<br />

erreichbar war; um aber <strong>de</strong>nnoch seine Absichten ausführen zu können, veranlaßte er viele,<br />

die Heilige Schrift geringzuachten. Die Menschen versäumten es, in <strong>de</strong>r Heiligen Schrift zu<br />

forschen und nahmen dadurch ständig falsche Auslegungen an und pflegten Lehren, die mit<br />

<strong>de</strong>n Aussagen <strong>de</strong>r Heiligen Schrift nicht übereinstimmten. Als Satan bemerkte, daß seine<br />

Anstrengungen, die Wahrheit durch Verfolgung zu unterdrücken, fehlschlugen, nahm er<br />

seine Zuflucht wie<strong>de</strong>r zu Zugeständnissen, wodurch einst <strong>de</strong>r große Abfall und das<br />

Aufkommen <strong>de</strong>r römischen Kirche veranlaßt wur<strong>de</strong>n. Er verleitete die Christen, sich, wenn<br />

nicht mit Hei<strong>de</strong>n, so doch mit <strong>de</strong>nen zu verbin<strong>de</strong>n, die sich durch die Verehrung <strong>de</strong>r Dinge<br />

dieser Welt ebensosehr als wahre Götzendiener erwiesen hatten wie die Anbeter <strong>de</strong>r<br />

Götzenbil<strong>de</strong>r. Die Folgen dieser Verbindung waren jetzt nicht weniger ver<strong>de</strong>rblich als<br />

damals; unter <strong>de</strong>m Deckmantel <strong>de</strong>r Religion pflegte man Stolz und Verschwendung, und<br />

dunkle Machenschaften herrschten in <strong>de</strong>r Kirche. Satan fuhr fort, die Lehren <strong>de</strong>r Bibel zu<br />

verdrehen, und die Überlieferungen, die Millionen zugrun<strong>de</strong> richten sollten, faßten tief<br />

Wurzel. Die Kirche hielt an diesen Überlieferungen fest und verteidigte sie, statt um <strong>de</strong>n<br />

Glauben zu kämpfen, „<strong>de</strong>r einmal <strong>de</strong>n Heiligen übergeben ist“. Judas 3. So wur<strong>de</strong>n die<br />

Grundsätze, um <strong>de</strong>rentwillen die Reformatoren so viel getan und gelitten hatten,<br />

herabgewürdigt.<br />

206


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 17- Herol<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Morgens<br />

Eine <strong>de</strong>r feierlichsten und zugleich köstlichsten aller in <strong>de</strong>r Bibel offenbarten<br />

Wahrheiten ist die von <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft Christi zur Vollendung <strong>de</strong>s großen Erlösungswerkes.<br />

Dem Pilgervolk Gottes, das so lange „in Finsternis und Schatten <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s“ (Lukas 1,79)<br />

wan<strong>de</strong>rn muß, be<strong>de</strong>utet die Verheißung <strong>de</strong>r Erscheinung Christi, <strong>de</strong>r „die Auferstehung und<br />

das Leben“ (Johannes 11,25) ist, <strong>de</strong>r die Verbannten wie<strong>de</strong>r heimbringen wird, eine<br />

herrliche, beglücken<strong>de</strong> Hoffnung. Die Lehre von <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft Christi ist <strong>de</strong>r eigentliche<br />

Grundton <strong>de</strong>r Heiligen Schrift. Von <strong>de</strong>m Tage an, da das erste Menschenpaar traurigen<br />

Schrittes E<strong>de</strong>n verließ, haben die Glaubenskin<strong>de</strong>r auf die Ankunft <strong>de</strong>s Verheißenen geharrt,<br />

<strong>de</strong>r die Macht <strong>de</strong>s Zerstörers brechen und sie wie<strong>de</strong>rum in das verlorene Paradies<br />

zurückbringen wür<strong>de</strong>. Die heiligen Männer vor alters hatten auf das Kommen <strong>de</strong>s Messias<br />

in Herrlichkeit als die Erfüllung ihrer Hoffnung gewartet. Schon Henoch, <strong>de</strong>r siebente nach<br />

<strong>de</strong>nen, die im Paradiese wohnten, und <strong>de</strong>r drei Jahrhun<strong>de</strong>rte lang auf Er<strong>de</strong>n nach <strong>de</strong>m<br />

Willen Gottes gewan<strong>de</strong>lt war, durfte von fern die Ankunft <strong>de</strong>s Erlösers schauen. „Siehe“,<br />

sagte er, „<strong>de</strong>r Herr kommt mit vielen tausend Heiligen, Gericht zu halten über alle.“ Judas<br />

14-15. Der Patriarch Hiob rief in <strong>de</strong>r Nacht seiner Lei<strong>de</strong>n mit unerschütterlichem Vertrauen<br />

aus: „Ich weiß, daß mein Erlöser lebt; und als <strong>de</strong>r letzte wird er über <strong>de</strong>m Staube sich<br />

erheben ... und wer<strong>de</strong> (in meinem Fleisch) Gott sehen. Denselben wer<strong>de</strong> ich mir sehen, und<br />

meine Augen wer<strong>de</strong>n ihn schauen, und kein Frem<strong>de</strong>r.“ Hiob 19,25-27.<br />

Das Kommen Christi, um die Herrschaft <strong>de</strong>r Gerechtigkeit aufzurichten, hat die heiligen<br />

Schreiber zu beson<strong>de</strong>rs erhabenen und begeistern<strong>de</strong>n Aussprüchen veranlaßt. Die Dichter<br />

und Propheten <strong>de</strong>r Heiligen Schrift haben darüber Worte gefun<strong>de</strong>n, die von himmlischem<br />

Feuer durchglüht sind. Der Psalmist sang von <strong>de</strong>r Macht und Majestät <strong>de</strong>s Königs von Israel:<br />

„Aus Zion bricht an <strong>de</strong>r schöne Glanz Gottes. Unser Gott kommt und schweigt nicht ... Er<br />

ruft Himmel und Er<strong>de</strong>, daß er sein Volk richte.“ „Der Himmel freue sich, und die Er<strong>de</strong> sei<br />

fröhlich ... vor <strong>de</strong>m Herrn; <strong>de</strong>nn er kommt, <strong>de</strong>nn er kommt, zu richten das Erdreich. Er wird<br />

<strong>de</strong>n Erdbo<strong>de</strong>n richten mit Gerechtigkeit und die Völker mit seiner Wahrheit.“ Psalm 50,2-4;<br />

Psalm 96,11,13.<br />

Der Prophet Jesaja sagte: „Wachet auf und rühmet, die ihr liegt unter <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>! Denn<br />

<strong>de</strong>in Tau ist ein Tau <strong>de</strong>s grünen Fel<strong>de</strong>s; aber das Land <strong>de</strong>r Toten wirst du stürzen.“ „Aber<br />

<strong>de</strong>ine Toten wer<strong>de</strong>n leben, meine Leichname wer<strong>de</strong>n auferstehen.“ „Er wird <strong>de</strong>n Tod<br />

verschlingen ewiglich; und <strong>de</strong>r Herr Herr wird die Tränen von allen Angesichtern<br />

abwischen und wird aufheben die Schmach seines Volkes in allen Lan<strong>de</strong>n; <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Herr<br />

hat‘s gesagt. Zu <strong>de</strong>r Zeit wird man sagen: Siehe, das ist unser Gott, auf <strong>de</strong>n wir harren, und<br />

er wird uns helfen; das ist <strong>de</strong>r Herr, auf <strong>de</strong>n wir harren, daß wir uns freuen und fröhlich<br />

seien in seinem Heil.“ Jesaja 26,19; Jesaja 25,8.9. In einem heiligen Gesicht entrückt,<br />

schaute auch Habakuk Christi Erscheinen: „Gott kam vom Mittag und <strong>de</strong>r Heilige vom<br />

Gebirge Pharan. Seines Lobes war <strong>de</strong>r Himmel voll, und seiner Ehre war die Er<strong>de</strong> voll. Sein<br />

Glanz war wie Licht ... Er stand und maß die Er<strong>de</strong>, er schaute und machte beben die Hei<strong>de</strong>n,<br />

207


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

daß zerschmettert wur<strong>de</strong>n die Berge, die von alters her sind, und sich bücken mußten die<br />

ewigen Hügel, da er wie vor alters einherzog, ... da du auf <strong>de</strong>inen Rossen rittest und <strong>de</strong>ine<br />

Wagen <strong>de</strong>n Sieg behielten? ... Die Berge sahen dich, und ihnen ward bange; ... die Tiefe ließ<br />

sich hören, die Höhe hob die Hän<strong>de</strong> auf. Sonne und Mond stan<strong>de</strong>n still. Deine Pfeile fuhren<br />

mit Glänzen dahin und <strong>de</strong>ine Speere mit Leuchten <strong>de</strong>s Blitzes ... Du zogest aus, <strong>de</strong>inem<br />

Volk zu helfen, zu helfen <strong>de</strong>inem Gesalbten.“ Habakuk 3,3.4.6.8.10.13.<br />

Kurz bevor sich <strong>de</strong>r Heiland von seinen Jüngern trennte, tröstete er sie in ihrem Leid mit<br />

<strong>de</strong>r Versicherung, daß er wie<strong>de</strong>rkommen wolle: „Euer Herz erschrecke nicht! ... In meines<br />

Vaters Hause sind viele Wohnungen ... Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten. Und wenn<br />

ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, so will ich wie<strong>de</strong>rkommen und euch zu mir<br />

nehmen.“ Johannes 14,1-3. „Wenn aber <strong>de</strong>s Menschen Sohn kommen wird in seiner<br />

Herrlichkeit und alle heiligen Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf <strong>de</strong>m Stuhl seiner<br />

Herrlichkeit, und wer<strong>de</strong>n vor ihm alle Völker versammelt wer<strong>de</strong>n.“ Matthäus 25,31.32.<br />

Die Engel, die nach <strong>de</strong>r Himmelfahrt Christi auf <strong>de</strong>m Ölberg weilten, wie<strong>de</strong>rholten <strong>de</strong>n<br />

Jüngern die Verheißung seiner Wie<strong>de</strong>rkunft: „Dieser Jesus, welcher von euch ist<br />

aufgenommen gen Himmel, wird kommen, wie ihr ihn gesehen habt gen Himmel<br />

fahren.“ Apostelgeschichte 1,11. Der Apostel Paulus bezeugt unter Eingebung <strong>de</strong>s Heiligen<br />

Geistes: „Denn er selbst, <strong>de</strong>r Herr, wird mit einem Feldgeschrei und <strong>de</strong>r Stimme <strong>de</strong>s<br />

Erzengels und mit <strong>de</strong>r Posaune Gottes hernie<strong>de</strong>rkommen vom Himmel.“ 1.Thessalonicher<br />

4,16. Der Prophet von Patmos sagt: „Siehe, er kommt mit <strong>de</strong>n Wolken, und es wer<strong>de</strong>n ihn<br />

sehen alle Augen.“ Offenbarung 1,7.<br />

Um sein Kommen reiht sich all die Herrlichkeit jener Zeit, „da herwie<strong>de</strong>rgebracht<br />

wer<strong>de</strong> alles,was Gott gere<strong>de</strong>t hat durch <strong>de</strong>n Mund aller seiner heiligen Propheten von <strong>de</strong>r<br />

Welt an“. Apostelgeschichte 3,21. Dann wird die so lang bestan<strong>de</strong>ne Herrschaft <strong>de</strong>s Bösen<br />

gebrochen wer<strong>de</strong>n; „es sind die Reiche <strong>de</strong>r Welt unsers Herrn und seines Christus gewor<strong>de</strong>n,<br />

und er wird regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit“. Offenbarung 11,15. „Denn die Herrlichkeit<br />

<strong>de</strong>s Herrn soll offenbart wer<strong>de</strong>n, und alles Fleisch miteinan<strong>de</strong>r wird es sehen.“ „Gleichwie<br />

Gewächs aus <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> wächst und Same im Garten aufgeht, also wird Gerechtigkeit und<br />

Lob vor allen Hei<strong>de</strong>n aufgehen aus <strong>de</strong>m Herrn Herrn.“ „Zu <strong>de</strong>r Zeit wird <strong>de</strong>r Herr Zebaoth<br />

sein eine liebliche Krone und ein herrlicher Kranz <strong>de</strong>n Übriggebliebenen seines<br />

Volks.“ Jesaja 40,5; Jesaja 61,11; Jesaja 28,5.<br />

Dann wird das frie<strong>de</strong>volle und lang ersehnte Reich <strong>de</strong>s Messias unter <strong>de</strong>m ganzen<br />

Himmel aufgerichtet wer<strong>de</strong>n. „Denn <strong>de</strong>r Herr tröstet Zion, er tröstet alle ihre Wüsten und<br />

macht ihre Wüste wie E<strong>de</strong>n und ihr dürres Land wie <strong>de</strong>n Garten <strong>de</strong>s Herrn.“ „Denn die<br />

Herrlichkeit <strong>de</strong>s Libanon ist ihr gegeben, <strong>de</strong>r Schmuck Karmels und Sarons.“ „Man soll<br />

dich nicht mehr die Verlassene noch <strong>de</strong>in Land eine Wüstung heißen; son<strong>de</strong>rn du sollst<br />

‚Meine Lust an ihr‘ und <strong>de</strong>in Land ‚Liebes Weib‘ heißen; <strong>de</strong>nn ... wie sich ein Bräutigam<br />

freut über die Braut, so wird sich <strong>de</strong>in Gott über dich freuen.“ Jesaja 51,3; Jesaja 35,2;<br />

Jesaja 62,4.5. Die Wie<strong>de</strong>rkunft <strong>de</strong>s Herrn war in allen Zeiten die Hoffnung seiner wahren<br />

208


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Nachfolger. Die Abschiedsverheißung <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s auf <strong>de</strong>m Ölberg, daß er<br />

wie<strong>de</strong>rkommen wer<strong>de</strong>, erhellte <strong>de</strong>n Jüngern die Zukunft und erfüllte ihre Herzen mit einer<br />

Freu<strong>de</strong> und Hoffnung, die we<strong>de</strong>r Sorgen dämpfen noch Prüfungen schwächen konnten.<br />

Inmitten von Lei<strong>de</strong>n und Verfolgungen war die „Erscheinung <strong>de</strong>r Herrlichkeit <strong>de</strong>s<br />

großen Gottes und unseres Heilan<strong>de</strong>s, Jesu Christi“, die selige Hoffnung. Titus 2,13. Als die<br />

Christen in Thessalonich bei <strong>de</strong>r Bestattung ihrer Lieben, die gehofft hatten, das Kommen<br />

<strong>de</strong>s Herrn zu erleben, von Leid erfüllt waren, verwies Paulus, ihr Lehrer, sie auf die<br />

Auferstehung, die bei <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft Christi stattfin<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>. Dann sollen die Toten in<br />

Christus auferstehen und zusammen mit <strong>de</strong>n Leben<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m Herrn entgegengerückt wer<strong>de</strong>n.<br />

„Und wer<strong>de</strong>n also“, sagte er, „bei <strong>de</strong>m Herrn sein allezeit. So tröstet euch nun mit diesen<br />

Worten untereinan<strong>de</strong>r.“ 1.Thessalonicher 4,17.18. Auf <strong>de</strong>m felsigen Patmos hörte <strong>de</strong>r<br />

geliebte Jünger die Verheißung: „Siehe, ich komme bald“, und seine sehnsuchtsvolle<br />

Antwort klingt in <strong>de</strong>m Gebet <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>r ganzen Pilgerreise: „Ja komm, Herr<br />

Jesu!“ Offenbarung 22,7.20.<br />

Aus <strong>de</strong>m Kerker, vom Scheiterhaufen und Schafott herunter, wo die Heiligen und<br />

Märtyrer für die Wahrheit zeugten, vernimmt man durch alle Jahrhun<strong>de</strong>rte hindurch die<br />

Äußerungen ihres Glaubens und ihrer Hoffnung. Von <strong>de</strong>r persönlichen Auferstehung Christi<br />

und damit auch von ihrer eigenen zur Zeit seines Kommens überzeugt, verachteten diese<br />

Christen <strong>de</strong>n Tod und fürchteten ihn nicht. Sie waren bereit, in das Grab hinabzusteigen,<br />

damit sie frei auferstün<strong>de</strong>n. Sie warteten auf das „Erscheinen <strong>de</strong>s Herrn in <strong>de</strong>n Wolken in<br />

<strong>de</strong>r Herrlichkeit <strong>de</strong>s Vaters, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Gerechten das Himmelreich bringen wür<strong>de</strong>“. Die<br />

Wal<strong>de</strong>nser hegten <strong>de</strong>n gleichen Glauben. Wiklif erwartete in <strong>de</strong>r Erscheinung <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s<br />

die Hoffnung <strong>de</strong>r Kirche. Luther erklärte: „Ich sage mir wahrlich, <strong>de</strong>r Tag <strong>de</strong>s Gerichtes<br />

könne keine volle dreihun<strong>de</strong>rt Jahre mehr ausbleiben. Gott will und kann diese gottlose Welt<br />

nicht länger dul<strong>de</strong>n. Der große Tag naht, an <strong>de</strong>m das Reich <strong>de</strong>r Greuel gestürzt wer<strong>de</strong>n<br />

wird.“<br />

„Diese alte Welt ist nicht fern von ihrem En<strong>de</strong>“, sagte Melanchthon. Calvin for<strong>de</strong>rte die<br />

Christen auf, nicht unschlüssig zu sein, son<strong>de</strong>rn eifrig nach <strong>de</strong>m Tag <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft <strong>de</strong>s<br />

Herrn als <strong>de</strong>s heilsamsten aller Tage zu verlangen; er erklärte weiter, daß die ganze Familie<br />

<strong>de</strong>r Getreuen diesen Tag vor Augen haben wird und sagt: „Wir müssen nach Christus<br />

hungern, ihn suchen, erforschen, bis zum Anbrechen jenes großen Tages, an <strong>de</strong>m unser Herr<br />

die Herrlichkeit seines Reiches völlig offenbaren wird.“ „Ist nicht unser Herr Jesus leiblich<br />

gen Himmel gefahren, und wird er nicht wie<strong>de</strong>rkommen?“ fragte Knox, <strong>de</strong>r schottische<br />

Reformator. „Wir wissen, daß er wie<strong>de</strong>rkommen wird, und das in Kürze.“ Ridley und<br />

Latimer, die bei<strong>de</strong> ihr Leben für die Wahrheit ließen, sahen im Glauben <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft <strong>de</strong>s<br />

Herrn entgegen. Ridley schrieb: „Die Welt geht unzweifelhaft — dies glaube ich, und<br />

<strong>de</strong>shalb sage ich es — <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> entgegen. Laßt uns mit Johannes, <strong>de</strong>m Knecht Christi,<br />

rufen: Komme bald, Herr Jesus!“<br />

209


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Baxter sagte: „Der Gedanke an das Kommen <strong>de</strong>s Herrn ist mir überaus köstlich und<br />

freu<strong>de</strong>voll ... Seine Erscheinung liebzuhaben und <strong>de</strong>r seligen Hoffnung entgegenzusehen, ist<br />

das Werk <strong>de</strong>s Glaubens und kennzeichnet seine Heiligen ... Wenn <strong>de</strong>r Tod <strong>de</strong>r letzte Feind<br />

ist, <strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>r Auferstehung vernichtet wer<strong>de</strong>n soll, so können wir begreifen, wie ernsthaft<br />

Gläubige nach <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft Christi (wann dieser völlige und endgültige Sieg errungen<br />

wer<strong>de</strong>n wird) verlangen und dafür beten sollten.“ „Dies ist <strong>de</strong>r Tag, auf <strong>de</strong>n alle Gläubigen<br />

harren, hoffen und warten sollten, da er das ganze Werk ihrer Erlösung und die Erfüllung<br />

aller ihrer Wünsche und Bestrebungen verwirklicht ... Beschleunige, o Herr, diesen<br />

segenbringen<strong>de</strong>n Tag.“1 Das war die Hoffnung <strong>de</strong>r apostolischen Kirche, <strong>de</strong>r „Gemein<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Wüste“, und <strong>de</strong>r Reformatoren.<br />

Die Prophezeiungen sagen nicht nur das „Wie“ und das „Warum“ <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft<br />

Christi voraus, son<strong>de</strong>rn geben auch Zeichen an, die uns erkennen lassen, wann sie nahe ist.<br />

Jesus sagte: „Es wer<strong>de</strong>n Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen.“ „Aber zu <strong>de</strong>r<br />

Zeit, nach dieser Trübsal, wer<strong>de</strong>n Sonne und Mond ihren Schein verlieren, und die Sterne<br />

wer<strong>de</strong>n vom Himmel fallen, und die Kräfte <strong>de</strong>r Himmel wer<strong>de</strong>n sich bewegen. Und dann<br />

wer<strong>de</strong>n sie sehen <strong>de</strong>s Menschen Sohn kommen in <strong>de</strong>n Wolken mit großer Kraft und<br />

Herrlichkeit.“ Lukas 21,25; Markus 13,24-26. Johannes schil<strong>de</strong>rt in <strong>de</strong>r Offenbarung das<br />

erste <strong>de</strong>r Zeichen, die <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft Christi vorausgehen: „Die Sonne ward schwarz wie<br />

ein härener Sack, und <strong>de</strong>r Mond ward wie Blut.“ Offenbarung 6,12.<br />

Diese Zeichen wur<strong>de</strong>n vor <strong>de</strong>m Anfang <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts wahrgenommen. In<br />

Erfüllung dieser Weissagung fand im Jahre 1755 das allerschrecklichste Erdbeben statt, das<br />

je berichtet wor<strong>de</strong>n ist. Obgleich allgemein als das Erdbeben von Lissabon bekannt, <strong>de</strong>hnte<br />

es sich doch über <strong>de</strong>n größeren Teil von Europa, Afrika und Amerika aus. Es wur<strong>de</strong> in<br />

Grönland, in West-Indien und auf <strong>de</strong>r Insel Ma<strong>de</strong>ira, in Schwe<strong>de</strong>n und Norwegen,<br />

Großbritannien und Irland verspürt. Es erstreckte sich über einen Flächenraum von nicht<br />

weniger als 10.360.000 qkm. In Afrika war die Erschütterung beinahe ebenso heftig wie in<br />

Europa. Ein großer Teil von Algerien wur<strong>de</strong> zerstört, und in nur geringer Entfernung von<br />

Marokko wur<strong>de</strong> ein Dorf mit 8000-10.000 Einwohnern verschlungen. Eine ungeheure Woge,<br />

die Städte fortriß und große Zerstörung verursachte, fegte über die Küsten von Spanien und<br />

Afrika.<br />

In Spanien und Portugal zeigten sich äußerst heftige Erdstöße. In Cadiz soll die<br />

heranstürzen<strong>de</strong> Flut 18m hoch gewesen sein. „Etliche <strong>de</strong>r größten Berge in Portugal wur<strong>de</strong>n<br />

stark, gewissermaßen vom Grun<strong>de</strong> aus, erschüttert. Die Gipfel einiger Berge öffneten sich<br />

und wur<strong>de</strong>n auf erstaunliche Weise gespalten und zerrissen. Dabei flogen ungeheure<br />

Steinmassen in die umliegen<strong>de</strong>n Täler. Man erzählt, daß diesen Bergen Flammen<br />

entstiegen.“ In Lissabon wur<strong>de</strong> ein unterirdischer Donner vernommen, und unmittelbar<br />

darauf stürzte durch einen heftigen Stoß <strong>de</strong>r größere Teil <strong>de</strong>r Stadt ein. Im Zeitraum von<br />

etwa sechs Minuten kamen 60.000 Menschen ums Leben. Die Wogen gingen anfangs<br />

zurück und gaben die Sandbank frei, dann fluteten sie herein und hoben sich mehr als 15m<br />

210


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

über ihre normale Höhe. „Zu an<strong>de</strong>ren außeror<strong>de</strong>ntlichen Ereignissen, die sich während <strong>de</strong>r<br />

Katastrophe in Lissabon zutrugen, zählt das Versinken <strong>de</strong>s neuen Kais, <strong>de</strong>r mit einem<br />

ungeheuren Kostenaufwand ganz aus Marmor hergestellt war. Eine große Menschenmenge<br />

hatte sich hier sicherheitshalber gesammelt, weil sie glaubte, außerhalb <strong>de</strong>s Bereiches <strong>de</strong>r<br />

fallen<strong>de</strong>n Trümmer zu sein; doch plötzlich versank <strong>de</strong>r Kai mit <strong>de</strong>r ganzen Menschenmenge,<br />

und nicht einer <strong>de</strong>r Leichname kam je wie<strong>de</strong>r an die Oberfläche.“<br />

„Dem Stoß“ <strong>de</strong>s Erdbebens „folgte unmittelbar <strong>de</strong>r Einsturz sämtlicher Kirchen und<br />

Klöster, fast aller großen öffentlichen Bauten und mehr als eines Viertels <strong>de</strong>r Häuser.<br />

Ungefähr zwei Stun<strong>de</strong>n nach <strong>de</strong>m Erdstoß brach in <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Stadtvierteln Feuer<br />

aus und wütete beinahe drei Tage lang mit solcher Gewalt, daß die Stadt völlig verwüstet<br />

wur<strong>de</strong>. Das Erdbeben geschah an einem Feiertag, als die Kirchen und Klöster voller<br />

Menschen waren, von <strong>de</strong>nen nur sehr wenige entkamen“. „Der Schrecken <strong>de</strong>s Volkes<br />

überstieg alle Beschreibung. Niemand weinte; das Unglück war zu groß. Die Menschen<br />

liefen hin und her, wahnsinnig vor Schrecken und Entsetzen, schlugen sich ins Gesicht und<br />

an die Brust und riefen: ‚Erbarmen! Die Welt geht unter¡ Mütter vergaßen ihre Kin<strong>de</strong>r und<br />

rannten mit Kruzifixen umher. Unglücklicherweise liefen viele in die Kirchen, um Schutz zu<br />

suchen; aber vergebens wur<strong>de</strong> ununterbrochen die Messe gelesen und die Hostie enthüllt;<br />

vergebens klammerten sich die armen Geschöpfe an die Altäre. Kruzifixe, Priester und Volk,<br />

alle wur<strong>de</strong>n bei <strong>de</strong>m allgemeinen Untergang verschlungen.“ Man hat geschätzt, daß an<br />

jenem verhängnisvollen Tag 90.000 Menschen ums Leben gekommen sind.<br />

Fünfundzwanzig Jahre später erschien das nächste in <strong>de</strong>r Weissagung erwähnte<br />

Zeichen — die Verfinsterung <strong>de</strong>r Sonne und <strong>de</strong>s Mon<strong>de</strong>s, und zwar war dies um so<br />

auffallen<strong>de</strong>r, da die Zeit seiner Erfüllung genau und bestimmt angegeben wor<strong>de</strong>n war. Der<br />

Heiland erwähnte in seiner Unterredung mit <strong>de</strong>n Jüngern auf <strong>de</strong>m Ölberg nach <strong>de</strong>r<br />

Schil<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r langen Trübsalszeit <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> — <strong>de</strong>n 1260 Jahren <strong>de</strong>r päpstlichen<br />

Verfolgung, <strong>de</strong>rentwegen er verheißen hatte, die Tage <strong>de</strong>r Trübsal zu verkürzen — gewisse<br />

Ergebnisse, die seinem Kommen vorausgingen. Dabei nannte er die Zeit, wann das erste<br />

dieser Zeichen gesehen wer<strong>de</strong>n sollte. „Aber zu <strong>de</strong>r Zeit, nach dieser Trübsal, wer<strong>de</strong>n Sonne<br />

und Mond ihren Schein verlieren.“ Markus 13,24. Die 1260 Tage o<strong>de</strong>r Jahre liefen mit <strong>de</strong>m<br />

Jahre 1798 ab. Ein Vierteljahrhun<strong>de</strong>rt vorher hatten die Verfolgungen beinahe gänzlich<br />

aufgehört. Nach diesen Verfolgungen sollte nach <strong>de</strong>n Worten Christi die Sonne verdunkelt<br />

wer<strong>de</strong>n. Am 19. Mai 1780 ging diese Weissagung in Erfüllung.<br />

„Als die geheimnisvollste und bis dahin unerklärbare, wenn nicht gänzlich ohne<br />

Beispiel dastehen<strong>de</strong> Naturerscheinung ... erwies sich <strong>de</strong>r finstere Tag vom 19. Mai 1780 —<br />

eine höchst son<strong>de</strong>rbare Verfinsterung <strong>de</strong>s ganzen sichtbaren Himmels Neuenglands.“ Ein in<br />

Massachusetts leben<strong>de</strong>r Augenzeuge beschreibt das Ereignis wie folgt: „Am Morgen ging<br />

die Sonne klar auf, bald aber bezog sich <strong>de</strong>r Himmel. Die Wolken sanken immer tiefer, und<br />

während sie dunkler und unheildrohen<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong>n, zuckten die Blitze, und <strong>de</strong>r Donner rollte,<br />

und etwas Regen fiel. Gegen neun Uhr lichtete sich die Wolken<strong>de</strong>cke und nahm ein<br />

211


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

messing- o<strong>de</strong>r kupferfarbenes Aussehen an, so daß Er<strong>de</strong>, Felsen, Bäume, Gebäu<strong>de</strong>, das<br />

Wasser und die Menschen in diesem seltsamen, unheimlichen Licht ganz verän<strong>de</strong>rt<br />

erschienen.<br />

Wenige Minuten später breitete sich eine schwere, schwarze Wolke über das ganze<br />

Himmelsgewölbe aus, mit Ausnahme eines schmalen Streifens am Horizont, und es war so<br />

dunkel, wie es gewöhnlich im Sommer um neun Uhr abends ist ... Furcht, Angst und heilige<br />

Scheu bemächtigten sich <strong>de</strong>r Menschen. Frauen stan<strong>de</strong>n vor <strong>de</strong>n Türen und schauten in die<br />

dunkle Landschaft, die Männer kehrten von ihrer Feldarbeit zurück, <strong>de</strong>r Zimmermann<br />

verließ sein Werkzeug, <strong>de</strong>r Schmied seine Werkstatt, <strong>de</strong>r Kaufmann <strong>de</strong>n La<strong>de</strong>n. Die Schulen<br />

wur<strong>de</strong>n geschlossen, und die zittern<strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>r rannten heim. Reisen<strong>de</strong> suchten Unterkunft<br />

in <strong>de</strong>n nächsten Bauernhäusern. ‚Was soll das wer<strong>de</strong>n¿ fragten beben<strong>de</strong> Lippen und Herzen.<br />

Es schien, als ob ein großer Sturm über das Land hereinbrechen wollte, o<strong>de</strong>r als ob das En<strong>de</strong><br />

aller Dinge gekommen sei.<br />

Lichter wur<strong>de</strong>n angezün<strong>de</strong>t, und das Feuer im offenen Kamin brannte so hell wie an<br />

einem Herbstabend ohne Mondlicht ... Die Hühner erklommen ihre Ruhestangen und<br />

schliefen ein, das Vieh ging an die Wiesenpforten und brüllte, die Frösche quakten, die<br />

Vögel sangen ihr Abendlied, und die Fle<strong>de</strong>rmäuse begannen ihren nächtlichen Flug. Aber<br />

die Menschen wußten, daß die Nacht nicht hereingebrochen war ... Dr. Nathanael Whittaker,<br />

Geistlicher in Salem, hielt Gottesdienst im Versammlungssaal und behauptete in seiner<br />

Predigt, daß die Dunkelheit übernatürlich sei. An vielen Orten wur<strong>de</strong>n Versammlungen<br />

durchgeführt, und die Bibeltexte für die unvorbereiteten Predigten waren ausschließlich<br />

solche, die an<strong>de</strong>uteten, daß die Finsternis in Übereinstimmung mit <strong>de</strong>r biblischen<br />

Weissagung war ... Etwas nach elf Uhr war die Dunkelheit am stärksten.“ „An <strong>de</strong>n meisten<br />

Orten war die Finsternis so dicht, daß man we<strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>r Uhr sehen noch die häuslichen<br />

Arbeiten ohne Kerzenlicht ausführen konnte ... Die Finsternis <strong>de</strong>hnte sich außergewöhnlich<br />

weit aus. Nach Osten erstreckte sie sich bis Falmouth, nach Westen erreichte sie <strong>de</strong>n<br />

äußersten Teil von Connecticut und Albany, nach Sü<strong>de</strong>n hin wur<strong>de</strong> sie an <strong>de</strong>r ganzen<br />

Seeküste entlang beobachtet, und nach Nor<strong>de</strong>n reichte sie, so weit sich die amerikanischen<br />

Nie<strong>de</strong>rlassungen aus<strong>de</strong>hnten.“<br />

Der dichten Finsternis dieses Tages folgte eine o<strong>de</strong>r zwei Stun<strong>de</strong>n vor Sonnenuntergang<br />

ein teilweise klarer Himmel; die Sonne brach wie<strong>de</strong>r hervor, obgleich ihr Schein noch von<br />

einem schwarzen, schweren Schleier getrübt wur<strong>de</strong>. „Die Dunkelheit <strong>de</strong>r Nacht war ebenso<br />

ungewöhnlich und erschreckend wir die <strong>de</strong>s Tages, <strong>de</strong>nn obgleich es fast Vollmond war,<br />

ließ sich doch kein Gegenstand ohne künstliches Licht unterschei<strong>de</strong>n, und dieses nahm sich<br />

von <strong>de</strong>n Nachbarhäusern und an<strong>de</strong>rn Orten aus, als ob es durch eine ägyptische Finsternis<br />

schien, die für die Strahlen nahezu undurchdringlich war.“ Ein Augenzeuge dieses<br />

Ereignisses sagte: „Ich konnte mich <strong>de</strong>s Gedankens nicht erwehren, daß, wenn alle<br />

leuchten<strong>de</strong>n Himmelskörper in solch undurchdringliche Finsternis gehüllt o<strong>de</strong>r gänzlich<br />

verschwun<strong>de</strong>n wären, die Finsternis nicht vollständiger sein könnte.“ Obgleich neun Uhr<br />

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<strong>Chaos</strong>theorie<br />

abends <strong>de</strong>r Mond voll aufging; „vermochte er nicht im geringsten <strong>de</strong>n to<strong>de</strong>sähnlichen<br />

Schatten zu zerteilen“. Nach Mitternacht verzog sich die Finsternis, und als <strong>de</strong>r Mond<br />

sichtbar wur<strong>de</strong>, sah er zuerst aus wie Blut.<br />

Der 19. Mai 1780 steht als „<strong>de</strong>r finstere Tag“ in <strong>de</strong>r Geschichte verzeichnet. Seit Moses<br />

Zeit ist keine Finsternis von gleicher Dichte, Aus<strong>de</strong>hnung und Dauer je berichtet wor<strong>de</strong>n.<br />

Die Beschreibung dieses Ereignisses, wie sie von Augenzeugen gegeben wur<strong>de</strong>, ist nur ein<br />

Wi<strong>de</strong>rhall <strong>de</strong>r Worte <strong>de</strong>s Herrn, die <strong>de</strong>r Prophet Joel 2500 Jahre vor ihrer Erfüllung kundtat:<br />

„Die Sonne soll in Finsternis und <strong>de</strong>r Mond in Blut verwan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n, ehe <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r große<br />

und schreckliche Tag <strong>de</strong>s Herrn kommt.“ Joel 3,4.Christus hatte seinem Volk geboten, auf<br />

die Zeichen seiner Wie<strong>de</strong>rkunft zu achten und sich zu freuen, wenn es die Vorläufer seines<br />

zukünftigen Königs erkennen wür<strong>de</strong>. Seine Worte lauteten: „Wenn aber dieses anfängt zu<br />

geschehen, so sehet auf und erhebet eure Häupter, darum daß sich eure Erlösung naht.“ Er<br />

machte seine Nachfolger auf die knospen<strong>de</strong>n Bäume <strong>de</strong>s Frühlings aufmerksam und sagte:<br />

„Wenn sie jetzt ausschlagen, so sehet ihr‘s an ihnen und merket, daß jetzt <strong>de</strong>r Sommer nahe<br />

ist. Also auch ihr: wenn ihr dies alles sehet angehen, so wisset, daß das Reich Gottes nahe<br />

ist.“ Lukas 21,28.30.31.<br />

Doch als <strong>de</strong>r Geist <strong>de</strong>r Demut und Frömmigkeit in <strong>de</strong>r Kirche von <strong>de</strong>m Stolz und <strong>de</strong>m<br />

Formenwesen verdrängt wur<strong>de</strong>, war die Liebe zu Christus und <strong>de</strong>r Glaube an seine<br />

Wie<strong>de</strong>rkunft erkaltet. Das bekennen<strong>de</strong> Volk Gottes war ganz in Weltlichkeit und<br />

Vergnügungssucht aufgegangen und dadurch blind gewor<strong>de</strong>n für die Lehren <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s<br />

hinsichtlich <strong>de</strong>r Zeichen vor seinem Kommen. Die Lehre von <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft Christi hatte<br />

man vernachlässigt, die sich darauf beziehen<strong>de</strong>n Schriftstellen waren durch falsche<br />

Auslegung verdunkelt wor<strong>de</strong>n, bis man sie in hohem Maße einfach übersah und vergaß.<br />

Ganz beson<strong>de</strong>rs war dies mit <strong>de</strong>n Kirchen Amerikas <strong>de</strong>r Fall. Die Freiheit und<br />

Bequemlichkeit, <strong>de</strong>ren sich alle Gesellschaftsklassen erfreuten, das ehrgeizige Verlangen<br />

nach Reichtum und Überfluß, das eine verzehren<strong>de</strong> Sucht nach Gel<strong>de</strong>rwerb hervorrief, das<br />

begierige Streben nach Volkstümlichkeit und Macht, die allen erreichbar schienen,<br />

verleiteten die Menschen, sich <strong>de</strong>n Dingen <strong>de</strong>s Lebens zuzuneigen und auf sie zu hoffen und<br />

jenen ernsten Tag, an <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r gegenwärtige Lauf <strong>de</strong>r Dinge ein En<strong>de</strong> haben wird, weit von<br />

sich zu weisen.<br />

Als <strong>de</strong>r Heiland seine Nachfolger auf die Zeichen seiner Wie<strong>de</strong>rkunft hinwies,<br />

weissagte er ihnen <strong>de</strong>n Zustand <strong>de</strong>s Abfalls, wie er unmittelbar vor seiner Wie<strong>de</strong>rkunft<br />

bestehen wür<strong>de</strong>. Da zeigte sich,gleichwie in <strong>de</strong>n Tagen Noahs, rege Tätigkeit in weltlichen<br />

Unternehmungen und Vergnügungssucht — Kaufen, Verkaufen, Pflanzen, Bauen, Freien<br />

und sich freien lassen —, wobei Gott und das zukünftige Leben vergessen wür<strong>de</strong>n. Denen,<br />

die zu dieser Zeit leben wer<strong>de</strong>n, galt Christi Ermahnung: „Hütet euch aber, daß eure Herzen<br />

nicht beschwert wer<strong>de</strong>n mit Fressen und Saufen und mit Sorgen <strong>de</strong>r Nahrung und komme<br />

dieser Tag schnell über euch; <strong>de</strong>nn wie ein Fallstrick wird er kommen über alle, die auf<br />

Er<strong>de</strong>n wohnen. So seid nun wach allezeit und betet, daß ihr würdig wer<strong>de</strong>n möget, zu<br />

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<strong>Chaos</strong>theorie<br />

entfliehen diesem allem, das geschehen soll, und zu stehen vor <strong>de</strong>s Menschen Sohn.“ Lukas<br />

21,34,36.<br />

Den Zustand <strong>de</strong>r Kirche zu dieser Zeit schil<strong>de</strong>rn die Worte <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s in <strong>de</strong>r<br />

Offenbarung. „Du hast <strong>de</strong>n Namen, daß du lebest, und bist tot.“ Und an jene, die sich<br />

weigern, aus ihrer gleichgültigen Sorglosigkeit herauszutreten, ergeht die ernste Warnung.<br />

„So du nicht wirst wachen, wer<strong>de</strong> ich über dich kommen wie ein Dieb, und wirst nicht<br />

wissen, welche Stun<strong>de</strong> ich über dich kommen wer<strong>de</strong>.“ Offenbarung 3,1.3.<br />

Die Menschen mußten auf die Gefahr, in <strong>de</strong>r sie schwebten, aufmerksam gemacht<br />

wer<strong>de</strong>n, sie mußten aufgeweckt wer<strong>de</strong>n, damit sie sich auf die ernsten, mit <strong>de</strong>m Ablauf <strong>de</strong>r<br />

Gna<strong>de</strong>nzeit in Verbindung stehen<strong>de</strong>n Ereignisse vorbereiten könnten. Der Prophet Gottes<br />

erklärt: „Der Tag <strong>de</strong>s Herrn ist groß und sehr erschrecklich: wer kann ihn lei<strong>de</strong>n?“ Joel, 2,11.<br />

Ja, wer wird bestehen, wenn <strong>de</strong>r erscheint, von <strong>de</strong>m es heißt: „Deine Augen sind rein, daß<br />

du Übles nicht sehen magst, und <strong>de</strong>m Jammer kannst du nicht zusehen.“ Habakuk 1,13.<br />

Denen, die rufen: „Du bist mein Gott; wir ... kennen dich“, und die seinen Bund übertreten<br />

und einem an<strong>de</strong>rn Gott nacheilen, die lasterhaft sind und die Pfa<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit<br />

lieben, wird <strong>de</strong>s Herrn Tag „finster und nicht licht sein, dunkel und nicht hell“. Hosea 8,2;<br />

Psalm 16,4; Amos 5,20. „Zur selben Zeit“, spricht <strong>de</strong>r Herr, „will ich Jerusalem mit <strong>de</strong>r<br />

Lampe durchsuchen und aufschrecken die Leute, die sich durch nichts aus <strong>de</strong>r Ruhe bringen<br />

lassen und sprechen in ihrem Herzen: Der Herr wird we<strong>de</strong>r Gutes noch Böses<br />

tun.“ Zephanja. 1,12. „Ich will <strong>de</strong>n Erdbo<strong>de</strong>n heimsuchen um seiner Bosheit willen und die<br />

Gottlosen um ihrer Untugend willen und will <strong>de</strong>m Hochmut <strong>de</strong>r Stolzen ein En<strong>de</strong> machen<br />

und die Hoffart <strong>de</strong>r Gewaltigen <strong>de</strong>mütigen.“ „Es wird sie ihr Silber und Gold nicht erretten<br />

können am Tage <strong>de</strong>s Zorns <strong>de</strong>s Herrn“, „und ihre Güter sollen zum Raub wer<strong>de</strong>n und ihre<br />

Häuser zur Wüste“. Jesaja 13,11; Zephanja 1,18.13.<br />

Der Prophet Jeremia ruft im Hinblick auf diese schreckliche Zeit: „Wie ist mir so<br />

herzlich weh! ... und habe keine Ruhe; <strong>de</strong>nn meine Seele hört <strong>de</strong>r Posaune Hall und eine<br />

Feldschlacht und einen Mordschrei über <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn.“ Jeremia 4,19.20. „Dieser Tag ist ein<br />

Tag <strong>de</strong>s Grimmes, ein Tag <strong>de</strong>r Trübsal und Angst, ein Tag <strong>de</strong>s Wetters und Ungestüms, ein<br />

Tag <strong>de</strong>r Finsternis und Dunkels, ein Tag <strong>de</strong>r Wolken und Nebel, ein Tag <strong>de</strong>r Posaune und<br />

Drommete.“ „Denn siehe, <strong>de</strong>s Herrn Tag kommt ... das Land zu verstören und die Sün<strong>de</strong>r<br />

darauf zu vertilgen.“ Zephanja 1,15.16; Jesaja 13,9.<br />

Im Hinblick auf jenen großen Tag for<strong>de</strong>rt Gottes Wort in nachdrücklichster und<br />

feierlichster Sprache sein Volk auf, die geistliche Trägheit abzuschütteln und reuig und<br />

<strong>de</strong>mütig <strong>de</strong>s Herrn Angesicht zu suchen: „Blaset mit <strong>de</strong>r Posaune zu Zion, rufet auf meinem<br />

heiligen Berge; erzittert, alle Einwohner im Lan<strong>de</strong>! <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Tag <strong>de</strong>s Herrn kommt und ist<br />

nahe; ... heiliget ein Fasten, rufet die Gemein<strong>de</strong> zusammen! Versammelt das Volk, heiliget<br />

die Gemein<strong>de</strong>, sammelt die Ältesten, bringet zuhauf die jungen Kin<strong>de</strong>r ... Der Bräutigam<br />

gehe aus seiner Kammer und die Braut aus ihrem Gemach. Laßt die Priester, <strong>de</strong>s Herrn<br />

Diener, weinen zwischen Halle und Altar.“ „Bekehret euch zu mir von ganzem Herzen mit<br />

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<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Fasten, mit Weinen, mit Klagen! Zerreißet eure Herzen und nicht eure Klei<strong>de</strong>r, und bekehret<br />

euch zu <strong>de</strong>m Herrn, eurem Gott! <strong>de</strong>nn er ist gnädig, barmherzig, geduldig und von großer<br />

Güte.“ Joel 2,1.15-17.12.13.<br />

Um ein Volk vorzubereiten, am Tage <strong>de</strong>s Herrn bestehen zu können, mußte eine große<br />

Aufgabe <strong>de</strong>r Erneuerung erfüllt wer<strong>de</strong>n. Gott sah, daß viele Glie<strong>de</strong>r seines erklärten Volkes<br />

nicht für die Ewigkeit lebten. So wollte er ihnen in seiner Barmherzigkeit eine<br />

Warnungsbotschaft sen<strong>de</strong>n, um sie aus ihrer Erstarrung aufzurütteln und sie zu veranlassen,<br />

sich auf die Zukunft <strong>de</strong>s Herrn vorzubereiten. Diese Warnung ist in Offenbarung 14<br />

aufgezeichnet. Hier wird die dreifache Botschaft, von himmlischen Wesen verkündigt,<br />

dargestellt, <strong>de</strong>r unmittelbar das Kommen <strong>de</strong>s Menschensohnes folgt, um die Ernte <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong><br />

einzuholen. Die erste dieser Warnungen kündigt das nahen<strong>de</strong> Gericht an. Der Prophet „sah<br />

einen Engel fliegen mitten durch <strong>de</strong>n Himmel, <strong>de</strong>r hatte ein ewiges Evangelium zu<br />

verkündigen <strong>de</strong>nen, die auf Er<strong>de</strong>n wohnen, und allen Hei<strong>de</strong>n und Geschlechtern und<br />

Sprachen und Völkern, und sprach mit großer Stimme: Fürchtet Gott und gebet ihm die<br />

Ehre, <strong>de</strong>nn die Zeit seines Gerichts ist gekommen! Und betet an <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r gemacht hat<br />

Himmel und Er<strong>de</strong> und Meer und die Wasserbrunnen.“ Offenbarung 14,6.7.<br />

Diese Botschaft wird ein Teil <strong>de</strong>s „ewigen Evangeliums“ genannt. Die Verkündigung<br />

<strong>de</strong>s Evangeliums ist nicht Engeln son<strong>de</strong>rn Menschen anvertraut wor<strong>de</strong>n. Wohl sind heilige<br />

Engel beauftragt, dies Werk zu leiten; sie lenken die großen Maßnahmen zum Heil <strong>de</strong>r<br />

Menschen; aber die tatsächliche Verkündigung <strong>de</strong>s Evangeliums wird von <strong>de</strong>n Dienern<br />

Christi auf Er<strong>de</strong>n durchgeführt. Treue Männer, die <strong>de</strong>n Eingebungen <strong>de</strong>s Geistes Gottes und<br />

<strong>de</strong>n Lehren seines Wortes gehorsam waren, sollten <strong>de</strong>r Welt diese Warnung verkün<strong>de</strong>n. Sie<br />

hatten auf das feste prophetische Wort geachtet, auf jenes „Licht, das da scheint in einem<br />

dunkeln Ort, bis <strong>de</strong>r Tag anbreche und <strong>de</strong>r Morgenstern aufgehe“. 2.Petrus 1,19. Sie hatten<br />

die Erkenntnis Gottes mehr gesucht als alle verborgenen Reichtümer und schätzten sie höher<br />

als Silber. Ihr Ertrag ist besser als Gold. Sprüche 3,14. Der Herr offenbarte ihnen die großen<br />

Dinge seines Reiches. „Das Geheimnis <strong>de</strong>s Herrn ist unter <strong>de</strong>nen, die ihn fürchten; und<br />

seinen Bund läßt er sie wissen.“ Psalm 25,14.<br />

Es waren nicht die gelehrten Theologen, die für diese Wahrheit Verständnis hatten und<br />

sich mit ihrer Verkündigung befaßten. Wären sie treue Wächter gewesen, die die Schrift<br />

fleißig und unter Gebet erforscht hätten, so wür<strong>de</strong>n sie die Zeit <strong>de</strong>r Nacht erkannt haben,<br />

und die Weissagungen hätten ihnen die Ereignisse erschlossen, die unmittelbar<br />

bevorstan<strong>de</strong>n. Sie nahmen jedoch nicht diese Haltung ein, und die Botschaft wur<strong>de</strong><br />

einfacheren Männern übertragen. Jesus sagte: „Wan<strong>de</strong>lt, dieweil ihr das Licht habt, daß<br />

euch die Finsternis nicht überfalle.“ Johannes 12,35. Wer sich von <strong>de</strong>m von Gott<br />

verliehenen Licht abwen<strong>de</strong>t, o<strong>de</strong>r es versäumt, danach zu trachten, wenn es in seinem<br />

Bereich ist, bleibt in <strong>de</strong>r Finsternis. Aber <strong>de</strong>r Heiland erklärt: „Wer mir nachfolgt, <strong>de</strong>r wird<br />

nicht wan<strong>de</strong>ln in <strong>de</strong>r Finsternis, son<strong>de</strong>rn wird das Licht <strong>de</strong>s Lebens haben.“ Johannes 8,12.<br />

Wer beharrlich das Ziel verfolgt, nach Gottes Willen zu han<strong>de</strong>ln, und ernstlich auf das<br />

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<strong>Chaos</strong>theorie<br />

bereits empfangene Licht achtet, wird mehr Licht empfangen; ihm wird ein Stern von<br />

himmlischem Glanz gesandt wer<strong>de</strong>n, um ihn in alle Wahrheit zu leiten.<br />

Zur Zeit <strong>de</strong>s ersten Kommens Christi hätten die Priester und die Schriftgelehrten <strong>de</strong>r<br />

heiligen Stadt, <strong>de</strong>nen das lebendige Wort Gottes anvertraut wor<strong>de</strong>n war, die Zeichen <strong>de</strong>r<br />

Zeit erkennen und die Ankunft <strong>de</strong>s Verheißenen verkündigen können. Die Weissagung<br />

Michas nannte <strong>de</strong>n Geburtsort; Daniel gab die Zeit seines Kommens an. Micha 5,1; Daniel<br />

9,25. Gott hatte diese Weissagungen <strong>de</strong>n Ältesten <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n anvertraut; es gab für sie keine<br />

Entschuldigung, wenn sie es nicht wußten und <strong>de</strong>m Volke nicht verkündigten, daß die<br />

Ankunft <strong>de</strong>s Messias unmittelbar bevorstand. Ihre Unwissenheit war die Folge sündhafter<br />

Vernachlässigung. Die Ju<strong>de</strong>n bauten Denkmäler für die erschlagenen Propheten Gottes,<br />

während sie durch ihre Nachgiebigkeit gegenüber <strong>de</strong>n Großen <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Knechten<br />

Satans huldigten. Von ihrem ehrgeizigen Streben nach Ansehen und Macht unter <strong>de</strong>n<br />

Menschen völlig in Anspruch genommen, hatten sie die ihnen von <strong>de</strong>m König <strong>de</strong>s Himmels<br />

angebotenen göttlichen Ehren aus <strong>de</strong>n Augen verloren.<br />

Mit tiefer und ehrfurchtsvoller Hingabe hätten die Ältesten Israels Ort, Zeit und<br />

Umstän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s größten Ereignisses in <strong>de</strong>r Weltgeschichte — <strong>de</strong>r Ankunft <strong>de</strong>s Sohnes Gottes<br />

zur Erlösung <strong>de</strong>r Menschen — erforschen sollen. Alle Ju<strong>de</strong>n hätten wachen und harren<br />

sollen, um unter <strong>de</strong>n ersten zu sein, die <strong>de</strong>n Erlöser <strong>de</strong>r Welt begrüßten. Doch siehe, in<br />

Bethlehem wan<strong>de</strong>rten zwei mü<strong>de</strong> Reisen<strong>de</strong> von <strong>de</strong>n Hügeln Nazareths die ganze Länge <strong>de</strong>r<br />

engen Straße bis zum östlichen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Stadt entlang und spähten vergebens nach einer<br />

Rast- und Ruhestätte für die Nacht. Keine Tür stand ihnen offen. In einem elen<strong>de</strong>n<br />

Schuppen, <strong>de</strong>r für das Vieh hergerichtet war, fan<strong>de</strong>n sie schließlich Unterkommen, und hier<br />

wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Heiland <strong>de</strong>r Welt geboren.<br />

Die Engel hatten die Herrlichkeit gesehen, die <strong>de</strong>r Sohn Gottes mit <strong>de</strong>m Vater teilte, ehe<br />

die Welt war, und sie hatten mit lebhaftem Anteil seinem Erscheinen auf Er<strong>de</strong>n als <strong>de</strong>m<br />

freudvollsten Ereignis für alle Völker entgegengesehen. Es wur<strong>de</strong>n Engel bestimmt, die<br />

frohe Botschaft <strong>de</strong>nen zu bringen, die auf ihren Empfang vorbereitet waren, und die sie mit<br />

Freu<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Bewohnern <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> bekanntmachen wür<strong>de</strong>n. Christus hatte sich erniedrigt,<br />

menschliche Natur anzunehmen; er trug unendlich viel Leid, als er sein Leben als Opfer für<br />

die Sün<strong>de</strong> darbringen sollte; und doch wünschten die Engel, daß <strong>de</strong>r Sohn <strong>de</strong>s Allerhöchsten<br />

selbst in seiner Erniedrigung mit einer seinem Charakter entsprechen<strong>de</strong>n Wür<strong>de</strong> und<br />

Herrlichkeit vor <strong>de</strong>n Menschen erscheinen möchte. Wür<strong>de</strong>n die großen <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> sich in <strong>de</strong>r<br />

Hauptstadt Israels versammeln, um sein Kommen zu begrüßen? Wür<strong>de</strong>n Legionen Engel<br />

ihn vor die harren<strong>de</strong> Menge führen?<br />

Ein Engel besuchte die Er<strong>de</strong>, um zu sehen, wer vorbereitet war, Jesus willkommen zu<br />

heißen. Aber er konnte kein Zeichen <strong>de</strong>r Erwartung erkennen. Er hörte we<strong>de</strong>r Lob noch<br />

Jubel darüber, daß die Zeit <strong>de</strong>r Ankunft <strong>de</strong>s Messias da war. Der Engel schwebte eine<br />

Zeitlang über <strong>de</strong>r auserwählten Stadt und <strong>de</strong>m Tempel, wo Jahrhun<strong>de</strong>rte hindurch die<br />

göttliche Gegenwart offenbar gewor<strong>de</strong>n war; doch auch hier herrschte dieselbe<br />

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<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Gleichgültigkeit. Die Priester in ihrem Gepränge und Stolz und brachten unreine Opfer im<br />

Tempel dar. Die Pharisäer re<strong>de</strong>ten mit lauter Stimme zum Volk o<strong>de</strong>r beteten in prahlerischer<br />

Weise an <strong>de</strong>n Ecken <strong>de</strong>r Straßen. In <strong>de</strong>n Palästen <strong>de</strong>r Könige, in <strong>de</strong>n Versammlungen <strong>de</strong>r<br />

Philosophen, in <strong>de</strong>n Schulen <strong>de</strong>r Rabbiner achtete niemand auf die wun<strong>de</strong>rbare Tatsache, die<br />

<strong>de</strong>n ganzen Himmel mit Lob und Freu<strong>de</strong> erfüllte: daß <strong>de</strong>r Erlöser <strong>de</strong>r Menschen sich<br />

anschickte, auf Er<strong>de</strong>n zu erscheinen.<br />

Nirgends zeigte sich ein Beweis, daß Christus erwartet wur<strong>de</strong>, daß Vorbereitungen für<br />

<strong>de</strong>n Fürsten <strong>de</strong>s Lebens getroffen waren. Erstaunt wollte <strong>de</strong>r himmlische Bote mit <strong>de</strong>r<br />

schmählichen Kun<strong>de</strong> wie<strong>de</strong>r gen Himmel zurückkehren, als er einige Hirten ent<strong>de</strong>ckte, die<br />

ihre Her<strong>de</strong>n nachts bewachten und, zum sternenbesäten Himmel aufblickend, über die<br />

Weissagung von einem Messias, <strong>de</strong>r auf Er<strong>de</strong>n erscheinen sollte, nachdachten und sich nach<br />

<strong>de</strong>r Ankunft <strong>de</strong>s Welterlösers sehnten. Hier waren Menschen, die sich auf <strong>de</strong>n Empfang <strong>de</strong>r<br />

himmlischen Botschaft vorbereitet hatten. Und plötzlich erschien <strong>de</strong>r Engel <strong>de</strong>s Herrn und<br />

verkündigte die frohe Botschaft. Himmlische Herrlichkeit überflutete die ganze Ebene, eine<br />

große Schar Engel wur<strong>de</strong> sichtbar, und als ob die Freu<strong>de</strong> zu groß wäre, um nur von einem<br />

himmlischen Boten offenbart zu wer<strong>de</strong>n, hob ein stimmgewaltiger Chor <strong>de</strong>n Gesang an, <strong>de</strong>n<br />

einst alle Erlösten singen wer<strong>de</strong>n: „Ehre sei Gott in <strong>de</strong>r Höhe und Frie<strong>de</strong> auf Er<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>n<br />

Menschen ein Wohlgefallen!“ Lukas 2,14. Oh, welch eine Lehre birgt diese wun<strong>de</strong>rbare<br />

Geschichte von Bethlehem! Wie straft sie unseren Unglauben, unsern Stolz und<br />

Eigendünkel! Wie warnt sie uns, auf <strong>de</strong>r Hut zu sein, damit wir durch unsere<br />

Gleichgültigkeit nicht auch verfehlen, die Zeichen <strong>de</strong>r Zeit zu verstehen und dadurch <strong>de</strong>n<br />

Tag unserer Heimsuchung zu erkennen!<br />

Nicht nur auf <strong>de</strong>n Höhen Judäas, nicht allein unter <strong>de</strong>n einfachen Hirten fan<strong>de</strong>n die<br />

Engel Menschen, die die Ankunft <strong>de</strong>s Messias erwarteten. Im Hei<strong>de</strong>nlan<strong>de</strong> waren ebenfalls<br />

etliche, die seiner harrten. Es waren weise, reiche und edle Männer — Philosophen <strong>de</strong>s<br />

Ostens. Naturforscher und Weise hatten Gott in seiner Schöpfung erkannt. Aus <strong>de</strong>n<br />

hebräischen Schriften hatten sie von <strong>de</strong>m Stern erfahren, <strong>de</strong>r aus Jakob aufgehen sollte, und<br />

mit begierigem Verlangen warteten sie auf sein Erscheinen, <strong>de</strong>r nicht nur <strong>de</strong>r „Trost Israels“,<br />

son<strong>de</strong>rn auch ein Licht zu erleuchten die Hei<strong>de</strong>n, das Heil bis an das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> sein<br />

sollte. Lukas 2,25.32; Apostelgeschichte 13,47. Sie suchten nach Licht, und Licht vom<br />

Throne Gottes erleuchtete <strong>de</strong>n Pfad vor ihren Füßen. Während die Priester und<br />

Schriftgelehrten Jerusalems die verordneten Hüter und Erklärer <strong>de</strong>r Wahrheit, in Finsternis<br />

gehüllt waren, leitete <strong>de</strong>r vom Himmel gesandte Stern diese heidnischen Fremdlinge zur<br />

Geburtsstätte <strong>de</strong>s neugeborenen Königs.<br />

„Denen, die auf ihn warten“, wird Christus „zum an<strong>de</strong>rnmal ... ohne Sün<strong>de</strong> erscheinen ...<br />

zur Seligkeit“. Hebräer 9,28. Gleich <strong>de</strong>r Kun<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Geburt <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s wur<strong>de</strong> auch<br />

die Botschaft von seiner Wie<strong>de</strong>rkunft nicht <strong>de</strong>n religiösen Führern <strong>de</strong>s Volkes anvertraut.<br />

Sie hatten es versäumt, ihre Verbindung mit Gott zu bewahren, und hatten das Licht vom<br />

Himmel von sich gewiesen. Darum gehörten sie nicht zu <strong>de</strong>n Menschen, <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Apostel<br />

217


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Paulus sagt: „Ihr aber, liebe Brü<strong>de</strong>r, seid nicht in <strong>de</strong>r Finsternis, daß euch <strong>de</strong>r Tag wie ein<br />

Dieb ergreife. Ihr seid allzumal Kin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Lichtes und Kin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Tages; wir sind nicht von<br />

<strong>de</strong>r Nacht noch von <strong>de</strong>r Finsternis.“ 1.Timotheus 5,4.5.<br />

Die Wächter auf <strong>de</strong>n Mauern Zions hätten die ersten sein sollen, die Botschaft von <strong>de</strong>r<br />

Ankunft <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s zu vernehmen; die ersten, ihre Stimme zu erheben, um seine Nähe zu<br />

verkündigen; die ersten, das Volk zu warnen, sich auf sein Kommen vorzubereiten. Aber sie<br />

ließen sich‘s wohl sein und träumten von Frie<strong>de</strong>n und Sicherheit, während das Volk in<br />

seinen Sün<strong>de</strong>n schlief. Jesus sah seine Gemein<strong>de</strong>, <strong>de</strong>m unfruchtbaren Feigenbaum gleich, im<br />

Schmuck <strong>de</strong>r Blätter prangen, doch ohne köstliche Frucht. Prahlerisch hielt man auf<br />

religiöse Formen, während <strong>de</strong>r Geist wahrer Demut, <strong>de</strong>r Reue und <strong>de</strong>s Glaubens fehlten, die<br />

allein <strong>de</strong>n Dienst für Gott hätten annehmbar machen können. Statt <strong>de</strong>r Früchte <strong>de</strong>s Geistes<br />

bekun<strong>de</strong>ten sich Stolz, Formenwesen, Prahlerei, Selbstsucht, Unterdrückung. Eine von Gott<br />

abgewichene Gemein<strong>de</strong> verschloß ihre Augen vor <strong>de</strong>n Zeichen <strong>de</strong>r Zeit. Gott verließ sie<br />

nicht, er ließ es auch nicht an seiner Treue fehlen; aber seine Gemein<strong>de</strong> fiel von ihm ab und<br />

trennte sich von seiner Liebe. Da sie sich weigerte, <strong>de</strong>n For<strong>de</strong>rungen Gottes nachzukommen,<br />

wur<strong>de</strong>n auch seine Verheißungen an ihnen nicht erfüllt.<br />

Das sind die sicheren Folgen, wenn man versäumt, das Licht und die Gna<strong>de</strong>ngaben, die<br />

Gott schenkt, anzuerkennen und auszunutzen. Wenn die Gemein<strong>de</strong> nicht <strong>de</strong>n Weg verfolgt,<br />

<strong>de</strong>n Gottes Vorsehung vor ihr auftut, nicht je<strong>de</strong>n Lichtstrahl annimmt und je<strong>de</strong> ihr gezeigte<br />

Pflicht erfüllt, wird die Religion unausbleiblich in einen Formendienst ausarten, und <strong>de</strong>r<br />

Geist <strong>de</strong>r lebendigen Gottseligkeit wird verschwin<strong>de</strong>n. Diese Wahrheit hat die Geschichte<br />

<strong>de</strong>r Kirche wie<strong>de</strong>rholt veranschaulicht. Gott verlangt von seinem Volk Werke <strong>de</strong>s Glaubens<br />

und <strong>de</strong>s Gehorsams, <strong>de</strong>n verliehenen Segnungen und Gaben entsprechend. Der Gehorsam<br />

verlangt ein Opfer und schließt Lei<strong>de</strong>n ein, <strong>de</strong>shalb weigern sich auch so viele erklärte<br />

Nachfolger Christi, das Licht vom Himmel anzunehmen, und sie erkennen gleich <strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>n<br />

vor alters nicht die Zeit, darin sie heimgesucht wer<strong>de</strong>n. Lukas 19,44. Weil sie stolz und<br />

ungläubig waren, ging <strong>de</strong>r Herr an ihnen vorüber und offenbarte seine Wahrheit <strong>de</strong>nen, die<br />

wie die Hirten von Bethlehem und die Weisen aus <strong>de</strong>m Morgenlan<strong>de</strong> alles Licht, das ihnen<br />

gegeben wor<strong>de</strong>n war, beachtet hatten.<br />

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<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 18- Ein Glaubensmann <strong>de</strong>r letzten Zeit<br />

Ein bie<strong>de</strong>rer und schlichter Landmann, <strong>de</strong>r verleitet wor<strong>de</strong>n war, die Autorität <strong>de</strong>r<br />

Heiligen Schrift zu bezweifeln, aber <strong>de</strong>nnoch aufrichtig danach verlangte, die Wahrheit zu<br />

erkennen, wur<strong>de</strong> von Gott in beson<strong>de</strong>rer Weise auserwählt, bei <strong>de</strong>r Verkündigung <strong>de</strong>r<br />

Wie<strong>de</strong>rkunft Christi eine führen<strong>de</strong> Stellung einzunehmen. Gleich vielen an<strong>de</strong>rn<br />

Glaubensmännern hatte William Miller in seiner Jugend mit Armut zu kämpfen gehabt und<br />

auf diese Weise Strebsamkeit und Selbstverleugnung gelernt. Die Glie<strong>de</strong>r seiner Familie<br />

zeichneten sich durch einen unabhängigen, freiheitslieben<strong>de</strong>n Geist, durch Ausdauer und<br />

glühen<strong>de</strong> Vaterlandsliebe aus — Eigenschaften, die auch seinen Charakter bestimmten. Sein<br />

Vater war Hauptmann bei <strong>de</strong>r amerikanischen Revolutionsarmee gewesen, und die Opfer,<br />

die er in <strong>de</strong>n Kämpfen und Lei<strong>de</strong>n jener stürmischen Zeit gebracht hatte, wer<strong>de</strong>n wohl die<br />

drücken<strong>de</strong>n Verhältnisse in Millers ersten Lebensjahren verursacht haben.<br />

Er war von gesun<strong>de</strong>m, kräftigem Körperbau und zeigte schon in <strong>de</strong>r Kindheit eine<br />

ungewöhnliche Verstan<strong>de</strong>skraft. Als er älter wur<strong>de</strong>, trat dies noch mehr hervor. Sein Geist<br />

war tätig und gut entwickelt, und ihn dürstete nach größerem Wissen. Obwohl er sich nicht<br />

<strong>de</strong>r Vorteile einer aka<strong>de</strong>mischen Bildung erfreuen konnte, machten ihn doch seine Liebe<br />

zum Studium und die Gewohnheit sorgfältigen Denkens und scharfer Unterscheidung zu<br />

einem Mann von gesun<strong>de</strong>m Urteil und umfassen<strong>de</strong>r Anschauung. Er besaß einen<br />

unta<strong>de</strong>ligen sittlichen Charakter, einen benei<strong>de</strong>nswerten Ruf und war allgemein wegen<br />

seiner Rechtschaffenheit, Sparsamkeit und Wohltätigkeit geachtet. Durch seine Tatkraft und<br />

seinen Fleiß erwarb er sich schon früh sein Auskommen, obgleich er an seiner Gewohnheit,<br />

zu studieren, noch immer festhielt. Er beklei<strong>de</strong>te mit Erfolg verschie<strong>de</strong>ne zivile und<br />

militärische Ämter, und <strong>de</strong>r Weg zu Reichtum und Ansehen schien ihm offen zu stehen.<br />

Seine Mutter war eine Frau von echter Frömmigkeit, und er selbst war in seiner<br />

Kindheit für religiöse Eindrücke empfänglich. Im frühen Mannesalter jedoch geriet er in die<br />

Gesellschaft von Deisten, die um so größeren Einfluß auf ihn ausübten, da die meisten gute<br />

Bürger, menschenfreundliche und wohltätige Leute waren, <strong>de</strong>ren Charakter, da sie inmitten<br />

christlicher Einrichtungen wohnten, teilweise das Gepräge ihrer Umgebung angenommen<br />

hatte. Die Vorzüge, die ihnen Achtung und Vertrauen gewannen, hatten sie <strong>de</strong>r Bibel zu<br />

verdanken; und doch waren diese guten Gaben so verfälscht wor<strong>de</strong>n, daß sie einen <strong>de</strong>m<br />

Worte Gottes zuwi<strong>de</strong>rlaufen<strong>de</strong>n Einfluß ausübten. Der Umgang mit ihnen ließ Miller ihre<br />

Anschauungen teilen. Die allgemein übliche Auslegung <strong>de</strong>r Schrift schien ihm<br />

unüberwindliche Schwierigkeiten zu bieten, doch auch seine neue Glaubensüberzeugung,<br />

die die Bibel beiseitesetzte, hatte nichts Besseres zu geben, das ihre Stelle hätte einnehmen<br />

können, und er fühlte sich keineswegs befriedigt. Immerhin bekannte er sich ungefähr zwölf<br />

Jahre zu diesen Auffassungen. Als er vierunddreißig Jahre alt war, bewirkte <strong>de</strong>r Heilige<br />

Geist in ihm die Überzeugung, daß er ein Sün<strong>de</strong>r sei. Er fand in seinem früheren Glauben<br />

nicht die Gewißheit einer Glückseligkeit jenseits <strong>de</strong>s Grabes. Die Zukunft war düster und<br />

unheimlich. Von seinen Gefühlen zu jener Zeit sagte er später:<br />

219


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

„Vernichtet zu wer<strong>de</strong>n, das war ein kalter, schauriger Gedanke, und Rechenschaft<br />

ablegen zu müssen, wäre <strong>de</strong>r sichere Untergang aller gewesen. Der Himmel über meinem<br />

Haupte war wie Erz, und die Er<strong>de</strong> unter meinen Füßen wie Eisen. Die Ewigkeit — was war<br />

sie? Und <strong>de</strong>r Tod — warum war er? Je mehr ich diese Dinge zu ergrün<strong>de</strong>n suchte, <strong>de</strong>sto<br />

weiter entfernte ich mich von <strong>de</strong>r Beweisführung. Je mehr ich darüber nachdachte, <strong>de</strong>sto<br />

zerfahrener wur<strong>de</strong>n meine Schlüsse. Ich versuchte, <strong>de</strong>m Denken Einhalt zu gebieten, aber<br />

meine Gedanken ließen sich nicht beherrschen. Ich fühlte mich wahrhaft elend, wußte<br />

jedoch nicht warum. Ich murrte und klagte, ohne zu wissen über wen. Ich war überzeugt,<br />

daß irgendwo ein Fehler lag, wußte aber nicht, wo o<strong>de</strong>r wie das Richtige zu fin<strong>de</strong>n sei. Ich<br />

trauerte, jedoch ohne Hoffnung.“<br />

In diesem Zustand verharrte Miller mehrere Monate. „Plötzlich“, sagte er, „prägte sich<br />

meinem Gemüt lebhaft <strong>de</strong>r Charakter eines Heilan<strong>de</strong>s ein. Es schien mir, als gebe es ein<br />

Wesen, so gut und barmherzig, daß es sich selbst für unsere Übertretungen als Sühne<br />

anbietet und uns dadurch vor <strong>de</strong>r Strafe für die Sün<strong>de</strong> rettet. Unmittelbar fühlte ich, wie<br />

liebreich ein solches Wesen sein müsse und stellte mir vor, daß ich mich in seine Arme<br />

werfen und seiner Gna<strong>de</strong> vertrauen könnte. Aber es erhob sich die Frage: Wie kann<br />

bewiesen wer<strong>de</strong>n, daß es ein solches Wesen gibt? Ich fand, daß ich außerhalb <strong>de</strong>r Bibel<br />

keinen Beweis für das Vorhan<strong>de</strong>nsein eines solchen Heilan<strong>de</strong>s o<strong>de</strong>r gar eines zukünftigen<br />

Daseins ent<strong>de</strong>cken konnte ... Ich sah, daß die Bibel gera<strong>de</strong> von einem solchen Heiland<br />

berichtete, wie ich nötig hatte, und ich wun<strong>de</strong>rte mich, wie ein nicht inspiriertes Buch<br />

Grundsätze entwickeln konnte, die <strong>de</strong>n Bedürfnissen einer gefallenen Welt so vollkommen<br />

angepaßt waren.<br />

Ich sah mich gezwungen, zuzugeben, daß die Heilige Schrift eine Offenbarung Gottes<br />

sein müsse. Sie wur<strong>de</strong> mein Entzücken, und in Jesus fand ich einen Freund. Der Heiland<br />

wur<strong>de</strong> für mich <strong>de</strong>r Auserkorene unter vielen Tausen<strong>de</strong>n, und die Heilige Schrift, die zuvor<br />

dunkel und voller Wi<strong>de</strong>rsprüche schien, erwies sich als meines Fußes Leuchte und als ein<br />

Licht auf meinem Wege. Ruhe und Zufrie<strong>de</strong>nheit zogen in mein Gemüt ein. Ich erkannte<br />

Gott <strong>de</strong>n Herrn als einen Fels inmitten <strong>de</strong>r Fülle <strong>de</strong>s Lebens. Der Bibel widmete ich nun<br />

mein Hauptstudium, und ich kann wahrlich sagen, daß ich sie mit großer Freu<strong>de</strong><br />

durchforschte. Ich fand, daß mir nie die Hälfte gesagt wor<strong>de</strong>n war. Es wun<strong>de</strong>rte mich, daß<br />

ich ihre Zier<strong>de</strong> und Herrlichkeit nicht eher gesehen hatte, und ich war erstaunt darüber, wie<br />

ich sie je hatte verwerfen können. Mir wur<strong>de</strong> alles offenbart, was mein Herz sich wünschen<br />

konnte; ich fand ein Heilmittel für je<strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>n meiner Seele. Ich verlor <strong>de</strong>n Gefallen an<br />

an<strong>de</strong>rem Lesestoff und ließ es mir angelegen sein, Weisheit von Gott zu erlangen.“<br />

Miller bekannte sich nun öffentlich zu <strong>de</strong>r Glaubensüberzeugung, die er ehe<strong>de</strong>m<br />

verachtet hatte. Aber seine ungläubigen Gefährten waren nicht müßig,jene Beweisführungen<br />

vorzubringen,die er selbst oft gegen die göttliche Autorität <strong>de</strong>r Heiligen Schrift angewandt<br />

hatte. Er war damals nicht vorbereitet, sie zu beantworten, folgerte aber, daß die Bibel, wäre<br />

sie eine Offenbarung Gottes, mit sich selbst übereinstimmen müsse. Was zur Belehrung <strong>de</strong>s<br />

220


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Menschen gegeben war, mußte auch seinem Verständnis angepaßt sein. Er entschloß sich,<br />

die Heilige Schrift selbst zu durchforschen und sich zu vergewissern, ob nicht die<br />

scheinbaren Wi<strong>de</strong>rsprüche in Einklang gebracht wer<strong>de</strong>n könnten.<br />

Er bemühte sich, alle vorurteilsvollen Auffassungen beiseitezusetzen und verglich ohne<br />

irgendwelche Kommentare Bibelstelle mit Bibelstelle, wobei er sich <strong>de</strong>r angegebenen<br />

Parallelstellen und <strong>de</strong>r Konkordanz bediente. Regelmäßig und planvoll verfolgte er sein<br />

Studium, fing mit <strong>de</strong>m ersten Buch Mose an, las Vers für Vers und ging nur so schnell<br />

voran, wie sich ihm die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Stellen erschloß, so daß ihm nichts<br />

unklar blieb. War ihm eine Stelle unverständlich, verglich er sie mit allen an<strong>de</strong>rn Texten, die<br />

irgendwelche Beziehung zu <strong>de</strong>m betrachteten Thema zu haben schienen. Je<strong>de</strong>s Wort prüfte<br />

er bezüglich seiner Stellung zum Inhalt <strong>de</strong>r Bibelstelle, und wenn seine Ansicht dann mit<br />

je<strong>de</strong>m gleichlaufen<strong>de</strong>n Text übereinstimmte, so war die Schwierigkeit überwun<strong>de</strong>n. Auf<br />

diese Weise fand er immer in irgen<strong>de</strong>inem an<strong>de</strong>rn Teil <strong>de</strong>r Heiligen Schrift eine Erklärung<br />

für eine schwerverständliche Stelle. Da er unter ernstem Gebet um göttliche Erleuchtung<br />

forschte, wur<strong>de</strong> das, was ihm vorher dunkel erschienen war, nun seinem Verständnis klar.<br />

Er erfuhr die Wahrheit <strong>de</strong>r Worte <strong>de</strong>s Psalmisten: „Wenn <strong>de</strong>in Wort offenbar wird, so<br />

erfreut es und macht klug die Einfältigen.“ Psalm 119,130.<br />

Mit ungemeiner Wißbegier studierte er das Buch Daniel und die Offenbarung, wobei er,<br />

um diese Bücher zu verstehen, dasselbe Verfahren anwandte wie bei <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn Teilen <strong>de</strong>r<br />

Heiligen Schrift. Zu seiner großen Freu<strong>de</strong> fand er, daß die prophetischen Sinnbil<strong>de</strong>r<br />

verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n können. Er sah, daß die Weissagungen, sofern sie schon eingetroffen<br />

waren, sich buchstäblich erfüllt hatten; daß all die verschie<strong>de</strong>nen Darstellungen, Bil<strong>de</strong>r,<br />

Gleichnisse, Ausdrücke usw. entwe<strong>de</strong>r in ihrem unmittelbaren Zusammenhang erklärt<br />

waren, o<strong>de</strong>r daß die Worte, die dieses ausdrückten, an an<strong>de</strong>rn Stellen näher bestimmt<br />

wur<strong>de</strong>n, so daß sie, auf diese Weise erklärt, buchstäblich verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n konnten. Er<br />

sagt: „So wur<strong>de</strong> ich überzeugt, daß die Bibel eine Kette offenbarter Wahrheiten ist, so<br />

<strong>de</strong>utlich und einfach mitgeteilt,daß selbst <strong>de</strong>r einfache Mann nicht zu irren braucht.“ Seine<br />

Anstrengungen wur<strong>de</strong>n belohnt: Glied um Glied <strong>de</strong>r Kette <strong>de</strong>r Wahrheit öffnete sich seinem<br />

Verständnis, als er Schritt für Schritt die großen Umrisse <strong>de</strong>r Weissagungen erkannte. Engel<br />

<strong>de</strong>s Himmels lenkten seine Gedanken und führten ihn zum Verständnis <strong>de</strong>s Wortes Gottes.<br />

In<strong>de</strong>m er die Weissagungen, die sich noch erfüllen sollten, danach beurteilte, wie sich<br />

die Prophezeiungen in <strong>de</strong>r Vergangenheit erfüllt hatten, wur<strong>de</strong> er überzeugt, daß die<br />

volkstümliche Ansicht von <strong>de</strong>r geistigen Regierung Christi — einem irdischen<br />

tausendjährigen Reich vor <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Welt — im Worte Gottes keine Unterstützung<br />

fin<strong>de</strong>t. Diese Lehre, die auf ein Jahrtausend <strong>de</strong>r Gerechtigkeit und <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns vor <strong>de</strong>r<br />

persönlichen Wie<strong>de</strong>rkunft <strong>de</strong>s Herrn hinwies, schob die Schrecken <strong>de</strong>s Tages Jesu Christi<br />

weit hinaus in die Zukunft. Wenn dies auch vielen sehr angenehm gewesen sein dürfte, so<br />

ist es doch <strong>de</strong>n Lehren Christi und seiner Apostel völlig entgegen; <strong>de</strong>nn sie erklärten, daß<br />

<strong>de</strong>r Weizen und das Unkraut zusammen wachsen müssen bis zur Zeit <strong>de</strong>r Ernte, <strong>de</strong>m En<strong>de</strong><br />

221


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

<strong>de</strong>r Welt; daß es „mit <strong>de</strong>n bösen Menschen aber und verführerischen wird‘s je länger, je<br />

ärger“, „daß in <strong>de</strong>n letzten Tagen wer<strong>de</strong>n greuliche Zeiten kommen“ und daß das Reich <strong>de</strong>r<br />

Finsternis fortbestehen müsse bis zur Ankunft <strong>de</strong>s Herrn, wenn es verzehrt wer<strong>de</strong>n soll „mit<br />

<strong>de</strong>m Geist seines Mun<strong>de</strong>s“ und ihm ein En<strong>de</strong> gemacht wer<strong>de</strong> „durch die Erscheinung seiner<br />

Zukunft“. Matthäus 13,30.38-41; 2.Timotheus 3,1.13; 2.Thessalonicher 2,8.<br />

Die apostolische Kirche glaubte nicht an die Lehre von <strong>de</strong>r Bekehrung <strong>de</strong>r Welt und <strong>de</strong>r<br />

geistlichen Herrschaft Christi. Erst ungefähr zu Anfang <strong>de</strong>s 18. Jahrhun<strong>de</strong>rts bürgerte sie<br />

sich ein. Wie je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Irrtum hatte auch dieser schlimme Folgen. Er lehrte die<br />

Menschen, die Wie<strong>de</strong>rkunft <strong>de</strong>s Herrn erst in ferner Zukunft zu erwarten und hielt sie davon<br />

ab, die Zeichen seiner nahen<strong>de</strong>n Wie<strong>de</strong>rkunft zu beachten. Er erzeugte ein Gefühl <strong>de</strong>r<br />

Sorglosigkeit und Sicherheit, das keineswegs begrün<strong>de</strong>t war, aber viele veranlaßte, die<br />

notwendige Vorbereitung zu versäumen, um ihrem Herrn begegnen zu können.<br />

Miller fand, daß die Heilige Schrift <strong>de</strong>utlich das buchstäbliche, persönliche Kommen<br />

Christi lehrt. Paulus sagt: „Er selbst, <strong>de</strong>r Herr, wird mit einem Feldgeschrei und <strong>de</strong>r Stimme<br />

<strong>de</strong>s Erzengels und mit <strong>de</strong>r Posaune Gottes hernie<strong>de</strong>rkommen vom<br />

Himmel.“ 1.Thessalonicher 4,16. Und <strong>de</strong>r Heiland erklärt, das letzte Geschlecht wer<strong>de</strong><br />

„sehen kommen <strong>de</strong>s Menschen Sohn in <strong>de</strong>n Wolken <strong>de</strong>s Himmels mit großer Kraft und<br />

Herrlichkeit“. „Denn gleichwie <strong>de</strong>r Blitz ausgeht vom Aufgang und scheint bis zum<br />

Nie<strong>de</strong>rgang, also wird auch sein die Zukunft <strong>de</strong>s Menschensohnes.“ Matthäus 24,30.27. Er<br />

wird von all <strong>de</strong>n Scharen <strong>de</strong>s Himmels begleitet wer<strong>de</strong>n. Des Menschen Sohn wird kommen<br />

„in seiner Herrlichkeit und alle heiligen Engel mit ihm“. Matthäus 25,31.<br />

Bei seinem Kommen wer<strong>de</strong>n die gerechten Toten auferweckt und die gerechten<br />

Leben<strong>de</strong>n verwan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n. Paulus sagte: „Wir wer<strong>de</strong>n nicht alle entschlafen, wir wer<strong>de</strong>n<br />

aber alle verwan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n; und dasselbe plötzlich, in einem Augenblick, zur Zeit <strong>de</strong>r<br />

letzten Posaune. Denn es wird die Posaune schallen, und die Toten wer<strong>de</strong>n auferstehen<br />

unverweslich, und wir wer<strong>de</strong>n verwan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n. Denn dies Verwesliche muß anziehen die<br />

Unverweslichkeit, und dies Sterbliche muß anziehen die Unsterblichkeit.“ 1.Korinther<br />

15,51-53. Und in seinem Brief an die Thessalonicher schrieb er, nach<strong>de</strong>m er ihnen das<br />

Kommen <strong>de</strong>s Herrn vor Augen gestellt hatte: „Die Toten in Christo wer<strong>de</strong>n auferstehen<br />

zuerst. Darnach wir, die wir leben und übrig bleiben, wer<strong>de</strong>n zugleich mit ihnen hingerückt<br />

wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n Wolken, <strong>de</strong>m Herrn entgegen in <strong>de</strong>r Luft, und wer<strong>de</strong>n also bei <strong>de</strong>m Herrn<br />

sein allezeit.“ 1.Thessalonicher 4,16.17.<br />

Erst zur Zeit <strong>de</strong>r persönlichen Ankunft Christi kann sein Volk das Reich ererben. Der<br />

Heiland sagte: „Wenn aber <strong>de</strong>s Menschen Sohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle<br />

heiligen Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf <strong>de</strong>m Stuhl seiner Herrlichkeit, und wer<strong>de</strong>n<br />

vor ihm alle Völker versammelt wer<strong>de</strong>n. Und er wird sie voneinan<strong>de</strong>r schei<strong>de</strong>n, gleich als<br />

ein Hirte die Schafe von <strong>de</strong>n Böcken schei<strong>de</strong>t, und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen<br />

und die Böcke zur Linken. Da wird dann <strong>de</strong>r König sagen zu <strong>de</strong>nen zu seiner Rechten:<br />

222


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet ist von<br />

Anbeginn <strong>de</strong>r Welt!“ Matthäus 25,31-34.<br />

Wir haben aus <strong>de</strong>n angeführten Schriftworten gesehen, daß bei <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft <strong>de</strong>s<br />

Menschensohns die Toten unverweslich auferweckt und die Leben<strong>de</strong>n verwan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n.<br />

Durch die große Verwandlung wer<strong>de</strong>n sie zubereitet, in das Reich Gottes einzugehen; <strong>de</strong>nn<br />

Paulus sagte, „daß Fleisch und Blut nicht können das Reich Gottes ererben; auch wird das<br />

Verwesliche nicht erben das Unverwesliche“. 1.Korinther 15,50. Der Mensch in seinem<br />

gegenwärtigen Zustand ist sterblich, verweslich; das Reich Gottes hingegen wird<br />

unverweslich, ewig sein. Deshalb kann <strong>de</strong>r Mensch in seinem gegenwärtigen Zustand nicht<br />

das Reich ererben. Kommt aber Jesus, so wird er seinem Volk die Unsterblichkeit verleihen;<br />

dann ruft er sie, das Reich einzunehmen, <strong>de</strong>ssen Erben sie bisher nur waren.<br />

Diese und an<strong>de</strong>re Bibelstellen waren für Miller <strong>de</strong>utliche Beweise, daß die Ereignisse,<br />

von <strong>de</strong>nen man allgemein annahm, daß sie vor <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft Christi stattfin<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>n,<br />

wie die allgemeine Frie<strong>de</strong>nsherrschaft und die Aufrichtung <strong>de</strong>s Reiches Gottes auf Er<strong>de</strong>n,<br />

<strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft Christi nachfolgen müßten. Ferner fand er, daß alle Zeichen <strong>de</strong>r Zeit und<br />

<strong>de</strong>r Zustand <strong>de</strong>r Welt <strong>de</strong>r prophetischen Beschreibung <strong>de</strong>r letzten Tage entsprachen. Nur<br />

durch das Studium <strong>de</strong>r Bibel kam er zu <strong>de</strong>m Schluß, daß die Zeit, die für das Fortbestehen<br />

<strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> in ihrem jetzigen Zustand bestimmt war, <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> nahe sei.<br />

„Ein an<strong>de</strong>rer Beweis, <strong>de</strong>r mich wesentlich beeinflußte“, sagte er, „war die Zeitrechnung<br />

<strong>de</strong>r Heiligen Schrift ... Ich fand, daß sich vorhergesagte Ereignisse, die sich in <strong>de</strong>r<br />

Vergangenheit erfüllt hatten, oft innerhalb einer bestimmten Zeit zutrugen. Die<br />

hun<strong>de</strong>rtzwanzig Jahre bis zur Sintflut (1.Mose 6,3), die sieben Tage, die ihr vorhergehen<br />

sollten, mit vierzig Tagen vorhergesagten Regens (1.Mose 7,4); <strong>de</strong>r vierhun<strong>de</strong>rtjährige<br />

Aufenthalt <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r Abrahams im frem<strong>de</strong>n Land (1.Mose 15,13); die drei Tage in <strong>de</strong>n<br />

Träumen <strong>de</strong>s Mundschenken und <strong>de</strong>s Bäckers (1.Mose 40,12-20); Pharaos sieben Jahre<br />

(1.Mose 41,28-54); die vierzig Jahre in <strong>de</strong>r Wüste (4.Mose 14,34); die dreieinhalb Jahre <strong>de</strong>r<br />

Hungersnot (1.Könige 17,1; Jakobus 5,17) (Vgl. Lukas 4,25); ... die siebzig Jahre <strong>de</strong>r<br />

Gefangenschaft (Jeremia 25,11); Nebukadnezars sieben Zeiten (Daniel 4,13-16) und die<br />

sieben Wochen, die 62 Wochen und eine Woche, welche zusammen 70 Wochen ergeben,<br />

die für die Ju<strong>de</strong>n bestimmt waren (Daniel 9,24-27). Die durch diese Zeiten begrenzten<br />

Ereignisse waren alle einst nur Sache <strong>de</strong>r Weissagung und erfüllten sich in<br />

Übereinstimmung mit <strong>de</strong>n Prophezeiungen.“Als er <strong>de</strong>shalb beim Bibelstudium verschie<strong>de</strong>ne<br />

Zeitabschnitte fand, die sich, wie er sie verstand, bis auf die Wie<strong>de</strong>rkunft Christi erstreckten,<br />

konnte er sie nur als „vorher bestimmte Zeiten“ ansehen, die Gott seinen Knechten enthüllt<br />

hatte. Mose sagt: „Das Geheimnis Bliß 74,75 (Verborgene) ist <strong>de</strong>s Herrn, unsers Gottes; was<br />

aber offenbart ist, das ist unser und unserer Kin<strong>de</strong>r ewiglich.“ Und <strong>de</strong>r Herr erklärt durch<br />

<strong>de</strong>n Propheten Amos, er „tut nichts, er offenbare <strong>de</strong>nn sein Geheimnis <strong>de</strong>n Propheten, seinen<br />

Knechten“. 5.Mose 29,28; Amos 3,7. Die Forscher im Worte Gottes dürfen <strong>de</strong>shalb<br />

223


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

zuversichtlich erwarten, die gewaltigsten Ereignisse, die in <strong>de</strong>r menschlichen Geschichte<br />

stattfin<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>n Schriften <strong>de</strong>r Wahrheit <strong>de</strong>utlich angegeben zu fin<strong>de</strong>n.<br />

Miller sagte: „Da ich völlig überzeugt war, daß ‚alle Schrift, von Gott eingegeben‘,<br />

nützlich ist, daß sie ‚nie ... aus menschlichem Willen hervorgebracht‘ wur<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn daß<br />

‚die heiligen Menschen Gottes haben gere<strong>de</strong>t,getrieben von <strong>de</strong>m heiligen Geist‘,und sie ‚uns<br />

zur Lehre geschrieben‘ ist, ‚auf daß wir durch Geduld und Trost <strong>de</strong>r Schrift Hoffnung<br />

haben‘ (2.Timotheus 3,16; 2.Petrus 1,21; Römer 5,4), konnte ich die chronologischen Teile<br />

<strong>de</strong>r Bibel unserer ernsten Aufmerksamkeit ebenso wert erachten wie irgen<strong>de</strong>inen an<strong>de</strong>rn<br />

Teil <strong>de</strong>r Heiligen Schrift. Ich dachte <strong>de</strong>shalb, daß ich bei meinen Bemühungen, das zu<br />

verstehen, was Gott in seiner Barmherzigkeit für gut gefun<strong>de</strong>n hatte, uns zu offenbaren,<br />

keineswegs die prophetischen Zeitangaben zu übergehen berechtigt war.“<br />

Die Weissagung, welche die Zeit <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft Christi am <strong>de</strong>utlichsten zu enthüllen<br />

schien, war die in Daniel 8,14: „Bis zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt Aben<strong>de</strong> und Morgen um sind;<br />

dann wird das Heiligtum wie<strong>de</strong>r geweiht wer<strong>de</strong>n.“ Seinem Grundsatz folgend, das Wort<br />

Gottes sich selbst auslegen zu lassen, ent<strong>de</strong>ckte Miller, daß in <strong>de</strong>r sinnbildlichen<br />

Weissagung ein Tag ein Jahr be<strong>de</strong>utet. 4.Mose 14,34; Hesekiel 4,6. Er sah, daß <strong>de</strong>r Zeitraum<br />

von zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt prophetischen Tagen o<strong>de</strong>r buchstäblichen Jahren sich weit über<br />

<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Alten Bun<strong>de</strong>s hinaus erstreckte und sich somit nicht auf das Heiligtum jenes Bun<strong>de</strong>s<br />

beziehen konnte. Miller teilte die allgemeine Ansicht, daß im christlichen Zeitalter die Er<strong>de</strong><br />

das Heiligtum sei, und nahm <strong>de</strong>shalb an, daß die Reinigung <strong>de</strong>s Heiligtums, wovon in<br />

Daniel 8,14 gesprochen wird, die Reinigung <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> durch Feuer bei <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft<br />

Christi darstelle. Wenn also <strong>de</strong>r richtige Ausgangspunkt für die zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt<br />

Tage gefun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n könnte, wäre man auch leicht in <strong>de</strong>r Lage, meinte er, die Zeit <strong>de</strong>r<br />

WieBliß 75 <strong>de</strong>rkunft Christi festzustellen. Auf diese Weise wür<strong>de</strong> die Zeit jener großen<br />

Vollendung offenbar wer<strong>de</strong>n, die Zeit, da <strong>de</strong>r gegenwärtige Zustand mit „all seinem Stolz<br />

und seiner Macht, seinem Gepränge und seiner Eitelkeit, seiner Gottlosigkeit und<br />

Unterdrückung ein En<strong>de</strong> hat“; da <strong>de</strong>r Fluch „von <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> hinweggenommen, <strong>de</strong>r Tod<br />

vernichtet, die Knechte Gottes, die Propheten, die Heiligen und alle, die seinen Namen<br />

fürchten, belohnt, und diejenigen, die die Er<strong>de</strong> ver<strong>de</strong>rben, vernichtet wer<strong>de</strong>n“.1<br />

Mit neuem und größerem Ernst setzte Miller die Prüfung <strong>de</strong>r Weissagungen fort und<br />

widmete Tag und Nacht <strong>de</strong>m Studium <strong>de</strong>r Dinge, die ihm so überragend wichtig und<br />

außeror<strong>de</strong>ntlich be<strong>de</strong>utungsvoll zu sein schienen. In Daniel 8 konnte er keinen Anhalt für<br />

<strong>de</strong>n Ausgangspunkt <strong>de</strong>r zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt Tage fin<strong>de</strong>n. Obgleich <strong>de</strong>r Engel Gabriel<br />

beauftragt war, Daniel das Gesicht zu erklären, gab er ihm nur eine teilweise Auslegung.<br />

Als <strong>de</strong>r Prophet die schreckliche Verfolgung schaute, die über die Gemein<strong>de</strong> kommen sollte,<br />

schwan<strong>de</strong>n seine Kräfte. Er konnte nicht mehr ertragen, und <strong>de</strong>r Engel verließ ihn<br />

einstweilen. Daniel „ward schwach und lag etliche Tage krank ... Und (ich) verwun<strong>de</strong>rte<br />

mich <strong>de</strong>s Gesichts“, sagt er, „und niemand war, <strong>de</strong>r mir‘s auslegte“. Daniel 8,27.<br />

224


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Doch Gott hatte seinem Boten befohlen: „Lege diesem das Gesicht aus, daß er‘s<br />

verstehe!“ Daniel 8,16. Dieser Auftrag mußte erfüllt wer<strong>de</strong>n, und <strong>de</strong>shalb kehrte <strong>de</strong>r Engel<br />

später zu Daniel zurück und sagte: „Jetzt bin ich ausgegangen, dich zu unterrichten ... So<br />

merke nun darauf, daß du das Gesicht verstehest.“ Daniel 9,22-27. In <strong>de</strong>m in Kapitel 8<br />

berichteten Gesicht war eine wichtige Frage nicht erklärt wor<strong>de</strong>n: <strong>de</strong>r Zeitraum <strong>de</strong>r<br />

zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt Tage; <strong>de</strong>shalb verweilte <strong>de</strong>r Engel, nach<strong>de</strong>m er die Erläuterung <strong>de</strong>s<br />

Gesichtes wie<strong>de</strong>raufgenommen hatte, hauptsächlich bei diesem Thema. „Siebzig Wochen<br />

sind bestimmt über <strong>de</strong>in Volk und über <strong>de</strong>ine heilige Stadt ... So wisse nun und merke: von<br />

<strong>de</strong>r Zeit an, da ausgeht <strong>de</strong>r Befehl, daß Jerusalem soll wie<strong>de</strong>rum gebaut wer<strong>de</strong>n, bis auf <strong>de</strong>n<br />

Gesalbten, <strong>de</strong>n Fürsten, sind sieben Wochen; und zweiundsechszig Wochen, so wer<strong>de</strong>n die<br />

Gassen und Mauern wie<strong>de</strong>r gebaut wer<strong>de</strong>n, wiewohl in kümmerlicher Zeit. Und nach <strong>de</strong>n<br />

zweiundsechszig Wochen wird <strong>de</strong>r Gesalbte ausgerottet wer<strong>de</strong>n und nichts mehr sein ... Bliß<br />

76<br />

Er wird aber vielen <strong>de</strong>n Bund stärken eine Woche lang. Und mitten in <strong>de</strong>r Woche wird<br />

das Opfer und Speisopfer aufhören.“ Daniel 9,22-27. Der Engel war mit <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren<br />

Absicht zu Daniel gesandt wor<strong>de</strong>n, ihm zu erklären, was er in <strong>de</strong>m Gesicht in Kapitel 8<br />

nicht verstan<strong>de</strong>n hatte, nämlich die Zeitbestimmung: „Bis zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt Aben<strong>de</strong><br />

und Morgen um sind, dann wird das Heiligtum wie<strong>de</strong>r geweiht wer<strong>de</strong>n.“ Nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r<br />

Engel Daniel aufgefor<strong>de</strong>rt hatte: „So merke nun darauf, daß du das Gesicht verstehest“,<br />

sagte er weiter: „Siebzig Wochen sind bestimmt über <strong>de</strong>in Volk und über <strong>de</strong>ine heilige<br />

Stadt.“ Das hier mit „bestimmt“ übersetzte Wort heißt wörtlich „abgeschnitten“. Der Engel<br />

erklärte, daß siebzig Wochen, also vierhun<strong>de</strong>rtneunzig Jahre, als beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>n<br />

gehörig abgeschnitten seien. Wovon aber waren sie abgeschnitten? Da die<br />

zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt Tage die einzige in Kapitel 8 erwähnte Zeitspanne sind, so müssen<br />

die siebzig Wochen von diesem Zeitraum abgeschnitten sein, also zu <strong>de</strong>n<br />

zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt Tagen gehören, und zwar müssen diese bei<strong>de</strong>n Abschnitte<br />

<strong>de</strong>nselben Ausgangspunkt haben. Der Beginn <strong>de</strong>r siebzig Wochen sollte nach <strong>de</strong>r Erklärung<br />

<strong>de</strong>s Engels mit <strong>de</strong>m Ausgang <strong>de</strong>s Befehls zum Wie<strong>de</strong>raufbau Jerusalems zusammenfallen.<br />

Ließe sich das Datum dieses Befehls fin<strong>de</strong>n, so wäre auch <strong>de</strong>r Ausgangspunkt <strong>de</strong>r großen<br />

Perio<strong>de</strong> von zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt Tagen festgestellt.<br />

Im Buch Esra steht dieser Befehl verzeichnet. Esra 7,12-16. Er wur<strong>de</strong> in seiner<br />

vollständigen Form von Artaxerxes, <strong>de</strong>m König von Persien, im Jahre 457 v. Chr. erlassen.<br />

In Esra 6,14 heißt es jedoch, daß das Haus <strong>de</strong>s Herrn zu Jerusalem gebaut wor<strong>de</strong>n sei „nach<br />

<strong>de</strong>m Befehl <strong>de</strong>s Kores (Cyrus), Darius und Arthahsastha (Artaxerxes), <strong>de</strong>r Könige in<br />

Persien“. Diese drei Könige verfaßten, bestätigten und vervollständigten <strong>de</strong>n Erlaß, <strong>de</strong>r dann<br />

die für die Weissagung notwendige Vollkommenheit hatte, um <strong>de</strong>n Ausgangspunkt <strong>de</strong>r zwei<br />

tausenddreihun<strong>de</strong>rt Tage zu bezeichnen. Man nahm das Jahr 457 v. Chr., in <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Erlaß<br />

vollen<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>, als die Zeit an, da <strong>de</strong>r Befehl ausging, und es zeigte sich, daß je<strong>de</strong><br />

Einzelheit <strong>de</strong>r Weissagung hinsichtlich <strong>de</strong>r siebzig Wochen erfüllt war.<br />

225


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

„Von <strong>de</strong>r Zeit an, da ausgeht <strong>de</strong>r Befehl, daß Jerusalem soll wie<strong>de</strong>rum gebaut wer<strong>de</strong>n,<br />

bis auf <strong>de</strong>n Gesalbten, <strong>de</strong>n Fürsten, sind sieben Wochen; und zweiunsechzig Wochen“ —<br />

also neunundsechzig Wochen o<strong>de</strong>r vierhun<strong>de</strong>rtdreiundachtzig Jahre. Der Erlaß <strong>de</strong>s<br />

Artaxerxes trat im Herbst <strong>de</strong>s Jahres 457 v. Chr. in Kraft. Von diesem Zeitpunkt an<br />

gerechnet erstreckten sich die vierhun<strong>de</strong>rtdreiundachtzig Jahre bis in <strong>de</strong>n Herbst <strong>de</strong>s Jahres<br />

27 n. Chr. Zu jener Zeit ging die Weissagung in Erfüllung. Im Herbst <strong>de</strong>s Jahres 27 n. Chr.<br />

wur<strong>de</strong> Christus von Johannes getauft und empfing die Salbung <strong>de</strong>s Heiligen Geistes. Der<br />

Apostel Petrus legte Zeugnis ab, daß „Gott diesen Jesus von Nazareth gesalbt hat mit <strong>de</strong>m<br />

heiligen Geist und Kraft“. Apostelgeschichte 10,38. Und <strong>de</strong>r Heiland selbst erklärte: „Der<br />

Geist <strong>de</strong>s Herrn ist bei mir, darum daß er mich gesalbt hat; er hat mich gesandt, zu<br />

verkündigen das Evangelium <strong>de</strong>n Armen.“ Lukas 4,18. Nach seiner Taufe im Jordan durch<br />

Johannes <strong>de</strong>n Täufer „kam Jesus nach Galiläa und predigte das Evangelium vom Reich<br />

Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllet“. Markus 1,14.15.<br />

DIE 2300 TAGE / JAHRE PROPHEZEIUNG<br />

Ein Prophetischer Tag = Ein Buchstäbliches Jahr<br />

34 Nach <strong>de</strong>r Zahl <strong>de</strong>r vierzig Tage, in <strong>de</strong>nen ihr das Land erkun<strong>de</strong>t habt - so daß je ein<br />

Tag ein Jahr gilt - sollt ihr vierzig Jahre lang eure Missetat tragen, damit ihr erfahret, was es<br />

sei, wenn ich die Hand abziehe! (4 Mose 14:34) 6 Wenn du aber diese Tage vollen<strong>de</strong>t hast,<br />

so lege dich das zweitemal auf <strong>de</strong>ine rechte Seite und trage die Missetat <strong>de</strong>s Hauses Juda<br />

vierzig Tage lang; je einen Tag will ich dir für ein Jahr auflegen. (Hesekiel 4:6)<br />

226


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

457 v.Chr – 1844 = 2300 Tage / Jahre. 14 Er sprach zu mir: Bis daß es zweitausend und<br />

dreihun<strong>de</strong>rtmal Abend und Morgen gewor<strong>de</strong>n ist; dann wird das Heiligtum in Ordnung<br />

gebracht wer<strong>de</strong>n! (Daniel 8:14) 24 Siebzig Wochen sind über <strong>de</strong>in Volk und über <strong>de</strong>ine<br />

heilige Stadt verordnet, um <strong>de</strong>r Übertretung ein En<strong>de</strong> und das Maß <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> voll zu<br />

machen, um die Missetat zu sühnen und die ewige Gerechtigkeit zu bringen, um Gesicht<br />

und Prophezeiung zu versiegeln und das Hochheilige zu salben.. 490 Tage / Jahre (Daniel<br />

9:24).<br />

457 v.Chr – das Dekret zum Wie<strong>de</strong>raufbau und zur Wie<strong>de</strong>rherstellung Jerusalems (das<br />

Kommando <strong>de</strong>s Königs Artaxerxes) 25 … So wisse und verstehe: Vom Erlaß <strong>de</strong>s Befehls<br />

zum Wie<strong>de</strong>raufbau Jerusalems bis auf <strong>de</strong>n Gesalbten, einen Fürsten, vergehen sieben<br />

Wochen; und innert zweiundsechzig Wochen wer<strong>de</strong>n die Straßen und Gräben wie<strong>de</strong>r gebaut,<br />

und zwar in bedrängter Zeit. (Daniel 9:25)<br />

408 v.Chr – Der Wie<strong>de</strong>raufbau von Jerusalem<br />

27 – Die Taufe und Salbung JesuChrist (Messias). 27 Und man wird vielen <strong>de</strong>n Bund<br />

schwer machen eine Woche lang und mitten in <strong>de</strong>r Woche Schlacht- und Speisopfer<br />

aufhören lassen, und auf <strong>de</strong>r Zinne wer<strong>de</strong>n Greuel <strong>de</strong>s Verwüsters aufgestellt, bis daß sich<br />

die bestimmte Vertilgung über die Verwüstung ergossen hat. (Daniel 9:27)<br />

31 – Die Kreuzigung und <strong>de</strong>r Tod von Jesus Christus. 26 Und nach <strong>de</strong>n zweiundsechzig<br />

Wochen wird <strong>de</strong>r Gesalbte ausgerottet wer<strong>de</strong>n, so daß keiner mehr sein wird; die Stadt aber<br />

samt <strong>de</strong>m Heiligtum wird das Volk eines zukünftigen Fürsten ver<strong>de</strong>rben, und sie geht unter<br />

in <strong>de</strong>r Überschwemmung, und <strong>de</strong>r Krieg, <strong>de</strong>r bestimmt ist zu ihrer Zerstörung, dauert bis ans<br />

En<strong>de</strong>. eine Woche lang und mitten in <strong>de</strong>r Woche Schlacht- und Speisopfer aufhören lassen<br />

(Daniel 9:27)<br />

34 – Die Steinigung von Stephen. Frist für die Ju<strong>de</strong>n. Das Evangelium ist <strong>de</strong>r Welt<br />

gegeben. 14 Und dieses Evangelium vom Reich wird in <strong>de</strong>r ganzen Welt[a] gepredigt<br />

wer<strong>de</strong>n, zum Zeugnis allen Nationen, und dann wird das En<strong>de</strong> kommen. (Matthãus 24:14)<br />

46 Da sprachen Paulus und Barnabas freimütig: Euch mußte das Wort Gottes zuerst<br />

gepredigt wer<strong>de</strong>n; da ihr es aber von euch stoßet und euch selbst <strong>de</strong>s ewigen Lebens nicht<br />

würdig achtet, siehe, so wen<strong>de</strong>n wir uns zu <strong>de</strong>n Hei<strong>de</strong>n. (Apostelgeschichte 13:46)<br />

70 – Die Zerstörung von Jerusalem Und Jesus ging hinaus und vom Tempel hinweg.<br />

Und seine Jünger traten herzu, um ihm die Gebäu<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Tempels zu zeigen. 2 Jesus aber<br />

sprach zu ihnen: Seht ihr nicht dies alles? Wahrlich, ich sage euch, hier wird kein Stein auf<br />

<strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn bleiben, <strong>de</strong>r nicht zerbrochen wird! (Matthãus 24:1,2) 15 Wenn ihr nun <strong>de</strong>n<br />

Greuel <strong>de</strong>r Verwüstung, von welchem durch <strong>de</strong>n Propheten Daniel gere<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n ist,<br />

stehen seht an heiliger Stätte (wer es liest, <strong>de</strong>r merke darauf!), 21 Denn dann wird eine<br />

große Trübsal sein, wie von Anfang <strong>de</strong>r Welt an bis jetzt keine gewesen ist und auch keine<br />

mehr kommen wird.:) (Matthãus 24: 15, 21)<br />

227


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

1844 – Die Reinignung es himmlischen Heiligtums und <strong>de</strong>r beginn <strong>de</strong>r himmlischen<br />

Gerichtes<br />

1810 Tage / Jahre – Das werk von Jesus Christus als unser Hohepriester in <strong>de</strong>r<br />

Himmlisches Heiligtum. 14 Da wir nun einen großen Hohenpriester haben, <strong>de</strong>r die Himmel<br />

durchschritten hat, Jesus, <strong>de</strong>n Sohn Gottes, so lasset uns festhalten an <strong>de</strong>m Bekenntnis! 15<br />

Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, <strong>de</strong>r kein Mitleid haben könnte mit unsren<br />

Schwachheiten, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r in allem gleich [wie wir] versucht wor<strong>de</strong>n ist, doch ohne Sün<strong>de</strong>.<br />

16 So lasset uns nun mit Freimütigkeit hinzutreten zum Thron <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong>, damit wir<br />

Barmherzigkeit erlangen und Gna<strong>de</strong> fin<strong>de</strong>n zu rechtzeitiger Hilfe! (Hebrãer 4:14-16)<br />

„Er wird aber vielen <strong>de</strong>n Bund stärken eine Woche lang.“ Die hier erwähnte Woche ist<br />

die letzte <strong>de</strong>r siebzig; es sind die letzten sieben Jahre <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>n beson<strong>de</strong>rs<br />

zugemessenen Zeitspanne. Während dieser Zeit, die sich von 27 bis 34 n. Chr. erstreckte,<br />

verkündigte Jesus ganz beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>n das Evangelium, erst persönlich, dann durch<br />

seine Jünger. Als die Apostel mit <strong>de</strong>r frohen Botschaft vom Reiche Gottes hinausgingen,<br />

lautete die Anweisung <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s: „Gehet nicht auf <strong>de</strong>r Hei<strong>de</strong>n Straße und ziehet nicht in<br />

<strong>de</strong>r Samariter Städte, son<strong>de</strong>rn gehet hin zu <strong>de</strong>n verlorenen Schafen aus <strong>de</strong>m Hause<br />

Israel.“ Matthäus 10,5.6.<br />

„Mitten in <strong>de</strong>r Woche wird das Opfer und Speisopfer aufhören.“ Im Jahre 31.n. Chr.,<br />

dreieinhalb Jahre nach seiner Taufe, wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Herr gekreuzigt. Mit diesem großen, auf<br />

Golgatha dargebrachten Opfer hörten die Opferordnungen auf, die vier Jahrtausen<strong>de</strong> lang in<br />

die Zukunft, auf das Lamm Gottes, gewiesen hatten. Der Schatten war im Wesen<br />

aufgegangen, und alle Opfer und Gaben <strong>de</strong>s Zeremo- nialgesetzes hatten ihre Erfüllung<br />

gefun<strong>de</strong>n. Die beson<strong>de</strong>rs für die Ju<strong>de</strong>n bestimmten siebzig Wochen o<strong>de</strong>r vierhun<strong>de</strong>rtneunzig<br />

Jahre liefen, wie wir gesehen haben, im Jahre 34 n. Chr. ab. Zu jener Zeit besiegelte das<br />

jüdische Volk durch <strong>de</strong>n Beschluß <strong>de</strong>s Hohen Rates die Verwerfung <strong>de</strong>s Evangeliums,<br />

in<strong>de</strong>m es Stephanus steinigte und die Nachfolger Christi verfolgte. Dann wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Welt die<br />

Heilsbotschaft verkündigt, die hinfort nicht länger auf das auserwählte Volk beschränkt<br />

blieb. Die Jünger, durch Verfolgungen gezwungen, Jerusalem zu verlassen, „gingen um und<br />

predigten das Wort. Philippus aber kam hinab in eine Stadt in Samarien und predigte ihnen<br />

von Christo“. Apostelgeschichte 8,4.5. Petrus, von Gott geleitet, erschloß <strong>de</strong>m Hauptmann<br />

von Cäsarea, <strong>de</strong>m gottesfürchtigen Kornelius, das Evangelium, und <strong>de</strong>r für <strong>de</strong>n Glauben an<br />

Jesus gewonnene eifrige Paulus wur<strong>de</strong> beauftragt, die frohe Botschaft „ferne unter die<br />

Hei<strong>de</strong>n“ zu tragen. Apostelgeschichte 22,21.<br />

Soweit ist je<strong>de</strong> Angabe <strong>de</strong>r Weissagung auffallend erfüllt und <strong>de</strong>r Anfang <strong>de</strong>r siebzig<br />

Wochen ohne irgendwelchen Zweifel auf 457 v. Chr., ihr En<strong>de</strong> auf 34 n. Chr. festgestellt<br />

wor<strong>de</strong>n. Durch diese Angaben ist es nicht schwer, das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt<br />

Tage zu ermitteln. Da die siebzig Wochen o<strong>de</strong>r vierhun<strong>de</strong>rtneunzig Tage von <strong>de</strong>n<br />

zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt abgeschnitten sind, bleiben noch achtzehnhun<strong>de</strong>rtzehn Tage übrig.<br />

Nach Ablauf <strong>de</strong>r vierhun<strong>de</strong>rtneunzig Tage hatten sich noch die achtzehnhun<strong>de</strong>rtzehn Tage<br />

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<strong>Chaos</strong>theorie<br />

zu erfüllen. Vom Jahre 34 n. Chr. reichen weitere achtzehnhun<strong>de</strong>rtzehn Jahre bis 1844.<br />

Folglich en<strong>de</strong>n die zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt Tage von Daniel 8,14 im Jahre 1844. Nach <strong>de</strong>m<br />

Ablauf dieser großen prophetischen Zeitspanne sollte nach <strong>de</strong>m Zeugnis <strong>de</strong>s Engels Gottes<br />

„das Heiligtum wie<strong>de</strong>r geweiht (gereinigt) wer<strong>de</strong>n“. Somit war die Zeit <strong>de</strong>r (Weihe o<strong>de</strong>r)<br />

Reinigung <strong>de</strong>s Heiligtums, die, wie man nahezu allgemein glaubte, zur Zeit <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft<br />

stattfin<strong>de</strong>n sollte, genau und bestimmt angegeben.<br />

Miller und seine Mitarbeiter glaubten anfangs, die zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt Tage wür<strong>de</strong>n<br />

im Frühjahr 1844 ablaufen, wohingegen die Weissagung auf <strong>de</strong>n Herbst jenes Jahres<br />

verweist. Dieses Miß verständnis brachte <strong>de</strong>nen, die das frühere Datum als die Zeit <strong>de</strong>r<br />

Wie<strong>de</strong>rkunft <strong>de</strong>s Herrn angenommen hatten, Enttäuschung und Unruhe. Aber dies<br />

beeinträchtigte durchaus nicht die Kraft <strong>de</strong>r Beweisführung, daß die zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt<br />

Tage im Jahre 1844 zu En<strong>de</strong> gingen und daß das große, als Reinigung <strong>de</strong>s Heiligtums<br />

bezeichnete Ereignis dann stattfin<strong>de</strong>n mußte. Als Miller sich an das Studium <strong>de</strong>r Heiligen<br />

Schrift begeben hatte, um zu beweisen, daß sie eine Offenbarung Gottes ist, hatte er nicht<br />

die geringste Ahnung, daß er zu <strong>de</strong>m Schuß kommen wür<strong>de</strong>, zu <strong>de</strong>m er dann gelangt ist. Er<br />

konnte die Ergebnisse seiner Forschungen selbst kaum glauben; aber <strong>de</strong>r schriftgemäße<br />

Beweis war zu klar und zu stark, als daß er ihn hätte unbeachtet lassen können.<br />

Er hatte zwei Jahre auf das Studium <strong>de</strong>r Bibel verwandt, als er im Jahre 1818 zu <strong>de</strong>r<br />

ernsten Überzeugung kam, daß Christus in ungefähr fünfundzwanzig Jahren zur Erlösung<br />

seines Volkes erscheinen wür<strong>de</strong>. „Ich brauche“, sagte Miller, „nicht von <strong>de</strong>r Freu<strong>de</strong> zu re<strong>de</strong>n,<br />

die im Hinblick auf die entzücken<strong>de</strong> Aussicht mein Herz erfüllte, o<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>m heißen<br />

Sehnen meiner Seele nach einem Anteil an <strong>de</strong>n Freu<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Erlösten. Die Bibel galt mir nun<br />

als ein neues Buch. Sie be<strong>de</strong>utete mir in <strong>de</strong>r Tat ein angenehmes, geistreiches Gespräch;<br />

alles, was mir finster, geheimnisvoll o<strong>de</strong>r dunkel erschien in ihren Lehren, war durch das<br />

helle Licht, das nun aus ihren heiligen Blättern hervorbrach, zerstreut wor<strong>de</strong>n. Oh, wie<br />

glänzend und herrlich zeigte sich die Wahrheit! Alle Wi<strong>de</strong>rsprüche und Ungereimtheiten,<br />

die ich vorher in <strong>de</strong>m Worte gefun<strong>de</strong>n hatte, waren verschwun<strong>de</strong>n; und wenn es auch noch<br />

viele Stellen gab, die ich, wie ich überzeugt war, nicht völlig verstand, so war doch so viel<br />

Licht zur Erleuchtung meines vorher finsteren Gemütes daraus hervorgegangen, daß ich<br />

beim Studium <strong>de</strong>r Heiligen Schrift ein Entzücken empfand, das ich nie geglaubt hätte durch<br />

ihre Lehren erlangen zu können.“<br />

„Bei <strong>de</strong>r ernsten Überzeugung, daß so überwältigen<strong>de</strong> Ereignisse, wie sie in <strong>de</strong>r<br />

Heiligen Schrift vorhergesagt waren, sich in einem kurzen Zeitraum erfüllen sollten, trat mit<br />

gewaltiger Macht die Frage an mich heran, welche Pflicht ich angesichts <strong>de</strong>r Beweise, die<br />

mein eigenes Gemüt ergriffen hatten, <strong>de</strong>r Welt gegenüber hätte.“1 Miller fühlte, daß es seine<br />

Pflicht sei, das Licht, das er empfangen hatte, an<strong>de</strong>rn mitzuteilen. Er erwartete von seiten<br />

<strong>de</strong>r Gottlosen Wi<strong>de</strong>rspruch, war aber voll Zuversicht, daß sich alle Christen <strong>de</strong>r Hoffnung<br />

freuen wür<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>m Heiland, <strong>de</strong>n sie liebten, zu begegnen. Seine einzige Befürchtung ging<br />

dahin, daß viele in <strong>de</strong>r großen Freu<strong>de</strong> auf die herrliche Erlösung, die sich so bald erfüllen<br />

229


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

sollte, die Lehre annehmen könnten, ohne hinreichend die Schriftstellen geprüft zu haben,<br />

die diese Wahrheit enthielten. Er zögerte noch sie vorzutragen, damit er nicht, falls er selber<br />

irrte, an<strong>de</strong>re verführte. Das veranlaßte ihn, die Beweise seiner Schlußfolgerungen nochmals<br />

zu prüfen und je<strong>de</strong> Schwierigkeit, die sich ihm entgegenstellte, sorgfältig zu untersuchen. Er<br />

fand, daß die Einwän<strong>de</strong> vor <strong>de</strong>m Licht <strong>de</strong>s Wortes Gottes verschwan<strong>de</strong>n wie <strong>de</strong>r Nebel vor<br />

<strong>de</strong>n Strahlen <strong>de</strong>r Sonne. Nach fünf Jahren, die er in dieser Weise zugebracht hatte, war er<br />

von <strong>de</strong>r Richtigkeit seiner Auslegung vollständig überzeugt.<br />

Jetzt drängte sich ihm mit neuer Kraft die Pflicht auf, an<strong>de</strong>rn das nahezubringen, was,<br />

wie er glaubte, die Heilige Schrift klar lehrte. Er sagte: „Wenn ich meinen Geschäften<br />

nachging, tönte es beständig in meinen Ohren: ‚Geh und erzähle <strong>de</strong>r Welt von ihrer<br />

Gefahr.‘ Folgen<strong>de</strong> Bibelstelle kam mir immer wie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Sinn: ‚Wenn ich nun <strong>de</strong>m<br />

Gottlosen sage: Du Gottloser mußt <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s sterben! und du sagst ihm solches nicht, daß<br />

sich <strong>de</strong>r Gottlose warnen lasse vor seinem Wesen, so wird wohl <strong>de</strong>r Gottlose um seines<br />

gottlosen Wesens willen sterben; aber sein Blut will ich von <strong>de</strong>iner Hand for<strong>de</strong>rn. Warnest<br />

du aber <strong>de</strong>n Gottlosen von seinem Wesen, daß er sich davon bekehre, und er will sich nicht<br />

von seinem Wesen bekehren, so wird er um seiner Sün<strong>de</strong> willen sterben, und du hast <strong>de</strong>ine<br />

Seele errettet.‘ Hesekiel 33,8.9. Ich fühlte, daß sehr viele Gottlose, falls sie nachdrücklich<br />

gewarnt wer<strong>de</strong>n könnten, Buße täten; daß aber, wenn das nicht geschähe, ihr Blut von<br />

meiner Hand gefor<strong>de</strong>rt wür<strong>de</strong>.“1<br />

Miller begann seine Ansichten im stillen zu verbreiten, wie sich ihm Gelegenheit bot. Er<br />

betete darum, daß irgen<strong>de</strong>in Prediger ihre Kraft erkennen und sich ihrer Ausbreitung<br />

widmen möchte. Aber er konnte die Überzeugung nicht aus seinem Herzen bannen, daß er<br />

bei <strong>de</strong>r Verkündigung <strong>de</strong>r Warnungsbotschaft eine persönliche Pflicht zu erfüllen habe.<br />

Beständig stan<strong>de</strong>n ihm die Worte vor Augen: Geh und sage es <strong>de</strong>r Welt; ihr Blut wer<strong>de</strong> ich<br />

von <strong>de</strong>iner Hand for<strong>de</strong>rn. — Neun Jahre wartete er, und immer noch lastete die Bür<strong>de</strong> auf<br />

seiner Seele, bis er im Jahre 1831 zum erstenmal öffentlich die Grün<strong>de</strong> seines Glaubens<br />

darlegte.<br />

Wie Elisa von seinen Ochsen auf <strong>de</strong>m Fel<strong>de</strong> weggerufen wur<strong>de</strong>, um <strong>de</strong>n Mantel zu<br />

empfangen, <strong>de</strong>r ihn zum Prophetenamt weihte, so wur<strong>de</strong> William Miller aufgefor<strong>de</strong>rt, seinen<br />

Pflug zu verlassen und <strong>de</strong>m Volk die Geheimnisse <strong>de</strong>s Reiches Gottes zu verkün<strong>de</strong>n. Mit<br />

Zittern begann er seine Aufgabe und führte seine Zuhörer Schritt für Schritt durch die<br />

prophetischen Abschnitte hindurch bis in die Zeit <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft Christi. Mit je<strong>de</strong>r<br />

Anstrengung gewann er Kraft und Mut, <strong>de</strong>nn er bemerkte das weitverbreitete Aufsehen, das<br />

seine Worte hervorriefen. Nur dadurch, daß seine Glaubensbrü<strong>de</strong>r, in <strong>de</strong>ren Worten er <strong>de</strong>n<br />

Ruf Gottes vernahm, ihn dazu auffor<strong>de</strong>rten, ließ sich Miller bewegen, seine Auffassungen<br />

öffentlich vorzutragen.<br />

Er war nun fünfzig Jahre alt und <strong>de</strong>s öffentlichen Auftretens ungewohnt. Er hatte das<br />

Gefühl, <strong>de</strong>r vor ihm liegen<strong>de</strong>n Aufgabe nicht gewachsen zu sein. Aber von Anfang an<br />

wur<strong>de</strong>n seine Bemühungen zur Rettung von Seelen in bemerkenswerter Weise gesegnet.<br />

230


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Seinem ersten Vortrag folgte eine religiöse Erweckung, bei <strong>de</strong>r dreizehn Familien mit<br />

Ausnahme von zwei Personen bekehrt wur<strong>de</strong>n. Man bat ihn sofort, auch an an<strong>de</strong>rn Orten zu<br />

sprechen, und fast überall zeigte sich eine Wie<strong>de</strong>rbelebung <strong>de</strong>r Sache Gottes. Sün<strong>de</strong>r<br />

wur<strong>de</strong>n bekehrt, Christen zu größerer Hingabe angeregt und Deisten und Ungläubige zur<br />

Anerkennung <strong>de</strong>r Bibelwahrheiten und <strong>de</strong>r christlichen Religion gebracht. Diejenigen, unter<br />

<strong>de</strong>nen er arbeitete, bezeugten: „Er erreicht eine Klasse von Menschen, die sich von an<strong>de</strong>rn<br />

Männern nicht beeinflussen lassen.“1 Seine Predigt war darauf abgestellt, allgemeines<br />

Verständnis für die religiösen Grundlinien zu erwecken und die überhandnehmen<strong>de</strong><br />

Weltlichkeit und Sinnlichkeit <strong>de</strong>r Zeit im Zaum zu halten.<br />

Nahezu in je<strong>de</strong>r Stadt wur<strong>de</strong>n durch seine Predigt viele, an etlichen Orten Hun<strong>de</strong>rte,<br />

bekehrt. In vielen Orten öffnete man ihm die protestantischen Kirchen fast aller<br />

Bekenntnisse. Die Einladungen an Miller kamen gewöhnlich von <strong>de</strong>n Predigern <strong>de</strong>r<br />

verschie<strong>de</strong>nen Gemein<strong>de</strong>n. Es war sein unabän<strong>de</strong>rlicher Grundsatz, nur an <strong>de</strong>n Or- ten zu<br />

wirken, wohin er eingela<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>; doch er sah sich bald außerstan<strong>de</strong>, auch nur <strong>de</strong>r Hälfte<br />

dieser Auffor<strong>de</strong>rungen, mit <strong>de</strong>nen man ihn überhäufte, nachzukommen. Viele, die seine<br />

Ansichten hinsichtlich <strong>de</strong>r genauen Zeit <strong>de</strong>r zweiten Erscheinung Christi nicht annahmen,<br />

wur<strong>de</strong>n doch von <strong>de</strong>r Gewißheit und Nähe seines Kommens und <strong>de</strong>r Notwendigkeit einer<br />

Vorbereitung überzeugt.<br />

In einigen großen Städten machte Millers Wirken sichtbaren Eindruck. Schankwirte<br />

gaben ihren Han<strong>de</strong>l auf und verwan<strong>de</strong>lten ihre Trinkstuben in Versammlungssäle;<br />

Spielhöllen schlossen; Ungläubige, Deisten, Universalisten und selbst die verkommensten<br />

Bösewichte, von <strong>de</strong>nen etliche jahrelang kein Gotteshaus betreten hatten, än<strong>de</strong>rten ihre<br />

Gesinnung. Die verschie<strong>de</strong>nen Gemeinschaften führten in <strong>de</strong>n einzelnen Stadtteilen zu fast<br />

je<strong>de</strong>r Tagesstun<strong>de</strong> Gebetsversammlungen ein. Geschäftsleute versammelten sich mittags zu<br />

Gebet und Lobgesang. Es herrschte keine schwärmerische Erregung, son<strong>de</strong>rn ein<br />

allgemeiner feierlicher Ernst hatte die Gemüter <strong>de</strong>s Volkes ergriffen. Millers Wirken<br />

überzeugte gleich <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Reformatoren weit mehr <strong>de</strong>n Verstand und erweckte eher das<br />

Gewissen, als es die Gefühle erregte.<br />

Im Jahre 1833 erhielt Miller von <strong>de</strong>r Baptistenkirche, <strong>de</strong>r er angehörte, die Erlaubnis zu<br />

predigen. Viele Prediger seiner Gemeinschaft billigten seine Tätigkeit und bestätigten sie<br />

formell, so daß er sein Wirken fortsetzte. Er reiste und predigte unaufhörlich, wenn auch<br />

sein persönliches Wirken hauptsächlich auf Neuengland und die mittleren Staaten<br />

beschränkt blieb. Jahrelang bestritt er sämtliche Auslagen aus seiner eigenen Kasse und<br />

erhielt auch später nicht genug, um die Reisekosten nach <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Orten, wohin er<br />

gela<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>, zu <strong>de</strong>cken. So belastete seine öffentliche Arbeit, statt ihm finanziellen<br />

Gewinn zu bringen, sein Eigentum, das während dieses Abschnitts seines Lebens immer<br />

weniger wur<strong>de</strong>. Er war Vater einer großen Familie; da sich aber alle genügsam und fleißig<br />

zeigten, reichte sein Landgut sowohl für ihren als auch für seinen eigenen Unterhalt aus.<br />

231


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Im Jahre 1833, zwei Jahre, nach<strong>de</strong>m Miller angefangen hatte, die Beweise <strong>de</strong>r baldigen<br />

Wie<strong>de</strong>rkunft Christi öffentlich zu verkündigen, erschien das letzte <strong>de</strong>r von Christus<br />

erwähnten Zeichen, die er als Vorläufer seiner Wie<strong>de</strong>rkunft angekündigt hatte. Jesus sagte:<br />

„Die Sterne wer<strong>de</strong>n vom Himmel fallen“, und Johannes erklärte in <strong>de</strong>r Offenbarung, als er<br />

im Gesicht die Vorgänge erblickte, die <strong>de</strong>n Tag Gottes ankündigen sollten: „Die Sterne <strong>de</strong>s<br />

Himmels fielen auf die Er<strong>de</strong>, gleichwie ein Feigenbaum seine Feigen abwirft, wenn er von<br />

großem Wind bewegt wird.“ Matthäus 24,29; Offenbarung 6,13. Diese Weissagung erfüllte<br />

sich treffend und nachdrücklich durch <strong>de</strong>n großen Meteorregen vom 13. November 1833. Es<br />

war das ausge<strong>de</strong>hnteste und wun<strong>de</strong>rbarste Schauspiel fallen<strong>de</strong>r Sterne, von <strong>de</strong>m je berichtet<br />

wor<strong>de</strong>n ist. „Das ganze Himmelsgewölbe über <strong>de</strong>n gesamten Vereinigten Staaten war<br />

damals stun<strong>de</strong>nlang in feuriger Bewegung. Noch nie hatte sich von <strong>de</strong>r ersten Ansiedlung an<br />

in jenem Lan<strong>de</strong> eine Naturerscheinung gezeigt, die von <strong>de</strong>m einen Teil <strong>de</strong>r Bevölkerung mit<br />

so großer Bewun<strong>de</strong>rung und von <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn mit so viel Schau<strong>de</strong>rn und Bestürzung<br />

betrachtet wur<strong>de</strong>.“ „Die Erhabenheit und feierliche Pracht lebt noch heute in manchem<br />

Gedächtnis ... Niemals ist Regen dichter zur Er<strong>de</strong> gefallen als jene Meteore; und in allen<br />

Himmelsrichtungen die gleiche Erscheinung. Mit einem Wort, das ganze Himmelsgewölbe<br />

schien in Bewegung zu sein ... Das Schauspiel, wie Prof. Sillimans Journal es schil<strong>de</strong>rt, war<br />

in ganz Nordamerika sichtbar ... Bei vollkommen klarem und heiterem Himmel dauerte das<br />

unaufhörliche Spiel blen<strong>de</strong>nd glänzen<strong>de</strong>r Lichtkörper am ganzen Himmel von zwei Uhr bis<br />

zum Tagesanbruch.“<br />

„Keine Sprache kann <strong>de</strong>r Pracht jenes herrlichen Schauspiels gerecht wer<strong>de</strong>n; ...<br />

niemand, <strong>de</strong>r es nicht selbst gesehen hat, kann sich eine entsprechen<strong>de</strong> Vorstellung von<br />

seiner Herrlichkeit machen. Es schien, als ob <strong>de</strong>r ganze Sternenhimmel sich ... in einem<br />

Punkt gesammelt hätte und mit Blitzesschnelle gleichzeitig nach allen Richtungen <strong>de</strong>s<br />

Horizontes hin seine Sterne hervorschösse; und doch hörte es nicht auf: Tausen<strong>de</strong> folgten<br />

schnell <strong>de</strong>r Bahn, die Tausen<strong>de</strong> schon durcheilt hatten, als seien sie für diese Gelegenheit<br />

erschaffen gewesen.“ „Ein genaueres Bild von einem Feigenbaum, <strong>de</strong>r seine Feigen abwirft,<br />

wenn ein heftiger Wind durch ihn hindurchfährt, hätte man nicht sehen können.“ Im<br />

Neuyorker „Journal of Commerce“ vom 14.November 1833 erschien ein ausführlicher<br />

Artikel über diese wun<strong>de</strong>rsame Naturerscheinung, in <strong>de</strong>m es heißt: „Kein Weiser o<strong>de</strong>r<br />

Gelehrter hat je, wie ich annehme, eine Erscheinung wie die von gestern morgen mündlich<br />

o<strong>de</strong>r schriftlich berichtet.<br />

Vor achtzehnhun<strong>de</strong>rt Jahren hat ein Prophet sie genau vorausgesagt, so wir uns nur die<br />

Mühe nehmen wollen, unter einem Sternenfall fallen<strong>de</strong> Sterne ... in <strong>de</strong>m allein möglichen<br />

Sinne, in <strong>de</strong>m es buchstäblich wahr sein kann, zu verstehen.“ So erschien das letzte jener<br />

Zeichen seines Kommens, worüber Jesus seinen Jüngern sagte: „Also auch wenn ihr das<br />

alles sehet, so wisset, daß es nahe vor <strong>de</strong>r Tür ist.“ Matthäus 24,33. Als das nächste große<br />

Ereignis, das nach diesen Zeichen geschah, sah Johannes, daß „<strong>de</strong>r Himmel entwich wie ein<br />

zusammengerolltes Buch“, während die Er<strong>de</strong> erbebte, die Berge und Inseln bewegt wur<strong>de</strong>n<br />

232


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

und die Gottlosen vor <strong>de</strong>r Gegenwart <strong>de</strong>s Menschensohnes entsetzt zu fliehen suchten.<br />

Offenbarung 6,12-17. Womit dann aber die Wie<strong>de</strong>rkunft Christi bereits beginnt.<br />

Viele Augenzeugen sahen <strong>de</strong>n Sternenfall als <strong>de</strong>n Vorboten <strong>de</strong>s kommen<strong>de</strong>n Gerichts<br />

an, „als ein schreckliches Vorbild, einen sicheren Vorläufer, ein barmherziges Zeichen jenes<br />

großen und schrecklichen Tages“. Auf diese Weise wur<strong>de</strong> die Aufmerksamkeit auf die<br />

Erfüllung <strong>de</strong>r Weissagung gerichtet und viele dadurch veranlaßt, die Botschaft von <strong>de</strong>r<br />

Wie<strong>de</strong>rkunft Christi zu beachten. Im Jahre 1840 erregte eine an<strong>de</strong>re merkwürdige Erfüllung<br />

<strong>de</strong>r Weissagung große Aufmerksamkeit. Zwei Jahre vorher hatte Josia Litch, einer <strong>de</strong>r<br />

leiten<strong>de</strong>n Prediger, welche die Wie<strong>de</strong>rkunft Christi verkündigten, eine Auslegung von<br />

Offenbarung 9 veröffentlicht, in welcher <strong>de</strong>r Fall <strong>de</strong>s Osmanischen Reiches vorhergesagt<br />

wur<strong>de</strong>. Seiner Berechnung gemäß sollte diese Macht im Monat August <strong>de</strong>s Jahres 1840<br />

gestürzt wer<strong>de</strong>n, und nur wenige Tage vor ihrer Erfüllung schrieb Josia Litch:<br />

„Wenn wir zugeben, daß <strong>de</strong>r erste Zeitabschnitt von 150 Jahren sich genau erfüllt hatte,<br />

ehe Konstantin XI. mit <strong>de</strong>r Erlaubnis <strong>de</strong>r Türken <strong>de</strong>n Thron bestieg, und daß die<br />

dreihun<strong>de</strong>rteinundneunzig Jahre und fünfzehn Tage am Schluß <strong>de</strong>s ersten Zeitabschnittes<br />

anfingen, so müssen sie am 11. August en<strong>de</strong>n, wenn man erwarten darf, daß die osmanische<br />

Macht in Konstantinopel gebrochen wer<strong>de</strong>n wird. Und ich glaube gewiß, daß dies eintreten<br />

wird.“<br />

Genau zur bezeichneten Zeit nahm die Türkei durch ihre Gesandten <strong>de</strong>n Schutz <strong>de</strong>r<br />

vereinigten Großmächte Europas an und stellte sich auf diese Weise unter die Aufsicht <strong>de</strong>r<br />

christlichen Nationen. Dieses Ereignis erfüllte genau die Weissagung. Als dies bekannt<br />

wur<strong>de</strong>, gewannen viele die Überzeugung, daß die Grundsätze <strong>de</strong>r prophetischen Auslegung,<br />

wie Miller und seine Gefährten sie angenommen hatten, richtig seien, und so erhielt die<br />

Adventbewegung einen wun<strong>de</strong>rbaren Antrieb. Gelehrte und angesehene Männer vereinigten<br />

sich mit Miller, um seine Auffassungen zu predigen und zu veröffentlichen. Das Werk<br />

<strong>de</strong>hnte sich von 1840 bis 1844 rasch aus.<br />

William Miller besaß große geistige Gaben, geschult durch Denken und Studium. Ihnen<br />

fügte er die Weisheit <strong>de</strong>s Himmels hinzu, im<strong>de</strong>m er sich mit <strong>de</strong>r Quelle <strong>de</strong>r Weisheit<br />

verband. Er war ein Mann von echtem Ansehen, <strong>de</strong>r Achtung und Wertschätzung einflößen<br />

mußte, wo Rechtschaffenheit <strong>de</strong>s Charakters und sittliche Vorzüge geschätzt wur<strong>de</strong>n. Er<br />

besaß wahre Herzensgüte und zeigte sich <strong>de</strong>mütig und beherrscht, war aufmerksam und<br />

liebenswürdig gegen alle und bereit, auf die Meinungen an<strong>de</strong>rer zu hören und ihre<br />

Beweisgrün<strong>de</strong> zu prüfen. Sachlich und lei<strong>de</strong>nschaftslos verglich er alle <strong>Theorie</strong>n und Lehren<br />

mit <strong>de</strong>m Worte Gottes; und sein gesun<strong>de</strong>s Denken sowie seine gründliche Kenntnis <strong>de</strong>r<br />

Heiligen Schrift befähigten ihn, Irrtum zu wi<strong>de</strong>rlegen und Lügen bloßzustellen.<br />

Dennoch konnte er seiner Aufgabe nicht ohne schweren Wi<strong>de</strong>rstand folgen. Es erging<br />

ihm wie <strong>de</strong>n Reformatoren vor ihm; die Wahrheiten, die er verkündigte, wur<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n<br />

beim Volk beliebten religiösen Lehrern ungünstig aufgenommen. Da diese ihre Stellung<br />

233


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

nicht durch die Heilige Schrift aufrechterhalten konnten, waren sie gezwungen, ihre<br />

Zuflucht zu <strong>de</strong>n Aussprüchen und Lehren <strong>de</strong>r Menschen, <strong>de</strong>n Überlieferungen <strong>de</strong>r Väter zu<br />

nehmen. Doch Gottes Wort war das einzige von <strong>de</strong>n Predigern <strong>de</strong>r Adventwahrheit<br />

angenommene Zeugnis. „Die Bibel, und nur die Bibel!“ hieß ihre Losung. Der Mangel an<br />

biblischen Beweisen seitens ihrer Gegner wur<strong>de</strong> durch Hohn und Spott ersetzt. Zeit, Geld<br />

und Fähigkeiten wur<strong>de</strong>n angewandt, um die zu verunglimpfen, welche nur dadurch Anstoß<br />

gaben, daß sie mit Freu<strong>de</strong>n die Wie<strong>de</strong>rkehr ihres Herrn erwarteten und danach strebten, ein<br />

heiliges Leben zu führen und an<strong>de</strong>re zu ermahnen, sich auf sein Erscheinen vorzubereiten.<br />

Es wur<strong>de</strong>n ernsthafte Anstrengungen unternommen, die Gemüter <strong>de</strong>s Volkes von <strong>de</strong>r<br />

Wie<strong>de</strong>rkunft Christi abzulenken. Die Weissagungen zu erforschen, die sich auf das<br />

Kommen Christi und das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Welt beziehen, wur<strong>de</strong> als Sün<strong>de</strong> hingestellt, als etwas,<br />

<strong>de</strong>ssen sich die Menschen schämen müßten. Auf diese Weise untergruben die beim Volk<br />

beliebten Prediger <strong>de</strong>n Glauben an das Wort Gottes. Ihre Lehren machten die Menschen zu<br />

Ungläubigen, und viele fühlten sich berechtigt, nach ihren eigenen, gottlosen Lüsten zu<br />

wan<strong>de</strong>ln. Die Urheber <strong>de</strong>s Übels aber legten alles <strong>de</strong>n Adventisten zur Last.<br />

Während Millers Name Scharen verständiger und aufmerksamer Zuhörer anzog, wur<strong>de</strong><br />

er in <strong>de</strong>r religiösen Presse selten genannt, es sei <strong>de</strong>nn, man zog ihn ins Lächerliche o<strong>de</strong>r<br />

beschuldigte ihn. Die Gleichgültigen und Gottlosen, die durch die Stellungnahme mancher<br />

religiösen Lehrer kühn gewor<strong>de</strong>n waren, griffen in ihren Bemühungen, ihn und sein Werk<br />

zu schmähen, zu schimpflichen Ausdrücken, zu gemeinen und gotteslästerlichen Witzeleien.<br />

Der altersgraue Mann, <strong>de</strong>r die Bequemlichkeiten seines häuslichen Her<strong>de</strong>s verlassen hatte,<br />

um auf eigene Kosten von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf zu reisen, <strong>de</strong>r sich unaufhörlich<br />

abmühte, <strong>de</strong>r Welt die ernste Warnung von <strong>de</strong>m bevorstehen<strong>de</strong>n Gericht zu verkündigen,<br />

wur<strong>de</strong> höhnisch als Schwärmer, Lügner und vorwitziger Bube verschrien.<br />

Der auf ihn gehäufte Spott, die Verleumdungen und Schmähungen riefen sogar bei <strong>de</strong>r<br />

weltlichen Presse entrüsteten Wi<strong>de</strong>rstand hervor. „Eine Sache von so überwältigen<strong>de</strong>r<br />

Hoheit und furchtbaren Folgen leichtfertig und mit unzüchtigen Re<strong>de</strong>n zu behan<strong>de</strong>ln, so<br />

erklärten weltlich gesinnte Männer, hieße nicht nur sich über die Gefühle ihrer Vertreter und<br />

Verteidiger zu belustigen, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>n Tag <strong>de</strong>s Gerichts ins Lächerliche zu ziehen, die<br />

Gottheit selbst zu verhöhnen und die Schrecken jenes Gerichts geringschätzig zu<br />

betrachten.“<br />

Der Anstifter alles Übels versuchte nicht nur <strong>de</strong>r Wirkung <strong>de</strong>r Adventbotschaft<br />

entgegenzuarbeiten, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>n Botschafter selbst zu vernichten. Miller wandte die<br />

biblische Wahrheit praktisch auf die Herzen seiner Zuhörer an, rügte ihre Sün<strong>de</strong>n und<br />

beunruhigte ihre Selbstzufrie<strong>de</strong>nheit; seine einfachen, treffen<strong>de</strong>n Worte erregten ihre<br />

Feindschaft. Durch <strong>de</strong>n offenen Wi<strong>de</strong>rstand <strong>de</strong>r Kirchenglie<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong>n die unteren<br />

Volksschichten ermutigt, noch weiterzugehen. Fein<strong>de</strong> schmie<strong>de</strong>ten Pläne, um ihn beim<br />

Verlassen <strong>de</strong>r Versammlung zu töten. Doch heilige Engel befan<strong>de</strong>n sich unter <strong>de</strong>r Menge,<br />

und einer von ihnen nahm in Gestalt eines Mannes diesen Knecht Gottes beim Arm und<br />

234


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

geleitete ihn durch <strong>de</strong>n zornigen Pöbel hindurch in Sicherheit. Sein Werk war noch nicht<br />

been<strong>de</strong>t; Satan und seine Sendboten fan<strong>de</strong>n sich in ihren Absichten getäuscht. Ungeachtet<br />

<strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rstan<strong>de</strong>s hatte die Anteilnahme an <strong>de</strong>r Adventbewegung zugenommen. Von<br />

Dutzen<strong>de</strong>n und Hun<strong>de</strong>rten von Zuhörern waren die Versammlungen auf viele Tausen<strong>de</strong><br />

angewachsen. Die verschie<strong>de</strong>nen Gemeinschaften hatten großen Zuwachs erfahren. Nach<br />

etlicher Zeit offenbarte sich <strong>de</strong>r Geist <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rstan<strong>de</strong>s auch gegen diese Bekehrten, und<br />

die Gemein<strong>de</strong>n begannen die Menschen zu maßregeln, die Millers Ansichten teilten. Dieses<br />

Vorgehen veranlaßte ihn zu einer Erwi<strong>de</strong>rung in Form einer Denkschrift an die Christen<br />

aller Gemeinschaften, in <strong>de</strong>r er nachdrücklich darauf bestand, daß man ihm seinen Irrtum<br />

aus <strong>de</strong>r Bibel beweisen solle, falls seine Lehren falsch seien.<br />

„Was haben wir geglaubt“, sagte er, „das zu glauben uns nicht durch das Wort Gottes<br />

geboten ist, das, wie ihr selbst zugebt, die Regel, und zwar die einzige unseres Glaubens und<br />

Wan<strong>de</strong>ls ist? Was haben wir getan, das solche giftigen Anschuldigungen von <strong>de</strong>r Kanzel<br />

und in <strong>de</strong>r Presse gegen uns herausfor<strong>de</strong>rn und euch eine gerechte Ursache geben konnte,<br />

uns (Adventisten) aus euren Kirchen und eurer Gemeinschaft auszuschließen?“ „Haben wir<br />

unrecht, so zeigt uns, worin unser Unrecht besteht; zeigt uns aus <strong>de</strong>m Worte Gottes, daß wir<br />

im Irrtum sind. Verspottet wur<strong>de</strong>n wir genug; das kann uns nie überzeugen, daß wir unrecht<br />

haben; das Wort Gottes allein kann unsere Ansichten än<strong>de</strong>rn. Unsere Schlüsse wur<strong>de</strong>n<br />

überlegt und unter Gebet gezogen, da wir die Beweise in <strong>de</strong>r Heiligen Schrift fan<strong>de</strong>n.“<br />

Von Jahrhun<strong>de</strong>rt zu Jahrhun<strong>de</strong>rt sind <strong>de</strong>n Warnungen, die Gott durch seine Diener <strong>de</strong>r<br />

Welt gesandt hat, <strong>de</strong>r gleiche Zweifel und Unglaube entgegengebracht wor<strong>de</strong>n. Als die<br />

Gottlosigkeit <strong>de</strong>r vorsintflutlichen Menschen Gott veranlaßte, eine Wasserflut über die Er<strong>de</strong><br />

zu bringen, gab er ihnen erst seine Absicht kund, damit sie Gelegenheit hätten, sich von<br />

ihren bösen Wegen abzuwen<strong>de</strong>n. Hun<strong>de</strong>rtundzwanzig Jahre lang tönte <strong>de</strong>r Warnungsruf an<br />

ihre Ohren, Buße zu tun, damit sich <strong>de</strong>r Zorn Gottes nicht in ihrem Untergang offenbare.<br />

Aber die Botschaft schien ihnen wie eine eitle Mär, und sie glaubten ihr nicht. In ihrer<br />

Gottlosigkeit bestärkt, verspotteten sie <strong>de</strong>n Boten Gottes, verschmähten seine Bitten und<br />

klagten ihn sogar <strong>de</strong>r Vermessenheit an. Wie darf es ein Mann wagen, gegen alle Großen<br />

<strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> aufzutreten? Wäre Noahs Botschaft wahr, warum wür<strong>de</strong> dann nicht alle Welt sie<br />

erkennen und glauben? Was ist die Behauptung eines Mannes gegenüber <strong>de</strong>r Weisheit von<br />

Tausen<strong>de</strong>n! — Sie wollten we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Warnung Glauben schenken noch in <strong>de</strong>r Arche<br />

Zuflucht suchen.<br />

Spötter wiesen auf die Vorgänge in <strong>de</strong>r Natur hin, auf die unverän<strong>de</strong>rliche Reihenfolge<br />

<strong>de</strong>r Jahreszeiten, auf <strong>de</strong>n blauen Himmel, <strong>de</strong>r noch nie Regen herabgesandt hatte, auf die<br />

grünen Gefil<strong>de</strong>, erfrischt von morgendlichem Tau, und riefen aus: Re<strong>de</strong>t er nicht in<br />

Gleichnissen? — Geringschätzig erklärten sie <strong>de</strong>n Prediger <strong>de</strong>r Gerechtigkeit für einen<br />

wil<strong>de</strong>n Schwärmer, jagten eifriger ihren Vergnügungen nach und beharrten mehr <strong>de</strong>nn je auf<br />

ihren bösen Wegen. Doch ihr Unglaube verhin<strong>de</strong>rte nicht das vorhergesagte Ereignis. Gott<br />

dul<strong>de</strong>te ihre Gottlosigkeit lange und gab ihnen reichlich Gelegenheit zur Buße; aber seine<br />

235


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Gerichte kamen zur bestimmten Zeit über die, die seine Gna<strong>de</strong> verwarfen. Christus erklärte,<br />

daß bei seiner Wie<strong>de</strong>rkunft ein ähnlicher Unglaube herrschen wer<strong>de</strong>. Die Menschen zu<br />

Noahs Zeiten „achteten‘s nicht, bis die Sintflut kam und nahm sie alle dahin —, also wird<br />

auch sein die Zukunft <strong>de</strong>s Menschensohnes“, wie <strong>de</strong>r Heiland selbst sagte. Matthäus 24,39.<br />

Wenn sich das bekennen<strong>de</strong> Volk Gottes mit <strong>de</strong>r Welt vereint und wan<strong>de</strong>lt, wie sie wan<strong>de</strong>lt,<br />

und mit ihr teilnimmt an ihren verbotenen Vergnügungen; wenn die Üppigkeit <strong>de</strong>r Welt zur<br />

Üppigkeit <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> wird; wenn die Hochzeitsglocken klingen und alle Menschen<br />

vielen Jahren weltlichen Ge<strong>de</strong>ihens entgegensehen — dann wird so plötzlich, wie <strong>de</strong>r Blitz<br />

vom Himmel herabfährt, das En<strong>de</strong> ihrer glänzen<strong>de</strong>n Vorspiegelungen und trügerischen<br />

Hoffnungen kommen.<br />

Wie Gott seinen Diener sandte, um die Welt vor <strong>de</strong>r kommen<strong>de</strong>n Sintflut zu warnen, so<br />

sandte er auserwählte Boten, um das Nahen <strong>de</strong>s Jüngsten Gerichts zu verkün<strong>de</strong>n. Und wie<br />

Noahs Zeitgenossen die Vorhersagen <strong>de</strong>s Predigers <strong>de</strong>r Gerechtigkeit höhnend verlachten,<br />

so spotteten auch zur Zeit Millers viele über diese Warnung, ja sogar solche, die sich zum<br />

Volk Gottes bekannten. Warum war <strong>de</strong>n Kirchen die Lehre und die Predigt von <strong>de</strong>r<br />

Wie<strong>de</strong>rkunft Christi so unwillkommen? Während die Ankunft <strong>de</strong>s Herrn <strong>de</strong>n Gottlosen<br />

Wehe und Ver<strong>de</strong>rben bringt, ist sie für die Gerechten voller Freu<strong>de</strong> und Hoffnung. Diese<br />

große Wahrheit gereichte <strong>de</strong>n Gottgetreuen aller Zeitalter zum Trost. Warum war sie jetzt<br />

wie ihr Urheber seinem sich zu ihm bekennen<strong>de</strong>n Volk zu einem Stein <strong>de</strong>s Anstoßes und<br />

einem Fels <strong>de</strong>s Ärgernisses gewor<strong>de</strong>n? Hatte doch unser Heiland selbst seinen Jüngern die<br />

Verheißung gegeben: „Wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, so will ich<br />

wie<strong>de</strong>rkommen und euch zu mir nehmen.“ Johannes 14,3.<br />

Als <strong>de</strong>r mitleidsvolle Erlöser die Verlassenheit und <strong>de</strong>n Kummer seiner Nachfolger<br />

voraussah, beauftragte er Engel, sie mit <strong>de</strong>r Versicherung zu trösten, daß er persönlich<br />

wie<strong>de</strong>rkäme, und zwar ebenso, wie er gen Himmel gefahren war. Als die Jünger stan<strong>de</strong>n<br />

und zum Himmel aufschauten, um einen letzten Blick auf <strong>de</strong>n zu werfen, <strong>de</strong>n sie liebten,<br />

wur<strong>de</strong> ihre Aufmerksamkeit von <strong>de</strong>n Worten in Anspruch genommen: „Ihr Männer von<br />

Galiläa, was steht ihr und sehet gen Himmel? Dieser Jesus, welcher von euch ist<br />

aufgenommen gen Himmel, wird kommen, wie ihr ihn gesehen habt gen Himmel<br />

fahren.“ Apostelgeschichte 1,11. Durch die Botschaft <strong>de</strong>s Engels wur<strong>de</strong> ihre Hoffnung neu<br />

angefacht. Die Jünger „kehrten wie<strong>de</strong>r gen Jerusalem mit großer Freu<strong>de</strong> und waren allewege<br />

im Tempel, priesen und lobten Gott“. Lukas 24,52.53. Sie freuten sich nicht, weil Jesus von<br />

ihnen getrennt war und sie im Kampf mit <strong>de</strong>n Prüfungen und Versuchungen <strong>de</strong>r Welt<br />

alleinstan<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn sie frohlockten über die Versicherung <strong>de</strong>s Engels, daß Jesus<br />

wie<strong>de</strong>rkommen wür<strong>de</strong>.<br />

Die Verkündigung <strong>de</strong>s Kommens Christi sollte wie damals, als sie durch die Engel <strong>de</strong>n<br />

Hirten von Bethlehem gebracht wur<strong>de</strong>, eine Botschaft großer Freu<strong>de</strong> sein. Alle, die <strong>de</strong>n<br />

Heiland wahrhaft liebhaben, können die auf Gottes Wort gegrün<strong>de</strong>te Botschaft nur freudig<br />

begrüßen, jene Botschaft, daß <strong>de</strong>r, welcher <strong>de</strong>r Mittelpunkt ihrer Hoffnung auf ein ewiges<br />

236


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Leben ist, wie<strong>de</strong>rkommen soll — nicht, um wie bei seinem ersten Kommen geschmäht,<br />

verachtet und verworfen zu wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn in Macht und Herrlichkeit, um sein Volk zu<br />

erlösen. Alle, die <strong>de</strong>n Heiland nicht lieben, wünschen, daß er wegbleiben möge, und es kann<br />

keinen überzeugen<strong>de</strong>ren Beweis für <strong>de</strong>n Abfall <strong>de</strong>r Kirchen von Gott geben, als die<br />

Erbitterung und die Feindseligkeit, die diese von Gott gesandte Botschaft auslöst.<br />

Wer die Botschaft von <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft Christi annahm, erkannte die Notwendigkeit <strong>de</strong>r<br />

Reue und Demütigung vor Gott. Viele hatten lange zwischen Christus und <strong>de</strong>r Welt hin und<br />

her geschwankt, fühlten aber nun, daß es Zeit sei, einen festen Standpunkt einzunehmen.<br />

„Alles, was die Ewigkeit angeht, nahm für sie eine ungewöhnliche Wirklichkeit an. Der<br />

Himmel wur<strong>de</strong> ihnen nahegebracht, und sie fühlten sich vor Gott schuldig.“ Christen<br />

erwachten zu neuem geistlichen Leben. Sie erfaßten, daß die Zeit kurz sei und daß bald<br />

getan wer<strong>de</strong>n müsse, was sie für ihre Mitmenschen tun wollten. Das Irdische trat in <strong>de</strong>n<br />

Hintergrund, die Ewigkeit schien frei vor ihnen zu liegen, und die das ewige Wohl und<br />

Wehe <strong>de</strong>r Seele betreffen<strong>de</strong>n Dinge stellten alle zeitlichen Fragen in <strong>de</strong>n Schatten. Der Geist<br />

Gottes ruhte auf ihnen und verlieh ihrem ernsten Aufruf an ihre Brü<strong>de</strong>r und an die Sün<strong>de</strong>r,<br />

sich auf <strong>de</strong>n Tag Gottes vorzubereiten, beson<strong>de</strong>re Kraft. Das stille Zeugnis ihres täglichen<br />

Wan<strong>de</strong>ls war für die scheinheiligen und unbekehrten Kirchenglie<strong>de</strong>r ein beständiger<br />

Vorwurf. Sie wünschten in ihrer Jagd nach Vergnügungen, Gel<strong>de</strong>rwerb und weltlicher Ehre<br />

nicht gestört zu wer<strong>de</strong>n. Auf diese Weise entstand Feindschaft und Wi<strong>de</strong>rstreit gegen die<br />

Adventwahrheit und ihre Verkün<strong>de</strong>r.<br />

Da die Beweisführungen aus <strong>de</strong>n prophetischen Zeitabschnitten nicht erschüttert wer<strong>de</strong>n<br />

konnten, bemühten sich die Gegner, von <strong>de</strong>r Untersuchung dieses Themas abzuraten, in<strong>de</strong>m<br />

sie lehrten, die Weissagungen seien versiegelt. Also folgten die Protestanten <strong>de</strong>n Fußtapfen<br />

<strong>de</strong>r römisch-katholischen Kirche. Während die päpstliche Kirche <strong>de</strong>n Laien die Bibel<br />

vorenthielt, behaupteten die protestantischen Kirchen, daß ein wichtiger Teil <strong>de</strong>s heiligen<br />

Wortes nicht verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n könne, und zwar jener Teil, <strong>de</strong>r vor allem Wahrheiten<br />

enthält, die auf unsere Zeit verweisen. Prediger und Volk erklärten, die Weissagungen<br />

Daniels und <strong>de</strong>r Offenbarung seien unverständliche Geheimnisse. Aber Christus hatte seine<br />

Jünger hinsichtlich <strong>de</strong>r Ereignisse, die in ihrer Zeit stattfin<strong>de</strong>n sollten, auf die Worte <strong>de</strong>s<br />

Propheten Daniel verwiesen und gesagt: „Wer das liest, <strong>de</strong>r merke darauf!“ Matthäus 24,15.<br />

Der Behauptung, daß die Offenbarung ein Geheimnis sei, das nicht verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n<br />

könne, wi<strong>de</strong>rspricht schon <strong>de</strong>r Titel dieses Buches: „Dies ist die Offenbarung Jesu Christi,<br />

die ihm Gott gegeben hat, seinen Knechten zu zeigen, was in <strong>de</strong>r Kürze geschehen soll ...<br />

Selig ist, <strong>de</strong>r da liest und die da hören die Worte <strong>de</strong>r Weissagung und behalten, was darin<br />

geschrieben ist; <strong>de</strong>nn die Zeit ist nahe.“ Offenbarung 1,1-3.<br />

Der Prophet sagt: „Selig ist, <strong>de</strong>r da liest.“ Es gibt solche, die nicht lesen wollen; so gilt<br />

ihnen auch <strong>de</strong>r Segen nicht. „Und die da hören“: Es gibt auch etliche, dich sich weigern,<br />

etwas von <strong>de</strong>n Weissagungen anzuhören; auch dieser Gruppe von Menschen gilt <strong>de</strong>r Segen<br />

nicht. „Und behalten, was darin geschrieben ist“: Viele weigern sich, auf die in <strong>de</strong>r<br />

237


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Offenbarung enthaltenen Warnungen und Unterweisungen achtzugeben; auch sie können<br />

<strong>de</strong>n verheißenen Segen nicht beanspruchen. Alle, welche die Weissagungen ins Lächerliche<br />

ziehen und über ihre feierlich gegebenen Sinnbil<strong>de</strong>r spotten; alle, die sich weigern, ihr<br />

Leben umzugestalten und sich auf die Zukunft <strong>de</strong>s Menschensohnes vorzubereiten, wer<strong>de</strong>n<br />

ohne Segen bleiben.<br />

Wie können Menschen es angesichts <strong>de</strong>s Zeugnisses <strong>de</strong>r göttlichen Eingebung wagen,<br />

zu lehren, daß die Offenbarung ein Geheimnis sei, das über <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>s menschlichen<br />

Verständnisses hinausgeht? Sie ist ein offenbartes Geheimnis, ein geöffnetes Buch. Das<br />

Studium <strong>de</strong>r Offenbarung lenkt die Gedanken auf die Weissagungen Daniels, und bei<strong>de</strong><br />

enthalten außeror<strong>de</strong>ntlich wichtige Unterweisungen, die Gott <strong>de</strong>n Menschen über die am<br />

En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Weltgeschichte stattfin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Ereignisse gegeben hat. Johannes wur<strong>de</strong> ein tiefer<br />

und durchdringen<strong>de</strong>r Einblick in die Erfahrungen <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> gewährt. Er schaute die<br />

Stellung, die Gefahren, die Kämpfe und die endliche Befreiung <strong>de</strong>s Volkes Gottes.<br />

Er vernahm die Schlußbotschaften, welche die Ernte <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> zur Reife bringen wer<strong>de</strong>n,<br />

entwe<strong>de</strong>r als Garben für die himmlischen Scheunen o<strong>de</strong>r als Reisigbün<strong>de</strong>l für das Feuer <strong>de</strong>r<br />

Vernichtung. Beson<strong>de</strong>rs wichtige Dinge wur<strong>de</strong>n ihm vor allem für die Gemein<strong>de</strong> offenbart,<br />

damit die, welche sich vom Irrtum zur Wahrheit wen<strong>de</strong>n sollten, über die ihnen<br />

bevorstehen<strong>de</strong>n Gefahren und Kämpfe unterrichtet wären. Niemand braucht über das<br />

zukünftige Geschehen auf Er<strong>de</strong>n im unklaren zu sein. Warum <strong>de</strong>nn diese weitverbreitete<br />

Unkenntnis über einen wichtigen Teil <strong>de</strong>r Schrift? Woher diese allgemeine Abneigung, ihre<br />

Lehren zu untersuchen? Es ist die Folge eines wohlberechneten Planes Satans, <strong>de</strong>s Fürsten<br />

<strong>de</strong>r Finsternis, vor <strong>de</strong>n Menschen das zu verbergen, was seine Täuschungen offenbar<br />

wer<strong>de</strong>n läßt. Aus diesem Grun<strong>de</strong> segnete Christus, <strong>de</strong>r Offenbarer, in<strong>de</strong>m er <strong>de</strong>n Kampf<br />

gegen das Studium <strong>de</strong>r Offenbarung voraussah, alle Menschen, die die Worte <strong>de</strong>r<br />

Weissagung lesen, hören und beachten.<br />

238


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 19- Licht durch Finsternis<br />

Das Werk Gottes auf Er<strong>de</strong>n zeigt durch alle Jahrhun<strong>de</strong>rte hindurch in je<strong>de</strong>r großen<br />

Reformation o<strong>de</strong>r religiösen Bewegung eine auffallen<strong>de</strong> Gleichartigkeit. Die Grundzüge <strong>de</strong>s<br />

Han<strong>de</strong>lns Gottes mit <strong>de</strong>n Menschen sind stets die gleichen. Die wichtigsten Bewegungen<br />

<strong>de</strong>r Gegenwart haben ihre Parallelen in <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Vergangenheit, und die Erfahrungen <strong>de</strong>r<br />

Gemein<strong>de</strong> früherer Zeiten bieten wertvolle Lehren für unsere heutige Zeit. Daß Gott durch<br />

seinen Heiligen Geist seine Diener auf Er<strong>de</strong>n in ganz beson<strong>de</strong>rer Weise in <strong>de</strong>n großen<br />

Bewegungen zur Weiterführung <strong>de</strong>s Heilswerkes lenkt, lehrt die Bibel mit aller Deutlichkeit.<br />

Menschen sind Werkzeuge in Gottes Hand; er bedient sich ihrer, um seine Absichten <strong>de</strong>r<br />

Gna<strong>de</strong> und <strong>de</strong>r Barmherzigkeit auszuführen. Je<strong>de</strong>r hat seine Aufgabe; je<strong>de</strong>m ist ein Maß an<br />

Erkenntnis verliehen, das <strong>de</strong>n Erfor<strong>de</strong>rnissen seiner Zeit entspricht und hinreicht, ihn zur<br />

Durchführung <strong>de</strong>s Werkes zu befähigen, das Gott ihm auferlegt hat. Aber kein Mensch, wie<br />

sehr er auch vom Himmel geehrt wer<strong>de</strong>n mag, hat <strong>de</strong>n großen Erlösungsplan völlig<br />

verstan<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r auch nur die göttliche Absicht in <strong>de</strong>m Werk für seine Zeit erkannt. Die<br />

Menschen verstehen nicht restlos, was Gott durch die Aufgabe, die er ihnen auferlegt,<br />

ausführen möchte; sie begreifen die Botschaft, die sie in seinem Namen verkündigen, nicht<br />

in ihrer ganzen Tragweite.<br />

„Meinst du, daß du wissest, was Gott weiß, und wollest es so vollkommen treffen wie<br />

<strong>de</strong>r Allmächtige?“ „Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind<br />

nicht meine Wege, spricht <strong>de</strong>r Herr; son<strong>de</strong>rn soviel <strong>de</strong>r Himmel höher ist <strong>de</strong>nn die Er<strong>de</strong>, so<br />

sind auch meine Wege höher <strong>de</strong>nn eure Wege und meine Gedanken <strong>de</strong>nn eure<br />

Gedanken.“ „Ich bin Gott, und keiner mehr, ein Gott, <strong>de</strong>sgleichen nirgend ist, <strong>de</strong>r ich<br />

verkündige zuvor, was hernach kommen soll, und vorlängst, ehe <strong>de</strong>nn es geschieht.“ Hiob<br />

11,7; Jesaja 55,8.9; Jesaja 46,9.10.<br />

Selbst die Propheten, die durch die beson<strong>de</strong>re Erleuchtung <strong>de</strong>s Geistes begünstigt<br />

wor<strong>de</strong>n waren, erfaßten die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r ihnen anvertrauten Offenbarungen nur zum Teil.<br />

Der Sinn sollte nach und nach entfaltet wer<strong>de</strong>n, je nach<strong>de</strong>m das Volk Gottes die darin<br />

enthaltenen Belehrungen benötigen wür<strong>de</strong>. Petrus schrieb von <strong>de</strong>r durch das Evangelium<br />

offenbarten Erlösung und sagte: „Nach dieser Seligkeit haben gesucht und geforscht die<br />

Propheten, die von <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong> geweissagt haben, so auf euch kommen sollte, und haben<br />

geforscht, auf welche und welcherlei Zeit <strong>de</strong>utete <strong>de</strong>r Geist Christi, <strong>de</strong>r in ihnen war und<br />

zuvor bezeugt hat die Lei<strong>de</strong>n, die über Christum kommen sollten, und die Herrlichkeit<br />

darnach; welchen es offenbart ist. Denn sie haben‘s nicht sich selbst, son<strong>de</strong>rn uns<br />

dargetan.“ 1.Petrus 1,10-12.<br />

Obgleich es <strong>de</strong>n Propheten nicht gegeben war, die ihnen offenbarten Dinge völlig zu<br />

verstehen, suchten sie doch ernsthaft alle Erkenntnis zu gewinnen, die ihnen zu gewähren<br />

Gott für gut befand. Sie suchten und forschten, auf welche und welcherlei Zeit <strong>de</strong>r Geist<br />

Christi <strong>de</strong>utete, <strong>de</strong>r in ihnen war. Welch eine Lehre für die Kin<strong>de</strong>r Gottes im christlichen<br />

239


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Zeitalter, zu <strong>de</strong>ren Nutzen diese Weissagungen <strong>de</strong>n Dienern Gottes gegeben wur<strong>de</strong>n! Nicht<br />

für sie selbst, son<strong>de</strong>rn für uns wur<strong>de</strong>n sie gegeben. Schaut diese heiligen Männer Gottes an,<br />

die in <strong>de</strong>n ihnen gegebenen Offenbarungen für die noch nicht geborenen Geschlechter<br />

gesucht und geforscht haben. Stellt ihren heiligen Eifer <strong>de</strong>r sorgenlosen Gleichgültigkeit<br />

gegenüber, mit <strong>de</strong>r die Bevorzugten späterer Jahrhun<strong>de</strong>rte diese Gabe <strong>de</strong>s Himmels<br />

behan<strong>de</strong>lten. Welch ein Vorwurf für die bequeme, weltlieben<strong>de</strong> Gleichgültigkeit, die sich<br />

mit <strong>de</strong>r Erklärung zufrie<strong>de</strong>n gibt, die Weissagungen seien nicht zu verstehen!<br />

Obwohl <strong>de</strong>r beschränkte menschliche Verstand unzulänglich ist, <strong>de</strong>n Rat <strong>de</strong>s Ewigen zu<br />

erforschen o<strong>de</strong>r das En<strong>de</strong> seiner Absichten völlig zu verstehen, so liegt es doch häufig an<br />

einem Irrtum o<strong>de</strong>r einer Vernachlässigung seitens <strong>de</strong>r Menschen, daß sie die Botschaften<br />

vom Himmel so unklar erfassen. Häufig sind die Gemüter, sogar die <strong>de</strong>r Knechte Gottes,<br />

durch menschliche Anschauungen, Satzungen und falsche Lehren so verblen<strong>de</strong>t, daß sie die<br />

großen Gedanken, die er in seinem Wort offenbart hat, nur teilweise begreifen können. So<br />

verhielt es sich mit <strong>de</strong>n Jüngern Christi, selbst als <strong>de</strong>r Heiland bei ihnen war. Ihr<br />

Verständnis war durchdrungen von <strong>de</strong>n volkstümlichen Begriffen vom Messias, die in ihm<br />

einen weltlichen Fürsten sahen, <strong>de</strong>r Israel zu einer weltumspannen<strong>de</strong>n Großmacht<br />

emporbringen sollte, und sie konnten die Be<strong>de</strong>utung seiner Worte, die seine Lei<strong>de</strong>n und<br />

seinen Tod voraussagten, nicht begreifen.<br />

Christus selbst hatte sie mit <strong>de</strong>r Botschaft hinausgesandt: „Die Zeit ist erfüllet, und das<br />

Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!“ Markus 1,15.<br />

Diese Botschaft grün<strong>de</strong>te sich auf Daniel 9. Der Engel hatte einst erklärt, daß die<br />

neunundsechzig Wochen bis auf Christus, <strong>de</strong>n Fürsten, reichen sollten; und mit großen<br />

Hoffnungen und freudigen Erwartungen blickten die Jünger vorwärts auf die Errichtung <strong>de</strong>s<br />

messianischen Reiches in Jerusalem, das die ganze Er<strong>de</strong> beherrschen sollte. Sie predigten<br />

die ihnen von Christus anvertraute Botschaft, obgleich sie ihren Sinn mißverstan<strong>de</strong>n.<br />

Während sich ihre Verkündigung auf Daniel 9,25 stützte, übersahen sie, daß — nach <strong>de</strong>m<br />

nächsten Vers <strong>de</strong>s gleichen Kapitels — <strong>de</strong>r Gesalbte ausgerottet wer<strong>de</strong>n sollte. Von ihrer<br />

frühesten Jugend an hing ihr Herz an <strong>de</strong>r vorausempfun<strong>de</strong>nen Herrlichkeit eines irdischen<br />

Reiches. Dadurch befan<strong>de</strong>n sie sich, was sowohl die prophetischen Angaben als auch die<br />

Worte Christi betrifft, in einem Zustand geistiger Blindheit.<br />

Sie erfüllten ihre Pflicht, in<strong>de</strong>m sie <strong>de</strong>r jüdischen Nation die Einladung <strong>de</strong>r<br />

Barmherzigkeit anboten, und dann, gera<strong>de</strong> zu <strong>de</strong>r Zeit, als sie erwarteten, daß ihr Herr <strong>de</strong>n<br />

Thron Davids einnehmen wer<strong>de</strong>, sahen sie ihn wie einen Übeltäter ergriffen, gegeißelt,<br />

verspottet, verurteilt und an das Kreuz von Golgatha geschlagen. Welche Verzweiflung und<br />

seelischen Qualen marterte die Herzen <strong>de</strong>r Jünger während <strong>de</strong>r Tage, da ihr Herr im Grabe<br />

schlief! Christus war zur vorhergesagten Zeit und auf die in <strong>de</strong>r Weissagung ange<strong>de</strong>utete<br />

Art und Weise gekommen. Das Zeugnis <strong>de</strong>r Schrift war in je<strong>de</strong>r Einzelheit seines Lehramtes<br />

erfüllt wor<strong>de</strong>n. Er hatte die Botschaft <strong>de</strong>s Heils verkündigt, und „seine Re<strong>de</strong> war<br />

gewaltig“ gewesen. Lukas 4,32. Seine Zuhörer hatten es an ihren Herzen erfahren, daß sie<br />

240


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

göttlichem Geist entstammte. Das Wort und <strong>de</strong>r Geist Gottes bestätigten die göttliche<br />

Sendung seines Sohnes. Die Jünger hingen noch immer mit unverän<strong>de</strong>rter Hingabe an ihrem<br />

geliebten Meister; und doch waren ihre Gemüter in Ungewißheit und Zweifel gehüllt. In<br />

ihrer Seelenangst dachten sie nicht an die Worte Christi, die auf seine Lei<strong>de</strong>n und auf seinen<br />

Tod hinwiesen. Wäre Jesus von Nazareth <strong>de</strong>r wahre Messias gewesen, wür<strong>de</strong>n sie dann auf<br />

solche Weise in Täuschung und Schmerz gestürzt wor<strong>de</strong>n sein? Diese Frage quälte ihre<br />

Seelen, als <strong>de</strong>r Heiland während <strong>de</strong>r hoffnungslosen Stun<strong>de</strong>n jenes Sabbats, <strong>de</strong>r zwischen<br />

seinem To<strong>de</strong> und seiner Auferstehung lag, im Grabe ruhte.<br />

Obgleich die Nacht <strong>de</strong>r Sorgen finster über diese Nachfolger Christi hereinbrach, waren<br />

sie doch nicht verlassen. Der Prophet sagte: „So ich im Finstern sitze, so ist doch <strong>de</strong>r Herr<br />

mein Licht ... er wird mich ans Licht bringen, daß ich meine Lust an seiner Gna<strong>de</strong><br />

sehe.“ „Denn auch Finsternis nicht finster ist bei dir, und die Nacht leuchtet wie <strong>de</strong>r Tag,<br />

Finsternis ist wie das Licht.“ Gott hatte gesagt: „Den Frommen geht das Licht auf in <strong>de</strong>r<br />

Finsternis.“ „Aber die Blin<strong>de</strong>n will ich auf <strong>de</strong>m Wege leiten, <strong>de</strong>n sie nicht wissen; ich will<br />

sie führen auf <strong>de</strong>n Steigen, die sie nicht kennen; ich will die Finsternis vor ihnen her zum<br />

Licht machen und das Höckerichte zur Ebene. Solches will ich ihnen tun und sie nicht<br />

verlassen.“ Micha 7,8.9; Psalm 139,12; Psalm 112,4; Jesaja 42,16.<br />

Die Verkündigung, die die Jünger im Namen <strong>de</strong>s Herrn hinausgetragen hatten, war in<br />

je<strong>de</strong>r Hinsicht richtig, und die Ereignisse, auf die sie verwiesen, spielten sich gera<strong>de</strong> zu <strong>de</strong>r<br />

Zeit ab. „Die Zeit ist erfüllet, und das Reich Gottes ist herbeigekommen!“ Markus 1,15. war<br />

ihre Botschaft gewesen. Beim Ablauf <strong>de</strong>r Zeit — <strong>de</strong>r neunundsechzig Wochen aus Daniel 9,<br />

die bis auf <strong>de</strong>n Messias, <strong>de</strong>n Gesalbten, reichen sollten — hatte Christus nach seiner Taufe<br />

durch Johannes im Jordan die Salbung <strong>de</strong>s Heiligen Geistes empfangen. Und das<br />

Himmelreich, das sie als herbeigekommen erklärt hatten, wur<strong>de</strong> beim To<strong>de</strong> Christi<br />

aufgerichtet. Dies Reich war nicht, wie man sie gelehrt hatte, ein irdisches Reich; auch war<br />

es nicht das zukünftige unvergängliche Reich, das erst aufgerichtet wer<strong>de</strong>n wird, wenn „das<br />

Reich, Gewalt und Macht unter <strong>de</strong>m ganzen Himmel wird <strong>de</strong>m heiligen Volk <strong>de</strong>s Höchsten<br />

gegeben wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>s Reich ewig ist“, und alle Gewalt ihm dienen und gehorchen wird.<br />

Daniel 7,27.<br />

In <strong>de</strong>r Bibel wer<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>m Ausdruck „Himmelreich“ sowohl das Reich <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong><br />

wie das Reich <strong>de</strong>r Herrlichkeit bezeichnet. Das Reich <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong> wird uns von Paulus im<br />

Hebräerbrief vor Augen geführt. Nach <strong>de</strong>m Hinweis auf Christus, <strong>de</strong>n barmherzigen<br />

Fürsprecher, <strong>de</strong>r sich unserer Schwachheit annimmt, fährt <strong>de</strong>r Apostel fort: „Darum lasset<br />

uns hinzutreten mit Freudigkeit zu <strong>de</strong>m Gna<strong>de</strong>nstuhl, auf daß wir Barmherzigkeit<br />

empfangen und Gna<strong>de</strong> fin<strong>de</strong>n.“ Hebräer 4,16. Der Gna<strong>de</strong>nstuhl o<strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong>nthron<br />

vergegenwärtigt das Gna<strong>de</strong>nreich, <strong>de</strong>nn das Vorhan<strong>de</strong>nsein eines Thrones setzt das<br />

Bestehen eines Reiches voraus. In vielen seiner Gleichnisse wen<strong>de</strong>t Christus <strong>de</strong>n Ausdruck<br />

„das Himmelreich“ an, um das Werk <strong>de</strong>r göttlichen Gna<strong>de</strong> an <strong>de</strong>n Herzen <strong>de</strong>r Menschen zu<br />

bezeichnen.<br />

241


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

So vergegenwärtigt <strong>de</strong>r Stuhl <strong>de</strong>r Herrlichkeit das Reich <strong>de</strong>r Herrlichkeit; und auf dieses<br />

Reich beziehen sich die Worte <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s: „Wenn aber <strong>de</strong>s Menschen Sohn kommen<br />

wird in seiner Herrlichkeit und alle heiligen Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf <strong>de</strong>m<br />

Stuhl seiner Herrlichkeit, und wer<strong>de</strong>n vor ihm alle Völker versammelt wer<strong>de</strong>n.“ Matthäus<br />

25,31.32. Dieses Reich liegt noch in <strong>de</strong>r Zukunft, es wird erst bei <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft Christi<br />

aufgerichtet wer<strong>de</strong>n. Das Reich <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong> wur<strong>de</strong> unmittelbar nach <strong>de</strong>m Sün<strong>de</strong>nfall<br />

eingesetzt, als ein Plan zur Erlösung <strong>de</strong>s schuldigen Menschengeschlechts entstand. Es<br />

offenbarte sich damals in <strong>de</strong>r Absicht und in <strong>de</strong>r Verheißung Gottes, und durch <strong>de</strong>n Glauben<br />

konnten die Menschen seine Untertanen wer<strong>de</strong>n. Tatsächlich wur<strong>de</strong> es jedoch erst beim<br />

To<strong>de</strong> Christi aufgerichtet. Noch nach <strong>de</strong>m Antritt seiner irdischen Mission hätte sich <strong>de</strong>r<br />

Heiland, ermattet von <strong>de</strong>r Hartnäckigkeit und Undankbarkeit <strong>de</strong>r Menschen, <strong>de</strong>m auf<br />

Golgatha darzubringen<strong>de</strong>n Opfer entziehen können. In Gethsemane zitterte <strong>de</strong>r<br />

Lei<strong>de</strong>nskelch in seiner Hand. Selbst da noch hätte er <strong>de</strong>n Blutschweiß von seiner Stirn<br />

wischen und das schuldige Geschlecht in seiner Sün<strong>de</strong> zugrun<strong>de</strong> gehen lassen können. Dann<br />

aber wäre die Erlösung für <strong>de</strong>n gefallenen Menschen unmöglich gewor<strong>de</strong>n. Doch als <strong>de</strong>r<br />

Heiland sein Leben hingab und mit seinem letzten Atemzug ausrief: „Es ist<br />

vollbracht!“ (Johannes 19,30), da war die Durchführung <strong>de</strong>s Erlösungsplanes gesichert. Die<br />

<strong>de</strong>m sündigen Paar in E<strong>de</strong>n gegebene Verheißung <strong>de</strong>s Heils war bestätigt. Das Reich <strong>de</strong>r<br />

Gna<strong>de</strong>, das zuvor in <strong>de</strong>r Verheißung Gottes bestan<strong>de</strong>n hatte, war nun aufgerichtet.<br />

Somit gereichte <strong>de</strong>r Tod Christi — gera<strong>de</strong> das Ereignis, das die Jünger als <strong>de</strong>n<br />

gänzlichen Untergang ihrer Hoffnung betrachtet hatten — dazu, diese für ewig zu grün<strong>de</strong>n.<br />

Während <strong>de</strong>r Tod Jesu sie grausam enttäuscht hatte, be<strong>de</strong>utete er doch <strong>de</strong>n höchsten Beweis,<br />

daß ihr Glaube richtig gewesen war. Das Ereignis, das sie mit Trauer und Verzweiflung<br />

erfüllt hatte, öffnete je<strong>de</strong>m Kind Adams die Tür <strong>de</strong>r Hoffnung. Im To<strong>de</strong> Jesu gipfelt das<br />

zukünftige Leben und die ewige Glückseligkeit <strong>de</strong>r Gottgetreuen aller Zeitalter.<br />

Absichten voll unendlicher Barmherzigkeit gingen gera<strong>de</strong> durch die Enttäuschung <strong>de</strong>r<br />

Jünger in Erfüllung. Während ihre Herzen von <strong>de</strong>r göttlichen Anmut und von <strong>de</strong>r Macht <strong>de</strong>r<br />

Lehre <strong>de</strong>ssen, <strong>de</strong>r da re<strong>de</strong>te, wie noch nie ein Mensch gere<strong>de</strong>t (Johannes 7,46) hatte,<br />

gewonnen wor<strong>de</strong>n waren, zeigte es sich, daß mit <strong>de</strong>m reinen Gold ihrer Liebe zu Jesus doch<br />

noch die wertlose Schlacke weltlichen Stolzes und selbstsüchtigen Ehrgeizes vermengt war.<br />

Noch im oberen Saal, wo alles für das Essen <strong>de</strong>s Passahlammes vorbereitet stand, in jener<br />

feierlichen Stun<strong>de</strong>, da <strong>de</strong>r Meister schon in <strong>de</strong>n Schatten Gethsemanes trat, „erhob sich ...<br />

ein Zank unter ihnen, welcher unter ihnen sollte für <strong>de</strong>n Größten gehalten wer<strong>de</strong>n“. Lukas<br />

22,24. Ihnen schwebte das Bild <strong>de</strong>s Thrones, <strong>de</strong>r Krone und <strong>de</strong>r Herrlichkeit vor Augen,<br />

während doch die Schmach und Seelenangst im Garten Gethsemane, das Richthaus und das<br />

Kreuz auf Golgatha vor ihnen lagen. Der Stolz ihres Herzens, ihr Verlangen nach<br />

weltlichem Ruhm verleitete sie, hartnäckig an <strong>de</strong>n falschen Lehren ihrer Zeit festzuhalten<br />

und die Worte <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s, welche die wahre Beschaffenheit seines Reiches beschrieben<br />

und auf seine Lei<strong>de</strong>n und seinen Tod hinwiesen, unbeachtet zu lassen. Und diese Irrtümer<br />

führten zu <strong>de</strong>r schweren aber notwendigen Prüfung, die zu ihrer Besserung zugelassen<br />

242


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

wur<strong>de</strong>. Obgleich die Jünger <strong>de</strong>n Sinn ihrer Botschaft verkehrt aufgefaßt hatten und sie ihre<br />

Erwartungen nicht verwirklicht sahen, so hatten sie doch die ihnen von Gott aufgetragene<br />

Warnung verkündigt, und <strong>de</strong>r Herr wollte ihren Glauben belohnen und ihren Gehorsam<br />

ehren. Ihnen sollte das Werk anvertraut wer<strong>de</strong>n, das herrliche Evangelium von ihrem<br />

auferstan<strong>de</strong>nen Herrn unter allen Völkern zu verbreiten. Um sie darauf vorzubereiten,<br />

mußten sie durch die ihnen so bitter erscheinen<strong>de</strong> Erfahrung hindurchgehen. Nach seiner<br />

Auferstehung erschien Jesus seinen Jüngern auf <strong>de</strong>m Wege nach Emmaus und „fing an von<br />

Mose und allen Propheten und legte ihnen alle Schriften aus, die von ihm gesagt waren“.<br />

Lukas 24,27. Die Herzen <strong>de</strong>r Jünger wur<strong>de</strong>n bewegt. Ihr Glaube entbrannte. Sie wur<strong>de</strong>n<br />

„wie<strong>de</strong>rgeboren ... zu einer lebendigen Hoffnung“ (1.Petrus 1,3), noch ehe sich Jesus ihnen<br />

zu erkennen gab. Es lag in seiner Absicht, ihren Verstand zu erleuchten und ihren Glauben<br />

auf das feste prophetische Wort zu grün<strong>de</strong>n.<br />

Er wünschte, daß die Wahrheit in ihren Herzen fest Wurzel faßte, nicht nur weil sie von<br />

seinem persönlichen Zeugnis unterstützt war, son<strong>de</strong>rn auch um <strong>de</strong>s untrüglichen Beweises<br />

willen, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Symbolen und Schattenbil<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Zeremonialgesetzes sowie in <strong>de</strong>n<br />

Weissagungen <strong>de</strong>s Alten Testaments lag. Es war für die Nachfolger Christi notwendig,<br />

einen verständigen Glauben zu haben, nicht nur um ihrer selbst willen, son<strong>de</strong>rn auch, um<br />

<strong>de</strong>r Welt die Erkenntnis Christi verkündigen zu können. Für <strong>de</strong>n allerersten Schritt im<br />

Weitergeben dieser Erkenntnis verwies Jesus die Jünger auf Mose und die Propheten. In <strong>de</strong>r<br />

Weise zeugte <strong>de</strong>r auferstan<strong>de</strong>ne Heiland von <strong>de</strong>m Wert und <strong>de</strong>r Wichtigkeit <strong>de</strong>r<br />

alttestamentlichen Schriften.<br />

Welch eine Verän<strong>de</strong>rung ging in <strong>de</strong>n Herzen <strong>de</strong>r Jünger vor, als sie noch einmal in das<br />

geliebte Antlitz ihres Meisters blickten! Lukas 24,32. In einem vollkommeneren und<br />

vollständigeren Sinn als je zuvor hatten sie <strong>de</strong>n „gefun<strong>de</strong>n, von welchem Mose im Gesetz<br />

und die Propheten geschrieben haben“. Johannes 1,45. Ungewißheit, Angst und<br />

Verzweiflung wichen vollkommener Zuversicht und felsenfestem Glauben. So war es nicht<br />

verwun<strong>de</strong>rlich, daß sie nach seiner Auferstehung „waren allewege im Tempel, priesen und<br />

lobten Gott“. Lukas 24,53.<br />

Das Volk, das nur von <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s schmachvollem To<strong>de</strong> wußte, erwartete in ihren<br />

Mienen einen Ausdruck von Trauer, Verwirrung und Enttäuschung zu fin<strong>de</strong>n; statt <strong>de</strong>ssen<br />

sah es Freu<strong>de</strong> und Siegesgefühl. Welch eine Vorbereitung hatten diese Jünger für die ihnen<br />

bevorstehen<strong>de</strong> Aufgabe empfangen! Sie waren durch die schwerste Prüfung<br />

hindurchgegangen, die sie treffen konnte, und hatten gesehen, daß das Wort Gottes sieghaft<br />

in Erfüllung ging, als nach menschlichem Urteil alles verloren war. Was vermochte ihren<br />

Glauben hinfort zu erschüttern o<strong>de</strong>r ihre glühen<strong>de</strong> Liebe zu dämpfen? In ihren bittersten<br />

Ängsten hatten sie „einen starken Trost“, eine Hoffnung, „einen sichern und festen<br />

Anker“ <strong>de</strong>r Seele. Hebräer 6,18.19. Sie waren Zeugen <strong>de</strong>r Weisheit und Macht Gottes<br />

gewesen und wußten „gewiß, daß we<strong>de</strong>r Tod noch Leben, we<strong>de</strong>r Engel noch Fürstentümer<br />

noch Gewalten, we<strong>de</strong>r Gegenwärtiges noch Zukünftiges, we<strong>de</strong>r Hohes noch Tiefes noch<br />

243


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

keine an<strong>de</strong>re Kreatur“ sie zu schei<strong>de</strong>n vermochte „von <strong>de</strong>r Liebe Gottes, die in Christo Jesu<br />

ist, unserm Herrn“. „In <strong>de</strong>m allem“, sagten sie, „überwin<strong>de</strong>n wir weit um <strong>de</strong>swillen, <strong>de</strong>r uns<br />

geliebt hat.“ Römer 8,38.39.37. „Aber <strong>de</strong>s Herrn Wort bleibt in Ewigkeit.“ „Wer will<br />

verdammen? Christus ist hier, <strong>de</strong>r gestorben ist, ja vielmehr, <strong>de</strong>r auch auferwecket ist,<br />

welcher ist zur Rechten Gottes und vertritt uns.“ 1.Petrus 1,25; Römer 8,34. Der Herr sagt:<br />

„Mein Volk soll nicht mehr zu Schan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.“<br />

„Den Abend lang währt das Weinen, aber <strong>de</strong>s Morgens ist Freu<strong>de</strong>.“ Joel 2,26; Psalm<br />

30,6. Hätten die Jünger ihre gegenwärtige Hoffnung wohl gegen die Hoffnung ihrer<br />

früheren Jüngerschaft tauschen mögen, als sie <strong>de</strong>n Heiland an seinem Auferstehungstag<br />

trafen und ihre Herzen brannten, während sie seinen Worten lauschten? Was ging in ihnen<br />

vor, als sie auf Haupt, Hän<strong>de</strong> und Füße blickten, die um ihretwillen verwun<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n<br />

waren? Welche Gedanken erfüllten sie, als Jesus sie vor seiner Himmelfahrt gen Bethanien<br />

führte, segnend seine Hän<strong>de</strong> erhob und ihnen gebot: „Gehet hin in alle Welt und prediget<br />

das Evangelium aller Kreatur“, und dann hinzusetzte, „<strong>de</strong>nn siehe, ich bin bei euch alle<br />

Tage“? Markus 16,15; Matthäus 28,20. Wo war nur ihre Angst vor <strong>de</strong>m Weg, <strong>de</strong>r sie durch<br />

Opfer und Martertod führen sollte, als am Tage <strong>de</strong>r Pfingsten <strong>de</strong>r verheißene Tröster<br />

herabkam, ihnen die Kraft aus <strong>de</strong>r Höhe vermittelte und die Gläubigen sich <strong>de</strong>r Gegenwart<br />

ihres aufgefahrenen Herrn bewußt wur<strong>de</strong>n? Ob die Jünger angesichts aller dieser<br />

Erfahrungen wohl das Amt <strong>de</strong>s Evangeliums seiner Gna<strong>de</strong> und „die Krone <strong>de</strong>r<br />

Gerechtigkeit“ (2.Timotheus 4,8), die sie bei seinem Erscheinen empfangen sollten, gegen<br />

die Herrlichkeit eines irdischen Thrones hätten vertau schen wollen? Der „aber, <strong>de</strong>r<br />

überschwenglich tun kann über alles, das wir bitten o<strong>de</strong>r verstehen“, hatte ihnen mit <strong>de</strong>r<br />

Gemeinschaft seiner Lei<strong>de</strong>n auch die Gemeinschaft seiner Freu<strong>de</strong> verliehen, — <strong>de</strong>r Freu<strong>de</strong>,<br />

„viel Kin<strong>de</strong>r ... zur Herrlichkeit“ zu führen; es ist eine unaussprechliche Freu<strong>de</strong>, „eine ewige<br />

und über alle Maßen wichtige Herrlichkeit“, und „unsre Trübsal, die zeitlich und leicht“, ist<br />

ihr gegenüber, wie Paulus sagt, „nicht wert“. Epheser 3,20; Hebräer 2,10; 2.Korinther 4,17;<br />

Römer 8,18.<br />

Die Erfahrung <strong>de</strong>r Jünger, die beim ersten Kommen Christi „das Evangelium vom<br />

Reich“ verkündigten, hat ihr Gegenstück in <strong>de</strong>r Erfahrung <strong>de</strong>rer, die die Botschaft seiner<br />

Wie<strong>de</strong>rkunft verbreiteten. Gleichwie die Jünger hinausgingen und predigten: „Die Zeit ist<br />

erfüllet, das Reich Gottes ist herbeigekommen“, so verkündigten Miller und seine<br />

Mitarbeiter, daß <strong>de</strong>r längste und letzte prophetische Zeitabschnitt, <strong>de</strong>n die Bibel erwähnt,<br />

fast abgelaufen sei, daß das Gericht unmittelbar bevorstän<strong>de</strong> und das ewige Reich bald<br />

anbrechen wür<strong>de</strong>. Die Predigt <strong>de</strong>r Jünger grün<strong>de</strong>te sich hinsichtlich <strong>de</strong>r Zeit auf die siebzig<br />

Wochen in Daniel 9. Die von Miller und seinen Gefährten verbreitete Botschaft kün<strong>de</strong>te <strong>de</strong>n<br />

Ablauf <strong>de</strong>r zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt Tage an, von <strong>de</strong>nen die siebzig Wochen einen Teil<br />

bil<strong>de</strong>n. Mithin hatte die Predigt sowohl <strong>de</strong>r Jünger als auch Millers die Erfüllung je eines<br />

Teiles <strong>de</strong>rselben prophetischen Zeitspanne zu ihrer festen Grundlage. Gleich <strong>de</strong>n ersten<br />

Jüngern verstan<strong>de</strong>n William Miller und seine Freun<strong>de</strong> selbst nicht völlig die Tragweite <strong>de</strong>r<br />

Botschaft, die sie verkündigten. Lange in <strong>de</strong>r Kirche genährte Irrtümer hin<strong>de</strong>rten sie, zur<br />

244


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

richtigen Auslegung einer wichtigen Seite <strong>de</strong>r Weissagung zu gelangen. Obgleich sie die<br />

Botschaft predigten, die Gott ihnen zur Verkündigung an die Welt anvertraut hatte, wur<strong>de</strong>n<br />

sie <strong>de</strong>nnoch durch eine falsche Auffassung ihrer Be<strong>de</strong>utung enttäuscht.<br />

Bei <strong>de</strong>r Erklärung von Daniel 8,14: „Bis zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt Aben<strong>de</strong> und Morgen<br />

um sind, dann wird das Heiligtum wie<strong>de</strong>r geweiht wer<strong>de</strong>n“, teilte Miller die allgemein<br />

herrschen<strong>de</strong> Ansicht, daß die Er<strong>de</strong> das Heiligtum sei. Er glaubte, daß die Weihe <strong>de</strong>s<br />

Heiligtums, die Läuterung <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> durch Feuer, am Tage <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft <strong>de</strong>s Herrn<br />

stattfän<strong>de</strong>. Als er fand, daß <strong>de</strong>r Ablauf <strong>de</strong>r zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt Tage bestimmt<br />

angegeben wor<strong>de</strong>n war, schloß er daraus, daß dies die Zeit <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft offenbare. Sein<br />

Irrtum entstand dadurch, daß er bezüglich <strong>de</strong>s Heiligtums die volkstümliche Ansicht<br />

annahm.<br />

Im Schattendienst, <strong>de</strong>r ein Hinweis auf das Opfer und die Priesterschaft war, bil<strong>de</strong>te die<br />

Reinigung (Weihe) <strong>de</strong>s Heiligtums <strong>de</strong>n letzten Dienst, <strong>de</strong>r vom Hohenpriester in <strong>de</strong>r<br />

jährlichen Amtsführung ausgeübt wur<strong>de</strong>. Es war dies das abschließen<strong>de</strong> Werk <strong>de</strong>r<br />

Versöhnung, ein Wegschaffen o<strong>de</strong>r Abtun <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> von Israel, und versinnbil<strong>de</strong>te das<br />

Schlußwerk im Amte unseres Hohenpriesters im Himmel, wobei er die Sün<strong>de</strong>n seines<br />

Volkes, die in <strong>de</strong>n himmlischen Büchern verzeichnet stehen, hinwegnimmt o<strong>de</strong>r austilgt.<br />

Dieser Dienst schließt eine Untersuchung, einen Gerichtsprozeß ein, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft<br />

Christi in <strong>de</strong>n Wolken <strong>de</strong>s Himmels mit großer Macht und Herrlichkeit unmittelbar<br />

voraufgeht; <strong>de</strong>nn wenn er erscheint, ist je<strong>de</strong>r Fall schon entschie<strong>de</strong>n wor<strong>de</strong>n. Jesus sagt:<br />

„Siehe, ich komme bald und mein Lohn mit mir, zu geben einem jeglichen, wie seine Werke<br />

sein wer<strong>de</strong>n.“ Offenbarung 22,12.<br />

Dieses Gericht vor <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft wird in <strong>de</strong>r ersten Engelsbotschaft von Offenbarung<br />

14,7 angekündigt: „Fürchtet Gott und gebet ihm die Ehre; <strong>de</strong>nn die Zeit seines Gerichts ist<br />

gekommen!“ Alle, die diese Warnung verkündigten, gaben die richtige Botschaft zur<br />

rechten Zeit. Doch wie die ersten Jünger auf Grund <strong>de</strong>r Weissagung in Daniel 9 erklärten:<br />

„Die Zeit ist erfüllet, und das Reich Gottes ist herbeigekommen“ und <strong>de</strong>nnoch nicht<br />

erkannten, daß <strong>de</strong>r Tod <strong>de</strong>s Messias in <strong>de</strong>r gleichen Schriftstelle angekündigt wur<strong>de</strong>, so<br />

predigten auch Miller und seine Mitarbeiter die auf Daniel 8,14 und Offenbarung 14,7<br />

beruhen<strong>de</strong> Botschaft, ohne zu erkennen, daß in Offenbarung 14 noch an<strong>de</strong>re Botschaften<br />

dargelegt waren, die ebenfalls vor <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft Christi verkündigt wer<strong>de</strong>n sollten. Wie<br />

sich die Jünger über das Reich getäuscht hatten, das am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r siebzig Wochen<br />

aufgerichtet wer<strong>de</strong>n sollte, so befan<strong>de</strong>n sich die Adventisten bezüglich <strong>de</strong>s Ereignisses, das<br />

für das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt Tage verheißen war, im Irrtum. Bei<strong>de</strong> Male war es<br />

eine Annahme o<strong>de</strong>r vielmehr ein Festhalten an <strong>de</strong>n volkstümlichen Irrtümern, das <strong>de</strong>n Sinn<br />

für die Wahrheit verdunkelte.<br />

Jünger wie Adventisten erfüllten <strong>de</strong>n Willen Gottes in<strong>de</strong>m sie die Botschaft predigten,<br />

die verkündigt wer<strong>de</strong>n sollte; bei<strong>de</strong> Gruppen wur<strong>de</strong>n infolge ihrer verkehrten Auffassung<br />

von <strong>de</strong>r Botschaft Gottes enttäuscht. Dennoch erreichte Gott seine wohltätige Absicht, und<br />

245


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

er ließ es zu, daß die Gerichtswarnung auf die erwähnte Weise verkündigt wur<strong>de</strong>. Der große<br />

Tag stand nahe bevor, und in Gottes Vorsehung wur<strong>de</strong>n die Menschen bezüglich einer<br />

bestimmten Zeit geprüft, um ihnen zu offenbaren, was in ihren Herzen war. Die Botschaft<br />

war zur Prüfung und Reinigung <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong>n bestimmt. Diese sollten dahin gebracht<br />

wer<strong>de</strong>n, zu erkennen, ob ihre Herzen auf diese Welt o<strong>de</strong>r auf Christus und <strong>de</strong>n Himmel<br />

gerichtet waren. Sie gaben vor, <strong>de</strong>n Heiland zu lieben; nun sollten sie ihre Liebe beweisen.<br />

Waren sie bereit, ihre weltlichen Hoffnungen und ehrgeizigen Pläne fahren zu lassen und<br />

mit Freu<strong>de</strong>n die Ankunft ihres Herrn zu erwarten? Die Botschaft sollte sie befähigen, ihren<br />

wahren geistlichen Zustand zu erkennen; sie war in Gna<strong>de</strong>n gesandt wor<strong>de</strong>n, um sie<br />

anzuspornen, <strong>de</strong>n Herrn reuig und <strong>de</strong>mütig zu suchen.<br />

Auch die Fehlrechnung, die sie verkündigten — obgleich sie die Folge ihrer eigenen<br />

verkehrten Auffassung <strong>de</strong>r Botschaft war —, sollte zum Besten gewen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. Sie stellte<br />

die Herzen <strong>de</strong>rer, die vorgegeben hatten, die Warnung anzunehmen, auf die Probe. Wür<strong>de</strong>n<br />

sie angesichts ihrer Enttäuschung ihre Erfahrung aufgeben und ihr Vertrauen auf das Wort<br />

Gottes wegwerfen? O<strong>de</strong>r wür<strong>de</strong>n sie <strong>de</strong>mütig und unter Gebet zu ent<strong>de</strong>cken suchen, wo sie<br />

die Weissagung falsch verstan<strong>de</strong>n hatten? Wie viele hatten aus Furcht, aus blin<strong>de</strong>m Antrieb<br />

und in Erregung gehan<strong>de</strong>lt? Wie viele waren halbherzig und ungläubig? Tausen<strong>de</strong><br />

bekannten, die Erscheinung <strong>de</strong>s Herrn liebzuhaben. Wür<strong>de</strong>n sie unter <strong>de</strong>m Spott und <strong>de</strong>r<br />

Schmach <strong>de</strong>r Welt, unter <strong>de</strong>r Verzögerung und Enttäuschung <strong>de</strong>n Glauben verleugnen?<br />

Wür<strong>de</strong>n sie, weil sie Gottes Handlungsweise mit ihnen nicht gleich verstehen konnten,<br />

Wahrheiten beiseitesetzen, die auf <strong>de</strong>n sehr klaren Aussagen seines Wortes beruhten?<br />

Diese Probe sollte die Standhaftigkeit <strong>de</strong>rer offenbaren, die im Glauben gehorsam<br />

gewesen waren gegen das, was sie als Lehre <strong>de</strong>s Wortes Gottes angenommen hatten. Diese<br />

Erfahrung war wie keine an<strong>de</strong>re bestimmt, ihnen die Gefahren zu zeigen, die damit<br />

verknüpft sind, wenn <strong>Theorie</strong>n und Auslegungen <strong>de</strong>r Menschen angenommen wer<strong>de</strong>n, statt<br />

die Bibel sich selbst erklären zu lassen. In <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Glaubens wür<strong>de</strong>n die aus ihrem<br />

Irrtum hervorgehen<strong>de</strong>n Schwierigkeiten und Sorgen die nötige Besserung wirken; sie<br />

wür<strong>de</strong>n zu einem gründlicheren Studium <strong>de</strong>s prophetischen Wortes veranlaßt wer<strong>de</strong>n und<br />

lernen, die Grundlagen ihres Glaubens sorgfältiger zu prüfen und alles Unbiblische, wie<br />

verbreitet es auch in <strong>de</strong>r Christenheit sein mochte, zu verwerfen. Diese Gläubigen sollten<br />

wie die ersten Jünger über das, was sie in <strong>de</strong>r Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Prüfung nicht verstan<strong>de</strong>n, später<br />

aufgeklärt wer<strong>de</strong>n. Sähen sie „das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Herrn“ (Jakobus 5,11), dann wüßten sie, daß<br />

sich seine Liebesabsichten ihnen gegenüber trotz <strong>de</strong>r Schwierigkeiten, die sich aus ihren<br />

Irrtümern ergaben, erfüllt hatten. Sie erkennten durch eine segenbringen<strong>de</strong> Erfahrung, daß<br />

<strong>de</strong>r Herr „barmherzig und ein Erbarmer“ ist; daß alle seine Wege „sind eitel Güte und<br />

Wahrheit <strong>de</strong>nen, die seinen Bund und seine Zeugnisse halten“. Psalm 25,10.<br />

246


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 20- Eine große religiöse Erweckung<br />

In <strong>de</strong>r Weissagung über die erste Engelsbotschaft in Offenbarung 14 wird unter <strong>de</strong>r<br />

Verkündigung <strong>de</strong>r baldigen Ankunft Christi eine große religiöse Erweckung vorhergesagt.<br />

Johannes sieht „einen Engel fliegen mitten durch <strong>de</strong>n Himmel, <strong>de</strong>r hatte ein ewiges<br />

Evangelium zu verkündigen <strong>de</strong>nen, die auf Er<strong>de</strong>n wohnen, und allen Hei<strong>de</strong>n und<br />

Geschlechtern und Sprachen und Völkern“. Mit großer Stimme verkün<strong>de</strong>te er die Botschaft:<br />

„Fürchtet Gott und gebet ihm die Ehre; <strong>de</strong>nn die Zeit seines Gerichts ist gekommen! Und<br />

betet an <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r gemacht hat Himmel und Er<strong>de</strong> und Meer und die<br />

Wasserbrunnen.“ Offenbarung 14,6.7.<br />

Die Tatsache, daß ein Engel als Herold dieser Warnung bezeichnet wird, ist<br />

be<strong>de</strong>utungsvoll. Es hat <strong>de</strong>r göttlichen Weisheit gefallen, durch die Reinheit, Herrlichkeit und<br />

Macht <strong>de</strong>s himmlischen Boten die Erhabenheit <strong>de</strong>s durch die Botschaft auszuführen<strong>de</strong>n<br />

Werkes sowie die Macht und Herrlichkeit, die sie begleiten sollten, darzustellen. Der<br />

„mitten durch <strong>de</strong>n Himmel“ fliegen<strong>de</strong> Engel, die „große Stimme“, mit <strong>de</strong>r die Botschaft<br />

verkündigt wird, und ihre Verbreitung unter allen, „die auf Er<strong>de</strong>n wohnen“ — „allen Hei<strong>de</strong>n<br />

und Geschlechtern und Sprachen und Völkern“ —, bekun<strong>de</strong>n die Schnelligkeit und die<br />

weltweite Aus<strong>de</strong>hnung <strong>de</strong>r Bewegung.<br />

Die Botschaft erhellt die Zeit, wann diese Bewegung stattfin<strong>de</strong>n soll. Es heißt, daß sie<br />

ein Teil <strong>de</strong>s „ewigen Evangeliums“ sei, und sie kündigt <strong>de</strong>n Beginn <strong>de</strong>s Gerichts an. Die<br />

Heilsbotschaft ist zu allen Zeiten verkündigt wor<strong>de</strong>n; aber diese Botschaft hier ist ein Teil<br />

<strong>de</strong>s Evangeliums, das nur in <strong>de</strong>n letzten Tagen verkündigt wer<strong>de</strong>n kann, <strong>de</strong>nn nur dann<br />

wür<strong>de</strong> es wahr sein, daß die Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Gerichts gekommen ist. Die Weissagungen zeigen<br />

eine Reihe von Ereignissen, die bis zum Beginn <strong>de</strong>s Gerichts reichen. Dies ist beson<strong>de</strong>rs bei<br />

<strong>de</strong>m Buche Daniel <strong>de</strong>r Fall. Jenen Teil seiner Weissagungen aber, <strong>de</strong>r sich auf die letzten<br />

Tage bezieht, sollte Daniel verbergen und versiegeln „bis auf die letzte Zeit“. Erst dann, als<br />

diese Zeit erreicht war, konnte die Botschaft <strong>de</strong>s Gerichts, die sich auf die Erfüllung dieser<br />

Weissagung grün<strong>de</strong>t, verkündigt wer<strong>de</strong>n. Aber in <strong>de</strong>r letzten Zeit, sagt <strong>de</strong>r Prophet, „wer<strong>de</strong>n<br />

viele darüberkommen und großen Verstand fin<strong>de</strong>n“. Daniel 12,4.<br />

Der Apostel Paulus warnte die Gemein<strong>de</strong>, die Wie<strong>de</strong>rkunft Christi in seinen Tagen zu<br />

erwarten: „Denn er (<strong>de</strong>r Tag Christi) kommt nicht, es sei <strong>de</strong>nn, daß zuvor <strong>de</strong>r Abfall komme<br />

und offenbart wer<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>.“ 2.Thessalonicher 2,3. Erst nach <strong>de</strong>m großen<br />

Abfall und <strong>de</strong>r langen Regierungszeit <strong>de</strong>s „Menschen <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>“ dürfen wir die Ankunft<br />

unseres Herrn erwarten. Diese Zeit en<strong>de</strong>te im Jahre 1798. Das Kommen Christi konnte nicht<br />

vor jener Zeit stattfin<strong>de</strong>n. Die Warnung <strong>de</strong>s Paulus erstreckt sich über die lange christliche<br />

Bun<strong>de</strong>szeit bis zum Jahre 1798. Erst danach sollte die Botschaft von <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft<br />

Christi verkündigt wer<strong>de</strong>n.<br />

Eine solche Botschaft wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n vergangenen Zeiten nie gepredigt. Paulus<br />

verkündigte sie, wie wir gesehen haben, nicht, er verwies seine Brü<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>r<br />

247


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Wie<strong>de</strong>rkunft <strong>de</strong>s Herrn in die damals weit entfernte Zukunft. Die Reformatoren<br />

verkündigten sie nicht. Martin Luther erwartete das Gericht ungefähr dreihun<strong>de</strong>rt Jahre nach<br />

seiner Zeit. Aber seit <strong>de</strong>m Jahre 1798 ist das Buch Daniel entsiegelt wor<strong>de</strong>n, das<br />

Verständnis <strong>de</strong>r Weissagungen hat zugenommen, und viele haben die feierliche Botschaft<br />

von <strong>de</strong>m nahen Gericht verkündigt.<br />

Wie die große Reformation im 16. Jahrhun<strong>de</strong>rt, so kam die Adventbewegung<br />

gleichzeitig in verschie<strong>de</strong>nen Län<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Christenheit auf. Sowohl in Europa als auch in<br />

Amerika studierten Männer <strong>de</strong>s Glaubens und <strong>de</strong>s Gebets die Weissagungen, verfolgten die<br />

von Gott eingegebenen Berichte und fan<strong>de</strong>n überzeugen<strong>de</strong> Beweise, daß das En<strong>de</strong> aller<br />

Dinge nahe war. In verschie<strong>de</strong>nen Län<strong>de</strong>rn entstan<strong>de</strong>n vereinzelte Gruppen von Christen,<br />

die allein durch das Studium <strong>de</strong>r Heiligen Schrift zu <strong>de</strong>r Überzeugung gelangten, daß die<br />

Ankunft <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s bevorstand.<br />

Im Jahre 1821, drei Jahre nach<strong>de</strong>m Miller das Verständnis <strong>de</strong>r Weissagungen<br />

aufgegangen war, die auf die Zeit <strong>de</strong>s Gerichts hinwiesen, begann Dr. Joseph Wolff, „<strong>de</strong>r<br />

Missionar für die ganze Welt“, das baldige Kommen <strong>de</strong>s Herrn zu verkündigen. Wolff war<br />

Ju<strong>de</strong>, aus Deutschland gebürtig; sein Vater war Rabbiner. Schon sehr früh wur<strong>de</strong> Wolff von<br />

<strong>de</strong>r Wahrheit <strong>de</strong>r christlichen Religion überzeugt. Von tätigem und forschen<strong>de</strong>m Verstand,<br />

hatte er aufmerksam <strong>de</strong>n im elterlichen Hause stattfin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Gesprächen gelauscht, wenn<br />

sich dort täglich fromme Ju<strong>de</strong>n einfan<strong>de</strong>n, um die Hoffnungen und Erwartungen ihres<br />

Volkes, die Herrlichkeit <strong>de</strong>s kommen<strong>de</strong>n Messias und die Wie<strong>de</strong>raufrichtung Israels zu<br />

besprechen. Als <strong>de</strong>r Knabe eines Tages <strong>de</strong>n Namen Jesus von Nazareth hörte, fragte er, wer<br />

das sei. Die Antwort lautete: „Ein höchst begabter Ju<strong>de</strong>; weil er aber vorgab, <strong>de</strong>r Messias zu<br />

sein, verurteilte ihn das jüdische Gericht zum To<strong>de</strong>.“ — „Warum ist Jerusalem zerstört“,<br />

fuhr <strong>de</strong>r Fragesteller fort, „und warum sind wir in Gefangenschaft?“ — „Ach“, antwortete<br />

<strong>de</strong>r Vater, „weil die Ju<strong>de</strong>n die Propheten umbrachten.“ Dem Kind kam sofort <strong>de</strong>r Gedanke:<br />

„Vielleicht war auch Jesus von Nazareth ein Prophet, und die Ju<strong>de</strong>n haben ihn getötet,<br />

obgleich er unschuldig war.“ Dies Gefühl war so stark, daß er, obwohl es ihm untersagt war,<br />

eine christliche Kirche zu betreten, doch oft draußen stehenblieb, um <strong>de</strong>r Predigt zuzuhören.<br />

Als er erst sieben Jahre alt war, prahlte er vor einem betagtem christlichen Nachbar von<br />

<strong>de</strong>m zukünftigen Triumph Israels beim Kommen <strong>de</strong>s Messias, worauf <strong>de</strong>r alte Mann<br />

freundlich sagte: „Mein Junge, ich will dir sagen, wer <strong>de</strong>r wirkliche Messias war: Es war<br />

Jesus von Nazareth, ... <strong>de</strong>n <strong>de</strong>ine Vorfahren kreuzigten, wie sie vorzeiten auch die Propheten<br />

umbrachten. Geh heim und lies das 53. Kapitel <strong>de</strong>s Jesaja, und du wirst überzeugt wer<strong>de</strong>n,<br />

daß Jesus Christus <strong>de</strong>r Sohn Gottes ist.“ Wolff war sofort davon überzeugt, ging nach Hause,<br />

las <strong>de</strong>n betreffen<strong>de</strong>n Abschnitt und gewahrte mit Verwun<strong>de</strong>rung, wie vollkommen dieser in<br />

Jesus von Nazareth erfüllt wor<strong>de</strong>n war. Konnten die Worte <strong>de</strong>s Christen wahr sein? Der<br />

Knabe bat seinen Vater um eine Erklärung <strong>de</strong>r Weissagung; dieser aber trat ihm mit einem<br />

so finsteren Schweigen entgegen, daß er es nie wie<strong>de</strong>r wagte, darauf zurückzukommen.<br />

248


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Immerhin verstärkte sich hierdurch sein Verlangen, mehr von <strong>de</strong>r christlichen Religion zu<br />

erfahren.<br />

Die Erkenntnis, die er suchte, wur<strong>de</strong> in seinem jüdischen Familienkreis sorgfältig von<br />

ihm ferngehalten; aber als er elf Jahre alt war, verließ er seines Vaters Haus, um in die Welt<br />

hinauszugehen, sich eine Ausbildung zu verschaffen und Religion und Beruf zu wählen. Er<br />

fand eine Zeitlang bei Verwandten Unterkunft, wur<strong>de</strong> aber bald als Abtrünniger von ihnen<br />

vertrieben und mußte sich allein und mittellos seinen Weg unter Frem<strong>de</strong>n bahnen. Er zog<br />

von Ort zu Ort, studierte fleißig und verdiente sich seinen Unterhalt durch hebräischen<br />

Sprachunterricht. Durch <strong>de</strong>n Einfluß eines katholischen Lehrers wur<strong>de</strong> er zum päpstlichen<br />

Glauben geführt, und er faßte <strong>de</strong>n Entschluß, Missionar unter seinem eigenen Volk zu<br />

wer<strong>de</strong>n. In dieser Absicht ging er wenige Jahre später an das katholische Missionsinstitut<br />

nach Rom, um dort seine Studien fortzusetzen. Hier trug ihm seine Gewohnheit, unabhängig<br />

zu <strong>de</strong>nken und offen zu re<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n Vorwurf <strong>de</strong>r Ketzerei ein. Er griff vorbehaltlos die<br />

Mißbräuche <strong>de</strong>r Kirche an und betonte die Notwendigkeit einer Umgestaltung. Obgleich er<br />

zuerst von <strong>de</strong>n päpstlichen Wür<strong>de</strong>nträgern mit beson<strong>de</strong>rer Gunst behan<strong>de</strong>lt wor<strong>de</strong>n war,<br />

mußte er doch nach einiger Zeit Rom verlassen. Unter <strong>de</strong>r Aufsicht <strong>de</strong>r Kirche ging er von<br />

Ort zu Ort, bis man sich überzeugt hatte, daß er sich niemals <strong>de</strong>m Joch <strong>de</strong>r römischen<br />

Kirche unterwerfen wür<strong>de</strong>. Man nannte ihn unverbesserlich und ließ ihn gehen, wohin er<br />

wollte. Er schlug nun <strong>de</strong>n Weg nach England ein und trat, in<strong>de</strong>m er <strong>de</strong>n protestantischen<br />

Glauben annahm, zur anglikanischen Kirche über. Nach zweijährigem intensivem Studium<br />

begann er im Jahre 1821 sein Lebenswerk.<br />

Während Wolff die große Wahrheit von <strong>de</strong>r ersten Ankunft Christi als „<strong>de</strong>s<br />

Allerverachtetsten und Unwertesten, voller Schmerzen und Krankheit“ annahm, erkannte er,<br />

daß die Weissagungen mit gleicher Deutlichkeit seine Wie<strong>de</strong>rkunft in Macht und<br />

Herrlichkeit vor Augen führten. Und während er sein Volk zu Jesus von Nazareth, <strong>de</strong>m<br />

Verheißenen, führen und <strong>de</strong>ssen Erscheinen in Niedrigkeit als ein Opfer für die Sün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r<br />

Menschen zeigen wollte, wies er sie gleichzeitig auf Christi Wie<strong>de</strong>rkunft als König und<br />

Erlöser hin.<br />

Er sagte: „Jesus von Nazareth, <strong>de</strong>r wahre Messias, <strong>de</strong>ssen Hän<strong>de</strong> und Füße durchbohrt<br />

wur<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r wie ein Lamm zur Schlachtbank geführt wur<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r ein Mann <strong>de</strong>r Schmerzen<br />

und Lei<strong>de</strong>n war, <strong>de</strong>r zum erstenmal kam, nach<strong>de</strong>m das Zepter von Juda und <strong>de</strong>r<br />

Herrscherstab von seinen (Judas) Füßen gewichen war, wird zum zweiten Male kommen in<br />

<strong>de</strong>n Wolken <strong>de</strong>s Himmels mit <strong>de</strong>r Posaune <strong>de</strong>s Erzengels.“ Er wird „auf <strong>de</strong>m Ölberge stehen;<br />

und jene Herrschaft über die Schöpfung, die einst Adam zugewiesen war und von ihm<br />

verwirkt wur<strong>de</strong> (1.Mose 1,26; 1.Mose 3,17), wird Jesus gegeben wer<strong>de</strong>n. Er wird König<br />

sein über die ganze Er<strong>de</strong>. Das Seufzen und Klagen <strong>de</strong>r Schöpfung wird aufhören, und Lobund<br />

Danklie<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n erschallen ... Wenn Jesus in <strong>de</strong>r Herrlichkeit seines Vaters mit<br />

seinen heiligen Engeln kommt ... wer<strong>de</strong>n die ‚Toten in Christo‘ zuerst auferstehen<br />

(1.Thessalonicher 4,16; 1.Korinther 15,23). Dies nennen wir Christen die erste<br />

249


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Auferstehung. Danach wird die Tierwelt ihren Charakter än<strong>de</strong>rn (Jesaja 11,6-9) und Jesus<br />

untertan wer<strong>de</strong>n. Psalm 8. Allgemeiner Frie<strong>de</strong> wird herrschen“. „Der Herr wird wie<strong>de</strong>rum<br />

auf die Er<strong>de</strong> nie<strong>de</strong>rschauen und sagen: Siehe, es ist sehr gut.“<br />

Wolff glaubte, daß das Kommen <strong>de</strong>s Herrn nahe sei. Seine Auslegung <strong>de</strong>r prophetischen<br />

Zeitangaben wich nur um wenige Jahre von <strong>de</strong>r Zeit ab, in <strong>de</strong>r Miller die große Vollendung<br />

erwartete. Denen, die auf Grund <strong>de</strong>s Textes: „Von <strong>de</strong>m Tage aber und von <strong>de</strong>r Stun<strong>de</strong> weiß<br />

niemand“ (Matthäus 24,36) geltend zu machen suchten, daß <strong>de</strong>n Menschen die Nähe <strong>de</strong>r<br />

Wie<strong>de</strong>rkunft Christi unbekannt bleiben sollte, antwortete Wolff: „Sagte unser Herr, daß <strong>de</strong>r<br />

Tag und die Stun<strong>de</strong> nie bekannt wer<strong>de</strong>n sollten? Hat er uns nicht Zeichen <strong>de</strong>r Zeit gegeben,<br />

damit wir wenigstens das Herannahen seiner Wie<strong>de</strong>rkunft erkennen könnten, so wie man an<br />

<strong>de</strong>m Feigenbaum, wenn er Blätter treibt, weiß, daß <strong>de</strong>r Sommer nahe ist? Matthäus 24,32.<br />

Sollen wir jene Zeit nie erkennen können, obgleich er selbst uns ermahnt, <strong>de</strong>n Propheten<br />

Daniel nicht nur zu lesen, son<strong>de</strong>rn auch zu verstehen? Gera<strong>de</strong> in Daniel heißt es, daß diese<br />

Worte bis auf die Zeit <strong>de</strong>s En<strong>de</strong>s verborgen bleiben sollten (was zu seiner Zeit <strong>de</strong>r Fall war),<br />

und daß, viele darüberkommen (hebräischer Ausdruck für betrachten und nach<strong>de</strong>nken über<br />

die Zeit) und ‚großen Verstand‘ (hinsichtlich <strong>de</strong>r Zeit) fin<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>n. Daniel 12,4. Überdies<br />

will unser Herr damit nicht sagen, daß das Herannahen <strong>de</strong>r Zeit unbekannt bleiben soll,<br />

son<strong>de</strong>rn nur, daß niemand <strong>de</strong>n bestimmten Tag und die genaue Stun<strong>de</strong> weiß. Er sagt, es soll<br />

genügend durch die Zeichen <strong>de</strong>r Zeit bekannt wer<strong>de</strong>n, um uns anzutreiben, uns auf seine<br />

Wie<strong>de</strong>rkunft vorzubereiten, gleichwie Noah die Arche baute.“ Soweit Wolff zu <strong>de</strong>n<br />

Einwän<strong>de</strong>n, daß niemand Zeit und Stun<strong>de</strong> wisse.<br />

Hinsichtlich <strong>de</strong>r volkstümlichen Auslegung o<strong>de</strong>r Miß<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Heiligen Schrift<br />

schrieb Wolff: „Der größere Teil <strong>de</strong>r christlichen Kirche ist von <strong>de</strong>m klaren Sinn <strong>de</strong>r<br />

Heiligen Schrift abgewichen und hat sich <strong>de</strong>r trügerischen Lehre <strong>de</strong>s Buddhismus<br />

zugewandt, die vorgibt, daß das zukünftige Glück <strong>de</strong>r Menschen in einem Hin- und<br />

Herschweben in <strong>de</strong>r Luft bestehe; sie nimmt an, daß Hei<strong>de</strong>n darunter zu verstehen seien,<br />

wenn sie Ju<strong>de</strong>n lesen; daß die Kirche gemeint sei, wenn sie Jerusalem lesen; daß es Himmel<br />

be<strong>de</strong>ute, wenn es heißt Er<strong>de</strong>; daß an <strong>de</strong>n Fortschritt <strong>de</strong>r Missionsgesellschaften zu <strong>de</strong>nken<br />

sei, wenn vom Kommen <strong>de</strong>s Herrn die Re<strong>de</strong> ist; und daß unter <strong>de</strong>m Ausdruck ‚auf <strong>de</strong>n Berg<br />

<strong>de</strong>s Hauses Gottes gehen‘ eine große Versammlung <strong>de</strong>r Methodisten zu verstehen sei.“<br />

Während <strong>de</strong>r vierundzwanzig Jahre von 1821 bis 1845 bereiste Wolff viele Län<strong>de</strong>r. In<br />

Afrika besuchte er Ägypten und Abessinien; in Asien Palästina, Syrien, Persien, Buchara<br />

(Turkestan) und Indien. Auch nach <strong>de</strong>n Vereinigten Staaten kam er. Bei <strong>de</strong>r Hinreise<br />

predigte er auf <strong>de</strong>r Insel St. Helena. Im August <strong>de</strong>s Jahres 1837 traf er in Neuyork ein;<br />

nach<strong>de</strong>m er in jener Stadt gesprochen hatte, predigte er in Phila<strong>de</strong>lphia und Baltimore und<br />

ging schließlich nach Washington. „Hier wur<strong>de</strong> mir“, sagte er, „auf Vorschlag <strong>de</strong>s<br />

Expräsi<strong>de</strong>nten John Quincy Adams in einem <strong>de</strong>r Häuser <strong>de</strong>s Kongresses einstimmig die<br />

Benutzung <strong>de</strong>s Kongreßsaales für einen Vortrag zur Verfügung gestellt, <strong>de</strong>n ich an einem<br />

Samstag in Gegenwart sämtlicher Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Kongresses, <strong>de</strong>s Bischofs von Virginia<br />

250


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

sowie <strong>de</strong>r Geistlichkeit und <strong>de</strong>r Bürger von Washington hielt. Die Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Regierung<br />

von New Jersey und Pennsylvanien zollten mir die gleiche Ehre. In ihrer Gegenwart hielt<br />

ich Vorlesungen über meine Forschungen in Asien sowie auch über die persönliche<br />

Regierung Jesu Christi.“<br />

Dr. Wolff bereiste die unzivilisiertesten Län<strong>de</strong>r ohne <strong>de</strong>n Schutz irgen<strong>de</strong>iner<br />

europäischen Regierung; er erdul<strong>de</strong>te viele Mühsale und war von zahllosen Gefahren<br />

umgeben. Er bekam Stockschläge auf die Fußsohlen, mußte hungern, wur<strong>de</strong> als Sklave<br />

verkauft und dreimal zum To<strong>de</strong> verurteilt. Räuber fielen ihn an, und manchmal wäre er fast<br />

verdurstet. Einmal verlor er alle seine Habe und mußte zu Fuß Hun<strong>de</strong>rte von Meilen durch<br />

das Gebirge wan<strong>de</strong>rn, während ihm <strong>de</strong>r Schnee ins Gesicht trieb und seine nackten Füße<br />

durch die Berührung mit <strong>de</strong>m gefrorenen Bo<strong>de</strong>n erstarrten.<br />

Warnte man ihn davor, unbewaffnet unter wil<strong>de</strong> und feindselige Stämme zu gehen, so<br />

erklärte er, daß er mit Waffen versehen sei, mit <strong>de</strong>m Gebet, mit Eifer für Christus und mit<br />

Vertrauen auf seine Hilfe. „Ich habe auch“, sagte er, „die Liebe zu Gott und meinem<br />

Nächsten im Herzen und trage die Bibel in meiner Hand.“ Er führte, wohin er auch ging,<br />

eine hebräische und eine englische Bibel bei sich. Von einer seiner späteren Reisen sagt er:<br />

„Ich ... hielt die Bibel offen in meiner Hand. Ich fühlte, daß meine Kraft in <strong>de</strong>m Buche war<br />

und daß seine Macht mich erhalten wür<strong>de</strong>.“ Auf diese Weise harrte er in seiner Arbeit aus,<br />

bis die Gerichtsbotschaft über einen großen Teil <strong>de</strong>s bewohnten Erdballs gegangen war.<br />

Unter Ju<strong>de</strong>n, Türken, Parsen, Hindus und vielen an<strong>de</strong>rn Nationen und Stämmen teilte er das<br />

Wort Gottes in <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Sprachen aus und verkündigte überall die kommen<strong>de</strong><br />

Herrschaft <strong>de</strong>s Messias.<br />

Auf seinen Reisen fand er die Lehre von <strong>de</strong>r baldigen Wie<strong>de</strong>rkunft <strong>de</strong>s Herrn in<br />

Buchara bei einem entlegenen abgeson<strong>de</strong>rten Volksstamm. Er sagte ferner: „Die Araber <strong>de</strong>s<br />

Jemen sind im Besitz eines Buches, ‚Seera‘ genannt, das Kun<strong>de</strong> gibt von <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft<br />

Christi und seiner Regierung in Herrlichkeit, und sie erwarten für das Jahr 1840 große<br />

Ereignisse.“ „Im Jemen ... verbrachte ich sechs Tage mit <strong>de</strong>n Rechabiten. Sie trinken keinen<br />

Wein, pflanzen keine Weinberge, säen keine Saat, wohnen in Zelten und ge<strong>de</strong>nken <strong>de</strong>r<br />

Worte Jonadabs, <strong>de</strong>s Sohnes Rechabs. Es befan<strong>de</strong>n sich auch Israeliten aus <strong>de</strong>m Stamm Dan<br />

bei ihnen, ... die gemeinsam mit <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn Rechabs die baldige Ankunft <strong>de</strong>s Messias in<br />

<strong>de</strong>n Wolken <strong>de</strong>s Himmels erwarten.“<br />

Einen ähnlichen Glauben fand ein an<strong>de</strong>rer Missionar bei <strong>de</strong>n Tataren. Ein tatarischer<br />

Priester stellte an einen Missionar die Frage, wann <strong>de</strong>nn Christus wie<strong>de</strong>rkäme. Als <strong>de</strong>r<br />

Missionar antwortete, daß er nichts davon wisse, schien <strong>de</strong>r Priester sehr überrascht zu sein<br />

ob solcher Unwissenheit bei einem, <strong>de</strong>r vorgab, Bibellehrer zu sein, und erklärte seinen<br />

eigenen auf die Weissagung gegrün<strong>de</strong>ten Glauben, daß Christus ungefähr im Jahre 1844<br />

kommen wür<strong>de</strong>.<br />

251


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

In England fing man schon im Jahre 1826 an, die Adventbotschaft zu predigen. Die<br />

Bewegung nahm hier keine so entschie<strong>de</strong>ne Form an wie in Amerika; die genaue Zeit <strong>de</strong>r<br />

Wie<strong>de</strong>rkunft Christi lehrte man nicht so allgemein, aber die große Wahrheit von <strong>de</strong>m<br />

baldigen Kommen Christi in Macht und Herrlichkeit wur<strong>de</strong> überall verkündigt; und dies<br />

nicht nur unter <strong>de</strong>nen, die nicht zur anglikanischen Kirche gehörten. Mourant Brock, ein<br />

englischer Schriftsteller, gibt an, daß sich ungefähr siebenhun<strong>de</strong>rt Prediger <strong>de</strong>r<br />

anglikanischen Kirche mit <strong>de</strong>r Verkündigung dieses „Evangeliums vom Reich“ befaßten.<br />

Auch in Großbritannien wur<strong>de</strong> die Botschaft seines Kommens, die auf das Jahr 1844<br />

hinwies, verkündigt. Drucksachen über die Adventbewegung wur<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n Vereinigten<br />

Staaten aus überallhin versandt. In England gab man wie<strong>de</strong>r Bücher und Zeitschriften<br />

heraus, und im Jahre 1842 kehrte Robert Winter, ein gebürtiger Englän<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />

Adventglauben in Amerika angenommen hatte, in seine Heimat zurück, um das Kommen<br />

<strong>de</strong>s Herrn zu verkündigen. Viele vereinten sich mit ihm in dieser Aufgabe; die<br />

Gerichtsbotschaft wur<strong>de</strong> in verschie<strong>de</strong>nen Teilen Englands verbreitet.<br />

In Südamerika fand Lacunza, ein Spanier und Jesuit, inmitten von Priestertrug und roher<br />

Unwissenheit seinen Weg zur Heiligen Schrift und erkannte die Wahrheit von <strong>de</strong>r baldigen<br />

Wie<strong>de</strong>rkunft Christi. Innerlich getrieben, die Warnung zu erteilen, und doch darauf bedacht,<br />

<strong>de</strong>n Kirchenstrafen Roms zu entrinnen, veröffentlichte er seine Ansichten unter <strong>de</strong>m<br />

Decknamen „Rabbi Ben-Esra“, in<strong>de</strong>m er sich für einen bekehrten Ju<strong>de</strong>n ausgab. Lacunza<br />

lebte im 18. Jahrhun<strong>de</strong>rt; sein Buch, das <strong>de</strong>n Weg nach London gefun<strong>de</strong>n hatte, wur<strong>de</strong><br />

ungefähr im Jahre 1825 in die englische Sprache übersetzt. Seine Herausgabe diente dazu,<br />

die in England erwachte Aufmerksamkeit hinsichtlich <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft Christi zu steigern.<br />

In Deutschland war diese Lehre im 18. Jahrhun<strong>de</strong>rt von Bengel, <strong>de</strong>m berühmten<br />

Bibelgelehrten und Kritiker, einem Prälaten <strong>de</strong>r lutherischen Kirche, gepredigt wor<strong>de</strong>n.<br />

Nach Vollendung seiner Schulbildung hatte Bengel „sich <strong>de</strong>m Studium <strong>de</strong>r Theologie<br />

gewidmet, wozu ihn sein tiefernstes und frommes Gemüt, durch seine frühe Bildung und<br />

Zucht erweitert und verstärkt, von Natur hinzog.<br />

Wie an<strong>de</strong>re <strong>de</strong>nken<strong>de</strong> junge Männer vor und nach ihm hatte auch er mit religiösen<br />

Zweifeln und Schwierigkeiten zu kämpfen, und mit tiefem Gefühl spricht er von <strong>de</strong>n ‚vielen<br />

Pfeilen, die sein armes Herz durchbohrten und seine Jugend schwer erträglich<br />

machten‘.“ Als er Mitglied <strong>de</strong>s Württembergischen Konsistoriums (Lan<strong>de</strong>skirchenbehör<strong>de</strong>)<br />

wur<strong>de</strong>, trat er für die Religionsfreiheit ein. „In<strong>de</strong>m er alle Rechte und Vorrechte <strong>de</strong>r Kirche<br />

aufrechterhielt, befürwortete er, je<strong>de</strong> billige Freiheit <strong>de</strong>nen zu gewähren, die sich aus<br />

Gewissensgrün<strong>de</strong>n gebun<strong>de</strong>n fühlten, sich von ihrer Gemeinschaft zurückzuziehen.“ Die<br />

guten Wirkungen dieser klugen Entscheidung wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>m Landstrich, <strong>de</strong>m er entstammte,<br />

noch immer verspürt.<br />

Während sich Bengel auf die Predigt für einen Adventsonntag (über Offenbarung 21)<br />

vorbereitete, ging ihm plötzlich die Erkenntnis von <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft Christi auf. Die<br />

Weissagungen <strong>de</strong>r Offenbarung erschlossen sich seinem Verständnis wie nie zuvor. Das<br />

252


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Bewußtsein von <strong>de</strong>r ungeheuren Wichtigkeit und unübertrefflichen Herrlichkeit <strong>de</strong>r von<br />

<strong>de</strong>m Propheten vorausgesagten Ereignisse überwältigte ihn <strong>de</strong>rart, daß er gezwungen war,<br />

sich eine Zeitlang von <strong>de</strong>r Betrachtung dieses Themas abzuwen<strong>de</strong>n. Auf <strong>de</strong>r Kanzel jedoch<br />

stand dieser Fragenkreis in aller Lebendigkeit und Stärke wie<strong>de</strong>r vor ihm. Von <strong>de</strong>r Zeit an<br />

studierte er die Weissagungen, beson<strong>de</strong>rs die <strong>de</strong>r Offenbarung, und gelangte bald zu <strong>de</strong>m<br />

Glauben, daß sie darauf hinwiesen, daß das Kommen Christi nahe bevorsteht. Das Datum,<br />

das er als die Zeit <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft Christi errechnete, wich nur wenige Jahre von <strong>de</strong>m<br />

später von Miller angenommenen Termin ab.<br />

Bengels Schriften sind in <strong>de</strong>r ganzen Christenheit verbreitet wor<strong>de</strong>n. In seiner Heimat<br />

Württemberg, und bis zu einem gewissen Gra<strong>de</strong> auch in an<strong>de</strong>rn Teilen Deutschlands, nahm<br />

man seine Ansichten über die Weissagung fast allgemein an. Die auf Bengels Auffassungen<br />

beruhen<strong>de</strong> geistliche Bewegung dauerte nach seinem To<strong>de</strong> fort, und die Adventbotschaft<br />

wur<strong>de</strong> in Deutschland zur selben Zeit vernommen, zu <strong>de</strong>r sie in an<strong>de</strong>rn Län<strong>de</strong>rn die<br />

Aufmerksamkeit auf sich zog. Schon früh gingen einige Gläubige nach Rußland und<br />

grün<strong>de</strong>ten dort Kolonistensiedlungen; und <strong>de</strong>r Glaube an das baldige Kommen Christi wird<br />

in <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Gemein<strong>de</strong>n jenes Lan<strong>de</strong>s noch immer bewahrt.<br />

In Frankreich und in <strong>de</strong>r Schweiz war die Erkenntnis ebenfalls aufgeflammt. In Genf,<br />

wo Farel und Calvin die Wahrheiten <strong>de</strong>r Reformation ausgebreitet hatten, predigte Gaussen<br />

die Botschaft von <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft Christi. Als Stu<strong>de</strong>nt hatte er jenen Geist <strong>de</strong>s<br />

Rationalismus eingesogen, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r letzten Hälfte <strong>de</strong>s 18. Jahrhun<strong>de</strong>rts ganz Europa<br />

durchdrang, und als er ins Predigtamt eintrat, war er nicht allein <strong>de</strong>s wahren Glaubens<br />

unkundig, son<strong>de</strong>rn er neigte sogar zur Zweifelsucht. In seiner Jugend hatte er begeistert die<br />

Weissagungen studiert. Als er Rollins „Alte Geschichte“ las, wur<strong>de</strong> seine Aufmerksamkeit<br />

auf das zweite Kapitel Daniels gerichtet, und er staunte über die wun<strong>de</strong>rbare Genauigkeit,<br />

mit <strong>de</strong>r sich die Weissagung erfüllt hatte, wie aus <strong>de</strong>m Bericht <strong>de</strong>s Geschichtsschreibers<br />

ersichtlich war. Hierin lag ein Zeugnis für die göttliche Eingebung <strong>de</strong>r Heiligen Schrift, das<br />

ihm inmitten <strong>de</strong>r Gefahren späterer Jahre als Anker diente. Ihn befriedigten die Lehren <strong>de</strong>s<br />

Rationalismus nicht mehr, son<strong>de</strong>rn er gelangte durch das Forschen in <strong>de</strong>r Bibel und das<br />

Suchen nach klarerer Erkenntnis nach einiger Zeit zu einem festen Glauben.<br />

Als er die Weissagungen weiter durchforschte, kam er zu <strong>de</strong>r Überzeugung, daß das<br />

Kommen <strong>de</strong>s Herrn nahe bevorstehe. Unter <strong>de</strong>m Eindruck <strong>de</strong>s Ernstes und <strong>de</strong>r Wichtigkeit<br />

dieser großen Wahrheit wünschte er, sie <strong>de</strong>m Volk nahezubringen; aber <strong>de</strong>r volkstümliche<br />

Glaube, daß die Weissagungen Daniels Geheimnisse und darum nicht zu verstehen seien,<br />

wur<strong>de</strong> für ihn zu einem schweren Hin<strong>de</strong>rnis. Endlich entschloß er sich, wie es vor ihm Farel<br />

schon getan hatte, als er Genf das Evangelium brachte, bei <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn zu beginnen, durch<br />

die er die Eltern anzuziehen hoffte.<br />

Als er später einmal von seinem Ziel bei diesem Vorhaben sprach, sagte er: „Ich möchte<br />

dies verstan<strong>de</strong>n wissen, daß es nicht wegen <strong>de</strong>r geringen Be<strong>de</strong>utung, son<strong>de</strong>rn im Gegenteil<br />

<strong>de</strong>s hohen Wertes wegen ist, daß ich diese Sache in dieser vertraulichen Form darzustellen<br />

253


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

wünschte und mich damit an die Kin<strong>de</strong>r wandte. Ich wollte gehört wer<strong>de</strong>n und hatte<br />

befürchtet, keine Aufmerksamkeit zu erregen, falls ich mich an die Erwachsenen wen<strong>de</strong>n<br />

wür<strong>de</strong> ... Ich beschloß <strong>de</strong>shalb, zu <strong>de</strong>n Jüngsten zu gehen. Ich versammelte eine Schar von<br />

Kin<strong>de</strong>rn um mich. Wenn die Zahl <strong>de</strong>r Anwesen<strong>de</strong>n zunimmt, wenn man sieht, daß sie<br />

zuhören, Gefallen daran fin<strong>de</strong>n, angezogen wer<strong>de</strong>n, daß sie das Thema verstehen und<br />

erklären können, dann wer<strong>de</strong> ich sicherlich bald einen zweiten Kreis von Zuhörern haben,<br />

und die Erwachsenen ihrerseits wer<strong>de</strong>n sehen, daß es die Mühe lohnt, sich hinzusetzen und<br />

zu studieren. Geschieht das, dann ist die Sache gewonnen.“<br />

Gaussens Bemühungen waren erfolgreich. Während er sich an die Kin<strong>de</strong>r wandte,<br />

kamen ältere Leute, um ihm zu lauschen. Die Emporen seiner Kirche füllten sich mit<br />

aufmerksamen Zuhörern. Unter ihnen befan<strong>de</strong>n sich gelehrte und angesehene Männer sowie<br />

Auslän<strong>de</strong>r und Frem<strong>de</strong>, die Genf besuchten, und durch sie wur<strong>de</strong> die Botschaft in an<strong>de</strong>re<br />

Gegen<strong>de</strong>n getragen. Durch diesen Erfolg ermutigt, veröffentlichte Gaussen seine<br />

Unterweisungen in <strong>de</strong>r Hoffnung, das Studium <strong>de</strong>r prophetischen Bücher in <strong>de</strong>n Gemein<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r französisch sprechen<strong>de</strong>n Volksteile zu för<strong>de</strong>rn. Er sagte: „Durch die Veröffentlichung<br />

<strong>de</strong>s <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn erteilten Unterrichts rufen wir <strong>de</strong>n Erwachsenen zu, die oft solche Bücher<br />

vernachlässigen unter <strong>de</strong>m falschen Vorwand, daß sie unverständlich seien. Wie können sie<br />

unverständlich sein, da eure Kin<strong>de</strong>r sie verstehen? ... Ich hatte das dringliche Bestreben“,<br />

fügte er hinzu, „die bekannten Weissagungen bei unseren Gemein<strong>de</strong>n, wenn möglich,<br />

allgemein bekanntzumachen ... Es gibt in <strong>de</strong>r Tat kein Studium, das, wie mir scheint, <strong>de</strong>n<br />

Bedürfnissen <strong>de</strong>r Zeit besser entspräche ... Hierdurch müssen wir uns vorbereiten auf die<br />

bevorstehen<strong>de</strong> Trübsal und warten auf Jesus Christus.“<br />

Wenngleich Gaussen einer <strong>de</strong>r hervorragendsten und beliebtesten französisch<br />

sprechen<strong>de</strong>n Prediger war, wur<strong>de</strong> er doch nach einiger Zeit seines Amtes enthoben,<br />

hauptsächlich weil er statt <strong>de</strong>s Kirchenkatechismus, eines fa<strong>de</strong>n und rationalistischen<br />

Lehrbuches fast ohne positiven Glauben, beim Unterricht <strong>de</strong>r Jugend die Bibel gebraucht<br />

hatte. Später wur<strong>de</strong> er Lehrer an einer theologischen Schule und setzte sonntags seinen<br />

Unterricht mit <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn fort, in<strong>de</strong>m er sie in <strong>de</strong>r Heiligen Schrift unterwies. Seine Werke<br />

über die Weissagungen erregten großes Aufsehen. Vom Kathe<strong>de</strong>r aus, durch die Presse und<br />

in seiner Lieblingsbeschäftigung als Lehrer <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r konnte er viele Jahre lang einen<br />

ausge<strong>de</strong>hnten Einfluß ausüben und die Aufmerksamkeit vieler Menschen auf das Studium<br />

<strong>de</strong>r Weissagungen richten, die zeigten, daß das Kommen <strong>de</strong>s Herrn nahe ist.<br />

Auch in Skandinavien wur<strong>de</strong> die Adventbotschaft verkündigt und eine weitverbreitete<br />

Aufmerksamkeit hervorgerufen. Viele wur<strong>de</strong>n aus ihrer sorglosen Sicherheit aufgerüttelt,<br />

um ihre Sün<strong>de</strong>n zu bekennen und aufzugeben und im Namen Christi Vergebung zu suchen.<br />

Aber die Geistlichkeit <strong>de</strong>r Staatskirche wi<strong>de</strong>rsetzte sich <strong>de</strong>r Bewegung, und durch ihren<br />

Einfluß wur<strong>de</strong>n etliche, welche die Botschaft predigten, ins Gefängnis geworfen. An vielen<br />

Orten, wo die Verkündiger <strong>de</strong>s baldigen Kommens Christi auf solche Weise zum Schweigen<br />

gebracht wor<strong>de</strong>n waren, gefiel es Gott, die Botschaft in wun<strong>de</strong>rbarer Weise durch kleine<br />

254


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kin<strong>de</strong>r bekanntzumachen. Da sie noch min<strong>de</strong>rjährig waren, konnte das Staatsgesetz sie<br />

nicht hin<strong>de</strong>rn, und sie durften unbelästigt re<strong>de</strong>n.<br />

Die Bewegung fand beson<strong>de</strong>rs in <strong>de</strong>n nie<strong>de</strong>ren Stän<strong>de</strong>n Eingang. In <strong>de</strong>n beschei<strong>de</strong>nen<br />

Wohnungen <strong>de</strong>r Arbeiter versammelte sich das Volk, um die Warnung zu vernehmen. Die<br />

Kin<strong>de</strong>rprediger selbst waren meist arme Hüttenbewohner. Etliche waren nicht älter als sechs<br />

bis acht Jahre, und während ihr Leben bezeugte, daß sie <strong>de</strong>n Heiland liebten und sie sich<br />

bemühten, <strong>de</strong>n heiligen Vorschriften Gottes gehorsam zu sein, legten sie im allgemeinen nur<br />

<strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn ihres Alters üblichen Verstand und nicht mehr als gewöhnliche Fähigkeiten an<br />

<strong>de</strong>n Tag. Stan<strong>de</strong>n sie aber vor <strong>de</strong>n Menschen, dann wur<strong>de</strong> es offenbar, daß sie von einem<br />

über ihre natürliche Begabung hinausgehen<strong>de</strong>n Einfluß bewegt wur<strong>de</strong>n. Ihre Stimme, ihr<br />

ganzes Wesen verän<strong>de</strong>rte sich, und mit eindringlicher Kraft kündigten sie das Gericht an,<br />

sich genau <strong>de</strong>r Worte <strong>de</strong>r Heiligen Schrift bedienend: „Fürchtet Gott und gebet ihm die Ehre;<br />

<strong>de</strong>nn die Zeit seines Gerichts ist gekommen!“ Sie rügten die Sün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Volkes, verurteilten<br />

nicht nur Unsittlichkeit und Laster, son<strong>de</strong>rn ta<strong>de</strong>lten auch Weltlichkeit und Abtrünnigkeit<br />

und ermahnten ihre Zuhörer, sich eilends aufzumachen, um <strong>de</strong>m zukünftigen Zorn zu<br />

entrinnen.<br />

Die Leute lauschten mit Zittern. Der überzeugen<strong>de</strong> Geist Gottes sprach zu ihren Herzen.<br />

Viele wur<strong>de</strong>n veranlaßt, die Heilige Schrift mit neuem und tieferem Eifer zu durchforschen.<br />

Die Unmäßigen und Unsittlichen begannen einen neuen Lebenswan<strong>de</strong>l; an<strong>de</strong>re gaben ihre<br />

unlauteren Gewohnheiten auf. Es wur<strong>de</strong> ein so auffälliges Werk vollbracht, daß selbst die<br />

Geistlichen <strong>de</strong>r Staatskirche gestehen mußten, die Hand Gottes sei mit dieser Bewegung.<br />

Es war Gottes Wille, daß die Kun<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s in <strong>de</strong>n<br />

skandinavischen Län<strong>de</strong>rn verbreitet wer<strong>de</strong>n sollte, und als die Stimmen seiner Diener zum<br />

Schweigen gebracht wor<strong>de</strong>n waren, legte er seinen Geist auf die Kin<strong>de</strong>r, damit das Werk<br />

vollbracht wür<strong>de</strong>. Als Jesus sich Jerusalem näherte, von einer frohen Menge begleitet, die<br />

ihn unter Frohlocken und mit wehen<strong>de</strong>n Palmzweigen als <strong>de</strong>n Sohn Davids ausrief,<br />

for<strong>de</strong>rten die eifersüchtigen Pharisäer ihn auf, <strong>de</strong>m Volke Schweigen zu gebieten; aber Jesus<br />

antwortete ihnen, daß all dies die Erfüllung <strong>de</strong>r Weissagung wäre und, falls die Menschen<br />

schwiegen, die Steine re<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>n. Das durch die Drohungen <strong>de</strong>r Priester und Obersten<br />

eingeschüchterte Volk hielt in seiner freudigen Verkündigung inne, als es durch die Tore<br />

Jerusalems zog; aber die Kin<strong>de</strong>r im Tempelhof nahmen <strong>de</strong>n Ruf auf und sangen, ihre<br />

Palmzweige schwingend: „Hosianna <strong>de</strong>m Sohn Davids!“ Als die Priester in ärgerlichem<br />

Mißfallen zu Jesus sprachen: „Hörst du auch, was diese sagen?“, antwortete er: „Ja! Habt ihr<br />

nie gelesen: ‚Aus <strong>de</strong>m Mun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Unmündigen und Säuglinge hast du Lob<br />

zugerichtet‘?“ Matthäus 21,9.16. Wie Gott zur Zeit Christi durch Kin<strong>de</strong>r wirkte, so bediente<br />

er sich auch bei <strong>de</strong>r Ankündigung seiner Wie<strong>de</strong>rkunft <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r. Gottes Wort, daß die<br />

Botschaft von <strong>de</strong>m Kommen <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s an alle Völker, Sprachen und Zungen ergehen<br />

sollte, muß erfüllt wer<strong>de</strong>n.<br />

255


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

William Miller und seinen Mitarbeitern war die Aufgabe zuteil gewor<strong>de</strong>n, die<br />

Warnungsbotschaft in Amerika zu predigen. Dieses Land wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Mittelpunkt <strong>de</strong>r großen<br />

Adventbewegung. Hier fand die Weissagung von <strong>de</strong>r ersten Engelsbotschaft ihre<br />

unmittelbare Erfüllung. Die Schriften Millers und seiner Gefährten wur<strong>de</strong>n in entfernte<br />

Län<strong>de</strong>r getragen. Überall, wohin die Missionare gedrungen waren, wur<strong>de</strong> auch die frohe<br />

Kun<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r baldigen Wie<strong>de</strong>rkunft Christi hingesandt. Allenthalben erscholl <strong>de</strong>r Ruf <strong>de</strong>s<br />

ewigen Evangeliums: Fürchtet Gott und gebet ihm die Ehre; <strong>de</strong>nn die Stun<strong>de</strong> seines<br />

Gerichts ist gekommen!<br />

Das Zeugnis <strong>de</strong>r Weissagungen, das auf das Kommen Christi im Frühling <strong>de</strong>s Jahres<br />

1844 zu <strong>de</strong>uten schien, drang tief in die Gemüter <strong>de</strong>s Volkes ein. Als die Botschaft von Staat<br />

zu Staat ging, erregte sie überall beträchtliches Aufsehen. Viele wur<strong>de</strong>n überzeugt, daß die<br />

auf <strong>de</strong>n prophetischen Zeitrechnungen beruhen<strong>de</strong>n Beweise richtig waren und nahmen,<br />

nach<strong>de</strong>m sie ihren Meinungsstolz fahren ließen, die Wahrheit freudig an. Einige Prediger<br />

entsagten ihren sektiererischen Ansichten und Gefühlen, gaben ihre finanzielle Sicherheit<br />

und ihre Gemein<strong>de</strong> auf und schlossen sich <strong>de</strong>r Verkündigung <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft Jesu an. Es<br />

waren jedoch verhältnismäßig wenige Prediger, die diese Botschaft annahmen; <strong>de</strong>shalb<br />

wur<strong>de</strong> sie meistens beschei<strong>de</strong>nen Laien anvertraut. Landleute verließen ihre Fel<strong>de</strong>r,<br />

Handwerker ihre Werkstätten, Händler ihre Waren, an<strong>de</strong>re berufstätige Männer ihre<br />

Stellung; und doch war die Zahl <strong>de</strong>r Mitarbeiter im Verhältnis zu <strong>de</strong>r durchzuführen<strong>de</strong>n<br />

Aufgabe gering. Der Zustand einer gottlosen Kirche und einer in Bosheit liegen<strong>de</strong>n Welt<br />

lastete auf <strong>de</strong>n Seelen <strong>de</strong>r treuen Wächter; willig ertrugen sie Mühsal, Entbehrung und<br />

Lei<strong>de</strong>n, um Menschen zur Buße und zum Heil rufen zu können. Obwohl Satan ihnen<br />

wi<strong>de</strong>rstand, ging das Werk doch stetig vorwärts, und viele Tausen<strong>de</strong> nahmen die<br />

Adventwahrheit an.<br />

Überall vernahm man das herzergrün<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Zeugnis, das die Sün<strong>de</strong>r, Weltmenschen wie<br />

Gemein<strong>de</strong>glie<strong>de</strong>r, auffor<strong>de</strong>rte, <strong>de</strong>m zukünftigen Zorn zu entfliehen. Gleich Johannes <strong>de</strong>m<br />

Täufer, <strong>de</strong>m Vorläufer Christi, legten die Prediger die Axt an die Wurzel <strong>de</strong>s Baumes und<br />

nötigten alle, rechtschaffene Früchte <strong>de</strong>r Buße zu bringen. Ihre ergreifen<strong>de</strong>n Aufrufe<br />

stan<strong>de</strong>n in auffallen<strong>de</strong>m Gegensatz zu <strong>de</strong>n Versicherungen <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns und <strong>de</strong>r Sicherheit,<br />

die man von <strong>de</strong>n volkstümlichen Kanzeln herab hörte. Wo die Botschaft verkündigt wur<strong>de</strong>,<br />

bewegte sie das Volk. Das einfache, unmittelbare Zeugnis <strong>de</strong>r Heiligen Schrift, das <strong>de</strong>n<br />

Menschen durch die Macht <strong>de</strong>s Heiligen Geistes ans Herz gelegt wur<strong>de</strong>, rief eine gewichtige<br />

Überzeugung hervor, <strong>de</strong>r nur wenige völlig wi<strong>de</strong>rstehen konnten. Bekennen<strong>de</strong> Christen<br />

wur<strong>de</strong>n aus ihrer falschen Sicherheit aufgeschreckt und erkannten ihre Abtrünnigkeit, ihre<br />

Weltlichkeit und ihren Unglauben, ihren Stolz und ihre Selbstsucht. Viele suchten <strong>de</strong>mütig<br />

und bußbereit <strong>de</strong>n Herrn. Neigungen, die bisher auf irdische Dinge gerichtet waren, wandten<br />

sich jetzt <strong>de</strong>m Himmel zu. Gottes Geist ruhte auf ihnen, und mit besänftigtem und<br />

ge<strong>de</strong>mütigtem Herzen stimmten sie ein in <strong>de</strong>n Ruf: Fürchtet Gott und gebet ihm die Ehre;<br />

<strong>de</strong>nn die Stun<strong>de</strong> seines Gerichts ist gekommen!<br />

256


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Sün<strong>de</strong>r fragten weinend: „Was soll ich tun, daß ich selig wer<strong>de</strong>?“ Apostelgeschichte<br />

16,30. Wer einen unlauteren Wan<strong>de</strong>l geführt hatte, war besorgt, sein Unrecht gutzumachen.<br />

Alle, die in Christus Frie<strong>de</strong>n fan<strong>de</strong>n, sehnten sich danach, auch an<strong>de</strong>re an <strong>de</strong>n Segnungen<br />

teilhaben zu sehen. Die Herzen <strong>de</strong>r Eltern wandten sich ihren Kin<strong>de</strong>rn, und die Herzen <strong>de</strong>r<br />

Kin<strong>de</strong>r ihren Eltern zu. Die Schranken <strong>de</strong>s Stolzes und <strong>de</strong>r Zurückhaltung setzte man<br />

beiseite. Tiefempfun<strong>de</strong>ne Bekenntnisse wur<strong>de</strong>n abgelegt, und Familienmitglie<strong>de</strong>r arbeiteten<br />

für das Heil <strong>de</strong>rer, die ihnen am nächsten und teuersten waren. Oft hörte man ernste<br />

Fürbitten. Überall beteten Seelen in tiefer Angst zu Gott. Viele rangen die ganze Nacht im<br />

Gebet um die Gewißheit, daß ihre Sün<strong>de</strong>n vergeben seien, o<strong>de</strong>r um die Bekehrung ihrer<br />

Verwandten o<strong>de</strong>r Nachbarn.<br />

Menschenklassen aller Art strömten zu <strong>de</strong>n Versammlungen <strong>de</strong>r Adventisten. Reich und<br />

arm, hoch und niedrig wollte aus verschie<strong>de</strong>nen Grün<strong>de</strong>n die Lehre von <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft<br />

Christi vernehmen. Während seine Diener die Grün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Glaubens darlegten, hielt <strong>de</strong>r Herr<br />

<strong>de</strong>n Geist <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rstan<strong>de</strong>s im Zaum. Oft war das Werkzeug schwach, aber <strong>de</strong>r Geist<br />

Gottes gab seiner Wahrheit Macht. Die Gegenwart heiliger Engel bekun<strong>de</strong>te sich in diesen<br />

Versammlungen, und täglich stellten sich viele auf die Seite <strong>de</strong>r Gläubigen. Wenn die<br />

Beweise für die baldige Ankunft Christi wie<strong>de</strong>rholt wur<strong>de</strong>n, lauschte eine große Menge in<br />

atemlosem Schweigen <strong>de</strong>n feierlichen Worten. Himmel und Er<strong>de</strong> schienen sich einan<strong>de</strong>r zu<br />

nähern. Jung und alt verspürte die Macht Gottes. Die Menschen suchten ihre Wohnungen<br />

auf mit Lobpreisungen Gottes auf ihren Lippen, und <strong>de</strong>r fröhliche Klang ertönte durch die<br />

Stille <strong>de</strong>r Nacht. Niemand, <strong>de</strong>r jenen Versammlungen beiwohnte, kann je jene<br />

be<strong>de</strong>utungsvollen Vorgänge vergessen.<br />

Die Verkündigung einer bestimmten Zeit für das Kommen Christi rief unter vielen<br />

Menschen aus allen Klassen großen Wi<strong>de</strong>rstand hervor, angefangen von <strong>de</strong>n Predigern auf<br />

<strong>de</strong>r Kanzel bis zum verwegensten <strong>de</strong>m Himmel trotzen<strong>de</strong>n Sün<strong>de</strong>r. Die Worte <strong>de</strong>r<br />

Weissagung gingen in Erfüllung: „Und wisset das aufs erste, daß in <strong>de</strong>n letzten Tagen<br />

kommen wer<strong>de</strong>n Spötter, die nach ihren eigenen Lüsten wan<strong>de</strong>ln und sagen: Wo ist die<br />

Verheißung seiner Zukunft? <strong>de</strong>nn nach<strong>de</strong>m die Väter entschlafen sind, bleibt es alles, wie es<br />

von Anfang <strong>de</strong>r Kreatur gewesen ist.“ 2.Petrus 3,3.4. Viele, die vorgaben, ihren Heiland zu<br />

lieben, erklärten, daß sie keine Einwän<strong>de</strong> gegen die Lehre von seiner Wie<strong>de</strong>rkunft zu<br />

machen hätten; sie seien nur gegen die festgesetzte Zeit.<br />

Gottes Auge las jedoch, was in ihrem Herzen war. Sie wünschten nichts davon zu hören,<br />

daß Christus kommen wer<strong>de</strong>, um die Welt in Gerechtigkeit zu richten. Sie waren ungetreue<br />

Diener, ihre Werke konnten die Prüfung Gottes nicht ertragen, und sie fürchteten sich, ihrem<br />

Herrn zu begegnen. Gleich <strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>n zur Zeit Christi waren sie nicht vorbereitet, Jesus zu<br />

begrüßen. Sie weigerten sich nicht nur, die <strong>de</strong>utlichen Beweise aus <strong>de</strong>r Schrift zu hören,<br />

son<strong>de</strong>rn verlachten auch die, welche auf <strong>de</strong>n Herrn warteten. Satan und seine Engel<br />

frohlockten und schleu<strong>de</strong>rten Christus und <strong>de</strong>n heiligen Engeln Schmähungen ins Angesicht,<br />

daß sein angebliches Volk ihn so wenig liebe und sein Erscheinen nicht wünsche.<br />

257


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

„Niemand weiß <strong>de</strong>n Tag o<strong>de</strong>r die Stun<strong>de</strong>“, lautete die von <strong>de</strong>n Verwerfern <strong>de</strong>s<br />

Adventglaubens am häufigsten vorgebrachte Entgegnung. Die Bibelstelle heißt: „Von <strong>de</strong>m<br />

Tage aber und von <strong>de</strong>r Stun<strong>de</strong> weiß niemand, auch die Engel nicht im Himmel, son<strong>de</strong>rn<br />

allein mein Vater.“ Matthäus 24,36. Eine klare und zutreffen<strong>de</strong> Auslegung dieser Bibelstelle<br />

gaben die, welche auf ihren Herrn warteten, und <strong>de</strong>r falsche Gebrauch, <strong>de</strong>n ihre Gegner<br />

davon machten, zeigte sich <strong>de</strong>utlich. Jene Worte sprach Christus in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>nkwürdigen<br />

Unterhaltung mit seinen Jüngern auf <strong>de</strong>m Ölberg, als er zum letztenmal aus <strong>de</strong>m Tempel<br />

gegangen war. Die Jünger hatten die Frage gestellt: „Welches wird das Zeichen sein <strong>de</strong>iner<br />

Zukunft und <strong>de</strong>s En<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Welt?“ Jesus nannte ihnen bestimmte Zeichen und sagte: „Wenn<br />

ihr das alles sehet, so wisset, daß es nahe vor <strong>de</strong>r Tür ist.“ Matthäus 24,3.33. Ein Ausspruch<br />

<strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s darf nicht so dargestellt wer<strong>de</strong>n, daß er <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn wi<strong>de</strong>rspricht.<br />

Wenn auch niemand Tag und Stun<strong>de</strong> seines Kommens weiß, so wer<strong>de</strong>n wir doch<br />

unterrichtet, und wir müssen wissen, wann die Zeit nahe ist. Wir wer<strong>de</strong>n ferner belehrt, daß<br />

es ebenso ver<strong>de</strong>rblich für uns ist, seine Warnung zu mißachten und <strong>de</strong>r Zeit seines<br />

Kommens keine Beachtung zu schenken o<strong>de</strong>r die Annahme dieser Erkenntnis zu verweigern,<br />

wie es für die in <strong>de</strong>n Tagen Noahs Leben<strong>de</strong>n ver<strong>de</strong>rblich war, nicht zu wissen, wann die<br />

Sintflut kommen sollte. Das Gleichnis im selben Kapitel, das <strong>de</strong>n treuen Knecht mit <strong>de</strong>m<br />

ungetreuen vergleicht und das Urteil <strong>de</strong>ssen anführt, <strong>de</strong>r in seinem Herzen sagte: „Mein<br />

Herr kommt noch lange nicht“, zeigt, wie Christus bei seiner Wie<strong>de</strong>rkunft die Gläubigen<br />

ansehen und belohnen wird, welche wachen und sein Kommen verkündigen, und die,<br />

welche es in Abre<strong>de</strong> stellen. „Darum wachet!“ sagt er. „Selig ist <strong>de</strong>r Knecht, wenn sein Herr<br />

kommt und fin<strong>de</strong>t ihn also tun.“ Matthäus 24,42-51. „So du nicht wirst wachen, wer<strong>de</strong> ich<br />

über dich kommen wie ein Dieb, und wirst nicht wissen, welche Stun<strong>de</strong> ich über dich<br />

kommen wer<strong>de</strong>.“ Offenbarung 3,3.<br />

Paulus spricht von <strong>de</strong>n Menschen, <strong>de</strong>nen die Erscheinung <strong>de</strong>s Herrn unerwartet<br />

kommen wird. „Der Tag <strong>de</strong>s Herrn wird kommen wie ein Dieb in <strong>de</strong>r Nacht. Denn wenn sie<br />

wer<strong>de</strong>n sagen: Es ist Frie<strong>de</strong>, es hat keine Gefahr, — so wird sie das Ver<strong>de</strong>rben schnell<br />

überfallen ... und wer<strong>de</strong>n nicht entfliehen.“ Für die, welche die Warnung <strong>de</strong>s Herrn beachten,<br />

fügt er hinzu: „Ihr aber, liebe Brü<strong>de</strong>r, seid nicht in <strong>de</strong>r Finsternis, daß euch <strong>de</strong>r Tag wie ein<br />

Dieb ergreife. Ihr seid allzumal Kin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Lichtes und Kin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Tages; wir sind nicht von<br />

<strong>de</strong>r Nacht noch von <strong>de</strong>r Finsternis.“ 1.Thessalonicher 5,2-5.<br />

Somit war <strong>de</strong>utlich erwiesen, daß die Bibel <strong>de</strong>n Menschen keinen Vorschub leistet,<br />

hinsichtlich <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>s Kommens Christi unwissend zu bleiben. Wer aber eine<br />

Entschuldigung suchte, nur um die Wahrheit zu verwerfen, verschloß dieser Erklärung sein<br />

Ohr, und die Worte: „Von <strong>de</strong>m Tage aber und von <strong>de</strong>r Stun<strong>de</strong> weiß niemand“, wur<strong>de</strong>n von<br />

<strong>de</strong>m kühnen Spötter und sogar von <strong>de</strong>m angeblichen Diener Christi beständig wie<strong>de</strong>rholt.<br />

Als die Leute erweckt wur<strong>de</strong>n und anfingen, nach <strong>de</strong>m Weg <strong>de</strong>s Heils zu fragen, stellten<br />

sich Religionslehrer zwischen sie und die Wahrheit und versuchten, ihre Befürchtungen<br />

mittels falscher Auslegungen <strong>de</strong>s Wortes Gottes zu zerstreuen. Untreue Wächter verban<strong>de</strong>n<br />

258


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

sich mit <strong>de</strong>m Werk <strong>de</strong>s großen Betrügers und schrien: „Frie<strong>de</strong>! Frie<strong>de</strong>!“, wo Gott nicht von<br />

Frie<strong>de</strong>n gesprochen hatte. Gleich <strong>de</strong>n Pharisäern zur Zeit Christi weigerten sich viele, in das<br />

Himmelreich einzugehen, und hin<strong>de</strong>rten die, welche hineingehen wollten. Das Blut dieser<br />

Seelen wird von ihrer Hand gefor<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Demütigsten und Ergebensten in <strong>de</strong>n Gemein<strong>de</strong>n waren gewöhnlich die ersten,<br />

welche die Botschaft annahmen. Wer die Bibel selbst studierte, mußte unvermeidlich <strong>de</strong>n<br />

schriftwidrigen Charakter <strong>de</strong>r volkstümlichen Ansichten über die Weissagungen erkennen,<br />

und wo das Volk nicht durch <strong>de</strong>n Einfluß <strong>de</strong>r Geistlichkeit geleitet wur<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn das Wort<br />

Gottes selber erforschte, brauchte die Adventbotschaft nur mit <strong>de</strong>r Heiligen Schrift<br />

verglichen zu wer<strong>de</strong>n, um <strong>de</strong>ren göttliche Autorität zu bestätigen.<br />

Viele wur<strong>de</strong>n von ihren ungläubigen Brü<strong>de</strong>rn verfolgt. Um ihre Stellung in <strong>de</strong>r<br />

Gemein<strong>de</strong> zu bewahren, willigten einige ein, ihre Hoffnung zu verschweigen; an<strong>de</strong>re aber<br />

fühlten, daß die Treue zu Gott ihnen verbiete, die Wahrheiten, die er ihrer Obhut anvertraut<br />

hatte, zu verbergen. Nicht wenige wur<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>r Kirche ausgeschlossen, und zwar nur aus<br />

<strong>de</strong>m Grund, weil sie ihren Glauben an die Wie<strong>de</strong>rkunft Christi verkün<strong>de</strong>t hatten. Köstlich<br />

klangen die Worte <strong>de</strong>s Propheten <strong>de</strong>nen, die die Prüfung ihres Glaubens bestan<strong>de</strong>n hatten.<br />

„Eure Brü<strong>de</strong>r, die euch hassen und son<strong>de</strong>rn euch ab um meines Namens willen, sprechen:<br />

‚Laßt sehen, wie herrlich <strong>de</strong>r Herr sei, laßt ihn erscheinen zu eurer Freu<strong>de</strong>‘; die sollen zu<br />

Schan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.“ Jesaja 66,5.<br />

Engel Gottes überwachten mit größter Anteilnahme <strong>de</strong>n Erfolg <strong>de</strong>r Warnung. Als die<br />

Kirchen die Botschaft allgemein verwarfen, wandten sich die Engel betrübt ab. Aber es gab<br />

noch viele Seelen, die in <strong>de</strong>r Adventwahrheit noch nicht geprüft waren; viele, die durch<br />

Ehemänner, Frauen, Eltern o<strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r irregeleitet wor<strong>de</strong>n waren und die glaubten, es sei<br />

eine Sün<strong>de</strong> solche Ketzereien, wie sie von <strong>de</strong>n Adventisten gelehrt wur<strong>de</strong>n, auch nur<br />

anzuhören. Den Engeln wur<strong>de</strong> befohlen, über diese Seelen treulich zu wachen; <strong>de</strong>nn es<br />

sollte noch ein an<strong>de</strong>res Licht vom Throne Gottes auf sie scheinen. Mit unaussprechlichem<br />

Verlangen harrten alle, welche die Botschaft angenommen hatten, <strong>de</strong>r Ankunft <strong>de</strong>s<br />

Heilan<strong>de</strong>s. Die Zeit, da sie erwarteten, ihm zu begegnen, stand nahe bevor. Sie näherten sich<br />

dieser Stun<strong>de</strong> mit stillem Ernst. Sie ruhten in freundlicher Gemeinschaft mit Gott — ein<br />

Pfand <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns, <strong>de</strong>r ihnen in <strong>de</strong>r zukünftigen Herrlichkeit zuteil wer<strong>de</strong>n sollte. Keiner,<br />

<strong>de</strong>r diese Hoffnung und dies Vertrauen erfuhr, kann jene köstlichen Stun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Wartens<br />

vergessen. Schon einige Wochen vor <strong>de</strong>r Zeit wur<strong>de</strong>n die weltlichen Geschäfte von <strong>de</strong>n<br />

meisten beiseitegelegt. Die aufrichtigen Gläubigen prüften sorgfältig je<strong>de</strong>n Gedanken und<br />

je<strong>de</strong> Regung ihres Herzens, als lägen sie auf <strong>de</strong>m Totenbett und müßten in wenigen Stun<strong>de</strong>n<br />

vor allem Irdischen ihre Augen schließen.<br />

Da wur<strong>de</strong>n keine Himmelfahrtsklei<strong>de</strong>r angefertigt, son<strong>de</strong>rn alle fühlten die<br />

Notwendigkeit eines inneren Zeugnisses, daß sie zubereitet waren, <strong>de</strong>m Heiland zu<br />

begegnen; ihre weißen Klei<strong>de</strong>r versinnbil<strong>de</strong>ten die Reinheit <strong>de</strong>r Seele, einen durch das<br />

versöhnen<strong>de</strong> Blut Christi gereinigten Charakter. Hätte doch das Volk Gottes noch <strong>de</strong>n<br />

259


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

gleichen herzerforschen<strong>de</strong>n Geist, <strong>de</strong>n gleichen, ernsten, entschie<strong>de</strong>nen Glauben! Hätte es<br />

weiterhin sich auf diese Weise vor <strong>de</strong>m Herrn ge<strong>de</strong>mütigt und seine Bitten zum<br />

Gna<strong>de</strong>nthron emporgesandt, so wäre es jetzt im Besitze weit köstlicherer Erfahrungen. Das<br />

Volk Gottes betet zu wenig, wird zu wenig wirklich überzeugt von <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>, und <strong>de</strong>r<br />

Mangel an lebendigem Glauben läßt viele unberührt von <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong>ngabe, die unser Erlöser<br />

so reichlich vorgesehen hat.<br />

Gott wollte sein Volk prüfen. Seine Hand be<strong>de</strong>ckte <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Berechnung <strong>de</strong>r<br />

prophetischen Zeitabschnitte gemachten Fehler. Die Adventisten ent<strong>de</strong>ckten <strong>de</strong>n Irrtum<br />

nicht; er wur<strong>de</strong> auch nicht von <strong>de</strong>n Gelehrtesten ihrer Gegner ent<strong>de</strong>ckt. Diese sagten: „Eure<br />

Berechnung <strong>de</strong>r prophetischen Zeitabschnitte ist richtig. Irgen<strong>de</strong>in großes Ereignis wird<br />

stattfin<strong>de</strong>n; aber es ist nicht die Wie<strong>de</strong>rkunft.“ Die Zeit <strong>de</strong>r Erwartung ging vorüber, und<br />

Christus erschien nicht, um sein Volk zu befreien. Alle, die mit aufrichtigem Glauben und<br />

herzlicher Liebe auf ihren Heiland gewartet hatten, zeigten sich bitter enttäuscht. Doch<br />

Gottes Absicht wur<strong>de</strong> erreicht; er prüfte die Herzen <strong>de</strong>rer, die vorgaben, auf seine<br />

Erscheinung zu warten. Es waren unter ihnen viele, die aus keinem höheren Beweggrund<br />

getrieben wor<strong>de</strong>n waren als aus Furcht. Ihr Glaube hatte we<strong>de</strong>r ihre Herzen noch ihren<br />

Lebenswan<strong>de</strong>l beeinflußt. Als das erwartete Ereignis ausblieb, erklärten diese Menschen,<br />

daß sie nicht enttäuscht seien; sie hätten nie geglaubt, daß Christus kommen wer<strong>de</strong>; und sie<br />

gehörten zu <strong>de</strong>n ersten, die <strong>de</strong>n Schmerz <strong>de</strong>r wahrhaft Gläubigen verspotteten.<br />

Aber Jesus und die himmlischen Scharen sahen mit liebevoller Teilnahme auf die<br />

geprüften und doch enttäuschten Gläubigen herab. Hätte <strong>de</strong>r Schleier, <strong>de</strong>r die sichtbare Welt<br />

von <strong>de</strong>r unsichtbaren trennt, fortgezogen wer<strong>de</strong>n können, so wäre sichtbar gewor<strong>de</strong>n, wie<br />

Engel sich jenen standhaften Seelen genähert und sie vor <strong>de</strong>n Pfeilen Satans beschützt haben.<br />

260


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 21- Eine verworfene Warnung<br />

William Miller und seine Mitarbeiter hatten bei <strong>de</strong>r Verkündigung <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft<br />

Christi <strong>de</strong>n alleinigen Zweck im Auge, ihre Mitmenschen zu einer Vorbereitung auf das<br />

Gericht anzuspornen. Sie hatten versucht, angebliche Gläubige zur Erkenntnis <strong>de</strong>r wahren<br />

Hoffnung <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> und zur Notwendigkeit einer tieferen christlichen Erfahrung zu<br />

erwecken; auch arbeiteten sie darauf hin, die Unbekehrten von ihrer Pflicht unverzüglicher<br />

Buße und gründlicher Bekehrung zu Gott zu überzeugen. „Sie versuchten nicht, irgend<br />

jemand zu einer Sekte o<strong>de</strong>r Religionsgemeinschaft zu bekehren, und arbeiteten daher unter<br />

allen Gruppen und Sekten, ohne in ihre Organisation o<strong>de</strong>r Kirchenzucht einzugreifen.“<br />

Miller sagte: „In allen meinen Arbeiten habe ich nie gewünscht o<strong>de</strong>r beabsichtigt,<br />

irgen<strong>de</strong>ine Son<strong>de</strong>rrichtung außerhalb <strong>de</strong>r bestehen<strong>de</strong>n Gemeinschaften hervorzurufen o<strong>de</strong>r<br />

eine auf Kosten einer an<strong>de</strong>rn zu begünstigen. Ich gedachte, ihnen allen zu nützen. In <strong>de</strong>r<br />

Annahme, daß alle Christen sich auf das Kommen Jesu freuten, und daß die, welche nicht so<br />

sehen konnten wie ich, nichts<strong>de</strong>stoweniger jene lieben wür<strong>de</strong>n, die diese Lehre annähmen,<br />

ahnte ich nicht, daß jemals abgeson<strong>de</strong>rte Versammlungen nötig wer<strong>de</strong>n könnten. Mein<br />

einziges Ziel war, Seelen zu Gott zu bekehren, <strong>de</strong>r Welt das kommen<strong>de</strong> Gericht kundzutun<br />

und meine Mitmenschen zu jener Vorbereitung <strong>de</strong>s Herzens zu bewegen, die sie befähigt,<br />

ihrem Gott in Frie<strong>de</strong>n zu begegnen. Die große Mehrheit <strong>de</strong>rer, die unter meinem Wirken<br />

bekehrt wur<strong>de</strong>n, vereinigte sich mit <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen bestehen<strong>de</strong>n Gemein<strong>de</strong>n.“ (Bliß,<br />

„Memoirs of William Miller“ 328)<br />

Da Millers Werk <strong>de</strong>m Aufbau <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong>n diente, so stand man ihm eine Zeitlang<br />

wohlwollend gegenüber. Doch als Prediger und religiöse Leiter sich gegen die Adventlehre<br />

entschie<strong>de</strong>n und alle Erörterung dieses Themas zu unterdrücken wünschten, traten sie nicht<br />

nur von <strong>de</strong>r Kanzel herab dagegen auf, son<strong>de</strong>rn gestatteten ihren Mitglie<strong>de</strong>rn auch nicht die<br />

Freiheit, Predigten über die Wie<strong>de</strong>rkunft Christi zu besuchen o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Erbauungsstun<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> auch nur ihre Hoffnung auszusprechen. So befan<strong>de</strong>n sich die Gläubigen in<br />

einer sehr schwierigen Lage. Sie liebten ihre Gemein<strong>de</strong>n und wollten sich ungern von ihnen<br />

trennen; doch als sie sahen, daß das Zeugnis <strong>de</strong>s Wortes Gottes unterdrückt wur<strong>de</strong> und daß<br />

man ihnen das Recht versagte, in <strong>de</strong>n Weissagungen zu forschen, da erkannten sie, daß die<br />

Treue gegen Gott ihnen verbot, sich zu fügen. Die das Zeugnis <strong>de</strong>s Wortes Gottes verwarfen,<br />

konnten sie nicht als die Gemein<strong>de</strong> Christi, als „Pfeiler und ... Grundfeste <strong>de</strong>r<br />

Wahrheit“ (1.Timotheus 3,15) ansehen, und daher fühlten sie sich gerechtfertigt, sich von<br />

ihren früheren Verbindungen zu lösen. Im Sommer <strong>de</strong>s Jahres 1844 zogen sich ungefähr<br />

fünfzigtausend Glie<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>n Gemein<strong>de</strong>n zurück.<br />

Um diese Zeit wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n meisten Kirchen <strong>de</strong>r Vereinigten Staaten eine auffällige<br />

Verän<strong>de</strong>rung erkennbar. Schon seit vielen Jahren hatte eine allmählich aber beständig<br />

zunehmen<strong>de</strong> Anpassung an die weltlichen Gebräuche und Gewohnheiten und eine<br />

<strong>de</strong>mentsprechen<strong>de</strong> Abnahme <strong>de</strong>s wirklichen geistlichen Lebens bestan<strong>de</strong>n. Doch in diesem<br />

261


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Jahre zeigten sich in fast allen Gemeinschaften <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s Spuren eines plötzlichen und<br />

entschie<strong>de</strong>nen Verfalls. Während niemand imstan<strong>de</strong> zu sein schien, die Ursache dafür zu<br />

ergrün<strong>de</strong>n, wur<strong>de</strong> die Tatsache selbst doch von <strong>de</strong>r Presse und von <strong>de</strong>r Kanzel herunter weit<br />

und breit bemerkt und besprochen.<br />

Anläßlich einer Versammlung <strong>de</strong>s Presbyteriums von Phila<strong>de</strong>lphia stellte Herr Barnes,<br />

Verfasser eines bekannten Bibelwerkes und Pastor an einer <strong>de</strong>r hervorragendsten Kirchen<br />

jener Stadt, fest, „daß er seit zwanzig Jahren das geistliche Amt ausübe und noch nie, bis auf<br />

die letzte Abendmahlsfeier, das Abendmahl ausgeteilt habe, ohne mehr o<strong>de</strong>r weniger<br />

Glie<strong>de</strong>r in die Gemein<strong>de</strong> aufzunehmen. Aber nun gäbe es keine Erweckungen, keine<br />

Bekehrungen mehr, nicht viel offenbares Wachstum in <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong> unter <strong>de</strong>n Bekennern, und<br />

niemand komme in sein Studierzimmer, um mit ihm über sein Seelenheil zu sprechen. Mit<br />

<strong>de</strong>r Zunahme <strong>de</strong>s Geschäftsverkehrs und <strong>de</strong>n blühen<strong>de</strong>n Aussichten <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>ls und <strong>de</strong>r<br />

Industrie gehe eine Zunahme <strong>de</strong>r weltlichen Gesinnung Hand in Hand. So sei es mit allen<br />

religiösen Gemeinschaften.“<br />

Im Februar <strong>de</strong>sselben Jahres sagte Prof. Finney vom OberlinCollege: „Wir haben die<br />

Tatsachen vor Augen gehabt, daß im großen ganzen die protestantischen Kirchen unseres<br />

Lan<strong>de</strong>s als solche entwe<strong>de</strong>r beinahe allen sittlichen Reformen <strong>de</strong>s Zeitalters abgeneigt<br />

waren o<strong>de</strong>r feindlich gegenüberstan<strong>de</strong>n. Es gibt teilweise Ausnahmen, doch nicht genug, um<br />

diese Tatsachen an<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>nn allgemein erscheinen zu lassen. Noch eine an<strong>de</strong>re bestätigte<br />

Tatsache besteht: das fast gänzliche Fehlen <strong>de</strong>s Erweckungsgeistes in <strong>de</strong>n Gemein<strong>de</strong>n. Die<br />

geistliche Abgestumpftheit durchdringt beinahe alles und geht ungeheuer tief; das bezeugt<br />

die religiöse Presse <strong>de</strong>s ganzen Lan<strong>de</strong>s ... In sehr ausge<strong>de</strong>hntem Maße ergeben sich die<br />

Gemein<strong>de</strong>glie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong> und gehen Hand in Hand mit <strong>de</strong>n Gottlosen zu Ausflügen, zum<br />

Tanz und zu an<strong>de</strong>rn Festlichkeiten usw ... Doch wir brauchen uns nicht weiter über dieses<br />

peinliche Thema auszusprechen. Es genügt, daß die Beweise sich mehren und uns schwer<br />

bedrücken, daß die Kirchen im allgemeinen auf traurige Weise entarten. Sie sind sehr weit<br />

von <strong>de</strong>m Herrn abgewichen, und er hat sich von ihnen zurückgezogen.“<br />

Und ein Schreiber im „Religious Telescope“ bezeugt: „Wir haben nie einen so<br />

allgemeinen Verfall wahrgenommen wie gera<strong>de</strong> jetzt. Wahrlich, die Kirche sollte<br />

aufwachen und die Ursache dieses Notstan<strong>de</strong>s zu ergrün<strong>de</strong>n suchen; <strong>de</strong>nn als einen solchen<br />

muß je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r Zion liebt, diesen Zustand ansehen. Wenn wir die wenigen und vereinzelten<br />

Fälle wahrer Bekehrung und die nahezu beispiellose Unbußfertigkeit und Härte <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>r<br />

erwägen, so rufen wir fast unwillkürlich aus: Hat Gott vergessen gnädig zu sein, o<strong>de</strong>r ist die<br />

Tür <strong>de</strong>r Barmherzigkeit geschlossen?“<br />

Der Grund eines solchen Zustan<strong>de</strong>s liegt stets in <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> selbst. Die geistliche<br />

Finsternis, die Völker, Gemein<strong>de</strong>n und einzelne befällt, beruht keineswegs auf einer<br />

willkürlichen Entziehung <strong>de</strong>r helfen<strong>de</strong>n göttlichen Gna<strong>de</strong> durch <strong>de</strong>n Herrn, son<strong>de</strong>rn auf<br />

einer Vernachlässigung o<strong>de</strong>r Verwerfung <strong>de</strong>s göttlichen Lichtes durch die Menschen. Ein<br />

treffen<strong>de</strong>s Beispiel dieser Wahrheit bietet uns die Geschichte <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n zur Zeit Christi.<br />

262


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Dadurch daß sie sich <strong>de</strong>r Welt hingaben und Gott und sein Wort vergaßen, waren ihre Sinne<br />

verfinstert und ihre Herzen irdisch und sinnlich gewor<strong>de</strong>n; sie lebten in Unwissenheit<br />

hinsichtlich <strong>de</strong>r Ankunft <strong>de</strong>s Messias und verwarfen in ihrem Stolz und Unglauben <strong>de</strong>n<br />

Erlöser. Gott entzog auch dann noch nicht <strong>de</strong>r jüdischen Nation die Erkenntnis o<strong>de</strong>r einen<br />

Anteil an <strong>de</strong>n Segnungen <strong>de</strong>s Heils; aber alle, welche die Wahrheit verwarfen, verloren<br />

jegliches Verlangen nach <strong>de</strong>r Gabe <strong>de</strong>s Himmels. Sie hatten „aus Finsternis Licht und aus<br />

Licht Finsternis“ gemacht, bis das Licht, das in ihnen war, zur Finsternis wur<strong>de</strong>; wie groß<br />

war da erst die Finsternis! Jesaja 5,20; Matthäus 6,23.<br />

Es entspricht <strong>de</strong>n Absichten Satans, <strong>de</strong>n Schein <strong>de</strong>r Religion zu wahren, wenn nur <strong>de</strong>r<br />

Geist <strong>de</strong>r lebendigen Gottseligkeit fehlt. Nach <strong>de</strong>r Verwerfung <strong>de</strong>s Evangeliums hielten die<br />

Ju<strong>de</strong>n sehr eifrig an <strong>de</strong>n gewohnten Zeremonien fest: sie wahrten streng ihre nationale<br />

Abgeschlossenheit, während sie sich selbst eingestehen mußten, daß sich die Gegenwart<br />

Gottes nicht mehr in ihrer Mitte offenbarte. Die Weissagung Daniels verwies so<br />

unverkennbar auf die Zeit <strong>de</strong>r Ankunft <strong>de</strong>s Messias und sagte seinen Tod so <strong>de</strong>utlich voraus,<br />

daß sie das Studium <strong>de</strong>s Buches Daniel umgingen. Schließlich sprachen die Rabbiner einen<br />

Fluch aus über alle, die eine Berechnung <strong>de</strong>r Zeit versuchen sollten. Achtzehnhun<strong>de</strong>rt Jahre<br />

lang war das Volk Israel in Blindheit und Unbußfertigkeit gewan<strong>de</strong>lt, gleichgültig gegen die<br />

gnädigen Heilsgaben, rücksichtslos gegen die Segnungen <strong>de</strong>s Evangeliums, eine ernste und<br />

schreckliche Warnung vor <strong>de</strong>r Gefahr, das göttliche Licht zu verwerfen.<br />

Gleiche Ursachen haben gleiche Wirkungen. Wer absichtlich sein Pflichtgefühl<br />

unterdrückt, weil es seinen Neigungen entgegen ist, wird schließlich nicht mehr die<br />

Wahrheit vom Irrtum unterschei<strong>de</strong>n können; <strong>de</strong>r Verstand wird verfinstert, das Gewissen<br />

verhärtet, das Herz verstockt und die Seele von Gott getrennt. Wo man die Botschaft <strong>de</strong>r<br />

göttlichen Wahrheit geringschätzt und verachtet, dort wird Finsternis die Gemein<strong>de</strong><br />

überziehen; <strong>de</strong>r Glaube und die Liebe erkalten und Entfremdung und Spaltungen treten ein.<br />

Gemein<strong>de</strong>glie<strong>de</strong>r richten ihre Bestrebungen und ihre Kräfte auf weltliche Unterneh mungen,<br />

und Sün<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n in ihrer Unbußfertigkeit verhärtet.<br />

Die erste Engelsbotschaft in Offenbarung 14, welche die Zeit <strong>de</strong>s Gerichtes Gottes<br />

anzeigt und je<strong>de</strong>n auffor<strong>de</strong>rt, ihn anzubeten, war dazu bestimmt, das wahre Volk Gottes von<br />

<strong>de</strong>n ver<strong>de</strong>rblichen Einflüssen <strong>de</strong>r Welt zu trennen und es zu erwecken, um seinen wahren<br />

Zustand <strong>de</strong>r Weltlichkeit und <strong>de</strong>r Abtrünnigkeit zu erkennen. In dieser Botschaft hatte Gott<br />

<strong>de</strong>r Kirche eine Warnung gesandt, die, falls sie angenommen wor<strong>de</strong>n wäre, <strong>de</strong>n Übelstän<strong>de</strong>n<br />

abgeholfen hätte, welche die Menschen von ihm trennten. Hätten sie die Botschaft vom<br />

Himmel angenommen, ihre Herzen vor <strong>de</strong>m Herrn ge<strong>de</strong>mütigt und aufrichtig die<br />

Vorbereitung gesucht, um in seiner Gegenwart bestehen zu können, so wäre <strong>de</strong>r Geist und<br />

die Macht Gottes unter ihnen offenbart wor<strong>de</strong>n. Die Gemein<strong>de</strong> wür<strong>de</strong> abermals <strong>de</strong>n<br />

glücklichen Zustand <strong>de</strong>r Einheit, <strong>de</strong>s Glaubens und <strong>de</strong>r Liebe erreicht haben, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n<br />

Tagen <strong>de</strong>r Apostel bestand, als alle Gläubigen „ein Herz und eine Seele“ waren und „das<br />

263


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Wort Gottes mit Freudigkeit“ re<strong>de</strong>ten, als <strong>de</strong>r Herr hinzutat „täglich, die da selig wur<strong>de</strong>n, zu<br />

<strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong>“. Apostelgeschichte 4,31.32; Apostelgeschichte 2,47.<br />

Nähmen die bekennen<strong>de</strong>n Christen das Licht an, wie es aus <strong>de</strong>m Worte Gottes auf sie<br />

scheint, so erreichten sie jene Einigkeit, um die <strong>de</strong>r Heiland für sie bat und die <strong>de</strong>r Apostel<br />

beschreibt als „die Einigkeit im Geist durch das Band <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns“. Das ist, sagt er, „ein<br />

Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid auf einerlei Hoffnung eurer Berufung; ein Herr,<br />

ein Glaube, eine Taufe“. Epheser 4,3-5. Derart segensreich waren die Folgen für die, welche<br />

die Adventbotschaft annahmen. Jene Gläubigen kamen aus verschie<strong>de</strong>nen religiösen<br />

Gemeinschaften; aber die trennen<strong>de</strong>n Schranken wur<strong>de</strong>n nie<strong>de</strong>rgerissen. Einan<strong>de</strong>r<br />

wi<strong>de</strong>rsprechen<strong>de</strong> Glaubensbekenntnisse wur<strong>de</strong>n vernichtet, die schriftwidrige Hoffnung<br />

eines tausendjährigen Frie<strong>de</strong>nsreiches auf Er<strong>de</strong>n aufgegeben, falsche Ansichten über die<br />

Wie<strong>de</strong>rkunft Christi berichtigt, Stolz und Gleichstellung mit <strong>de</strong>r Welt beseitigt, Unrecht<br />

wie<strong>de</strong>rgutgemacht, Herzen in inniger Gemeinschaft vereint, und Liebe und Freu<strong>de</strong><br />

herrschten. Vollbrachte die Lehre dies für die wenigen, die sie annahmen, so wür<strong>de</strong> sie das<br />

gleiche für alle vollbracht haben, falls alle sie angenommen hätten. Aber die Kirchen als<br />

Ganzes nahmen die Warnung nicht an. Ihre<br />

Prediger, die als Wächter als erste dazu bestimmt gewesen wären, die Anzeichen <strong>de</strong>r<br />

Wie<strong>de</strong>rkunft Christi zu erkennen, hatten die Wahrheit we<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>n Zeugnissen <strong>de</strong>r<br />

Propheten noch an <strong>de</strong>n Zeichen <strong>de</strong>r Zeit erkannt. Da weltliche Hoffnungen und Ehrgeiz ihr<br />

Herz erfüllten, war die Liebe zu Gott und <strong>de</strong>r Glaube an sein Wort erkaltet, und als die<br />

Adventlehre gepredigt wur<strong>de</strong>, erweckte sie bei ihnen nur Vorurteil und Unglauben. Die<br />

Tatsache, daß die Botschaft größtenteils von Laien verkündigt wur<strong>de</strong>, führte man als einen<br />

Beweis gegen sie an. Wie vor alters wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utlichen Zeugnis <strong>de</strong>s Wortes Gottes die<br />

Frage entgegengehalten: „Glaubt auch irgend ein Oberster o<strong>de</strong>r Pharisäer an ihn?“ Johannes<br />

7,48.<br />

Und da sie fan<strong>de</strong>n, daß es eine schwierige Aufgabe war, die aus <strong>de</strong>n prophetischen<br />

Zeitangaben gezogenen Beweise zu wi<strong>de</strong>rlegen, rieten viele vom Studium <strong>de</strong>r<br />

Weissagungen ab und lehrten, die prophetischen Bücher seien versiegelt und sollten nicht<br />

verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Viele weigerten sich in blin<strong>de</strong>m Vertrauen auf ihre Seelsorger, <strong>de</strong>r<br />

Warnung Gehör zu schenken; an<strong>de</strong>re wagten es nicht, sie zu bekennen, auf „daß sie nicht in<br />

<strong>de</strong>n Bann getan wür<strong>de</strong>n“ (Johannes 12,42), obgleich sie von <strong>de</strong>r Wahrheit überzeugt waren.<br />

Die von Gott zur Prüfung und Läuterung <strong>de</strong>r Kirche gesandte Botschaft offenbarte <strong>de</strong>utlich,<br />

wie groß die Zahl <strong>de</strong>rer war, die ihr Herz dieser Welt statt Christus zugewandt hatte. Die<br />

Ban<strong>de</strong>, die sie mit <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> verknüpften, waren stärker als die, welche sie himmelwärts<br />

zogen. Sie gehorchten <strong>de</strong>r Stimme weltlicher Weisheit und wandten sich von <strong>de</strong>r<br />

herzergrün<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Botschaft <strong>de</strong>r Wahrheit ab.<br />

In<strong>de</strong>m sie die Warnung <strong>de</strong>s ersten Engels zurückwiesen, verwarfen sie das Mittel, das<br />

<strong>de</strong>r Himmel für ihre geistliche Erneuerung vorgesehen hatte. Sie verachteten <strong>de</strong>n<br />

gna<strong>de</strong>nreichen Boten, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Übelstän<strong>de</strong>n, die sie von Gott trennten, hätte abhelfen können,<br />

264


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

und kehrten sich mit größerer Zuneigung <strong>de</strong>r Freundschaft <strong>de</strong>r Welt zu. Hier lag die Ursache<br />

jenes be<strong>de</strong>nklichen Zustan<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Verweltlichung, <strong>de</strong>r Abtrünnigkeit und <strong>de</strong>s geistlichen<br />

To<strong>de</strong>s, wie er in <strong>de</strong>n Kirchen im Jahre 1844 vorherrschte. In Offenbarung 14 folgt <strong>de</strong>m<br />

ersten Engel ein zweiter mit <strong>de</strong>m Ruf: „Sie ist gefallen, sie ist gefallen, Babylon, die große<br />

Stadt; <strong>de</strong>nn sie hat mit <strong>de</strong>m Wein ihrer Hurerei getränkt alle Hei<strong>de</strong>n.“ Offenbarung 14,8.<br />

Babylon be<strong>de</strong>utet Verwirrung. Dieser Name wird in <strong>de</strong>r Heiligen Schrift angewandt, um die<br />

verschie<strong>de</strong>nen Formen einer falschen o<strong>de</strong>r abgefallenen Religion zu bezeichnen. In<br />

Offenbarung 17 wird Babylon als Weib dargestellt. Dies ist ein Bild, <strong>de</strong>ssen sich die Bibel<br />

als Symbol einer Gemein<strong>de</strong> bedient, und zwar versinnbil<strong>de</strong>t ein tugendhaftes Weib eine<br />

reine Gemein<strong>de</strong> und ein gefallenes Weib eine abtrünnige Kirche.<br />

In <strong>de</strong>r Bibel wird <strong>de</strong>r heilige und bleiben<strong>de</strong> Charakter <strong>de</strong>s zwischen Christus und seiner<br />

Gemein<strong>de</strong> bestehen<strong>de</strong>n Verhältnisses durch <strong>de</strong>n Ehebund dargestellt. Der Herr hat seine<br />

Gemein<strong>de</strong> durch einen feierlichen Bund mit sich vereint, seinerseits durch die Verheißung,<br />

ihr Gott zu sein, und ihrerseits durch die Verpflichtung, ihm allein angehören zu wollen. Er<br />

sagt: „Ich will mich mit dir verloben in Ewigkeit; ich will mich mit dir vertrauen in<br />

Gerechtigkeit und Gericht, in Gna<strong>de</strong> und Barmherzigkeit.“ Und abermals: „Ich will euch<br />

mir vertrauen.“ Hosea 2,21; Jeremia 3,14. Paulus bedient sich <strong>de</strong>rselben Re<strong>de</strong>wendung im<br />

Neuen Testament, wenn er sagt: „Ich habe euch vertraut einem Manne, daß ich eine reine<br />

Jungfrau Christo zubrächte.“ 2.Korinther 11,2.<br />

Die Untreue <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> gegen Christus dadurch, daß sie ihr Vertrauen und ihre<br />

Liebe vom Herrn abwandte und Weltliebe von ihrer Seele Besitz nehmen ließ, wird mit <strong>de</strong>m<br />

Bruch <strong>de</strong>s Ehegelüb<strong>de</strong>s verglichen. Israels Sün<strong>de</strong>, die Trennung von <strong>de</strong>m Herrn, wird unter<br />

diesem Bild dargestellt, und Gottes wun<strong>de</strong>rbare Liebe, die es auf diese Weise verachtete,<br />

wird eindrucksvoll geschil<strong>de</strong>rt: „Ich gelobte dir‘s und begab mich mit dir in einen Bund,<br />

spricht <strong>de</strong>r Herr Herr, daß du solltest mein sein ... und warst überaus schön und bekamst das<br />

Königreich. Und <strong>de</strong>in Ruhm erscholl unter die Hei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>iner Schöne halben, welche ganz<br />

vollkommen war durch <strong>de</strong>n Schmuck, so ich an dich behängt hatte ... Aber du verließest<br />

dich auf <strong>de</strong>ine Schöne; und weil du so gerühmt warst, triebst du Hurerei.“ „Das Haus Israel<br />

achtete mich nicht, gleichwie ein Weib ihren Buhlen nicht mehr achtet, spricht <strong>de</strong>r<br />

Herr.“ Wie die „Ehebrecherin, die anstatt ihres Mannes an<strong>de</strong>re zuläßt“! Hesekiel 16,8.13-15;<br />

Jeremia 3,20; Hesekiel 16,32.<br />

Im Neuen Testament wer<strong>de</strong>n ganz ähnliche Worte an bekennen<strong>de</strong> Christen gerichtet,<br />

welche die Freundschaft <strong>de</strong>r Welt vor <strong>de</strong>r Gunst Gottes suchen. Der Apostel Jakobus sagt:<br />

„Ihr Ehebrecher und Ehebrecherinnen, wisset ihr nicht, daß <strong>de</strong>r Welt Freundschaft Gottes<br />

Feindschaft ist? Wer <strong>de</strong>r Welt Freund sein will, <strong>de</strong>r wird Gottes Feind sein.“ Jakobus 4,4.<br />

Babylon, das Weib aus Offenbarung 17, wird uns geschil<strong>de</strong>rt als „beklei<strong>de</strong>t mit Purpur und<br />

Scharlach und übergol<strong>de</strong>t mit Gold und edlen Steinen und Perlen und hatte einen gol<strong>de</strong>nen<br />

Becher in <strong>de</strong>r Hand, voll Greuel und Unsauberkeit ihrer Hurerei, und an ihrer Stirn<br />

geschrieben einen Namen, ein Geheimnis: Die große Babylon, die Mutter <strong>de</strong>r Hurerei“. Der<br />

265


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Prophet sagt weiter: „Und ich sah das Weib trunken von <strong>de</strong>m Blut <strong>de</strong>r Heiligen und von<br />

<strong>de</strong>m Blut <strong>de</strong>r Zeugen Jesu.“ Offenbarung 17,4-6.<br />

Von Babylon wird ferner gesagt, sie sei „die große Stadt, die das Reich hat über die<br />

Könige auf Er<strong>de</strong>n“. Offenbarung 17,18. Die Macht, die so viele Jahrhun<strong>de</strong>rte hindurch<br />

unumschränkt über die Fürsten <strong>de</strong>r Christenheit geherrscht hat, ist Rom. Purpur und<br />

Scharlach, Gold, E<strong>de</strong>lstein und Perlen schil<strong>de</strong>rn lebhaft die Pracht und das mehr als<br />

königliche Gepränge, das <strong>de</strong>r anmaßen<strong>de</strong> römische Stuhl zur Schau trägt. Von keiner an<strong>de</strong>rn<br />

Macht konnte man so sehr mit Recht sagen, daß sie trunken war von <strong>de</strong>m Blut <strong>de</strong>r Heiligen,<br />

wie von jener Kirche, welche die Nachfolger Christi auf so grausame Weise verfolgt hat.<br />

Babylon war ebenfalls <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r gesetzwidrigen Verbindung mit „<strong>de</strong>n Königen auf<br />

Er<strong>de</strong>n“ angeklagt.<br />

Babylon wird „die Mutter <strong>de</strong>r Hurerei“ genannt. Unter <strong>de</strong>n Töchtern müssen Kirchen zu<br />

verstehen sein, die ihre Lehren und Überlieferungen festhalten und ihrem Beispiel folgen,<br />

in<strong>de</strong>m sie die Wahrheit und das Wohlwollen Gottes darangeben, um eine gesetzwidrige<br />

Verbindung mit <strong>de</strong>r Welt einzugehen. Die Botschaft aus Offenbarung 14, die <strong>de</strong>n Fall<br />

Babylons verkündigt, muß auf religiöse Gemeinschaften Anwendung fin<strong>de</strong>n, die einst rein<br />

waren, aber ver<strong>de</strong>rbt gewor<strong>de</strong>n sind. Da diese Warnungsbotschaft vor <strong>de</strong>m Gericht erfolgt,<br />

so muß sie in <strong>de</strong>n letzten Tagen verkündigt wer<strong>de</strong>n und kann sich <strong>de</strong>shalb nicht allein auf<br />

die römische Kirche beziehen, <strong>de</strong>nn diese befand sich schon seit vielen Jahrhun<strong>de</strong>rten in<br />

einem gefallenen Zustand. Weiterhin wird im 18.<br />

Kapitel <strong>de</strong>r Offenbarung das Volk Gottes aufgefor<strong>de</strong>rt, aus Babylon herauszugehen;<br />

<strong>de</strong>mzufolge müssen noch viele vom Volk Gottes in Babylon sein. In welchen religiösen<br />

Gemeinschaften ist aber jetzt <strong>de</strong>r größere Teil <strong>de</strong>r Nachfolger Christi zu fin<strong>de</strong>n? Zweifellos<br />

in <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Gemeinschaften, die sich zum protestantischen Glauben bekennen.<br />

Zur Zeit ihres Aufkommens nahmen diese Gemeinschaften eine ehrliche Stellung zu Gott<br />

und seiner Wahrheit ein, und Gottes Segen war mit ihnen. Selbst die ungläubige Welt mußte<br />

die wohltätigen Ergebnisse, die <strong>de</strong>r Annahme <strong>de</strong>r Evangeliumsgrundsätze folgten,<br />

anerkennen, wie <strong>de</strong>r Prophet zu Israel sagte: „Dein Ruhm erscholl unter die Hei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>iner<br />

Schöne halben, welche ganz vollkommen war durch <strong>de</strong>n Schmuck, so ich an dich gehängt<br />

hatte spricht <strong>de</strong>r Herr Herr.“ Hesekiel 16,14. Aber die Gemeinschaften fielen durch die<br />

gleichen Gelüste, die Israel zum Fluch und zum Ver<strong>de</strong>rben gereichten: — durch das<br />

Verlangen, die Sitten <strong>de</strong>r Gottlosen nachzuahmen und ihre Freundschaft zu erwerben. „Du<br />

verließest dich auf <strong>de</strong>ine Schöne; und weil du so berühmt warst, triebst du Hurerei, also daß<br />

du dich einem jeglichen, wer vorüberging, gemein machtest und tatest seinen<br />

Willen.“ Hesekiel 16,15.<br />

Viele <strong>de</strong>r protestantischen Kirchen folgen Roms Beispiel <strong>de</strong>r schriftwidrigen<br />

Verbindung mit „<strong>de</strong>n Königen auf Er<strong>de</strong>n“ — die Staatskirchen durch ihre Beziehung zu <strong>de</strong>n<br />

weltlichen Regierungen, und an<strong>de</strong>re Gemeinschaften, in<strong>de</strong>m sie die Gunst <strong>de</strong>r Welt suchen.<br />

Der Ausdruck Babylon (Verwirrung) mag mit Recht auf diese Gemeinschaften angewandt<br />

266


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

wer<strong>de</strong>n, da alle bekennen, ihre Lehren <strong>de</strong>r Heiligen Schrift zu entnehmen, und doch in fast<br />

unzählige Sekten und Gruppen zersplittert sind mit weit voneinan<strong>de</strong>r abweichen<strong>de</strong>n<br />

Glaubensbekenntnissen und Lehren. Außer einer sündhaften Verbindung mit <strong>de</strong>r Welt<br />

weisen die Gemein<strong>de</strong>n, die sich von Rom getrennt haben, noch an<strong>de</strong>re seiner Merkmale auf.<br />

Ein römisch-katholisches Werk behauptet: „Falls die römische Kirche sich in <strong>de</strong>r Verehrung<br />

<strong>de</strong>r Heiligen je <strong>de</strong>r Abgötterei schuldig machte, so steht ihre Tochter, die anglikanische<br />

Kirche, ihr nicht nach; <strong>de</strong>nn sie hat zehn Kirchen, die <strong>de</strong>r Jungfrau Maria gewidmet sind,<br />

gegen eine, die Christus geweiht ist.“<br />

Dr. Hopkins macht in einer Abhandlung über das Tausendjährige Reich folgen<strong>de</strong><br />

Aussage: „Wir haben keinen Grund, <strong>de</strong>n antichristlichen Geist und seine Gebräuche auf die<br />

sogenannte römische Kirche zu beschränken. Die protestantischen Kirchen tragen viel von<br />

<strong>de</strong>m Antichristen in sich und sind weit davon entfernt, frei von <strong>de</strong>r Ver<strong>de</strong>rbtheit und<br />

Gottlosigkeit zu sein.“ Über die Trennung <strong>de</strong>r presbyterianischen Kirche von Rom schrieb<br />

Dr. Guthrie: „Vor dreihun<strong>de</strong>rt Jahren verließ unsere Kirche mit einer offenen Bibel auf ihrer<br />

Fahne und <strong>de</strong>m Wahlspruch ‚Erforschet die Schrift¡ auf ihrer Urkun<strong>de</strong> die Tore<br />

Roms.“ Dann stellt er die be<strong>de</strong>utungsvolle Frage: „Verließ sie rein die Tore<br />

Babylons?“ Spurgeon äußerte sich folgen<strong>de</strong>rmaßen: „Die anglikanische Kirche scheint ganz<br />

und gar durchsäuert zu sein von <strong>de</strong>r Lehre, daß das Heil in <strong>de</strong>n Sakramenten liege; aber<br />

diejenigen, welche von dieser Kirche getrennt sind, sind gleichermaßen von<br />

philosophischem Unglauben durchdrungen. Auch die, von <strong>de</strong>nen wir bessere Dinge erwartet<br />

hätten, wen<strong>de</strong>n sich, einer nach <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn, von <strong>de</strong>n Grundpfeilern <strong>de</strong>s Glaubens ab. Das<br />

innerste Herz Englands ist, glaube ich, ganz durchlöchert von einem ver<strong>de</strong>rblichen<br />

Unglauben, <strong>de</strong>r es noch wagt, auf die Kanzel zu steigen und sich christlich zu nennen.“<br />

Worin lag <strong>de</strong>r Ursprung <strong>de</strong>s großen Abfalls? Wie ist die Kirche zuerst von <strong>de</strong>r<br />

Einfachheit <strong>de</strong>s Evangeliums abgewichen? — In<strong>de</strong>m sie sich <strong>de</strong>n Gebräuchen <strong>de</strong>s<br />

Hei<strong>de</strong>ntums anpaßte, um <strong>de</strong>n Hei<strong>de</strong>n die Annahme <strong>de</strong>s Christentums zu erleichtern. Der<br />

Apostel Paulus erklärte schon in seinen Tagen: „Es regt sich bereits das Geheimnis <strong>de</strong>r<br />

Bosheit.“ 2.Thessalonicher 2,7. Solange die Apostel lebten, erhielt sich die Gemein<strong>de</strong><br />

verhältnismäßig rein. Doch „gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 2. Jahrhun<strong>de</strong>rts wan<strong>de</strong>lten sich die meisten<br />

Gemein<strong>de</strong>n; als die alten Jünger gestorben waren, schwand unter ihren Kin<strong>de</strong>rn und <strong>de</strong>n<br />

Neubekehrten die frühere Einfachheit ... und nahm kaum merkbar neue Formen an“. Um<br />

Anhänger zu gewinnen, nahm man es mit <strong>de</strong>m ehrwürdigen Richtmaß <strong>de</strong>s christlichen<br />

Glaubens weniger genau; infolge<strong>de</strong>ssen brachte „eine heidnische Flut, die in die Kirche<br />

hineinströmte, ihre Gewohnheiten, Gebräuche und Götzen mit“. Da sich die christliche<br />

Religion die Gunst und Unterstützung <strong>de</strong>r weltlichen Herrscher sicherte, wur<strong>de</strong> sie <strong>de</strong>m<br />

Namen nach von Scharen von Menschen angenommen; viele waren nur <strong>de</strong>m Schein nach<br />

Christen, blieben aber in Wirklichkeit Hei<strong>de</strong>n und beteten im geheimen ihre Götzen weiter<br />

an.<br />

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<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Wie<strong>de</strong>rholt sich <strong>de</strong>rselbe Vorgang nicht in beinahe je<strong>de</strong>r Kirche, die sich protestantisch<br />

nennt? Mit <strong>de</strong>m Dahinschei<strong>de</strong>n ihrer Grün<strong>de</strong>r, die von <strong>de</strong>m wahren Geist <strong>de</strong>r Erneuerung<br />

beseelt waren, treten ihre Nachfahren in <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgrund und gestalten die Sache neu.<br />

Während die Kin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Reformer blind vertrauend zu <strong>de</strong>n Glaubenssätzen ihrer Väter<br />

halten und sich weigern, eine Wahrheit anzunehmen, die über <strong>de</strong>n Gesichtskreis jener<br />

hinausgeht, weichen sie von <strong>de</strong>ren Beispiel <strong>de</strong>r Demut, Selbstverleugnung und<br />

Weltentsagung weit ab. So „verschwin<strong>de</strong>t die erste Einfalt“. Eine Welle <strong>de</strong>r Weltlichkeit mit<br />

ihren Gewohnheiten, Gebräuchen und Götzen überschwemmt die Kirche.<br />

Ach, wie sehr wird jene Freundschaft <strong>de</strong>r Welt, die „Gottes Feindschaft“ (Jakobus 4,4)<br />

ist, jetzt unter <strong>de</strong>n erklärten Nachfolgern Christi gehegt! Wie weit sind die allgemeinen<br />

Kirchen im ganzen Christentum von <strong>de</strong>m biblischen Maßstab <strong>de</strong>r Demut, <strong>de</strong>r<br />

Selbstverleugnung, <strong>de</strong>r Einfachheit und <strong>de</strong>r Gottseligkeit abgewichen! John Wesley sagte<br />

einmal, als er von <strong>de</strong>m richtigen Gebrauch <strong>de</strong>s Gel<strong>de</strong>s re<strong>de</strong>te: „Verschwen<strong>de</strong>t keinen Teil<br />

einer so köstlichen Gabe in bloßer Befriedigung <strong>de</strong>r Augenlust durch überflüssige o<strong>de</strong>r<br />

kostspielige Kleidung o<strong>de</strong>r unnötigen Putz. Verschwen<strong>de</strong>t keinen Teil mit <strong>de</strong>r künstlichen<br />

Ausschmückung eurer Häuser, in überflüssigen o<strong>de</strong>r teuren Einrichtungen, in kostbaren<br />

Bil<strong>de</strong>rn, Gemäl<strong>de</strong>n, Vergoldungen ... Gebt nichts aus, um hoffärtigem Leben zu frönen, um<br />

die Bewun<strong>de</strong>rung o<strong>de</strong>r das Lob <strong>de</strong>r Menschen zu gewinnen ... Solange es dir wohlgeht, wird<br />

man Gutes von dir re<strong>de</strong>n. Solange du dich klei<strong>de</strong>st mit Purpur und köstlicher Leinwand und<br />

alle Tage herrlich und in Freu<strong>de</strong>n lebst, wer<strong>de</strong>n ohne Zweifel viele <strong>de</strong>inen erlesenen<br />

Geschmack, <strong>de</strong>ine Freigebigkeit und Gastfreundschaft loben. Erkaufe aber ihren Beifall<br />

nicht so teuer; begnüge dich lieber mit <strong>de</strong>r Ehre, die von Gott kommt.“ In vielen Kirchen<br />

jedoch wer<strong>de</strong>n heutzutage solche Lehren verachtet.<br />

In dieser Welt ist es üblich, irgen<strong>de</strong>inem Religionsbekenntnis anzugehören. Herrscher,<br />

Politiker, Juristen, Doktoren, Kaufleute treten <strong>de</strong>r Kirche bei, um sich die Achtung und das<br />

Vertrauen <strong>de</strong>r Gesellschaft zu erwerben und ihre eigenen weltlichen Angelegenheiten zu<br />

för<strong>de</strong>rn. Auf diese Weise suchen sie ihre ungerechten Handlungen unter einem christlichen<br />

Bekenntnis zu verbergen. Die verschie<strong>de</strong>nen religiösen Gemeinschaften bieten, verstärkt<br />

durch <strong>de</strong>n Reichtum und <strong>de</strong>n Einfluß dieser getauften Weltmenschen, noch mehr auf, um<br />

Volkstümlichkeit und Gönnerschaft zu gewinnen. Prächtige Kirchen, die auf die<br />

verschwen<strong>de</strong>rischste Weise ausgeschmückt sind, wer<strong>de</strong>n in belebten Straßen errichtet. Die<br />

Kirchgänger sind kostbar und nach <strong>de</strong>r neuesten Mo<strong>de</strong> geklei<strong>de</strong>t. Man zahlt einem begabten<br />

Prediger ein hohes Gehalt, damit er das Volk unterhalte und fessele.<br />

Seine Predigten dürfen die allgemein verbreiteten Sün<strong>de</strong>n nicht rügen, son<strong>de</strong>rn müssen<br />

<strong>de</strong>m zeitbejahen<strong>de</strong>n Ohr weich und gefällig klingen. Auf diese Weise wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Zeitmo<strong>de</strong><br />

huldigen<strong>de</strong> Sün<strong>de</strong>r in die Kirchenbücher eingetragen und sogenannte Mo<strong>de</strong>sün<strong>de</strong>n unter<br />

<strong>de</strong>m Deckmantel <strong>de</strong>r Gottseligkeit verborgen. Eine führen<strong>de</strong> weltliche Zeitung, die sich über<br />

die gegenwärtige Haltung <strong>de</strong>r bekenntlichen amerikanischen Christen <strong>de</strong>r Welt gegenüber<br />

ausspricht, schrieb: „Allmählich hat sich die Kirche <strong>de</strong>m Zeitgeist ergeben und ihre<br />

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<strong>Chaos</strong>theorie<br />

gottesdienstlichen Formen <strong>de</strong>n mo<strong>de</strong>rnen Bedürfnissen angepaßt ... In <strong>de</strong>r Tat verwen<strong>de</strong>t die<br />

Kirche alles als ihr Werkzeug, was hilft, die Religion anziehend zu machen.“ Ein Schreiber<br />

im Neuyorker „In<strong>de</strong>pen<strong>de</strong>nt“ sprach folgen<strong>de</strong>rmaßen vom Methodismus, wie er ist: „Die<br />

Trennungslinie zwischen <strong>de</strong>n Gottesfürchtigen und <strong>de</strong>n Gottlosen verblaßt zu einem<br />

Halbschatten, und auf bei<strong>de</strong>n Seiten sind eifrige Männer bemüht, alle Unterschie<strong>de</strong><br />

zwischen ihrer Handlungsweise und ihren Vergnügungen zu verwischen ... Die<br />

Volkstümlichkeit <strong>de</strong>r Religion trägt ungeheuer viel dazu bei, die Zahl <strong>de</strong>rer zu vermehren,<br />

die sich ihre Segnungen verschaffen möchten, ohne redlich ihren Pflichten nachzukommen.“<br />

Howard Crosby sagte: „Es ist eine sehr ernste Sache, daß Christi Kirche so wenig <strong>de</strong>n<br />

Absichten <strong>de</strong>s Herrn nachkommt. Wie die Ju<strong>de</strong>n vor alters durch ein freundschaftliches<br />

Verhältnis mit Götzendienern ihre Herzen von Gott abwandten,... so verläßt die heutige<br />

Kirche Christi durch ihre falsche Partnerschaft mit <strong>de</strong>r ungläubigen Welt die göttlichen<br />

Richtlinien ihres wahren Lebens und gibt sich <strong>de</strong>n ver<strong>de</strong>rblichen, wenngleich oft scheinbar<br />

richtigen Gewohnheiten einer unchristlichen Gesellschaft hin und benutzt Beweisführungen<br />

und kommt zu Schlüssen, die <strong>de</strong>n Offenbarungen Gottes fremd und <strong>de</strong>m Wachstum in <strong>de</strong>r<br />

Gna<strong>de</strong> zuwi<strong>de</strong>r sind.“ In dieser Flut von Weltlichkeit und Vergnügungssucht gehen<br />

Selbstverleugnung und Selbstaufopferung um Christi willen beinahe gänzlich verloren.<br />

„Manche Männer und Frauen, die sich jetzt in unseren Kirchen rege betätigen, wur<strong>de</strong>n als<br />

Kin<strong>de</strong>r dazu angehalten, Opfer zu bringen, damit sie imstan<strong>de</strong> wären, für Christus etwas zu<br />

geben o<strong>de</strong>r zu tun.“ Doch „falls es nun an Mitteln fehlt,... darf niemand aufgefor<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n,<br />

etwas zu geben. O nein, haltet einen Basar ab, veranstaltet eine Schau leben<strong>de</strong>r Bil<strong>de</strong>r, ein<br />

Scheinverhör, ein altertümliches Aben<strong>de</strong>ssen o<strong>de</strong>r eine Mahlzeit — irgend etwas, um das<br />

Volk zu belustigen.“<br />

Gouverneur Washburn von Wisconsin erklärte in seiner Jahresbotschaft vom 9. Januar<br />

1873: „Es scheinen Gesetze notwendig zu wer<strong>de</strong>n, um Schulen schließen zu können, die<br />

gera<strong>de</strong>zu Spieler heranzüchten. Man fin<strong>de</strong>t solche überall. Selbst die Kirche (ohne Zweifel<br />

unwissentlich) läßt sich oft darüber ertappen, daß sie <strong>de</strong>s Teufels Werk ausführt.<br />

Wohltätigkeitskonzerte Prämienunternehmungen, Verlosungen, oft um religiösen und<br />

Wohltätigkeitszwecken, häufig aber auch um weit geringeren Absichten zu dienen, wer<strong>de</strong>n<br />

veranstaltet; Lotterien, Preispakete usw. erfüllen <strong>de</strong>n Zweck, Geld zu erlangen, ohne <strong>de</strong>n<br />

entsprechen<strong>de</strong>n Wert dafür zu geben. Nichts ist so entsittlichend, so berauschend, beson<strong>de</strong>rs<br />

für die Jugend, als <strong>de</strong>r Gewinn von Geld o<strong>de</strong>r Gut, ohne dafür zu arbeiten. Wenn sich<br />

achtbare Personen mit <strong>de</strong>rartigen Glücksunternehmen befassen und ihr Gewissen damit<br />

beruhigen, daß das Geld für einen guten Zweck angewandt wer<strong>de</strong>, dann kann man sich nicht<br />

wun<strong>de</strong>rn, wenn die Jugend so oft in solche Gewohnheiten verfällt, die durch die Erregung<br />

<strong>de</strong>r Glücksspiele leicht hervorgerufen wer<strong>de</strong>n.“<br />

Der Geist, sich <strong>de</strong>r Welt anzupassen, durchdringt alle Kirchen <strong>de</strong>s ganzen Christentums.<br />

Robert Atkins malte in einer in London gehaltenen Predigt ein dunkles Bild von <strong>de</strong>m<br />

geistlichen Verfall, <strong>de</strong>r in England herrschte. Er sagte: „Die wahrhaft Gerechten auf Er<strong>de</strong>n<br />

269


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

wer<strong>de</strong>n weniger, und niemand nimmt es zu Herzen. Die heutigen Bekenner <strong>de</strong>r Religion in<br />

je<strong>de</strong>r Kirche lieben die Welt, passen sich ihr an, trachten nach persönlicher Bequemlichkeit<br />

und streben nach Ansehen. Sie sind berufen, mit Christus zu lei<strong>de</strong>n, aber sie schrecken<br />

schon vor einem Schmähwort zurück ... Abfall, Abfall, Abfall! steht vorn an je<strong>de</strong>r Kirche<br />

geschrieben, und wüßten sie es nur und könnten sie es fühlen, so wäre noch Hoffnung da;<br />

doch ach! sie rufen: Wir sind reich und haben gar satt und bedürfen nichts.“<br />

Die große, Babylon zur Last gelegte Sün<strong>de</strong> ist, daß es mit <strong>de</strong>m Wein ihrer Hurerei alle<br />

Hei<strong>de</strong>n getränkt hat. Dieser betäuben<strong>de</strong> Becher, <strong>de</strong>n es <strong>de</strong>r Welt anbietet, stellt die falschen<br />

Lehren dar, die es als Folge seiner ungesetzlichen Verbindung mit <strong>de</strong>n Großen <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong><br />

angenommen hat. Freundschaft mit <strong>de</strong>r Welt verdirbt <strong>de</strong>n Glauben und übt einen<br />

ver<strong>de</strong>rblichen Einfluß auf die Welt aus, in<strong>de</strong>m sie Lehren verbreitet, die <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utlichsten<br />

Aussagen <strong>de</strong>r Heiligen Schrift zuwi<strong>de</strong>rlaufen. Rom enthielt <strong>de</strong>m Volk die Bibel vor und<br />

verlangte von allen, daß man statt ihrer seine Lehren annehmen solle. Es war die Aufgabe<br />

<strong>de</strong>r Reformation, <strong>de</strong>r Menschheit das Wort Gottes wie<strong>de</strong>rzugeben; und doch ist es wahr, daß<br />

die Menschen in <strong>de</strong>n Kirchen unserer Zeit gelehrt wer<strong>de</strong>n, ihren Glauben mehr auf die<br />

Glaubensbekenntnisse und die Satzungen ihrer Kirche zu grün<strong>de</strong>n als auf die Heilige Schrift.<br />

Charles Beecher sagte von <strong>de</strong>n protestantischen Kirchen:<br />

„Sie schrecken vor irgen<strong>de</strong>inem rauhen Wort gegen die Glaubensbekenntnisse mit <strong>de</strong>r<br />

gleichen Empfindlichkeit zurück, mit <strong>de</strong>r jene heiligen Väter sich über irgen<strong>de</strong>in hartes<br />

Wort, das <strong>de</strong>r aufkommen<strong>de</strong>n Verehrung <strong>de</strong>r Heiligen und Märtyrer gegolten hätte, entsetzt<br />

haben wür<strong>de</strong>n ... Die protestantisch evangelischen Gemeinschaften haben sich gegenseitig<br />

und sich selbst <strong>de</strong>rartig die Hän<strong>de</strong> gebun<strong>de</strong>n, daß unter ihnen allen niemand Prediger<br />

wer<strong>de</strong>n kann, ohne das eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Buch außer <strong>de</strong>r Bibel anzunehmen ... Es ist keine<br />

Einbildung, wenn man sagt daß die Macht <strong>de</strong>r Glaubensbekenntnisse anfängt, die Bibel<br />

ebenso wirklich zu verbieten, wie Rom dies getan hat, wenn auch auf eine listigere Weise.“<br />

Wenn treue Lehrer das Wort Gottes auslegen, dann erheben sich gelehrte Männer,<br />

Prediger, die behaupten, die Schrift zu verstehen, rügen gesun<strong>de</strong> Lehren als Ketzerei und<br />

machen auf diese Weise die nach Wahrheit Suchen<strong>de</strong>n abspenstig. Wäre die Welt nicht<br />

hoffnungslos trunken von <strong>de</strong>m Wein Babylons, so wür<strong>de</strong>n durch die klaren,<br />

durchdringen<strong>de</strong>n Wahrheiten <strong>de</strong>s Wortes Gottes sehr viele überzeugt und bekehrt wer<strong>de</strong>n.<br />

Aber <strong>de</strong>r christliche Glaube erscheint so verwirrt und voller Wi<strong>de</strong>rsprüche, daß das Volk<br />

nicht weiß, was als Wahrheit zu glauben ist. Die Schuld an <strong>de</strong>r Unbußfertigkeit <strong>de</strong>r Welt<br />

lastet auf <strong>de</strong>r Kirche.<br />

Die zweite Engelsbotschaft aus Offenbarung 14 wur<strong>de</strong> zum erstenmal im Sommer 1844<br />

gepredigt und fand damals unmittelbare Anwendung auf die Kirchen in <strong>de</strong>n Vereinigten<br />

Staaten, wo die Gerichtswarnung am ausge<strong>de</strong>hntesten verkündigt und zugleich auch<br />

verworfen wor<strong>de</strong>n war, und wo <strong>de</strong>r Verfall in <strong>de</strong>n Kirchen am schnellsten um sich gegriffen<br />

hatte. Aber die Botschaft <strong>de</strong>s zweiten Engels fand im Jahre 1844 nicht ihre vollständige<br />

Erfüllung. Damals erlitten die Kirchen durch ihre Weigerung, das Licht <strong>de</strong>r Adventbotschaft<br />

270


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

anzunehmen, einen sittlichen Fall, <strong>de</strong>r aber noch nicht vollständig war. Da sie weiterhin die<br />

beson<strong>de</strong>ren Wahrheiten für diese Zeit verwarfen, sind sie immer tiefer gefallen; jedoch läßt<br />

sich noch nicht sagen: Babylon ist gefallen; „Denn sie hat mit <strong>de</strong>m Wein ihrer Hurerei<br />

getränkt alle Hei<strong>de</strong>n“. Sie hat noch nicht alle Hei<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Völker dahin gebracht, dies zu<br />

tun. Der Geist <strong>de</strong>r Verweltlichung und <strong>de</strong>r Gleichgültigkeit gegen die prüfen<strong>de</strong>n Wahrheiten<br />

für unsere Zeit besteht und hat in <strong>de</strong>n Kirchen <strong>de</strong>s protestantischen Glaubens in allen<br />

Län<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Christenheit Bo<strong>de</strong>n gewonnen; diese Kirchen schließt die feierliche und<br />

schreckliche Beschuldigung <strong>de</strong>s zweiten Engels mit ein. Doch <strong>de</strong>r Abfall hat seinen<br />

Höhepunkt noch nicht erreicht.<br />

Die Heilige Schrift sagt uns, daß vor <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft <strong>de</strong>s Herrn Satan wirken wird „mit<br />

allerlei lügenhaftigen Kräften und Zeichen und Wun<strong>de</strong>rn und mit allerlei Verführung zur<br />

Ungerechtigkeit“, und die, welche „die Liebe zur Wahrheit nicht haben angenommen, auf<br />

daß sie selig wür<strong>de</strong>n“, wer<strong>de</strong>n kräftige Irrtümer empfangen, „daß sie glauben <strong>de</strong>r Lüge“.<br />

2.Thessalonicher 2,9-11. Nicht eher als bis dieser Zustand eingetreten und die Vereinigung<br />

<strong>de</strong>r Kirche mit <strong>de</strong>r Welt über die ganze Christenheit hergestellt ist, wird <strong>de</strong>r Fall Babylons<br />

vollständig sein. Die Verän<strong>de</strong>rung schreitet voran, aber die vollkommene Erfüllung von<br />

Offenbarung 14,8 ist noch zukünftig. Trotz <strong>de</strong>r geistlichen Finsternis und <strong>de</strong>r Trennung von<br />

Gott, die in <strong>de</strong>n Kirchen, die Babylon bil<strong>de</strong>n, bestehen, fin<strong>de</strong>t sich die Mehrzahl <strong>de</strong>r wahren<br />

Nachfolger Christi noch immer in ihrer Gemeinschaft. Es gibt viele unter ihnen, die noch<br />

nie die beson<strong>de</strong>ren Wahrheiten für diese Zeit gehört haben. Nicht wenige sind unzufrie<strong>de</strong>n<br />

mit ihrem gegenwärtigen Zustand und sehnen sich nach hellerem Licht. Sie schauen sich in<br />

<strong>de</strong>n Kirchen, mit <strong>de</strong>nen sie in Verbindung stehen, vergebens nach <strong>de</strong>m Ebenbild Christi um.<br />

In<strong>de</strong>m diese Gemein<strong>de</strong>n immer mehr von <strong>de</strong>r Wahrheit abweichen und sich immer enger<br />

mit <strong>de</strong>r Welt verbin<strong>de</strong>n, wird <strong>de</strong>r Unterschied zwischen diesen bei<strong>de</strong>n Gruppen immer<br />

größer und schließlich zu einer Trennung führen. Die Zeit wird kommen, da die, welche<br />

Gott über alles lieben, nicht länger mit <strong>de</strong>nen in Verbindung bleiben können, die „mehr<br />

lieben Wollust <strong>de</strong>nn Gott, die da haben <strong>de</strong>n Schein eines gottseligen Wesens, aber seine<br />

Kraft verleugnen“. 2.Timotheus 3,4.5.<br />

Offenbarung 18 verweist auf die Zeit, da die Kirche infolge <strong>de</strong>r Verwerfung <strong>de</strong>r drei<br />

Engelsbotschaften aus Offenbarung 14,612 völlig <strong>de</strong>n Zustand erreicht haben wird, <strong>de</strong>r<br />

durch <strong>de</strong>n zweiten Engel vorhergesagt ist. Das Volk Gottes, das sich noch immer in Babylon<br />

befin<strong>de</strong>t, wird dann aufgefor<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n, sich aus dieser Bindung zu lösen. Diese Botschaft<br />

ist die letzte, die die Welt erhalten wird, und sie wird ihre Aufgabe erfüllen. Wenn die<br />

Seelen, die <strong>de</strong>r Wahrheit nicht glaubten, son<strong>de</strong>rn Lust hatten an <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit<br />

(2.Thessalonicher 2,12), kräftigen Irrtümern preisgegeben wer<strong>de</strong>n, daß sie <strong>de</strong>r Lüge glauben,<br />

dann wird das Licht <strong>de</strong>r Wahrheit allen strahlen,<strong>de</strong>ren Herzen offenstehen,es zu<br />

empfangen,und alle Kin<strong>de</strong>r Gottes, die in Babylon ausharren, wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m Ruf folgen:<br />

„Gehet aus von ihr, mein Volk!“ Offenbarung 18,4.<br />

271


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 22- Erfüllte Weissagungen<br />

Als im Frühling <strong>de</strong>s Jahres 1844 die Zeit vorüberging, zu <strong>de</strong>r die Ankunft Christi<br />

erwartet wur<strong>de</strong>, gerieten die, welche im Glauben auf seine Erscheinung gewartet hatten,<br />

eine Zeitlang in Zweifel und Verlegenheit. Während die Welt sie als gänzlich geschlagen<br />

ansah und ihnen beweisen wollte, daß sie einem Irrtum erlegen wären, war das Wort Gottes<br />

immer noch die Quelle ihres Trostes. Viele suchten erneut in <strong>de</strong>r Schrift, prüften abermals<br />

die Grundlage ihres Glaubens und erforschten sorgfältig die Weissagungen, um weiteres<br />

Licht zu erlangen. Das biblische Zeugnis schien ihre Stellung klar und entschei<strong>de</strong>nd zu<br />

bestätigen. Zeichen, die nicht mißverstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n konnten, wiesen darauf hin, daß das<br />

Kommen Christi nahe bevorstand. Der beson<strong>de</strong>re Segen <strong>de</strong>s Herrn durch die Bekehrung von<br />

Sün<strong>de</strong>rn und die Erweckung <strong>de</strong>s geistlichen Lebens unter Christen hatte Zeugnis abgelegt,<br />

daß die Botschaft vom Himmel war; und obgleich diese läubigen ihre Enttäuschung nicht<br />

erklären konnten, fühlten sie doch die Versicherung, daß Gott sie in ihrer früheren<br />

Erfahrung geführt hatte.<br />

Unter <strong>de</strong>n Weissagungen, die sie als Hinweis auf die Zeit <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft Christi<br />

ansahen, fan<strong>de</strong>n sich Belehrungen, welche auf ihren ungewissen und erwartungsvollen<br />

Zustand beson<strong>de</strong>rs paßten und sie ermutigten, geduldig in <strong>de</strong>m Glauben auszuharren, daß<br />

das, was ihrem Verstand jetzt dunkel schien, zur rechten Zeit erhellt wür<strong>de</strong>. Zu diesen<br />

Weissagungen gehörte jene aus Habakuk 2,1-4: „Hier stehe ich auf meiner Hut und trete auf<br />

meine Feste und schaute und sehe zu, was mir gesagt wer<strong>de</strong> und was meine Antwort sein<br />

solle auf mein Rechten. Der Herr aber antwortete mir und spricht: Schreib das Gesicht und<br />

male es auf eine Tafel, daß es lesen könne, wer vorüberläuft! Die Weissagung wird ja noch<br />

erfüllt wer<strong>de</strong>n zu seiner Zeit und wird endlich frei an <strong>de</strong>n Tag kommen und nicht ausbleiben.<br />

Ob sie aber verzieht,so harre ihrer: sie wird gewiß kommen und nicht verziehen. Siehe, wer<br />

halsstarrig ist, <strong>de</strong>r wird keine Ruhe in seinem Herzen haben; <strong>de</strong>r Gerechte aber wird seines<br />

Glaubens leben.“<br />

Schon im Jahre 1842 hatte die im prophetischen Wort gegebene Anweisung: „Schreib<br />

das Gesicht und male es auf eine Tafel, daß es lesen könne, wer vorüberläuft“, Charles Fitch<br />

auf <strong>de</strong>n Gedanken gebracht, eine prophetische Karte zu entwerfen, um die Gesichte Daniels<br />

und <strong>de</strong>r Offenbarung bildlich darzustellen. Die Veröffentlichung dieser Karte wur<strong>de</strong> als eine<br />

Erfüllung <strong>de</strong>s durch Habakuk gegebenen Auftrages angesehen. Niemand jedoch beachtete<br />

zu <strong>de</strong>r Zeit, daß in <strong>de</strong>r betreffen<strong>de</strong>n Weissagung ein offenbarer Verzug <strong>de</strong>r Erfüllung <strong>de</strong>s<br />

Gesichtes, eine Zeit <strong>de</strong>s Harrens, ange<strong>de</strong>utet wird. Nach <strong>de</strong>r Enttäuschung aber erschien<br />

folgen<strong>de</strong>r Teil <strong>de</strong>s Schriftwortes höchst be<strong>de</strong>utungsvoll: „Die Weissagung wird ja noch<br />

erfüllt wer<strong>de</strong>n zu seiner Zeit und wird endlich frei an <strong>de</strong>n Tag kommen und nicht ausbleiben.<br />

Ob sie aber verzieht, so harre ihrer: sie wird gewiß kommen und nicht verziehen ...; <strong>de</strong>r<br />

Gerechte aber wird seines Glaubens leben.“<br />

272


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Eine <strong>de</strong>r Weissagungen Hesekiels war ebenfalls eine Quelle <strong>de</strong>r Kraft und <strong>de</strong>s Trostes<br />

für die Gläubigen: „Und <strong>de</strong>s Herrn Wort geschah zu mir und sprach: Du Menschenkind, was<br />

habt ihr für ein Sprichwort im Lan<strong>de</strong> Israel und sprecht: Weil sich‘s so lange verzieht, so<br />

wird nun hinfort nichts aus <strong>de</strong>r Weissagung? Darum sprich zu ihnen: So spricht <strong>de</strong>r Herr<br />

Herr: ... Die Zeit ist nahe und alles, was geweissagt ist ... Denn ich bin <strong>de</strong>r Herr; was ich<br />

re<strong>de</strong>, das soll geschehen und nicht länger verzogen wer<strong>de</strong>n; ... das Haus Israel spricht: Das<br />

Gesicht, das dieser sieht, da ist noch lange hin; und er weissagt auf die Zeit, so noch ferne<br />

ist. Darum sprich zu ihnen: So spricht <strong>de</strong>r Herr Herr: Was ich re<strong>de</strong>, soll nicht länger<br />

verzogen wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn soll geschehen, spricht <strong>de</strong>r Herr Herr.“ Hesekiel 12,21-25,27.28.<br />

Die Harren<strong>de</strong>n freuten sich dieser Worte und glaubten, daß <strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r das En<strong>de</strong> von Anbeginn<br />

weiß, die Jahrhun<strong>de</strong>rte überschaut und ihnen, weil er ihre Enttäuschung voraussah, Worte<br />

<strong>de</strong>r Ermutigung und <strong>de</strong>r Hoffnung geschenkt hatte. Hätten nicht solche Schriftstellen sie<br />

ermahnt,geduldig auszuharren und an ihrem Vertrauen auf Gottes Wort festzuhalten, so<br />

wäre ihr Glaube in jener schweren Prüfungszeit erloschen.<br />

Das Gleichnis von <strong>de</strong>n zehn Jungfrauen in Matthäus 25 veranschaulicht ebenfalls die<br />

Erfahrungen <strong>de</strong>s Adventvolkes. In Matthäus 24 hatte <strong>de</strong>r Herr, als ihn seine Jünger<br />

hinsichtlich <strong>de</strong>r Zeichen seines Kommens und <strong>de</strong>s En<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Welt befragten, etliche <strong>de</strong>r<br />

wichtigsten Ereignisse in <strong>de</strong>r Geschichte <strong>de</strong>r Welt und <strong>de</strong>r Kirche von seinem ersten<br />

Kommen an bis zu seiner Wie<strong>de</strong>rkunft bezeichnet: die Zerstörung Jerusalems, die große<br />

Trübsal <strong>de</strong>r Kirche unter <strong>de</strong>n heidnischen und päpstlichen Verfolgungen, die Verfinsterung<br />

<strong>de</strong>r Sonne und <strong>de</strong>s Mon<strong>de</strong>s und <strong>de</strong>n Sternenfall. Darauf sprach er von seinem Kommen in<br />

seinem Reich und erzählte das Gleichnis von <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Knechten, die in verschie<strong>de</strong>ner<br />

Weise an sein Erscheinen glaubten. Kapitel 25 hebt an mit <strong>de</strong>n Worten: „Dann wird das<br />

Himmelreich gleich sein zehn Jungfrauen.“ Hier wird die Gemein<strong>de</strong> <strong>de</strong>r letzten Zeit,<br />

dieselbe, die am Schluß von Kapitel 24 gezeigt wird, dargestellt. In diesem Gleichnis wird<br />

ihre Erfahrung durch die Ereignisse bei einer morgenländischen Hochzeit veranschaulicht.<br />

„Dann wird das Himmelreich gleich sein zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und<br />

gingen aus, <strong>de</strong>m Bräutigam entgegen. Aber fünf unter ihnen waren töricht, und fünf waren<br />

klug. Die törichten nahmen ihre Lampen; aber sie nahmen nicht Öl mit sich. Die klugen<br />

aber nahmen Öl in ihren Gefäßen samt ihren Lampen. Da nun <strong>de</strong>r Bräutigam verzog,<br />

wur<strong>de</strong>n sie alle schläfrig und schliefen ein. Zur Mitternacht aber ward ein Geschrei: Siehe,<br />

<strong>de</strong>r Bräutigam kommt; gehet aus, ihm entgegen!“ Das Kommen Christi, wie die erste<br />

Engelsbotschaft es verkündigte, sollte durch das Kommen <strong>de</strong>s Bräutigams dargestellt<br />

wer<strong>de</strong>n. Die weitverbreitete Reformation unter <strong>de</strong>r Verkündigung seines baldigen Kommens<br />

entsprach <strong>de</strong>r Zeit, da die Jungfrauen ausgingen. In diesem Gleichnis wie in jenem von<br />

Matthäus 24 wer<strong>de</strong>n uns zwei verschie<strong>de</strong>ne Klassen vor Augen geführt. Alle hatten ihre<br />

Lampen, die Heilige Schrift, genommen und waren in ihrem Licht <strong>de</strong>m Bräutigam<br />

entgegengegangen. „Die törichten nahmen ihre Lampen; aber sie nahmen nicht Öl mit sich.<br />

Die klugen aber nahmen Öl mit in ihren Gefäßen samt ihren Lampen.“<br />

273


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Die letztere Gruppe hatte die Gna<strong>de</strong> Gottes, die erneuern<strong>de</strong>, erleuchten<strong>de</strong> Macht <strong>de</strong>s<br />

Heiligen Geistes empfangen, die sein Wort zu ihres Fußes Leuchte und zu einem Licht auf<br />

<strong>de</strong>m Wege macht. Sie hatte die Heilige Schrift in <strong>de</strong>r Furcht Gottes durchforscht, um die<br />

Wahrheit zu erfahren, und hatte ernstlich nach Reinheit <strong>de</strong>s Herzens und <strong>de</strong>s Lebens<br />

gestrebt. Diese Jungfrauen hatten eine persönliche Erfahrung und einen Glauben an Gott<br />

und sein Wort, die nicht durch Enttäuschungen und Verzögerungen überwun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n<br />

konnten. An<strong>de</strong>re „nahmen ihre Lampen; aber sie nahmen nicht Öl mit sich“. Sie hatten nach<br />

ihrem Gefühl gehan<strong>de</strong>lt. Durch die feierliche Botschaft war Furcht in ihnen erweckt wor<strong>de</strong>n;<br />

aber sie hatten sich auf <strong>de</strong>n Glauben ihrer Brü<strong>de</strong>r gestützt und waren mit <strong>de</strong>m flackern<strong>de</strong>n<br />

Licht guter Anregungen ohne ein gründliches Verständnis <strong>de</strong>r Wahrheit o<strong>de</strong>r ein echtes<br />

Werk <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong> an ihren Herzen zufrie<strong>de</strong>n gewesen. Diese waren <strong>de</strong>m Herrn voller<br />

Hoffnung auf die Aussicht sofortiger Belohnung entgegengegangen; aber sie waren nicht<br />

auf Verzögerung und Enttäuschung vorbereitet. Als Prüfungen kamen, wankte ihr Glaube,<br />

und ihre Lichter brannten trübe.<br />

„Da nun <strong>de</strong>r Bräutigam verzog, wur<strong>de</strong>n sie alle schläfrig und schliefen ein.“ Durch das<br />

Verzögern <strong>de</strong>s Bräutigams wird das Vergehen <strong>de</strong>r Zeit dargestellt,da <strong>de</strong>r Herr erwartet<br />

wur<strong>de</strong>,die Enttäuschung <strong>de</strong>r scheinbare Verzug. In dieser Zeit <strong>de</strong>r Ungewißheit erlahmte die<br />

Anteilnahme <strong>de</strong>r Oberflächlichen und Halsstarrigen, und ihre Anstrengungen ließen nach;<br />

die aber, <strong>de</strong>ren Glaube sich auf eine persönliche Kenntnis <strong>de</strong>r Heiligen Schrift grün<strong>de</strong>te,<br />

hatten einen Felsen unter ihren Füßen, <strong>de</strong>n die Wogen <strong>de</strong>r Enttäuschung nicht wegspülen<br />

konnten. Sie wur<strong>de</strong>n „alle schläfrig und schliefen ein“ Eine Klasse ließ ihren Glauben<br />

gleichgültig fahren, die an<strong>de</strong>re harrte geduldig auf klareres Licht. Doch schienen diese in<br />

<strong>de</strong>r Nacht <strong>de</strong>r Prüfung bis zu einem gewissen Gra<strong>de</strong> ihren Eifer und ihre Hingabe zu<br />

verlieren. Die Halsstarrigen und Oberflächlichen konnten sich nicht länger auf <strong>de</strong>n Glauben<br />

ihrer Brü<strong>de</strong>r stützen. Je<strong>de</strong>r mußte für sich selbst stehen o<strong>de</strong>r fallen.<br />

Etwa um diese Zeit tauchte die Schwärmerei auf. Einige, die vorgegeben hatten, eifrige<br />

Gläubige <strong>de</strong>r Botschaft zu sein, verwarfen das Wort Gottes als <strong>de</strong>n einzigen untrüglichen<br />

Führer und stellten sich, in<strong>de</strong>m sie behaupteten, vom Geist Gottes geleitet zu sein, unter die<br />

Herrschaft ihrer eigenen Gefühle, Eindrücke und Vorstellungen. Manche bekun<strong>de</strong>ten einen<br />

blin<strong>de</strong>n, scheinheiligen Eifer und verurteilten alle, die ihr Benehmen nicht billigen wollten.<br />

Ihre schwärmerischen I<strong>de</strong>en und Handlungen fan<strong>de</strong>n bei <strong>de</strong>r großen Mehrheit <strong>de</strong>r<br />

Adventisten keinen Anklang; doch dienten sie dazu, die Sache <strong>de</strong>r Wahrheit in Verruf zu<br />

bringen.<br />

Satan suchte in dieser Weise sich <strong>de</strong>m Werk Gottes zu wi<strong>de</strong>rsetzen und es zu vernichten.<br />

Das Volk war durch die Adventbewegung sehr aufgerüttelt wor<strong>de</strong>n; Tausen<strong>de</strong> von Sün<strong>de</strong>rn<br />

hatten sich bekehrt, und treue Männer verkündigten sogar während <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r<br />

Verzögerung die Wahrheit. Der Fürst <strong>de</strong>s Bösen verlor seine Untertanen, und um die Sache<br />

Gottes in Verruf zu bringen, trachtete er danach, etliche, die <strong>de</strong>n Glauben bekannten, zu<br />

täuschen und sie zu Übertreibungen zu verleiten. Dann stan<strong>de</strong>n seine Werkzeuge bereit, <strong>de</strong>m<br />

274


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Volk je<strong>de</strong>n Irrtum, je<strong>de</strong>n Fehlschlag, je<strong>de</strong> unschickliche Handlung in <strong>de</strong>n grellsten Farben<br />

darzustellen, um die Adventisten und ihren Glauben verhaßt zu machen. Je größer <strong>de</strong>shalb<br />

die Zahl <strong>de</strong>rer war, die er zu <strong>de</strong>m Bekenntnis <strong>de</strong>s Glaubens an die Wie<strong>de</strong>rkunft bewegen<br />

konnte, während er ihre Herzen beherrschte, einen um so größeren Vorteil konnte er<br />

erreichen, wenn er die Aufmerksamkeit auf sie als die Vertreter <strong>de</strong>r Gemeinschaft <strong>de</strong>r<br />

Gläubigen lenkte.<br />

Satan ist „<strong>de</strong>r Verkläger unserer Brü<strong>de</strong>r“; es ist sein Geist, <strong>de</strong>r die Menschen antreibt,<br />

auf die Irrtümer und Gebrechen <strong>de</strong>s Volkes Gottes zu achten, um sie an die Öffentlichkeit zu<br />

bringen, während ihre guten Taten nicht erwähnt wer<strong>de</strong>n. Er ist stets tätig, wenn Gott für die<br />

Rettung von Seelen wirkt. Wenn die Kin<strong>de</strong>r Gottes kommen und vor <strong>de</strong>n Herrn treten, so ist<br />

Satan unter ihnen. Bei je<strong>de</strong>r Erweckung versucht er solche hinzuzubringen, die<br />

ungeheiligten Herzens und unsteten Gemütes sind. Haben sie einige Wahrheiten<br />

angenommen und einen Platz bei <strong>de</strong>n Gläubigen erlangt, so wirkt er durch sie, um Lehren<br />

zu verkün<strong>de</strong>n, welche die Unbedachten täuschen. Niemand erweist sich nur dadurch als<br />

guter Christ, daß er in Gesellschaft <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r Gottes, im Hause Gottes o<strong>de</strong>r selbst am Tisch<br />

<strong>de</strong>s Herrn gefun<strong>de</strong>n wird. Satan nimmt oft an <strong>de</strong>n feierlichsten Anlässen in <strong>de</strong>r Gestalt jener<br />

teil, die er als seine Werkzeuge benutzen kann.<br />

Der Fürst <strong>de</strong>s Bösen macht <strong>de</strong>m Volke Gottes je<strong>de</strong>n Zollbreit Bo<strong>de</strong>ns streitig, auf <strong>de</strong>m<br />

es sich bei seiner Reise zur himmlischen Stadt ihr nähert. In <strong>de</strong>r ganzen Kirchengeschichte<br />

hat nie eine Erneuerung stattgefun<strong>de</strong>n, die dabei nicht auf ernstliche Hin<strong>de</strong>rnisse gestoßen<br />

ist. So war es in <strong>de</strong>n Tagen <strong>de</strong>s Apostels Paulus. Wo <strong>de</strong>r Apostel eine Gemein<strong>de</strong> grün<strong>de</strong>te,<br />

waren etliche da, die angeblich <strong>de</strong>n Glauben annahmen, aber <strong>de</strong>nnoch Irrlehren<br />

hineinbrachten, <strong>de</strong>ren Annahme die Liebe zur Wahrheit schließlich verdrängt hätte. Luther<br />

erdul<strong>de</strong>te ebenfalls große Unruhe und Bedrängnis durch die Handlungsweise<br />

schwärmerischer Leute, die behaupteten, Gott habe unmittelbar durch sie gesprochen, und<br />

die <strong>de</strong>shalb ihre eigenen I<strong>de</strong>en und Meinungen über das Zeugnis <strong>de</strong>r Heiligen Schrift<br />

stellten. Viele, <strong>de</strong>nen es an Glauben und Erfahrung mangelte, die aber einen beträchtlichen<br />

Eigendünkel besaßen und es liebten, irgend etwas Neues zu hören o<strong>de</strong>r zu erzählen, wur<strong>de</strong>n<br />

durch die anmaßen<strong>de</strong>n Behauptungen <strong>de</strong>r neuen Lehrer betört und vereinigten sich mit <strong>de</strong>n<br />

Werkzeugen Satans, das nie<strong>de</strong>rzureißen, was Luther durch Gottes Antrieb aufgebaut hatte.<br />

Auch die bei<strong>de</strong>n Wesleys und an<strong>de</strong>re, die <strong>de</strong>r Welt durch ihren Einfluß und ihren Glauben<br />

zum Segen gereichten, waren bei je<strong>de</strong>m Schritt auf Satans Verschlagenheit gestoßen, die<br />

Übereifrigen, Unsteten und Ungeheiligten in allerlei Schwärmerei zu treiben.<br />

William Miller war jenen Einflüssen, die zur Schwärmerei führten, abhold. Er erklärte<br />

mit Luther, daß je<strong>de</strong>r Geist durch das Wort Gottes geprüft wer<strong>de</strong>n solle. „Der Teufel“, sagte<br />

Miller, „hat große Macht über die Gemüter mancher Menschen in <strong>de</strong>r gegenwärtigen Zeit.<br />

Und wie sollen wir wissen, wes Geistes Kin<strong>de</strong>r sie sind? Die Bibel antwortet: An ihren<br />

Früchten wer<strong>de</strong>t ihr sie erkennen ... Es sind viele Geister in die Welt hinausgegangen, und<br />

es ist uns geboten, die Geister zu prüfen. Der Geist, <strong>de</strong>r uns nicht antreibt, in dieser<br />

275


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

gegenwärtigen Welt beschei<strong>de</strong>n, gerecht und gottesfürchtig zu leben, ist nicht <strong>de</strong>r Geist<br />

Christi. Ich wer<strong>de</strong> immer mehr davon überzeugt, daß Satan viel mit diesen wil<strong>de</strong>n<br />

Bewegungen zu tun hat ... Viele unter uns, die angeblich völlig geheiligt sein wollen, folgen<br />

Menschensatzungen und scheinen ebensowenig von <strong>de</strong>r Wahrheit zu wissen wie an<strong>de</strong>re, die<br />

nicht solche Ansprüche erheben.“ „Der<br />

Geist <strong>de</strong>s Irrtums lenkt uns von <strong>de</strong>r Wahrheit ab, aber <strong>de</strong>r Geist Gottes führt uns in die<br />

Wahrheit. Doch, so sagt ihr, ein Mensch kann im Irrtum sein und wähnen, er sei in <strong>de</strong>r<br />

Wahrheit. Was dann? Wir antworten: Der Geist und das Wort stimmen miteinan<strong>de</strong>r überein.<br />

So ein Mensch sich nach <strong>de</strong>m Wort Gottes beurteilt und sich mit <strong>de</strong>m ganzen Wort<br />

vollkommen in Übereinstimmung fin<strong>de</strong>t, dann muß er glauben, daß er die Wahrheit hat;<br />

fin<strong>de</strong>t er aber, daß <strong>de</strong>r Geist, <strong>de</strong>r ihn leitet, nicht mit <strong>de</strong>m ganzen Sinn <strong>de</strong>s Gesetzes o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s<br />

Buches Gottes übereinstimmt, dann wandle er vorsichtig, damit er nicht in <strong>de</strong>r Schlinge <strong>de</strong>s<br />

Teufels gefangen wer<strong>de</strong>.“ „Ich habe oft mehr Beweise innerer Frömmigkeit durch eine<br />

Träne im Auge, eine feuchte Wange, ein ersticktes Wort erhalten als von all <strong>de</strong>m Lärmen in<br />

<strong>de</strong>r ganzen Christenheit.“<br />

Zur Zeit <strong>de</strong>r Reformation legten <strong>de</strong>ren Fein<strong>de</strong> alle Übel <strong>de</strong>r Schwärmerei gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>nen<br />

zur Last, die ihr mit <strong>de</strong>m größten Eifer entgegenwirkten. Eine ähnliche Handlungsweise<br />

wandten die Gegner <strong>de</strong>r Adventbewegung an. Nicht zufrie<strong>de</strong>n damit, die Irrtümer <strong>de</strong>r<br />

Überspannten und Schwärmer zu entstellen und zu übertreiben, setzten sie mißgünstige<br />

Gerüchte in Umlauf, die nicht im geringsten mit <strong>de</strong>r Wahrheit übereinstimmten. Vorurteil<br />

und Haß hatten diese Menschen beeinflußt. Ihre Ruhe war durch die Verkündigung, daß<br />

Christus vor <strong>de</strong>r Tür stehe, gestört. Sie fürchteten die Wahrheit <strong>de</strong>r Verkündigung, hofften<br />

jedoch, daß es nicht wahr sein möge, und dies war die Triebfe<strong>de</strong>r ihrer Feindseligkeit gegen<br />

die Adventisten und <strong>de</strong>ren Glauben.<br />

Die Tatsache, daß einige Fanatiker ihren Weg in die Reihen <strong>de</strong>r Adventisten fan<strong>de</strong>n, ist<br />

ebensowenig ein Grund zu <strong>de</strong>r Behauptung, die Bewegung wäre nicht von Gott, wie das<br />

Vorhan<strong>de</strong>nsein von Fanatikern und Betrügern in <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> zu <strong>de</strong>s Paulus o<strong>de</strong>r Luthers<br />

Zeit eine hinreichen<strong>de</strong> Entschuldigung war, um ihr Werk zu verwerfen. Laßt das Volk<br />

Gottes aus seinem Schlaf erwachen und ernsthaft das Werk <strong>de</strong>r Reue und Erneuerung<br />

beginnen; laßt es in <strong>de</strong>r Schrift forschen, damit es die Wahrheit erkenne, wie sie in Jesus ist;<br />

laßt es sich vollständig Gott weihen, dann wird sich erweisen, daß Satan doch noch tätig und<br />

wachsam ist. Mit allem möglichen Trug wird er seine Macht bekun<strong>de</strong>n und alle gefallenen<br />

Engel seines Reiches zu Hilfe rufen.<br />

Nicht durch die Verkündigung <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft Christi entstan<strong>de</strong>n Schwärmerei und<br />

Uneinigkeit. Diese zeigten sich im Sommer 1844, als die Adventisten sich hinsichtlich ihrer<br />

wirklichen Stellung in Unwissenheit und Verlegenheit befan<strong>de</strong>n. Die Predigt <strong>de</strong>r ersten<br />

Engelsbotschaft und <strong>de</strong>r „Mitternachtsruf“ waren gera<strong>de</strong> dazu angetan, <strong>de</strong>r Schwärmerei<br />

und <strong>de</strong>m Zwiespalt zu steuern. Die an dieser feierlichen Bewegung teilnahmen, waren<br />

zueinan<strong>de</strong>r und zu Jesus, <strong>de</strong>n sie bald zu sehen erwarteten, von Liebe erfüllt. Der eine<br />

276


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Glaube, die eine beseligen<strong>de</strong> Hoffnung erhob sie über alle menschlichen Einflüsse und<br />

erwies sich als Schild gegen die Anläufe Satans.<br />

„Da nun <strong>de</strong>r Bräutigam verzog, wur<strong>de</strong>n sie alle schläfrig und schliefen ein. Zur<br />

Mitternacht aber ward ein Geschrei: Siehe, <strong>de</strong>r Bräutigam kommt; gehet aus, ihm entgegen!<br />

Da stan<strong>de</strong>n diese Jungfrauen alle auf und schmückten ihre Lampen.“ Matthäus 25,5-7. Im<br />

Sommer 1844, zwischen <strong>de</strong>r Zeit, die man zuerst als das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt<br />

Tage angenommen hatte, und <strong>de</strong>m Herbst <strong>de</strong>sselben Jahres, in <strong>de</strong>m, wie man später fand,<br />

diese Tage en<strong>de</strong>ten, erhob sich <strong>de</strong>r Ruf genau in <strong>de</strong>n biblischen Worten: „Siehe, <strong>de</strong>r<br />

Bräutigam kommt!“ Die Ursache dieser Bewegung war die Ent<strong>de</strong>ckung, daß <strong>de</strong>r Erlaß <strong>de</strong>s<br />

Artaxerxes (in <strong>de</strong>r Bibel Arthahsastha genannt) zur Wie<strong>de</strong>rherstellung Jerusalems, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />

Ausgangspunkt für die Zeit von zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt Tagen bil<strong>de</strong>te, im Herbst <strong>de</strong>s Jahre<br />

457 v. Chr. in Kraft trat, und nicht am Anfang jenes Jahres, wie man früher geglaubt hatte.<br />

Gehen wir nun vom Herbst <strong>de</strong>s Jahres 457 v. Chr. aus, so en<strong>de</strong>n die zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt<br />

Jahre im Herbst <strong>de</strong>s Jahres 1844 n. Chr. .<br />

DIE 2300 TAGE / JAHRE PROPHEZEIUNG<br />

Ein Prophetischer Tag = Ein Buchstäbliches Jahr<br />

34 Nach <strong>de</strong>r Zahl <strong>de</strong>r vierzig Tage, in <strong>de</strong>nen ihr das Land erkun<strong>de</strong>t habt - so daß je ein<br />

Tag ein Jahr gilt - sollt ihr vierzig Jahre lang eure Missetat tragen, damit ihr erfahret, was es<br />

sei, wenn ich die Hand abziehe! (4 Mose 14:34) 6 Wenn du aber diese Tage vollen<strong>de</strong>t hast,<br />

so lege dich das zweitemal auf <strong>de</strong>ine rechte Seite und trage die Missetat <strong>de</strong>s Hauses Juda<br />

vierzig Tage lang; je einen Tag will ich dir für ein Jahr auflegen. (Hesekiel 4:6)<br />

277


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

457 v.Chr – 1844 = 2300 Tage / Jahre. 14 Er sprach zu mir: Bis daß es zweitausend und<br />

dreihun<strong>de</strong>rtmal Abend und Morgen gewor<strong>de</strong>n ist; dann wird das Heiligtum in Ordnung<br />

gebracht wer<strong>de</strong>n! (Daniel 8:14) 24 Siebzig Wochen sind über <strong>de</strong>in Volk und über <strong>de</strong>ine<br />

heilige Stadt verordnet, um <strong>de</strong>r Übertretung ein En<strong>de</strong> und das Maß <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> voll zu<br />

machen, um die Missetat zu sühnen und die ewige Gerechtigkeit zu bringen, um Gesicht<br />

und Prophezeiung zu versiegeln und das Hochheilige zu salben.. 490 Tage / Jahre (Daniel<br />

9:24).<br />

457 v.Chr – das Dekret zum Wie<strong>de</strong>raufbau und zur Wie<strong>de</strong>rherstellung Jerusalems (das<br />

Kommando <strong>de</strong>s Königs Artaxerxes) 25 … So wisse und verstehe: Vom Erlaß <strong>de</strong>s Befehls<br />

zum Wie<strong>de</strong>raufbau Jerusalems bis auf <strong>de</strong>n Gesalbten, einen Fürsten, vergehen sieben<br />

Wochen; und innert zweiundsechzig Wochen wer<strong>de</strong>n die Straßen und Gräben wie<strong>de</strong>r gebaut,<br />

und zwar in bedrängter Zeit. (Daniel 9:25)<br />

408 v.Chr – Der Wie<strong>de</strong>raufbau von Jerusalem<br />

27 – Die Taufe und Salbung JesuChrist (Messias). 27 Und man wird vielen <strong>de</strong>n Bund<br />

schwer machen eine Woche lang und mitten in <strong>de</strong>r Woche Schlacht- und Speisopfer<br />

aufhören lassen, und auf <strong>de</strong>r Zinne wer<strong>de</strong>n Greuel <strong>de</strong>s Verwüsters aufgestellt, bis daß sich<br />

die bestimmte Vertilgung über die Verwüstung ergossen hat. (Daniel 9:27)<br />

31 – Die Kreuzigung und <strong>de</strong>r Tod von Jesus Christus. 26 Und nach <strong>de</strong>n zweiundsechzig<br />

Wochen wird <strong>de</strong>r Gesalbte ausgerottet wer<strong>de</strong>n, so daß keiner mehr sein wird; die Stadt aber<br />

samt <strong>de</strong>m Heiligtum wird das Volk eines zukünftigen Fürsten ver<strong>de</strong>rben, und sie geht unter<br />

in <strong>de</strong>r Überschwemmung, und <strong>de</strong>r Krieg, <strong>de</strong>r bestimmt ist zu ihrer Zerstörung, dauert bis ans<br />

En<strong>de</strong>. eine Woche lang und mitten in <strong>de</strong>r Woche Schlacht- und Speisopfer aufhören lassen<br />

(Daniel 9:27)<br />

34 – Die Steinigung von Stephen. Frist für die Ju<strong>de</strong>n. Das Evangelium ist <strong>de</strong>r Welt<br />

gegeben. 14 Und dieses Evangelium vom Reich wird in <strong>de</strong>r ganzen Welt[a] gepredigt<br />

wer<strong>de</strong>n, zum Zeugnis allen Nationen, und dann wird das En<strong>de</strong> kommen. (Matthãus 24:14)<br />

46 Da sprachen Paulus und Barnabas freimütig: Euch mußte das Wort Gottes zuerst<br />

gepredigt wer<strong>de</strong>n; da ihr es aber von euch stoßet und euch selbst <strong>de</strong>s ewigen Lebens nicht<br />

würdig achtet, siehe, so wen<strong>de</strong>n wir uns zu <strong>de</strong>n Hei<strong>de</strong>n. (Apostelgeschichte 13:46)<br />

70 – Die Zerstörung von Jerusalem Und Jesus ging hinaus und vom Tempel hinweg.<br />

Und seine Jünger traten herzu, um ihm die Gebäu<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Tempels zu zeigen. 2 Jesus aber<br />

sprach zu ihnen: Seht ihr nicht dies alles? Wahrlich, ich sage euch, hier wird kein Stein auf<br />

<strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn bleiben, <strong>de</strong>r nicht zerbrochen wird! (Matthãus 24:1,2) 15 Wenn ihr nun <strong>de</strong>n<br />

Greuel <strong>de</strong>r Verwüstung, von welchem durch <strong>de</strong>n Propheten Daniel gere<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n ist,<br />

stehen seht an heiliger Stätte (wer es liest, <strong>de</strong>r merke darauf!), 21 Denn dann wird eine<br />

große Trübsal sein, wie von Anfang <strong>de</strong>r Welt an bis jetzt keine gewesen ist und auch keine<br />

mehr kommen wird.:) (Matthãus 24: 15, 21)<br />

278


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

1844 – Die Reinignung es himmlischen Heiligtums und <strong>de</strong>r beginn <strong>de</strong>r himmlischen<br />

Gerichtes<br />

1810 Tage / Jahre – Das werk von Jesus Christus als unser Hohepriester in <strong>de</strong>r<br />

Himmlisches Heiligtum. 14 Da wir nun einen großen Hohenpriester haben, <strong>de</strong>r die Himmel<br />

durchschritten hat, Jesus, <strong>de</strong>n Sohn Gottes, so lasset uns festhalten an <strong>de</strong>m Bekenntnis! 15<br />

Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, <strong>de</strong>r kein Mitleid haben könnte mit unsren<br />

Schwachheiten, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r in allem gleich [wie wir] versucht wor<strong>de</strong>n ist, doch ohne Sün<strong>de</strong>.<br />

16 So lasset uns nun mit Freimütigkeit hinzutreten zum Thron <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong>, damit wir<br />

Barmherzigkeit erlangen und Gna<strong>de</strong> fin<strong>de</strong>n zu rechtzeitiger Hilfe! (Hebrãer 4:14-16)<br />

Auf <strong>de</strong>n alttestamentlichen Schattendienst gestützte Beweisführungen verwiesen<br />

ebenfalls auf <strong>de</strong>n Herbst, in <strong>de</strong>m das als Weihe <strong>de</strong>s Heiligtums bezeichnete Ereignis<br />

stattfin<strong>de</strong>n müsse. Dies zeigte sich sehr <strong>de</strong>utlich, als die Aufmerksamkeit auf die Art und<br />

Weise gelenkt wur<strong>de</strong>, in <strong>de</strong>r sich die Kennzeichen <strong>de</strong>s ersten Erscheinens Christi erfüllt<br />

hatten. Das Schlachten <strong>de</strong>s Passahlammes war ein Schatten <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s Christi. Paulus sagte:<br />

„Wir haben auch ein Osterlamm, das ist Christus, für uns geopfert.“ 1.Korinther 5,7. Die<br />

Garbe <strong>de</strong>r Erstlinge <strong>de</strong>r Ernte, die zur Zeit <strong>de</strong>s Passahfestes vor <strong>de</strong>m Herrn gewoben wur<strong>de</strong>,<br />

war ein Sinnbild auf die Auferstehung Christi. Von <strong>de</strong>r Auferstehung <strong>de</strong>s Herrn und seines<br />

ganzen Volkes sagte Paulus: „Der Erstling Christus; darnach die Christo angehören, wenn er<br />

kommen wird.“ 1.Korinther 15,23. Gleichwie die Webegarbe das erste reife, geerntete Korn<br />

war, so wird Christus <strong>de</strong>r Erstling jener unsterblichen Ernte <strong>de</strong>r Erlösten, die bei <strong>de</strong>r<br />

zukünftigen Auferstehung in die Vorratskammer Gottes gesammelt wer<strong>de</strong>n sollen.<br />

Diese Vorbil<strong>de</strong>r erfüllten sich nicht nur hinsichtlich <strong>de</strong>s Ereignisses, son<strong>de</strong>rn auch<br />

hinsichtlich <strong>de</strong>r Zeit. Am vierzehnten Tag <strong>de</strong>s ersten jüdischen Monats, <strong>de</strong>m gleichen Tag<br />

und Monat, an <strong>de</strong>m fünfzehn Jahrhun<strong>de</strong>rte lang das Passahlamm geschlachtet wor<strong>de</strong>n war,<br />

setzte Christus, nach<strong>de</strong>m er das Passahlamm mit seinen Jüngern genommen hatte, jene Feier<br />

ein, die an seinen eigenen Tod als „Gottes Lamm, welches <strong>de</strong>r Welt Sühne trägt“ (Johannes<br />

1,29), erinnern sollte. In <strong>de</strong>rselben Nacht wur<strong>de</strong> er von gottlosen Hän<strong>de</strong>n ergriffen, um<br />

gekreuzigt und getötet zu wer<strong>de</strong>n. Und als Gegenbild <strong>de</strong>r Webegarbe wur<strong>de</strong> unser Heiland<br />

am dritten Tag von <strong>de</strong>n Toten auferweckt, „<strong>de</strong>r Erstling ... unter <strong>de</strong>nen, die da schlafen“; ein<br />

Beispiel aller auferstehen<strong>de</strong>n Gerechten, <strong>de</strong>ren „nichtiger Leib“ verklärt wer<strong>de</strong>n soll, „daß<br />

er ähnlich wer<strong>de</strong> seinem verklärten Leibe“. 1.Korinther 15,20; Philipper 3,21.<br />

Auf gleiche Weise müssen die auf die Wie<strong>de</strong>rkunft bezüglichen Vorbil<strong>de</strong>r zu <strong>de</strong>r im<br />

Schattendienst ange<strong>de</strong>uteten Zeit in Erfüllung gehen. Unter <strong>de</strong>m mosaischen Gottesdienst<br />

fand die Reinigung <strong>de</strong>s Heiligtums o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r große Versöhnungstag am zehnten Tag <strong>de</strong>s<br />

siebenten jüdischen Monats statt (3.Mose 16,26-34), wenn <strong>de</strong>r Hohepriester, nach<strong>de</strong>m er<br />

eine Versöhnung für alle Israeliten erwirkt und auf diese Weise ihre Sün<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m<br />

Heiligtum entfernt hatte, herauskam und das Volk segnete. So, glaubte man, wür<strong>de</strong> Christus,<br />

unser großer Hohepriester, erscheinen, um die Er<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Zerstörung durch Sün<strong>de</strong> und<br />

Sün<strong>de</strong>r zu reinigen und sein harren<strong>de</strong>s Volk mit Unsterblichkeit zu segnen. Der zehnte Tag<br />

279


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

<strong>de</strong>s siebenten Monats, <strong>de</strong>r große Versöhnungstag, die Zeit <strong>de</strong>r Reinigung <strong>de</strong>s Heiligtums,<br />

<strong>de</strong>r im Jahre 1844 auf <strong>de</strong>n 22. Oktober fiel, wur<strong>de</strong> als Tag <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft Christi<br />

betrachtet. Dies stand in Einklang mit <strong>de</strong>n bereits dargelegten Beweisen, daß die<br />

zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt Tage im Herbst ablaufen wür<strong>de</strong>n, und <strong>de</strong>r Schluß schien untrüglich.<br />

In <strong>de</strong>m Gleichnis in Matthäus 25 folgt auf die Zeit <strong>de</strong>s Harrens und Schlafens das<br />

Kommen <strong>de</strong>s Bräutigams. Dies stimmte überein mit <strong>de</strong>n soeben angeführten Beweisgrün<strong>de</strong>n<br />

sowohl aus <strong>de</strong>r Weissagung als auch aus <strong>de</strong>n Vorbil<strong>de</strong>rn, die mit gewaltiger Kraft von ihrer<br />

Wahrhaftigkeit zeugten, und <strong>de</strong>r „Mitternachtsruf“ wur<strong>de</strong> von Tausen<strong>de</strong>n von Gläubigen<br />

verkündigt. Einer Flutwelle gleich breitete sich die Bewegung über das Land aus; von Stadt<br />

zu Stadt, von Dorf zu Dorf und nach entlegenen Orten, bis das warten<strong>de</strong> Volk Gottes völlig<br />

aufgeweckt war. Vor dieser Verkündigung verschwand die Schwärmerei wie <strong>de</strong>r Frühreif<br />

vor <strong>de</strong>r aufgehen<strong>de</strong>n Sonne. Die Gläubigen sahen ihre Ungewißheit und ihre Verlegenheit<br />

beseitigt, und Hoffnung und Mut beseelte ihre Herzen. Das Werk war frei von jenen<br />

Übertreibungen, die sich immer da offenbaren, wo die menschliche Erregung ohne <strong>de</strong>n<br />

beherrschen<strong>de</strong>n Einfluß <strong>de</strong>s Wortes und <strong>de</strong>s Geistes Gottes auftritt. In seinem Wirken glich<br />

es jenen Zeiten <strong>de</strong>r Demütigung und <strong>de</strong>r Rückkehr zum Herrn, die unter <strong>de</strong>m alten Israel<br />

<strong>de</strong>n Botschaften <strong>de</strong>s Ta<strong>de</strong>ls durch Gottes Diener folgten; es trug die Merkmale, die zu je<strong>de</strong>r<br />

Zeit das Werk <strong>de</strong>s Herrn kennzeichnen. Es gab da wenig begeisterte Freu<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn<br />

vielmehr wur<strong>de</strong> das Herz gründlich erforscht, die Sün<strong>de</strong>n bekannt und <strong>de</strong>r Welt entsagt.<br />

Vorbereitet zu sein auf die Begegnung mit <strong>de</strong>m Herrn, diesem galt die Sorge <strong>de</strong>r<br />

geängsteten Seelen. Anhalten<strong>de</strong>s Gebet und ungeteilte Hingabe an Gott war in ihren Herzen.<br />

Miller sagte in seiner Beschreibung jenes Werkes: „Es zeigt sich keine große<br />

Freu<strong>de</strong>nkundgebung; diese wird sozusagen für eine zukünftige Gelegenheit aufbewahrt, da<br />

Himmel und Er<strong>de</strong> in unaussprechlicher Freu<strong>de</strong> und Herrlichkeit jauchzen wer<strong>de</strong>n. Man hört<br />

auch kein Geschrei. Die Sänger schweigen; sie warten, um sich mit <strong>de</strong>n Engelscharen, <strong>de</strong>m<br />

Chor <strong>de</strong>s Himmels, zu vereinen ... Man streitet nicht über Gefühle; alle sind eines Herzens<br />

und eines Sinnes.“<br />

Ein an<strong>de</strong>rer Teilnehmer an <strong>de</strong>r Bewegung bezeugte: „Sie hat allenthalben eine<br />

gründliche Prüfung und Demütigung <strong>de</strong>r Herzen vor Gott hervorgerufen, hat veranlaßt, daß<br />

sich die Menschen frei machten von <strong>de</strong>r Liebe zu <strong>de</strong>n Dingen dieser Welt, Streitigkeiten<br />

schlichteten, Sün<strong>de</strong>n bekannten und zerknirscht, reuevoll und zerschlagenen Geistes zu Gott<br />

um Gna<strong>de</strong> und Annahme flehten. Sie war Anlaß, daß man sich vor Gott <strong>de</strong>mütigte, wie wir<br />

es noch nie zuvor gesehen hatten. Wie <strong>de</strong>r Herr durch <strong>de</strong>n Propheten Joel gesagt hat, daß es<br />

beim Herannahen <strong>de</strong>s großen Tages Gottes sein soll, wur<strong>de</strong>n die Herzen, nicht die Klei<strong>de</strong>r<br />

zerrissen; man wandte sich zum Herrn mit Fasten, Weinen und Klagen. Wie Gott durch<br />

Sacharja sagen ließ, so wur<strong>de</strong> ein Geist <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong> und <strong>de</strong>s Gebets über seine Kin<strong>de</strong>r<br />

ausgegossen; sie sahen ihn, <strong>de</strong>n sie zerstochen hatten; es herrschte große Trauer im Lan<strong>de</strong> ...<br />

und die, welche <strong>de</strong>s Herrn harrten, kasteiten ihre Seelen vor ihm.“<br />

280


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Von <strong>de</strong>n großen religiösen Bewegungen seit <strong>de</strong>n Tagen <strong>de</strong>r Apostel war keine freier von<br />

menschlichen Unvollkommenheiten und Tücken Satans als jene im Herbst 1844. Selbst jetzt,<br />

nach vielen Jahren, fühlen alle, die an jener Bewegung teilgenommen haben und fest auf<br />

<strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Wahrheit geblieben sind, noch immer <strong>de</strong>n heiligen Einfluß jenes gesegneten<br />

Werkes und bezeugen, daß es von Gott kam. Bei <strong>de</strong>m Ruf: „Der Bräutigam kommt; gehet<br />

aus,ihm entgegen!“, stan<strong>de</strong>n die Warten<strong>de</strong>n „alle auf und schmückten ihre Lampen“; sie<br />

studierten das Wort Gottes mit bisher nie gekanntem Eifer. Engel wur<strong>de</strong>n vom Himmel<br />

gesandt, um die Entmutigten aufzurütteln und sie zuzubereiten, die Botschaft anzunehmen.<br />

Das Werk beruhte nicht auf <strong>de</strong>r Weisheit und Gelehrsamkeit <strong>de</strong>r Menschen, son<strong>de</strong>rn auf<br />

Gottes Macht. Nicht die Begabtesten, son<strong>de</strong>rn die Demütigsten und Ergebensten waren die<br />

ersten, die <strong>de</strong>n Ruf hörten und ihm gehorchten. Bauern ließen ihre Ernte auf <strong>de</strong>m Fel<strong>de</strong><br />

stehen, Handwerker legten ihre Werkzeuge nie<strong>de</strong>r und gingen mit Tränen und Freu<strong>de</strong>n<br />

hinaus, um die Warnungsbotschaft zu verkündigen. Die früheren Leiter gehörten zu <strong>de</strong>n<br />

letzten, die sich an dieser Bewegung beteiligten. Die Kirchen verschlossen im allgemeinen<br />

ihre Türen vor dieser Botschaft, und viele Menschen, die sie annahmen, trennten sich von<br />

ihrer Kirche. Nach Gottes Ratschluß verband sich diese Verkündigung mit <strong>de</strong>r zweiten<br />

Engelsbotschaft und gab <strong>de</strong>m Werke beson<strong>de</strong>re Kraft.<br />

Die Botschaft: „Siehe, <strong>de</strong>r Bräutigam kommt!“ war nicht so sehr eine Sache <strong>de</strong>r<br />

Beweisführung, obwohl <strong>de</strong>r Beweis aus <strong>de</strong>r Heiligen Schrift <strong>de</strong>utlich und überzeugend war;<br />

sie wur<strong>de</strong> begleitet von einer vorwärtstreiben<strong>de</strong>n Macht, welche die Seele bewegte. Es<br />

herrschte kein Zweifel, keine Frage. Anläßlich <strong>de</strong>s siegesfrohen Einzuges Christi in<br />

Jerusalem strömte das Volk, das sich aus allen Teilen <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s versammelt hatte, um das<br />

Fest zu feiern, nach <strong>de</strong>m Ölberg, und als es sich <strong>de</strong>r Menge anschloß, die Jesus begleitete,<br />

wur<strong>de</strong> es von <strong>de</strong>r Begeisterung <strong>de</strong>s Augenblicks erfaßt und stimmte ein in <strong>de</strong>n Ruf: „Gelobt<br />

sei, <strong>de</strong>r da kommt in <strong>de</strong>m Namen <strong>de</strong>s Herrn!“ Matthäus 21,9. In gleicher Weise fühlten<br />

Ungläubige, die <strong>de</strong>n Versammlungen <strong>de</strong>r Adventisten beiwohnten — einige aus Neugier,<br />

an<strong>de</strong>re aus Spottlust — die überzeugen<strong>de</strong> Macht, welche die Botschaft „Siehe <strong>de</strong>r<br />

Bräutigam kommt!“ begleitete.<br />

Zu jener Zeit herrschte ein Glaube, <strong>de</strong>r eine Erhörung <strong>de</strong>r Gebete zur Folge hatte, ein<br />

Glaube, „<strong>de</strong>r sah an die Belohnung“. Hebräer 11,26. Wie <strong>de</strong>r Regenschauer auf das durstige<br />

Erdreich fiel <strong>de</strong>r Geist <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong> auf die ernstlich Suchen<strong>de</strong>n. Die Seelen, die ihren Erlöser<br />

bald von Angesicht zu Angesicht zu sehen erwarteten, empfan<strong>de</strong>n ehrfurchtsvolle,<br />

unaussprechliche Freu<strong>de</strong>. Die besänftigen<strong>de</strong>, überwältigen<strong>de</strong> Kraft <strong>de</strong>s Heiligen Geistes ließ<br />

die Herzen auftauen, als Gottes Segen <strong>de</strong>n treuen Gläubigen in reichem Maße gewährt<br />

wur<strong>de</strong>. Bedächtig und feierlich näherten sich jene, welche die Botschaft angenommen hatten,<br />

<strong>de</strong>r Zeit, da sie ihrem Herrn zu begegnen hofften. Sie hielten es für ihre erste Pflicht, sich<br />

je<strong>de</strong>n Morgen ihrer Annahme bei Gott zu vergewissern. Ihre Herzen waren innig vereint,<br />

und sie beteten viel miteinan<strong>de</strong>r und füreinan<strong>de</strong>r. Oft kamen sie an abgelegenen Orten<br />

zusammen, um mit Gott Zuwiesprache zu halten, und fürbitten<strong>de</strong> Stimmen stiegen von Feld<br />

und Hain zum Himmel empor.<br />

281


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Die Gewißheit, die Billigung ihres Heilan<strong>de</strong>s zu besitzen, hielten sie für notwendiger als<br />

ihre tägliche Nahrung. Verdunkelte eine Wolke ihre Gemüter, so ruhten sie nicht, bis sie<br />

beseitigt war, und da sie das Zeugnis <strong>de</strong>r vergeben<strong>de</strong>n Gna<strong>de</strong> empfan<strong>de</strong>n, sehnten sie sich<br />

danach, ihn, <strong>de</strong>n ihre Seele liebte, zu sehen. Aber wie<strong>de</strong>rum sollten sie enttäuscht wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Wartezeit ging vorüber, und ihr Heiland erschien nicht. Mit festem Vertrauen hatten sie<br />

seinem Kommen entgegengesehen, und nun empfan<strong>de</strong>n sie wie Maria, als sie zu <strong>de</strong>s<br />

Heilan<strong>de</strong>s Grab kam, es leer fand und weinend ausrief: „Sie haben meinen Herrn<br />

weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hin gelegt haben.“ Johannes 20,13.<br />

Ein Gefühl heiliger Scheu, die Befürchtung, die Botschaft könnte wahr sein, hatte <strong>de</strong>r<br />

ungläubigen Welt eine Zeitlang Schranken auferlegt, und auch als die Zeit vorüber war, sind<br />

diese nicht sofort nie<strong>de</strong>rgebrochen. Zuerst wagten es die Ungläubigen nicht, über die<br />

Enttäuschung zu jubeln; als sich aber keine Anzeichen <strong>de</strong>s Zornes Gottes zeigten, erholten<br />

sie sich von ihren Befürchtungen und begannen aufs neue zu schmähen und ihren Spott<br />

auszustreuen. Eine große Anzahl <strong>de</strong>rer, die an das baldige Kommen <strong>de</strong>s Herrn geglaubt<br />

hatten, gaben ihren Glauben auf. Manche, die sehr zuversichtlich gewesen waren, zeigten<br />

sich so tief in ihrem Stolz gekränkt, daß sie gerne aus <strong>de</strong>r Welt geflohen wären. Gleich Jona<br />

klagten sie Gott an und wollten lieber sterben als leben. Die ihren Glauben auf die Meinung<br />

an<strong>de</strong>rer und nicht auf das Wort Gottes gegrün<strong>de</strong>t hatten, waren nun bereit, ihre Ansichten<br />

abermals zu än<strong>de</strong>rn. Die Spötter zogen die Schwachen und Feigen auf ihre Seite; diese alle<br />

schlossen sich zusammen und erklärten, daß nun nichts mehr zu befürchten o<strong>de</strong>r zu erwarten<br />

sei. Die Zeit sei vorübergegangen, <strong>de</strong>r Herr nicht gekommen, und die Welt könnte Tausen<strong>de</strong><br />

von Jahren so bleiben.<br />

Die ernsten, aufrichtigen Gläubigen hatten alles für Christus aufgegeben und seine Nähe<br />

wie nie zuvor verspürt. Sie hatten, wie sie glaubten, <strong>de</strong>r Welt die letzte Warnung gegeben<br />

und sich in <strong>de</strong>r Erwartung, bald in die Gemeinschaft ihres göttlichen Meisters und <strong>de</strong>r<br />

himmlischen Engel aufgenommen zu wer<strong>de</strong>n, größtenteils von <strong>de</strong>r Verbindung mit <strong>de</strong>nen<br />

zurückgezogen, welche die Botschaft nicht annahmen. Mit heißer Sehnsucht hatten sie<br />

gebetet: „Komm, Herr Jesus, komme bald!“ Aber er war nicht gekommen. Nun abermals die<br />

schwere Bür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Sorgen und Schwierigkeiten dieses Lebens aufzunehmen, die Sticheleien<br />

und <strong>de</strong>n Hohn <strong>de</strong>r spotten<strong>de</strong>n Welt zu ertragen, war in <strong>de</strong>r Tat eine schwere Glaubens- und<br />

Geduldsprüfung.<br />

Und doch war diese Enttäuschung nicht so groß wie jene, welche die Jünger zur Zeit<br />

Christi erlebt hatten. Bei Jesu glorreichem Einzug in Jerusalem glaubten seine Anhänger,<br />

daß er im Begriff wäre, <strong>de</strong>n Thron Davids zu besteigen und Israel von seinen Unterdrückern<br />

zu befreien. Mit stolzen Hoffnungen und freudigen Erwartungen wetteiferten sie<br />

miteinan<strong>de</strong>r, ihrem König zu ehren. Viele breiteten ihre Mäntel wie einen Teppich auf<br />

seinem Wege aus o<strong>de</strong>r streuten grüne Palmenzweige vor ihm her. In ihrer Begeisterung<br />

vereinten sie sich in <strong>de</strong>m freudigen Beifallsruf: „Hosianna <strong>de</strong>m Sohn Davids!“ Als die<br />

Pharisäer, beunruhigt und erzürnt über diese Freu<strong>de</strong>nrufe, wünschten, daß Jesus seine<br />

282


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Jünger ta<strong>de</strong>lte, erwi<strong>de</strong>rte dieser: „Wo diese wer<strong>de</strong>n schweigen, so wer<strong>de</strong>n die Steine<br />

schreien.“ Lukas 19,40. Die Weissagung mußte erfüllt wer<strong>de</strong>n. Die Jünger führten Gottes<br />

Absicht aus; und doch mußten sie eine bittere Enttäuschung erfahren. Nur wenige Tage<br />

verstrichen,und sie wur<strong>de</strong>n Augenzeugen <strong>de</strong>s martervollen To<strong>de</strong>s <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s und mußten<br />

ihn ins Grab legen. Ihre Erwartungen hatten sich auch nicht in einem einzigen Punkt erfüllt;<br />

ihre Hoffnungen starben mit Jesus. Erst nach<strong>de</strong>m ihr Herr sieghaft aus <strong>de</strong>m Grabe<br />

hervorgegangen war, konnten sie erfassen, daß alles durch die Weissagung vorhergesagt<br />

wor<strong>de</strong>n war, und „daß Christus mußte lei<strong>de</strong>n und auferstehen von <strong>de</strong>n Toten“.<br />

Apostelgeschichte 17,3.<br />

Fünfhun<strong>de</strong>rt Jahre früher hatte <strong>de</strong>r Herr durch <strong>de</strong>n Propheten Sacharja erklärt: „Du,<br />

Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, <strong>de</strong>in König<br />

kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm, und reitet auf einem Esel und auf einem<br />

jungen Füllen <strong>de</strong>r Eselin.“ Sacharja 9,9. Hätten die Jünger gewußt, daß Jesus zum Gericht<br />

und zum To<strong>de</strong> ging, sie hätten diese Weissagung nicht erfüllen können. Auf die gleiche<br />

Weise erfüllten Miller und seine Gefährten die Weissagung und verkündigten eine Botschaft,<br />

von <strong>de</strong>r die Schrift vorausgesagt hatte, daß sie <strong>de</strong>r Welt gebracht wer<strong>de</strong>n sollte. Sie hätten<br />

diese aber nicht bringen können, wenn sie die Weissagungen völlig verstan<strong>de</strong>n hätten, die<br />

auf ihre Enttäuschung hinwiesen und noch eine an<strong>de</strong>re Botschaft darlegten, die vor <strong>de</strong>r<br />

Wie<strong>de</strong>rkunft <strong>de</strong>s Herrn allen Nationen gepredigt wer<strong>de</strong>n sollte. Die erste und die zweite<br />

Engelsbotschaft wur<strong>de</strong>n zur rechten Zeit gepredigt und erfüllten die Aufgabe, die Gott durch<br />

sie vollbringen wollte.<br />

Die Welt hatte in <strong>de</strong>r Erwartung zugesehen, daß, falls die Zeit vorüberginge und<br />

Christus nicht käme, die ganze Lehre <strong>de</strong>s Adventismus aufgegeben wür<strong>de</strong>. Während viele<br />

unter <strong>de</strong>r starken Versuchung ihren Glauben aufgaben, hielten etliche daran fest. Die<br />

Früchte <strong>de</strong>r Adventbewegung, <strong>de</strong>r Geist <strong>de</strong>r Demut und <strong>de</strong>r eigenen Herzenserforschung,<br />

<strong>de</strong>s Verzichtes auf die Welt und die Umgestaltung <strong>de</strong>s Lebens, die das Werk begleitet hatten,<br />

bezeugten, daß es von Gott war. Sie wagten nicht, in Abre<strong>de</strong> zu stellen, daß die Kraft <strong>de</strong>s<br />

Heiligen Geistes die Predigt <strong>de</strong>r Botschaft von <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft Christi bezeugte, und sie<br />

konnten keinen Fehler in ihrer Berechnung <strong>de</strong>r prophetischen Perio<strong>de</strong>n ent<strong>de</strong>cken. Den<br />

tüchtigsten ihrer Gegner war es nicht gelungen, ihre Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r prophetischen Auslegung<br />

umzustoßen. Ohne biblische Beweise konnten sie <strong>de</strong>n Standpunkt nicht aufgeben, <strong>de</strong>n sie<br />

durch ernstes Forschen in <strong>de</strong>r Heiligen Schrift mit vom Geiste Gottes erleuchteten Sinnen<br />

und mit von seiner lebendigen Kraft brennen<strong>de</strong>n Herzen erreicht hatten; <strong>de</strong>n Standpunkt, <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>n scharfsinnigsten Beurteilungen und <strong>de</strong>n bittersten Anfeindungen allgemein beliebter<br />

religiöser Lehrer und weltweiser Männer wi<strong>de</strong>rstan<strong>de</strong>n hatte und <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n vereinten<br />

Anstrengungen <strong>de</strong>r Gelehrsamkeit und <strong>de</strong>r Beredsamkeit, vor <strong>de</strong>n Witzen und Spötteleien<br />

achtbarer und niedrig gesinnter Menschen fest und unerschüttert geblieben war.<br />

Freilich, das erwartete Ereignis war nicht eingetroffen; aber selbst dadurch konnte ihr<br />

Vertrauen auf Gottes Wort nicht erschüttert wer<strong>de</strong>n. Als Jona auf <strong>de</strong>n Straßen Ninives<br />

283


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

verkündigte, daß die Stadt innerhalb von vierzig Tagen zerstört wür<strong>de</strong>, nahm <strong>de</strong>r Herr die<br />

Demütigung <strong>de</strong>r Niniviten an und verlängerte ihre Gna<strong>de</strong>nzeit; und doch war Jonas<br />

Botschaft von Gott gesandt und Ninive seinem Willen gemäß geprüft wor<strong>de</strong>n. Die<br />

Adventisten glaubten, <strong>de</strong>r Herr habe sie bei <strong>de</strong>r Verkündigung <strong>de</strong>r Gerichtsbotschaft auf die<br />

gleiche Weise geführt. „Sie hat“, erklärten sie, „die Herzen aller, die sie hörten, geprüft und<br />

eine Liebe zur Wie<strong>de</strong>rkunft <strong>de</strong>s Herrn erweckt o<strong>de</strong>r einen mehr o<strong>de</strong>r weniger<br />

wahrnehmbaren Gott bekannten Haß gegen Christi Kommen erregt. Sie hat eine Grundlinie<br />

gezogen, so daß die, welche ihre eigenen Herzen untersuchen wollen, wissen können, auf<br />

welcher Seite man sie gefun<strong>de</strong>n hätte, falls <strong>de</strong>r Herr damals gekommen wäre: Ob sie<br />

ausgerufen hätten: Siehe, das ist unser Gott, auf <strong>de</strong>n wir harren, und er wird uns helfen! o<strong>de</strong>r<br />

ob sie die Felsen und Berge angerufen hätten, auf sie zu fallen und sie zu verbergen vor <strong>de</strong>m<br />

Angesicht <strong>de</strong>ssen, <strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m Stuhl sitzt, und vor <strong>de</strong>m Zorn <strong>de</strong>s Lammes. Gott hat, wie wir<br />

glauben, auf diese Weise seine Kin<strong>de</strong>r geprüft und festgestellt, ob sie ... diese Welt fahren<br />

ließen und unbedingtes Vertrauen auf das Wort Gottes setzten.“<br />

Die Empfindungen <strong>de</strong>rer, die immer noch glaubten, daß Gott sie in <strong>de</strong>r vergangenen<br />

Erfahrung geleitet habe, fan<strong>de</strong>n sinnfälligen Ausdruck in <strong>de</strong>n Worten Millers: „Hätte ich<br />

meine Zeit in <strong>de</strong>rselben Gewißheit, wie ich sie damals besaß, noch einmal zu durchleben, so<br />

wür<strong>de</strong> ich, um vor Gott und <strong>de</strong>n Menschen aufrichtig zu sein, so han<strong>de</strong>ln, wie ich gehan<strong>de</strong>lt<br />

habe ... Ich hoffe, daß ich meine Klei<strong>de</strong>r vom Blut <strong>de</strong>r Seelen gereinigt habe; ich bin gewiß,<br />

daß ich mich, soweit es in meiner Macht stand, von aller Schuld an ihrer Verdammung<br />

befreit habe ... Wenn ich auch zweimal enttäuscht wur<strong>de</strong>“, schrieb dieser Gottesmann, „bin<br />

ich doch nicht nie<strong>de</strong>rgeschlagen o<strong>de</strong>r entmutigt ... Meine Hoffnung auf das Kommen Christi<br />

ist größer <strong>de</strong>nn je. Ich habe nur das getan, was ich nach Jahren ernstlicher Betrachtung für<br />

meine heilige Pflicht hielt.<br />

Habe ich geirrt, so geschah es aus christlicher Liebe, aus Liebe zu meinen Mitmenschen<br />

und aus Überzeugung von meiner Pflicht gegen Gott ... Eines weiß ich: Ich habe nur das<br />

gepredigt, was ich glaubte, und Gott ist mit mir gewesen, seine Macht hat sich in <strong>de</strong>m<br />

Werke offenbart, und viel Gutes ist gewirkt wor<strong>de</strong>n ... Viele Tausen<strong>de</strong> sind allem Anschein<br />

nach durch die Verkündigung <strong>de</strong>s En<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Zeit dahin gebracht wor<strong>de</strong>n, die Heilige Schrift<br />

zu erforschen. Sie sind dadurch und durch die Besprengung mit <strong>de</strong>m Blut Christi mit Gott<br />

versöhnt wor<strong>de</strong>n.“ „Ich habe mich we<strong>de</strong>r um die Gunst <strong>de</strong>r Stolzen beworben noch <strong>de</strong>n Mut<br />

sinken lassen, wenn die Welt drohte. Ich wer<strong>de</strong> auch jetzt ihren Beifall nicht erhan<strong>de</strong>ln o<strong>de</strong>r<br />

über die Pflicht hinausgehen, um ihren Haß zu reizen. Ich wer<strong>de</strong> nie mein Leben in ihren<br />

Hän<strong>de</strong>n suchen noch, wie ich hoffe, zurückschrecken, es zu verlieren, falls es Gott in seiner<br />

gütigen Vorsehung so bestimmt.“<br />

Gott verließ sein Volk nicht; sein Geist wohnte noch immer bei <strong>de</strong>nen die das Licht, das<br />

sie empfangen hatten, nicht voreilig verleugneten o<strong>de</strong>r die Adventbewegung öffentlich<br />

verachteten. Im Brief an die Hebräer stehen für die Geprüften und Warten<strong>de</strong>n in dieser Zeit<br />

Worte <strong>de</strong>r Ermutigung und Warnung: „Werfet euer Vertrauen nicht weg, welches eine große<br />

284


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Belohnung hat. Geduld aber ist euch not, auf daß ihr <strong>de</strong>n Willen Gottes tut und die<br />

Verheißung empfanget. Denn ‚noch über eine kleine Weile, so wird kommen, <strong>de</strong>r da<br />

kommen soll, und nicht verziehen. Der Gerechte aber wird <strong>de</strong>s Glaubens leben. Wer aber<br />

weichen wird, an <strong>de</strong>m wird meine Seele kein Gefallen haben.‘ Wir aber sind ... von <strong>de</strong>nen,<br />

die da glauben und die Seele erretten.“ Hebräer 10,35-39.<br />

Daß diese Ermahnung an die Gemein<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n letzten Tagen gerichtet ist, geht aus <strong>de</strong>n<br />

Worten hervor, die auf die Nähe <strong>de</strong>r Zukunft <strong>de</strong>s Herrn hinweisen: „Denn noch über eine<br />

kleine Weile, so wird kommen, <strong>de</strong>r da kommen soll, und nicht verziehen.“ Es wird daraus<br />

auch klar, daß ein Verzug stattfin<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>r Herr scheinbar zögern wür<strong>de</strong>. Die hier<br />

gegebene Belehrung paßt beson<strong>de</strong>rs auf die Erfahrung <strong>de</strong>r Adventisten zu jener Zeit. Die<br />

hier Angesprochenen waren in Gefahr, an ihrem Glauben Schiffbruch zu erlei<strong>de</strong>n. Sie hatten<br />

Gottes Willen getan, in<strong>de</strong>m sie sich <strong>de</strong>r Führung seines Geistes und seinem Worte<br />

anvertrauten; doch konnten sie we<strong>de</strong>r Absicht in ihrer vergangenen Erfahrung verstehen,<br />

noch <strong>de</strong>n vor ihnen liegen<strong>de</strong>n Pfad erkennen, und sie wur<strong>de</strong>n versucht zu zweifeln, ob Gott<br />

sie wirklich geleitet habe. Damals trafen beson<strong>de</strong>rs die Worte zu: „Der Gerechte aber wird<br />

<strong>de</strong>s Glaubens leben.“ Als das glänzen<strong>de</strong> Licht <strong>de</strong>s Mitternachtsrufes auf ihren Weg schien,<br />

als ihnen die Weissagungen entsiegelt wur<strong>de</strong>n und als die rasche Erfüllung <strong>de</strong>r Zeichen<br />

erzählte, daß die Wie<strong>de</strong>rkunft Christi nahe bevorstand, waren sie tatsächlich im Schauen<br />

gewan<strong>de</strong>lt.<br />

Aber nun vermochten sie, nie<strong>de</strong>rgebeugt durch die enttäuschten Hoffnungen, nur durch<br />

<strong>de</strong>n Glauben an Gott und an sein Wort aufrecht zu stehen. Die spotten<strong>de</strong> Welt sagte: „Ihr<br />

seid betrogen wor<strong>de</strong>n. Entsagt eurem Glauben und gesteht, daß die Adventbewegung<br />

satanischen Ursprungs ist.“ Gottes Wort erklärte jedoch: „Wer aber weichen wird, an <strong>de</strong>m<br />

wird meine Seele kein Gefallen haben.“ Ihren Glauben aufzugeben und die Macht <strong>de</strong>s<br />

Heiligen Geistes, welche die Botschaft begleitet hatte, zu verleugnen, wäre ein Rückzug ins<br />

Ver<strong>de</strong>rben gewesen. Die Worte jenes Schreibers ermutigten sie zur Standhaftigkeit: „Werfet<br />

euer Vertrauen nicht weg, ... Geduld ... ist euch not, ... ‚noch über eine kleine Weile, so wird<br />

kommen, <strong>de</strong>r da kommen soll, und nicht verziehen‘.“ Ihr einzig sicheres Verhalten war, das<br />

Licht zu pflegen, das sie bereits von Gott empfangen hatten, an Gottes Verheißungen<br />

festzuhalten und in <strong>de</strong>r Heiligen Schrift zu forschen und geduldig zu warten und zu wachen,<br />

um weiteres Licht aufzunehmen.<br />

285


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 23- Was ist das Heiligtum?<br />

Die Bibelstelle, die vor allen an<strong>de</strong>rn die Grundlage und <strong>de</strong>r Hauptpfeiler <strong>de</strong>s<br />

Adventglaubens war, ist die in Daniel 8,14 gegebene Erklärung: „Bis<br />

zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt Aben<strong>de</strong> und Morgen um sind; dann wird das Heiligtum wie<strong>de</strong>r<br />

geweiht wer<strong>de</strong>n.“ Dies waren allen <strong>de</strong>nen vertraute Worte, die an das baldige Kommen <strong>de</strong>s<br />

Herrn geglaubt hatten. Von tausen<strong>de</strong>n Lippen klang diese Weissagung als das Losungswort<br />

ihres Glaubens. Alle fühlten, daß von <strong>de</strong>n darin dargelegten Ereignissen ihre strahlendsten<br />

Erwartungen und liebsten Hoffnungen abhingen. Sie hatten gezeigt, daß diese prophetischen<br />

Tage im Herbst <strong>de</strong>s Jahres 1844 zu En<strong>de</strong> gingen. Mit <strong>de</strong>r übrigen christlichen Welt glaubten<br />

die Adventisten, daß die Er<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r ein Teil von ihr das Heiligtum sei und daß die Weihe <strong>de</strong>s<br />

Heiligtums die Reinigung <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> durch das Feuer <strong>de</strong>s letzten großen Tages be<strong>de</strong>utete und<br />

bei <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft Christi stattfän<strong>de</strong>. Daraus entstand die Schlußfolgerung, daß Christus<br />

im Jahre 1844 auf die Er<strong>de</strong> zurückkehren wür<strong>de</strong>.<br />

Aber die festgesetzte Zeit war vorübergegangen und <strong>de</strong>r Herr — nicht erschienen. Die<br />

Gläubigen wußten, daß das Wort Gottes nicht irren konnte; ihre Auslegung <strong>de</strong>r Weissagung<br />

mußte also auf falscher Fährte sein; aber wo steckte <strong>de</strong>r Fehler? Viele zerhieben voreilig<br />

diese Schwierigkeit, in<strong>de</strong>m sie in Abre<strong>de</strong> stellten, daß die zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt Tage im<br />

Jahre 1844 en<strong>de</strong>ten. Dafür konnten sie jedoch keinen an<strong>de</strong>rn Grund anführen als <strong>de</strong>n, daß<br />

Christus nicht zu <strong>de</strong>r Zeit gekommen war, da sie ihn erwartet hatten. Sie schlossen daraus,<br />

daß, wenn die prophetischen Tage im Jahre 1844 zu En<strong>de</strong> gegangen wären, Christus dann<br />

gekommen sein wür<strong>de</strong>, um durch die Läuterung <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> mit Feuer das Heiligtum zu<br />

reinigen, und daß, weil er nicht gekommen sei, die Tage auch nicht verstrichen sein könnten.<br />

Durch Annahme dieser Schlußfolgerung verwarfen sie die ehemalige Berechnung <strong>de</strong>r<br />

prophetischen Zeitangaben. Wie man gefun<strong>de</strong>n hatte, fingen die zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt<br />

Tage an, als das Gebot <strong>de</strong>s Artaxerxes (o<strong>de</strong>r Arthahsastha), das die Wie<strong>de</strong>rherstellung und<br />

<strong>de</strong>n Aufbau von Jerusalem befahl, in Kraft trat: im Herbst <strong>de</strong>s Jahres 457 v. Chr. Dies als<br />

Ausgangspunkt annehmend, ergab sich in <strong>de</strong>r Auslegung jener Perio<strong>de</strong> eine vollkommene<br />

Übereinstimmung mit allen in Daniel 9,25-27 vor Augen geführten Ereignissen.<br />

Neunundsechzig Wochen, die ersten vierhun<strong>de</strong>rtdreiundachtzig von <strong>de</strong>n<br />

zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt Jahren, sollten sich bis auf Christus, <strong>de</strong>n Gesalbten, erstrecken.<br />

Christi Taufe und die Salbung mit <strong>de</strong>m Heiligen Geist im Jahre 27 n. Chr. erfüllten<br />

diese Angaben genau. In <strong>de</strong>r Mitte <strong>de</strong>r siebzigsten Woche sollte <strong>de</strong>r Gesalbte ausgerottet<br />

wer<strong>de</strong>n. Dreieinhalb Jahre nach seiner Taufe, im Frühling <strong>de</strong>s Jahres 31 n. Chr., wur<strong>de</strong><br />

Christus gekreuzigt. Die siebzig Wochen o<strong>de</strong>r vierhun<strong>de</strong>rtneunzig Jahre sollten<br />

insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>n gehören. Am Schluß jenes Zeitraumes besiegelte diese Nation die<br />

Verwerfung Christi durch die Verfolgung seiner Jünger, und die Apostel wandten sich im<br />

Jahre 34 n. Chr. zu <strong>de</strong>n Hei<strong>de</strong>n. Nach<strong>de</strong>m vierhun<strong>de</strong>rtneunzig Jahre von <strong>de</strong>n<br />

zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt verstrichen waren, blieben noch achtzehnhun<strong>de</strong>rtzehn Jahre übrig.<br />

286


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Vom Jahre 34 n. Chr. erstrecken sich achtzehnhun<strong>de</strong>rtzehn Jahre bis ins Jahr 1844. „Dann“,<br />

sagte <strong>de</strong>r Engel, „wird das Heiligtum wie<strong>de</strong>r geweiht wer<strong>de</strong>n.“ Alle vorhergehen<strong>de</strong>n<br />

Angaben <strong>de</strong>r Weissagung waren unverkennbar zur bestimmten Zeit erfüllt wor<strong>de</strong>n.<br />

Alles war bei dieser Berechnung klar und zutreffend,nur ließ sich nicht erkennen, daß<br />

irgen<strong>de</strong>in Ereignis, das <strong>de</strong>r Weihe <strong>de</strong>s Tempels entspräche,im Jahre 1844 stattgefun<strong>de</strong>n habe.<br />

Wollte man verneinen, daß die Tage zu jener Zeit en<strong>de</strong>ten, so hieße das Verwirrung in die<br />

ganze Sache bringen und Grundsätze umstoßen, die durch untrügliche Erfüllungszeichen <strong>de</strong>r<br />

Weissagung ihre Bestätigung erhalten hatten. Aber Gott war in <strong>de</strong>r großen Adventbewegung<br />

<strong>de</strong>r Leiter seines Volkes gewesen; seine Macht und Herrlichkeit hatten das Werk begleitet,<br />

und er wollte es nicht in Finsternis und Enttäuschung en<strong>de</strong>n lassen, damit man es nicht<br />

beschuldigen könne, eine falsche und schwärmerische Bewegung gewesen zu sein. Er<br />

konnte sein Wort nicht im Lichte <strong>de</strong>s Zweifels und <strong>de</strong>r Ungewißheit erscheinen lassen.<br />

Wenn auch viele ihre frühere Berechnung <strong>de</strong>r prophetischen Zeitangaben fahren ließen und<br />

die Richtigkeit <strong>de</strong>r darauf gegrün<strong>de</strong>ten Bewegung verneinten, so waren an<strong>de</strong>re doch nicht<br />

willens, Glaubenspunkte und Erfahrungen aufzugeben, die durch die Heilige Schrift und das<br />

Zeugnis <strong>de</strong>s Geistes Gottes erhärtet wur<strong>de</strong>n. Sie glaubten, daß sie in ihrem Studium <strong>de</strong>r<br />

Weissagungen diese richtig ausgelegt hätten und daß es ihre Pflicht sei, an <strong>de</strong>n bereits<br />

gewonnenen Wahrheiten festzuhalten und ihre biblischen Forschungen fortzusetzen. Mit<br />

ernstem Gebet prüften sie ihre Auffassungen und forschten in <strong>de</strong>r Heiligen Schrift, um ihren<br />

Fehler zu ent<strong>de</strong>cken. Da sie in ihrer Berechnung <strong>de</strong>r prophetischen Zeitabschnitte keinen<br />

Irrtum ent<strong>de</strong>cken konnten, fühlten sie sich veranlaßt, das „Heiligtum“ näher zu prüfen.<br />

Ihre Untersuchung ergab, daß keine biblischen Beweise die allgemeine Ansicht, daß die<br />

Er<strong>de</strong> das Heiligtum sei, unterstützten. Aber sie fan<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Bibel eine vollständige<br />

Auslegung über das Heiligtum, seine Beschaffenheit, seinen Standort und <strong>de</strong>n in ihm<br />

stattfin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Dienst. Das Zeugnis <strong>de</strong>r heiligen Schreiber war so klar und ausführlich, daß<br />

es keinen Zweifel darüber aufkommen ließ. Paulus sagt in <strong>de</strong>m Brief an die Hebräer: „Es<br />

hatte zwar auch das erste seine Rechte <strong>de</strong>s Gottesdienstes und das äußerliche Heiligtum.<br />

Denn es war da aufgerichtet das Vor<strong>de</strong>rteil <strong>de</strong>r Hütte, darin <strong>de</strong>r Leuchter war und <strong>de</strong>r Tisch<br />

und die Schaubrote; und dies heißt das Heilige. Hinter <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn Vorhang aber war die<br />

Hütte, die da heißt das Allerheiligste; die hatte das gol<strong>de</strong>ne Räuchfaß und die La<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

Testaments allenthalben mit Gold überzogen, in welcher war <strong>de</strong>r gol<strong>de</strong>ne Krug mit <strong>de</strong>m<br />

Himmelsbrot und die Rute Aarons, die gegrünt hatte, und die Tafeln <strong>de</strong>s Testaments; oben<br />

darüber aber waren die Cherubim <strong>de</strong>r Herrlichkeit, die überschatteten <strong>de</strong>n<br />

Gna<strong>de</strong>nstuhl.“ Hebräer 9,1-5.<br />

Das Heiligtum, auf das <strong>de</strong>r Apostel hier hinweist, war die von Mose nach <strong>de</strong>m Befehl<br />

Gottes als die irdische Wohnstätte <strong>de</strong>s Allerhöchsten erbaute Stiftshütte. „Und sie sollen mir<br />

ein Heiligtum machen, daß ich unter ihnen wohne“ (2.Mose 25,8), lautete die an Mose<br />

gerichtete Anweisung zu <strong>de</strong>r Zeit, da er mit Gott auf <strong>de</strong>m Berge war. Die Israeliten zogen<br />

durch die Wüste, und die Stiftshütte war so gebaut, daß sie von Ort zu Ort mitgenommen<br />

287


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

wer<strong>de</strong>n konnte. Dennoch war sie ein großartiger Bau. Ihre Wän<strong>de</strong> bil<strong>de</strong>ten aufrechtstehen<strong>de</strong>,<br />

mit schwerem Gold belegte Bretter, die in silberne Sockel eingelassen waren, während das<br />

Dach aus Teppichen o<strong>de</strong>r Decken bestand, <strong>de</strong>ren äußerste aus Fellen und <strong>de</strong>ren innerste aus<br />

feiner, mit prächtigen Cherubim durchwirkter Leinwand hergestellt waren. Ohne <strong>de</strong>n<br />

Vorhof, in <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Brandopferaltar stand, gehörten zur Stiftshütte selbst zwei Abteilungen,<br />

das Heilige und das Allerheiligste, die durch einen schönen und kostbaren Vorhang<br />

voneinan<strong>de</strong>r getrennt waren; ein ähnlicher Vorhang verschloß <strong>de</strong>n Eingang in die erste<br />

Abteilung. Im Heiligen, nach Sü<strong>de</strong>n hin, befand sich <strong>de</strong>r Leuchter mit seinen sieben Lampen,<br />

die das Heiligtum Tag und Nacht erleuchteten; nach Nor<strong>de</strong>n hin stand <strong>de</strong>r Schaubrottisch<br />

und vor <strong>de</strong>m Vorhang, <strong>de</strong>r das Heilige vom Allerheiligsten trennte, <strong>de</strong>r gol<strong>de</strong>ne Räuchaltar,<br />

von <strong>de</strong>m die Wolke <strong>de</strong>s Wohlgeruchs mit <strong>de</strong>n Gebeten Israels täglich zu Gott emporstieg.<br />

Im Allerheiligsten stand die Bun<strong>de</strong>sla<strong>de</strong> aus kostbarem, mit Gold belegtem Holz, <strong>de</strong>r<br />

Aufbewahrungsort <strong>de</strong>r zwei Steintafeln, auf die Gott die Zehn Gebote eingegraben hatte.<br />

Über <strong>de</strong>r La<strong>de</strong> bil<strong>de</strong>te <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong>nthron <strong>de</strong>n Deckel <strong>de</strong>r heiligen Truhe. Er war ein<br />

prächtiges Kunstwerk, auf <strong>de</strong>m sich zwei Cherubim erhoben, an je<strong>de</strong>r Seite einer, aus<br />

reinem Gol<strong>de</strong> gearbeitet. In dieser Abteilung offenbarte sich die göttliche Gegenwart in <strong>de</strong>r<br />

Wolke <strong>de</strong>r Herrlichkeit zwischen <strong>de</strong>n Cherubim. Nach<strong>de</strong>m sich die Hebräer in Kanaan<br />

nie<strong>de</strong>rgelassen hatten, wur<strong>de</strong> die Stiftshütte durch <strong>de</strong>n Tempel Salomos ersetzt, <strong>de</strong>r, obwohl<br />

ein fester Bau und von größerem Umfang, doch die gleichen Größenverhältnisse beibehielt<br />

und auf ähnliche Weise ausgestattet war. In dieser Form bestand das Heiligtum,<br />

ausgenommen die Zeit Daniels, als es in Trümmern lag, bis zu seiner Zerstörung durch die<br />

Römer im Jahre 70 n. Chr.<br />

Dies ist das einzige Heiligtum, das je auf Er<strong>de</strong>n bestan<strong>de</strong>n hat und über das die Bibel<br />

irgendwelche Auskunft gibt. Paulus nennt es das Heiligtum <strong>de</strong>s ersten Bun<strong>de</strong>s. Aber hat <strong>de</strong>r<br />

Neue Bund kein Heiligtum? Als sich die nach Wahrheit Forschen<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n Hebräerbrief<br />

vertieften, fan<strong>de</strong>n sie, daß das Vorhan<strong>de</strong>nsein eines zweiten o<strong>de</strong>r neutestamentlichen<br />

Heiligtums in <strong>de</strong>n bereits angeführten Worten <strong>de</strong>s Apostels ange<strong>de</strong>utet war: „Es hatte zwar<br />

auch das erste (d.h. das Alte Testament) seine Rechte <strong>de</strong>s Gottesdienstes und das äußerliche<br />

Heiligtum.“ Der Gebrauch <strong>de</strong>s Wortes „auch“ <strong>de</strong>utet an, daß Paulus dieses Heiligtum zuvor<br />

erwähnt hat. Als sie zum vorhergehen<strong>de</strong>n Kapitel zurückgingen, lasen sie am Anfang: „Das<br />

ist nun die Hauptsache, davon wir re<strong>de</strong>n: Wir haben einen solchen Hohenpriester, <strong>de</strong>r da<br />

sitzt zu <strong>de</strong>r Rechten auf <strong>de</strong>m Stuhl <strong>de</strong>r Majestät im Himmel und ist ein Pfleger <strong>de</strong>s Heiligen<br />

und <strong>de</strong>r wahrhaftigen Hütte, welche Gott aufgerichtet hat und kein Mensch.“ Hebräer 8,1.2.<br />

Hier wird das Heiligtum <strong>de</strong>s Neuen Bun<strong>de</strong>s offenbart. Das Heiligtum <strong>de</strong>s ersten Bun<strong>de</strong>s<br />

war von Menschen aufgerichtet, von Mose erbaut wor<strong>de</strong>n; dieses hier ist vom Herrn und<br />

nicht von Menschen aufgerichtet. In jenem Heiligtum vollzogen die irdischen Priester ihren<br />

Dienst; in diesem hier dient Christus, unser großer Hoherpriester, zur Rechten Gottes. Das<br />

eine Heiligtum befand sich auf Er<strong>de</strong>n, das an<strong>de</strong>re ist im Himmel.<br />

288


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Ferner war das von Mose erbaute Heiligtum nach einem Vorbild aufgerichtet wor<strong>de</strong>n.<br />

Der Herr hatte ihn angewiesen: „Wie ich dir ein Vorbild <strong>de</strong>r Wohnung und alles ihres<br />

Gerätes zeigen wer<strong>de</strong>, so sollt ihr‘s machen.“ Und wie<strong>de</strong>rum war ihm <strong>de</strong>r Auftrag erteilt<br />

wor<strong>de</strong>n: „Siehe zu, daß du es machst nach <strong>de</strong>m Bil<strong>de</strong>, das du auf <strong>de</strong>m Berge gesehen<br />

hast.“ 2.Mose 25,9.40. Der Apostel erklärt dazu, daß die erste Hütte „ist ein Gleichnis auf<br />

die gegenwärtige Zeit, nach welchem Gaben und Opfer geopfert wer<strong>de</strong>n“; daß die heiligen<br />

Stätten „<strong>de</strong>r himmlischen Dinge Vorbil<strong>de</strong>r“ waren; daß die Priester, die nach <strong>de</strong>m Gesetz<br />

Gaben darbrachten, „<strong>de</strong>m Vorbil<strong>de</strong> und <strong>de</strong>m Schatten <strong>de</strong>s Himmlischen“ dienten, und daß<br />

„Christus ist nicht eingegangen in das Heilige, so mit Hän<strong>de</strong>n gemacht ist (welches ist ein<br />

Gegenbild <strong>de</strong>s wahrhaftigen), son<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>n Himmel selbst, nun zu erscheinen vor <strong>de</strong>m<br />

Angesicht Gottes für uns“. Hebräer 9,9.23; Hebräer 8,5; Hebräer 9,24.<br />

Das Heiligtum im Himmel, in <strong>de</strong>m Christus um unsertwillen dient, ist das große Urbild<br />

<strong>de</strong>s von Mose erbauten Heiligtums. Gott legte seinen Geist auf die Bauleute <strong>de</strong>s irdischen<br />

Heiligtums. Die bei seiner Erbauung entfaltete Kunstfertigkeit war eine Offenbarung <strong>de</strong>r<br />

göttlichen Weisheit. Die Wän<strong>de</strong> hatten das Aussehen massiven Gol<strong>de</strong>s und warfen das Licht<br />

<strong>de</strong>s siebenarmigen gol<strong>de</strong>nen Leuchters in alle Richtungen zurück. Der Schaubrottisch und<br />

<strong>de</strong>r Räucheraltar glänzten wie reines Gold. Die prächtigen Teppiche, die die Decke bil<strong>de</strong>ten<br />

und mit Engelsgestalten in Blau, Purpur und Scharlach durchwirkt waren, trugen zur<br />

Schönheit <strong>de</strong>s Anblicks bei.<br />

Hinter <strong>de</strong>m zweiten Vorhang über <strong>de</strong>m Gna<strong>de</strong>nstuhl war <strong>de</strong>r Ort <strong>de</strong>r sichtbaren<br />

Offenbarung <strong>de</strong>r Herrlichkeit Gottes, vor <strong>de</strong>n außer <strong>de</strong>m Hohenpriester niemand treten und<br />

am Leben bleiben konnte. Der unvergleichliche Glanz <strong>de</strong>r irdischen Stiftshütte strahlte <strong>de</strong>m<br />

menschlichen Anblick die Herrlichkeit jenes himmlischen Tempels wi<strong>de</strong>r, in <strong>de</strong>m Christus,<br />

unser Vorläufer, für uns vor <strong>de</strong>m Thron Gottes dient. Die Wohnstätte <strong>de</strong>s Königs <strong>de</strong>r<br />

Könige, wo tausendmal tausend ihm dienen und zehntausendmal zehntausend vor ihm<br />

stehen (Daniel 7,10),jener Tempel voll <strong>de</strong>r Herrlichkeit <strong>de</strong>s ewigen Thrones, wo Seraphim,<br />

die strahlen<strong>de</strong>n Hüter, anbetend ihre Angesichter verhüllen, konnte in <strong>de</strong>m <strong>de</strong>nkwürdigsten<br />

Bau, <strong>de</strong>n Menschenhän<strong>de</strong> je errichteten, nur einen matten Abglanz seiner Größe und<br />

Herrlichkeit fin<strong>de</strong>n. Doch wur<strong>de</strong>n durch das Heiligtum und seine Gottesdienste wichtige<br />

Wahrheiten hinsichtlich <strong>de</strong>s himmlischen Heiligtums und <strong>de</strong>s großen Werkes, das dort zur<br />

Erlösung <strong>de</strong>s Menschen ausgeführt wird, gelehrt.<br />

Die heiligen Stätten <strong>de</strong>s Heiligtums im Himmel wer<strong>de</strong>n durch die zwei Abteilungen im<br />

irdischen Heiligtum dargestellt. Als <strong>de</strong>m Apostel Johannes in einem Gesicht ein Blick auf<br />

<strong>de</strong>n Tempel Gottes im Himmel gewährt wur<strong>de</strong>, sah er, wie dort „sieben Fackeln mit Feuer<br />

brannten vor <strong>de</strong>m Stuhl“. Offenbarung 4,5. Er erblickte einen Engel, <strong>de</strong>r „hatte ein gol<strong>de</strong>nes<br />

Räuchfaß; und ihm ward viel Räuchwerk gegeben, daß er es gäbe zum Gebet aller Heiligen<br />

auf <strong>de</strong>n gol<strong>de</strong>nen Altar vor <strong>de</strong>m Stuhl“. Offenbarung 8,3. Hier wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>m Propheten<br />

gestattet, die erste Abteilung <strong>de</strong>s himmlischen Heiligtums zu schauen; und er sah dort die<br />

„sieben Fackeln mit Feuer“ und „<strong>de</strong>n gol<strong>de</strong>nen Altar“, dargestellt durch <strong>de</strong>n gol<strong>de</strong>nen<br />

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<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Leuchter und <strong>de</strong>n Räucheraltar im irdischen Heiligtum. Wie<strong>de</strong>rum heißt es: „Der Tempel<br />

Gottes ward aufgetan im Himmel“ (Offenbarung 11,19), und er schaute in das Innere, hinter<br />

<strong>de</strong>n zweiten Vorhang, in das Allerheiligste. Hier erblickte er „die La<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>s“,<br />

dargestellt durch die heilige La<strong>de</strong>, die Mose anfertigen ließ, um das Gesetz<br />

Gottes darin aufzubewahren. So fan<strong>de</strong>n die, die sich mit diesem Problem befaßten,<br />

unbestreitbare Beweise für das Vorhan<strong>de</strong>nsein eines Heiligtums im Himmel. Mose baute<br />

das irdische Heiligtum nach einem Vorbild, das ihm gezeigt wor<strong>de</strong>n war. Paulus lehrt, daß<br />

jenes Vorbild das wahrhaftige Heiligtum sei, das im Himmel ist; und Johannes bezeugt, daß<br />

er es im Himmel gesehen habe. Im himmlischen Tempel, <strong>de</strong>r Wohnstätte Gottes, ist sein<br />

Thron auf Gerechtigkeit und Gericht gegrün<strong>de</strong>t. Im Allerheiligsten ist sein Gesetz <strong>de</strong>r große<br />

Maßstab <strong>de</strong>s Rechts, nach <strong>de</strong>m alle Menschen geprüft wer<strong>de</strong>n. Die Bun<strong>de</strong>sla<strong>de</strong>, welche die<br />

Tafeln <strong>de</strong>s Gesetzes birgt, ist mit <strong>de</strong>m Gna<strong>de</strong>nstuhl be<strong>de</strong>ckt, vor <strong>de</strong>m Christus sein Blut<br />

zugunsten <strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong>rs darbietet. Auf diese Weise wird die Verbindung von Gerechtigkeit<br />

und Gna<strong>de</strong> im Plan <strong>de</strong>r menschlichen Erlösung dargestellt.<br />

Diese Vereinigung konnte allein ewige Weisheit ersinnen und unendliche Macht<br />

vollbringen; es ist eine Verbindung, die <strong>de</strong>n ganzen Himmel mit Staunen und Anbetung<br />

erfüllt. Die ehrerbietig auf <strong>de</strong>n Gna<strong>de</strong>nstuhl nie<strong>de</strong>rschauen<strong>de</strong>n Cherubim <strong>de</strong>s irdischen<br />

Heiligtums versinnbil<strong>de</strong>n die Anteilnahme, mit <strong>de</strong>r die himmlischen Heerscharen das Werk<br />

<strong>de</strong>r Erlösung betrachten. Dies ist das Geheimnis <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong>, das auch die Engel verlangt zu<br />

schauen: daß Gott gerecht sein kann, während er <strong>de</strong>n reumütigen Sün<strong>de</strong>r rechtfertigt und<br />

seine Verbindung mit <strong>de</strong>m gefallenen Geschlecht erneuert; daß Christus sich herablassen<br />

konnte, unzählige Scharen aus <strong>de</strong>m Abgrund <strong>de</strong>s Ver<strong>de</strong>rbens herauszuheben und sie mit <strong>de</strong>n<br />

fleckenlosen Gewän<strong>de</strong>rn seiner eigenen Gerechtigkeit zu beklei<strong>de</strong>n, damit sie sich mit<br />

Engeln, die nie gefallen sind, vereinen und ewig in <strong>de</strong>r Gegenwart Gottes wohnen können.<br />

Christi Werk als Fürsprecher <strong>de</strong>r Menschen wird in <strong>de</strong>r schönen Weissagung Sacharjas<br />

von <strong>de</strong>m, „<strong>de</strong>r heißt Zemach“ (Zweig), veranschaulicht. Der Prophet sagt: „Den Tempel <strong>de</strong>s<br />

Herrn wird er bauen und wird <strong>de</strong>n Schmuck tragen und wird sitzen und herrschen auf<br />

seinem (<strong>de</strong>s Vaters) Thron, wird auch Priester sein auf seinem Thron und es wird Frie<strong>de</strong><br />

sein zwischen <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n.“ Sacharja 6,13. „Den Tempel <strong>de</strong>s Herrn wird er bauen.“ Durch<br />

sein Opfer und sein Mittleramt ist Christus bei<strong>de</strong>s, <strong>de</strong>r Grund und <strong>de</strong>r Baumeister <strong>de</strong>r<br />

Gemein<strong>de</strong> Gottes. Der Apostel Paulus verweist auf ihn als <strong>de</strong>n Eckstein, „auf welchem <strong>de</strong>r<br />

ganze Bau ineinan<strong>de</strong>rgefügt wächst zu einem heiligen Tempel in <strong>de</strong>m Herrn, auf welchem<br />

auch ihr mit erbaut wer<strong>de</strong>t zu einer Behausung Gottes im Geist“. Epheser 2,21.22.<br />

„Und wird <strong>de</strong>n Schmuck tragen.“ Der Schmuck, die Herrlichkeit <strong>de</strong>r Erlösung <strong>de</strong>s<br />

gefallenen Geschlechts, gebührt Christus. In <strong>de</strong>r Ewigkeit wird das Lied <strong>de</strong>r Erlösten sein:<br />

Dem, „<strong>de</strong>r uns geliebt hat und gewaschen von <strong>de</strong>n Sün<strong>de</strong>n mit seinem Blut ..., <strong>de</strong>m sei Ehre<br />

und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen“. Offenbarung 1,5.6. Er „wird sitzen und<br />

herrschen auf seinem Thron, wird auch Priester sein auf seinem Thron“. Jetzt sitzt er noch<br />

nicht auf <strong>de</strong>m Stuhl seiner Herrlichkeit; <strong>de</strong>nn das Reich <strong>de</strong>r Herrlichkeit ist noch nicht<br />

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<strong>Chaos</strong>theorie<br />

aufgerichtet. Erst nach <strong>de</strong>r Vollendung seines Werkes wird Gott „ihm <strong>de</strong>n Stuhl seines<br />

Vaters David geben“, ein Reich, <strong>de</strong>ssen „kein En<strong>de</strong> sein“ wird. Lukas 1,32.33.<br />

Als Priester sitzt Christus jetzt mit seinem Vater auf <strong>de</strong>ssen Stuhl. Offenbarung 3,21.<br />

Auf <strong>de</strong>m Throne mit <strong>de</strong>m Ewigen, <strong>de</strong>r in sich selbst Dasein hat, sitzt er, <strong>de</strong>r da „trug unsre<br />

Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen“, „<strong>de</strong>r versucht ist allenthalben gleichwie wir,<br />

doch ohne Sün<strong>de</strong>“, damit er könnte „helfen <strong>de</strong>nen, die versucht wer<strong>de</strong>n“. „Ob jemand<br />

sündigt, so haben wir einen Fürsprecher bei <strong>de</strong>m Vater.“ Jesaja 53,4; Hebräer 4,15; Hebräer<br />

2,18; 1.Johannes 2,1. Seine Vermittlung geschieht durch einen durchbohrten und<br />

gebrochenen Leib, durch sein makelloses Leben. Die verwun<strong>de</strong>ten Hän<strong>de</strong>, die<br />

durchstochene Seite, die durchbohrten Füße legen Fürsprache ein für <strong>de</strong>n gefallenen<br />

Menschen, <strong>de</strong>ssen Heil so unermeßlich teuer erkauft wur<strong>de</strong>.<br />

„Und es wird Frie<strong>de</strong> (<strong>de</strong>r Rat <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns) sein zwischen <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n.“ Die Liebe <strong>de</strong>s<br />

Vaters ist nicht weniger als die <strong>de</strong>s Sohnes die Quelle <strong>de</strong>s Heils für die verlorene<br />

Menschheit. Jesus sagte zu seinen Jüngern, ehe er wegging: „Ich sage euch nicht, daß ich<br />

<strong>de</strong>n Vater für euch bitten will; <strong>de</strong>nn er selbst, <strong>de</strong>r Vater, hat euch lieb.“ Johannes 16,26.27.<br />

„Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit ihm selber.“ 2.Korinther 5,19. Und in <strong>de</strong>m<br />

Dienst <strong>de</strong>s Heiligtums droben ist <strong>de</strong>r Rat <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns zwischen <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n. „Also hat Gott<br />

die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben,<br />

nicht verloren wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn das ewige Leben haben.“ Johannes 3,16.<br />

Die Frage: Was ist das Heiligtum? ist in <strong>de</strong>r Heiligen Schrift klar beantwortet. Der<br />

Ausdruck „Heiligtum“, wie er in <strong>de</strong>r Bibel gebraucht wird, bezieht sich zunächst auf die von<br />

Mose als Abbild <strong>de</strong>r himmlischen Dinge errichtete Stiftshütte, und zweitens auf die<br />

wahrhaftige Hütte im Himmel, auf die das irdische Heiligtum hinwies. Mit <strong>de</strong>m To<strong>de</strong><br />

Christi en<strong>de</strong>te <strong>de</strong>r bildliche Dienst. Die wahre Hütte im Himmel ist das Heiligtum <strong>de</strong>s<br />

Neuen Bun<strong>de</strong>s. Und da die Weissagung aus Daniel 8,14 ihre Erfüllung in diesem Bund<br />

fin<strong>de</strong>t, muß das Heiligtum, auf das sie sich bezieht, das Heiligtum <strong>de</strong>s Neuen Bun<strong>de</strong>s sein.<br />

Am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt Tage, im Jahre 1844, hatte sich schon seit vielen<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rten kein Heiligtum mehr auf Er<strong>de</strong>n befun<strong>de</strong>n. Somit verweist die Weissagung:<br />

„Bis zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt Aben<strong>de</strong> und Morgen um sind; dann wird das Heiligtum wie<strong>de</strong>r<br />

geweiht wer<strong>de</strong>n“ ohne Zweifel auf das Heiligtum im Himmel.<br />

Aber noch bleibt die wichtigste Frage zu beantworten. Was ist unter <strong>de</strong>r Weihe o<strong>de</strong>r<br />

Reinigung <strong>de</strong>s Heiligtums zu verstehen? Das Alte Testament berichtet, daß ein solcher<br />

Dienst in Verbindung mit <strong>de</strong>m irdischen Heiligtum bestand. Aber kann im Himmel irgend<br />

etwas zu reinigen sein? In Hebräer 9 wird die Reinigung <strong>de</strong>s irdischen sowie <strong>de</strong>s<br />

himmlischen Heiligtums <strong>de</strong>utlich gelehrt: „Und es wird fast alles mit Blut gereinigt nach<br />

<strong>de</strong>m Gesetz; und ohne Blutvergießen geschieht keine Vergebung. So mußten nun <strong>de</strong>r<br />

himmlischen Dinge Vorbil<strong>de</strong>r mit solchem (<strong>de</strong>m Blut von Tieren) gereinigt wer<strong>de</strong>n; aber sie<br />

selbst, die himmlischen, müssen bessere Opfer haben, <strong>de</strong>nn jene waren“ (Hebräer<br />

9,22,23) — nämlich das köstliche Blut Christi.<br />

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<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Die Reinigung muß sowohl im Schattendienst als auch im wahrhaftigen Dienst mit Blut<br />

vollzogen wer<strong>de</strong>n; in jenem mit <strong>de</strong>m Blut von Tieren, in diesem mit <strong>de</strong>m Blut Christi.<br />

Paulus nennt <strong>de</strong>n Grund, warum diese Reinigung mit Blut vollzogen wer<strong>de</strong>n mußte: weil<br />

ohne Blutvergießen keine Vergebung geschieht. Vergebung zu erlangen o<strong>de</strong>r die Sün<strong>de</strong><br />

auszutilgen, das ist das zu vollbringen<strong>de</strong> Werk. Aber wie konnte die Sün<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>m<br />

Heiligtum, sei es im Himmel o<strong>de</strong>r auf Er<strong>de</strong>n, verbun<strong>de</strong>n sein? Das können wir aus <strong>de</strong>m<br />

gegenbildlichen Dienst erkennen; <strong>de</strong>nn die Priester, die ihr Amt auf Er<strong>de</strong>n versahen, dienten<br />

„<strong>de</strong>m Vorbil<strong>de</strong> und <strong>de</strong>m Schatten <strong>de</strong>s Himmlischen“. Hebräer 8,5.<br />

Der Dienst im irdischen Heiligtum war ein zweifacher: die Priester dienten täglich im<br />

Heiligen, während <strong>de</strong>r Hohepriester einmal im Jahr im Allerheiligsten ein beson<strong>de</strong>res Werk<br />

<strong>de</strong>r Versöhnung zur Reinigung <strong>de</strong>s Heiligtums darbrachte. Tag für Tag führte <strong>de</strong>r reumütige<br />

Sün<strong>de</strong>r sein Opfer zur Tür <strong>de</strong>r Stiftshütte und bekannte, seine Hand auf <strong>de</strong>n Kopf <strong>de</strong>s<br />

Opfertieres legend, seine Sün<strong>de</strong>n, die er damit bildlich von sich auf das unschuldige Opfer<br />

übertrug. Dann wur<strong>de</strong> das Tier geschlachtet. „Ohne Blutvergießen“, sagt <strong>de</strong>r Apostel,<br />

„geschieht keine Vergebung.“ „Des Leibes Leben ist im Blut.“ 3.Mose 17,11. Das<br />

gebrochene Gesetz Gottes for<strong>de</strong>rte das Leben <strong>de</strong>s Übertreters. Das Blut, welches das<br />

verwirkte Leben <strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong>rs darstellte, <strong>de</strong>ssen Schuld das Opfertier trug, wur<strong>de</strong> vom<br />

Priester in das Heilige getragen und vor <strong>de</strong>n Vorhang gesprengt, hinter <strong>de</strong>m sich die<br />

Bun<strong>de</strong>sla<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>n Tafeln <strong>de</strong>s Gesetzes befand, das <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>r übertreten hatte. Durch<br />

diese Handlung wur<strong>de</strong> die Sün<strong>de</strong> durch das Blut bildlich auf das Heiligtum übertragen. In<br />

einigen Fällen wur<strong>de</strong> das Blut nicht in das Heilige getragen; dann jedoch wur<strong>de</strong> das Fleisch<br />

von <strong>de</strong>m Priester gegessen, wie Mose die Söhne Aarons anwies und sagte: „Er (Gott) hat‘s<br />

euch gegeben, daß ihr die Missetat <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> tragen sollt.“ 3.Mose 10,17. Bei<strong>de</strong><br />

Handlungen versinnbil<strong>de</strong>ten gleicherweise die Übertragung <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> von <strong>de</strong>m Bußfertigen<br />

auf das Heiligtum.<br />

So geschah <strong>de</strong>r Dienst, <strong>de</strong>r das ganze Jahr über Tag für Tag vor sich ging. Die Sün<strong>de</strong>n<br />

Israels wur<strong>de</strong>n auf diese Weise auf das Heiligtum übertragen, und eine beson<strong>de</strong>re Handlung<br />

war nötig, um sie wegzuschaffen. Gott befahl, daß je<strong>de</strong> <strong>de</strong>r heiligen Abteilungen versöhnt<br />

wer<strong>de</strong>n sollte. „Und soll also versöhnen das Heiligtum von <strong>de</strong>r Unreinigkeit <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r<br />

Israel und von ihrer Übertretung in allen ihren Sün<strong>de</strong>n. Also soll er auch tun <strong>de</strong>r Hütte <strong>de</strong>s<br />

Stifts; <strong>de</strong>nn sie sind unrein, die umher lagern.“ Es mußte ferner die Versöhnung vollzogen<br />

wer<strong>de</strong>n für <strong>de</strong>n Altar, um ihn zu „reinigen und heiligen von <strong>de</strong>r Unreinigkeit <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r<br />

Israel“. 3.Mose 16,16.19.<br />

Einmal im Jahr, am großen Versöhnungstag, ging <strong>de</strong>r Priester in das Allerheiligste, um<br />

das Heiligtum zu reinigen. Das dort vollzogene Werk vollen<strong>de</strong>te die jährliche Run<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

Dienstes im Heiligtum. Am Versöhnungstag wur<strong>de</strong>n zwei Ziegenböcke vor die Tür <strong>de</strong>r<br />

Stiftshütte gebracht und das Los über sie geworfen, „ein Los <strong>de</strong>m Herrn und das an<strong>de</strong>re <strong>de</strong>m<br />

Asasel“. 3.Mose 16,8. Der Bock, auf <strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Herrn Los viel, sollte als Sündopfer für das<br />

Volk geschlachtet wer<strong>de</strong>n, und <strong>de</strong>r Priester mußte <strong>de</strong>ssen Blut hinter <strong>de</strong>n Vorhang bringen<br />

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<strong>Chaos</strong>theorie<br />

und es auf <strong>de</strong>n Gna<strong>de</strong>nstuhl und vor <strong>de</strong>n Gna<strong>de</strong>nstuhl sprengen. Auch mußte es auf <strong>de</strong>n<br />

Räucheraltar, <strong>de</strong>r vor <strong>de</strong>m Vorhang stand, gesprengt wer<strong>de</strong>n. „Da soll <strong>de</strong>nn Aaron seine<br />

bei<strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong> auf sein (<strong>de</strong>s leben<strong>de</strong>n Bockes) Haupt legen und bekennen auf ihn alle<br />

Missetat <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r Israel und alle ihre Übertretung in allen ihren Sün<strong>de</strong>n, und soll sie <strong>de</strong>m<br />

Bock auf das Haupt legen und ihn durch einen Mann, <strong>de</strong>r bereit ist, in die Wüste laufen<br />

lassen, daß also <strong>de</strong>r Bock alle ihre Missetat auf sich in eine Wildnis trage.“ 3.Mose 16,21.22.<br />

Der Sün<strong>de</strong>nbock kam nicht mehr in das Lager Israels, und <strong>de</strong>r Mann, <strong>de</strong>r ihn weggeführt<br />

hatte, mußte sich und seine Klei<strong>de</strong>r mit Wasser waschen, ehe er ins Lager zurückkehren<br />

durfte.<br />

Die ganze Handlung war dazu bestimmt, <strong>de</strong>n Israeliten die Heiligkeit Gottes und seinen<br />

Abscheu vor <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> einzuprägen und ihnen ferner zu zeigen, daß sie mit <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> nicht<br />

in Berührung kommen konnten, ohne befleckt zu wer<strong>de</strong>n. Je<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong>, während dieses<br />

Versöhnungswerk vor sich ging, aufgefor<strong>de</strong>rt, seine Seele zu <strong>de</strong>mütigen. Alle Beschäftigung<br />

mußte beiseite gelegt wer<strong>de</strong>n, und die Israeliten hatten <strong>de</strong>n Tag in feierlicher Demütigung<br />

vor Gott mit Gebet, Fasten und gründlicher Herzenserforschung zuzubringen.<br />

Der sinnbildliche Dienst ließ wichtige Wahrheiten über die Versöhnung offenbar<br />

wer<strong>de</strong>n. Ein Stellvertreter wur<strong>de</strong> statt <strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong>rs angenommen; aber die Sün<strong>de</strong> konnte<br />

durch das Blut <strong>de</strong>s Opfertieres nicht ausgetilgt wer<strong>de</strong>n. Es wur<strong>de</strong> dadurch nur ein Mittel<br />

vorgesehen, sie auf das Heiligtum zu übertragen. Durch das Darbringen <strong>de</strong>s Blutes erkannte<br />

<strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>r die Autorität <strong>de</strong>s Gesetzes an, bekannte seine Schuld <strong>de</strong>r Übertretung und<br />

drückte sein Verlangen nach Vergebung aus, und zwar im Glauben an einen zukünftigen<br />

Erlöser; aber noch war er von <strong>de</strong>r Verdammung <strong>de</strong>s Gesetzes nicht gänzlich befreit. Am<br />

Versöhnungstag ging <strong>de</strong>r Hohepriester, nach<strong>de</strong>m er von <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> ein Opfer genommen<br />

hatte, mit <strong>de</strong>m Blut dieses Opfers in das Allerheiligste und sprengte es auf <strong>de</strong>n Gna<strong>de</strong>nstuhl,<br />

unmittelbar über das Gesetz, um für <strong>de</strong>ssen Ansprüche Genugtuung zu leisten. Dann nahm<br />

er als Mittler die Sün<strong>de</strong>n auf sich selbst und trug sie aus <strong>de</strong>m Heiligtum. Er legte seine<br />

Hän<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>n Kopf <strong>de</strong>s leben<strong>de</strong>n Bockes, bekannte auf ihn alle diese Sün<strong>de</strong>n und übertrug<br />

sie damit von sich auf <strong>de</strong>n Bock, <strong>de</strong>n man dann hinwegjagte. Diese Sün<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>n jetzt als<br />

für immer vom Volk geschie<strong>de</strong>n betrachtet.<br />

So geschah <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>m „Vorbild und <strong>de</strong>m Schatten <strong>de</strong>s Himmlischen“ vollzogene Dienst.<br />

Und was sinnbildlich im Dienst <strong>de</strong>s irdischen Heiligtums getan wur<strong>de</strong>, geschieht im Wesen<br />

während <strong>de</strong>s Dienstes im himmlischen Heiligtum. Nach seiner Himmelfahrt begann unser<br />

Heiland seinen Dienst als Hoherpriester. Paulus sagt: „Denn Christus ist nicht eingegangen<br />

in das Heilige, so mit Hän<strong>de</strong>n gemacht ist (welches ist ein Gegenbild <strong>de</strong>s wahrhaftigen),<br />

son<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>n Himmel selbst, nun zu erscheinen vor <strong>de</strong>m Angesicht Gottes für<br />

uns.“ Hebräer 9,24. Der Dienst <strong>de</strong>s Priesters während <strong>de</strong>s ganzen Jahres in <strong>de</strong>r ersten<br />

Abteilung <strong>de</strong>s Heiligtums, „im Inwendigen <strong>de</strong>s Vorhangs“, <strong>de</strong>r die Tür bil<strong>de</strong>te und das<br />

Heilige vom Vorhof trennte, stellt <strong>de</strong>n Dienst dar, <strong>de</strong>n Christus mit seiner Himmelfahrt<br />

angetreten hat. Es war die Aufgabe <strong>de</strong>s Priesters während <strong>de</strong>s täglichen Dienstes, vor Gott<br />

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<strong>Chaos</strong>theorie<br />

das Blut <strong>de</strong>s Sündopfers und <strong>de</strong>n Weihrauch darzubringen, <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>n Gebeten Israels<br />

emporstieg. So machte Christus vor <strong>de</strong>m Vater sein Blut für die Sün<strong>de</strong>r geltend und brachte<br />

ihm ferner mit <strong>de</strong>m köstlichen Wohlgeruch seiner eigenen Gerechtigkeit die Gebete <strong>de</strong>r<br />

reumütigen Gläubigen dar. Das war <strong>de</strong>r Dienst in <strong>de</strong>r ersten Abteilung <strong>de</strong>s himmlischen<br />

Heiligtums.<br />

Dorthin folgte Christus <strong>de</strong>r Glaube seiner Jünger, als er, ihren Blicken entschwin<strong>de</strong>nd,<br />

gen Himmel fuhr. Hier wurzelte ihre Hoffnung, „welche wir“, wie Paulus sagt, „haben als<br />

einen sichern und festen Anker unsrer Seele, <strong>de</strong>r auch hineingeht in das Inwendige <strong>de</strong>s<br />

Vorhangs, dahin <strong>de</strong>r Vorläufer für uns eingegangen, Jesus, ein Hoherpriester gewor<strong>de</strong>n in<br />

Ewigkeit“. Christus ist „nicht durch <strong>de</strong>r Böcke o<strong>de</strong>r Kälber Blut, son<strong>de</strong>rn durch sein eigen<br />

Blut einmal in das Heilige eingegangen und hat eine ewige Erlösung erfun<strong>de</strong>n“. Hebräer<br />

6,19.29; Hebräer 9,12. Achtzehn Jahrhun<strong>de</strong>rte lang wur<strong>de</strong> dieser Dienst im ersten Teil <strong>de</strong>s<br />

Heiligtums fortgeführt. Das Blut Christi legte Fürbitte für reumütige Gläubige ein und<br />

verschaffte ihnen Vergebung und Annahme beim Vater, doch stan<strong>de</strong>n ihre Sün<strong>de</strong>n noch<br />

immer in <strong>de</strong>n Büchern verzeichnet. Wie im irdischen Heiligtum am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Jahres ein<br />

Versöhnungsdienst stattfand, so muß, ehe Christi Aufgabe <strong>de</strong>r Erlösung <strong>de</strong>r Menschen<br />

vollen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n kann, das himmlische Heiligtum durch die Entfernung <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>n<br />

versöhnt wer<strong>de</strong>n. Dies ist <strong>de</strong>r Dienst, <strong>de</strong>r am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt Tage begann.<br />

Zu jener Zeit trat, wie vom Propheten Daniel vorhergesagt wur<strong>de</strong>, unser großer<br />

Hoherpriester in das Allerheiligste, um <strong>de</strong>n letzten Teil seines feierlichen Werkes, die<br />

Reinigung <strong>de</strong>s Heiligtums, zu vollziehen.<br />

Wie die Sün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Volkes vor alters durch <strong>de</strong>n Glauben auf das Sündopfer gelegt und<br />

bildlich durch <strong>de</strong>ssen Blut auf das irdische Heiligtum übertragen wur<strong>de</strong>n, so wer<strong>de</strong>n im<br />

Neuen Bund die Sün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Bußfertigen durch <strong>de</strong>n Glauben auf Christus gelegt und in<br />

Wirklichkeit auf das himmlische Heiligtum übertragen. Und wie im Schattendienst die<br />

Reinigung <strong>de</strong>s irdischen Heiligtums durch das Wegschaffen <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>n, durch die es<br />

befleckt wor<strong>de</strong>n war, vollbracht wur<strong>de</strong>, so soll die Reinigung <strong>de</strong>s himmlischen durch das<br />

Wegschaffen o<strong>de</strong>r Austilgen <strong>de</strong>r dort aufgezeichneten Sün<strong>de</strong>n vollzogen wer<strong>de</strong>n. Ehe dies<br />

aber geschehen kann, müssen die Bücher untersucht wer<strong>de</strong>n, um zu entschei<strong>de</strong>n, wer, durch<br />

Bereuen <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>n Glauben an Christus, <strong>de</strong>r Wohltaten seiner Versöhnung<br />

teilhaftig wer<strong>de</strong>n kann. Die Reinigung <strong>de</strong>s Heiligtums schließt <strong>de</strong>shalb eine Untersuchung,<br />

ein Gericht ein. Diese Untersuchung muß stattfin<strong>de</strong>n, ehe Christus kommt, um sein Volk zu<br />

erlösen; <strong>de</strong>nn wenn er kommt, ist sein Lohn mit ihm, „zu geben einem jeglichen, wie seine<br />

Werke sein wer<strong>de</strong>n“. Offenbarung 22,12.<br />

Auf diese Weise erkannten die, welche <strong>de</strong>m Licht <strong>de</strong>s prophetischen Wortes folgten,<br />

daß Christus, statt am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt Tage im Jahre 1844 auf die Er<strong>de</strong> zu<br />

kommen, damals in das Allerheiligste <strong>de</strong>s himmlischen Heiligtums einging, um das<br />

abschließen<strong>de</strong> Werk <strong>de</strong>r Versöhnung, die Vorbereitung auf sein Kommen, zu vollziehen.<br />

Man erkannte nicht nur, daß <strong>de</strong>r geschlachtete Bock auf Christus als ein Opfer hinwies und<br />

294


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

<strong>de</strong>n Hohenpriester Christus als einen Mittler darstellte, son<strong>de</strong>rn auch, daß <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>nbock<br />

Satan, <strong>de</strong>n Urheber <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>, versinnbil<strong>de</strong>te, auf <strong>de</strong>n die Sün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r wahrhaft Reumütigen<br />

schließlich gelegt wer<strong>de</strong>n sollen. Wenn <strong>de</strong>r Hohepriester — kraft <strong>de</strong>s Blutes <strong>de</strong>s<br />

Sündopfers — die Sün<strong>de</strong>n vom Heiligtum wegschaffte, legte er sie auf <strong>de</strong>n Sün<strong>de</strong>nbock;<br />

wenn Christus am En<strong>de</strong> seines Dienstes — kraft seines eigenen Blutes — die Sün<strong>de</strong>n seines<br />

Volkes aus <strong>de</strong>m himmlischen Heiligtum fortnimmt, wird er sie auf Satan legen, <strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>r<br />

Vollstreckung <strong>de</strong>s Gerichts die endgültige Schuld tragen muß.<br />

Der Sün<strong>de</strong>nbock wur<strong>de</strong> in die Wüste gejagt, damit er nie wie<strong>de</strong>r in die Gemeinschaft<br />

<strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r Israel zurückkommen konnte. Ebenso wird Satan auf ewig aus <strong>de</strong>r Gegenwart<br />

Gottes und seines Volkes verbannt und bei <strong>de</strong>r endgültigen Vernichtung <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> und <strong>de</strong>r<br />

Sün<strong>de</strong>r vertilgt wer<strong>de</strong>n.<br />

295


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 24- Im Allerheiligsten<br />

Das Heiligtum war <strong>de</strong>r Schlüssel zu <strong>de</strong>m Geheimnis <strong>de</strong>r Enttäuschung vom Jahre 1844.<br />

Ein vollständiges System <strong>de</strong>r Wahrheit, harmonisch miteinan<strong>de</strong>r verbun<strong>de</strong>n, wur<strong>de</strong> sichtbar<br />

und zeigte, daß Gott die große Adventbewegung geleitet hatte. Offenbar wur<strong>de</strong> die<br />

gegenwärtige Aufgabe <strong>de</strong>s Volkes Gottes, in<strong>de</strong>m seine Stellung und Pflicht ans Licht kam.<br />

Gleichwie Jesu Jünger nach <strong>de</strong>r schrecklichen Nacht ihres Schmerzes und ihrer<br />

Enttäuschung froh wur<strong>de</strong>n, „daß sie <strong>de</strong>n Herrn sahen“ (Johannes 20,20), so freuten sich nun<br />

die, welche im Glauben seiner Wie<strong>de</strong>rkunft entgegengesehen hatten. Sie waren <strong>de</strong>r<br />

Hoffnung nachgegangen, daß er in seiner Herrlichkeit erscheinen wer<strong>de</strong>, um seine Knechte<br />

zu belohnen.<br />

Als ihre Hoffnungen enttäuscht wur<strong>de</strong>n, hatten sie Jesus aus <strong>de</strong>n Augen verloren und<br />

wie Maria am Grabe gerufen: „Sie haben <strong>de</strong>n Herrn weggenommen ..., und wir wissen nicht,<br />

wo sie ihn hingelegt haben.“ Nun sahen sie ihn, ihren barmherzigen Hohenpriester, <strong>de</strong>r bald<br />

als ihr König und Befreier erscheinen sollte, im Allerheiligsten wie<strong>de</strong>r. Licht aus <strong>de</strong>m<br />

Heiligtum erhellte Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie wußten, daß Gott sie in<br />

seiner untrüglichen Vorsehung geführt hatte. Wenn sie auch wie die ersten Jünger die<br />

Botschaft nicht verstan<strong>de</strong>n, die sie verkündigten, so war sie doch in je<strong>de</strong>r Hinsicht richtig<br />

gewesen. Durch ihre Verkündigung hatten sie Gottes Absicht erfüllt, und ihre Arbeit war<br />

vor <strong>de</strong>m Herrn nicht vergebens gewesen. „Wie<strong>de</strong>rgeboren ... zu einer lebendigen Hoffnung“,<br />

freuten sie sich „mit unaussprechlicher und herrlicher Freu<strong>de</strong>“. 1.Petrus 1,3.8.<br />

Sowohl die Weissagung in Daniel 8,14: „Bis zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt Aben<strong>de</strong> und<br />

Morgen um sind; dann wird das Heiligtum wie<strong>de</strong>r geweiht wer<strong>de</strong>n“ als auch die erste<br />

Engelsbotschaft: „Fürch- tet Gott und gebet ihm die Ehre; <strong>de</strong>nn die Zeit seines Gerichts ist<br />

gekommen“ wiesen auf <strong>de</strong>n Dienst Christ im Allerheiligsten, auf das Untersuchungsgericht<br />

hin, nicht aber auf das Kommen Christi zur Erlösung seines Volkes und zur Vernichtung <strong>de</strong>r<br />

Gottlosen. Der Fehler lag nicht in <strong>de</strong>r Berechnung <strong>de</strong>r prophetischen Zeitangaben, son<strong>de</strong>rn<br />

in <strong>de</strong>m Ereignis, das am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt Tage stattfin<strong>de</strong>n sollte. Durch<br />

diesen Irrtum waren die Gläubigen enttäuscht wor<strong>de</strong>n, obwohl sich alles, was durch die<br />

Weissagung vorhergesagt war und was sie nach <strong>de</strong>r Schrift erwarten konnten, erfüllt hatte.<br />

Zur selben Zeit, als sie <strong>de</strong>n Fehlschlag ihrer Hoffnungen beklagten, hatte das vorhergesagte<br />

Ereignis stattgefun<strong>de</strong>n, das sich erfüllen mußte, ehe <strong>de</strong>r Herr erscheinen konnte, um seine<br />

Diener zu belohnen. Christus war gekommen, nicht auf die Er<strong>de</strong>, wie sie erwartet hatten,<br />

son<strong>de</strong>rn, wie im Schatten ange<strong>de</strong>utet ist, in das Allerheiligste <strong>de</strong>s Tempels Gottes im<br />

Himmel. Von <strong>de</strong>m Propheten Daniel wird dargestellt, wie er zu dieser Zeit vor <strong>de</strong>n Alten<br />

<strong>de</strong>r Tage kommt: „Ich sah in diesem Gesichte <strong>de</strong>s Nachts, und siehe, es kam einer in <strong>de</strong>s<br />

Himmels Wolken wie eines Menschen Sohn (nicht zur Er<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn) bis zu <strong>de</strong>m Alten und<br />

ward vor ihn gebracht.“ Daniel 7,13.<br />

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<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Dieses Kommen wird uns auch von <strong>de</strong>m Propheten Maleachi vor Augen geführt: „Bald<br />

wird kommen zu seinem Tempel <strong>de</strong>r Herr, <strong>de</strong>n ihr suchet; und <strong>de</strong>r Engel <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>s, <strong>de</strong>s ihr<br />

begehret, siehe, er kommt! spricht <strong>de</strong>r Herr Zebaoth.“ Maleachi 3,1. Das Kommen <strong>de</strong>s<br />

Herrn zu seinem Tempel geschah für seine Kin<strong>de</strong>r plötzlich, unerwartet. Dort suchten sie<br />

ihn nicht, son<strong>de</strong>rn sie erwarteten, daß er auf die Er<strong>de</strong> käme „mit Feuerflammen, Rache zu<br />

geben über die, so Gott nicht erkennen, und über die, so nicht gehorsam sind <strong>de</strong>m<br />

Evangelium“. 2.Thessalonicher 1,8. Aber auch sie waren noch nicht bereit, ihrem Herrn zu<br />

begegnen. Sie mußten noch darauf vorbereitet wer<strong>de</strong>n. Ein Licht mußte ihnen leuchten, das<br />

ihre Gedanken auf <strong>de</strong>n Tempel Gottes im Himmel richtete, und falls sie im Glauben ihrem<br />

Hohenpriester in seinem Dienst dorthin folgten, sollten ihnen neue Pflichten gezeigt wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Gemein<strong>de</strong> mußte noch belehrt wer<strong>de</strong>n und eine Warnungsbotschaft empfangen. Der<br />

Prophet sagt: „Wer wird aber <strong>de</strong>n Tag seiner Zukunft erlei<strong>de</strong>n können, und wer wird<br />

bestehen, wenn er wird erscheinen? Denn er ist wie das Feuer eines Goldschmieds und wie<br />

die Seife <strong>de</strong>r Wäscher. Er wird sitzen und schmelzen und das Silber reinigen; er wird die<br />

Kin<strong>de</strong>r Levi reinigen und läutern wie Gold und Silber. Dann wer<strong>de</strong>n sie <strong>de</strong>m Herrn<br />

Speisopfer bringen in Gerechtigkeit.“ Maleachi 3,2.3.<br />

Die auf Er<strong>de</strong>n leben, wenn die Fürbitte Christi im Heiligtum droben aufhören wird,<br />

wer<strong>de</strong>n vor <strong>de</strong>n Augen eines heiligen Gottes ohne einen Vermittler bestehen müssen. Ihre<br />

Klei<strong>de</strong>r müssen fleckenlos, ihre Charaktere durch das Blut <strong>de</strong>r Besprengung von Sün<strong>de</strong><br />

gereinigt sein. Durch Gottes Gna<strong>de</strong> und durch ihre eigenen fleißigen Anstrengungen müssen<br />

sie im Kampf mit <strong>de</strong>m Bösen siegreich bleiben. Während das Untersuchungsgericht im<br />

Himmel vor sich geht, während die Sün<strong>de</strong>n reumütiger Gläubiger aus <strong>de</strong>m Heiligtum<br />

entfernt wer<strong>de</strong>n, muß sich das Volk Gottes auf Er<strong>de</strong>n in beson<strong>de</strong>rer Weise läutern, d.h. seine<br />

Sün<strong>de</strong>n ablegen. Das wird in <strong>de</strong>n Botschaften von Offenbarung 14 <strong>de</strong>utlich ausgesagt.<br />

Nach<strong>de</strong>m das geschehen ist, wer<strong>de</strong>n die Nachfolger Christi für sein Erscheinen bereit<br />

sein. Dann „wird <strong>de</strong>m Herrn wohl gefallen das Speisopfer Juda‘s und Jerusalems wie<br />

vormals und vor langen Jahren“. Maleachi 3,4. Dann wird die Gemein<strong>de</strong>, die <strong>de</strong>r Herr bei<br />

seinem Kommen zu sich nehmen wird, herrlich sein, eine Gemein<strong>de</strong>, „die nicht habe einen<br />

Flecken o<strong>de</strong>r Runzel o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s etwas“. Epheser 5,27. Dann wird sie hervorbrechen „wie die<br />

Morgenröte, schön wie <strong>de</strong>r Mond, auserwählt wie die Sonne, schrecklich wie die<br />

Heerscharen“. Hohelied 6,10. Außer <strong>de</strong>m Eingang <strong>de</strong>s Herrn in seinen Tempel sagt<br />

Maleachi auch seine Wie<strong>de</strong>rkunft zur Ausführung <strong>de</strong>s Gerichtes mit folgen<strong>de</strong>n Worten<br />

voraus: „Und ich will zu euch kommen und euch strafen und will ein schneller Zeuge sein<br />

wi<strong>de</strong>r die Zauberer, Ehebrecher und Meineidigen und wi<strong>de</strong>r die, so Gewalt und Unrecht tun<br />

<strong>de</strong>n Tagelöhnern, Witwen und Waisen und <strong>de</strong>n Fremdling drücken und mich nicht fürchten,<br />

spricht <strong>de</strong>r Herr Zebaoth.“ Maleachi 3,5. Judas verweist auf dasselbe Ereignis, wenn er sagt:<br />

„Siehe, <strong>de</strong>r Herr kommt mit vielen tausend Heiligen, Gericht zu halten über alle und zu<br />

strafen alle Gottlosen um alle Werke ihres gottlosen Wan<strong>de</strong>ls, womit sie gottlos gewesen<br />

sind, und um all das Harte, das die gottlosen Sün<strong>de</strong>r wi<strong>de</strong>r ihn gere<strong>de</strong>t haben.“ Judas 14-15.<br />

297


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Dieses Kommen (Wie<strong>de</strong>rkunft) und <strong>de</strong>r Eingang <strong>de</strong>s Herrn in seinen Tempel sind zwei<br />

bestimmte und voneinan<strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>ne Ereignisse.<br />

Der Eingang als unser Hoherpriester in das Allerheiligste, um das Heiligtum zu reinigen,<br />

wie es in Daniel 8,14 dargelegt ist, das Kommen <strong>de</strong>s Menschensohns zu <strong>de</strong>m Hochbetagten,<br />

das in Daniel 7,13 vor Augen geführt wird, und das Kommen <strong>de</strong>s Herrn zu seinem Tempel,<br />

wie es von Maleachi vorausgesagt wird, sind Beschreibungen ein und <strong>de</strong>sselben Ereignisses,<br />

das auch durch das Erscheinen <strong>de</strong>s Bräutigams zur Hochzeit dargestellt wird, wie es von<br />

Christus in <strong>de</strong>m Gleichnis von <strong>de</strong>n zehn Jungfrauen in Matthäus 25 beschrieben ist.<br />

Im Sommer und Herbst <strong>de</strong>s Jahres 1844 erging <strong>de</strong>r Ruf: „Siehe, <strong>de</strong>r Bräutigam<br />

kommt!“ Es hatten sich damals die bei<strong>de</strong>n Gruppen <strong>de</strong>r klugen und <strong>de</strong>r törichten Jungfrauen<br />

gebil<strong>de</strong>t; eine Gruppe, die mit Freu<strong>de</strong>n auf das Erscheinen <strong>de</strong>s Herrn wartete und sich<br />

ernstlich vorbereitet hatte, ihm zu begegnen; eine an<strong>de</strong>re Gruppe, die furchterfüllt und nur<br />

aus Gefühlsantrieben han<strong>de</strong>lnd, sich mit <strong>de</strong>r Wahrheit als <strong>Theorie</strong> zufrie<strong>de</strong>ngegeben hatte,<br />

aber <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong> Gottes ermangelte. Im Gleichnis gingen die mit <strong>de</strong>m Bräutigam zur<br />

Hochzeit hinein, welche bereit waren, als er kam. Das hier erwähnte Kommen <strong>de</strong>s<br />

Bräutigams fin<strong>de</strong>t vor <strong>de</strong>r Hochzeit statt. Die Hochzeit stellt Christi Übernahme seines<br />

Reiches dar. Die heilige Stadt, das neue Jerusalem, das die Hauptstadt und Vertreterin <strong>de</strong>s<br />

Reiches ist, wird das Weib, die „Braut <strong>de</strong>s Lammes“ genannt. So sagte <strong>de</strong>r Engel zu<br />

Johannes: „Komm, ich will dir das Weib zeigen, die Braut <strong>de</strong>s Lammes.“ „Und führte mich<br />

hin im Geist ...“, erzählt dieser, „und zeigte mir die große Stadt, das heilige Jerusalem,<br />

hernie<strong>de</strong>rfahren aus <strong>de</strong>m Himmel von Gott.“ Offenbarung 21,9.10.<br />

Demnach stellt offenbar die Braut die heilige Stadt dar, und die Jungfrauen, die <strong>de</strong>m<br />

Bräutigam entgegengehen, sind ein Sinnbild <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong>. Nach <strong>de</strong>r Offenbarung sollen<br />

die Kin<strong>de</strong>r Gottes die Gäste beim Hochzeitsmahl sein. Offenbarung 19,9. Sind sie die Gäste,<br />

so können sie nicht zu gleicher Zeit als Braut dargestellt wer<strong>de</strong>n. Christus wird, wie uns <strong>de</strong>r<br />

Prophet Daniel dies schil<strong>de</strong>rt, von <strong>de</strong>m Alten „Gewalt, Ehre und Reich“ entgegennehmen.<br />

Er wird das neue Jerusalem, die Stadt seines Reiches, empfangen, „bereitet als eine<br />

geschmückte Braut ihrem Mann“. Daniel 7,14; Offenbarung 21,2. Nach<strong>de</strong>m er das Reich<br />

empfangen hat, wird er in seiner Herrlichkeit als König <strong>de</strong>r Könige und Herr <strong>de</strong>r Herren<br />

kommen, um sein Volk zu erlösen, das „mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich<br />

sitzen“ (Matthäus 8,11; Lukas 22,30) wird an seinem Tisch in seinem Reich, um an <strong>de</strong>m<br />

Hochzeitsmahl <strong>de</strong>s Lammes teilzunehmen.<br />

Die Verkündigung: „Siehe, <strong>de</strong>r Bräutigam kommt!“, wie sie im Sommer <strong>de</strong>s Jahres<br />

1844 erging, veranlaßte Tausen<strong>de</strong>, die unmittelbare Ankunft <strong>de</strong>s Herrn zu erwarten. Zur<br />

vermuteten Zeit kam <strong>de</strong>r Bräutigam, aber nicht, wie sein Volk erwartete, auf die Er<strong>de</strong>,<br />

son<strong>de</strong>rn zum Alten im Himmel, zur Hochzeit, zur Übernahme seines Reiches. „Die bereit<br />

waren, gingen mit ihm hinein zur Hochzeit, und die Tür ward verschlossen.“ Sie waren bei<br />

<strong>de</strong>r Hochzeit nicht anwesend, <strong>de</strong>nn diese fand im Himmel statt, während sie noch auf Er<strong>de</strong>n<br />

lebten. Die Nachfolger Christi sollen „auf ihren Herrn warten, wann er aufbrechen wird von<br />

298


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

<strong>de</strong>r Hochzeit“. Lukas 12,36. Aber sie müssen sein Werk verstehen und ihm im Glauben<br />

folgen, wenn er hineingeht vor <strong>de</strong>n Thron Gottes. In diesem Sinne kann von ihnen gesagt<br />

wer<strong>de</strong>n, daß sie hineingehen zur Hochzeit. Im Gleichnis nahmen die, welche Öl in ihren<br />

Gefäßen und ihren Lampen hatten, an <strong>de</strong>r Hochzeit teil. Alle, die mit <strong>de</strong>r Erkenntnis <strong>de</strong>r<br />

Wahrheit aus <strong>de</strong>r Heiligen Schrift auch <strong>de</strong>n Geist und die Gna<strong>de</strong> Gottes besaßen, die in <strong>de</strong>r<br />

Nacht ihrer bitteren Prüfung geduldig gewartet und in <strong>de</strong>r Bibel nach hellerem Licht<br />

geforscht hatten, erkannten die Wahrheit bezüglich <strong>de</strong>s Heiligtums im Himmel und <strong>de</strong>s<br />

verän<strong>de</strong>rten Dienstes <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s und folgten ihm im Glauben in seinem Dienst im<br />

himmlischen Heiligtum. Und alle, die durch das Zeugnis <strong>de</strong>r Heiligen Schrift dieselben<br />

Wahrheiten annehmen und Christus im Glauben folgen, wenn er vor Gott tritt, das letzte<br />

Werk <strong>de</strong>r Fürsprache zu vollziehen, um bei <strong>de</strong>ssen Abschluß sein Reich zu empfangen,<br />

wer<strong>de</strong>n als solche dargestellt, die zur Hochzeit hineingehen.<br />

In <strong>de</strong>m Gleichnis in Matthäus 22 wird das gleiche Bild von <strong>de</strong>r Hochzeit angewandt,<br />

und es wird <strong>de</strong>utlich gezeigt, daß das Untersuchungsgericht vor <strong>de</strong>r Hochzeit stattfin<strong>de</strong>t. Vor<br />

<strong>de</strong>r Hochzeit ging <strong>de</strong>r König hinein, um zu sehen (Matthäus 22,11), ob alle Gäste mit <strong>de</strong>m<br />

hochzeitlichen Kleid, <strong>de</strong>m fleckenlosen Gewand, <strong>de</strong>m Charakter, <strong>de</strong>r gewaschen und hell<br />

gemacht ist „im Blut <strong>de</strong>s Lammes“ (Offenbarung 7,14), angetan waren. Wer nicht mit einem<br />

solchen Gewand beklei<strong>de</strong>t ist, wird hinausgeworfen wer<strong>de</strong>n, aber alle, die bei <strong>de</strong>r Prüfung in<br />

einem hochzeitlichen Kleid angetroffen wer<strong>de</strong>n, wird Gott annehmen und für würdig<br />

erachten, einen Anteil an seinem Reich und einen Sitz auf seinem Thron zu haben. Diese<br />

Charakterprüfung, die Entscheidung, wer für das Reich Gottes bereit ist, be<strong>de</strong>utet das<br />

Untersuchungsgericht, das Schlußwerk im himmlischen Heiligtum.<br />

Wenn diese Untersuchung been<strong>de</strong>t ist, wenn die Fälle <strong>de</strong>rer, die sich von jeher als<br />

Nachfolger Christi bekannt haben, geprüft und entschie<strong>de</strong>n wor<strong>de</strong>n sind, dann und nicht<br />

eher wird die Prüfungszeit zu En<strong>de</strong> gehen und die Gna<strong>de</strong>ntür geschlossen wer<strong>de</strong>n. Somit<br />

führt uns <strong>de</strong>r kurze Satz: „Die bereit waren, gingen mit ihm hinein zur Hochzeit, und die Tür<br />

ward verschlossen“ durch <strong>de</strong>n letzten Dienst Christi bis zur Vollendung <strong>de</strong>s großen<br />

Erlösungswerkes. Im Dienst <strong>de</strong>s irdischen Heiligtums, <strong>de</strong>r, wie wir gesehen haben, ein<br />

Abbild <strong>de</strong>s Dienstes im himmlischen war, ging <strong>de</strong>r Dienst in <strong>de</strong>r ersten Abteilung zu En<strong>de</strong>,<br />

wenn <strong>de</strong>r Hohepriester am Versöhnungstag das Allerheiligste betrat. Gott befahl: „Kein<br />

Mensch soll in <strong>de</strong>r Hütte <strong>de</strong>s Stifts sein, wenn er hineingeht, zu versöhnen im Heiligtum, bis<br />

er herausgehe.“ 3.Mose 16,17. So beschloß Christus, als er das Allerheiligste betrat, um die<br />

letzte Aufgabe <strong>de</strong>r Versöhnung zu vollziehen, seinen Dienst in <strong>de</strong>r ersten Abteilung. Doch<br />

als dieser en<strong>de</strong>te, begann <strong>de</strong>r Dienst in <strong>de</strong>r zweiten Abteilung. Wenn <strong>de</strong>r Hohepriester im<br />

Schattendienst am Versöhnungstag das Heilige verließ, betrat er <strong>de</strong>n Ort <strong>de</strong>r Gegenwart<br />

Gottes, um für alle Israeliten, die ihre Sün<strong>de</strong>n wahrhaft bereuten, das Blut <strong>de</strong>s Sündopfers<br />

darzubringen. So hatte Christus nur einen Teil seines Werkes als unser Vermittler vollen<strong>de</strong>t,<br />

um einen an<strong>de</strong>rn Teil <strong>de</strong>sselben Werkes zu beginnen, wobei er noch immer kraft seines<br />

Blutes für die Sün<strong>de</strong>r beim Vater Fürbitte einlegte.<br />

299


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Dies verstan<strong>de</strong>n die Adventisten im Jahre 1844 nicht. Nach<strong>de</strong>m die Zeit, da <strong>de</strong>r Heiland<br />

erwartet wur<strong>de</strong>, verstrichen war, glaubten sie noch immer, daß sein Kommen nahe sei, daß<br />

sie einen entschei <strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Augenblick erreicht hätten und daß das Werk Christi als Mittler<br />

<strong>de</strong>s Menschen vor Gott zu En<strong>de</strong> sei. Es schien ihnen, die Bibel lehre, daß die Prüfungszeit<br />

<strong>de</strong>s Menschen kurz vor <strong>de</strong>r wirklichen Ankunft <strong>de</strong>s Herrn in <strong>de</strong>n Wolken <strong>de</strong>s Himmels zu<br />

En<strong>de</strong> ginge. Dies glaubten sie aus jenen Schriftstellen herauszulesen, die auf eine Zeit<br />

hinweisen, in <strong>de</strong>r die Menschen die Tür <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong> suchen, anklopfen und rufen, ihnen aber<br />

nicht geöffnet wird. Sie fragten sich nun, ob die Zeit, zu <strong>de</strong>r sie die Wie<strong>de</strong>rkunft Christi<br />

erwartet hatten, nicht vielmehr <strong>de</strong>n Anfang dieses Zeitabschnittes bezeichnete, <strong>de</strong>r seinem<br />

Kommen unmittelbar vorausgehen sollte. Da sie die Warnungsbotschaft von <strong>de</strong>m nahen<strong>de</strong>n<br />

Gericht verkündigt hatten, meinten sie, daß ihre Arbeit für die Welt getan sei. Sie verloren<br />

ihre Verantwortung für die Errettung von Sün<strong>de</strong>rn aus <strong>de</strong>n Augen, und <strong>de</strong>r kühne und<br />

gotteslästerliche Spott <strong>de</strong>r Gottlosen schien ihnen ein weiterer Beweis dafür zu sein, daß<br />

sich <strong>de</strong>r Geist Gottes von <strong>de</strong>n Verwerfern seiner Gna<strong>de</strong> zurückgezogen hatte. All dies<br />

bestärkte sie in <strong>de</strong>r Überzeugung, daß die Gna<strong>de</strong>nzeit been<strong>de</strong>t o<strong>de</strong>r, wie sie sich damals<br />

ausdrückten, daß „die Tür <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong> verschlossen“ sei.<br />

Aber mit <strong>de</strong>r Untersuchung <strong>de</strong>r Heiligtumsfrage kam helleres Licht. Sie sahen jetzt, daß<br />

sie recht hatten zu glauben, das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt Jahre im Jahre 1844<br />

bezeichne einen entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Zeitpunkt. Wenn es auch wahr ist, daß die Tür <strong>de</strong>r<br />

Hoffnung und Gna<strong>de</strong>, durch welche die Menschen achtzehnhun<strong>de</strong>rt Jahre lang Zugang zu<br />

Gott gefun<strong>de</strong>n hatten, geschlossen war, so wur<strong>de</strong> doch eine an<strong>de</strong>re Tür geöffnet und <strong>de</strong>n<br />

Menschen durch die Vermittlung Christi im Allerheiligsten, das im Himmel ist, die<br />

Vergebung <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>n angeboten. Ein Teil seines Dienstes war been<strong>de</strong>t, um einem an<strong>de</strong>rn<br />

Platz zu machen. Noch immer stand eine Tür zum himmlischen Heiligtum offen, wo<br />

Christus um <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>r willen diente. Nun wußte man jene Worte Christi in <strong>de</strong>r<br />

Offenbarung anzuwen<strong>de</strong>n, die gera<strong>de</strong> an die Gemein<strong>de</strong> zu dieser Zeit gerichtet sind: „Das<br />

sagt <strong>de</strong>r Heilige, <strong>de</strong>r Wahrhaftige, <strong>de</strong>r da hat <strong>de</strong>n Schlüssel Davids, <strong>de</strong>r auftut, und niemand<br />

schließt zu, <strong>de</strong>r zuschließt, und niemand tut auf: Ich weiß <strong>de</strong>ine Werke. Siehe, ich habe vor<br />

dir gegeben eine offene Tür, und niemand kann sie zuschließen.“ Offenbarung 3,7.8.<br />

Alle, die Christus durch <strong>de</strong>n Glauben in <strong>de</strong>m großen Erlösungswerk folgen, empfangen<br />

die Segnungen seiner Vermittlung, während jene, die das Licht über seinen Dienst<br />

verwerfen, keinen Nutzen davon haben. Die Ju<strong>de</strong>n, die das bei <strong>de</strong>r ersten Ankunft Christi<br />

gegebene Licht verwarfen und sich weigerten, an ihn als <strong>de</strong>n Heiland <strong>de</strong>r Welt zu glauben,<br />

konnten durch ihn keine Vergebung erlangen. Als Jesus nach seiner Himmelfahrt durch sein<br />

eigenes Blut in das himmlische Heiligtum trat, um seinen Jüngern die Segnungen seiner<br />

Fürbitte ange<strong>de</strong>ihen zu lassen, verblieben die Ju<strong>de</strong>n in vollständiger Finsternis und setzten<br />

ihre nutzlosen Opfer und Gaben fort. Der Dienst <strong>de</strong>r Vorbil<strong>de</strong>r und Schatten war zu En<strong>de</strong><br />

gegangen. Jene Tür, durch welche die Menschen früher Zugang zu Gott gefun<strong>de</strong>n hatten,<br />

stand nicht länger offen. Die Ju<strong>de</strong>n hatten sich geweigert, <strong>de</strong>n Herrn auf <strong>de</strong>m richtigen Weg<br />

zu suchen, auf <strong>de</strong>m er damals zu fin<strong>de</strong>n war: durch <strong>de</strong>n Dienst im himmlischen Heiligtum.<br />

300


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Deshalb fan<strong>de</strong>n sie keine Gemeinschaft mit Gott. Für sie war die Tür verschlossen. Sie<br />

erkannten in Christus nicht das wahre Opfer und <strong>de</strong>n einzigen Mittler vor Gott und konnten<br />

<strong>de</strong>shalb auch nicht <strong>de</strong>n Segen seiner Fürsprache empfangen. Der Zustand <strong>de</strong>r ungläubigen<br />

Ju<strong>de</strong>n veranschaulicht die Verfassung <strong>de</strong>r Sorglosen und Ungläubigen unter <strong>de</strong>n<br />

angeblichen Christen, die absichtlich nichts von <strong>de</strong>m Werk unseres gnädigen Hohenpriesters<br />

wissen wollen. Wenn im sinnbildlichen Dienst <strong>de</strong>r Hohepriester das Allerheiligste betrat,<br />

wur<strong>de</strong>n alle Israeliten aufgefor<strong>de</strong>rt, sich um das Heiligtum zu versammeln und in <strong>de</strong>r<br />

feierlichsten Weise ihre Seelen vor Gott zu <strong>de</strong>mütigen, damit ihnen ihre Sün<strong>de</strong>n vergeben<br />

und sie nicht aus <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> ausgeschlossen wur<strong>de</strong>n. Wieviel wichtiger ist es, daß wir an<br />

diesem gegenbildlichen Versöhnungstag das Werk unseres Hohenpriesters verstehen und<br />

erkennen, welche Pflichten uns obliegen.<br />

Die Menschen können nicht ungestraft die Warnungen verwerfen, die Gott ihnen in<br />

Gna<strong>de</strong>n sen<strong>de</strong>t. In <strong>de</strong>n Tagen Noahs wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Welt eine Botschaft vom Himmel gesandt,<br />

und ihre Rettung hing davon ab, wie sie diese Warnungsbotschaft aufnehmen wür<strong>de</strong>. Weil<br />

man sie verwarf, zog sich <strong>de</strong>r Geist Gottes von jenem sündigen Geschlecht zurück, das in<br />

<strong>de</strong>n Wassern <strong>de</strong>r Sintflut ums Leben kam. Zur Zeit Abrahams hörte die Gna<strong>de</strong> auf, mit <strong>de</strong>n<br />

schuldbela<strong>de</strong>nen Einwohnern Sodoms zu rechten, und alle außer Lot mit seinem Weibe und<br />

seinen bei<strong>de</strong>n Töchtern wur<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>m Feuer verzehrt, das vom Himmel herabfiel. So war<br />

es auch in <strong>de</strong>n Tagen Christi. Der Sohn Gottes sagte <strong>de</strong>n ungläubigen Ju<strong>de</strong>n jenes<br />

Geschlechts: „Euer Haus soll euch wüst gelassen wer<strong>de</strong>n.“ Matthäus 23,38. Die letzten Tage<br />

ins Auge fassend, erklärte dieselbe unendliche Macht hinsichtlich <strong>de</strong>rer, welche „die Liebe<br />

zur Wahrheit nicht haben angenommen, auf daß sie selig wür<strong>de</strong>n“. „Darum wird ihnen Gott<br />

kräftige Irrtümer sen<strong>de</strong>n, daß sie glauben <strong>de</strong>r Lüge, auf daß gerichtet wer<strong>de</strong>n alle, die <strong>de</strong>r<br />

Wahrheit nicht glauben, son<strong>de</strong>rn haben Lust an <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit.“ 2.Thessalonicher<br />

2,10-12. Wenn sie die Lehren seines Wortes verwerfen, entzieht Gott ihnen seinen Geist und<br />

überläßt sie <strong>de</strong>n Irrtümern, die sie lieben.<br />

Aber Christus tritt <strong>de</strong>nnoch für die Menschen ein, und Licht wird <strong>de</strong>nen gegeben, die danach<br />

suchen. Obwohl die Adventisten dies zuerst nicht verstan<strong>de</strong>n, wur<strong>de</strong> es ihnen später klar, als<br />

sich ihnen die Schriftstellen erschlossen, die ihre wahre Stellung kennzeichneten. Nach<br />

Ablauf <strong>de</strong>s Jahres 1844 folgte ein Abschnitt großer Prüfung für alle, die <strong>de</strong>n Adventglauben<br />

noch immer bewahrten. Ihre einzige Hilfe, soweit dies die Vergewisserung ihrer wahren<br />

Stellung anbetraf, war das Licht, das ihre Aufmerksamkeit auf das Heiligtum droben richtete.<br />

Manche sagten sich von ihrem Glauben an die frühere Berechnung <strong>de</strong>r prophetischen Ketten<br />

los und schrieben <strong>de</strong>n gewaltigen Einfluß <strong>de</strong>s Heiligen Geistes, <strong>de</strong>r die Adventbewegung<br />

begleitet hatte, menschlichen o<strong>de</strong>r satanischen Kräften zu. An<strong>de</strong>re hielten daran fest, daß <strong>de</strong>r<br />

Herr sie in ihrer vergangenen Erfahrung geführt habe; und da sie warteten, wachten und<br />

beteten, um <strong>de</strong>n Willen <strong>de</strong>s Herrn zu erfahren, sahen sie, daß ihr großer Hoherpriester einen<br />

an<strong>de</strong>rn Dienst angetreten hatte. Ihm gläubig folgend, verstan<strong>de</strong>n sie auch das abschließen<strong>de</strong><br />

Werk <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong>. Die erste und zweite Engelsbotschaft wur<strong>de</strong> ihnen klarer, und sie<br />

301


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

waren vorbereitet, die feierliche Warnung <strong>de</strong>s dritten Engels aus Offenbarung 14 zu<br />

empfangen und <strong>de</strong>r Welt zu verkün<strong>de</strong>n.<br />

302


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 25- Gottes Gesetz ist unverän<strong>de</strong>rlich<br />

„Der Tempel Gottes ward aufgetan im Himmel, und die La<strong>de</strong> seines Bun<strong>de</strong>s ward in<br />

seinem Tempel gesehen.“ Offenbarung 11,19. Die La<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>s Gottes steht im<br />

Allerheiligsten, <strong>de</strong>r zweiten Abteilung <strong>de</strong>s Heiligtums. Im Dienst <strong>de</strong>r irdischen Hütte, <strong>de</strong>r<br />

„<strong>de</strong>m Vorbild und <strong>de</strong>m Schatten <strong>de</strong>s Himmlischen“ diente, wur<strong>de</strong> diese Abteilung nur am<br />

großen Versöhnungstag zur Reinigung <strong>de</strong>s Heiligtums geöffnet. Darum verweist die<br />

Ankündigung, daß <strong>de</strong>r Tempel Gottes im Himmel geöffnet und die La<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>s darin<br />

gesehen wur<strong>de</strong>, auf das Auftun <strong>de</strong>s Allerheiligsten im himmlischen Heiligtum, auf das Jahr<br />

1844, als Christus dort eintrat, um das Schlußwerk <strong>de</strong>r Versöhnung zu vollziehen. Alle, die<br />

ihrem großen Hohenpriester im Glauben folgten, als er seinen Dienst im Allerheiligsten<br />

antrat, sahen die Bun<strong>de</strong>sla<strong>de</strong>. Weil sie das Heiligtum erforscht hatten, verstan<strong>de</strong>n sie <strong>de</strong>n<br />

Wechsel im Dienst <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s und erkannten, daß er jetzt vor <strong>de</strong>r La<strong>de</strong> Gottes diente und<br />

dort sein Blut für die Sün<strong>de</strong>r geltend machte.<br />

Die La<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Hütte auf Er<strong>de</strong>n enthielt die zwei steinernen Tafeln, auf <strong>de</strong>nen die<br />

Gebote <strong>de</strong>s Gesetzes Gottes eingegraben waren. Die La<strong>de</strong> war ein Behälter für die<br />

Gesetzestafeln; das Vorhan<strong>de</strong>nsein <strong>de</strong>r göttlichen Gebote verlieh ihr Wert und Heiligkeit.<br />

Als <strong>de</strong>r Tempel Gottes im Himmel aufgetan wur<strong>de</strong>, war die La<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>s zu sehen. Im<br />

Allerheiligsten <strong>de</strong>s himmlischen Heiligtums wird das göttliche Gesetz unverletzlich<br />

aufbewahrt, das Gesetz, das unter <strong>de</strong>m Donner am Sinai von Gott selbst gesprochen und von<br />

ihm selbst auf steinerne Tafeln geschrieben wor<strong>de</strong>n war.<br />

Das Gesetz Gottes im himmlischen Heiligtum ist die große Urschrift, wovon die auf<br />

steinerne Tafeln geschriebenen, in <strong>de</strong>n Bü chern Mose verzeichneten Gebote eine<br />

untrügliche Abschrift waren. Alle, die diese wichtige Wahrheit verstehen lernten, kamen auf<br />

diese Weise dahin, die Heiligkeit und Unverän<strong>de</strong>rlichkeit <strong>de</strong>s göttlichen Gesetzes zu<br />

erkennen. Wie nie zuvor wur<strong>de</strong> ihnen die Kraft <strong>de</strong>r Worte <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s verständlich. „Bis<br />

daß Himmel und Er<strong>de</strong> zergehe, wird nicht zergehen <strong>de</strong>r kleinste Buchstabe noch ein Tüttel<br />

vom Gesetz, bis daß es alles geschehe.“ Matthäus 5,18. Das Gesetz Gottes, eine<br />

Offenbarung seines Willens, ein Abbild seines Wesens, muß als ein treuer Zeuge ewig<br />

bestehen. Auch nicht ein Gebot ist aufgehoben; nicht <strong>de</strong>r kleinste Buchstabe o<strong>de</strong>r Tüttel ist<br />

verän<strong>de</strong>rt wor<strong>de</strong>n. Der Psalmist sagt: „Herr, <strong>de</strong>in Wort bleibt ewiglich, soweit <strong>de</strong>r Himmel<br />

ist.“ „Alle seine Gebote sind rechtschaffen. Sie wer<strong>de</strong>n erhalten immer und<br />

ewiglich.“ Psalm 119,89; Psalm 111,7.8.<br />

Gera<strong>de</strong> im Herzen <strong>de</strong>r Zehn Gebote steht das vierte Gebot, wie es zuerst verkündigt<br />

wur<strong>de</strong>: „Ge<strong>de</strong>nke <strong>de</strong>s Sabbattags, daß du ihn heiligest. Sechs Tage sollst du arbeiten und<br />

alle <strong>de</strong>ine Dinge beschicken; aber am siebenten Tage ist <strong>de</strong>r Sabbat <strong>de</strong>s Herrn ...; da sollst<br />

du kein Werk tun noch <strong>de</strong>in Sohn noch <strong>de</strong>ine Tochter noch <strong>de</strong>in Knecht noch <strong>de</strong>ine Magd<br />

noch <strong>de</strong>in Vieh noch <strong>de</strong>in Fremdling, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>inen Toren ist. Denn in sechs Tagen hat <strong>de</strong>r<br />

303


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Herr Himmel und Er<strong>de</strong> gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhete am<br />

siebenten Tage. Darum segnete <strong>de</strong>r Herr <strong>de</strong>n Sabbattag und heiligte ihn.“ 2.Mose 20,8-11.<br />

Der Geist Gottes beeinflußte die Herzen <strong>de</strong>rer, die sein Wort erforschten. Ihnen drängte<br />

sich die Überzeugung auf, daß sie dieses Gebot unwissentlich übertreten und <strong>de</strong>n Ruhetag<br />

<strong>de</strong>s Schöpfers mißachtet hatten. Sie begannen, die Grün<strong>de</strong> für die Feier <strong>de</strong>s ersten<br />

Wochentages statt <strong>de</strong>s von Gott geheiligten Tages zu prüfen. Sie konnten in <strong>de</strong>r Heiligen<br />

Schrift keinen Beweis für die Aufhebung o<strong>de</strong>r Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s vierten Gebots fin<strong>de</strong>n; <strong>de</strong>r<br />

Segen, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n siebenten Tag heiligte, war ihm nie entzogen wor<strong>de</strong>n. Aufrichtig hatten sie<br />

danach gesucht, Gottes Willen zu erfahren und nach ihm zu han<strong>de</strong>ln; jetzt erkannten sie sich<br />

als Übertreter seines Gesetzes. Tiefer Schmerz erfüllte ihre Herzen, und sie bewiesen ihre<br />

Treue gegen Gott dadurch, daß sie <strong>de</strong>n Sabbat heiligten.<br />

Viele ernste Anstrengungen wur<strong>de</strong>n unternommen, um ihren Glauben umzustoßen. Es<br />

war <strong>de</strong>utlich, daß, wenn das irdische Heiligtum ein Abbild <strong>de</strong>s himmlischen war, auch das<br />

in <strong>de</strong>r irdischen Bun<strong>de</strong>sla<strong>de</strong> aufbewahrte Gesetz eine genaue Abschrift <strong>de</strong>s Gesetzes in <strong>de</strong>r<br />

himmlischen Bun<strong>de</strong>sla<strong>de</strong> darstellte, und daß die Annahme <strong>de</strong>r Wahrheit von <strong>de</strong>m<br />

himmlischen Heiligtum die Anerkennung <strong>de</strong>r Ansprüche <strong>de</strong>s Gesetzes Gottes und somit<br />

auch die Verbindlichkeit gegen <strong>de</strong>n Sabbat <strong>de</strong>s vierten Gebotes einschloß. Hier lag das<br />

Geheimnis <strong>de</strong>s bitteren und entschlossenen Wi<strong>de</strong>rstan<strong>de</strong>s gegen jene übereinstimmen<strong>de</strong><br />

Auslegung <strong>de</strong>r Heiligen Schrift, die <strong>de</strong>n Dienst Christi im himmlischen Heiligtum<br />

offenbarte. Menschen versuchten die Tür zu schließen, die Gott geöffnet hatte, und die Tür<br />

zu öffnen, die er geschlossen hatte. Aber „<strong>de</strong>r auftut, und niemand schließt zu; <strong>de</strong>r<br />

zuschließt, und niemand tut auf“, hatte gesagt: „Siehe, ich habe vor dir gegeben eine offene<br />

Tür, und niemand kann sie zuschließen.“ Offenbarung 3,7.8. Christus hatte die Tür<br />

aufgeschlossen, d.h. <strong>de</strong>n Dienst im Allerheiligsten aufgenommen. Aus jener offenen Tür <strong>de</strong>s<br />

himmlischen Heiligtums strahlte Licht, das uns zeigte, daß das vierte Gebot in das dort<br />

aufbewahrte Gesetz eingeschlossen ist. Was Gott eingesetzt hatte, konnte kein Mensch<br />

aufheben.<br />

Seelen, die das Licht über die Mittlerschaft Christi und die Beständigkeit <strong>de</strong>s Gesetzes<br />

Gottes angenommen hatten, fan<strong>de</strong>n, daß dies die in Offenbarung 14 offenbarten Wahrheiten<br />

waren. Die Botschaften dieses Kapitels enthalten eine dreifache Warnung, die die Bewohner<br />

<strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> auf die Wie<strong>de</strong>rkunft <strong>de</strong>s Herrn vorbereiten soll. Die Ankündigung: „Die Zeit seines<br />

Gerichts ist gekommen“ weist auf das Schlußwerk <strong>de</strong>s Dienstes Christi für die Erlösung <strong>de</strong>r<br />

Menschen hin. Sie erklärt eine Wahrheit, die verkündigt wer<strong>de</strong>n muß, ehe die Fürbitte <strong>de</strong>s<br />

Heilan<strong>de</strong>s aufhört und er zur Er<strong>de</strong> zurückkehrt, um sein Volk zu sich zu nehmen. Das<br />

Gericht, das im Jahre 1844 seinen Anfang nahm, muß so lange dauern, bis die Schicksale<br />

aller, <strong>de</strong>r Lebendigen und <strong>de</strong>r Toten, entschie<strong>de</strong>n sind, also bis zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong>nzeit.<br />

Damit die Menschen vorbereitet sein möchten, im Gericht zu bestehen, verlangt die<br />

Botschaft: „Fürchtet Gott und gebet ihm die Ehre“, „und betet an <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r gemacht hat<br />

304


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Himmel und Er<strong>de</strong> und Meer und die Wasserbrunnen“. Das Ergebnis <strong>de</strong>r Annahme dieser<br />

Botschaft zeigen die Worte an:<br />

„Hier sind, die da halten die Gebote Gottes und <strong>de</strong>n Glauben an Jesum.“ Um auf das<br />

Gericht vorbereitet zu sein, ist es nötig, das Gesetz Gottes zu beachten. Nach diesem Gesetz<br />

wird im Gericht <strong>de</strong>r Charakter beurteilt wer<strong>de</strong>n. Der Apostel Paulus erklärt: „Welche unter<br />

<strong>de</strong>m Gesetz gesündigt haben, die wer<strong>de</strong>n durchs Gesetz verurteilt wer<strong>de</strong>n ... auf <strong>de</strong>n Tag, da<br />

Gott das Verborgene <strong>de</strong>r Menschen durch Jesum Christum richten wird.“ Weiter sagt er:<br />

„Die das Gesetz tun, wer<strong>de</strong>n gerecht sein.“ Römer 2,12-16. Der Glaube ist notwendig, um<br />

das göttliche Gesetz halten zu können; <strong>de</strong>nn „ohne Glauben ist‘s unmöglich, Gott zu<br />

gefallen“. „Was aber nicht aus <strong>de</strong>m Glauben geht, das ist Sün<strong>de</strong>.“ Hebräer 11,6; Römer 4,23.<br />

Durch <strong>de</strong>n ersten Engel wer<strong>de</strong>n die Menschen aufgefor<strong>de</strong>rt, Gott zu fürchten, ihm die<br />

Ehre zu geben und ihn als <strong>de</strong>n Schöpfer <strong>de</strong>s Himmels und <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> anzubeten. Um dies tun<br />

zu können, müssen sie seinem Gesetz gehorchen. Salomo sagte: „Fürchte Gott und halte<br />

seine Gebote; <strong>de</strong>nn das gehört allen Menschen zu.“ Prediger 12,13. Ohne Gehorsam gegen<br />

seine Gebote kann kein Gottesdienst <strong>de</strong>m Herrn gefallen. „Das ist die Liebe zu Gott, daß wir<br />

seine Gebote halten.“ „Wer sein Ohr abwen<strong>de</strong>t, das Gesetz zu hören, <strong>de</strong>s Gebet ist ein<br />

Greuel.“ 1.Johannes 5,3; Sprüche 28,9.<br />

Die Verpflichtung, Gott anzubeten, beruht auf <strong>de</strong>r Tatsache, daß er <strong>de</strong>r Schöpfer ist und<br />

daß ihm alle an<strong>de</strong>rn Wesen ihr Dasein verdanken. Wo immer in <strong>de</strong>r Bibel hervorgehoben<br />

wird, daß er ein größeres Anrecht auf Ehrfurcht und Anbetung hat als die Götter <strong>de</strong>r Hei<strong>de</strong>n,<br />

da wer<strong>de</strong>n die Beweise seiner Schöpfermacht angeführt. „Denn alle Götter <strong>de</strong>r Völker sind<br />

Götzen; aber <strong>de</strong>r Herr hat <strong>de</strong>n Himmel gemacht.“ Psalm 96,5. „Wem wollt ihr <strong>de</strong>nn mich<br />

nachbil<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>m ich gleich sei? spricht <strong>de</strong>r Heilige. Hebet eure Augen in die Höhe und sehet!<br />

Wer hat solche Dinge geschaffen? ... So spricht <strong>de</strong>r Herr, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Himmel geschaffen hat,<br />

<strong>de</strong>r Gott, <strong>de</strong>r die Er<strong>de</strong> bereitet hat ... Ich bin <strong>de</strong>r Herr, und ist keiner mehr.“ Jesaja 40,25.26;<br />

Jesaja 45,18. Der Psalmist sagt: „Erkennet, daß <strong>de</strong>r Herr Gott ist! Er hat uns gemacht — und<br />

nicht wir selbst.“ „Kommt, laßt uns anbeten ... und nie<strong>de</strong>rfallen vor <strong>de</strong>m Herrn, <strong>de</strong>r uns<br />

gemacht hat.“ Psalm 100,3; Psalm 95,6. Und die heiligen Wesen, die Gott im Himmel<br />

droben anbeten, erklären als Grund ihrer Huldigung: „Herr, du bist würdig, zu nehmen Preis<br />

und Ehre und Kraft; <strong>de</strong>nn du hast alle Dinge geschaffen.“ Offenbarung 4,11.<br />

In Offenbarung 14 wer<strong>de</strong>n die Menschen aufgefor<strong>de</strong>rt, <strong>de</strong>n Schöpfer anzubeten; und die<br />

Weissagung führt uns Menschen vor Augen, die zufolge <strong>de</strong>r drei Botschaften die Gebote<br />

Gottes halten. Eines dieser Gebote weist unmittelbar auf Gott als <strong>de</strong>n Schöpfer hin. Das<br />

vierte Gebot erklärt: „Am siebenten Tage ist <strong>de</strong>r Sabbat <strong>de</strong>s Herrn, <strong>de</strong>ines Gottes ... Denn in<br />

sechs Tagen hat <strong>de</strong>r Herr Himmel und Er<strong>de</strong> gemacht und das Meer und alles, was darinnen<br />

ist, und ruhete am siebenten Tage. Darum segnete <strong>de</strong>r Herr <strong>de</strong>n Sabbattag und heiligte<br />

ihn.“ 2.Mose 20,10.11. Vom Sabbat sagte <strong>de</strong>r Herr, daß er „ein Zeichen“ sei, „damit ihr<br />

wisset, daß ich, <strong>de</strong>r Herr, euer Gott bin“. Hesekiel 20,20. Und <strong>de</strong>r dafür angegebene Grund<br />

305


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

lautet: „Denn in sechs Tagen machte <strong>de</strong>r Herr Himmel und Er<strong>de</strong>; aber am siebenten Tage<br />

ruhte er und erquickte sich.“ 2.Mose 31,17.<br />

Der Sabbat ist darum als Gedächtnistag <strong>de</strong>r Schöpfung wichtig, weil er immer <strong>de</strong>n<br />

wahren Grund vor Augen führt, warum die Anbetung Gott gebührt: weil Gott <strong>de</strong>r Schöpfer<br />

ist und wir seine Geschöpfe sind. Der Sabbat bil<strong>de</strong>t daher die eigentliche Grundlage aller<br />

Gottesdienste; <strong>de</strong>nn er lehrt diese große Wahrheit in <strong>de</strong>r eindrucksvollsten Weise. Von<br />

keiner an<strong>de</strong>rn Verordnung kann dies gesagt wer<strong>de</strong>n. Der wahre Grund <strong>de</strong>r Gottesanbetung,<br />

nicht nur am siebenten Tage, son<strong>de</strong>rn überhaupt, liegt in <strong>de</strong>m Unterschied zwischen <strong>de</strong>m<br />

Schöpfer und seinen Geschöpfen. Diese großartige Tatsache kann nie veralten und darf nie<br />

vergessen wer<strong>de</strong>n. Um diese Wahrheit <strong>de</strong>n Menschen stets vor Augen zu halten, setzte Gott<br />

in E<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Sabbat ein; und solange <strong>de</strong>r Anspruch fortbesteht, daß wir ihn anbeten sollen,<br />

weil er unser Schöpfer ist, so lange wird auch <strong>de</strong>r Sabbat das Zeichen und Gedächtnis sein.<br />

Hätten alle <strong>de</strong>n Sabbat gehalten, so wären die Gedanken und Neigungen <strong>de</strong>m Schöpfer<br />

voller Ehrfurcht und Anbetung zugewandt wor<strong>de</strong>n, und es wür<strong>de</strong> nie einen Götzendiener,<br />

einen Gottesleugner o<strong>de</strong>r einen Ungläubigen gegeben haben.<br />

Die Beachtung <strong>de</strong>s Sabbats ist ein Zeichen <strong>de</strong>r Treue gegen <strong>de</strong>n wahren Gott, „<strong>de</strong>r<br />

gemacht hat Himmel und Er<strong>de</strong> und Meer und die Wasserbrunnen“. Daraus ergibt sich, daß<br />

die Botschaft, die <strong>de</strong>n Menschen gebietet, Gott anzubeten und seine Gebote zu halten, sie<br />

beson<strong>de</strong>rs auffor<strong>de</strong>rt, das vierte Gebot zu befolgen. Im Gegensatz zu <strong>de</strong>nen, welche die<br />

Gebote Gottes halten und <strong>de</strong>n Glauben Jesu haben, verweist <strong>de</strong>r Engel auf an<strong>de</strong>re, gegen<br />

<strong>de</strong>ren Irrtümer eine feierliche und schreckliche Warnung ausgesprochen wird: „So jemand<br />

das Tier anbetet und sein Bild und nimmt das Malzeichen an seine Stirn o<strong>de</strong>r an seine Hand,<br />

<strong>de</strong>r wird von <strong>de</strong>m Wein <strong>de</strong>s Zorns Gottes trinken.“ Offenbarung 14,9.10. Zum Verständnis<br />

dieser Botschaft ist eine richtige Auslegung <strong>de</strong>r angewandten Sinnbil<strong>de</strong>r erfor<strong>de</strong>rlich. Was<br />

wird durch das Tier, das Bild, das Malzeichen dargestellt?<br />

Die prophetische Kette, in <strong>de</strong>r wir diesen Sinnbil<strong>de</strong>rn begegnen, beginnt in Offenbarung<br />

12 mit <strong>de</strong>m Drachen, <strong>de</strong>r Christus bei seiner Geburt umzubringen versuchte. Der Drache ist<br />

Satan; (Offenbarung 12,9) dieser veranlaßte Hero<strong>de</strong>s, <strong>de</strong>n Heiland zu töten. Sein<br />

hauptsächliches Werkzeug, um in <strong>de</strong>n ersten Jahrhun<strong>de</strong>rten <strong>de</strong>s christlichen Zeitalters<br />

Christus und sein Volk zu bekriegen, war das Römische Reich mit seiner vorwiegend<br />

heidnischen Religion. Während daher <strong>de</strong>r Drache in erster Linie Satan darstellt, so<br />

versinnbil<strong>de</strong>t er an<strong>de</strong>rseits das heidnische Rom.<br />

In Offenbarung 13,1-10 wird ein an<strong>de</strong>res Tier beschrieben, „gleich einem Par<strong>de</strong>r“, <strong>de</strong>m<br />

<strong>de</strong>r Drache „seine Kraft und seinen Stuhl und große Macht“ gab. Dies Sinnbild<br />

veranschaulicht, wie auch die meisten Protestanten geglaubt haben, das Papsttum, das die<br />

Kraft, <strong>de</strong>n Stuhl und die Macht <strong>de</strong>s alten Römischen Reiches einnahm. Offenbarung 13,6.7.<br />

Diese Prophetie, die mit <strong>de</strong>r Beschreibung <strong>de</strong>s kleinen Horns in Daniel 7 fast i<strong>de</strong>ntisch ist,<br />

<strong>de</strong>utet zweifellos auf das Papsttum hin. „Und ward ihm gegeben, daß es mit ihm währte<br />

zweiundvierzig Monate lang.“ Der Prophet sagt ferner: „Ich sah seiner Häupter eines, als<br />

306


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

wäre es tödlich wund“; und weiter berichtet er: „So jemand in das Gefängnis führt, <strong>de</strong>r wird<br />

in das Gefängnis gehen; so jemand mit <strong>de</strong>m Schwert tötet, <strong>de</strong>r muß mit <strong>de</strong>m Schwert getötet<br />

wer<strong>de</strong>n.“ Die zweiundvierzig Monate bezeichnen dasselbe wie die „eine Zeit und zwei<br />

Zeiten und eine halbe Zeit“, die dreieinhalb Jahre o<strong>de</strong>r zwölfhun<strong>de</strong>rtsechzig Tage aus<br />

Daniel 7, nämlich die Zeit, während <strong>de</strong>r die päpstliche Macht das Volk Gottes unterdrücken<br />

sollte. Dieser Zeitabschnitt begann, wie in früheren Kapiteln angegeben ist, imJahre 538 n.<br />

Chr. mit <strong>de</strong>r Oberherrschaft <strong>de</strong>s Papsttums und en<strong>de</strong>te im Jahre 1798. Zu dieser Zeit wur<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Papst von <strong>de</strong>r französischen Armee gefangengenommen; die päpstliche Macht erhielt<br />

eine tödliche Wun<strong>de</strong>, und es erfüllte sich die Weissagung: „So jemand in das Gefängnis<br />

führt, <strong>de</strong>r wird in das Gefängnis gehen.“<br />

Ein neues Sinnbild wird uns vor Augen geführt. Der Prophet sagt: „Ich sah ein an<strong>de</strong>res<br />

Tier aufsteigen aus <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>; das hatte zwei Hörner gleichwie ein Lamm.“ Offenbarung<br />

13,11. Sowohl das Aussehen dieses Tieres als auch die Art und Weise seines<br />

Emporkommens zeigen an, daß die Nation, welche es versinnbil<strong>de</strong>t, sich von <strong>de</strong>n Völkern<br />

unterschei<strong>de</strong>t, die durch die vorhergehen<strong>de</strong>n Sinnbil<strong>de</strong>r dargestellt sind. Die großen<br />

Königreiche, welche die Welt regiert haben, wur<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m Propheten Daniel als Raubtiere<br />

gezeigt, die sich erhoben, als „die vier Win<strong>de</strong> unter <strong>de</strong>m Himmel stürmten wi<strong>de</strong>reinan<strong>de</strong>r<br />

auf <strong>de</strong>m großen Meer“. Daniel 7,2. In Offenbarung 17 erklärte ein Engel, daß die Wasser<br />

„Völker und Scharen und Hei<strong>de</strong>n und Sprachen“ seien. Offenbarung 17,15. Win<strong>de</strong> sind das<br />

Sinnbild <strong>de</strong>s Krieges. Die vier Win<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Himmels, die auf <strong>de</strong>m großen Meer stürmen,<br />

veranschaulichen die schrecklichen Eroberungs- und Umwälzungsvorgänge, wodurch<br />

Königreiche zur Macht gelangten.<br />

Aber das Tier mit <strong>de</strong>n lammähnlichen Hörnern sah <strong>de</strong>r Prophet „aufsteigen aus <strong>de</strong>r<br />

Er<strong>de</strong>“. Statt an<strong>de</strong>re Mächte zu stürzen, um <strong>de</strong>ren Stelle einzunehmen, mußte die so<br />

dargestellte Nation auf bis dahin weitgehend unbewohntem Gebiet auftreten und sich<br />

allmählich und friedlich zur Großmacht entwickeln. Das konnte <strong>de</strong>mnach nicht unter <strong>de</strong>n<br />

zusammengedrängt leben<strong>de</strong>n und miteinan<strong>de</strong>r ringen<strong>de</strong>n Völkern <strong>de</strong>r Alten Welt, jenem<br />

unruhigen Meer <strong>de</strong>r „Völker und Scharen und Hei<strong>de</strong>n und Sprachen“, geschehen; es mußte<br />

auf <strong>de</strong>m westlichen Teil <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> zu suchen sein.<br />

Welches Volk <strong>de</strong>r Neuen Welt begann sich im Jahre 1798 zu Macht und Größe zu<br />

entwickeln und die Aufmerksamkeit <strong>de</strong>r Welt auf sich zu ziehen? Die Anwendung <strong>de</strong>s<br />

Sinnbil<strong>de</strong>s bedarf keiner Erörterung. Nur eine Nation entspricht <strong>de</strong>n Angaben <strong>de</strong>r<br />

Weissagung, die unverkennbar auf die Vereinigten Staaten von Amerika weist. Zu<br />

wie<strong>de</strong>rholten Malen ist <strong>de</strong>r Gedanke, ja manchmal nahezu <strong>de</strong>r genaue Wortlaut <strong>de</strong>s<br />

Propheten unbewußt von Rednern und Geschichtsschreibern angewandt wor<strong>de</strong>n, wenn sie<br />

das Emporkommen und Wachstum dieser Nation beschrieben. Das Tier sah man „aufsteigen<br />

aus <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>“; nach einigen Übersetzungen hat das hier mit „aufsteigen“ wie<strong>de</strong>rgegebene<br />

Wort <strong>de</strong>n Sinn von „aufsprießen o<strong>de</strong>r aufwachsen wie eine Pflanze“.<br />

307


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Wie wir gesehen haben, mußte diese Nation in einem bis dahin unbesie<strong>de</strong>lten Gebiet<br />

aufkommen. Ein hervorragen<strong>de</strong>r Schriftsteller, <strong>de</strong>r die Entstehung <strong>de</strong>r Vereinigten Staaten<br />

schil<strong>de</strong>rt, spricht von „<strong>de</strong>m Geheimnis ihres Emporkommens aus <strong>de</strong>r Leere“ und sagt: „Wie<br />

ein stiller Same wuchsen wir zu einem Reich heran.“ Eine europäische Zeitung sprach im<br />

Jahre 1850 von <strong>de</strong>n Vereinigten Staaten von Amerika als einem wun<strong>de</strong>rbaren Reich, das<br />

„hervorbrach und unter <strong>de</strong>m Schweigen <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> täglich seine Macht und seinen Stolz<br />

vermehrte“. Edward Everett sagte in einer Re<strong>de</strong> über die Pilgerväter dieser Nation: „Sie<br />

sahen sich nach einem zurückgezogenen Ort um, arglos durch seine Verborgenheit und<br />

sicher durch seine Abgelegenheit, wo die kleine Gemein<strong>de</strong> aus Ley<strong>de</strong>n sich <strong>de</strong>r<br />

Gewissensfreiheit erfreuen könnte. Seht die ausge<strong>de</strong>hnten Gebiete, über die sie in friedlicher<br />

Eroberung ... die Fahnen <strong>de</strong>s Kreuzes getragen haben.“<br />

„Und ... hatte zwei Hörner gleichwie ein Lamm.“ Die lammähnlichen Hörner<br />

kennzeichnen Jugend, Unschuld und Mil<strong>de</strong> und stellen treffend <strong>de</strong>n Charakter <strong>de</strong>r<br />

Vereinigten Staaten dar zu <strong>de</strong>r Zeit, die <strong>de</strong>m Propheten als Zeit ihres Aufstiegs gezeigt<br />

wor<strong>de</strong>n war: 1798. Unter <strong>de</strong>n verbannten Christen, die zuerst nach Amerika geflohen waren<br />

und eine Zufluchtsstätte vor <strong>de</strong>r Unterdrückung durch ihren Lan<strong>de</strong>sherrn und die<br />

priesterliche Unduldsamkeit gesucht hatten, waren viele entschlossen, eine Regierung auf<br />

<strong>de</strong>r breiten Grundlage bürgerlicher und religiöser Freiheit zu errichten. Ihre Auffassungen<br />

legten sie in <strong>de</strong>r Unabhängigkeitserklärung nie<strong>de</strong>r, welche die große Wahrheit enthielt, daß<br />

„alle Menschen gleich geboren und mit <strong>de</strong>n unveräußerlichen Rechten <strong>de</strong>s Lebens, <strong>de</strong>r<br />

Freiheit und <strong>de</strong>s Strebens nach Glück begabt seien“. Die Verfassung sicherte <strong>de</strong>m<br />

Volk das Recht <strong>de</strong>r Selbstverwaltung, in<strong>de</strong>m die durch allgemeines Stimmrecht<br />

gewählten Vertreter Gesetze erlassen und durchführen. Glaubensfreiheit wur<strong>de</strong> gewährt und<br />

je<strong>de</strong>m gestattet, Gott nach seinem Gewissen anzubeten. Republikanismus und<br />

Protestantismus wur<strong>de</strong>n die ersten Grundsätze <strong>de</strong>r Nation und sind das Geheimnis ih- rer<br />

Macht und ihres Ge<strong>de</strong>ihens. Die Unterdrückten und in <strong>de</strong>n Staub Getretenen in <strong>de</strong>r ganzen<br />

Christenheit haben sich zu Millionen mit Vorliebe nach diesem Lan<strong>de</strong> gewandt. Die<br />

Vereinigten Staaten haben einen Platz unter <strong>de</strong>n mächtigsten Nationen <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> erlangt.<br />

Aber das Tier mit <strong>de</strong>n Hörnern gleichwie ein Lamm „re<strong>de</strong>te wie ein Drache. Und es übt<br />

alle Macht <strong>de</strong>s ersten Tiers vor ihm; und es macht, daß die Er<strong>de</strong> und die darauf wohnen<br />

anbeten das erste Tier, <strong>de</strong>ssen tödliche Wun<strong>de</strong> heil gewor<strong>de</strong>n war; und tut große Zeichen,<br />

daß es auch macht Feuer vom Himmel fallen vor <strong>de</strong>n Menschen; und verführt, die auf Er<strong>de</strong>n<br />

wohnen, um <strong>de</strong>r Zeichen willen, die ihm gegeben sind zu tun vor <strong>de</strong>m Tier; und sagt <strong>de</strong>nen,<br />

die auf Er<strong>de</strong>n wohnen, daß sie ein Bild machen sollen <strong>de</strong>m Tier, das die Wun<strong>de</strong> vom<br />

Schwert hatte und lebendig gewor<strong>de</strong>n war“. Offenbarung 13,1114.<br />

Die Hörner gleich <strong>de</strong>nen eines Lammes und die Drachenstimme <strong>de</strong>s Sinnbil<strong>de</strong>s weisen<br />

auf einen grellen Wi<strong>de</strong>rspruch zwischen <strong>de</strong>m Bekenntnis und <strong>de</strong>r Handlungsweise <strong>de</strong>r so<br />

beschriebenen Nation hin. Das „Re<strong>de</strong>n“ eines Volkes sind die Beschlüsse seiner<br />

gesetzgeben<strong>de</strong>n und richterlichen Behör<strong>de</strong>n. Diese wer<strong>de</strong>n die freien und friedlichen<br />

308


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Grundsätze, die es als Grundlage seiner Regierungspolitik aufgestellt hat, Lügen strafen. Die<br />

Weissagung, daß es „wie ein Drache“ re<strong>de</strong>n und „alle Macht <strong>de</strong>s ersten Tiers vor<br />

ihm“ ausüben wird, sagt <strong>de</strong>utlich eine Entwicklung <strong>de</strong>s Geistes <strong>de</strong>r Unduldsamkeit und <strong>de</strong>r<br />

Verfolgung voraus, <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n Mächten bekun<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>, die durch <strong>de</strong>n Drachen und das<br />

Tier gleich einem Par<strong>de</strong>r dargestellt sind. Und die Aussage, daß das Tier mit zwei Hörnern<br />

so wirkt, „daß die Er<strong>de</strong> und die darauf wohnen anbeten das erste Tier“, zeigt an: diese<br />

Nation wird ihre Macht dazu benutzen, einen Gehorsam zu erzwingen, welcher <strong>de</strong>m<br />

Papsttum huldigt.<br />

Ein solches Han<strong>de</strong>ln wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Gründsätzen dieser Regierung, <strong>de</strong>m Geist ihrer freien<br />

Einrichtungen, <strong>de</strong>m klaren und feierlichen Bekenntnis <strong>de</strong>r Unabhängigkeitserklärung und<br />

<strong>de</strong>r Verfassung zuwi<strong>de</strong>r sein. Die Grün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Staates suchten sich weislich gegen die<br />

Anwendung <strong>de</strong>r Staatsgewalt seitens <strong>de</strong>r Kirche mit ihren unvermeidlichen Folgen —<br />

Unduldsamkeit und Verfolgung — zu sichern. Die Verfassung schreibt vor: „Der Kongreß<br />

soll kein Gesetz zur Einführung <strong>de</strong>r Religion o<strong>de</strong>r auch gegen ihre freie Ausübung erlassen“;<br />

auch soll die „religiöse Haltung niemals als Befähigung zu irgen<strong>de</strong>iner öffentlichen<br />

Vertrauensstellung in <strong>de</strong>n Vereinigten Staaten zur Bedingung gemacht wer<strong>de</strong>n“. Nur durch<br />

offenkundige Verletzung dieser Schutzmauer nationaler Freiheit kann irgen<strong>de</strong>in religiöser<br />

Zwang durch die Staatsbehör<strong>de</strong>n ausgeübt wer<strong>de</strong>n. Der innere Wi<strong>de</strong>rspruch solchen<br />

Han<strong>de</strong>lns ist nicht größer, als er im Sinnbild dargelegt ist. Wir haben es mit einem<br />

zweihörnigen Tier gleich einem Lamm zu tun, das, in seinem Bekenntnis rein, mild und<br />

harmlos, wie ein Drache re<strong>de</strong>t.<br />

„Und sagt <strong>de</strong>nen, die auf Er<strong>de</strong>n wohnen, daß sie ein Bild machen sollen <strong>de</strong>m Tier.“ Hier<br />

wird offenbar eine Regierungsform geschil<strong>de</strong>rt, bei <strong>de</strong>r die gesetzgeben<strong>de</strong> Macht in <strong>de</strong>n<br />

Hän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Volkes ruht; eine sehr treffen<strong>de</strong> Bestätigung, daß die Vereinigten Staaten die in<br />

<strong>de</strong>r Weissagung ange<strong>de</strong>utete Nation sind. Aber was ist das Bild <strong>de</strong>s Tieres, und wie soll es<br />

gestaltet wer<strong>de</strong>n? Dem ersten Tier wird von <strong>de</strong>m zweihörnigen Tier ein Bild errichtet. Es<br />

wird auch „Bild <strong>de</strong>s Tiers“ genannt. Um daher zu erfahren, was das Bild ist und wie es<br />

gestaltet wer<strong>de</strong>n soll, müssen wir die Merkmale <strong>de</strong>s „Tieres“ selbst, <strong>de</strong>s Papsttums,<br />

betrachten. Als die Kirche am Anfang dadurch ver<strong>de</strong>rbt wur<strong>de</strong>, daß sie von <strong>de</strong>r Einfachheit<br />

<strong>de</strong>s Evangeliums abwich und heidnische Gebräuche und Gewohnheiten annahm, verlor sie<br />

<strong>de</strong>n Geist und die Kraft Gottes. Um die Gewissen <strong>de</strong>r Menschen zu beherrschen, suchte sie<br />

<strong>de</strong>n Beistand <strong>de</strong>r Staatsgewalt. Die Folge war das Papsttum, eine Kirchenmacht, welche die<br />

Staatsgewalt beherrschte und sie zur För<strong>de</strong>rung ihrer eigenen Absichten, vornehmlich zur<br />

Bestrafung <strong>de</strong>r Ketzerei, einsetzte. Damit die Vereinigten Staaten <strong>de</strong>m Tier ein Bild machen<br />

können, muß die religiöse Macht <strong>de</strong>n Staat so beherrschen, daß dieser auch von <strong>de</strong>r Kirche<br />

zur Durchführung ihrer eigenen Absichten eingesetzt wird.<br />

Wo immer die Kirche die Staatsgewalt erlangte, setzte sie ihre Macht ein, um<br />

Abweichungen von ihren Lehren zu bestrafen. Protestantische Kirchen, die, <strong>de</strong>n Fußtapfen<br />

Roms folgend, mit weltlichen Mächten Verbindungen eingingen, haben ein ähnliches<br />

309


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Verlangen bekun<strong>de</strong>t, die Gewissensfreiheit zu beschränken. Ein Beispiel dafür bieten uns<br />

die lange fortgesetzten Verfolgungen <strong>de</strong>r Dissenter (An<strong>de</strong>rsgläubigen) <strong>de</strong>r anglikanischen<br />

Kirche. Während <strong>de</strong>s 16. und 17. Jahrhun<strong>de</strong>rts waren Tausen<strong>de</strong> <strong>de</strong>r nonkonformistischen<br />

(an<strong>de</strong>rs<strong>de</strong>nken<strong>de</strong>n) Prediger gezwungen, ihre Gemein<strong>de</strong>n zu verlassen, und viele Prediger<br />

und Gemein<strong>de</strong>glie<strong>de</strong>r mußten Strafe, Gefängnis, Folter und Marterqualen auf sich nehmen.<br />

Es war <strong>de</strong>r Abfall, <strong>de</strong>r die frühe Kirche dahin brachte, die Hilfe <strong>de</strong>s Staates zu suchen, und<br />

dadurch wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Weg für die Entwicklung <strong>de</strong>s Papsttums, <strong>de</strong>s Tieres, vorbereitet. Paulus<br />

sagte, „daß zuvor <strong>de</strong>r Abfall komme und offenbart wer<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>“.<br />

2.Thessalonicher 2,3. Demnach wird <strong>de</strong>r Abfall in <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Weg für das Bild <strong>de</strong>s<br />

Tieres vorbereiten.<br />

Die Bibel erklärt, daß vor <strong>de</strong>m Kommen <strong>de</strong>s Herrn ein religiöser Verfall, ähnlich <strong>de</strong>m<br />

<strong>de</strong>r ersten Jahrhun<strong>de</strong>rte, eintreten wür<strong>de</strong>. „In <strong>de</strong>n letzten Tagen wer<strong>de</strong>n greuliche Zeiten<br />

kommen. Denn es wer<strong>de</strong>n Menschen sein, die viel von sich halten, geizig, ruhmredig,<br />

hoffärtig, Lästerer, <strong>de</strong>n Eltern ungehorsam, undankbar, ungeistlich, lieblos, unversöhnlich,<br />

Verleum<strong>de</strong>r, unkeusch, wild, ungütig, Verräter, Frevler, aufgeblasen, die mehr lieben<br />

Wollust <strong>de</strong>nn Gott, die da haben <strong>de</strong>n Schein eines gottseligen Wesens, aber seine Kraft<br />

verleugnen sie.“ „Der Geist aber sagt <strong>de</strong>utlich, daß in <strong>de</strong>n letzten Tagen wer<strong>de</strong>n etliche von<br />

<strong>de</strong>m Glauben abtreten und anhangen <strong>de</strong>n verführerischen Geistern und Lehren <strong>de</strong>r<br />

Teufel.“ Satan wird wirken „mit allerlei lügenhaftigen Kräften und Zeichen und Wun<strong>de</strong>rn<br />

und mit allerlei Verführung zur Ungerechtigkeit“. Und alle, welche „die Liebe zur Wahrheit<br />

nicht haben angenommen, auf daß sie selig wür<strong>de</strong>n“, wer<strong>de</strong>n, sich selbst überlasen,<br />

„kräftige Irrtümer“ annehmen, „daß sie glauben <strong>de</strong>r Lüge“. 2.Timotheus 3,1-5; 1.Timotheus<br />

4,1; 2.Thessalonicher 2,9-11. Wenn dieser Zustand <strong>de</strong>r Gottlosigkeit erreicht sein wird, wird<br />

er auch die gleichen Früchte zeitigen wie in <strong>de</strong>n ersten Jahrhun<strong>de</strong>rten.<br />

Die in <strong>de</strong>n protestantischen Kirchen herrschen<strong>de</strong> große Glaubensverschie<strong>de</strong>nheit wird<br />

von vielen als ein entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Beweis angesehen,daß niemals ein Versuch unternommen<br />

wer<strong>de</strong>n kann,eine Gleichschaltung zu erzwingen. Und doch besteht in <strong>de</strong>n protestantischen<br />

Kirchen schon jahrelang ein starkes, wachsen<strong>de</strong>s Bestreben zugunsten einer auf<br />

gemeinschaftlichen Lehrpunkten beruhen<strong>de</strong>n Vereinigung. Um diese zu erreichen, müßte<br />

die Erörterung <strong>de</strong>r Themen, worüber nicht alle einig sind, wie wichtig sie auch vom<br />

biblischen Standpunkt aus sein mögen, notwendigerweise unterbleiben.<br />

Charles Beecher, ein hervorragen<strong>de</strong>r amerikanischer Redner, erklärte in einer Predigt im<br />

Jahre 1846, daß die Geistlichkeit „<strong>de</strong>r evangelisch-protestantischen Gemeinschaften nicht<br />

nur von Anfang an unter einem gewaltigen Druck rein menschlicher Furcht stehe, son<strong>de</strong>rn<br />

auch in einem von <strong>de</strong>r Wurzel aus ver<strong>de</strong>rbten Zustand lebe, atme und sich bewege und sich<br />

mit je<strong>de</strong>r Stun<strong>de</strong> an jegliches nie<strong>de</strong>re Element ihrer Natur wen<strong>de</strong>n müsse,um die Wahrheit<br />

zum Schweigen zu bringen und die Knie vor <strong>de</strong>r Macht <strong>de</strong>s Abfalls zu beugen. Ging es<br />

nicht so mit Rom? Leben wir nicht das gleiche Leben? Und was sehen wir gera<strong>de</strong> vor<br />

uns? — Ein zweites allgemeines Konzil! eine kirchliche Weltvereinigung! eine evangelische<br />

310


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Allianz und ein allumfassen<strong>de</strong>s Glaubensbekenntnis!“ Ist dies erst einmal erreicht, dann<br />

wird es bei <strong>de</strong>m Bemühen, vollständige Übereinstimmung zu erzielen, nur noch ein Schritt<br />

sein bis zur Gewaltanwendung.<br />

Wenn sich die führen<strong>de</strong>n Kirchen <strong>de</strong>r Vereinigten Staaten in <strong>de</strong>n Lehrpunkten, die sie<br />

gemeinsam haben, vereinigen und <strong>de</strong>n Staat beeinflussen, daß er ihre Verordnungen<br />

durchsetze und ihre Satzungen unterstütze, wird das protestantische Amerika ein Bild von<br />

<strong>de</strong>r römischen Priesterherrschaft errichtet haben, und die Verhängung von Strafen über<br />

An<strong>de</strong>rsgläubige wird die unausbleibliche Folge sein. Das Tier mit zwei Hörnern „macht<br />

(bestimmt), daß die Kleinen und Großen, die Reichen und Armen, die Freien und<br />

Knechte — allesamt sich ein Malzeichen geben an ihre rechte Hand o<strong>de</strong>r an ihre Stirn, daß<br />

niemand kaufen o<strong>de</strong>r verkaufen kann, er habe <strong>de</strong>nn das Malzeichen, nämlich <strong>de</strong>n Namen<br />

<strong>de</strong>s Tiers o<strong>de</strong>r die Zahl seines Namens“. Offenbarung 13,16.17.<br />

Die Warnung <strong>de</strong>s dritten Engels lautet: „So jemand das Tier anbetet und sein Bild und<br />

nimmt das Malzeichen an seine Stirn o<strong>de</strong>r an seine Hand, <strong>de</strong>r wird von <strong>de</strong>m Wein <strong>de</strong>s Zorns<br />

Gottes trinken.“ Das Tier, das in dieser Botschaft erwähnt und <strong>de</strong>ssen Anbetung durch das<br />

zweihörnige Tier erzwungen wird, ist das erste, par<strong>de</strong>rähnliche Tier aus Offenbarung 13,<br />

das Papsttum. Das Bild <strong>de</strong>s Tieres stellt jene Form <strong>de</strong>s abgefallenen Protestantismus dar, die<br />

sich entwickeln wird, wenn die protestantischen Kirchen zur Erzwingung ihrer Lehrsätze die<br />

Hilfe <strong>de</strong>s Staates suchen wer<strong>de</strong>n. Nun haben wir noch das Malzeichen <strong>de</strong>s Tieres zu<br />

beschreiben.<br />

Nach <strong>de</strong>r Warnung vor <strong>de</strong>r Anbetung <strong>de</strong>s Tieres und seines Bil<strong>de</strong>s erklärt die<br />

Weissagung: „Hier sind, die da halten die Gebote Gottes und <strong>de</strong>n Glauben an Jesum.“ Da<br />

die Menschen, die Gottes Gebote halten, auf diese Weise <strong>de</strong>nen gegenübergestellt wer<strong>de</strong>n,<br />

die das Tier und sein Bild anbeten und sein Malzeichen annehmen, so folgt daraus, daß die<br />

Beachtung <strong>de</strong>s Gesetzes Gottes einerseits und <strong>de</strong>ssen Übertretung an<strong>de</strong>rseits <strong>de</strong>n<br />

Unterschied zwischen <strong>de</strong>n Anbetern Gottes und <strong>de</strong>n Anbetern <strong>de</strong>s Tieres bil<strong>de</strong>n wird. Das<br />

beson<strong>de</strong>re Merkmal <strong>de</strong>s Tieres und mithin auch seines Bil<strong>de</strong>s ist die Übertretung <strong>de</strong>r Gebote<br />

Gottes. Daniel sagte von <strong>de</strong>m kleinen Horn, <strong>de</strong>m Papsttum: „Er ... wird sich unterstehen,<br />

Zeit und Gesetz zu än<strong>de</strong>rn.“ Daniel 7,25. Und Paulus nannte dieselbe Macht <strong>de</strong>n „Menschen<br />

<strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>“, <strong>de</strong>r sich über Gott erheben wür<strong>de</strong>. Eine Weissagung ergänzt die an<strong>de</strong>re. Nur<br />

in<strong>de</strong>m es das göttliche Gesetz verän<strong>de</strong>rte, konnte sich das Papsttum über Gott erheben. Wer<br />

aber wissentlich das so verän<strong>de</strong>rte Gesetz hält, zollt dadurch jener Macht die höchste Ehre,<br />

die es verän<strong>de</strong>rt hat. Ein solcher Gehorsam gegen die päpstlichen Gesetze wür<strong>de</strong> ein<br />

Zeichen <strong>de</strong>s Bündnisses mit <strong>de</strong>m Papsttum anstatt mit Gott sein.<br />

Das Papsttum hat versucht, das Gesetz Gottes zu verän<strong>de</strong>rn. Das zweite Gebot, das die<br />

Anbetung von Bil<strong>de</strong>rn verbietet, ist aus <strong>de</strong>m Gesetz entfernt, und das vierte ist so verän<strong>de</strong>rt<br />

wor<strong>de</strong>n, daß es die Feier <strong>de</strong>s ersten Wochentages statt <strong>de</strong>s siebenten als Sabbat gutheißt.<br />

Doch die Römlinge bestan<strong>de</strong>n darauf, daß das zweite Gebot ausgelassen wur<strong>de</strong>, weil es in<br />

<strong>de</strong>m ersten enthalten und <strong>de</strong>shalb überflüssig sei, und daß sie das Gesetz genauso gäben, wie<br />

311


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Gott es verstan<strong>de</strong>n haben wollte. Eine solche Verän<strong>de</strong>rung hat <strong>de</strong>r Prophet nicht geweissagt.<br />

Es ist von einer absichtlichen, reiflich überlegten Abän<strong>de</strong>rung die Re<strong>de</strong>: „Er ... wird sich<br />

unterstehen, Zeit und Gesetz zu än<strong>de</strong>rn.“ Die am vierten Gebot vorgenommene<br />

Verän<strong>de</strong>rung entspricht genau <strong>de</strong>n Angaben <strong>de</strong>r Weissagung. Als einziger Urheber hierfür<br />

kommt die Kirche in Betracht. Dadurch erhebt sich die päpstliche Macht offen über Gott.<br />

Während sich die Anbeter Gottes ganz beson<strong>de</strong>rs durch die Beachtung <strong>de</strong>s vierten<br />

Gebotes auszeichnen, da dies das Zeichen <strong>de</strong>r göttlichen Schöpfungsmacht ist und bezeugt,<br />

daß Gott Anspruch auf die Ehrfurcht und Huldigung <strong>de</strong>r Menschen hat, so wer<strong>de</strong>n sich die<br />

Anbeter <strong>de</strong>s Tieres durch ihre Bemühungen kennzeichnen, <strong>de</strong>n Gedächtnistag <strong>de</strong>s Schöpfers<br />

zu beseitigen, um die Einrichtung Roms zu erheben. Zum erstenmal machte das Papsttum<br />

zugunsten <strong>de</strong>s Sonntags seine anmaßen<strong>de</strong>n Ansprüche geltend, und <strong>de</strong>n Staat rief es das<br />

erstemal zu Hilfe, als es die Feier <strong>de</strong>s Sonntags als <strong>de</strong>s „Tages <strong>de</strong>s Herrn“ erzwingen wollte.<br />

Doch die Bibel verweist auf <strong>de</strong>n siebenten und nicht auf <strong>de</strong>n ersten Tag als „Tag <strong>de</strong>s Herrn“.<br />

Christus sagte: „So ist <strong>de</strong>s Menschen Sohn ein Herr auch <strong>de</strong>s Sabbats.“ Das vierte Gebot<br />

erklärt: „Am siebenten Tage ist <strong>de</strong>r Sabbat <strong>de</strong>s Herrn, <strong>de</strong>ines Gottes.“ Und <strong>de</strong>r Herr selbst<br />

spricht durch <strong>de</strong>n Propheten Jesaja vom Sabbat als von „meinem heiligen Tage“. Markus<br />

2,28; 2.Mose 20,10; Jesaja 58,13.<br />

Die so oft wie<strong>de</strong>rholte Behauptung, daß Christus <strong>de</strong>n Sabbat verän<strong>de</strong>rt habe, wird durch<br />

seine eigenen Worte wi<strong>de</strong>rlegt. In <strong>de</strong>r Bergpredigt sagte er: „Ihr sollt nicht wähnen, daß ich<br />

gekommen bin, das Gesetz o<strong>de</strong>r die Propheten aufzulösen; Ich bin nicht gekommen,<br />

aufzulösen, son<strong>de</strong>rn zu erfüllen. Denn ich sage euch wahrlich: Bis daß Himmel und Er<strong>de</strong><br />

zergehe, wird nicht zergehen <strong>de</strong>r kleinste Buchstabe noch ein Tüttel vom Gesetz ... Wer nun<br />

eins von diesen kleinsten Geboten auflöst ..., <strong>de</strong>r wird <strong>de</strong>r Kleinste heißen im Himmelreich;<br />

wer es aber tut und lehrt, <strong>de</strong>r wird groß heißen im Himmelreich.“ Matthäus 5,17-19.<br />

Es ist eine von <strong>de</strong>n Protestanten allgemein zugestan<strong>de</strong>ne Tatsache, daß die Heilige<br />

Schrift keinen Beweis für die Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Sabbats bietet. Dies wird in <strong>de</strong>n<br />

verschie<strong>de</strong>nsten Veröffentlichungen <strong>de</strong>utlich gelehrt. So rechnet die Augsburgische<br />

Konfession <strong>de</strong>n Sonntag zu <strong>de</strong>n menschlichen Satzungen, um guter Ordnung, Einigkeit und<br />

<strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns willen erfun<strong>de</strong>n. Ein berühmter <strong>de</strong>utscher Theologe erklärt, daß wir <strong>de</strong>n<br />

Sonntag nicht aus „<strong>de</strong>m Neuen Testament, son<strong>de</strong>rn aus <strong>de</strong>r kirchlichen<br />

Überlieferung“ haben. Ja, er behauptet: „Daß Christus o<strong>de</strong>r seine Apostel ... <strong>de</strong>n Sonntag<br />

und die Feiertage verordnet, läßt sich nicht nur nicht erweisen, son<strong>de</strong>rn es läßt sich sogar<br />

das Gegenteil zu aller nach Lage <strong>de</strong>r Zeugnisse <strong>de</strong>nkbaren Evi<strong>de</strong>nz bringen.“<br />

Das gleiche sagen die Schriften <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen protestantischen Gemein<strong>de</strong>n<br />

gebil<strong>de</strong>ten amerikanischen Traktatgesellschaft und <strong>de</strong>r amerikanischen Sonntagsschulunion<br />

aus. Eines dieser Werke anerkennt „das gänzliche Schweigen <strong>de</strong>s Neuen Testaments, soweit<br />

dies ein bestimmtes Gebot für <strong>de</strong>n Sabbat (Sonntag, <strong>de</strong>n ersten Wochentag) o<strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>re<br />

Vorschriften für <strong>de</strong>ssen Beachtung anbelangt“. Ein an<strong>de</strong>rer sagt: „Bis zum To<strong>de</strong> Christi war<br />

keine Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Tages vorgenommen wor<strong>de</strong>n“; und „soweit <strong>de</strong>r Bericht zeigt, gaben<br />

312


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

sie (die Apostel) keinen ausdrücklichen Befehl zur Aufhebung <strong>de</strong>s Siebenten-Tag-Sabbats<br />

und zu <strong>de</strong>ssen Feier am ersten Wochentag“.<br />

Die Katholiken geben zu, daß die Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Sabbats von ihrer Kirche<br />

vorgenommen wur<strong>de</strong> und erklären, daß die Protestanten durch die Sonntagsfeier ihre (<strong>de</strong>r<br />

Katholiken) Macht anerkennen. Der „Katholische Katechismus <strong>de</strong>r christlichen<br />

Religion“ beantwortet die Frage, welchen Tag man nach <strong>de</strong>m vierten Gebot halten solle, wie<br />

folgt: „Unter <strong>de</strong>m alten Gesetz war <strong>de</strong>r Samstag <strong>de</strong>r geheiligte Tag; aber die Kirche,<br />

angewiesen durch Jesum Christum und geleitet von <strong>de</strong>m Geist Gottes, hat <strong>de</strong>n Sonntag an<br />

die Stelle <strong>de</strong>s Sabbats gesetzt, so daß wir nun <strong>de</strong>n ersten, nicht aber <strong>de</strong>n siebenten Tag<br />

heiligen. Sonntag be<strong>de</strong>utet und ist jetzt <strong>de</strong>r Tag <strong>de</strong>s Herrn.“<br />

Als Zeichen <strong>de</strong>r päpstlichen Autorität führen päpstliche Schriftsteller „gera<strong>de</strong> die<br />

Verlegung <strong>de</strong>s Sabbats auf <strong>de</strong>n Sonntag an, was die Protestanten zugeben, ... da sie durch<br />

die Beachtung <strong>de</strong>s Sonntags die Macht <strong>de</strong>r Kirche, Feste einzusetzen und die Übertretung<br />

als Sün<strong>de</strong> zu rechnen, anerkennen.“ Dies wird aufs <strong>de</strong>utlichste in <strong>de</strong>r Augsburgischen<br />

Konfession, Art. 28, bezeugt, die erklärt, daß von <strong>de</strong>r katholischen Kirche „wird kein<br />

Exempel so hoch getrieben und angezogen als die Verwandlung <strong>de</strong>s Sabbats, und wollen<br />

damit erhalten (beweisen), daß die Gewalt <strong>de</strong>r Kirchen groß sei, dieweil sie mit <strong>de</strong>n Zehn<br />

Geboten dispensiert und etwas daran verän<strong>de</strong>rt hat“. Was ist daher die Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s<br />

Sabbats an<strong>de</strong>res als das „Malzeichen <strong>de</strong>s Tiers“?<br />

Die römische Kirche hat ihre Ansprüche auf die Oberherrschaft nicht aufgegeben, und<br />

wenn die Welt und die protestantischen Kirchen einen von ihr geschaffenen Sabbat<br />

annehmen und <strong>de</strong>n biblischen Sabbat verwerfen, so stimmen sie im Grun<strong>de</strong> dieser<br />

Anmaßung zu. Sie mögen sich für die Verän<strong>de</strong>rung wohl auf die Autorität <strong>de</strong>r Väter o<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>r Überlieferungen berufen; doch in<strong>de</strong>m sie das tun, verleugnen sie gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Grundsatz,<br />

<strong>de</strong>r sie von Rom trennt: daß die Heilige Schrift, und zwar die Heilige Schrift allein, die<br />

Religion <strong>de</strong>r Protestanten enthält. Der Anhänger Roms kann sehen, daß sie sich selbst<br />

betrügen und ihre Augen absichtlich vor <strong>de</strong>n gegebenen Tatsachen verschließen. Wenn die<br />

Bewegung, <strong>de</strong>n Sonntag zu erzwingen, Anklang fin<strong>de</strong>t, freut er sich in <strong>de</strong>r Gewißheit, daß<br />

mit <strong>de</strong>r Zeit die ganze protestantische Welt unter das Banner Roms kommen wer<strong>de</strong>.<br />

Die Katholiken behaupten, „die Feier <strong>de</strong>s Sonntags seitens <strong>de</strong>r Protestanten sei eine<br />

Huldigung, die sie, sich selbst zum Trotz, <strong>de</strong>r Macht <strong>de</strong>r (katholischen) Kirche zollen“. Die<br />

Erzwingung <strong>de</strong>r Sonntagsfeier seitens <strong>de</strong>r protestantischen Kirchen ist eine Erzwingung <strong>de</strong>r<br />

Anbetung <strong>de</strong>s Papsttums, <strong>de</strong>s Tieres. Wer die Ansprüche <strong>de</strong>s vierten Gebots versteht und<br />

doch die Beachtung <strong>de</strong>s falschen statt <strong>de</strong>s wahren Sabbats wählt, huldigt dadurch jener<br />

Macht, die sie befohlen hat. Gera<strong>de</strong> durch ihre Handlungsweise, durch <strong>de</strong>n Staat eine<br />

religiöse Pflicht zu erzwingen, errichten die Kirchen <strong>de</strong>m Tier ein Bild; <strong>de</strong>mnach ist die<br />

Durchführung <strong>de</strong>r Sonntagsfeier ein Erzwingen <strong>de</strong>r Anbetung <strong>de</strong>s Tieres und seines Bil<strong>de</strong>s.<br />

313


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Doch die Christen vergangener Zeiten hielten <strong>de</strong>n Sonntag in <strong>de</strong>r Meinung, dadurch <strong>de</strong>n<br />

biblischen Sabbat zu feiern. Es gibt heute noch in je<strong>de</strong>r Kirche, die römisch-katholische<br />

nicht ausgenommen, wahre Christen, die aufrichtig glauben, <strong>de</strong>r Sonntag sei <strong>de</strong>r von Gott<br />

verordnete Sabbattag. Gott nimmt ihre aufrichtige Absicht und ihre Redlichkeit vor ihm an.<br />

Doch wenn die Sonntagsfeier durch Gesetze eingeführt und die Welt über die<br />

Verpflichtungen gegen <strong>de</strong>n wahren Sabbat aufgeklärt wer<strong>de</strong>n wird, dann wer<strong>de</strong>n alle, die<br />

Gottes Gebot übertreten, um einer Verordnung nachzukommen, die keine höhere Autorität<br />

als die Roms hat, dadurch das Papsttum mehr ehren als Gott. Sie zollen Rom und <strong>de</strong>r Macht,<br />

die eine von Rom eingeführte Verordnung erzwingt, ihre Huldigung; sie beten das Tier und<br />

sein Bild an. Wenn Menschen die Einrichtung verwerfen, von <strong>de</strong>r Gott gesagt hat, sie sei<br />

das Zeichen seiner Autorität, und statt <strong>de</strong>ssen das ehren, was Rom als Zeichen seiner<br />

Oberherrschaft erwählt hat, so nehmen sie dadurch das Merkmal <strong>de</strong>r Huldigung Roms, das<br />

Malzeichen <strong>de</strong>s Tieres an. Erst wenn die Entscheidung auf diese Weise <strong>de</strong>n Menschen<br />

<strong>de</strong>utlich entgegentritt, wenn sie zwischen <strong>de</strong>n Geboten Gottes und Menschengeboten zu<br />

wählen haben, dann wer<strong>de</strong>n die Menschen, die in ihrer Übertretung beharren, „das<br />

Malzeichen <strong>de</strong>s Tiers“ empfangen.<br />

Die schrecklichste Drohung, die je an Sterbliche gerichtet wur<strong>de</strong>, fin<strong>de</strong>t sich in <strong>de</strong>r<br />

dritten Engelsbotschaft. Es muß eine furchtbare Sün<strong>de</strong> sein, die <strong>de</strong>n Zorn Gottes ohne je<strong>de</strong><br />

Gna<strong>de</strong> auf die Häupter <strong>de</strong>r Schuldigen herabbeschwört. Die Menschen sollen über diese<br />

wichtige Angelegenheit nicht im ungewissen bleiben; die Warnung vor dieser Sün<strong>de</strong> muß an<br />

die Welt ergehen, ehe Gottes Gerichte sie heimsuchen, damit alle wissen können, warum sie<br />

erfolgen, und Gelegenheit haben, ihnen zu entrinnen. Das prophetische Wort sagt, daß <strong>de</strong>r<br />

erste Engel seine Botschaft an „alle Hei<strong>de</strong>n und Geschlechter und Sprachen und<br />

Völker“ richtet. Die Warnung <strong>de</strong>s dritten Engels, die einen Teil dieser dreifachen Botschaft<br />

bil<strong>de</strong>t, soll keine geringere Aus<strong>de</strong>hnung haben. Nach <strong>de</strong>r Weissagung wird sie von einem<br />

Engel, <strong>de</strong>r mitten durch <strong>de</strong>n Himmel fliegt, mit lauter Stimme verkündigt und daher die<br />

Aufmerksamkeit <strong>de</strong>r ganzen Welt auf sich lenken. Beim Ausgang <strong>de</strong>s Kampfes wird die<br />

gesamte Christenheit in zwei Klassen geteilt sein: in die, welche die Gebote Gottes und <strong>de</strong>n<br />

Glauben Jesu hält, und in jene, die das Tier und sein Bild anbetet und sein Malzeichen<br />

annimmt. Wenn auch Kirche und Staat ihre Macht vereinigen wer<strong>de</strong>n, um „die Kleinen und<br />

Großen, die Reichen und Armen, die Freien und Knechte“ zu zwingen, das Malzeichen <strong>de</strong>s<br />

Tieres anzunehmen (Offenbarung 13,16), so wird doch Gottes Volk diesem Zwang<br />

wi<strong>de</strong>rstehen. Der Prophet sah schon auf Patmos „die <strong>de</strong>n Sieg behalten hatten an <strong>de</strong>m Tier<br />

und an seinem Bil<strong>de</strong> und seinem Malzeichen und seines Namens Zahl“; sie „stan<strong>de</strong>n an <strong>de</strong>m<br />

gläsernen Meer und hatten Harfen Gottes“ und sangen „das Lied Moses“ und „das Lied <strong>de</strong>s<br />

Lammes“. Offenbarung 15,2.3.<br />

314


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 26- Ein Werk <strong>de</strong>r Erneuerung<br />

Die Sabbatreform, die in <strong>de</strong>n letzten Tagen vollbracht wer<strong>de</strong>n soll, ist in <strong>de</strong>r<br />

Weissagung Jesajas vorhergesagt: „So spricht <strong>de</strong>r Herr: Haltet das Recht und tut<br />

Gerechtigkeit; <strong>de</strong>nn mein Heil ist nahe, daß es komme, und meine Gerechtigkeit, daß sie<br />

offenbart wer<strong>de</strong>. Wohl <strong>de</strong>m Menschen, <strong>de</strong>r solches tut, und <strong>de</strong>m Menschenkind, <strong>de</strong>r es<br />

festhält, daß er <strong>de</strong>n Sabbat halte und nicht entheilige und halte seine Hand, daß er kein<br />

Arges tue! ... Und die Frem<strong>de</strong>n, die sich zum Herrn getan haben, daß sie ihm dienen und<br />

seinen Namen lieben, auf daß sie seine Knechte seien, ein jeglicher, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Sabbat hält, daß<br />

er ihn nicht entweihe, und meinen Bund festhält, die will ich zu meinem heiligen Berge<br />

bringen und will sie erfreuen in meinem Bethause.“ Jesaja 56,1.2.7.<br />

Diese Worte beziehen sich auf das christliche Zeitalter, wie <strong>de</strong>r Zusammenhang zeigt:<br />

„Der Herr Herr, <strong>de</strong>r die Verstoßenen aus Israel sammelt, spricht: Ich will noch mehr zu <strong>de</strong>m<br />

Haufen <strong>de</strong>rer, die versammelt sind, sammeln.“ Jesaja 56,8. Hier ist das Sammeln <strong>de</strong>r Hei<strong>de</strong>n<br />

durch die Verkündigung <strong>de</strong>s Evangeliums vorausgeschaut. Über die, welche dann <strong>de</strong>n<br />

Sabbat ehren, ist ein Segen ausgesprochen. So erstreckt sich die Verbindlichkeit <strong>de</strong>s vierten<br />

Gebotes weit über die Kreuzigung, die Auferstehung und die Himmelfahrt Christi hinaus bis<br />

auf die Zeit, da seine Diener allen Völkern die frohe Kun<strong>de</strong> predigen.<br />

Der Herr befiehlt durch <strong>de</strong>n Propheten Jesaja: „Bin<strong>de</strong> zu das Zeugnis, versiegle das<br />

Gesetz meinen Jüngern.“ Jesaja 8,16. Das Siegel <strong>de</strong>s Gesetzes Gottes fin<strong>de</strong>t sich im vierten<br />

Gebot. Dieses ist das einzige unter allen zehn, das sowohl <strong>de</strong>n Namen als auch <strong>de</strong>n Titel <strong>de</strong>s<br />

Gesetzgebers anzeigt. Es erklärt Gott als <strong>de</strong>n Schöpfer <strong>de</strong>s Himmels und <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> und<br />

rechtfertigt so seinen Anspruch auf Anbetung vor allen an<strong>de</strong>rn. Außer dieser Angabe<br />

enthalten die Zehn Gebote nichts, das die Urheberschaft <strong>de</strong>s Gesetzes anzeigt. Als die<br />

päpstliche Macht <strong>de</strong>n Sabbat verän<strong>de</strong>rte, wur<strong>de</strong> das Gesetz seines Siegels beraubt. Die<br />

Nachfolger Jesu sind berufen, es wie<strong>de</strong>rherzustellen, in<strong>de</strong>m sie <strong>de</strong>n Sabbat <strong>de</strong>s vierten<br />

Gebotes in seine rechtmäßige Stellung als Gedächtnistag <strong>de</strong>s Schöpfers und Zeichen seiner<br />

Machtfülle erheben.<br />

„Nach <strong>de</strong>m Gesetz und Zeugnis!“ Während wi<strong>de</strong>rstreiten<strong>de</strong> Lehren und <strong>Theorie</strong>n im<br />

Überfluß vorhan<strong>de</strong>n sind, ist das Gesetz Gottes die einzige untrügliche Richtschnur, nach<br />

<strong>de</strong>r alle Meinungen, Lehren und <strong>Theorie</strong>n geprüft wer<strong>de</strong>n sollen. Darum sagt <strong>de</strong>r Prophet:<br />

„Wer<strong>de</strong>n sie das nicht sagen, so wer<strong>de</strong>n sie die Morgenröte (d.h. das Licht <strong>de</strong>r Wahrheit)<br />

nicht haben.“ Jesaja 8,20. Ferner wird das Gebot gegeben: „Rufe getrost, schone nicht,<br />

erhebe <strong>de</strong>ine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk ihr Übertreten und<br />

<strong>de</strong>m Hause Jakob ihre Sün<strong>de</strong>n.“ Nicht die gottlose Welt, son<strong>de</strong>rn die <strong>de</strong>r Herr als „mein<br />

Volk“ bezeichnet, sollen wegen ihrer Übertretungen zurechtgewiesen wer<strong>de</strong>n. Es heißt<br />

weiterhin: „Sie suchen mich täglich und wollen meine Wege wissen wie ein Volk, das<br />

Gerechtigkeit schon getan und das Recht ihres Gottes nicht verlassen hätte.“ Jesaja 58,1.2.<br />

Hier wer<strong>de</strong>n uns Menschen gezeigt, die sich für gerechtfertigt halten und großen Eifer für<br />

315


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Gottes Sache an <strong>de</strong>n Tag zu legen scheinen; aber <strong>de</strong>r ernste und feierliche Ta<strong>de</strong>l <strong>de</strong>ssen, <strong>de</strong>r<br />

die Herzen erforscht, beweist, daß sie die göttlichen Verordnungen mit Füßen treten.<br />

Der Prophet bezeichnet das unbeachtet gelassene Gebot wie folgt: „Und soll durch dich<br />

gebaut wer<strong>de</strong>n, was lange wüst gelegen ist; und wirst Grund legen, <strong>de</strong>r für und für bleibe;<br />

und sollst heißen: Der die Lücken verzäunt und die Wege bessert, daß man da wohnen möge.<br />

So du <strong>de</strong>inen Fuß von <strong>de</strong>m Sabbat kehrst, daß du nicht tust, was dir gefällt an meinem<br />

heiligen Tage, und <strong>de</strong>n Sabbat eine Lust heißest und <strong>de</strong>n Tag, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Herrn heilig ist,<br />

ehrest, so du ihn also ehrest, daß du nicht tust <strong>de</strong>ine Wege, noch darin erfun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>, was<br />

dir gefällt, o<strong>de</strong>r leeres Geschwätz: alsdann wirst du Lust haben am Herrn.“ Jesaja 58,12.13.<br />

Diese Weissagung bezieht sich ebenfalls auf unsere Zeit. Die Lücke kam in das Gesetz<br />

Gottes, als Rom <strong>de</strong>n Sabbat verän<strong>de</strong>rte. Aber die Zeit ist gekommen, da jene göttliche<br />

Einrichtung wie<strong>de</strong>rhergestellt wer<strong>de</strong>n soll. Die Lücke soll verzäunt und ein Fundament<br />

gelegt wer<strong>de</strong>n, das für und für bleibe.<br />

Diesen durch <strong>de</strong>s Schöpfers Ruhe und Segen geheiligten Sabbat feierte Adam in seiner<br />

Unschuld im Garten E<strong>de</strong>n und auch dann noch, als er gefallen, aber reumütig aus seiner<br />

glücklichen Heimat vertrieben war. Alle Patriarchen von Abel bis zu <strong>de</strong>m gerechten Noah,<br />

bis zu Abraham und Jakob hielten <strong>de</strong>n Sabbat. Als sich das auserwählte Volk in <strong>de</strong>r<br />

ägyptischen Knechtschaft befand, verloren viele unter <strong>de</strong>r herrschen<strong>de</strong>n Abgötterei ihre<br />

Kenntnis <strong>de</strong>s göttlichen Gesetzes; aber als <strong>de</strong>r Herr Israel erlöst hatte, verkün<strong>de</strong>te er <strong>de</strong>r<br />

versammelten Menge in ehrfurchtgebieten<strong>de</strong>r Majestät sein Gesetz, damit alle seinen Willen<br />

wissen, ihn fürchten und ihm ewig gehorchen möchten.<br />

Von jenem Tage an bis heute ist die Kenntnis <strong>de</strong>s göttlichen Gesetzes auf Er<strong>de</strong>n<br />

bewahrt und <strong>de</strong>r Sabbat <strong>de</strong>s vierten Gebots gehalten wor<strong>de</strong>n. Obgleich es <strong>de</strong>m „Menschen<br />

<strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>“ gelang, Gottes heiligen Tag mit Füßen zu treten, so lebten doch, selbst zur Zeit<br />

seiner Oberherrschaft, an geheimen Orten treue Seelen, die <strong>de</strong>n Sabbat ehrten. Seit <strong>de</strong>r<br />

Reformation hat es stets Menschen gegeben, die ihn feierten. Wenngleich oft unter Schmach<br />

und Verfolgung, so wur<strong>de</strong> doch ununterbrochen Zeugnis abgelegt für die Fortdauer <strong>de</strong>s<br />

Gesetzes Gottes und für die feierliche Verpflichtung gegenüber <strong>de</strong>m Sabbat <strong>de</strong>r Schöpfung.<br />

Diese Wahrheiten, wie sie Offenbarung 14 im Zusammenhang mit <strong>de</strong>m „ewigen<br />

Evangelium“ vor Augen führt, wer<strong>de</strong>n die Gemein<strong>de</strong> Christi zur Zeit seines Erscheinens<br />

kennzeichnen. Denn als Folge <strong>de</strong>r dreifachen Botschaft wird vorausgesagt: „Hier sind, die<br />

da halten die Gebote Gottes und <strong>de</strong>n Glauben an Jesum.“ Und diese Botschaft ist die letzte,<br />

die vor <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft <strong>de</strong>s Herrn verkündigt wer<strong>de</strong>n soll. Unmittelbar nach ihrer<br />

Verkündigung sieht <strong>de</strong>r Prophet <strong>de</strong>s Menschen Sohn in Herrlichkeit kommen, um die Ernte<br />

<strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> einzuholen. Alle, die das Licht über das Heiligtum und die Unverän<strong>de</strong>rlichkeit <strong>de</strong>s<br />

göttlichen Gesetzes annahmen, wur<strong>de</strong>n mit Freu<strong>de</strong> und Staunen erfüllt, als sie die<br />

Erhabenheit und die Übereinstimmung <strong>de</strong>r Wahrheiten erkannten, die sich ihrem<br />

Verständnis erschlossen. Sie wünschten, daß die Erkenntnis, die ihnen so köstlich schien,<br />

allen Christen zuteil wür<strong>de</strong>, und sie glaubten zuversichtlich, daß diese sie mit Freu<strong>de</strong>n<br />

316


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

annähmen. Aber Wahrheiten, die sie in Wi<strong>de</strong>rspruch mit <strong>de</strong>r Welt brachten, waren vielen<br />

angeblichen Nachfolgern Christi nicht willkommen. Der Gehorsam gegen das vierte Gebot<br />

for<strong>de</strong>rte ein Opfer, vor <strong>de</strong>m die große Masse zurückschreckte.<br />

Als die Ansprüche <strong>de</strong>s Sabbats dargelegt wur<strong>de</strong>n, urteilten viele nach weltlichem<br />

Ermessen und sagten: „Wir haben immer <strong>de</strong>n Sonntag gehalten, unsere Väter hielten ihn,<br />

und viele gute und fromme Menschen sind selig gestorben, obgleich sie <strong>de</strong>n Sonntag<br />

gefeiert haben. Die Feier dieses neuen Sabbats wäre entgegen <strong>de</strong>n Gewohnheiten <strong>de</strong>r Welt,<br />

und wir wür<strong>de</strong>n keinen Einfluß auf sie gewinnen. Was vermag ein kleines Häuflein, das <strong>de</strong>n<br />

siebenten Tag hält, gegen die ganze Welt, die <strong>de</strong>n Sonntag feiert?“ Durch ähnliche<br />

Schlußfolgerungen versuchten die Ju<strong>de</strong>n, die Verwerfung Christi zu rechtfertigen. Ihre<br />

Väter waren von Gott angenommen wor<strong>de</strong>n, als sie die Opfer darbrachten, und warum<br />

konnten nicht die Kin<strong>de</strong>r Heil fin<strong>de</strong>n, wenn sie <strong>de</strong>n gleichen Weg verfolgten? Genauso<br />

beruhigten viele Menschen zur Zeit Luthers ihr Gewissen, daß treue Christen im<br />

katholischen Glauben gestorben seien, weshalb diese Religion zur Seligkeit genüge. Solche<br />

Behauptungen ließen sich als ein wirksames Hin<strong>de</strong>rnis gegen jeglichen Fortschritt in<br />

Glaubensdingen aufstellen.<br />

Viele brachten vor, daß die Sonntagsfeier eine festgegrün<strong>de</strong>te Lehre und ein seit vielen<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rten weitverbreiteter Brauch <strong>de</strong>r Kirche sei. Es ließ sich jedoch beweisen, daß <strong>de</strong>r<br />

Sabbat und seine Feier weit älter, ja sogar ebenso alt wie die Welt selber ist und die<br />

Bestätigung Gottes und <strong>de</strong>r Engel hat. Als <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> Grund gelegt wur<strong>de</strong>, die Morgensterne<br />

miteinan<strong>de</strong>r sangen und alle Kin<strong>de</strong>r Gottes vor Freu<strong>de</strong> jauchzten, da wur<strong>de</strong> auch <strong>de</strong>r Grund<br />

zum Sabbat gelegt. Hiob 38,6.7; 1.Mose 2,1-3. Mit Recht erheischt diese Einrichtung unsere<br />

Ehrfurcht, wur<strong>de</strong> sie doch durch keine menschliche Gewalt eingesetzt, auch beruht sie nicht<br />

auf menschlichen Überlieferungen; sie wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>m „Alten an Tagen“ gegrün<strong>de</strong>t und<br />

durch sein ewiges Wort geboten.<br />

Als die Aufmerksamkeit <strong>de</strong>s Volkes auf die Erneuerung <strong>de</strong>s Sabbats gelenkt wur<strong>de</strong>,<br />

verdrehten beim Volk beliebte Prediger das Wort Gottes und legten sein Zeugnis so aus, wie<br />

man am besten die fragen<strong>de</strong>n Gemüter beruhigen konnte. Wer die Heilige Schrift nicht<br />

selber erforschte, gab sich mit Ansichten zufrie<strong>de</strong>n, die mit seinen Wünschen<br />

übereinstimmten. Gestützt auf Behauptungen, Spitzfindigkeiten, Überlieferungen <strong>de</strong>r Väter<br />

und die Autorität <strong>de</strong>r Kirche versuchten viele die Wahrheit zu verwerfen. Ihre Verteidiger<br />

wur<strong>de</strong>n zu ihren Bibeln gelenkt, um die Gültigkeit <strong>de</strong>s vierten Gebotes zu beweisen.<br />

Demütige, allein mit <strong>de</strong>m Wort Gottes ausgerüstete Männer wi<strong>de</strong>rstan<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Angriffen <strong>de</strong>r<br />

Gelehrten, die erstaunt und zornig erkannten, daß ihre beredten Spitzfindigkeiten machtlos<br />

waren gegenüber <strong>de</strong>r einfachen, offenen Darstellungsweise jener Männer, die mehr in <strong>de</strong>r<br />

Schrift als in <strong>de</strong>r Schulweisheit bewan<strong>de</strong>rt waren.<br />

In Ermangelung günstiger biblischer Belege machten viele, die vergaßen, daß die<br />

gleichen Einwän<strong>de</strong> gegen Christus und seine Jünger vorgebracht wor<strong>de</strong>n waren, mit<br />

unermüdlicher Beharrlichkeit geltend: „Warum verstehen unsere Großen diese Sabbatfrage<br />

317


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

nicht? Nur wenige glauben ihr. Es kann nicht sein, daß ihr recht habt und alle Gelehrten <strong>de</strong>r<br />

Welt unrecht haben.“ Um solche Beweisgrün<strong>de</strong> zu wi<strong>de</strong>rlegen, war es nur erfor<strong>de</strong>rlich, die<br />

Lehren <strong>de</strong>r Heiligen Schrift anzuführen und darauf zu verweisen, wie <strong>de</strong>r Herr zu allen<br />

Zeiten mit seinem Volke verfuhr. Gott wirkt durch die, welche seine Stimme hören und ihr<br />

gehorchen, die nötigenfalls unangenehme Wahrheiten aussprechen und sich nicht fürchten,<br />

im Volk verbreitete Sün<strong>de</strong>n zu rügen. Gott bedient sich nicht oft gelehrter und<br />

hochgestellter Männer als Leiter von Reformbestrebungen, weil diese auf ihre<br />

Glaubensbekenntnisse, <strong>Theorie</strong>n und theologischen Lehrgebäu<strong>de</strong> vertrauen und nicht das<br />

Bedürfnis fühlen, von Gott gelehrt zu wer<strong>de</strong>n. Nur wer mit <strong>de</strong>r Quelle <strong>de</strong>r Weisheit<br />

verbun<strong>de</strong>n ist, kann die Schrift verstehen o<strong>de</strong>r auslegen. Manchmal wer<strong>de</strong>n Männer von nur<br />

geringer Schulbildung berufen, die Wahrheit zu verkündigen, nicht etwa weil sie ungelehrt,<br />

son<strong>de</strong>rn weil sie nicht zu dünkelhaft sind, um sich von Gott belehren zu lassen. Sie lernen in<br />

<strong>de</strong>r Schule Christi, und ihre Demut und ihr Gehorsam machen sie groß. In<strong>de</strong>m Gott ihnen<br />

die Kenntnis seiner Wahrheit anvertraut, erweist er ihnen eine Ehre, <strong>de</strong>r gegenüber irdische<br />

Ehren und menschliche Größe in Nichts versinken.<br />

Die Mehrzahl <strong>de</strong>r Adventisten verwarf die Wahrheiten hinsichtlich <strong>de</strong>s Heiligtums und<br />

<strong>de</strong>s göttlichen Gesetzes; viele ließen auch ihr Vertrauen auf die Adventbewegung fahren<br />

und nahmen irrige und sich wi<strong>de</strong>rsprechen<strong>de</strong> Ansichten über die Weissagungen an, die sich<br />

auf dieses Werk bezogen. Einige verfielen in <strong>de</strong>n Irrtum, wie<strong>de</strong>rholt eine bestimmte Zeit für<br />

die Wie<strong>de</strong>rkunft Christi festzusetzen. Das Licht, das jetzt die Heiligtumswahrheit erhellt,<br />

hätte ihnen gezeigt, daß kein prophetischer Zeitabschnitt bis zur Wie<strong>de</strong>rkunft reicht und daß<br />

die genaue Zeit dieses Ereignisses nicht vorausgesagt ist. In<strong>de</strong>m sie sich vom Lichte<br />

abwandten, setzten sie weiterhin die Zeit fest, wann <strong>de</strong>r Herr kommen sollte, und wur<strong>de</strong>n<br />

ebensooft enttäuscht.<br />

Als die Gemein<strong>de</strong> zu Thessalonich irrige Ansichten über die Wie<strong>de</strong>rkunft Christi<br />

annahm, gab <strong>de</strong>r Apostel Paulus ihnen <strong>de</strong>n Rat, ihre Hoffnungen und Erwartungen sorgfältig<br />

nach <strong>de</strong>m Worte Gottes zu prüfen. Er verwies sie auf die Weissagungen, welche die<br />

Ereignisse offenbarten, die vor <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft Christi stattfin<strong>de</strong>n sollten, und zeigte, daß<br />

sie keinerlei Ursache hatten, <strong>de</strong>n Heiland in ihren Tagen zu erwarten. „Lasset euch niemand<br />

verführen in keinerlei Weise!“ (2.Thessalonicher 2,3) lauteten seine warnen<strong>de</strong>n Worte.<br />

Hegten sie aber Erwartungen, wozu die Schrift nicht berechtigt, so wür<strong>de</strong>n sie zu falscher<br />

Handlungsweise angeleitet wer<strong>de</strong>n, und Enttäuschung wür<strong>de</strong> sie <strong>de</strong>m Spott <strong>de</strong>r Ungläubigen<br />

aussetzen. Sie liefen Gefahr, entmutigt zu wer<strong>de</strong>n und in die Versuchung zu fallen, die für<br />

ihr Seelenheil wesentlichen Wahrheiten zu bezweifeln. Die Mahnung <strong>de</strong>s Apostels an die<br />

Thessalonicher enthält eine wichtige Lehre für die, welche in <strong>de</strong>n letzten Tagen leben. Viele<br />

Adventisten glauben, nicht eifrig und fleißig im Werke <strong>de</strong>r Vorbereitung sein zu können,<br />

wenn sie ihren Glauben nicht auf eine im voraus bestimmte Zeit <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft <strong>de</strong>s Herrn<br />

richten. Wenn aber ihre Hoffnung immer wie<strong>de</strong>r erregt wird, nur damit sie wie<strong>de</strong>r vernichtet<br />

wer<strong>de</strong>, dann erfährt ihr Glaube dadurch eine solche Erschütterung, daß es für sie beinahe<br />

unmöglich ist, von <strong>de</strong>n großen Wahrheiten <strong>de</strong>r Weissagung beeindruckt zu sein.<br />

318


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Die Verkündigung einer bestimmten Zeit für das Gericht durch die Verbreitung <strong>de</strong>r<br />

ersten Engelsbotschaft geschah auf Gottes Befehl. Die Berechnung <strong>de</strong>r prophetischen<br />

Zeitangaben, die die Grundlage jener Botschaft war und <strong>de</strong>n Ablauf <strong>de</strong>r<br />

zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt Tage für <strong>de</strong>n Herbst <strong>de</strong>s Jahres 1844 festlegte, steht unbestritten da.<br />

Wie<strong>de</strong>rholte Versuche, neue Daten für <strong>de</strong>n Anfang und das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r prophetischen<br />

Zeitangaben zu fin<strong>de</strong>n, und unbegrün<strong>de</strong>te Behauptungen, die notwendig sind, um <strong>de</strong>n neu<br />

eingenommenen Standpunkt zu verteidigen, lenken die Gedanken nicht nur von <strong>de</strong>r<br />

gegenwärtigen Wahrheit ab, son<strong>de</strong>rn häufen auch Verachtung auf jeglichen Versuch, die<br />

Weissagungen zu erklären. Je häufiger eine bestimmte Zeit für die Wie<strong>de</strong>rkunft festgesetzt<br />

und je weiter sie verbreitet wird, <strong>de</strong>sto besser paßt es in die Absichten Satans. Ist dann diese<br />

Zeit ergebnislos verstrichen, so bringt er Spott und Hohn über die Vertreter solcher<br />

Ansichten und häuft dadurch Schmach auf die große Adventbewegung von 1843 und 1844.<br />

Die in diesem Irrtum beharren, wer<strong>de</strong>n schließlich eine zu weit in die Zukunft<br />

hinausgerückte Zeit für die Wie<strong>de</strong>rkunft Christi festsetzen. Sie wer<strong>de</strong>n sich in falscher<br />

Sicherheit wiegen, und viele wer<strong>de</strong>n erst Aufklärung fin<strong>de</strong>n, wenn es zu spät ist.<br />

Die Geschichte Israels vor alters ist eine treffliche Veranschaulichung <strong>de</strong>r vergangenen<br />

Erfahrung <strong>de</strong>r Adventisten. Gott leitete sein Volk in <strong>de</strong>r Adventbewegung, gleichwie er die<br />

Kin<strong>de</strong>r Israel bei ihrem Auszug aus Ägypten führte. Durch die große Enttäuschung wur<strong>de</strong><br />

ihr Glaube geprüft, wie <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Hebräer am Roten Meer. Hätten sie immer <strong>de</strong>r leiten<strong>de</strong>n<br />

Hand vertraut, die in ihrer vergangenen Erfahrung mit ihnen gewesen war, so wür<strong>de</strong>n sie<br />

das Heil Gottes gesehen haben. Wenn alle, die in <strong>de</strong>r Bewegung <strong>de</strong>s Jahres 1844 vereint<br />

arbeiteten, die dritte Engelsbotschaft angenommen und sie in <strong>de</strong>r Kraft <strong>de</strong>s Heiligen Geistes<br />

verkündigt hätten, so wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Herr mächtig durch ihre Bemühungen gewirkt haben. Eine<br />

Flut von Licht hätte sich über die Welt ergossen, die Bewohner <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> wären schon vor<br />

Jahren gewarnt, das Schlußwerk vollen<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n, und Christus wäre zur Erlösung seines<br />

Volkes gekommen.<br />

Es lag nicht im Willen Gottes, daß Israel vierzig Jahre in <strong>de</strong>r Wüste umherziehen sollte;<br />

er wollte es unmittelbar ins Land Kanaan führen und es dort als ein heiliges und glückliches<br />

Volk ansie<strong>de</strong>ln. Aber „wir sehen, daß sie nicht haben können hineinkommen um <strong>de</strong>s<br />

Unglaubens willen“. Hebräer 3,19. Infolge ihres beständigen Abfalls kamen sie in <strong>de</strong>r<br />

Wüste um, und es wur<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>re erweckt, um in das Gelobte Land einzuziehen. Ebenso war<br />

es nicht <strong>de</strong>r Wille Gottes, daß die Wie<strong>de</strong>rkunft Christi so lange verziehen und sein Volk so<br />

viele Jahre in dieser sün<strong>de</strong>n- und sorgenbela<strong>de</strong>nen Welt verweilen sollte. Aber <strong>de</strong>r Unglaube<br />

trennte die Menschen von Gott. Als sie sich weigerten, die Aufgabe zu erfüllen, die er ihnen<br />

angewiesen hatte, wur<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>re berufen, die Botschaft zu verkündigen. Aus<br />

Barmherzigkeit gegen die Welt verzögert Christus sein Kommen, damit <strong>de</strong>n Sün<strong>de</strong>rn<br />

Gelegenheit geboten wer<strong>de</strong>, die Warnung zu vernehmen und in ihm Zuflucht zu fin<strong>de</strong>n vor<br />

<strong>de</strong>m Zorn Gottes, <strong>de</strong>r ausgegossen wer<strong>de</strong>n soll.<br />

319


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Heute wie damals erregt die Verkündigung einer Wahrheit Wi<strong>de</strong>rstand, die die Sün<strong>de</strong>n<br />

und Irrtümer <strong>de</strong>r Zeit rügt. „Wer Arges tut, <strong>de</strong>r haßt das Licht und kommt nicht an das Licht,<br />

auf daß seine Werke nicht gestraft wer<strong>de</strong>n.“ Johannes 3,20. Wenn Menschen sehen, daß sie<br />

ihre Auffassung nicht durch die Heilige Schrift begrün<strong>de</strong>n können, entschließen sich viele,<br />

ihren Standpunkt um je<strong>de</strong>n Preis zu verteidigen, und greifen mit boshaftem Geist <strong>de</strong>n<br />

Charakter und die Beweggrün<strong>de</strong> <strong>de</strong>rer an, die die unbeliebten Wahrheiten verteidigen. Diese<br />

Handlungsweise ist in allen Zeiten verfolgt wor<strong>de</strong>n. Elia wur<strong>de</strong> angeschuldigt, daß er Israel<br />

verwirrte, Jeremia, daß er es verriete, Paulus, daß er <strong>de</strong>n Tempel schän<strong>de</strong>te. Von jener Zeit<br />

bis auf <strong>de</strong>n heutigen Tag sind die, welche <strong>de</strong>r Wahrheit treu bleiben wollten, als Empörer,<br />

Ketzer und Abtrünnige gebrandmarkt wor<strong>de</strong>n. Die vielen, die zu ungläubig sind, das feste<br />

prophetische Wort anzunehmen, wer<strong>de</strong>n mit einer Leichtgläubigkeit, die keinen Zweifel<br />

zuläßt, <strong>de</strong>n Anklagen gegen diejenigen Glauben schenken, die es wagen, volkstümliche<br />

Sün<strong>de</strong>n zu rügen. Dieser Geist wird beständig zunehmen. Die Bibel lehrt <strong>de</strong>utlich, daß eine<br />

Zeit naht, in <strong>de</strong>r die staatlichen Gesetze <strong>de</strong>rart mit <strong>de</strong>n göttlichen Gesetzen in Wi<strong>de</strong>rspruch<br />

geraten, daß je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r alle göttlichen Vorschriften halten will, Schmach und Strafe wie ein<br />

Übeltäter herausfor<strong>de</strong>rn muß.<br />

Was ist angesichts dieser Aussichten die Pflicht <strong>de</strong>s Boten <strong>de</strong>r Wahrheit? Soll er<br />

annehmen, daß die Wahrheit nicht vorgetragen wer<strong>de</strong>n darf, da ihre einzige Wirkung oft nur<br />

darin besteht, daß die Menschen aufgestachelt wer<strong>de</strong>n, ihren For<strong>de</strong>rungen auszuweichen<br />

o<strong>de</strong>r ihnen zu wi<strong>de</strong>rstehen? Nein; er hat nicht mehr Ursache, das Zeugnis <strong>de</strong>s Wortes Gottes<br />

zurückzuhalten, weil es Wi<strong>de</strong>rstand erweckt, als früher die Reformatoren. Das Bekenntnis<br />

<strong>de</strong>s Glaubens, das Heilige und Märtyrer ablegten, wur<strong>de</strong> zum Nutzen <strong>de</strong>r nachfolgen<strong>de</strong>n<br />

Geschlechter berichtet. Diese lebendigen Beispiele <strong>de</strong>r Heiligkeit und unverwandten<br />

Aufrichtigkeit sind uns erhalten wor<strong>de</strong>n, damit alle, die jetzt als Zeugen für <strong>de</strong>n Herrn<br />

berufen sind, gestärkt wer<strong>de</strong>n können. Sie empfingen Gna<strong>de</strong> und Wahrheit nicht für sich<br />

allein, son<strong>de</strong>rn damit durch sie die Er<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Erkenntnis Gottes erleuchtet wür<strong>de</strong>. Hat<br />

Gott seinen Dienern in diesem Geschlecht Licht gegeben? Dann sollen sie es vor <strong>de</strong>r Welt<br />

leuchten lassen. Vor alters erklärte <strong>de</strong>r Herr einem, <strong>de</strong>r in seinem Namen re<strong>de</strong>te: „Das Haus<br />

Israel will dich nicht hören, <strong>de</strong>nn sie wollen mich selbst nicht hören.“ Dennoch sollst du<br />

„ihnen meine Worte sagen, sie gehorchen o<strong>de</strong>r lassen‘s“. Hesekiel 3,7; Hesekiel 2,7. An <strong>de</strong>n<br />

Diener Gottes heute ergeht <strong>de</strong>r Auftrag: „Rufe getrost, schone nicht, erhebe <strong>de</strong>ine Stimme<br />

wie eine Posaune und verkündige meinem Volk ihr Übertreten und <strong>de</strong>m Hause Jakob ihre<br />

Sün<strong>de</strong>n.“ Jesaja 58,1.<br />

Soweit die Gelegenheiten reichen, steht je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r das Licht <strong>de</strong>r Wahrheit erhalten hat,<br />

unter <strong>de</strong>r gleichen ernsten und furchtbaren Verantwortung wie <strong>de</strong>r Prophet Israels, <strong>de</strong>m das<br />

Wort <strong>de</strong>s Herrn galt: „Du Menschenkind, ich habe dich zu einem Wächter gesetzt über das<br />

Haus Israel, wenn du etwas aus meinem Mun<strong>de</strong> hörst, daß du sie von meinetwegen warnen<br />

sollst. Wenn ich nun zu <strong>de</strong>m Gottlosen sage: Du Gottloser mußt <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s sterben! und du<br />

sagst ihm solches nicht, daß sich <strong>de</strong>r Gottlose warnen lasse vor seinem Wesen, so wird wohl<br />

<strong>de</strong>r Gottlose um seines gottlosen Wesens willen sterben; aber sein Blut will ich von <strong>de</strong>iner<br />

320


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Hand for<strong>de</strong>rn. Warnest du aber <strong>de</strong>n Gottlosen vor seinem Wesen, daß er sich davon bekehre,<br />

und er will sich nicht von seinem Wesen bekehren, so wird er um seiner Sün<strong>de</strong> willen<br />

sterben, und du hast <strong>de</strong>ine Seele errettet.“ Hesekiel 33,7-9.<br />

Was die Annahme und Verbreitung <strong>de</strong>r Wahrheit am meisten hin<strong>de</strong>rt, ist die Tatsache,<br />

daß sie Unannehmlichkeiten und Vorwürfe mit sich bringt. Dies ist das einzige Argument,<br />

das ihre Verteidiger nie zu wi<strong>de</strong>rlegen vermochten. Das aber kann die wahren Nachfolger<br />

Christi nicht abschrecken. Sie warten nicht darauf, bis die Wahrheit volkstümlich ist. Von<br />

ihrer Pflicht überzeugt, nehmen sie mit Vorbedacht das Kreuz an und sind mit <strong>de</strong>m Apostel<br />

Paulus überzeugt, daß „unsre Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über<br />

alle Maßen wichtige Herrlichkeit“ (2.Korinther 4,17), und halten gleich <strong>de</strong>n Alten „die<br />

Schmach Christi für größern Reichtum <strong>de</strong>nn die Schätze Ägyptens“. Hebräer 11,26.<br />

Nur solche, die von Herzen <strong>de</strong>r Welt dienen, wer<strong>de</strong>n, was auch immer ihr Bekenntnis<br />

sein mag, in religiösen Dingen mehr aus Weltklugheit als nach echten Grundsätzen han<strong>de</strong>ln.<br />

Wir sollten das Rechte wählen, weil es das Rechte ist, und die Folgen Gott anheimstellen.<br />

Grundsatztreuen, glaubensstarken und mutigen Männern hat die Welt ihre großen Reformen<br />

zu danken. Von ebenso gesinnten Männern muß das Werk <strong>de</strong>r Erneuerung in unserer Zeit<br />

weitergeführt wer<strong>de</strong>n. So spricht <strong>de</strong>r Herr: „Höret mir zu, die ihr die Gerechtigkeit kennt, du<br />

Volk, in <strong>de</strong>ssen Herzen mein Gesetz ist! Fürchtet euch nicht, wenn euch die Leute schmähen;<br />

und wenn sie euch lästern, verzaget nicht! Denn die Motten wer<strong>de</strong>n sie fressen wie ein Kleid,<br />

und Würmer wer<strong>de</strong>n sie fressen wie wollenes Tuch; aber meine Gerechtigkeit bleibt<br />

ewiglich und mein Heil für und für.“ Jesaja 51,7.8.<br />

321


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 27- Erweckungen <strong>de</strong>r Neuzeit<br />

Wo jemals das Wort Gottes gewissenhaft gepredigt wur<strong>de</strong>, zeitigte es Früchte, die<br />

seinen göttlichen Ursprung bezeugten. Der Geist Gottes begleitete die Botschaft seiner<br />

Diener, und das Wort wirkte mächtig. Sün<strong>de</strong>r fühlten ihr Gewissen angerührt. Das „Licht,<br />

welches alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen“ (Johannes 1,9), erhellte das<br />

Innerste ihrer Seelen, und die verborgenen Dinge <strong>de</strong>r Finsternis wur<strong>de</strong>n offenbar. Sie<br />

zeigten sich von <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r Gerechtigkeit und <strong>de</strong>m kommen<strong>de</strong>n Gericht überzeugt; ihre<br />

Gemüter und Herzen waren davon ergriffen. Sie hatten einen Begriff von <strong>de</strong>r Gerechtigkeit<br />

<strong>de</strong>s Herrn und erschraken bei <strong>de</strong>m Gedanken, in ihrer Schuld und Unreinigkeit vor <strong>de</strong>m zu<br />

erscheinen, <strong>de</strong>r die Herzen erforscht. In ihrer Angst riefen sie aus: „Wer wird mich erlösen<br />

von <strong>de</strong>m Leibe dieses To<strong>de</strong>s?“ Römer 7,24. Als das Kreuz auf Golgatha mit seinem<br />

unermeßlichen Opfer für die Sün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Menschheit offenbar wur<strong>de</strong>, erkannten sie, daß<br />

nichts an<strong>de</strong>res als die Verdienste Christi genügen, ihre Übertretungen zu sühnen; sie allein<br />

können <strong>de</strong>n Menschen wie<strong>de</strong>r mit Gott versöhnen. Gläubig und <strong>de</strong>mütig nahmen sie das<br />

Lamm Gottes an, das <strong>de</strong>r Welt Sün<strong>de</strong> trägt. Durch Jesu Blut hatten sie Vergebung ihrer<br />

Sün<strong>de</strong>n erlangt.<br />

Diese Seelen brachten rechtschaffene Früchte <strong>de</strong>r Buße hervor. Sie glaubten, ließen sich<br />

taufen und stan<strong>de</strong>n auf zu einem neuen Leben, zu neuen Kreaturen in Jesus Christus, nicht<br />

etwa um nach ihren früheren Lüsten zu wan<strong>de</strong>ln, son<strong>de</strong>rn um durch <strong>de</strong>n Glauben an <strong>de</strong>n<br />

Sohn Gottes seinen Fußspuren zu folgen, seinen Charakter wi<strong>de</strong>rzuspiegeln und sich zu<br />

reinigen, gleichwie er rein ist. Was sie einst haßten, liebten sie nun, und was ihnen einst<br />

angenehm war, verabscheuten sie jetzt. Die Hochmütigen und Rechthaberischen wur<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>mütig und sanftmütig, die Eitlen und Anmaßen<strong>de</strong>n beschei<strong>de</strong>n und zurückhaltend, die<br />

Lästerer ehrfurchtsvoll, die Säufer nüchtern und die Verworfenen tugendhaft. Die eitlen<br />

Mo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Welt legten sie beiseite. Christen suchten nicht <strong>de</strong>n äußerlichen Schmuck „mit<br />

Haarflechten und Goldumhängen o<strong>de</strong>r Klei<strong>de</strong>ranlegen“, son<strong>de</strong>rn ihre Zier<strong>de</strong> war „<strong>de</strong>r<br />

verborgene Mensch <strong>de</strong>s Herzens unverrückt mit sanftem und stillem Geiste; das ist köstlich<br />

vor Gott“. 1.Petrus 3,3.4.<br />

Erweckungen führten zu gründlicher Selbstprüfung und zu Demut. Sie waren<br />

gekennzeichnet durch feierliche, ernste Aufrufe an die Sün<strong>de</strong>r und inniges Erbarmen mit<br />

<strong>de</strong>nen, die durch Christi Blut erkauft waren. Männer und Frauen beteten und rangen mit<br />

Gott um die Errettung von Seelen. Die Früchte solcher Erweckungen waren Menschen, die<br />

vor Selbstverleugnung und Opfer nicht zurückschreckten, son<strong>de</strong>rn sich freuten, daß man sie<br />

für würdig befun<strong>de</strong>n hatte, um Christi willen Schmach und Anfechtung zu erdul<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>m<br />

Leben <strong>de</strong>rer, die <strong>de</strong>n Namen Jesu bekannt hatten, nahm man eine Wandlung wahr. Ihr<br />

Einfluß belebte die Gemein<strong>de</strong>. Sie sammelten mit Christus und säten auf <strong>de</strong>n Geist, um das<br />

ewige Leben zu ernten.<br />

322


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Man konnte von ihnen sagen: „Daß ihr seid betrübt wor<strong>de</strong>n ... zur Reue ... Denn die<br />

göttliche Traurigkeit wirkt zur Seligkeit eine Reue, die niemand gereut; die Traurigkeit aber<br />

<strong>de</strong>r Welt wirkt <strong>de</strong>n Tod. Siehe, daß ihr göttlich seid betrübt wor<strong>de</strong>n, welchen Fleiß hat das<br />

in euch gewirkt, dazu Verantwortung, Zorn, Furcht, Verlangen, Eifer, Rache! Ihr habt euch<br />

bewiesen in allen Stücken, daß ihr rein seid in <strong>de</strong>r Sache.“ 2.Korinther 7,9-11. So wirkt <strong>de</strong>r<br />

Geist Gottes. Erneuerung unseres Wesens ist <strong>de</strong>r Beweis echter Reue. Wenn <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>r sein<br />

Gelüb<strong>de</strong> erfüllt, zurückgibt, was er geraubt hat, seine Sün<strong>de</strong>n bekennt und Gott und seine<br />

Mitmenschen liebt, dann darf er sicher sein, Frie<strong>de</strong>n mit Gott gefun<strong>de</strong>n zu haben. Derart<br />

waren die Wirkungen, die in früheren Jahren <strong>de</strong>n Zeiten religiöser Erweckung folgten.<br />

In<strong>de</strong>m man nach ihren Früchten urteilte, erkannte man, daß <strong>de</strong>r Herr sie bei <strong>de</strong>m Bemühen,<br />

Seelen zu retten und die Menschheit zu erheben, segnete.<br />

Viele Erweckungen <strong>de</strong>r Neuzeit zeigen jedoch einen be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Unterschied<br />

gegenüber <strong>de</strong>n Bekundungen <strong>de</strong>r göttlichen Gna<strong>de</strong>, die in früheren Zeiten das Wirken <strong>de</strong>r<br />

Diener Gottes begleiteten. Wohl wird weit und breit Anteilnahme hervorgerufen; viele<br />

geben vor, bekehrt zu sein, und die Kirchen verzeichnen großen Zuwachs; <strong>de</strong>nnoch sind die<br />

Ergebnisse nicht so, daß sie die Annahme rechtfertigten, auch das wirkliche geistliche<br />

Leben hätte entsprechend zugenommen. Das nur kurz aufflammen<strong>de</strong> Feuer verlöscht bald<br />

wie<strong>de</strong>r und hinterläßt dichtere Finsternis als zuvor.<br />

Volkstümliche Erweckungen wer<strong>de</strong>n zu oft dadurch bewirkt, daß man sich an die<br />

Einbildungskraft wen<strong>de</strong>t, die Gefühle anregt und die Liebe zu etwas Neuem und<br />

Aufregen<strong>de</strong>m befriedigt. Die auf solche Weise gewonnenen Bekehrten haben nur wenig<br />

Verlangen nach biblischen Wahrheiten und kaum Interesse an <strong>de</strong>m Zeugnis <strong>de</strong>r Propheten<br />

und Apostel. Es sei <strong>de</strong>nn, ein Gottesdienst trägt einen aufsehenerregen<strong>de</strong>n Charakter, sonst<br />

hat er nichts Anziehen<strong>de</strong>s für sie. Eine Botschaft, die sich an <strong>de</strong>n nüchternen Verstand<br />

richtet, fin<strong>de</strong>t keinen Anklang. Die einfachen Warnungen <strong>de</strong>s Wortes Gottes, die sich<br />

unmittelbar auf ihr ewiges Wohl beziehen, bleiben unbeachtet. Die große Lebensfrage je<strong>de</strong>r<br />

wahrhaft bekehrten Seele wird die Stellung zu Gott und Ewigkeit sein. Doch wo fin<strong>de</strong>t sich<br />

in <strong>de</strong>n allgemeinen Kirchen <strong>de</strong>r Gegenwart <strong>de</strong>r Geist <strong>de</strong>r Hingabe an Gott? Die Bekehrten<br />

entsagen we<strong>de</strong>r ihrem Hochmut noch ihrer Weltliebe. Sie zeigen jetzt nicht mehr<br />

Bereitschaft als vor ihrer Bekehrung, sich selbst zu verleugnen, ihr Kreuz auf sich zu<br />

nehmen und <strong>de</strong>m sanftmütigen und <strong>de</strong>mütigen Jesus nachzufolgen. Die Religion ist <strong>de</strong>n<br />

Ungläubigen und Zweiflern zum Hohn gewor<strong>de</strong>n, weil so viele, die ihren Namen tragen, mit<br />

ihren Grundsätzen nicht bekannt sind. Die Kraft <strong>de</strong>r Gottseligkeit ist fast aus <strong>de</strong>n Kirchen<br />

gewichen. Ausflüge, Schauspiele, Basare, großartige Wohnungen und persönlicher<br />

Aufwand haben die Gedanken an Gott verbannt. Hab und Gut sowie weltliche<br />

Beschäftigungen nehmen die Gedanken in Anspruch, und Dinge von Ewigkeitswert fin<strong>de</strong>n<br />

kaum vorübergehen<strong>de</strong> Beachtung.<br />

So sehr auch Glaube und Frömmigkeit schwin<strong>de</strong>n, so gibt es in <strong>de</strong>n Kirchen doch noch<br />

wahre Nachfolger Christi. Ehe Gott zum letztenmal die Welt mit seinen Gerichten<br />

323


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

heimsucht, wird sein Volk erweckt wer<strong>de</strong>n zu <strong>de</strong>r ursprünglichen Gottseligkeit, wie sie seit<br />

<strong>de</strong>m apostolischen Zeitalter nicht gesehen wur<strong>de</strong>. Der Geist und die Kraft Gottes wer<strong>de</strong>n<br />

über seine Kin<strong>de</strong>r ausgegossen wer<strong>de</strong>n. Zu <strong>de</strong>r Zeit wer<strong>de</strong>n sich viele von <strong>de</strong>n Kirchen<br />

trennen, in <strong>de</strong>nen die Liebe zur Welt die Stelle <strong>de</strong>r Liebe zu Gott und seinem Wort<br />

eingenommen hat. Viele Prediger und Laien wer<strong>de</strong>n mit Freu<strong>de</strong>n jene großen Wahrheiten<br />

annehmen, die Gott hat verkündigen lassen, um ein Volk auf die Wie<strong>de</strong>rkunft <strong>de</strong>s Herrn<br />

vorzubereiten. Der Seelenfeind möchte dieses Werk gern verhin<strong>de</strong>rn und wird, ehe die Zeit<br />

dieser Bewegung anbricht, versuchen, es zu verfälschen. In <strong>de</strong>n Kirchen, die er unter seine<br />

betrügerische Macht bringen kann,wird er <strong>de</strong>n Anschein erwecken, als wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>re<br />

Segen Gottes auf sie ausgegossen, weil sich hier, wie man meint, ein tiefes religiöses<br />

Erwachen bekun<strong>de</strong>t. Viele Menschen wer<strong>de</strong>n jubeln, daß Gott auf wun<strong>de</strong>rbare Weise für sie<br />

wirke, während doch diese Bewegung das Wirken eines an<strong>de</strong>rn Geistes ist. In religiösem<br />

Gewan<strong>de</strong> wird Satan versuchen, seinen Einfluß über die ganze christliche Welt auszubreiten.<br />

Bei vielen Erweckungen, die sich während <strong>de</strong>r letzten fünfzig Jahre zugetragen haben,<br />

waren mehr o<strong>de</strong>r weniger die gleichen Einflüsse am Wirken, die sich auch in <strong>de</strong>n<br />

ausge<strong>de</strong>hnteren Bewegungen <strong>de</strong>r Zukunft zeigen wer<strong>de</strong>n. Es herrscht schon jetzt eine<br />

Gefühlserregung, eine Vermischung <strong>de</strong>s Wahren mit <strong>de</strong>m Falschen, die trefflich dazu<br />

angetan ist, irrezuführen. Doch niemand braucht sich täuschen zu lassen. Im Lichte <strong>de</strong>s<br />

Wortes Gottes wird es nicht schwer sein, das Wesen dieser Bewegungen festzustellen. Wir<br />

dürfen sicher sein, daß Gottes Segen nicht dort ausgeteilt wird, wo man das Zeugnis <strong>de</strong>r<br />

Bibel vernachlässigt, in<strong>de</strong>m man sich von <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utlichen, die Seele prüfen<strong>de</strong>n Wahrheiten,<br />

die Selbstverleugnung und ein Sichlossagen von <strong>de</strong>r Welt erfor<strong>de</strong>rn, abwen<strong>de</strong>t. Nach <strong>de</strong>m<br />

Maßstab, <strong>de</strong>n Christus selbst seinen Jüngern gegeben hat: „An ihren Früchten sollt ihr sie<br />

erkennen!“ (Matthäus 7,16), wird es offenbar, daß diese Bewegungen nicht das Werk <strong>de</strong>s<br />

Geistes Gottes sind.<br />

In <strong>de</strong>n Wahrheiten seines Wortes hat Gott <strong>de</strong>n Menschen eine Offenbarung seiner selbst<br />

geschenkt; und allen, die sie annehmen, sind sie ein Schild gegen die Täuschungen Satans.<br />

Die Vernachlässigung dieser Wahrheiten hat <strong>de</strong>n Übeln, die sich jetzt in <strong>de</strong>r religiösen Welt<br />

so weit verbreiten, die Tore geöffnet. Das Wesen und die Wichtigkeit <strong>de</strong>s Gesetzes Gottes<br />

hat man in erheblichem Maße aus <strong>de</strong>n Augen verloren. Da man <strong>de</strong>n Charakter, die<br />

Wichtigkeit und die Verbindlichkeit <strong>de</strong>s göttlichen Gesetzes verkannte, ist man auch<br />

bezüglich <strong>de</strong>r Bekehrung und Heiligung irregegangen und hat dadurch <strong>de</strong>n Maßstab <strong>de</strong>r<br />

Frömmigkeit in <strong>de</strong>n Kirchen herabgedrückt. Hier liegt das Geheimnis, weshalb <strong>de</strong>n<br />

Erweckungen unserer Zeit <strong>de</strong>r Geist und die Kraft Gottes fehlen.<br />

Es gibt in <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen religiösen Gemeinschaften Männer, die sich durch ihre<br />

Frömmigkeit auszeichnen und die jene Tatsachen eingestehen und beklagen. Prof. Eduard<br />

Park sagte bezüglich <strong>de</strong>r landläufigen religiösen Gefahren Amerikas treffend: „Eine Quelle<br />

<strong>de</strong>r Gefahr ist die Vernachlässigung <strong>de</strong>r Kanzel, das göttliche Gesetz einzuschärfen. In<br />

früheren Tagen war die Kanzel ein Wi<strong>de</strong>rhall <strong>de</strong>r Stimme <strong>de</strong>s Gewissens ... Unsere<br />

324


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

glänzendsten Prediger verliehen ihren Predigten eine wun<strong>de</strong>rbare Majestät dadurch, daß sie<br />

<strong>de</strong>m Beispiel <strong>de</strong>s Meisters folgten und das Gesetz, seine Gebote und seine Drohungen<br />

hervorhoben. Sie wie<strong>de</strong>rholten die bei<strong>de</strong>n großen Grundsätze, daß das Gesetz ein Abbild <strong>de</strong>r<br />

göttlichen Vollkommenheit ist, und daß ein Mensch, <strong>de</strong>r das Gesetz nicht liebt, auch das<br />

Evangelium nicht liebt; <strong>de</strong>nn das Gesetz sowie das Evangelium sind ein Spiegel, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />

wahren Charakter Gottes wi<strong>de</strong>rstrahlt. Diese Gefahr führt zu einer an<strong>de</strong>ren, nämlich die<br />

Schlechtigkeit <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>, ihre Aus<strong>de</strong>hnung und Strafwürdigkeit zu unterschätzen. Wie das<br />

Gesetz recht ist, ist <strong>de</strong>r Ungehorsam unrecht ...<br />

Verwandt mit <strong>de</strong>n bereits erwähnten Gefahren ist das Wagnis, die Gerechtigkeit Gottes<br />

zu unterschätzen. Die Neigung <strong>de</strong>s mo<strong>de</strong>rnen Kanzelredners geht dahin, die göttliche<br />

Gerechtigkeit von <strong>de</strong>r göttlichen Güte abzuson<strong>de</strong>rn und die Güte mehr zu einem Gefühl<br />

herabzuwürdigen, als zu einem Grundsatz zu erheben. Die neue theologische Schau schei<strong>de</strong>t,<br />

was <strong>de</strong>r Herr zusammengefügt hat. Ist das göttliche Gesetz etwas Gutes o<strong>de</strong>r Böses? — Es<br />

ist etwas Gutes. Dann ist auch die Gerechtigkeit gut; <strong>de</strong>nn sie ist die Willensneigung, das<br />

Gesetz auszuführen. Aus <strong>de</strong>r Gewohnheit, die göttliche Gerechtigkeit und das göttliche<br />

Gesetz, die Aus<strong>de</strong>hnung und Strafbarkeit menschlichen Ungehorsams zu unterschätzen,<br />

neigt <strong>de</strong>r Mensch leicht dazu, die Gna<strong>de</strong> geringzuachten, die eine Sühne für die Sün<strong>de</strong><br />

gebracht hat.“ Auf diese Weise verliert das Evangelium seinen Wert und seine Wichtigkeit<br />

in <strong>de</strong>n Gemütern <strong>de</strong>r Menschen, die bald darauf bereit sind, in Wirklichkeit die Bibel selbst<br />

zu verwerfen.<br />

Viele Religionslehrer behaupten, Christus habe durch seinen Tod das Gesetz<br />

abgeschafft und die Menschen seien künftig von seinen Anfor<strong>de</strong>rungen entbun<strong>de</strong>n. Es gibt<br />

etliche, die es als ein schweres Joch hinstellen und im Gegensatz zu <strong>de</strong>r Gebun<strong>de</strong>nheit <strong>de</strong>s<br />

Gesetzes die unter <strong>de</strong>m Evangelium zu genießen<strong>de</strong> Freiheit hochhalten. Ganz an<strong>de</strong>rs jedoch<br />

betrachteten die Propheten und Apostel das heilige Gesetz Gottes. David sagte: „Ich wandle<br />

fröhlich; <strong>de</strong>nn ich suche <strong>de</strong>ine Befehle.“ Psalm 119,45. Der Apostel Jakobus, <strong>de</strong>r nach<br />

Christi Tod schrieb, nennt die Zehn Gebote „das königliche Gesetz“, „das vollkommene<br />

Gesetz <strong>de</strong>r Freiheit“. Jakobus 2,8; Jakobus 1,25.<br />

Die Offenbarung spricht mehr als ein halbes Jahrhun<strong>de</strong>rt nach <strong>de</strong>r Kreuzigung einen<br />

Segen über die aus, „die seine Gebote halten, auf daß sie Macht haben an <strong>de</strong>m Holz <strong>de</strong>s<br />

Lebens und zu <strong>de</strong>n Toren eingehen in die Stadt“. Offenbarung 22,14. Die Behauptung, daß<br />

Christus durch seinen Tod das Gesetz seines Vaters abgeschafft habe, entbehrt je<strong>de</strong>r<br />

Grundlage. Wäre es möglich gewesen, das Gesetz zu verän<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r zu beseitigen, dann<br />

hätte Christus nicht zu sterben brauchen, um <strong>de</strong>n Menschen von <strong>de</strong>r Strafe <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> zu<br />

retten. Weit davon entfernt, das Gesetz abzuschaffen, beweist <strong>de</strong>r Tod Christi, daß es<br />

unverän<strong>de</strong>rlich ist. Der Sohn Gottes ist gekommen, „daß er das Gesetz herrlich und groß<br />

mache“. Jesaja 42,21. Er sprach: „Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen bin, das Gesetz<br />

o<strong>de</strong>r die Propheten aufzulösen ... Bis daß Himmel und Er<strong>de</strong> zergehe, wird nicht zergehen<br />

<strong>de</strong>r kleinste Buchstabe noch ein Tüttel vom Gesetz, bis daß es alles geschehe.“<br />

325


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Matthäus 5,17.18. Und von sich selbst sagt er: „Deinen Willen, mein Gott, tue ich gern,<br />

und <strong>de</strong>in Gesetz habe ich in meinem Herzen.“ Psalm 40,9. Das Gesetz Gottes ist schon von<br />

Natur aus unwan<strong>de</strong>lbar. Es ist eine Offenbarung <strong>de</strong>s Willens und <strong>de</strong>s Wesens seines<br />

Urhebers. Gott ist die Liebe und sein Gesetz ist Liebe. Die bei<strong>de</strong>n großen Grundsätze <strong>de</strong>s<br />

Gesetzes sind Liebe zu Gott und zu <strong>de</strong>n Menschen. „So ist nun die Liebe <strong>de</strong>s Gesetzes<br />

Erfüllung.“ Römer 3,10. Das Wesen Gottes ist Gerechtigkeit und Wahrheit; so ist auch sein<br />

Gesetz. Der Psalmist sagt: „Dein Gesetz ist Wahrheit“; „alle <strong>de</strong>ine Gebote sind recht“.<br />

Psalm 119,142.172. Und Paulus erklärt: „Das Gesetz ist ja heilig, und das Gebot ist heilig,<br />

recht und gut.“ Römer 7,12. Solch ein Gesetz, das Ausdruck <strong>de</strong>s Geistes und <strong>de</strong>s Willens<br />

Gottes ist, muß ebenso beständig sein wie sein Gesetzgeber.<br />

Es ist das Werk <strong>de</strong>r Bekehrung und <strong>de</strong>r Heiligung, die Menschen dadurch mit Gott zu<br />

versöhnen, daß sie mit <strong>de</strong>n Grundsätzen seines Gesetzes in Einklang gebracht wer<strong>de</strong>n. Am<br />

Anfang wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Mensch nach <strong>de</strong>m Ebenbild Gottes geschaffen. Er lebte in vollkommener<br />

Übereinstimmung mit <strong>de</strong>r Natur und mit <strong>de</strong>m Gesetz Gottes; die Grundsätze <strong>de</strong>r<br />

Gerechtigkeit waren ihm ins Herz geschrieben. Doch die Sün<strong>de</strong> entfrem<strong>de</strong>te ihn seinem<br />

Schöpfer. Er spiegelte nicht länger das göttliche Ebenbild wi<strong>de</strong>r. Sein Herz stand <strong>de</strong>n<br />

Grundsätzen <strong>de</strong>s Gesetzes Gottes feindlich gegenüber. „Denn fleischlich gesinnt sein ist<br />

eine Feindschaft wi<strong>de</strong>r Gott, sintemal das Fleisch <strong>de</strong>m Gesetz Gottes nicht untertan ist; <strong>de</strong>nn<br />

es vermag‘s auch nicht.“ Römer 8,7. Doch „also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen<br />

eingeborenen Sohn gab“, damit <strong>de</strong>r Mensch mit Gott versöhnt wer<strong>de</strong>n könne. Durch die<br />

Verdienste Christi kann er mit seinem Schöpfer in Übereinstimmung gebracht wer<strong>de</strong>n. Sein<br />

Herz muß durch die göttliche Gna<strong>de</strong> erneuert wer<strong>de</strong>n; er muß ein neues Leben von oben<br />

empfangen. Diese Umwandlung ist die Wie<strong>de</strong>rgeburt, ohne die, wie Jesus sagt, niemand das<br />

Reich Gottes sehen kann.<br />

Der erste Schritt in <strong>de</strong>r Versöhnung mit Gott ist die Überzeugung von <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>. „Die<br />

Sün<strong>de</strong> besteht in <strong>de</strong>r Übertretung <strong>de</strong>s Gesetzes.“ „Durch das Gesetz kommt Erkenntnis <strong>de</strong>r<br />

Sün<strong>de</strong>.“ 1.Johannes 3,4 (v. Eß) und Grundtext: Römer 3,20. Um seine Schuld zu erkennen,<br />

muß sich <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>r nach Gottes großem Maßstab <strong>de</strong>r Gerechtigkeit prüfen. Das Gesetz ist<br />

ein Spiegel, <strong>de</strong>r die Vollkommenheit eines gerechten Charakters zeigt und <strong>de</strong>n Menschen<br />

befähigt, seine Fehler einzusehen. Das Gesetz offenbart <strong>de</strong>m Menschen seine Sün<strong>de</strong>; aber es<br />

sieht keinen Heilsweg vor. Während es <strong>de</strong>m Gehorsamen Leben verheißt, erklärt es, daß <strong>de</strong>r<br />

Tod das Los <strong>de</strong>s Übertreters ist. Das Evangelium Christi allein vermag ihn von <strong>de</strong>r<br />

Verdammnis o<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Befleckung <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> zu befreien. Er muß Buße tun vor Gott,<br />

<strong>de</strong>ssen Gesetz er übertreten hat, und an Christus, sein Sühnopfer, glauben. Dadurch wer<strong>de</strong>n<br />

ihm seine Sün<strong>de</strong>n vergeben, und er wird Teilhaber <strong>de</strong>r göttlichen Natur. Er ist ein Kind<br />

Gottes und hat <strong>de</strong>n Geist <strong>de</strong>r Kindschaft empfangen, durch <strong>de</strong>n er ausruft: „Abba, lieber<br />

Vater!“ Römer 8,15.<br />

Steht es ihm nun frei, Gottes Gesetz zu übertreten? Paulus fragt: „Wie? Heben wir <strong>de</strong>nn<br />

das Gesetz auf durch <strong>de</strong>n Glauben? Das sei ferne! son<strong>de</strong>rn wir richten das Gesetz auf.“ „Wie<br />

326


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

sollten wir in <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> wollen leben, <strong>de</strong>r wir abgestorben sind?“ Und Johannes erklärt:<br />

„Das ist die Liebe zu Gott, daß wir seine Gebote halten; und seine Gebote sind nicht<br />

schwer.“ Römer 3,31; Römer 6,2; 1.Johannes 5,3. Bei <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rgeburt wird das Herz in<br />

Harmonie mit Gott, in Einklang mit seinem Gesetz gebracht. Ist diese gewaltige<br />

Umgestaltung im Herzen <strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong>rs erfolgt, so hat er <strong>de</strong>n Weg vom To<strong>de</strong> zum Leben, von<br />

<strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> zur Heiligkeit, von <strong>de</strong>r Übertretung und Empörung zum Gehorsam und zur Treue<br />

beschritten. Das alte Leben <strong>de</strong>r Entfremdung von Gott hat aufgehört; das neue Leben <strong>de</strong>r<br />

Versöhnung, <strong>de</strong>s Glaubens und <strong>de</strong>r Liebe hat begonnen. Dann wird „die Gerechtigkeit, vom<br />

Gesetz erfor<strong>de</strong>rt, in uns erfüllt ..., die wir nun nicht nach <strong>de</strong>m Fleische wan<strong>de</strong>ln, son<strong>de</strong>rn<br />

nach <strong>de</strong>m Geist“ (Römer 8,4) und <strong>de</strong>r Mensch spricht: „Wie habe ich <strong>de</strong>in Gesetz so lieb!<br />

Täglich re<strong>de</strong> ich davon.“ Psalm 119,97.<br />

„Durch das Gesetz kommt Erkenntnis <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>.“ Ohne das Gesetz hat <strong>de</strong>r Mensch<br />

keinen richtigen Begriff von <strong>de</strong>r Reinheit und Heiligkeit Gottes o<strong>de</strong>r von seiner eigenen<br />

Schuld und Unreinheit. Er ist von <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> nicht wirklich überzeugt und fühlt nicht das<br />

Verlangen, zu bereuen. Da er seinen verlorenen Zustand als Übertreter <strong>de</strong>s Gesetzes Gottes<br />

nicht erkennt, ist er sich nicht bewußt, daß er <strong>de</strong>s versöhnen<strong>de</strong>n Blutes Christi bedarf. Die<br />

Hoffnung <strong>de</strong>s Heils wird ohne eine gründliche Umgestaltung <strong>de</strong>s Herzens o<strong>de</strong>r Än<strong>de</strong>rung<br />

<strong>de</strong>s Lebenswan<strong>de</strong>ls angenommen. Auf diese Weise gibt es viele oberflächliche<br />

Bekehrungen, und ganze Scharen schließen sich <strong>de</strong>r Kirche an, die nie mit Christus vereint<br />

wor<strong>de</strong>n sind.<br />

Irrige Lehren <strong>de</strong>r Heiligung, die ebenfalls <strong>de</strong>r Vernachlässigung o<strong>de</strong>r Verwerfung <strong>de</strong>s<br />

göttlichen Gesetzes entspringen, nehmen in <strong>de</strong>n heutigen religiösen Bewegungen einen<br />

hervorragen<strong>de</strong>n Platz ein. Diese Ansichten sind nicht nur falsch in <strong>de</strong>r Lehre, son<strong>de</strong>rn auch<br />

gefährlich in ihrer praktischen Wirkung; durch die Tatsache, daß sie eine so allgemeine<br />

Annahme fin<strong>de</strong>n, ist es doppelt notwendig, daß alle <strong>de</strong>utlich verstehen, was die Schrift<br />

darüber lehrt. Wahre Heiligung ist eine biblische Lehre. Der Apostel Paulus erklärte in<br />

seinem Brief an die Thessalonicher: „Das ist <strong>de</strong>r Wille Gottes, eure Heiligung.“ Und er<br />

betete: „Er aber, <strong>de</strong>r Gott <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns, heilige euch durch und durch.“ 1.Thessalonicher 4,3;<br />

1.Thessalonicher 5,23. Die Bibel lehrt ein<strong>de</strong>utig, was Heiligung ist und wie sie erlangt<br />

wer<strong>de</strong>n kann. Der Heiland betete für seine Jünger: „Heilige sie in <strong>de</strong>iner Wahrheit; <strong>de</strong>in<br />

Wort ist die Wahrheit.“ Johannes 17,17. Und Paulus lehrte, daß die Gläubigen durch <strong>de</strong>n<br />

Heiligen Geist geheiligt wer<strong>de</strong>n sollen. Römer 5,16.<br />

Was ist das Werk <strong>de</strong>s Heiligen Geistes? Jesus sagte zu seinen Jüngern: „Wenn aber<br />

jener, <strong>de</strong>r Geist <strong>de</strong>r Wahrheit, kommen wird, <strong>de</strong>r wird euch in alle Wahrheit<br />

leiten.“ Johannes 16,13. Auch <strong>de</strong>r Psalmist sprach davon: „Dein Gesetz ist<br />

Wahrheit.“ Durch das Wort und <strong>de</strong>n Geist Gottes wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Menschen die erhabenen, im<br />

Gesetz Gottes verkörperten Grundsätze <strong>de</strong>r Gerechtigkeit erschlossen. Und da das Gesetz<br />

Gottes „heilig, recht und gut“ ist, ein Abbild <strong>de</strong>r göttlichen Vollkommenheit, so folgt daraus,<br />

daß ein im Gehorsam gegen jenes Gesetz geformter Charakter auch heilig sein wird.<br />

327


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Christus ist ein vollkommenes Beispiel eines solchen Charakters. Er sagt: „Gleichwie ich<br />

meines Vaters Gebote halte.“ „Ich tue allezeit, was ihm gefällt.“ Johannes 15,10; Johannes<br />

8,29. Die Nachfolger Christi sollen ihm gleich wer<strong>de</strong>n, sollen durch Gottes Gna<strong>de</strong><br />

Charaktere entwickeln, die mit <strong>de</strong>n Grundsätzen seines heiligen Gesetzes übereinstimmen.<br />

Nur so kann biblische Heiligung verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.<br />

Sie kann nur durch <strong>de</strong>n Glauben an Christus, durch die Macht <strong>de</strong>s innewohnen<strong>de</strong>n<br />

Geistes Gottes erreicht wer<strong>de</strong>n. Paulus ermahnt die Gläubigen: „Schaffet, daß ihr selig<br />

wer<strong>de</strong>t, mit Furcht und Zittern. Denn Gott ist‘s, <strong>de</strong>r in euch wirkt bei<strong>de</strong>s, das Wollen und<br />

das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen.“ Philipper 2,12.13. Der Christ wird <strong>de</strong>n Reiz<br />

<strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> fühlen; aber er wird sie beständig bekämpfen. Hier ist die Hilfe Christi vonnöten.<br />

Menschliche Schwäche verbin<strong>de</strong>t sich mit <strong>de</strong>r göttlichen Kraft, und <strong>de</strong>r Glaube ruft aus:<br />

„Gott aber sei Dank, <strong>de</strong>r uns <strong>de</strong>n Sieg gegeben hat durch unsern Herrn Jesus<br />

Christus!“ 1.Korinther 15,57. Die Heilige Schrift zeigt <strong>de</strong>utlich <strong>de</strong>n sich aufwärts<br />

entwickeln<strong>de</strong>n Charakter <strong>de</strong>r Heiligung. Wenn <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>r bei seiner Bekehrung durch das<br />

Blut <strong>de</strong>r Versöhnung Frie<strong>de</strong>n mit Gott fin<strong>de</strong>t, so hat das christliche Leben eben erst<br />

begonnen. Jetzt muß er „zur Vollkommenheit fahren“, heranwachsen zu einem<br />

vollkommenen Menschen, „<strong>de</strong>r da sei im Maße <strong>de</strong>s vollkommenen Alters Christi“. Hebräer<br />

6,1; Epheser 4,13.<br />

Der Apostel Paulus schreibt: „Eines aber sage ich: Ich vergesse, was dahinten ist, und<br />

strecke mich zu <strong>de</strong>m, das da vorne ist, und jage — nach <strong>de</strong>m vorgesteckten Ziel — nach<br />

<strong>de</strong>m Kleinod, welches vorhält die himmlische Berufung Gottes in Christo Jesu.“ Philipper<br />

3,13.14. Petrus zeigt uns die Schritte, die zum Erlangen biblischer Heiligung erfor<strong>de</strong>rlich<br />

sind: „So wen<strong>de</strong>t allen euren Fleiß daran und reicht dar in eurem Glauben Tugend und in <strong>de</strong>r<br />

Tugend Erkenntnis und in <strong>de</strong>r Erkenntnis Mäßigkeit und in <strong>de</strong>r Mäßigkeit Geduld und in <strong>de</strong>r<br />

Geduld Gottseligkeit und in <strong>de</strong>r Gottseligkeit brü<strong>de</strong>rliche Liebe und in <strong>de</strong>r brü<strong>de</strong>rlichen<br />

Liebe allgemeine Liebe; ... <strong>de</strong>nn wo ihr solches tut, wer<strong>de</strong>t ihr nicht straucheln.“ 2.Petrus<br />

1,5-10.<br />

Wer die biblische Heiligung an sich erfahren hat, wird einen <strong>de</strong>mütigen Geist bekun<strong>de</strong>n.<br />

Gleichwie Mose wird er die ehrfurchtgebieten<strong>de</strong> Majestät <strong>de</strong>r Heiligkeit erblicken und seine<br />

eigene Unwürdigkeit im Gegensatz zu <strong>de</strong>r Reinheit und <strong>de</strong>r erhabenen Vollkommenheit <strong>de</strong>s<br />

Ewigen gesehen haben. Der Prophet Daniel gab ein Beispiel wahrer Heiligung. Sein langes<br />

Leben war ausgefüllt mit edlem Dienst für seinen Meister. Der Bote vom Himmel nannte<br />

ihn „lieber Daniel“. Daniel 10,11. Statt jedoch zu behaupten, er sei rein und heilig, rechnete<br />

dieser geehrte Prophet sich selbst zu <strong>de</strong>m wahrhaft sündigen Israel, als er vor Gott für sein<br />

Volk Fürbitte einlegte. „Wir liegen vor dir mit unserm Gebet, nicht auf unsre Gerechtigkeit,<br />

son<strong>de</strong>rn auf <strong>de</strong>ine große Barmherzigkeit.“ „Wir haben ja gesündigt und sind lei<strong>de</strong>r gottlos<br />

gewesen ... Als ich noch so re<strong>de</strong>te und betete und meine und meines Volks Israel Sün<strong>de</strong><br />

bekannte.“ Als ihm zu späterer Zeit <strong>de</strong>r Sohn Gottes erschien, um ihn zu belehren, erklärte<br />

er: „Ich ward sehr entstellt und hatte keine Kraft mehr.“ Daniel 9,18.15.20; Daniel 10,8.<br />

328


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Als Hiob die Stimme <strong>de</strong>s Herrn aus <strong>de</strong>m Wetter hörte, rief er aus: Ich „spreche ... mich<br />

schuldig und tue Buße in Staub und Asche“. Hiob 42,6. Als Jesaja die Herrlichkeit Gottes<br />

sah und die Cherubim rufen hörte: „Heilig, heilig, heilig ist <strong>de</strong>r Herr Zebaoth!“, schrie er auf:<br />

„Weh mir, ich vergehe!“ Jesaja 6,3.5. Nach<strong>de</strong>m Paulus in <strong>de</strong>n dritten Himmel entrückt<br />

wor<strong>de</strong>n war und unaussprechliche Worte hörte, die kein Mensch sagen kann, sprach er von<br />

sich selbst als „<strong>de</strong>m allergeringsten unter allen Heiligen“. 2.Korinther 12,2-4; Epheser 3,8.<br />

Der geliebte Johannes, <strong>de</strong>r an <strong>de</strong>r Brust Jesu geruht und seine Herrlichkeit gesehen hatte,<br />

fiel <strong>de</strong>m Menschensohn wie tot zu Füßen. Offenbarung 1,17.<br />

Bei <strong>de</strong>nen, die im Schatten <strong>de</strong>s Kreuzes von Golgatha wan<strong>de</strong>ln, gibt es keine<br />

Selbsterhebung, keinen prahlerischen Anspruch, frei von Sün<strong>de</strong>n zu sein. Sie sind sich<br />

bewußt, daß es ihre Sün<strong>de</strong> war, die die Seelenqual verursachte, die <strong>de</strong>m Sohne Gottes das<br />

Herz brach; und dieser Gedanke wird zur Selbsterniedrigung führen. Die am innigsten mit<br />

Jesus verbun<strong>de</strong>n sind, erkennen am <strong>de</strong>utlichsten die Schwächen und die Sündhaftigkeit <strong>de</strong>r<br />

Menschen, und ihre einzige Hoffnung stützt sich auf das Verdienst eines gekreuzigten und<br />

auferstan<strong>de</strong>nen Heilan<strong>de</strong>s.<br />

Die Heiligung, die jetzt in <strong>de</strong>r Christenheit hervortritt, offenbart einen Geist <strong>de</strong>r<br />

Selbsterhebung und eine Gleichgültigkeit gegen das Gesetz Gottes, die mit <strong>de</strong>r Religion <strong>de</strong>r<br />

Bibel nichts mehr gemein hat. Ihre Anhänger lehren, die Heiligung sei ein Werk <strong>de</strong>s<br />

Augenblicks, durch das sie im Glauben allein vollkommene Heiligkeit erlangten. Glaube<br />

nur, sagen sie, und du wirst <strong>de</strong>n Segen erhalten. Weitere Anstrengungen wer<strong>de</strong>n für unnötig<br />

angesehen. Zu gleicher Zeit leugnen sie die Gültigkeit <strong>de</strong>s göttlichen Gesetzes und<br />

behaupten, sie seien von <strong>de</strong>r Verpflichtung, die Gebote zu halten, befreit. Ist es jedoch<br />

möglich, daß Menschen heilig sein und in Übereinstimmung mit <strong>de</strong>m Willen und Charakter<br />

Gottes leben können, ohne mit <strong>de</strong>n Grundsätzen in Einklang zu leben, die ein Ausdruck <strong>de</strong>r<br />

Natur und <strong>de</strong>s Willens Gottes sind, und die dartun, was ihm wohlgefällig ist?<br />

Das Verlangen nach einer bequemen Religion, die we<strong>de</strong>r Anstrengung und<br />

Selbstverleugnung noch Trennung von <strong>de</strong>n Torheiten <strong>de</strong>r Welt erfor<strong>de</strong>rt, hat die Lehre vom<br />

Glauben, und zwar vom Glauben allein, volkstümlich gemacht. Was sagt aber Gottes Wort?<br />

Der Apostel Jakobus spricht: „Was hilft‘s, liebe Brü<strong>de</strong>r, so jemand sagt, er habe <strong>de</strong>n<br />

Glauben, und hat doch die Werke nicht? Kann auch <strong>de</strong>r Glaube ihn selig machen? ... Willst<br />

du aber erkennen, du eitler Mensch, daß <strong>de</strong>r Glaube ohne Werke tot sei? Ist nicht Abraham,<br />

unser Vater, durch die Werke gerecht gewor<strong>de</strong>n, da er seinen Sohn Isaak auf <strong>de</strong>m Altar<br />

opferte? Da siehest du, daß <strong>de</strong>r Glaube mitgewirkt hat an seinen Werken, und durch die<br />

Werke ist <strong>de</strong>r Glaube vollkommen gewor<strong>de</strong>n ... So sehet ihr nun, daß <strong>de</strong>r Mensch durch die<br />

Werke gerecht wird, nicht durch <strong>de</strong>n Glauben allein.“ Jakobus 2,14-24. Das Zeugnis <strong>de</strong>s<br />

göttlichen Wortes ist wi<strong>de</strong>r diese verstricken<strong>de</strong> Lehre vom Glauben ohne Werke. Die Gunst<br />

<strong>de</strong>s Himmels zu beanspruchen, ohne <strong>de</strong>n Bedingungen nachzukommen, unter <strong>de</strong>nen<br />

Barmherzigkeit gewährt wird, ist nicht Glaube, son<strong>de</strong>rn Vermessenheit; <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r echte<br />

Glaube hat seinen Grund in <strong>de</strong>n Verheißungen und Verordnungen <strong>de</strong>r Heiligen Schrift.<br />

329


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Niemand täusche sich in <strong>de</strong>m Glauben, heilig wer<strong>de</strong>n zu können, während vorsätzlich<br />

eins <strong>de</strong>r Gebote Gottes übertreten wird. Wer bewußt eine Sün<strong>de</strong> begeht, bringt damit die<br />

überzeugen<strong>de</strong> Stimme <strong>de</strong>s Heiligen Geistes zum Schweigen und trennt die Seele von Gott.<br />

Sün<strong>de</strong> ist Übertretung <strong>de</strong>s Gesetzes. Und „wer da sündigt (das Gesetz übertritt), <strong>de</strong>r hat ihn<br />

nicht gesehen noch erkannt“. 1.Johannes 3,6. Obgleich Johannes in seinen Briefen so<br />

ausführlich von <strong>de</strong>r Liebe spricht, zögert er <strong>de</strong>nnoch nicht, <strong>de</strong>n wahren Charakter jener zu<br />

enthüllen, die beanspruchen, geheiligt zu sein, während sie in Übertretung <strong>de</strong>s göttlichen<br />

Gesetzes leben. „Wer da sagt: Ich kenne ihn, — und hält seine Gebote nicht, <strong>de</strong>r ist ein<br />

Lügner, und in solchem ist keine Wahrheit. Wer aber sein Wort hält, in solchem ist wahrlich<br />

die Liebe Gottes vollkommen.“ 1.Johannes 2,4.5. Das ist <strong>de</strong>r Prüfstein je<strong>de</strong>s Bekenntnisses.<br />

Wir können keinen Menschen als heilig ansehen, ohne ihn mit Gottes einzigem Maßstab für<br />

die Heiligkeit im Himmel und auf Er<strong>de</strong>n gemessen zu haben. Wenn Menschen das Gewicht<br />

<strong>de</strong>s Sittengesetzes nicht erkennen, wenn sie Gottes Gebote geringschätzen und leichtfertig<br />

behan<strong>de</strong>ln, wenn sie eines <strong>de</strong>r geringsten dieser Gebote übertreten und die Menschen also<br />

lehren, so wer<strong>de</strong>n sie vor <strong>de</strong>m Himmel keinerlei Achtung genießen, und wir erkennen daran,<br />

daß ihre Ansprüche je<strong>de</strong>r Grundlage entbehren.<br />

Die Behauptung, ohne Sün<strong>de</strong> zu sein, ist schon an sich ein Beweis, daß <strong>de</strong>r, welcher<br />

solche Ansprüche erhebt, weit davon entfernt ist, heilig zu sein. Weil <strong>de</strong>r Mensch keine<br />

echte Vorstellung von <strong>de</strong>r unendlichen Reinheit und Heiligkeit Gottes besitzt o<strong>de</strong>r davon,<br />

was aus <strong>de</strong>nen wer<strong>de</strong>n muß die mit seinem Charakter übereinstimmen sollen; weil er we<strong>de</strong>r<br />

von <strong>de</strong>r Reinheit und erhabenen Lieblichkeit Jesu noch von <strong>de</strong>r Bosheit und <strong>de</strong>m Unheil <strong>de</strong>r<br />

Sün<strong>de</strong> einen richtigen Begriff hat, darum sieht er sich selbst als heilig an. Je größer die<br />

Entfernung zwischen ihm und Christus ist, je unzulänglicher seine Vorstellungen von <strong>de</strong>m<br />

Charakter und <strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen Gottes sind, um so gerechter wird er in seinen eigenen<br />

Augen erscheinen.<br />

Die in <strong>de</strong>r Heiligen Schrift verordnete Heiligung schließt das ganze Wesen ein:<br />

Leib,Seele und Geist. Paulus betete für die Thessalonicher, daß ihr „Geist ganz samt Seele<br />

und Leib müsse bewahrt wer<strong>de</strong>n unsträflich auf die Zukunft unsers Herrn Jesu Christi“.<br />

1.Thessalonicher 5,13. Ein an<strong>de</strong>rmal schrieb er an Gläubige: „Ich ermahne euch nun, liebe<br />

Brü<strong>de</strong>r, durch die Barmherzigkeit Gottes, daß ihr eure Leiber begebet zum Opfer, das da<br />

lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei.“ Römer 2,1. Zur Zeit <strong>de</strong>s alten Israel wur<strong>de</strong> je<strong>de</strong><br />

Gott zum Opfer dargebrachte Gabe sorgfältig untersucht. Fand man irgen<strong>de</strong>inen Makel an<br />

<strong>de</strong>m Opfertier, so wur<strong>de</strong> es abgewiesen; <strong>de</strong>nn Gott hatte befohlen, daß „kein Fehl“ (2.Mose<br />

12,5f) am Opfer sein sollte. So wird auch <strong>de</strong>n Christen geboten, ihre Leiber zum Opfer zu<br />

begeben, das da lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei. Dazu müssen aber alle ihre<br />

Kräfte in <strong>de</strong>m bestmöglichen Zustand erhalten wer<strong>de</strong>n. Je<strong>de</strong> Handlung, die die körperliche<br />

o<strong>de</strong>r geistige Kraft schwächt, macht <strong>de</strong>n Menschen für <strong>de</strong>n Dienst seines Schöpfers<br />

untauglich. Könnte Gott Wohlgefallen an etwas fin<strong>de</strong>n, das nicht unser Bestes ist? Christus<br />

sagte: „Du sollst lieben Gott, <strong>de</strong>inen Herrn, von ganzem Herzen.“ Matthäus 22,37.<br />

330


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Alle, die Gott von ganzem Herzen lieben, wer<strong>de</strong>n ihm <strong>de</strong>n besten Dienst ihres Lebens<br />

weihen wollen und beständig danach trachten, je<strong>de</strong> Kraft ihrer Persönlichkeit mit <strong>de</strong>n<br />

Gesetzen in Übereinstimmung zu bringen, die ihre Fähigkeit, seinen Willen zu tun, för<strong>de</strong>rn.<br />

Sie wer<strong>de</strong>n nicht, in<strong>de</strong>m sie ihre Genußsucht o<strong>de</strong>r Lei<strong>de</strong>nschaften befriedigen, das Opfer<br />

schwächen o<strong>de</strong>r verunreinigen, das sie ihrem himmlischen Vater darbringen. Petrus sagt:<br />

„Enthaltet euch von fleischlichen Lüsten, welche wi<strong>de</strong>r die Seele streiten.“ 1.Petrus 2,11.<br />

Je<strong>de</strong> sündhafte Befriedigung führt zur Abstumpfung <strong>de</strong>r Geisteskräfte und schwächt das<br />

geistige und geistliche Wahrnehmungsvermögen, so daß das Wort o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Geist Gottes das<br />

Herz nur schwach beeindrucken kann. Paulus schreibt an die Korinther: „Lasset uns von<br />

aller Befleckung <strong>de</strong>s Fleisches und <strong>de</strong>s Geistes uns reinigen und fortfahren mit <strong>de</strong>r<br />

Heiligung in <strong>de</strong>r Furcht Gottes.“ 2.Korinther 7,1. Und <strong>de</strong>n Früchten <strong>de</strong>s Geistes: „Liebe,<br />

Freu<strong>de</strong>, Frie<strong>de</strong>, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmut“, reiht er die<br />

„Keuschheit“ an. Galater 5,22.<br />

Wie viele, die sich Christen nennen, schwächen aber ungeachtet dieser von Gott<br />

eingegebenen Aussagen ihre Kräfte, in<strong>de</strong>m sie nach Gewinn jagen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong> huldigen;<br />

wie viele würdigen ihr gottebenbildliches Menschentum durch Prasserei, Weintrinken und<br />

verbotene Genüsse herab! Und die Kirche, anstatt das Übel zu rügen, ermutigt es nur zu oft,<br />

in<strong>de</strong>m sie die Eßlust, das Verlangen nach Gewinn o<strong>de</strong>r die Liebe zu Vergnügungen<br />

herausfor<strong>de</strong>rt, um ihre Kasse wie<strong>de</strong>r zu füllen, wozu die Liebe zu Christus zu schwach ist.<br />

Wür<strong>de</strong> Jesus die Kirchen von heute betreten und dort <strong>de</strong>n unheiligen Verkehr und die<br />

Schwelgerei wahrnehmen, die im Namen <strong>de</strong>r Religion veranstaltet wer<strong>de</strong>n, triebe er da nicht<br />

diese Tempelschän<strong>de</strong>r hinaus, wie er einst jene Geldwechsler aus <strong>de</strong>m Tempel jagte?<br />

Der Apostel Jakobus sagt uns, daß die Weisheit, die von oben kommt, „aufs erste<br />

rein“ ist. Jakobus 3,17 (EB). Wäre er Männern begegnet, die <strong>de</strong>n köstlichen Namen Jesu auf<br />

ihre vom Tabak verunreinigten Lippen genommen hätten und <strong>de</strong>ren Atem und Gestalt von<br />

<strong>de</strong>m ekelhaften Geruch durchdrungen gewesen wäre, die die Luft <strong>de</strong>s Himmels verpestet<br />

und ihre Umgebung gezwungen hätten, das Gift einzuatmen — wäre <strong>de</strong>r Apostel auf einen<br />

<strong>de</strong>r Reinheit <strong>de</strong>s Evangeliums so sehr entgegengesetzten Brauch gestoßen, wür<strong>de</strong> er ihn<br />

nicht als irdisch, sinnlich, teuflisch verurteilt haben? Sklaven <strong>de</strong>s Tabaks mögen behaupten,<br />

völlig geheiligt zu sein, mögen von ihrer Hoffnung auf <strong>de</strong>n Himmel re<strong>de</strong>n; aber Gottes Wort<br />

sagt <strong>de</strong>utlich: „Es wird nicht hineingehen irgend ein Gemeines.“ Offenbarung 21,27.<br />

„Wisset ihr nicht, daß euer Leib ein Tempel <strong>de</strong>s heiligen Geistes ist, <strong>de</strong>r in euch ist,<br />

welchen ihr habt von Gott, und seid nicht euer selbst? Denn ihr seid teuer erkauft; darum so<br />

preiset Gott an eurem Leibe und in eurem Geiste, welche sind Gottes.“ 1.Korinther 6,19.20.<br />

Der Mensch, <strong>de</strong>ssen Leib ein Tempel <strong>de</strong>s Heiligen Geistes ist, wird sich nicht durch eine<br />

ver<strong>de</strong>rbliche Gewohnheit zum Sklaven machen lassen. Seine Kräfte gehören Christus, <strong>de</strong>r<br />

ihn mit seinem Blut erkauft hat. Seine Güter sind <strong>de</strong>s Herrn. Wie könnte er sich <strong>de</strong>r<br />

Vergeudung <strong>de</strong>r ihm anvertrauten Habe schuldig machen? Bekenntliche Christen geben<br />

alljährlich ungeheure Summen für nutzlose und schädliche Liebhabereien aus, während<br />

331


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Menschen aus Mangel an <strong>de</strong>m Brot <strong>de</strong>s Lebens zugrun<strong>de</strong> gehen; sie berauben Gott an<br />

Gaben und Opfern und verbrauchen mehr auf <strong>de</strong>m Altar ver<strong>de</strong>rblicher Lüste, als sie zur<br />

Unterstützung <strong>de</strong>r Armen o<strong>de</strong>r zur Verbreitung <strong>de</strong>s Evangeliums beitragen. Wenn alle, die<br />

sich Nachfolger Christi nennen, wahrhaft geheiligt wären, so wür<strong>de</strong>n sie ihre Mittel, statt sie<br />

für nutzlose und sogar schädliche Liebhabereien auszugeben, in die Schatzkammer <strong>de</strong>s<br />

Herrn fließen lassen und an<strong>de</strong>rn ein Beispiel in Mäßigkeit, Selbstverleugnung und<br />

Selbstaufopferung geben. Dann wären sie das Licht <strong>de</strong>r Welt.<br />

Die Welt gibt sich zügelloser Genußsucht hin. „Des Fleisches Lust und <strong>de</strong>r Augen Lust<br />

und hoffärtiges Leben“(1.Johannes 2,16) beherrschen das Volk. Aber Christi Nachfolger<br />

haben eine heiligere Berufung: „Darum gehet aus von ihnen und son<strong>de</strong>rt euch ab, spricht <strong>de</strong>r<br />

Herr, und rühret kein Unreines an.“ Im Lichte <strong>de</strong>s Wortes Gottes dürfen wir mit Recht sagen,<br />

daß keine Heiligung echt sein kann, die nicht bewirkt, daß <strong>de</strong>m sündhaften Trachten und<br />

<strong>de</strong>n Vergnügungen <strong>de</strong>r Welt gänzlich entsagt wird. Denen, die <strong>de</strong>r Bedingung: „Gehet aus<br />

von ihnen und son<strong>de</strong>rt euch ab … und rührt kein Unreines an“ nachkommen, gilt Gottes<br />

Verheißung: „So will ich euch annehmen und euer Vater sein, und ihr sollt meine Söhne und<br />

Töchter sein, spricht <strong>de</strong>r allmächtige Herr.“ 2.Korinther 6,17.18. Es ist eines je<strong>de</strong>n Christen<br />

Pflicht und Freu<strong>de</strong>, reiche und kostbare Erfahrung mit <strong>de</strong>m Göttlichen zu machen. „Ich bin<br />

das Licht <strong>de</strong>r Welt“, sagt <strong>de</strong>r Heiland, „wer mir nachfolgt, <strong>de</strong>r wird nicht wan<strong>de</strong>ln in <strong>de</strong>r<br />

Finsternis, son<strong>de</strong>rn wird das Licht <strong>de</strong>s Lebens haben.“ Johannes 8,12. „Der Gerechten Pfad<br />

glänzt wie das Licht, das immer heller leuchtet bis auf <strong>de</strong>n vollen Tag.“ Sprüche 4,18.<br />

Je<strong>de</strong>r Schritt <strong>de</strong>s Glaubens und <strong>de</strong>s Gehorsams bringt die Seele in engere Verbindung<br />

mit <strong>de</strong>m Licht <strong>de</strong>r Welt, in <strong>de</strong>m „keine Finsternis“ ist. Die hellen Strahlen <strong>de</strong>r Sonne <strong>de</strong>r<br />

Gerechtigkeit scheinen auf Gottes Diener, die sein Licht zurückwerfen sollen. Wie uns die<br />

Sterne lehren, daß ein großes Licht am Himmel ist, <strong>de</strong>ssen Glanz sie erhellt, ebenso sollen<br />

die Christen bekun<strong>de</strong>n, daß auf <strong>de</strong>m Thron <strong>de</strong>s Weltalls ein Gott sitzt, <strong>de</strong>ssen Wesen <strong>de</strong>s<br />

Lobes und <strong>de</strong>r Nachahmung würdig ist. Die Früchte seines Geistes, die Reinheit und<br />

Heiligkeit seines Wesens wer<strong>de</strong>n sich in seinen Zeugen offenbaren.<br />

Paulus beschreibt in seinem Brief an die Kolosser die reichen Segnungen, die <strong>de</strong>n<br />

Kin<strong>de</strong>rn Gottes verliehen wer<strong>de</strong>n: wir hören „nicht auf, für euch zu beten und zu bitten, daß<br />

ihr erfüllt wer<strong>de</strong>t mit Erkenntnis seines Willens in allerlei geistlicher Weisheit und<br />

Verständnis, daß ihr wan<strong>de</strong>lt würdig <strong>de</strong>m Herrn zu allem Gefallen und fruchtbar seid in<br />

allen guten Werken und wachset in <strong>de</strong>r Erkenntnis Gottes und gestärkt wer<strong>de</strong>t mit aller<br />

Kraft nach seiner herrlichen Macht zu aller Geduld und Langmütigkeit mit Freu<strong>de</strong>n“.<br />

Kolosser 1,9-11. An an<strong>de</strong>rer Stelle schreibt er von seinem Wunsch, daß die Brü<strong>de</strong>r in<br />

Ephesus die Größe <strong>de</strong>r christlichen Freiheiten völlig erkennen möchten. Er erschließt ihnen<br />

in außeror<strong>de</strong>ntlich <strong>de</strong>utlichen Worten die wun<strong>de</strong>rbare Macht und Erkenntnis, die sie als<br />

Söhne und Töchter <strong>de</strong>s Allerhöchsten haben können. Es war Gna<strong>de</strong>, „stark zu wer<strong>de</strong>n durch<br />

seinen Geist an <strong>de</strong>m inwendigen Menschen“, „durch die Liebe eingewurzelt und<br />

gegrün<strong>de</strong>t“ zu wer<strong>de</strong>n, zu „begreifen ... mit allen Heiligen, welches da sei die Breite und die<br />

332


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Länge und die Tiefe und die Höhe“, und zu „erkennen die Liebe Christi, die doch alle<br />

Erkenntnis übertrifft“. Aber das Gebet <strong>de</strong>s Apostels erreicht <strong>de</strong>n Höhepunkt <strong>de</strong>r<br />

Gna<strong>de</strong>ngaben, wenn er betet, „daß ihr erfüllt wer<strong>de</strong>t mit allerlei Gottesfülle“. Epheser 3,16-<br />

19.<br />

Hier wird uns das erhabene Ziel gezeigt, das wir durch <strong>de</strong>n Glauben an die<br />

Verheißungen unseres himmlischen Vaters erreichen können, wenn wir seinen Ansprüchen<br />

nachkommen. Durch Christi Verdienst haben wir Zugang zum Thron <strong>de</strong>r unendlichen<br />

Macht. „Welcher auch seines eigenen Sohnes nicht hat verschont, son<strong>de</strong>rn hat ihn für uns<br />

alle dahingegeben; wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?“ Römer 8,32. Dem Sohne<br />

schenkte <strong>de</strong>r Vater seinen Geist in Fülle; auch wir dürfen an seiner Fülle teilhaben. Jesus<br />

sagt: „So <strong>de</strong>nn ihr, die ihr arg seid, könnet euren Kin<strong>de</strong>rn gute Gaben geben, wie viel mehr<br />

wird <strong>de</strong>r Vater im Himmel <strong>de</strong>n heiligen Geist geben <strong>de</strong>nen, die ihn bitten!“ — „Was ihr<br />

bitten wer<strong>de</strong>t in meinem Namen, das will ich tun.“ — „Bittet, so wer<strong>de</strong>t ihr nehmen, daß<br />

eure Freu<strong>de</strong> vollkommen sei.“ Lukas 11,12; Johannes 14,14; Johannes 16,24.<br />

Während sich <strong>de</strong>s Christen Leben durch Demut auszeichnet, sollte es doch ohne<br />

Traurigkeit o<strong>de</strong>r eigene Herabsetzung sein. Es gehört zur Freiheit je<strong>de</strong>s einzelnen, so zu<br />

wan<strong>de</strong>ln, wie es <strong>de</strong>m Herrn wohlgefällt und er ihn segnen kann. Unser himmlischer Vater<br />

will nicht, daß wir uns ständig verdammt und in Finsternis fühlen sollen. Es ist kein Beweis<br />

echter Demut, mit gebeugtem Haupt und einem grüblerischen Herzen einherzugehen. Wir<br />

dürfen zu Jesus kommen, uns von ihm reinigen lassen und ohne Scham o<strong>de</strong>r Gewissensbisse<br />

vor <strong>de</strong>m Gesetz bestehen. „So ist nun nichts Verdammliches an <strong>de</strong>nen, die in Christo Jesu<br />

sind, die nicht nach <strong>de</strong>m Fleisch wan<strong>de</strong>ln, son<strong>de</strong>rn nach <strong>de</strong>m Geist.“ Römer 8,1. Durch<br />

Jesus wer<strong>de</strong>n die gefallenen Söhne Adams „Kin<strong>de</strong>r Gottes“, „sintemal sie alle von einem<br />

kommen, bei<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r da heiligt und die da geheiligt wer<strong>de</strong>n. Darum schämt er sich auch nicht,<br />

sie Brü<strong>de</strong>r zu heißen“. Hebräer 2,11. Das Leben <strong>de</strong>s Christen sollte ein Leben <strong>de</strong>s Glaubens,<br />

<strong>de</strong>s Sieges und <strong>de</strong>r Freu<strong>de</strong> in Gott sein. „Denn alles, was von Gott geboren ist, überwin<strong>de</strong>t<br />

die Welt; und unser Glaube ist <strong>de</strong>r Sieg, <strong>de</strong>r die Welt überwun<strong>de</strong>n hat.“ 1.Johannes 5,4.<br />

In Wahrheit sagte Gottes Diener Nehemia: „Die Freu<strong>de</strong> am Herrn ist eure<br />

Stärke.“ Nehemia 8,10. Und Paulus schreibt: „Freuet euch in <strong>de</strong>m Herrn allewege! Und<br />

abermals sage ich: Freuet euch!“ „Seid allezeit fröhlich, betet ohne Unterlaß, seid dankbar<br />

in allen Dingen; <strong>de</strong>nn das ist <strong>de</strong>r Wille Gottes in Christo Jesu an euch.“ Philipper 4,4;<br />

1.Thessalonicher 5,16-18. Das sind die Früchte biblischer Bekehrung und Heiligung; und<br />

weil die trefflichen Grundsätze <strong>de</strong>r Gerechtigkeit, wie das Gesetz Gottes sie veranschaulicht,<br />

von <strong>de</strong>r christlichen Welt gleichgültig behan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n, sind diese Früchte so selten zu<br />

sehen. Aus diesem Grun<strong>de</strong> offenbart sich auch so wenig von jenem tiefen, bleiben<strong>de</strong>n<br />

Wirken <strong>de</strong>s Geistes Gottes, das die Erweckungen früherer Jahre kennzeichnete.<br />

In<strong>de</strong>m wir auf <strong>de</strong>n Herrn schauen, wer<strong>de</strong>n wir verwan<strong>de</strong>lt. Und weil jene heiligen<br />

Verordnungen, in <strong>de</strong>nen Gott <strong>de</strong>n Menschen die Vollkommenheit und Heiligkeit seines<br />

Charakters offenbart,vernachlässigt wer<strong>de</strong>n und weil das Denken <strong>de</strong>s Volkes von<br />

333


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

menschlichen Lehren und Ansichten gefesselt wird, so ist es nicht verwun<strong>de</strong>rlich, daß die<br />

lebendige Frömmigkeit in <strong>de</strong>r Kirche abgenommen hat. Der Herr sagte: „Mich, die<br />

lebendige Quelle, verlassen sie und machen sich hie und da ausgehauene Brunnen, die doch<br />

löcherig sind und kein Wasser geben.“ Jeremia 2,13. „Wohl <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r nicht wan<strong>de</strong>lt im Rat<br />

<strong>de</strong>r Gottlosen ..., son<strong>de</strong>rn hat Lust zum Gesetz <strong>de</strong>s Herrn und re<strong>de</strong>t von seinem Gesetz Tag<br />

und Nacht! Der ist wie ein Baum, gepflanzt an <strong>de</strong>n Wasserbächen, <strong>de</strong>r seine Frucht bringt<br />

zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht; und was er macht, das gerät wohl.“ Psalm<br />

1,1-3. Nur dadurch, daß <strong>de</strong>m Gesetz Gottes seine rechtmäßige Stellung wie<strong>de</strong>r eingeräumt<br />

wird, kann <strong>de</strong>r ursprüngliche Glaube und die erste Gottseligkeit unter seinem bekennen<strong>de</strong>n<br />

Volk wie<strong>de</strong>r erweckt wer<strong>de</strong>n. „So spricht <strong>de</strong>r Herr: Tretet auf die Wege und schauet und<br />

fraget nach <strong>de</strong>n vorigen Wegen, welches <strong>de</strong>r gute Weg sei, und wan<strong>de</strong>lt darin, so wer<strong>de</strong>t ihr<br />

Ruhe fin<strong>de</strong>n für eure Seele!“ Jeremia 6,16.<br />

334


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 28- Das Untersuchungsgericht<br />

„Solches sah ich“, schreibt <strong>de</strong>r Prophet Daniel, „bis daß Stühle gesetzt wur<strong>de</strong>n; und <strong>de</strong>r<br />

Alte setzte sich. Des Kleid war schneeweiß, und das Haar auf seinem Haupt wie reine Wolle;<br />

sein Stuhl war eitel Feuerflammen, und <strong>de</strong>ssen Rä<strong>de</strong>r brannten mit Feuer. Und von ihm ging<br />

aus ein langer feuriger Strahl. Tausendmal tausend dienten ihm, und zehntausendmal<br />

zehntausend stan<strong>de</strong>n vor ihm. Das Gericht ward gehalten, und die Bücher wur<strong>de</strong>n<br />

aufgetan.“ Daniel 7,9.10. So wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>m Propheten im Gesicht <strong>de</strong>r große und feierliche Tag<br />

vor sein geistiges Auge geführt, da <strong>de</strong>r Charakter und das Leben eines je<strong>de</strong>n Menschen von<br />

<strong>de</strong>m großen Richter <strong>de</strong>s Alls geprüft wird. Der Alte ist Gott <strong>de</strong>r Vater. Der Psalmist sagt:<br />

„Ehe <strong>de</strong>nn die Berge wur<strong>de</strong>n und die Er<strong>de</strong> und die Welt geschaffen wur<strong>de</strong>n, bist du, Gott,<br />

von Ewigkeit zu Ewigkeit.“ Psalm 90,2. Der Urheber alles Daseins und aller Gesetze wird<br />

im Gericht <strong>de</strong>n Vorsitz führen. Heilige Engel, „tausendmal tausend und zehntausendmal<br />

zehntausend“, wer<strong>de</strong>n diesem großen Gericht als Diener und Zeugen beiwohnen.<br />

„Und siehe, es kam einer in <strong>de</strong>s Himmels Wolken wie eines Menschen Sohn bis zu <strong>de</strong>m<br />

Alten und ward vor ihn gebracht. Der gab ihm Gewalt, Ehre und Reich, daß ihm alle Völker,<br />

Leute und Zungen dienen sollten. Seine Gewalt ist ewig, die nicht vergeht, und sein<br />

Königreich hat kein En<strong>de</strong>.“ Daniel 7,13.14. Das hier beschriebene Kommen Christi ist nicht<br />

seine Wie<strong>de</strong>rkunft zur Er<strong>de</strong>. Er kommt vor <strong>de</strong>n „Alten“ im Himmel, um Gewalt, Ehre und<br />

Reich zu empfangen, die ihm am En<strong>de</strong> seines Vermittlungswerkes gegeben wer<strong>de</strong>n. Von<br />

diesem Kommen, und nicht von seiner Wie<strong>de</strong>rkunft zur Er<strong>de</strong>, wird in <strong>de</strong>r Weissagung<br />

bezeugt, daß es am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r zweitausend dreihun<strong>de</strong>rt Tage, im Jahre 1844, stattfin<strong>de</strong>n<br />

wer<strong>de</strong>. In Begleitung himmlischer Engel betritt unser Hoherpriester das Allerheiligste und<br />

erscheint dort vor Gott, die letzten Handlungen seines Dienstes für die Menschen<br />

vorzubereiten, um das Untersuchungsgericht auszuführen und alle die zu versöhnen, die sich<br />

<strong>de</strong>r Wohltaten dieser Versöhnung würdig erweisen.<br />

Im sinnbildlichen Dienst hatten nur die, welche zu Gott kamen, um zu bekennen und zu<br />

bereuen, <strong>de</strong>ren Sün<strong>de</strong>n durch das Blut <strong>de</strong>s Sündopfers auf das Heiligtum übertragen wor<strong>de</strong>n<br />

waren, einen Anteil am Dienste <strong>de</strong>s Versöhnungstages. So wer<strong>de</strong>n auch an <strong>de</strong>m großen Tag<br />

<strong>de</strong>r Endversöhnung und <strong>de</strong>s Untersuchungsgerichts nur die Fälle <strong>de</strong>s bekennen<strong>de</strong>n Volkes<br />

Gottes in Betracht gezogen. Das Gericht über die Gottlosen ist eine beson<strong>de</strong>re, von diesem<br />

getrennte, später stattfin<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Maßnahme. „Denn es ist Zeit, daß anfange das Gericht an<br />

<strong>de</strong>m Hause Gottes. So aber zuerst an uns, was will‘s für ein En<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>nen, die<br />

<strong>de</strong>m Evangelium Gottes nicht glauben?“ 1.Petrus 4,17.<br />

Die Bücher <strong>de</strong>s Himmels, in <strong>de</strong>nen die Namen und Taten <strong>de</strong>r Menschen verzeichnet<br />

stehen, wer<strong>de</strong>n die Entscheidungen <strong>de</strong>s Gerichts bestimmen. Der Prophet Daniel sagt: „Das<br />

Gericht ward gehalten, und die Bücher wur<strong>de</strong>n aufgetan.“ Der Schreiber <strong>de</strong>r Offenbarung<br />

fügt bei <strong>de</strong>r Schil<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>sselben Vorganges hinzu: „Ein an<strong>de</strong>res Buch ward aufgetan,<br />

335


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

welches ist das Buch <strong>de</strong>s Lebens. Und die Toten wur<strong>de</strong>n gerichtet nach <strong>de</strong>r Schrift in <strong>de</strong>n<br />

Büchern, nach ihren Werken.“ Offenbarung 20,12.<br />

Das Buch <strong>de</strong>s Lebens enthält die Namen aller, die jemals in <strong>de</strong>n Dienst Gottes getreten<br />

waren. Jesus sagte zu seinen Jüngern: „Freuet euch ..., daß eure Namen im Himmel<br />

geschrieben sind.“ Lukas 10,20. Paulus spricht von seinen getreuen Mitarbeitern, <strong>de</strong>ren<br />

„Namen sind in <strong>de</strong>m Buch <strong>de</strong>s Lebens“. Philipper 4,3. Im Hinblick auf „eine solche<br />

trübselige Zeit“, „wie sie nicht gewesen ist“, erklärte Daniel, daß Gottes Volk errettet<br />

wer<strong>de</strong>n soll, und zwar „alle, die im Buch geschrieben stehen“. Daniel 12,1. In <strong>de</strong>r<br />

Offenbarung heißt es, daß nur solche Menschen die Stadt Gottes betreten dürfen, <strong>de</strong>ren<br />

Namen „geschrieben sind in <strong>de</strong>m Lebensbuch <strong>de</strong>s Lammes“. Offenbarung 21,27.<br />

„Ein Gedächtnisbuch“ ist vor <strong>de</strong>m Herrn geschrieben wor<strong>de</strong>n, worin die guten Taten<br />

aller Menschen berichtet stehen, die „<strong>de</strong>n Herrn fürchten und an seinen Namen ge<strong>de</strong>nken“.<br />

Maleachi 3,16, Grundtext. Ihre Worte <strong>de</strong>s Glaubens, ihre Taten <strong>de</strong>r Liebe stehen im Himmel<br />

verzeichnet. Nehemia bezieht seine Worte darauf, wenn er sagt: „Ge<strong>de</strong>nke, mein Gott, mir<br />

daran und tilge nicht aus meine Barmherzigkeit, die ich an meines Gottes Hause und an<br />

seinem Dienst getan habe!“ Nehemia 13,14. Im Gedächtnisbuch Gottes wird je<strong>de</strong> gerechte<br />

Tat verewigt. Dort fin<strong>de</strong>t sich je<strong>de</strong> wi<strong>de</strong>rstan<strong>de</strong>ne Versuchung, jegliches überwun<strong>de</strong>ne Übel,<br />

je<strong>de</strong>s ausgesprochene Wort zärtlichen Mitleids gewissenhaft berichtet; je<strong>de</strong> aufopfern<strong>de</strong> Tat,<br />

je<strong>de</strong>r um Christi willen ausgestan<strong>de</strong>ne Schmerz o<strong>de</strong>r Kummer sind dort eingetragen. Der<br />

Psalmist sagt: „Zähle die Wege meiner Flucht; fasse meine Tränen in <strong>de</strong>inen Krug. Ohne<br />

Zweifel, du zählst sie [‚Stehen sie nicht in <strong>de</strong>inem Buche¿].“ Psalm 56,9.<br />

Es wird dort auch ein Bericht über die Sün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Menschen geführt. „Denn Gott wird<br />

alle Werke vor Gericht bringen, alles, was verborgen ist, es sei gut o<strong>de</strong>r böse.“ Prediger<br />

12,14. Der Heiland sagte: „Die Menschen müssen Rechenschaft geben am Jüngsten Gericht<br />

von einem jeglichen unnützen Wort, das sie gere<strong>de</strong>t haben. Aus <strong>de</strong>inen Worten wirst du<br />

gerechtfertigt wer<strong>de</strong>n, und aus <strong>de</strong>inen Worten wirst du verdammt wer<strong>de</strong>n.“ Matthäus<br />

12,36.37. Die geheimen Absichten und Beweggrün<strong>de</strong> erscheinen in jenem unfehlbaren<br />

Verzeichnis; <strong>de</strong>nn Gott „wird ans Licht bringen, was im Finstern verborgen ist, und <strong>de</strong>n Rat<br />

<strong>de</strong>r Herzen offenbaren“. 1.Korinther 4,5. „Siehe, es steht vor mir geschrieben ... bei<strong>de</strong>, ihre<br />

Missetaten und ihrer Väter Missetaten miteinan<strong>de</strong>r, spricht <strong>de</strong>r Herr.“ Jesaja 65,6.7.<br />

Eines je<strong>de</strong>n Taten wer<strong>de</strong>n einer Untersuchung vor Gott unterzogen und als treu o<strong>de</strong>r<br />

untreu eingetragen. In die himmlischen Bücher wird gegenüber <strong>de</strong>m Namen eines je<strong>de</strong>n mit<br />

peinlicher Genauigkeit je<strong>de</strong>s schlechte Wort, je<strong>de</strong> selbstsüchtige Handlung, je<strong>de</strong> unerfüllte<br />

Pflicht, jegliche verborgene Sün<strong>de</strong> und je<strong>de</strong> listige Verstellung eingeschrieben. Vom<br />

Himmel gesandte Warnungen o<strong>de</strong>r Rügen, die vernachlässigt wur<strong>de</strong>n, verschwen<strong>de</strong>te<br />

Augenblicke, unbenutzte Gelegenheiten, <strong>de</strong>r zum Guten o<strong>de</strong>r Bösen ausgeübte Einfluß mit<br />

seinen weitreichen<strong>de</strong>n Folgen, alles wird von <strong>de</strong>m berichtführen<strong>de</strong>n Engel<br />

nie<strong>de</strong>rgeschrieben. Das Gesetz Gottes ist das Richtmaß, nach <strong>de</strong>m das Leben und <strong>de</strong>r<br />

Charakter <strong>de</strong>s Menschen im Gericht gemessen wer<strong>de</strong>n. Der weise Mann sprach: „Fürchte<br />

336


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Gott und halte seine Gebote; <strong>de</strong>nn das gehört allen Menschen zu. Denn Gott wird alle<br />

Werke vor Gericht bringen, alles,was verborgen ist,es sei gut o<strong>de</strong>r böse.“ Prediger 12,13.14.<br />

Und <strong>de</strong>r Apostel Jakobus ermahnte seine Brü<strong>de</strong>r: „Also re<strong>de</strong>t und also tut, als die da sollen<br />

durchs Gesetz <strong>de</strong>r Freiheit gerichtet wer<strong>de</strong>n.“ Jakobus 2,12.<br />

Wer im Gericht für würdig befun<strong>de</strong>n wird, wird an <strong>de</strong>r Auferstehung <strong>de</strong>r Gerechten<br />

teilhaben. Jesus sagte: „Welche aber würdig sein wer<strong>de</strong>n, jene Welt zu erlangen und die<br />

Auferstehung von <strong>de</strong>n Toten, ... sie sind <strong>de</strong>n Engeln gleich und Gottes Kin<strong>de</strong>r, dieweil sie<br />

Kin<strong>de</strong>r sind <strong>de</strong>r Auferstehung.“ Lukas 20,35.36. „Und wer<strong>de</strong>n hervorgehen, die da Gutes<br />

getan haben, zur Auferstehung <strong>de</strong>s Lebens.“ Johannes 5,29. Die gerechten Toten wer<strong>de</strong>n<br />

erst nach <strong>de</strong>m Gericht auferweckt, in <strong>de</strong>ren Verlauf sie <strong>de</strong>r „Auferstehung <strong>de</strong>s Lebens“ für<br />

würdig befun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Sie wer<strong>de</strong>n also nicht persönlich am Gericht teilnehmen, wenn<br />

ihre Lebensberichte untersucht und ihre Fälle entschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.<br />

Jesus wird als ihr Verteidiger auftreten und vor Gott für sie Fürbitte einlegen. „Ob<br />

jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher bei <strong>de</strong>m Vater, Jesum Christum, <strong>de</strong>r gerecht<br />

ist.“ 1.Johannes 2,1. „Denn Christus ist nicht eingegangen in das Heilige, so mit Hän<strong>de</strong>n<br />

gemacht ist (welches ist ein Gegenbild <strong>de</strong>s wahrhaftigen), son<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>n Himmel selbst,<br />

nun zu erscheinen vor <strong>de</strong>m Angesicht Gottes für uns.“ „Daher kann er auch selig machen<br />

immerdar, die durch ihn zu Gott kommen, und lebt immerdar und bittet für sie.“ Hebräer<br />

9,24; Hebräer 7,25.<br />

Wenn die Bücher aufgeschlagen wer<strong>de</strong>n, wird <strong>de</strong>r Lebenslauf eines je<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r an Jesus<br />

geglaubt hat, vor Gott untersucht. Unser Fürsprecher beginnt mit <strong>de</strong>nen, die zuerst auf Er<strong>de</strong>n<br />

lebten, prüft dann die nachfolgen<strong>de</strong>n Geschlechter und schließt mit <strong>de</strong>n Leben<strong>de</strong>n. Je<strong>de</strong>r<br />

Name wird erwähnt, <strong>de</strong>r Fall je<strong>de</strong>s einzelnen genau untersucht. Es wer<strong>de</strong>n Namen<br />

angenommen, Namen verworfen. Fin<strong>de</strong>n sich bei manchen Namen Sün<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n Büchern<br />

verzeichnet, die nicht bereut und vergeben sind, so wer<strong>de</strong>n ihre Namen aus <strong>de</strong>m Buch <strong>de</strong>s<br />

Lebens entfernt und das Verzeichnis ihrer guten Taten aus <strong>de</strong>m Gedächtnisbuch Gottes<br />

getilgt. Der Herr erklärte Mose: „Was? Ich will <strong>de</strong>n aus meinem Buch tilgen, <strong>de</strong>r an mir<br />

sündigt.“ 2.Mose 32,33. Und <strong>de</strong>r Prophet Hesekiel sagte: „Wo sich <strong>de</strong>r Gerechte kehrt von<br />

seiner Gerechtigkeit und tut Böses ..., sollte <strong>de</strong>r leben? Ja, aller seiner Gerechtigkeit, die er<br />

getan hat, soll nicht gedacht wer<strong>de</strong>n.“ Hesekiel 18,24.<br />

Bei <strong>de</strong>n Namen aller, die ihre Sün<strong>de</strong>n wahrhaft bereut und durch <strong>de</strong>n Glauben das Blut<br />

Christi als ihr versöhnen<strong>de</strong>s Opfer in Anspruch genommen haben, wird Vergebung in die<br />

Himmelsbücher eingeschrieben. Da sie Teilhaber <strong>de</strong>r Gerechtigkeit Christi gewor<strong>de</strong>n sind<br />

und ihr Charakter in Übereinstimmung mit <strong>de</strong>m Gesetz Gottes gefun<strong>de</strong>n wird, wer<strong>de</strong>n ihre<br />

Sün<strong>de</strong>n ausgetilgt und sie selbst <strong>de</strong>s ewigen Lebens für würdig angesehen. Der Herr erklärte<br />

durch <strong>de</strong>n Propheten Jesaja: „Ich, ich tilge <strong>de</strong>ine Übertretungen um meinetwillen und<br />

ge<strong>de</strong>nke <strong>de</strong>iner Sün<strong>de</strong>n nicht.“ Jesaja 43,25. Jesus sprach: „Wer überwin<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>r soll mit<br />

weißen Klei<strong>de</strong>rn angetan wer<strong>de</strong>n, und ich wer<strong>de</strong> seinen Namen nicht austilgen aus <strong>de</strong>m<br />

Buch <strong>de</strong>s Lebens, und ich will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen<br />

337


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Engeln.“ „Wer nun mich bekennet vor <strong>de</strong>n Menschen, <strong>de</strong>n will ich bekennen vor meinem<br />

himmlischen Vater. Wer mich aber verleugnet vor <strong>de</strong>n Menschen, <strong>de</strong>n will ich auch<br />

verleugnen vor meinem himmlischen Vater.“ Offenbarung 3,5; Matthäus 10,32.33.<br />

Das regste Augenmerk <strong>de</strong>r Menschen auf die Entscheidungen irdischer Gerichtshöfe ist<br />

nur ein schwaches Gegenstück zu <strong>de</strong>r an <strong>de</strong>m himmlischen Gerichtshof herrschen<strong>de</strong>n<br />

Anteilnahme, wenn die im Buch <strong>de</strong>s Lammes eingetragenen Namen zur Untersuchung vor<br />

<strong>de</strong>n Richter <strong>de</strong>r ganzen Welt gebracht wer<strong>de</strong>n. Der göttliche Vermittler bittet darum, daß<br />

allen, die durch <strong>de</strong>n Glauben an sein Blut überwun<strong>de</strong>n haben, ihre Übertretungen vergeben<br />

wer<strong>de</strong>n, daß sie wie<strong>de</strong>r in das Paradies eingesetzt und gekrönt wer<strong>de</strong>n als Miterben mit ihm<br />

für die „vorige Herrschaft“. Micha 4,8. Satan hatte gehofft, die Menschen mit seinen<br />

Bemühungen versuchen und täuschen, <strong>de</strong>n göttlichen Plan bei <strong>de</strong>r Erschaffung <strong>de</strong>s<br />

Menschen vereiteln zu können; Christus aber bittet nun, daß dieser Plan ausgeführt wer<strong>de</strong>,<br />

als wäre <strong>de</strong>r Mensch nie gefallen. Er bittet für sein Volk nicht nur um völlige Vergebung<br />

und Rechtfertigung, son<strong>de</strong>rn auch um einen Anteil an seiner Herrlichkeit und um einen Sitz<br />

auf seinem Thron.<br />

Während Jesus für diese Menschen Fürbitte einlegt, beschuldigt Satan sie vor Gott als<br />

Übertreter. Der große Betrüger suchte sie in <strong>de</strong>n Unglauben zu verstricken und zu<br />

veranlassen, ihr Gottvertrauen fahren zu lassen, sich von <strong>de</strong>r Liebe Gottes zu trennen und<br />

<strong>de</strong>ssen Gesetz zu brechen. Nun verweist er auf ihren Lebensbericht, auf ihre charakterlichen<br />

Unvollkommenheiten, auf ihre Unähnlichkeit mit Christus, womit sie ihrem Erlöser<br />

Schan<strong>de</strong> bereitet haben, und auf alle Sün<strong>de</strong>n, zu <strong>de</strong>nen er sie verleitet hat, und beansprucht<br />

sie, in<strong>de</strong>m er sich auf diese Vorkommnisse stützt, als seine Untertanen.<br />

Jesus entschuldigt ihre Sün<strong>de</strong>n nicht, verweist aber auf ihre Reue und ihren Glauben<br />

und bittet für sie um Vergebung; er hält seine verwun<strong>de</strong>ten Hän<strong>de</strong> vor <strong>de</strong>m Vater und <strong>de</strong>n<br />

heiligen Engeln empor und ruft aus: „Ich kenne sie bei Namen, ich habe sie in meine Hän<strong>de</strong><br />

gezeichnet. ‚Die Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängsteter Geist; ein geängstet und<br />

zerschlagen Herz wirst du, Gott, nicht verachten.‘“ Psalm 51,19. Und <strong>de</strong>m Ankläger seines<br />

Volkes erklärt er: „Der Herr schelte dich, du Satan; ja, <strong>de</strong>r Herr schelte dich, <strong>de</strong>r Jerusalem<br />

erwählt hat! Ist dieser nicht ein Brand, <strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>m Feuer errettet ist?“ Sacharja 3,2.<br />

Christus wird seine Getreuen mit seiner eigenen Gerechtigkeit klei<strong>de</strong>n, damit er sie seinem<br />

Vater darstellen kann als „eine Gemein<strong>de</strong>, die herrlich sei, die nicht habe einen Flecken o<strong>de</strong>r<br />

Runzel o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s etwas“. Epheser 5,27. Ihre Namen stehen im Buch <strong>de</strong>s Lebens, und von<br />

ihnen ist geschrieben: „Sie wer<strong>de</strong>n mit mir wan<strong>de</strong>ln in weißen Klei<strong>de</strong>rn, <strong>de</strong>nn sie sind‘s<br />

wert.“ Offenbarung 3,4.<br />

So wird die vollkommene Erfüllung <strong>de</strong>r Verheißung <strong>de</strong>s Neuen Bun<strong>de</strong>s verwirklicht<br />

wer<strong>de</strong>n: „Ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sün<strong>de</strong> nimmermehr ge<strong>de</strong>nken“.<br />

„Zur selben Zeit und in <strong>de</strong>nselben Tagen wird man die Missetat Israels suchen, spricht <strong>de</strong>r<br />

Herr, aber es wird keine da sein, und die Sün<strong>de</strong>n Judas, aber es wird keine gefun<strong>de</strong>n<br />

wer<strong>de</strong>n.“ Jeremia 31,34; Jeremia 50,20. „In <strong>de</strong>r Zeit wird <strong>de</strong>s Herrn Zweig lieb und wert<br />

338


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

sein und die Frucht <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> herrlich und schön bei <strong>de</strong>nen, die erhalten wer<strong>de</strong>n in Israel.<br />

Und wer da wird übrig sein zu Zion und übrig bleiben zu Jerusalem, <strong>de</strong>r wird heilig heißen,<br />

ein jeglicher, <strong>de</strong>r geschrieben ist unter die Lebendigen zu Jerusalem.“ Jesaja 4,2.3.<br />

Das Untersuchungsgericht und die Austilgung <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>n muß vor <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft <strong>de</strong>s<br />

Herrn vollen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. Da die Toten gerichtet wer<strong>de</strong>n sollen nach <strong>de</strong>m, was in <strong>de</strong>n<br />

Büchern geschrieben steht, so ist es unmöglich, daß die Sün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Menschen vor Ablauf<br />

<strong>de</strong>s Gerichts, das ihr Lebenswerk untersucht, ausgetilgt wer<strong>de</strong>n können. Der Apostel Petrus<br />

sagt <strong>de</strong>utlich, daß die Sün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Gläubigen ausgetilgt wer<strong>de</strong>n sollen,„auf daß da komme<br />

die Zeit <strong>de</strong>r Erquickung von <strong>de</strong>m Angesichte <strong>de</strong>s Herrn, wenn er sen<strong>de</strong>n wird <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r euch<br />

jetzt zuvor gepredigt wird, Jesus Christus“. Apostelgeschichte 3,20. Wenn das<br />

Untersuchungsgericht been<strong>de</strong>t ist, wird Christus kommen und sein Lohn mit ihm, einem<br />

jeglichen zu geben, wie seine Werke sein wer<strong>de</strong>n.<br />

Im sinnbildlichen Dienst trat <strong>de</strong>r Hohepriester, nach<strong>de</strong>m er die Versöhnung für Israel<br />

erwirkt hatte, heraus und segnete die Gemein<strong>de</strong>. So wird auch Christus nach Beendigung<br />

seines Mittleramtes „ohne Sün<strong>de</strong> erscheinen ... zur Seligkeit“ (Hebräer 9,28), um sein<br />

harren<strong>de</strong>s Volk mit <strong>de</strong>m ewigen Leben zu segnen. Gleichwie <strong>de</strong>r Priester die Sün<strong>de</strong>n, als er<br />

sie aus <strong>de</strong>m Heiligtum entfernt hatte, auf das Haupt <strong>de</strong>s noch leben<strong>de</strong>n Bocks (Asasel)<br />

bekannte, so wird Christus alle diese Sün<strong>de</strong>n auf Satan, <strong>de</strong>n Urheber und Anstifter <strong>de</strong>r<br />

Sün<strong>de</strong>, legen. Dieser Asasel, <strong>de</strong>r die Sün<strong>de</strong>n Israels trug, wur<strong>de</strong> weggeführt „in die<br />

Wüste“ (3.Mose 16,22) ebenso wird Satan, die Schuld aller Sün<strong>de</strong>n tragend, zu <strong>de</strong>nen er<br />

Gottes Volk verführte, tausend Jahre lang auf <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>, die dann wüste und leer sein wird,<br />

gebannt sein und zuletzt die volle Strafe für die Sün<strong>de</strong> in <strong>de</strong>m Feuer erlei<strong>de</strong>n, das alle<br />

Gottlosen vernichten wird. Auf diese Weise wird <strong>de</strong>r große Erlösungsplan mit <strong>de</strong>r<br />

endgültigen Ausrottung <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> und mit <strong>de</strong>r Befreiung aller, die willens waren, <strong>de</strong>m<br />

Bösen zu wi<strong>de</strong>rstehen, vollen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n.<br />

Zu <strong>de</strong>r für das Gericht vorhergesagten Zeit, mit <strong>de</strong>m Ablauf <strong>de</strong>r zweitausenddreihun<strong>de</strong>rt<br />

Tage im Jahre 1844, begann die Untersuchung und die Austilgung <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>n. Alle, die<br />

jemals <strong>de</strong>n Namen Christi angenommen haben, wer<strong>de</strong>n einer genauen Prüfung unterzogen.<br />

Leben<strong>de</strong> und Tote sollen gerichtet wer<strong>de</strong>n nach <strong>de</strong>r Schrift in <strong>de</strong>n Büchern, nach ihren<br />

Werken. Sün<strong>de</strong>n, die nicht bereut und unterlassen wur<strong>de</strong>n, wer<strong>de</strong>n nicht vergeben und nicht<br />

aus <strong>de</strong>n Büchern ausgetilgt, son<strong>de</strong>rn am Tage Gottes gegen <strong>de</strong>n Sün<strong>de</strong>r zeugen. Er mag<br />

seine bösen Taten am hellen Tage o<strong>de</strong>r in finsterer Nacht begangen haben; sie waren „bloß<br />

und ent<strong>de</strong>ckt“ vor <strong>de</strong>m, in <strong>de</strong>ssen Hän<strong>de</strong>n wir sind. Die Engel Gottes sahen je<strong>de</strong> Sün<strong>de</strong> und<br />

verzeichneten sie in <strong>de</strong>n untrüglichen Büchern. Man mag die Sün<strong>de</strong> verhehlen, verleugnen,<br />

vor Vater, Mutter, Weib, Kin<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r Freun<strong>de</strong>n ver<strong>de</strong>cken, kein einziger außer <strong>de</strong>n<br />

schuldigen Tätern mag <strong>de</strong>n allergeringsten Verdacht von <strong>de</strong>m Unrecht hegen; aber es ist<br />

offenbar vor <strong>de</strong>n himmlischen Wesen. Das Dunkel <strong>de</strong>r finstersten Nacht, die Heimlichkeit<br />

<strong>de</strong>r täuschendsten Künste genügt nicht, um auch nur einen Gedanken vor <strong>de</strong>r Allwissenheit<br />

<strong>de</strong>s Ewigen zu verschleiern. Gott hat ein genaues Verzeichnis aller ungerechten Berichte,<br />

339


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

je<strong>de</strong>r unbilligen Handlung. Er ist nicht durch <strong>de</strong>n Schein eines gottseligen Wesens zu<br />

täuschen. Ihm unterläuft kein Fehler bei <strong>de</strong>r Beurteilung <strong>de</strong>s Charakters. Die Menschen<br />

mögen von <strong>de</strong>nen, die ver<strong>de</strong>rbten Herzens sind, betrogen wer<strong>de</strong>n; aber Gott durchdringt alle<br />

Verstellung und erkennt das innere Leben.<br />

Wie ernst ist dieser Gedanke! Ein Tag nach <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn vergeht und belastet die<br />

himmlischen Bücher mit seinen Berichten. Einmal gesprochene Worte, einmal begangene<br />

Taten lassen sich nie mehr ungeschehen machen. Die Engel haben bei<strong>de</strong>s eingetragen, das<br />

Gute und das Böse. Der gewaltigste Eroberer auf Er<strong>de</strong>n ist nicht imstan<strong>de</strong>, <strong>de</strong>n Bericht auch<br />

nur eines einzigen Tages zurückzunehmen. Unsere Taten, unsere Worte, ja unsere<br />

geheimsten Gedanken tragen alle zur Entscheidung unseres Schicksals bei, sei es zum<br />

Leben o<strong>de</strong>r zum To<strong>de</strong>. Obgleich wir sie vergessen, wird ihr Zeugnis dazu dienen, uns zu<br />

rechtfertigen o<strong>de</strong>r zu verdammen. So wie die Gesichtszüge durch <strong>de</strong>n Künstler mit<br />

untrüglicher Genauigkeit auf die glänzen<strong>de</strong> Platte gebannt wer<strong>de</strong>n, so getreu wird <strong>de</strong>r<br />

Charakter in <strong>de</strong>n Büchern droben dargestellt. Doch wie wenig Sorge macht man sich um<br />

<strong>de</strong>n Bericht, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Blick himmlischer Wesen ausgesetzt ist. Könnte <strong>de</strong>r Schleier, <strong>de</strong>r die<br />

sichtbare Welt von <strong>de</strong>r unsichtbaren trennt, zurückgeschlagen wer<strong>de</strong>n, und könnten die<br />

Menschenkin<strong>de</strong>r einem Engel zusehen, <strong>de</strong>r je<strong>de</strong>s Wort und je<strong>de</strong> Tat verzeichnet, die im<br />

Gericht offenbar wer<strong>de</strong>n müssen, wie viele täglich ausgesprochene Worte blieben<br />

unausgesprochen, wie viele Taten ungetan!<br />

Im Gericht wird die Anwendung je<strong>de</strong>r anvertrauten Gabe genau geprüft wer<strong>de</strong>n. Wie<br />

haben wir die uns vom Himmel verliehenen Güter verwen<strong>de</strong>t? Wird <strong>de</strong>r Herr bei seinem<br />

Erscheinen sein Eigentum mit Zinsen wie<strong>de</strong>rnehmen? Haben wir die uns in Hand, Herz und<br />

Hirn anvertrauten Kräfte zur Verherrlichung Gottes und zum Segen <strong>de</strong>r Welt eingesetzt?<br />

Wie haben wir unsere Zeit, unsere Fe<strong>de</strong>r, unsere Stimme, unser Geld, unseren Einfluß<br />

verwertet? Was haben wir für Christus in Gestalt <strong>de</strong>r Armen, <strong>de</strong>r Heimgesuchten, <strong>de</strong>r<br />

Witwen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Waisen getan? Gott hat uns beauftragt, sein heiliges Wort zu bewahren;<br />

was haben wir mit <strong>de</strong>m Licht und <strong>de</strong>r Wahrheit getan, die uns verliehen wur<strong>de</strong>n, damit wir<br />

die Menschen zur Seligkeit führten? Einem bloßen Glaubensbekenntnis an Christus wird<br />

kein Wert beigemessen; nur die Liebe, die sich in guten Werken erweist, wird als echt<br />

anerkannt. Und doch ist es die Liebe allein, die in <strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>s Himmels eine Tat wertvoll<br />

macht. Was immer aus Liebe geschieht, wird Gott annehmen und belohnen, wie gering es<br />

auch in <strong>de</strong>r Menschen Augen scheinen mag.<br />

Die verborgene Selbstsucht <strong>de</strong>r Menschen ist in <strong>de</strong>n Büchern <strong>de</strong>s Himmels offenbart.<br />

Dort fin<strong>de</strong>t sich <strong>de</strong>r Bericht unerfüllter Pflichten gegen die Mitmenschen, die<br />

Vernachlässigung <strong>de</strong>r Ansprüche <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s. Dort wer<strong>de</strong>n sie sehen, wie oft Satan die<br />

Zeit, die Gedanken und die Kraft gegeben wur<strong>de</strong>n, die Christus gebührten. Traurig ist <strong>de</strong>r<br />

Bericht, <strong>de</strong>n Engel gen Himmel tragen. Vernunftbegabte Wesen, Menschen, die sich<br />

Nachfolger Christi nennen, sind gänzlich von <strong>de</strong>m Trachten nach weltlichen Besitztümern<br />

o<strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>n Genüssen irdischer Vergnügungen in Anspruch genommen. Geld, Zeit und<br />

340


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kräfte wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m Aufwand <strong>de</strong>r Genußsucht geopfert; nur wenige Augenblicke sind <strong>de</strong>m<br />

Gebet, <strong>de</strong>m Schriftstudium, <strong>de</strong>r Demütigung <strong>de</strong>r Seele und <strong>de</strong>m Bekennen <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong><br />

geweiht.<br />

Satan erfin<strong>de</strong>t unzählige Pläne, um unsere Gedanken zu beschäftigen, damit sie sich<br />

nicht mit <strong>de</strong>m Werk befassen können, mit <strong>de</strong>m wir am besten vertraut sein sollten. Der<br />

Erzbetrüger haßt die großen Wahrheiten, die ein versöhnen<strong>de</strong>s Opfer und einen<br />

allmächtigen Mittler erkennen lassen. Er weiß, daß für ihn alles davon abhängt, die<br />

Gedanken von Jesus und seiner Wahrheit abzulenken. Wer die Wohltaten <strong>de</strong>r Fürsprache<br />

Christi empfangen möchte, sollte sich durch nichts von seiner Pflicht abhalten lassen, die<br />

Heiligung in <strong>de</strong>r Furcht Gottes zu vervollkommnen. Statt kostbare Stun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m Vergnügen,<br />

<strong>de</strong>m Aufwand o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Gewinnsucht zu opfern, wäre es besser, sie einem ernsten,<br />

andachtsvollen Studium <strong>de</strong>s Wortes <strong>de</strong>r Wahrheit zu widmen. Das Wesen <strong>de</strong>s Heiligtums<br />

und <strong>de</strong>s Untersuchungsgerichts sollte das Volk Gottes klar und <strong>de</strong>utlich verstehen. Alle<br />

bedürfen einer persönlichen Erkenntnis <strong>de</strong>r Stellung und <strong>de</strong>s Werkes ihres großen<br />

Hohenpriesters, sonst wird es ihnen unmöglich sein, <strong>de</strong>n in dieser Zeit so wesentlichen<br />

Glauben zu üben o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Platz einzunehmen, <strong>de</strong>n sie nach Gottes Willen ausfüllen sollen.<br />

Je<strong>de</strong>r Mensch hat eine Seele zu retten o<strong>de</strong>r zu verlieren. Je<strong>de</strong>r harrt auf die Entscheidung<br />

über sein Leben im Gericht Gottes. Je<strong>de</strong>r muß <strong>de</strong>m großen Richter von Angesicht zu<br />

Angesicht gegenübertreten. Wie wichtig ist es daher für je<strong>de</strong>n, die ernste Tatsache zu<br />

erwägen, daß Gericht gehalten wird und die Bücher aufgetan wer<strong>de</strong>n, und daß ein je<strong>de</strong>r mit<br />

Daniel in seinem Erbteil stehen muß am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Tage.<br />

Alle, die über diese Dinge Licht erhalten haben, müssen von <strong>de</strong>n erhabenen Wahrheiten,<br />

die Gott ihnen anvertraut hat, Zeugnis ablegen. Das himmlische Heiligtum ist <strong>de</strong>r echte<br />

Mittelpunkt <strong>de</strong>s Werkes Christi für die Menschen. Das geht je<strong>de</strong> Seele an, die auf Er<strong>de</strong>n lebt.<br />

Es erschließt unseren Blicken <strong>de</strong>n Erlösungsplan bis an das unmittelbare En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Zeit und<br />

offenbart <strong>de</strong>n siegreichen Ausgang <strong>de</strong>s zwischen <strong>de</strong>r Gerechtigkeit und <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong><br />

stattfin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Kampfes. Es ist von größter Wichtigkeit, daß wir alle diese Vorgänge<br />

gründlichst untersuchen und imstan<strong>de</strong> sind, je<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r uns fragt, einen Grund zu geben <strong>de</strong>r<br />

Hoffnung, die in uns ist.<br />

Die Fürsprache Christi im Heiligtum droben für <strong>de</strong>n Menschen ist ein ebenso<br />

wesentlicher Teil <strong>de</strong>s Heilsplanes wie sein Tod am Kreuz. Mit seinem To<strong>de</strong> begann er das<br />

Werk, das zu vollen<strong>de</strong>n er nach seiner Auferstehung gen Himmel fuhr. Wir müssen im<br />

Glauben „in das Inwendige <strong>de</strong>s Vorhangs“ eingehen, „dahin <strong>de</strong>r Vorläufer für uns<br />

eingegangen“. Hebräer 6,20. Dort spiegelt sich das vom Kreuz auf Golgatha ausstrahlen<strong>de</strong><br />

Licht wi<strong>de</strong>r. Dort vermögen wir einen klareren Einblick in die Geheimnisse <strong>de</strong>r Erlösung zu<br />

gewinnen. Die Seligkeit <strong>de</strong>s Menschen ist mit unermeßlichen Kosten <strong>de</strong>s Himmels erreicht<br />

wor<strong>de</strong>n; das dargebrachte Opfer entspricht allen Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s gebrochenen Gesetzes<br />

Gottes. Jesus hat <strong>de</strong>n Weg zum Thron <strong>de</strong>s Vaters gebahnt, und durch seine Vermittlung<br />

341


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

kann das aufrichtige Verlangen aller Menschen, die im Glauben zu ihm kommen, vor Gott<br />

gebracht wer<strong>de</strong>n.<br />

„Wer seine Missetat leugnet, <strong>de</strong>m wird es nicht gelingen; wer sie aber bekennt und läßt,<br />

<strong>de</strong>r wird Barmherzigkeit erlangen.“ Sprüche 28,13. Sähen doch alle, die ihre Fehler<br />

verbergen und entschuldigen, wie Satan über sie jubelt, wie er Christus und die heiligen<br />

Engel mit ihrem Wan<strong>de</strong>l schmäht, so wür<strong>de</strong>n sie eilends ihre Sün<strong>de</strong>n bekennen und ablegen.<br />

In<strong>de</strong>m Satan <strong>de</strong>n Charakter schwächt, sucht er sich <strong>de</strong>s ganzen Gemüts zu bemächtigen, und<br />

er weiß, daß es ihm gelingen wird, falls diese Schwächen genährt wer<strong>de</strong>n. Darum will er die<br />

Nachfolger Christi beständig mit seinen unheilvollen Vorspiegelungen täuschen, daß es<br />

ihnen unmöglich sei zu überwin<strong>de</strong>n. Aber Jesus bittet für sie mit seinen verwun<strong>de</strong>ten<br />

Hän<strong>de</strong>n und seinem zerschlagenen Leib und sagt allen, die ihm nachfolgen wollen: „Laß dir<br />

an meiner Gna<strong>de</strong> genügen.“ 2.Korinther 12,9. „Nehmet auf euch mein Joch und lernet von<br />

mir; <strong>de</strong>nn ich bin sanftmütig und von Herzen <strong>de</strong>mütig; so wer<strong>de</strong>t ihr Ruhe fin<strong>de</strong>n für eure<br />

Seelen: Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.“ Matthäus 11,29.30. Keines<br />

Menschen Fehler sind unheilbar. Gott wird Glauben und Gna<strong>de</strong> verleihen, sie zu<br />

überwin<strong>de</strong>n.<br />

Wir leben in <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>s großen Versöhnungstages. Im Schattendienst mußten alle,<br />

während <strong>de</strong>r Hohepriester für Israel die Versöhnung erwirkte, ihre Seele kasteien, in<strong>de</strong>m sie<br />

ihre Sün<strong>de</strong>n bereuten und sich vor <strong>de</strong>m Herrn <strong>de</strong>mütigten, damit sie nicht von <strong>de</strong>m Volk<br />

ausgerottet wür<strong>de</strong>n. In gleicher Weise sollten jetzt alle, die ihren Namen im Lebensbuch<br />

erhalten wollen, in <strong>de</strong>n wenigen noch verbleiben<strong>de</strong>n Tagen ihrer Gna<strong>de</strong>nzeit ihre Sün<strong>de</strong>n<br />

bereuen und ihre Seele durch wahrhafte Buße vor <strong>de</strong>m Herrn <strong>de</strong>mütigen. Das Herz muß<br />

einer tiefgehen<strong>de</strong>n, gewissenhaften Prüfung unterzogen wer<strong>de</strong>n. Der leichtfertige,<br />

oberflächliche Geist, <strong>de</strong>n so viele bekenntliche Christen an <strong>de</strong>n Tag legen, muß abgetan<br />

wer<strong>de</strong>n. Es steht allen ein schwerer Kampf bevor, die die üble Neigung, nach Macht zu<br />

streben, überwin<strong>de</strong>n sollen. Das Werk <strong>de</strong>r Vorbereitung ist eine persönliche Aufgabe. Wir<br />

wer<strong>de</strong>n nicht scharenweise erlöst. Die Frömmigkeit und Reinheit <strong>de</strong>s einen kann nicht das<br />

Fehlen dieser Eigenschaften bei einem an<strong>de</strong>rn ersetzen. Obgleich alle Völker vor <strong>de</strong>m<br />

Gericht Gottes erscheinen müssen, wird Gott doch <strong>de</strong>n Fall je<strong>de</strong>s einzelnen so gründlich und<br />

genau untersuchen, als gäbe es keine an<strong>de</strong>rn Wesen auf Er<strong>de</strong>n. Je<strong>de</strong>r muß bei seiner Prüfung<br />

ohne Flecken, ohne Runzel o<strong>de</strong>r sonst etwas Derartiges gefun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.<br />

Sehr ernst sind die mit <strong>de</strong>m Schlußwerk <strong>de</strong>r Versöhnung zusammenhängen<strong>de</strong>n<br />

Vorgänge, folgenschwer die damit verbun<strong>de</strong>nen Tatsachen. Das Gericht geht jetzt im<br />

himmlischen Heiligtum vor sich. Schon viele Jahre wird dies Werk getan. Bald — niemand<br />

weiß wie bald — wer<strong>de</strong>n die Fälle <strong>de</strong>r Leben<strong>de</strong>n behan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>r Ehrfurcht<br />

gebieten<strong>de</strong>n Gegenwart Gottes wird unser Leben untersucht wer<strong>de</strong>n. Mehr <strong>de</strong>nn je ist es<br />

jetzt am Platze, daß je<strong>de</strong> Seele die Ermahnung <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s beherzige. „Sehet zu, wachet<br />

und betet, <strong>de</strong>nn ihr wisset nicht, wann es Zeit ist.“ Markus 13,33. „So du nicht wirst wachen,<br />

342


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

wer<strong>de</strong> ich über dich kommen wie ein Dieb, und wirst nicht wissen, welche Stun<strong>de</strong> ich über<br />

dich kommen wer<strong>de</strong>.“ Offenbarung 3,3.<br />

Geht dann das Untersuchungsgericht zu En<strong>de</strong>, so wird das Schicksal aller Menschen<br />

zum Leben o<strong>de</strong>r zum To<strong>de</strong> entschie<strong>de</strong>n sein. Die Gna<strong>de</strong>nzeit en<strong>de</strong>t kurz vor <strong>de</strong>r<br />

Erscheinung <strong>de</strong>s Herrn in <strong>de</strong>n Wolken <strong>de</strong>s Himmels. Christus erklärte im Hinblick auf diese<br />

Zeit: „Wer böse ist, <strong>de</strong>r sei fernerhin böse, und wer unrein ist, <strong>de</strong>r sei fernerhin unrein; aber<br />

wer fromm ist, <strong>de</strong>r sei fernerhin fromm, und wer heilig ist, <strong>de</strong>r sei fernerhin heilig. Siehe,<br />

ich komme bald und mein Lohn mit mir, zu geben einem jeglichen, wie seine Werke sein<br />

wer<strong>de</strong>n.“ Offenbarung 22,11.12.<br />

Die Gerechten und Gottlosen wer<strong>de</strong>n dann noch in ihrem sterblichen Zustand auf Er<strong>de</strong>n<br />

leben: sie wer<strong>de</strong>n pflanzen und bauen, essen und trinken und nicht wissen, daß die<br />

endgültige unwi<strong>de</strong>rrufliche Entscheidung im himmlischen Heiligtum bereits gefallen ist.<br />

Vor <strong>de</strong>r Sintflut, nach<strong>de</strong>m Noah in die Arche gegangen war, machte Gott hinter ihm zu und<br />

schloß die Gottlosen aus; sieben Tage lang setzten die Menschen ihre gleichgültige,<br />

vergnügungssüchtige Lebensweise fort und spotteten <strong>de</strong>r Warnungen eines drohen<strong>de</strong>n<br />

Gerichts, ohne zu wissen, daß ihr Schicksal entschie<strong>de</strong>n war. „Also“, sagte <strong>de</strong>r Heiland,<br />

„wird auch sein die Zukunft <strong>de</strong>s Menschensohnes.“ Matthäus 24,39. Still, unbeachtet wie<br />

ein Dieb um Mitternacht wird die entscheidungsvolle Stun<strong>de</strong> kommen, in <strong>de</strong>r sich das<br />

Schicksal je<strong>de</strong>s Menschen erfüllen und die <strong>de</strong>n sündigen Menschen angebotene göttliche<br />

Gna<strong>de</strong> auf immer entzogen wird.<br />

„So wachet nun ..., auf daß er nicht schnell komme und fin<strong>de</strong> euch schlafend.“ Markus<br />

13,35.36. Gefahrvoll ist <strong>de</strong>r Zustand <strong>de</strong>rer, die — <strong>de</strong>s Wachens mü<strong>de</strong> — sich <strong>de</strong>n<br />

Verführungen <strong>de</strong>r Welt zuwen<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>rselben Stun<strong>de</strong>, da <strong>de</strong>r Geschäftsmann sich ganz<br />

<strong>de</strong>m Gewinnstreben hingibt, da <strong>de</strong>r Vergnügungssüchtige seine Befriedigung sucht und die<br />

Mo<strong>de</strong>puppe ihren Schmuck anlegt, kann <strong>de</strong>r Richter <strong>de</strong>r ganzen Welt <strong>de</strong>n Urteilsspruch<br />

aussprechen: „Man hat dich in einer Waage gewogen und zu leicht gefun<strong>de</strong>n.“ Daniel 5,27.<br />

Überwindung und Endsieg <strong>de</strong>r Gottgetreuen<br />

343


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 29- Der Ursprung <strong>de</strong>s Bosen<br />

Vielen Menschen ist <strong>de</strong>r Ursprung <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> und die Ursache ihres Daseins eine Quelle<br />

großer Verwirrung. Sie sehen das Werk <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> mit seinen schrecklichen Folgen, <strong>de</strong>m<br />

Kummer und <strong>de</strong>r Verwüstung, und sie fragen sich, wie dies alles unter <strong>de</strong>r Herrschaft <strong>de</strong>s<br />

Einen bestehen kann, <strong>de</strong>ssen Weisheit, Macht und Liebe unendlich ist. Das ist ein<br />

Geheimnis, für das sie keine Erklärung fin<strong>de</strong>n können. Und in ihrer Ungewißheit und ihrem<br />

Zweifel sind sie blind gegenüber <strong>de</strong>n so <strong>de</strong>utlich in Gottes Wort offenbarten und zur<br />

Erlösung so wesentlichen Wahrheiten. Es gibt Menschen, die bei ihrem Forschen über das<br />

Dasein <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> Dinge zu ergrün<strong>de</strong>n suchen, die Gott nie offenbart hat. Daher fin<strong>de</strong>n sie<br />

auch keine Lösung ihrer Schwierigkeiten; und solche Menschen, die mit einem Hang zum<br />

Zweifeln o<strong>de</strong>r zu Spitzfindigkeiten behaftet sind, führen diese Schwierigkeiten als<br />

Entschuldigung dafür an, daß sie die Worte <strong>de</strong>r Heiligen Schrift verwerfen. An<strong>de</strong>rn fehlt ein<br />

befriedigen<strong>de</strong>s Verständnis <strong>de</strong>r wichtigen Frage über die Sün<strong>de</strong>, weil herkömmliche<br />

Überlieferungen und falsche Auslegungen die Lehren <strong>de</strong>r Bibel über das Wesen Gottes, die<br />

Art und Weise seiner Regierung und die Grundsätze seines Verfahrens mit <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong><br />

verdunkelt haben.<br />

Es ist unmöglich, <strong>de</strong>n Ursprung <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> so zu erklären, daß dadurch eine Begründung<br />

für ihr Dasein gegeben wür<strong>de</strong>. Doch kann genug von <strong>de</strong>m Ursprung und <strong>de</strong>m endgültigen<br />

Schicksal <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n, um die Gerechtigkeit und die Güte Gottes in<br />

seinem ganzen Verfahren mit <strong>de</strong>m Bösen völlig zu offenbaren. Die Heilige Schrift lehrt<br />

nichts <strong>de</strong>utlicher, als daß Gott in keiner Hinsicht für das Eindringen <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong><br />

verantwortlich war, und daß zum Entstehen einer Empörung we<strong>de</strong>r ein willkürliches<br />

Entziehen <strong>de</strong>r göttlichen Gna<strong>de</strong> noch eine Unvollkommenheit in <strong>de</strong>r göttlichen Regierung<br />

Anlaß gab. Die Sün<strong>de</strong> ist ein Eindringling, für <strong>de</strong>ssen Erscheinen wir keine Ursache<br />

angeben können. Sie ist geheimnisvoll, seltsam, sie zu entschuldigen, hieße sie zu<br />

verteidigen. Wäre ihr Dasein zu entschuldigen o<strong>de</strong>r zu begrün<strong>de</strong>n, so hörte sie auf, Sün<strong>de</strong> zu<br />

sein. Unsere einzige Auslegung <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> entnehmen wir <strong>de</strong>m Worte Gottes: sie ist<br />

„Übertretung <strong>de</strong>s Gesetzes“, sie ist die Ausübung eines Grundsatzes, <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m großen<br />

Gesetz <strong>de</strong>r Liebe, das die Grundlage <strong>de</strong>r göttlichen Regierung bil<strong>de</strong>t, in Feindschaft steht.<br />

Ehe das Böse Eingang fand, walteten Frie<strong>de</strong> und Freu<strong>de</strong> im ganzen Weltall. Alles<br />

befand sich in vollkommener Harmonie mit <strong>de</strong>m Willen <strong>de</strong>s Schöpfers. Die Liebe zu Gott<br />

war über alles erhaben, die Liebe zueinan<strong>de</strong>r rein in ihren Beweggrün<strong>de</strong>n. Christus, das<br />

Wort, <strong>de</strong>r eingeborene Sohn Gottes, war eins mit <strong>de</strong>m ewigen Vater — eins in Natur, eins in<br />

seinem Wesen und eins in seinem Vorhaben —, das einzige Wesen im ganzen Weltall, das<br />

mit allen Ratschlüssen und Absichten Gottes vertraut war. Durch Christus wirkte <strong>de</strong>r Vater<br />

bei <strong>de</strong>r Erschaffung aller himmlischen Wesen. „Durch ihn ist alles geschaffen, was im<br />

Himmel ... ist, das Sichtbare und Unsichtbare, es seien Throne o<strong>de</strong>r Herrschaften o<strong>de</strong>r<br />

Fürstentümer o<strong>de</strong>r Obrigkeiten.“ Kolosser 1,16. Und <strong>de</strong>r ganze Himmel gelobte Christus<br />

und <strong>de</strong>m Vater Treue und Gehorsam.<br />

344


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Da das Gesetz <strong>de</strong>r Liebe die Grundlage <strong>de</strong>r Regierung Gottes war, so hing das Glück<br />

aller erschaffenen Wesen von ihrer vollkommenen Übereinstimmung mit <strong>de</strong>n erhabenen<br />

Grundsätzen <strong>de</strong>r Gerechtigkeit ab. Gott sieht bei allen seinen Geschöpfen auf <strong>de</strong>n Dienst <strong>de</strong>r<br />

Liebe, auf eine Huldigung, die einer einsichtsvollen Wertschätzung seines Charakters<br />

entspringt. Er hat kein Gefallen an erzwungener Treue. Er verleiht allen Menschen<br />

Willensfreiheit, damit sie ihm freiwillig dienen können. Einer war jedoch da, <strong>de</strong>r es vorzog,<br />

diese Freiheit zu verfälschen. Die Sün<strong>de</strong> hatte ihren Ursprung bei <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r nächst Christus<br />

am meisten von Gott geehrt wor<strong>de</strong>n war, und <strong>de</strong>r unter <strong>de</strong>n Bewohnern <strong>de</strong>s Himmels an<br />

Macht und Ehre am höchsten stand. Vor seinem Fall war Luzifer <strong>de</strong>r erste <strong>de</strong>r schirmen<strong>de</strong>n<br />

Engel, heilig und unbefleckt. „So spricht <strong>de</strong>r Herr Herr: Du bist ein reinliches Siegel, voller<br />

Weisheit und aus <strong>de</strong>r Maßen schön ... Du bist wie ein Cherub, <strong>de</strong>r sich weit ausbreitet und<br />

<strong>de</strong>cket; und ich habe dich auf <strong>de</strong>n heiligen Berg Gottes gesetzt, daß du unter <strong>de</strong>n feurigen<br />

Steinen wan<strong>de</strong>lst. Du warst ohne Ta<strong>de</strong>l in <strong>de</strong>inem Tun von <strong>de</strong>m Tage an, da du geschaffen<br />

wur<strong>de</strong>st, bis sich <strong>de</strong>ine Missetat gefun<strong>de</strong>n hat.“ Hesekiel 28,12-15.<br />

Von allen Engelscharen geliebt und geehrt, hätte Luzifer in <strong>de</strong>r Gunst Gottes bleiben<br />

und seine ganze hohe Begabung zum Segen an<strong>de</strong>rer und zur Verherrlichung seines<br />

Schöpfers anwen<strong>de</strong>n können. Aber <strong>de</strong>r Prophet sagt: „Dein Herz erhob sich wegen <strong>de</strong>iner<br />

Schönheit, du verlorest <strong>de</strong>inen Verstand wegen <strong>de</strong>ines Glanzes.“ Hesekiel 28,17 (v. Eß).<br />

Ganz allmählich kam in Luzifer die Neigung zur Selbsterhebung auf: „Weil sich <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>in<br />

Herz erhebt, als wäre es eines Gottes Herz.“ „Gedachtest du doch ...: ‚Ich will meinen Stuhl<br />

über die Sterne Gottes erhöhen; ich will mich setzen auf <strong>de</strong>n Berg <strong>de</strong>r Versammlung ... ich<br />

will über die hohen Wolken fahren und gleich sein <strong>de</strong>m Allerhöchsten‘.“ Hesekiel 28,6;<br />

Jesaja 14,13.14. Anstatt danach zu trachten, Gott durch die Anhänglichkeit und Treue seiner<br />

Geschöpfe über alles zu erhöhen, war es Luzifers Bestreben, ihren Dienst und ihre<br />

Huldigung für sich zu gewinnen. Und in<strong>de</strong>m ihn nach <strong>de</strong>r Ehre gelüstete, die <strong>de</strong>r unendliche<br />

Vater seinem Sohne gegeben hatte, strebte dieser Engelfürst nach einer Macht, die<br />

ausschließlich Christus vorbehalten war.<br />

Der ganze Himmel hatte Freu<strong>de</strong> daran gefun<strong>de</strong>n, die Herrlichkeit <strong>de</strong>s Schöpfers<br />

wi<strong>de</strong>rzustrahlen und seine Gerechtigkeit zu rühmen. Und während Gott auf diese Weise<br />

geehrt wur<strong>de</strong>, war alles von Frie<strong>de</strong> und Freu<strong>de</strong> erfüllt gewesen. Doch nun störte ein Mißton<br />

<strong>de</strong>n himmlischen Einklang. Die Selbsterhebung und ihr Dienst, die <strong>de</strong>m Plan <strong>de</strong>s Schöpfers<br />

zuwi<strong>de</strong>r sind, erweckten unheilvolle Vorahnungen in Gemütern, <strong>de</strong>nen die Verherrlichung<br />

Gottes das Höchste be<strong>de</strong>utete. Der himmlische Rat verhan<strong>de</strong>lte die Angelegenheit mit<br />

Luzifer. Der Sohn Gottes stellte ihm die Größe, Güte und Gerechtigkeit <strong>de</strong>s Schöpfers und<br />

das heilige und unverän<strong>de</strong>rliche Wesen seines Gesetzes vor Augen. Gott selbst habe die<br />

Ordnung <strong>de</strong>s Himmels eingeführt, und Luzifer wer<strong>de</strong> seinen Schöpfer verachten und sich<br />

ins Ver<strong>de</strong>rben stürzen, wenn er von dieser Ordnung abweiche. Aber die in unendlicher<br />

Liebe und Barmherzigkeit erteilte Warnung erregte nur <strong>de</strong>n Geist <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rstan<strong>de</strong>s. Luzifer<br />

ließ sich von <strong>de</strong>r Eifersucht gegen Christus beherrschen und han<strong>de</strong>lte um so entschlossener.<br />

345


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Der Stolz auf seine Herrlichkeit nährte das Verlangen nach <strong>de</strong>r Oberherrschaft. Die<br />

Luzifer erwiesenen hohen Ehren wur<strong>de</strong>n von ihm nicht als Gabe Gottes anerkannt und<br />

stimmten ihn nicht dankbar gegen <strong>de</strong>n Schöpfer. Er brüstete sich mit seiner Herrlichkeit und<br />

erhabenen Stellung und strebte danach, Gott gleich zu sein. Die himmlischen Heerscharen<br />

liebten und ehrten ihn. Engel fan<strong>de</strong>n Freu<strong>de</strong> daran, seine Anordnungen auszuführen, und er<br />

war mehr als sie alle mit Weisheit und Herrlichkeit ausgestattet. Dennoch war <strong>de</strong>r Sohn<br />

Gottes <strong>de</strong>r anerkannte Fürst <strong>de</strong>s Himmels, eins mit <strong>de</strong>m Vater in Macht und Gewalt. An<br />

allen Ratschlüssen Gottes hatte Christus Anteil, während Luzifer nicht so tief in die<br />

göttlichen Absichten eingeweiht wur<strong>de</strong>. Warum, so fragte dieser gewaltige Engel, sollte<br />

Christus die Oberherrschaft haben? Warum wird er auf diese Weise höher geehrt als ich?<br />

Luzifer verließ seinen Platz in <strong>de</strong>r unmittelbaren Nähe Gottes und ging hin und säte <strong>de</strong>n<br />

Geist <strong>de</strong>r Unzufrie<strong>de</strong>nheit unter die Engel. Während er sein Werk unter geheimnisvoller<br />

Verschwiegenheit betrieb und seine wahren Absichten eine Zeitlang unter <strong>de</strong>m Anschein<br />

<strong>de</strong>r Ehrfurcht vor Gott verbarg, versuchte er, Unzufrie<strong>de</strong>nheit über die <strong>de</strong>n himmlischen<br />

Wesen gegebenen Gesetze zu erregen und be<strong>de</strong>utete ihnen, daß diese unnötige<br />

Einschränkungen auferlegten. Er behauptete, die Engel dürften, da sie von Natur heilig seien,<br />

auch <strong>de</strong>n Eingebungen ihres eigenen Willens gehorchen. Er versuchte, Mitgefühl für sich<br />

selbst zu gewinnen, in<strong>de</strong>m er das Geschehen so darstellte, als behan<strong>de</strong>lte Gott ihn ungerecht,<br />

da er Christus die höchste Ehre erzeigte. Er gab vor, nicht nach Selbsterhebung zu trachten,<br />

wenn er nach größerer Macht und Ehre suche, son<strong>de</strong>rn daß er die Freiheit für alle Bewohner<br />

<strong>de</strong>s Himmels sichern wolle, damit sie dadurch eine höhere Daseinsstufe erreichen möchten.<br />

Gott trug Luzifer lange mit großer Barmherzigkeit. Er enthob ihn nicht sofort seiner<br />

hohen Stellung, als er begann, sich <strong>de</strong>m Geist <strong>de</strong>r Unzufrie<strong>de</strong>nheit zu ergeben, selbst dann<br />

noch nicht, als er seine falschen Ansprüche <strong>de</strong>n getreuen Engeln unterbreitete. Gott dul<strong>de</strong>te<br />

ihn noch lange Zeit im Himmel. Immer wie<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong> ihm unter <strong>de</strong>r Bedingung, daß er<br />

bereute und sich unterwarf, Vergebung angeboten. So große Anstrengungen, wie sie nur<br />

unendliche Liebe und Weisheit ersinnen konnten, wur<strong>de</strong>n unternommen, um ihn seines<br />

Irrtums zu überführen. Bisher hatte man im Himmel <strong>de</strong>n Geist <strong>de</strong>r Unzufrie<strong>de</strong>nheit nicht<br />

gekannt. Luzifer selbst sah anfangs nicht, wohin es ihn trieb; er erkannte die wahre Natur<br />

seiner Gefühle nicht. Als dann die Grundlosigkeit seiner Unzufrie<strong>de</strong>nheit nachgewiesen<br />

wur<strong>de</strong>, kam er zu <strong>de</strong>r Überzeugung, daß er sich im Unrecht befand, daß die göttlichen<br />

Ansprüche gerecht waren und er sie als solche vor <strong>de</strong>m ganzen Himmel anerkennen müßte.<br />

Wäre er <strong>de</strong>m gefolgt, so hätte er sich selbst und viele Engel retten können; <strong>de</strong>nn zu dieser<br />

Zeit hatte er seine Unterwürfigkeit gegen Gott noch nicht ganz fahren lassen. Obgleich er<br />

seine Stellung als schirmen<strong>de</strong>r Engel verlassen hatte, wäre er doch wie<strong>de</strong>r in sein Amt<br />

eingesetzt wor<strong>de</strong>n, hätte er zu Gott zurückgefun<strong>de</strong>n, die Weisheit <strong>de</strong>s Schöpfers anerkannt<br />

und sich begnügt, <strong>de</strong>n ihm nach <strong>de</strong>m erhabenen Plane Gottes zugeordneten Platz zu<br />

beklei<strong>de</strong>n. Aber sein Stolz hin<strong>de</strong>rte ihn, sich zu unterwerfen. Er verteidigte beharrlich sein<br />

Verhalten, behauptete, keiner Buße zu bedürfen, und überließ sich völlig <strong>de</strong>m großen Streit<br />

mit seinem Schöpfer.<br />

346


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Er richtete nun alle Kräfte seines gewaltigen Geistes auf Täuschungen, um bei <strong>de</strong>n<br />

Engeln, die unter seinem Befehl gestan<strong>de</strong>n hatten, Mitgefühl zu erregen; sogar die Tatsache,<br />

daß Christus ihn gewarnt und ihm Rat erteilt hatte, wur<strong>de</strong> verdreht, um sie seinen<br />

verräterischen Zwecken dienstbar zu machen. Denen, <strong>de</strong>ren liebevolles Vertrauen sie am<br />

innigsten mit ihm verband, hatte er vorgehalten, daß man ihn ungerecht beurteile, daß man<br />

seine Stellung nicht achte und daß seine Freiheit beschränkt wer<strong>de</strong>n solle. Von falschen<br />

Darstellungen <strong>de</strong>r Worte Christi ging er auf Verdrehungen und schroffe Unwahrheiten über<br />

und beschuldigte <strong>de</strong>n Sohn Gottes, ihn vor <strong>de</strong>n Bewohnern <strong>de</strong>s Himmels <strong>de</strong>mütigen zu<br />

wollen. Auch suchte er Streitigkeiten zwischen sich und <strong>de</strong>n treuen Engeln hervorzurufen.<br />

Alle, die er nicht verführen und völlig auf seine Seite ziehen konnte, klagte er an, gegen das<br />

Wohl <strong>de</strong>r himmlischen Wesen gleichgültig zu sein. Gera<strong>de</strong> das Werk, das er selbst betrieb,<br />

legte er <strong>de</strong>nen zur Last, die Gott treu blieben. Und um seiner Klage über Gottes<br />

Ungerechtigkeit gegen ihn Nachdruck zu geben, stellte er die Worte und Handlungen <strong>de</strong>s<br />

Schöpfers falsch dar. Es lag in seiner Absicht, die Engel mit spitzfindigen Beweisführungen<br />

hinsichtlich <strong>de</strong>r Absichten Gottes zu verwirren. Alles, was einfach war, hüllte er ins<br />

Geheimnisvolle und erregte durch listige Verdrehung Zweifel gegenüber <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utlichsten<br />

Aussagen <strong>de</strong>s Allerhöchsten. Seine hohe Stellung in solch enger Verbindung mit <strong>de</strong>r<br />

göttlichen Regierung verlieh seinen Vorspiegelungen eine um so größere Kraft und<br />

veranlaßte viele Engel, sich ihm bei <strong>de</strong>r Empörung gegen die Herrschaft <strong>de</strong>s Himmels<br />

anzuschließen.<br />

Der allweise Gott gestattete es Satan, sein Werk weiterzuführen, bis <strong>de</strong>r Geist <strong>de</strong>r<br />

Unzufrie<strong>de</strong>nheit zu offenem Aufruhr heranreifte. Seine Pläne mußten sich völlig entwickeln,<br />

damit ihr wahres Wesen und Streben von allen erkannt wer<strong>de</strong>n konnte. Luzifer hatte als <strong>de</strong>r<br />

gesalbte Cherub eine außeror<strong>de</strong>ntlich hohe Stellung eingenommen; er war von <strong>de</strong>n<br />

himmlischen Wesen sehr geliebt wor<strong>de</strong>n und hatte großen Einfluß auf sie ausgeübt. Gottes<br />

Regierung erstreckte sich nicht nur über die Geschöpfe <strong>de</strong>s Himmels, son<strong>de</strong>rn über die aller<br />

Welten, welche er geschaffen hatte, und Satan glaubte, falls er die Engel <strong>de</strong>s Himmels mit in<br />

die Empörung hineinziehen könnte, wür<strong>de</strong> er das gleiche auch auf <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn Welten<br />

zustan<strong>de</strong> bringen. Mit außeror<strong>de</strong>ntlichem Geschick hatte er seine Stellung in <strong>de</strong>r<br />

Angelegenheit dargelegt und Scheingrün<strong>de</strong> und Betrug angewandt, um seine Absichten zu<br />

erreichen. Seine Macht, zu täuschen, war sehr groß, und in<strong>de</strong>m er sich in ein Lügengewand<br />

klei<strong>de</strong>te, hatte er einen großen Vorteil gewonnen. Sogar die treuen Engel vermochten nicht<br />

völlig seinen Charakter zu durchschauen o<strong>de</strong>r zu erkennen, wohin sein Werk führte.<br />

Satan war so hoch geehrt wor<strong>de</strong>n, und alle seine Handlungen waren so<br />

geheimnisumwittert, daß es seine Schwierigkeit hatte, <strong>de</strong>n Engeln die wahre Natur seines<br />

Wirkens zu enthüllen. Bis zu ihrer völligen Entfaltung konnte die Sün<strong>de</strong> nicht so böse<br />

erscheinen, wie sie wirklich war. Vor<strong>de</strong>m hatte sie keinen Platz in Gottes Weltall gehabt,<br />

und <strong>de</strong>n heiligen Wesen war ihre Natur und Bösartigkeit unbekannt gewesen. Sie konnten<br />

die schrecklichen Folgen, die ein Beiseitesetzen <strong>de</strong>s göttlichen Gesetzes nach sich ziehen<br />

wür<strong>de</strong>, nicht erkennen. Satan hatte anfangs sein Werk unter einer scheinbaren<br />

347


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Anhänglichkeit an Gott verborgen. Er gab vor, die Ehre Gottes, die Beständigkeit seines<br />

Reiches und das Wohl aller Himmelsbewohner för<strong>de</strong>rn zu wollen. Während er <strong>de</strong>n ihm<br />

untergeordneten Engeln Un- zufrie<strong>de</strong>nheit einflößte, wußte er sich sehr geschickt <strong>de</strong>n<br />

Anschein zu geben, als wolle er je<strong>de</strong> Unzufrie<strong>de</strong>nheit beseitigen. Als er darauf drang, daß<br />

Verän<strong>de</strong>rungen an <strong>de</strong>n Gesetzen und Verordnungen <strong>de</strong>r Regierung Gottes vorgenommen<br />

wer<strong>de</strong>n sollten, geschah es unter <strong>de</strong>m Vorwand, daß sie notwendig seien, um die Eintracht<br />

<strong>de</strong>s Himmels zu bewahren.<br />

In <strong>de</strong>m Verfahren mit <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> konnte Gott nur mit Gerechtigkeit und Wahrheit<br />

vorgehen. Satan han<strong>de</strong>lte, wie Gott nicht han<strong>de</strong>ln konnte: durch Schmeichelei und Betrug.<br />

Er hatte versucht, das Wort Gottes zu verfälschen, und hatte <strong>de</strong>n Plan seiner Regierung <strong>de</strong>n<br />

Engeln falsch dargestellt, in<strong>de</strong>m er behauptete, Gott sei nicht gerecht, wenn er <strong>de</strong>n<br />

Bewohnern <strong>de</strong>s Himmels Gesetze und Vorschriften auferlege; er wolle sich, in<strong>de</strong>m er von<br />

seinen Geschöpfen Unterwürfigkeit und Gehorsam for<strong>de</strong>re, nur selbst erheben. Deshalb<br />

müsse sowohl <strong>de</strong>n Bewohnern <strong>de</strong>s Himmels als auch <strong>de</strong>nen aller Welten klar gezeigt<br />

wer<strong>de</strong>n, daß Gottes Regierung gerecht und sein Gesetz vollkommen sei. Satan hatte sich <strong>de</strong>n<br />

Anschein gegeben als suchte er selbst das Wohl <strong>de</strong>s Weltalls zu för<strong>de</strong>rn. Alle sollten <strong>de</strong>n<br />

wahren Charakter dieses Aufrührers und <strong>de</strong>ssen eigentliche Absichten verstehen, und<br />

<strong>de</strong>shalb mußte er Zeit haben, sich durch seine gottlosen Werke zu offenbaren.<br />

Die Uneinigkeit, die durch sein Verhalten im Himmel entstan<strong>de</strong>n war, legte Satan <strong>de</strong>m<br />

Gesetz und <strong>de</strong>r Regierung Gottes zur Last. Alles Böse, erklärte er, sei die Folge <strong>de</strong>r<br />

göttlichen Regierung. Er wolle die Satzungen Gottes verbessern. Deshalb war es notwendig,<br />

daß er das Wesen seiner Ansprüche entfaltete und die Wirkung seiner vorgeschlagenen<br />

Verän<strong>de</strong>rungen am göttlichen Gesetz praktisch zeigte. Sein eigenes Werk mußte ihn<br />

verdammen. Er hatte von Anfang an behauptet, er sei kein Empörer; daher mußte das ganze<br />

Weltall <strong>de</strong>n Betrüger entlarvt sehen.Selbst als es beschlossen war, daß Satan nicht länger im<br />

Himmel bleiben könnte, vernichtete ihn die unendliche Weisheit nicht. Da nur <strong>de</strong>r Dienst<br />

<strong>de</strong>r Liebe Gott angenehm sein kann, so muß sich die Treue seiner Geschöpfe auf die<br />

Überzeugung von seiner Gerechtigkeit und Güte grün<strong>de</strong>n.<br />

Die Bewohner <strong>de</strong>s Himmels und an<strong>de</strong>rer Welten hätten, da sie unvorbereitet waren, das<br />

Wesen o<strong>de</strong>r die Folgen <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> zu begreifen, die Gerechtigkeit und die Barmherzigkeit<br />

Gottes bei <strong>de</strong>r Vernichtung Satans nicht erkennen können. Wäre er unmittelbar aus <strong>de</strong>m<br />

Dasein ausgetilgt wor<strong>de</strong>n, so hätten sie Gott mehr aus Furcht <strong>de</strong>nn aus Liebe gedient. We<strong>de</strong>r<br />

wäre <strong>de</strong>r Einfluß <strong>de</strong>s Betrügers völlig verwischt noch <strong>de</strong>r Geist <strong>de</strong>r Empörung gänzlich<br />

ausgetilgt wor<strong>de</strong>n. Das Böse mußte reifen. Zum Besten <strong>de</strong>s gesamten Weltalls für ewige<br />

Zeiten mußte Satan seine Grundsätze ausführlicher entfalten, damit alle erschaffenen Wesen<br />

seine Anklagen gegen die göttliche Regierung in ihrem wahren Lichte sehen und die<br />

Gerechtigkeit und die Barmherzigkeit Gottes sowie die Unverän<strong>de</strong>rlichkeit seines Gesetzes<br />

für immer ohne allen Zweifel feststellen konnten.<br />

348


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Satans Empörung sollte <strong>de</strong>m Weltall für alle künftigen Zeiten eine Lehre sein, ein<br />

beständiges Zeugnis für die Natur und die schrecklichen Folgen <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>. Die Auswirkung<br />

<strong>de</strong>r Grundsätze Satans und ihre Folgen auf Menschen und Engel sollten die Frucht <strong>de</strong>r<br />

Mißachtung <strong>de</strong>r göttlichen Allmacht zeigen. Sie mußten bezeugen, daß mit <strong>de</strong>m Bestehen<br />

<strong>de</strong>r Regierung Gottes und seines Gesetzes die Wohlfahrt aller von ihm erschaffenen Wesen<br />

verbun<strong>de</strong>n ist. So sollte die Geschichte dieses schrecklichen Empörungsversuches für alle<br />

heiligen Wesen eine beständige Schutzwehr sein, um sie vor <strong>de</strong>r Täuschung zu bewahren,<br />

das Wesen <strong>de</strong>r Übertretung, das Begehen <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> und das Erlei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Strafe zu<br />

verkennen.<br />

Bis zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Streites im Himmel fuhr <strong>de</strong>r große Aufrührer fort, sich zu<br />

rechtfertigen. Als angekündigt wur<strong>de</strong>, daß er mit allen seinen Anhängern aus <strong>de</strong>n Stätten <strong>de</strong>r<br />

Wonne ausgestoßen wer<strong>de</strong>n müsse, erklärte <strong>de</strong>r Rä<strong>de</strong>lsführer kühn, er verachte <strong>de</strong>s<br />

Schöpfers Gesetz. Er wie<strong>de</strong>rholte immer wie<strong>de</strong>r seine Behauptung, daß die Engel keiner<br />

Aufsicht bedürften, son<strong>de</strong>rn frei sein müßten, ihrem eigenen Willen zu folgen, <strong>de</strong>r sie<br />

allezeit richtig führen wer<strong>de</strong>. Er schmähte die göttlichen Satzungen als eine Beschränkung<br />

ihrer Freiheit und erklärte, daß es seine Absicht sei, das Gesetz abzuschaffen, damit die<br />

Heerscharen <strong>de</strong>s Himmels, von diesem Zwang befreit, zu einem erhabeneren, herrlicheren<br />

Dasein gelangen möchten.<br />

In völligem Einverständnis legten Satan und seine Scharen die Verantwortung für ihre<br />

Empörung gänzlich Christus zur Last und behaupteten, sie hätten sich niemals aufgelehnt,<br />

wenn sie nicht gerügt wor<strong>de</strong>n wären. Da <strong>de</strong>r Erzempörer und alle seine Anhänger hartnäckig<br />

und herausfor<strong>de</strong>rnd in ihrer Treulosigkeit verharrten, da sie sich vergeblich bemühten, die<br />

Regierung Gottes zu stürzen, und sich <strong>de</strong>nnoch Gott gegenüber lästernd als unschuldige<br />

Opfer einer ungerechten Macht hinstellten, wur<strong>de</strong>n sie schließlich aus <strong>de</strong>m Himmel<br />

verbannt. Derselbe Geist, <strong>de</strong>r die Empörung im Himmel anstiftete, erregt noch immer<br />

Aufruhr auf Er<strong>de</strong>n. Satan verfolgt bei <strong>de</strong>n Menschen <strong>de</strong>nselben Plan, <strong>de</strong>n er bei <strong>de</strong>n Engeln<br />

anwandte. Sein Geist herrscht jetzt in <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Ungehorsams. Gleich ihm versuchen<br />

auch sie die Schranken <strong>de</strong>s Gesetzes Gottes nie<strong>de</strong>rzureißen und versprechen <strong>de</strong>n Menschen<br />

Freiheit durch die Übertretung seiner Verordnungen. Wegen <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> gerügt wor<strong>de</strong>n zu<br />

sein, erweckt noch immer <strong>de</strong>n Geist <strong>de</strong>s Hasses und <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rstan<strong>de</strong>s. Wirken Gottes<br />

Warnungsbotschaften auf das Gewissen, so verleitet Satan die Menschen, sich zu<br />

rechtfertigen und bei an<strong>de</strong>rn Teilnahme für ihr sündiges Leben zu suchen. Statt ihre Irrtümer<br />

zu berichtigen, erregen sie Unwillen gegen <strong>de</strong>n Mahnen<strong>de</strong>n, als sei er die einzige Ursache<br />

ihrer Schwierigkeit. Von <strong>de</strong>n Tagen <strong>de</strong>s gerechten Abel bis in unsere Zeit hat sich dieser<br />

Geist <strong>de</strong>nen gegenüber offenbart, die es wagten, die Sün<strong>de</strong> zu rügen.<br />

Durch die gleiche falsche Darstellung <strong>de</strong>s Wesens Gottes, <strong>de</strong>ren Satan sich im Himmel<br />

bediente und die Gott als streng und herrschsüchtig abstempelte, verleitete er die Menschen<br />

zur Sün<strong>de</strong>. Und als er damit Erfolg hatte, behauptete er, Gottes ungerechte Einschränkungen<br />

hätten zum Fall <strong>de</strong>r Menschen geführt, wie sie auch Anlaß zu seiner eigenen Empörung<br />

349


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

gewesen wären.Aber <strong>de</strong>r Ewige selbst verkün<strong>de</strong>t sein Wesen als „Herr, Herr, Gott,<br />

barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gna<strong>de</strong> und Treue! <strong>de</strong>r da bewahret<br />

Gna<strong>de</strong> in tausend Glie<strong>de</strong>r und vergibt Missetat, Übertretung und Sün<strong>de</strong>, und vor welchem<br />

niemand unschuldig ist.“ 2.Mose 34,6.7.<br />

Durch die Verbannung Satans aus <strong>de</strong>m Himmel bekun<strong>de</strong>te Gott seine Gerechtigkeit und<br />

behauptete die Ehre seines Thrones. Als aber <strong>de</strong>r Mensch sündigte, weil er auf die<br />

Täuschungen dieses abgefallenen Engelfürsten einging, bewies Gott seine Liebe, in<strong>de</strong>m er<br />

seinen eingeborenen Sohn für die gefallene Menschheit in <strong>de</strong>n Tod gab. In <strong>de</strong>r Versöhnung<br />

offenbart sich das Wesen Gottes. Das Kreuz ist für das ganze Weltall <strong>de</strong>r mächtigste Beweis,<br />

daß das sündige Verhalten Luzifers in keiner Hinsicht <strong>de</strong>r Herrschaft Gottes zur Last gelegt<br />

wer<strong>de</strong>n kann.<br />

In <strong>de</strong>m Kampf zwischen Christus und Satan wur<strong>de</strong> während <strong>de</strong>s irdischen Wirkens Jesu<br />

<strong>de</strong>r Charakter <strong>de</strong>s großen Betrügers entlarvt. Nichts hatte Satan so gründlich von <strong>de</strong>r<br />

Zuneigung <strong>de</strong>r himmlischen Engel und <strong>de</strong>s ganzen <strong>de</strong>m Gesetz ergebenen Weltalls trennen<br />

können wie dieser grausame Streit gegen <strong>de</strong>n Erlöser <strong>de</strong>r Welt. Die vermessene Lästerung in<br />

seiner For<strong>de</strong>rung, Christus solle ihn anbeten, seine anmaßen<strong>de</strong> Dreistigkeit, ihn auf <strong>de</strong>n<br />

Bergesgipfel und die Tempelzinne zu tragen, die heimtückische Absicht, die in <strong>de</strong>m<br />

Vorschlag kund wur<strong>de</strong>, Christus solle sich von dieser schwin<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Höhe hinabstürzen, die<br />

nie ruhen<strong>de</strong> Bosheit, die ihn von Ort zu Ort verfolgte und die Herzen von Priestern und<br />

Volk anfeuerte, seine Liebe zu verwerfen, und schließlich <strong>de</strong>r Schrei: „Kreuzige ihn!<br />

Kreuzige ihn!“ — dies alles erregte das Erstaunen und die Entrüstung <strong>de</strong>s Alls.<br />

Satan verführte die Welt, daß sie Christus verwarf. Der Fürst <strong>de</strong>s Bösen wandte alle<br />

seine Macht und Verschlagenheit an, Jesus zu ver<strong>de</strong>rben; <strong>de</strong>nn er sah, daß <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s<br />

Barmherzigkeit und Liebe, daß seine mitleidsvolle Zärtlichkeit und Teilnahme <strong>de</strong>r Welt das<br />

Wesen Gottes veranschaulichten. Satan bestritt je<strong>de</strong>n Anspruch <strong>de</strong>s Sohnes Gottes und<br />

benutzte Menschen als seine Werkzeuge, um das Leben <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s mit Lei<strong>de</strong>n und Sorge<br />

anzufüllen. Die Spitzfindigkeiten und Unwahrheiten, durch die er das Werk Christi zu<br />

hin<strong>de</strong>rn trachtete, <strong>de</strong>r durch die Kin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Ungehorsams bekun<strong>de</strong>te Haß, Satans grausame<br />

Anschuldigungen gegen <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>ssen Leben ein beispielloser Liebesdienst war, alles<br />

entsprang einem tiefeingewurzelten Rachegelüste. Das zurückgehaltene Feuer <strong>de</strong>s Nei<strong>de</strong>s<br />

und <strong>de</strong>r Bosheit, <strong>de</strong>s Hasses und <strong>de</strong>r Rachsucht brach auf Golgatha gegen <strong>de</strong>n Sohn Gottes<br />

los, während <strong>de</strong>r ganze Himmel in stillem Entsetzen auf dieses Geschehen herabblickte.<br />

Als das große Opfer vollbracht war, fuhr Christus auf zum Vater, weigerte sich jedoch,<br />

die Anbetung <strong>de</strong>r Engel entgegenzunehmen, ehe er <strong>de</strong>m Vater die Bitte vorgelegt hatte:<br />

„Vater, ich will, daß, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast.“ Johannes<br />

17,24. Dann kam mit unaussprechlicher Liebe und Macht die Ant- wort vom Throne Gottes:<br />

„Es sollen ihn alle Engel Gottes anbeten.“ Hebräer 1,6. Kein Makel ruhte auf Jesus. Als<br />

seine Erniedrigung zu En<strong>de</strong> war und er sein Opfer vollbracht hatte, wur<strong>de</strong> ihm ein Name<br />

gegeben, <strong>de</strong>r über alle Namen ist. Nun wur<strong>de</strong> ersichtlich, daß es für Satans Vergehen keine<br />

350


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Entschuldigung gab. Er hatte seinen wahren Charakter als Lügner und Mör<strong>de</strong>r offenbart. Es<br />

erwies sich, daß er <strong>de</strong>nselben Geist, mit <strong>de</strong>m er die unter seiner Macht stehen<strong>de</strong>n<br />

Menschenkin<strong>de</strong>r regierte, auch im Himmel bekun<strong>de</strong>t hätte, wäre es ihm gestattet gewesen,<br />

über <strong>de</strong>ssen Bewohner zu herrschen. Er hatte behauptet, die Übertretung <strong>de</strong>s Gesetzes<br />

Gottes bringe Freiheit und Erhebung; statt <strong>de</strong>ssen zeigte es sich, daß Knechtschaft und<br />

Entartung die Folge waren. Satans lügenhafte Anschuldigungen gegen <strong>de</strong>n göttlichen<br />

Charakter und die göttliche Regierung erschienen in ihrem wahren Licht.<br />

Er hatte Gott beschuldigt, dieser for<strong>de</strong>re von seinen Geschöpfen um seiner eigenen<br />

Erhebung willen Unterwerfung und Gehorsam, und hatte erklärt, daß <strong>de</strong>r Schöpfer, <strong>de</strong>r doch<br />

von allen an<strong>de</strong>rn Selbstverleugnung erpresse, sie we<strong>de</strong>r selbst übe noch Opfer bringe. Nun<br />

wur<strong>de</strong> offenbar, daß zum Heil <strong>de</strong>r gefallenen und sündigen Menschen <strong>de</strong>r Herrscher <strong>de</strong>s<br />

Weltalls das größte Opfer gebracht hatte, das die Liebe zu bringen vermochte; „Denn Gott<br />

war in Christo und versöhnte die Welt mit ihm selber“. 2.Korinther 5,19. Man sah ferner,<br />

daß Luzifer durch sein Verlangen nach Ehre und Oberherrschaft <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> Einlaß verschafft<br />

hatte und daß Christus sich selbst <strong>de</strong>mütigte und bis zum To<strong>de</strong> gehorsam wur<strong>de</strong>, um die<br />

Sün<strong>de</strong> auszutilgen.<br />

Gott hatte seinen Abscheu gegen die Grundsätze <strong>de</strong>r Empörung <strong>de</strong>utlich bekun<strong>de</strong>t. Der<br />

gesamte Himmel sah sowohl in <strong>de</strong>r Verdammung Satans als auch in <strong>de</strong>r Erlösung <strong>de</strong>s<br />

Menschen eine Offenbarung seiner Gerechtigkeit. Luzifer hatte erklärt, daß je<strong>de</strong>r Übertreter<br />

auf ewig von <strong>de</strong>r Huld <strong>de</strong>s Schöpfers ausgeschlossen sein müsse, wenn das Gesetz Gottes<br />

unverän<strong>de</strong>rlich und seine Strafe unerläßlich sei. Er hatte behauptet, daß das sündige<br />

Geschlecht nicht erlöst wer<strong>de</strong>n könne und <strong>de</strong>shalb seine rechtmäßige Beute sei. Aber <strong>de</strong>r<br />

Tod Christi war ein Beweis zugunsten <strong>de</strong>r Menschen, <strong>de</strong>r nicht wi<strong>de</strong>rlegt wer<strong>de</strong>n konnte.<br />

Die Strafe <strong>de</strong>s Gesetzes fiel auf <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r Gott gleich war, und <strong>de</strong>r Mensch konnte die<br />

Gerechtigkeit Christi annehmen und durch einen bußfertigen und <strong>de</strong>mütigen Wan<strong>de</strong>l über<br />

die Macht Satans siegen, wie auch <strong>de</strong>r Sohn Gottes gesiegt hatte.<br />

Somit ist Gott gerecht und macht gerecht alle, die an Jesus glauben. Christus kam<br />

jedoch nicht nur auf diese Er<strong>de</strong>, um durch sein Lei<strong>de</strong>n und Sterben die Erlösung <strong>de</strong>s<br />

Menschen zu vollbringen; er kam, um das „Gesetz herrlich und groß“ zu machen. Nicht<br />

allein, damit die Bewohner dieser Welt das Gesetz achten möchten, wie es ihm gebührt,<br />

son<strong>de</strong>rn um allen Welten <strong>de</strong>r ganzen Schöpfung zu beweisen, daß das Gesetz Gottes<br />

unverän<strong>de</strong>rlich ist. Hätten seine Ansprüche beiseitegesetzt wer<strong>de</strong>n können, dann hätte <strong>de</strong>r<br />

Sohn Gottes nicht sein Leben opfern müssen, um die Übertretung zu sühnen. Der Tod<br />

Christi beweist die Unverän<strong>de</strong>rlichkeit <strong>de</strong>s Gesetzes. Und das Opfer, zu <strong>de</strong>m die unendliche<br />

Liebe <strong>de</strong>n Vater und <strong>de</strong>n Sohn drang, damit Sün<strong>de</strong>r erlöst wer<strong>de</strong>n möchten, zeigt <strong>de</strong>m<br />

ganzen Weltall — wie nichts Geringeres als dieser Erlösungsplan es hätte zeigen können —,<br />

daß Gerechtigkeit und Barmherzigkeit die Grundlage <strong>de</strong>s Gesetzes und <strong>de</strong>r Regierung<br />

Gottes sind.<br />

351


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Bei <strong>de</strong>r endgültigen Vollstreckung <strong>de</strong>s Gerichts wird es sich herausstellen, daß kein<br />

Grund für die Sün<strong>de</strong> besteht. Wenn <strong>de</strong>r Richter <strong>de</strong>r ganzen Er<strong>de</strong> Satan fragen wird: Warum<br />

hast du dich wi<strong>de</strong>r mich empört und mich <strong>de</strong>r Untertanen meines Reiches beraubt? Dann<br />

wird <strong>de</strong>r Urheber <strong>de</strong>s Bösen keine Entschuldigung vorbringen können. Aller Mund wird<br />

verstopft wer<strong>de</strong>n, und die aufrührerischen Scharen wer<strong>de</strong>n stumm bleiben. Während das<br />

Kreuz auf Golgatha das Gesetz als unverän<strong>de</strong>rlich erklärt, verkündigt es <strong>de</strong>r Welt, daß <strong>de</strong>r<br />

Tod <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> Sold ist.<br />

Mit <strong>de</strong>m To<strong>de</strong>sruf <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s: „Es ist vollbracht!“ wur<strong>de</strong> Satans Vernichtung<br />

angekündigt. Der große, so lange währen<strong>de</strong> Streit wur<strong>de</strong> entschie<strong>de</strong>n und die endgültige<br />

Austilgung <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> sichergestellt. Der Sohn Gottes ging durch die Tore <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s, „auf<br />

daß er durch <strong>de</strong>n Tod die Macht nehme <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s Gewalt hatte, das ist <strong>de</strong>m<br />

Teufel“. Hebräer 2,14. Luzifers Verlangen nach Selbsterhebung hatte ihn verleitet, zu sagen:<br />

„Ich will ... meinen Stuhl über die Sterne Gottes erhöhen, ... ich will ... gleich sein <strong>de</strong>m<br />

Allerhöchsten.“<br />

Gott sprach: „Darum will ich ... dich zu Asche machen auf <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>, ... daß du ...<br />

nimmermehr aufkommen kannst.“ Jesaja 14,12.14; Hesekiel 28,18.19. „Denn siehe, es<br />

kommt ein Tag, <strong>de</strong>r brennen soll wie ein Ofen; da wer<strong>de</strong>n alle Verächter und Gottlosen<br />

Stroh sein, und <strong>de</strong>r künftige Tag wird sie anzün<strong>de</strong>n, spricht <strong>de</strong>r Herr Zebaoth, und wird<br />

ihnen we<strong>de</strong>r Wurzel noch Zweige lassen.“ Maleachi 3,19. Das ganze Weltall wird Zeuge<br />

<strong>de</strong>s Wesens und <strong>de</strong>r Folgen <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> gewor<strong>de</strong>n sein, und ihre gänzliche Ausrottung, die,<br />

wäre sie gleich am Anfang geschehen, die Engel in Furcht versetzt und Gott Schan<strong>de</strong><br />

gebracht hätte, wird nun seine Liebe rechtfertigen und seine Ehre vor allen Geschöpfen <strong>de</strong>s<br />

Weltalls erheben, <strong>de</strong>ren größte Freu<strong>de</strong> es ist, seinen Willen zu tun, und in <strong>de</strong>ren Herzen sein<br />

Gesetz geschrieben steht. Nie wird das Böse wie<strong>de</strong>r auftreten. Das Wort Gottes sagt: „Es<br />

wird das Unglück nicht zweimal kommen.“ Nahum 1,9. Das Gesetz Gottes, das Satan als<br />

ein Joch <strong>de</strong>r Knechtschaft geschmäht hat, wird als das Gesetz <strong>de</strong>r Freiheit geehrt wer<strong>de</strong>n.<br />

Die geprüfte und bewährte Schöpfung wird nie wie<strong>de</strong>r abfallen von ihrer Ergebenheit gegen<br />

<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>ssen Wesen sich völlig in unergründlicher Liebe und unendlicher Weisheit offenbart<br />

hat.<br />

352


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 30- Höllische Feindschaft<br />

„Ich will Feindschaft setzen zwischen dir und <strong>de</strong>m Weibe und zwischen <strong>de</strong>inem Samen<br />

und ihrem Samen. Derselbe soll dir <strong>de</strong>n Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse<br />

stechen.“ 1.Mose 3,15. Der göttliche Richterspruch, <strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>m Fall <strong>de</strong>s Menschen über<br />

Satan ausgesprochen wur<strong>de</strong>, war gleichzeitig eine Weissagung, die alle Zeitalter bis zum<br />

En<strong>de</strong> dieser Welt umschließt und auf <strong>de</strong>n großen Kampf hinweist, an <strong>de</strong>m sich alle<br />

Menschengeschlechter, die auf Er<strong>de</strong>n wohnen, beteiligen wür<strong>de</strong>n.<br />

Gott erklärt: „Ich will Feindschaft setzen.“ Diese Feindschaft ist nicht von Natur aus<br />

gesetzt. Als <strong>de</strong>r Mensch das göttliche Gesetz übertrat, wur<strong>de</strong> seine Natur böse, und er<br />

gelangte mit Satan in Übereinstimmung, nicht aber in Streit. Es besteht natürlicherweise<br />

keine Feindschaft zwischen <strong>de</strong>m sündigen Menschen und <strong>de</strong>m Urheber <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>. Bei<strong>de</strong><br />

wur<strong>de</strong>n durch ihren Abfall böse. Der Abtrünnige gibt sich nie zufrie<strong>de</strong>n, außer er erhält<br />

dadurch Mitgefühl und Stärkung, in<strong>de</strong>m er an<strong>de</strong>re veranlaßt, seinem Beispiel zu folgen. Aus<br />

diesem Grun<strong>de</strong> vereinen sich gefallene Engel und gottlose Menschen in verzweifelter<br />

Genossenschaft. Hätte sich Gott nicht ins Mittel gelegt, wären Satan und die Menschen ein<br />

Bündnis gegen <strong>de</strong>n Himmel eingegangen, und statt Feindschaft gegen Satan zu hegen,<br />

wür<strong>de</strong> sich die ganze menschliche Familie zum Aufstand gegen Gott vereint haben.<br />

Satan versuchte <strong>de</strong>n Menschen zur Sün<strong>de</strong>, wie er die Engel zur Empörung veranlaßt<br />

hatte, um sich dadurch Helfer in seinem Kampf gegen <strong>de</strong>n Himmel zu sichern. Es bestand<br />

keine Uneinigkeit zwischen ihm und <strong>de</strong>n gefallenen Engeln, was ihren Haß gegen Christus<br />

betrifft; wenn auch in allen an<strong>de</strong>rn Dingen Zwietracht herrschte, so waren sie doch fest<br />

vereint in ihrer Auflehnung gegen die Oberhoheit <strong>de</strong>s Weltenherrschers. Als aber Satan die<br />

Erklärung hörte, daß zwischen ihm und <strong>de</strong>m Weibe, zwischen seinem Samen und ihrem<br />

Samen Feindschaft bestehen sollte, wußte er, daß seine Anstrengung, die menschliche Natur<br />

zu ver<strong>de</strong>rben, unterbrochen und <strong>de</strong>r Mensch durch irgen<strong>de</strong>in Mittel befähigt wür<strong>de</strong>, seiner<br />

Macht zu wi<strong>de</strong>rstehen.<br />

Satans Feindschaft wi<strong>de</strong>r die Menschen wur<strong>de</strong> dadurch erregt, weil diesen durch<br />

Christus die Liebe und Barmherzigkeit Gottes gehört. Er möchte <strong>de</strong>n göttlichen Plan zur<br />

Erlösung <strong>de</strong>s Menschen vereiteln und Schmach auf Gott häufen, in<strong>de</strong>m er das<br />

Schöpfungswerk entstellt und verunreinigt; er möchte im Himmel Leid hervorrufen und die<br />

Er<strong>de</strong> mit Weh und Verwüstung erfüllen und dann auf all diese Übel hinweisen, die nur eine<br />

Folge davon seien, daß Gott <strong>de</strong>n Menschen geschaffen habe. Die <strong>de</strong>m Menschen von<br />

Christus verliehene Gna<strong>de</strong> erweckt im Menschen Feindschaft gegen Satan. Ohne diese<br />

bekehren<strong>de</strong> Gna<strong>de</strong> und erneuern<strong>de</strong> Kraft bliebe <strong>de</strong>r Mensch ein Gefangener Satans; ein<br />

beflissener Diener, seine Befehle auszuführen. Aber das neue Element in <strong>de</strong>r Seele schafft<br />

da Streit, wo bisher Frie<strong>de</strong> gewesen war. Die Kraft, die Christus verleiht, befähigt <strong>de</strong>n<br />

Menschen, <strong>de</strong>m Tyrannen und Thronräuber zu wi<strong>de</strong>rstehen. Wer bekun<strong>de</strong>t, daß er die Sün<strong>de</strong><br />

353


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

verabscheut, anstatt sie zu lieben, wer <strong>de</strong>n ihn beherrschen<strong>de</strong>n Lei<strong>de</strong>nschaften wi<strong>de</strong>rsteht<br />

und sie besiegt,offenbart die Wirksamkeit einer Kraft, die nur von oben kommt.<br />

Der Gegensatz, <strong>de</strong>r zwischen <strong>de</strong>m Geist Christi und <strong>de</strong>m Satans besteht, offenbart sich<br />

äußerst überraschend beim Empfang Jesu auf Er<strong>de</strong>n. Nicht so sehr <strong>de</strong>shalb, weil er ohne<br />

weltlichen Reichtum, ohne Prachtentfaltung o<strong>de</strong>r Größe erschien, verwarfen ihn die Ju<strong>de</strong>n;<br />

sie sahen wohl, daß er eine Macht besaß, die für <strong>de</strong>n Mangel dieser äußerlichen Vorzüge<br />

mehr als einen Ersatz zu leisten vermochte. Aber die Reinheit und Heiligkeit Christi rief <strong>de</strong>n<br />

Haß <strong>de</strong>r Gottlosen gegen ihn hervor. Sein Leben <strong>de</strong>r Selbstverleugnung und sündlosen<br />

Hingabe war für das stolze und sinnliche Volk ein beständiger Vorwurf und for<strong>de</strong>rte die<br />

Feindschaft gegen <strong>de</strong>n Sohn Gottes heraus. Satan und böse Engel vereinigten sich mit bösen<br />

Menschen. Alle Kräfte <strong>de</strong>s Abfalls verschworen sich gegen <strong>de</strong>n Verteidiger <strong>de</strong>r Wahrheit.<br />

Gegen die Nachfolger Christi offenbart sich <strong>de</strong>r gleiche Geist <strong>de</strong>r Feindschaft wie gegen<br />

ihren Meister. Wer das abschrecken<strong>de</strong> Wesen <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> sieht und in <strong>de</strong>r Kraft von oben <strong>de</strong>r<br />

Versuchung wi<strong>de</strong>rsteht, wird sicherlich <strong>de</strong>n Zorn Satans und seiner Anhänger erwecken.<br />

Haß gegen die reinen Grundsätze <strong>de</strong>r Wahrheit und Schmach und Verfolgung gegen <strong>de</strong>ren<br />

Verteidiger wird es geben, solange es Sün<strong>de</strong> und Sün<strong>de</strong>r gibt. Die Nachfolger Christi und<br />

die Knechte Satans können nicht übereinstimmen. Das Ärgernis <strong>de</strong>s Kreuzes hat nicht<br />

aufgehört. „Alle, die gottselig leben wollen in Christo Jesu, müssen Verfolgung<br />

lei<strong>de</strong>n.“ 2.Timotheus 3,12.<br />

Satans Werkzeuge arbeiten beständig unter seiner Leitung, um seine Herrschaft zu<br />

festigen und sein Reich als Gegenstück zur Regierung Gottes aufzubauen. Zu diesem Zweck<br />

versuchen sie die Nachfolger Christi zu täuschen und sie von ihrer Untertanentreue<br />

abzuziehen. Gleich ihrem Anführer miß<strong>de</strong>uten und verdrehen sie die Heilige Schrift, um<br />

ihren Zweck zu erreichen. Wie Satan zu schmähen suchte, so trachten seine Mittelsmänner<br />

danach, das Volk Gottes zu verleum<strong>de</strong>n. Der Geist, <strong>de</strong>r Christus ans Kreuz schlug, regt die<br />

Gottlosen an, seine Nachfolger zu ver<strong>de</strong>rben. Dies alles wird in jener ersten Weissagung<br />

ange<strong>de</strong>utet: „Ich will Feindschaft setzen zwischen dir und <strong>de</strong>m Weibe und zwischen <strong>de</strong>inem<br />

Samen und ihrem Samen.“ Diese Feindschaft wird bis zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Zeit fortdauern.<br />

Satan bietet alle seine Kräfte auf und wirft sich mit ganzer Macht in <strong>de</strong>n Kampf. Wie<br />

kommt es, daß er auf keinen größeren Wi<strong>de</strong>rstand stößt? Warum sind Christi Streiter so<br />

schläfrig und gleichgültig? Weil sie so wenig wirkliche Verbindung mit Christus haben;<br />

weil sie seines Geistes so gänzlich ermangeln. Die Sün<strong>de</strong> erscheint ihnen nicht, wie ihrem<br />

Meister, abschreckend und verabscheuungswürdig. Sie treten ihr nicht mit festem und<br />

entschie<strong>de</strong>nem Wi<strong>de</strong>rstand entgegen, wie Christus es tat. Sie erkennen nicht das<br />

außeror<strong>de</strong>ntlich Böse und Ver<strong>de</strong>rbliche <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> und sind sowohl hinsichtlich <strong>de</strong>s<br />

Charakters wie auch <strong>de</strong>r Macht <strong>de</strong>s Fürsten <strong>de</strong>r Finsternis verblen<strong>de</strong>t.<br />

Es streiten nur wenige gegen Satan und seine Werke, weil über seine Macht und Bosheit<br />

und die weite Aus<strong>de</strong>hnung seiner Feh<strong>de</strong> gegen Christus und seine Gemein<strong>de</strong> große<br />

354


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Unkenntnis herrscht. Tausen<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n hier betrogen. Sie wissen nicht, daß ihr Feind ein<br />

mächtiger Feldherr ist, <strong>de</strong>r die Gemüter böser Engel beherrscht und mit reiflich überlegten<br />

Plänen und kunstvollen Maßnahmen gegen Christus Krieg führt, um die Rettung von Seelen<br />

zu verhin<strong>de</strong>rn. Unter <strong>de</strong>nen, die sich Christen nennen, und sogar unter <strong>de</strong>n Dienern <strong>de</strong>s<br />

Evangeliums hört man kaum eine Bemerkung über Satan, es sei <strong>de</strong>nn vielleicht eine<br />

beiläufige Erwähnung von <strong>de</strong>r Kanzel herab. Man übersieht die Zeichen seiner beständigen<br />

Tätigkeit und seines Erfolges; man vernachlässigt die vielen Warnungen vor seiner<br />

Verschlagenheit, ja man scheint selbst von seinem Dasein keine Notiz zu nehmen.<br />

Während die Menschen von seinen listigen Anschlägen nichts wissen, stellt dieser<br />

wachsame Feind ihnen je<strong>de</strong>n Augenblick nach. Er verschafft sich Eingang in je<strong>de</strong>n Teil <strong>de</strong>r<br />

Haushaltung, in je<strong>de</strong> Straße unserer Städte, in die Kirchen, Beratungsräume, Gerichtshöfe;<br />

er verwirrt, täuscht, verführt und richtet überall Männer, Frauen und Kin<strong>de</strong>r an Leib und<br />

Seele zugrun<strong>de</strong>, er löst Familien auf, sät Haß, Neid, Streit, Empörung und Mord. Und die<br />

Christenheit scheint diese Dinge zu betrachten, als hätte Gott sie angeordnet und als müßten<br />

sie so sein. Satan versucht beständig Gottes Volk zu überwin<strong>de</strong>n, in<strong>de</strong>m er die Schranken,<br />

die es von <strong>de</strong>r Welt trennen, nie<strong>de</strong>rreißt. Die Israeliten <strong>de</strong>s Alten Bun<strong>de</strong>s wur<strong>de</strong>n zur Sün<strong>de</strong><br />

verleitet, als sie es wagten, mit <strong>de</strong>n Hei<strong>de</strong>n verbotenen Umgang zu pflegen. In ähnlicher<br />

Weise wird das Israel <strong>de</strong>r Neuzeit irregeleitet. Es hat „<strong>de</strong>r Gott dieser Welt <strong>de</strong>r Ungläubigen<br />

Sinn verblen<strong>de</strong>t, daß sie nicht sehen das helle Licht <strong>de</strong>s Evangeliums von <strong>de</strong>r Klarheit<br />

Christi, welcher ist das Ebenbild Gottes“. 2.Korinther 4,4.<br />

Alle, die nicht entschie<strong>de</strong>ne Nachfolger Christi sind, sind Knechte Satans. In <strong>de</strong>m<br />

ver<strong>de</strong>rbten Herzen herrscht Liebe zur Sün<strong>de</strong> und eine Neigung, sie zu pflegen und zu<br />

entschuldigen. In <strong>de</strong>m erneuerten Herzen dagegen leben Haß und entschlossener Wi<strong>de</strong>rstand<br />

gegen die Sün<strong>de</strong>. Begeben sich Christen in die Gesellschaft <strong>de</strong>r Gottlosen und Ungläubigen,<br />

setzen sie sich <strong>de</strong>r Versuchung aus. Satan verbirgt sich ihren Blicken und zieht heimlich<br />

seinen trügerischen Deckmantel über ihre Augen. Sie können nicht erkennen, daß eine<br />

solche Gesellschaft bestimmt ist, ihnen Scha<strong>de</strong>n zuzufügen. Während sie sich in ihrem<br />

Charakter, in ihren Worten und Taten <strong>de</strong>r Welt ständig mehr angleichen, nimmt ihre<br />

Verblendung zu.<br />

In<strong>de</strong>m sich die Kirche weltlichen Gebräuchen anpaßt, bekehrt sie sich zur Welt; niemals<br />

aber bekehrt sie dadurch die Welt zu Christus. Vertrautheit mit <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> läßt diese<br />

unvermeidlich weniger abschreckend erscheinen. Wer mit <strong>de</strong>n Knechten Satans verkehrt,<br />

wird bald aufhören, <strong>de</strong>ren Meister zu fürchten. Wer<strong>de</strong>n wir auf <strong>de</strong>m Wege <strong>de</strong>r Pflicht in<br />

Versuchungen gebracht, wie Daniel am Hofe <strong>de</strong>s Königs Nebukadnezar, so können wir<br />

sicher sein, daß Gott uns beschützt; begeben wir uns aber selbst in Versuchung, wer<strong>de</strong>n wir<br />

früher o<strong>de</strong>r später fallen.<br />

Der Versucher wirkt oft höchst erfolgreich durch diejenigen, die am wenigsten<br />

verdächtig sind, unter seiner Herrschaft zu stehen. Begabte und gebil<strong>de</strong>te Menschen wer<strong>de</strong>n<br />

bewun<strong>de</strong>rt und geehrt, als könnten diese Eigenschaften <strong>de</strong>n Mangel an Gottesfurcht<br />

355


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

aufwiegen o<strong>de</strong>r auf Gottes Gunst Anspruch erheben. Bildung und Begabung sind an sich<br />

Gaben Gottes; wer<strong>de</strong>n sie aber an die Stelle <strong>de</strong>r Frömmigkeit gesetzt, wen<strong>de</strong>n sie die Seele<br />

von ihm ab, statt sie näher zu Gott zu bringen, dann wer<strong>de</strong>n sie <strong>de</strong>n Menschen Fluch und<br />

Fallstrick. Bei vielen herrscht die Meinung, Höflichkeit o<strong>de</strong>r feine Lebensart müsse in<br />

einem gewissen Sinne die Zugehörigkeit zu Christus bekun<strong>de</strong>n. Kein Irrtum kann größer<br />

sein. Diese Eigenschaften sollten <strong>de</strong>n Charakter je<strong>de</strong>s Christen zieren und wür<strong>de</strong>n einen<br />

gewaltigen Einfluß zugunsten wahrer Religion ausüben; aber sie müssen Gott geweiht sein,<br />

sonst sind sie eine Macht zum Bösen. Mancher Gebil<strong>de</strong>te von gefälligem Benehmen, <strong>de</strong>r<br />

sich zu nichts herablassen wür<strong>de</strong>, was gewöhnlich als eine unsittliche Handlung betrachtet<br />

wird, ist nur ein auf Glanz geschliffenes Werkzeug in <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n Satans. Der<br />

heimtückische, trügerische Charakter seines Einflusses und Beispiels macht ihn zu einem<br />

gefährlicheren Feind <strong>de</strong>r Sache Christi als die Unwissen<strong>de</strong>n und Ungebil<strong>de</strong>ten sein können.<br />

Durch ernstes Gebet und durch Vertrauen auf Gott erlangte Salomo die Weisheit, die<br />

das Erstaunen und die Bewun<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Welt erregten. Als er sich aber von <strong>de</strong>r Quelle<br />

seiner Stärke abwandte und, auf sich selbst vertrauend, vorwärts ging, fiel er <strong>de</strong>r<br />

Versuchung zum Opfer, und die diesem weisesten <strong>de</strong>r Könige gewährten wun<strong>de</strong>rbaren<br />

Gaben ließen ihn nur zu einem wirksameren Werkzeug <strong>de</strong>s Seelenfein<strong>de</strong>s wer<strong>de</strong>n. Während<br />

Satan beständig die Gemüter dieser Tatsache gegenüber zu verschließen sucht, sollten die<br />

Christen nie vergessen, daß sie nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen haben, „son<strong>de</strong>rn mit<br />

Fürsten und Gewaltigen, nämlich mit <strong>de</strong>n Herren <strong>de</strong>r Welt, die in <strong>de</strong>r Finsternis dieser Welt<br />

herrschen, mit <strong>de</strong>n bösen Geistern unter <strong>de</strong>m Himmel“. Epheser 6,12. Die von Gott<br />

eingegebene Warnung klingt durch die Jahrhun<strong>de</strong>rte bis an unsere Ohren: „Seid nüchtern<br />

und wachet; <strong>de</strong>nn euer Wi<strong>de</strong>rsacher, <strong>de</strong>r Teufel, geht umher wie ein brüllen<strong>de</strong>r Löwe und<br />

sucht, welchen er verschlinge.“ 1.Petrus 5,8. „Ziehet an <strong>de</strong>n Harnisch Gottes, daß ihr<br />

bestehen könnet gegen die listigen Anläufe <strong>de</strong>s Teufels.“ Epheser 6,11.<br />

Von <strong>de</strong>n Tagen Adams an bis in unsere Zeit hat unser gewaltiger Feind seine Macht<br />

ausgeübt, um zu unterdrücken und zu ver<strong>de</strong>rben. Jetzt bereitet er sich auf <strong>de</strong>n letzten großen<br />

Feldzug gegen die wahre Gemein<strong>de</strong> vor. Alle, die Jesus nachfolgen, wer<strong>de</strong>n mit diesem<br />

hartnäckigen Feind zusammentreffen. Je sorgfältiger <strong>de</strong>r Christ <strong>de</strong>m göttlichen Beispiel<br />

folgt, <strong>de</strong>sto sicherer wird er ein Ziel <strong>de</strong>r Angriffe Satans sein. Alle, die für Gott wirken, die<br />

danach trachten, die Täuschungen <strong>de</strong>s Bösen aufzu<strong>de</strong>cken und <strong>de</strong>n Menschen Christus vor<br />

Augen zu führen, können mit in das Zeugnis <strong>de</strong>s Apostels Paulus einstimmen, in <strong>de</strong>m er<br />

davon spricht, <strong>de</strong>m Herrn in aller Demut <strong>de</strong>s Geistes zu dienen mit vielen Tränen und<br />

Anfechtungen.<br />

Satan bestürmte Christus mit <strong>de</strong>n heftigsten und listigsten Versuchungen; aber er wur<strong>de</strong> bei<br />

je<strong>de</strong>m Treffen zurückgeschlagen. Jene Kämpfe wur<strong>de</strong>n unsertwegen ausgetragen; jene Siege<br />

ermöglichen es uns, zu überwin<strong>de</strong>n. Christus will allen Kraft geben, die danach verlangen.<br />

Kein Mensch kann ohne seine eigene Zustimmung von Satan überwun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Der<br />

Versucher hat keine Macht, <strong>de</strong>n Willen zu beherrschen o<strong>de</strong>r die Seele zur Sün<strong>de</strong> zu zwingen.<br />

356


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Er mag peinigen, aber er kann nicht beschmutzen. Er kann Seelenangst verursachen, aber<br />

keine Verunreinigung. Die Tatsache, daß Christus überwun<strong>de</strong>n hat, sollte seine Nachfolger<br />

mit Mut erfüllen, mannhaft gegen Satan und die Sün<strong>de</strong> zu kämpfen.<br />

357


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 31- Der Bösen Geister<br />

Die Verbindung <strong>de</strong>r sichtbaren mit <strong>de</strong>r unsichtbaren Welt, <strong>de</strong>r Dienst <strong>de</strong>r Engel Gottes<br />

und die Wirksamkeit <strong>de</strong>r bösen Geister wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Bibel <strong>de</strong>utlich offenbart und sind<br />

untrennbar mit <strong>de</strong>r menschlichen Geschichte verwoben. Man neigt immer mehr dazu, die<br />

Existenz böser Geister anzuzweifeln, während die heiligen Engel, welche sind „ausgesandt<br />

zum Dienst um <strong>de</strong>rer willen, die ererben sollen die Seligkeit“ (Hebräer 1,14), von vielen als<br />

die Geister <strong>de</strong>r Verstorbenen angesehen wer<strong>de</strong>n. Doch die Schrift lehrt nicht nur das Dasein<br />

guter und böser Engel, son<strong>de</strong>rn bringt auch unbezweifelbare Beweise, daß diese nicht die<br />

entkörperten Geister toter Menschen sind.<br />

Schon vor <strong>de</strong>r Erschaffung <strong>de</strong>s Menschen gab es Engel; <strong>de</strong>nn als die Grün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong><br />

gelegt wur<strong>de</strong>n, lobten „mich (Gott) die Morgensterne miteinan<strong>de</strong>r ... und jauchzten alle<br />

Kin<strong>de</strong>r Gottes“.Hiob 38,7. Nach <strong>de</strong>m Sün<strong>de</strong>nfall wur<strong>de</strong>n Engel ausgesandt, um <strong>de</strong>n Baum<br />

<strong>de</strong>s Lebens zu bewachen, und dies geschah, noch ehe ein Mensch gestorben war. Die Engel<br />

stehen von Natur aus höher als die Menschen; <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Psalmist sagt, <strong>de</strong>r Mensch sei „ein<br />

wenig unter die Engel erniedrigt“. Psalm 8,6 (EB). Die Schrift gibt uns Aufschluß über die<br />

Zahl, die M acht und die Herrlichkeit <strong>de</strong>r himmlischen Wesen sowie über ihre Verbindung<br />

zur Regierung Gottes und auch über ihr Verhältnis zum Erlösungswerk. „Der Herr hat<br />

seinen Stuhl im Himmel bereitet, und sein Reich herrscht über alles.“ Und <strong>de</strong>r Prophet sagt:<br />

„Ich ... hörte eine Stimme vieler Engel um <strong>de</strong>n Stuhl.“ Sie stehen in <strong>de</strong>r Gegenwart <strong>de</strong>s<br />

Königs aller Könige, starke Hel<strong>de</strong>n, die seine Befehle ausrichten und auf die Stimme seines<br />

Wortes hören. Psalm 103,19; Offenbarung 5,11.<br />

Tausendmal tausend und zehntausendmal zehntausend zählte die Schar <strong>de</strong>r himmlischen<br />

Boten, die <strong>de</strong>r Prophet Daniel sah. Der Apostel Paulus erklärte, ihrer seien „Myria<strong>de</strong>n“, eine<br />

Unzahl. Daniel 7,10; Hebräer 12,22 (Parallelbibel). Sie ziehen dahin als Boten Gottes,<br />

verwirrend in ihrer Herrlichkeit und in ihrem Flug so schnell „wie <strong>de</strong>r Blitz“. Hesekiel 1,14.<br />

Beim Anblick <strong>de</strong>s Engels, <strong>de</strong>r am Grabe Christi erschien und <strong>de</strong>ssen „Gestalt war wie <strong>de</strong>r<br />

Blitz und sein Kleid weiß wie Schnee“, erschraken die Wächter vor Furcht und „wur<strong>de</strong>n, als<br />

wären sie tot“. Matthäus 28,3.4. Als Sanherib, <strong>de</strong>r hochmütige Assyrer, Gott schmähte und<br />

lästerte und Israel mit Ver<strong>de</strong>rben drohte, fuhr „in <strong>de</strong>rselben Nacht ... aus <strong>de</strong>r Engel <strong>de</strong>s<br />

Herrn und schlug im Lager von Assyrien 185.000 Mann“. „Der vertilgte alle Gewaltigen <strong>de</strong>s<br />

Heeres und Fürsten und Obersten im Lager <strong>de</strong>s Königs von Assyrien (Sanherib), daß er mit<br />

Schan<strong>de</strong>n wie<strong>de</strong>r in sein Land zog.“ 2.Könige 19,35; 2.Chronik 32,21.<br />

Es wer<strong>de</strong>n Engel mit Aufträgen <strong>de</strong>r Barmherzigkeit zu <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn Gottes gesandt: zu<br />

Abraham mit Verheißungen <strong>de</strong>s Segens; an die Tore Sodoms, um <strong>de</strong>n gerechten Lot vor <strong>de</strong>r<br />

Vernichtung <strong>de</strong>r Stadt durch Feuer zu erretten; zu Elia, als er vor Ermattung und Hunger in<br />

<strong>de</strong>r Wüste beinahe verschmachtete; zu Elisa mit feurigen Wagen und Rossen um die kleine<br />

Stadt herum, in <strong>de</strong>r er von seinen Fein<strong>de</strong>n eingeschlossen war; zu Daniel, als er am Hofe<br />

eines heidnischen Königs nach göttlicher Weisheit suchte und auch als er <strong>de</strong>n Löwen<br />

358


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

vorgeworfen wur<strong>de</strong>; zu Petrus, als er zum To<strong>de</strong> verurteilt in Hero<strong>de</strong>s‘ Gefängnis lag; zu <strong>de</strong>n<br />

Gefangenen in Philippi; zu Paulus und seinen Gefährten in <strong>de</strong>r stürmischen Nacht auf <strong>de</strong>m<br />

Meer; zu Kornelius, um sein Gemüt für das Evangelium zu öffnen; zu Petrus, um ihn mit<br />

<strong>de</strong>r Botschaft <strong>de</strong>s Heils zu <strong>de</strong>m heidnischen Fremdling zu sen<strong>de</strong>n: auf diese Weise haben<br />

heilige Engel zu allen Zeiten <strong>de</strong>m Volke Gottes gedient.<br />

Je<strong>de</strong>m Nachfolger Christi ist ein Schutzengel zur Seite gestellt. Diese himmlischen<br />

Hüter beschirmen die Gerechten vor <strong>de</strong>r Macht <strong>de</strong>s Bösen. Dies erkannte selbst Satan; <strong>de</strong>nn<br />

er sagte: „Meinst du, daß Hiob umsonst Gott fürchtet? Hast du doch ihn, sein Haus und alles,<br />

was er hat, ringsumher verwahrt.“ Hiob 1,9.10. Der Psalmist schil<strong>de</strong>rt uns die Art und<br />

Weise, wie <strong>de</strong>r Herr sein Volk beschützt: „Der Engel <strong>de</strong>s Herrn lagert sich um die her, so<br />

ihn fürchten, und hilft ihnen aus.“ Psalm 34,8. Als <strong>de</strong>r Heiland von <strong>de</strong>nen re<strong>de</strong>te, die an ihn<br />

glauben, sagte er: „Sehet zu, daß ihr nicht jemand von diesen Kleinen verachtet. Denn ich<br />

sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen allezeit das Angesicht meines Vaters im<br />

Himmel.“ Matthäus 18,10. Die zum Dienst für die Kin<strong>de</strong>r Gottes bestimmten Engel haben<br />

allezeit Zugang zu ihm.<br />

So kann Gottes Volk, obwohl es <strong>de</strong>r betrügerischen Macht und <strong>de</strong>r nie erlahmen<strong>de</strong>n<br />

Bosheit <strong>de</strong>s Fürsten <strong>de</strong>r Finsternis ausgesetzt ist und mit allen Gewalten <strong>de</strong>s Bösen im<br />

Kampf steht, <strong>de</strong>s immerwähren<strong>de</strong>n Schutzes <strong>de</strong>r himmlischen Engel sicher sein, und diese<br />

Gewißheit tut ihm auch not. Gott verhieß seinen Kin<strong>de</strong>rn darum Gna<strong>de</strong> und Schutz, weil sie<br />

mit mächtigen Werkzeugen <strong>de</strong>s Bösen zusammentreffen wür<strong>de</strong>n, mit zahlreichen,<br />

entschlossenen und unermüdlichen Helfern Satans, vor <strong>de</strong>ren Bosheit und Macht gewiß<br />

keiner unwissend o<strong>de</strong>r verschont bleibt.<br />

Die ursprünglich sündlos erschaffenen bösen Geister waren ihrer Natur, ihrer Macht und<br />

Herrlichkeit nach <strong>de</strong>n heiligen Wesen gleich, die jetzt Gottes Boten sind. Doch gefallen<br />

durch die Sün<strong>de</strong>, sind sie miteinan<strong>de</strong>r verbün<strong>de</strong>t, Gott zu schmähen und die Menschen zu<br />

ver<strong>de</strong>rben. Mit Satan bei seiner Empörung vereint und mit ihm aus <strong>de</strong>m Himmel verstoßen,<br />

haben sie während <strong>de</strong>r ganzen folgen<strong>de</strong>n Zeit mit ihm in seinem Streit wi<strong>de</strong>r die göttliche<br />

Gewalt zusammengewirkt. Die Heilige Schrift spricht von ihrem Bündnis, ihrer Führung<br />

und ihren verschie<strong>de</strong>nen Ordnungen, von ihren Fähigkeiten, ihrer Verschlagenheit und ihren<br />

heimtückischen Anschlägen gegen <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>n und das Glück <strong>de</strong>r Menschen.<br />

Die alttestamentliche Geschichte erwähnt gelegentlich das Dasein und die Wirksamkeit<br />

böser Geister; beson<strong>de</strong>rs während <strong>de</strong>r Zeit, als Christus auf Er<strong>de</strong>n lebte, bekun<strong>de</strong>ten diese<br />

ihre Macht in höchst auffallen<strong>de</strong>r Weise. Christus war gekommen, um <strong>de</strong>n für die Erlösung<br />

<strong>de</strong>r Menschheit entworfenen Plan auszuführen, und Satan war entschlossen, sein<br />

vermeintliches Recht, die Welt zu beherrschen, geltend zu machen. Es war ihm gelungen, in<br />

allen Teilen <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>, außer in Palästina, Abgötterei einzuführen. Zu diesem einzigen Land,<br />

das sich nicht völlig <strong>de</strong>r Herrschaft <strong>de</strong>s Versuchers ergeben hatte, kam Christus, um <strong>de</strong>m<br />

Volke das Licht <strong>de</strong>s Himmels scheinen zu lassen. Hier beanspruchten zwei gegeneinan<strong>de</strong>r<br />

wetteifern<strong>de</strong> Mächte die Oberherrschaft. Jesus streckte seine Arme <strong>de</strong>r Liebe aus und lud<br />

359


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

alle ein, in ihm Vergebung und Frie<strong>de</strong>n zu fin<strong>de</strong>n. Die Scharen <strong>de</strong>r Finsternis sahen, daß sie<br />

keine unbeschränkte Macht besaßen, und erkannten, daß ihre Herrschaft, falls Christi<br />

Mission erfolgreich war, bald en<strong>de</strong>n müßte.<br />

Satan wütete gleich einem gefesselten Löwen und stellte herausfor<strong>de</strong>rnd seine Macht<br />

über die Leiber und über die Seelen <strong>de</strong>r Menschen zur Schau. Die Tatsache, daß Menschen<br />

von bösen Geistern besessen gewesen sind, spricht das Neue Testament klar aus. Die auf<br />

diese Weise gequälten Menschen waren nicht nur aus natürlichen Ursachen krank. Christus<br />

hatte vollkommenes Verständnis für die vorliegen<strong>de</strong>n Fälle und erkannte die unmittelbare<br />

Gegenwart und Wirksamkeit böser Geister. Ein treffliches Beispiel von ihrer Zahl, Macht<br />

und Bösartigkeit, aber auch von <strong>de</strong>r Kraft und Barmherzigkeit Christi wird uns in <strong>de</strong>m<br />

biblischen Bericht von <strong>de</strong>r Heilung <strong>de</strong>r Besessenen in Gadara gegeben. Jene unglücklichen<br />

Wahnsinnigen, die alle Hemmungen von sich warfen, krümmten sich, schäumten und rasten,<br />

erfüllten die Luft mit ihrem Geschrei, taten sich selbst Gewalt an und gefähr<strong>de</strong>ten alle, die<br />

sich ihnen nähern wollten. Ihre bluten<strong>de</strong>n und entstellten Körper und ihr verwirrter Verstand<br />

boten <strong>de</strong>m Fürsten <strong>de</strong>r Finsternis einen wohlgefälligen Anblick. Einer <strong>de</strong>r bösen Geister, die<br />

die Lei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n beherrschten, erklärte: „Legion heiße ich; <strong>de</strong>nn wir sind unser viele.“ Markus<br />

5,9. Im römischen Heer zählte eine Legion drei- bis fünftausend Mann. Satans Heere sind<br />

ebenfalls in Abteilungen aufgeteilt, und die Schar, zu <strong>de</strong>r diese Dämonen gehörten, zählte<br />

nicht weniger als eine Legion.<br />

Auf Jesu Befehl verließen die bösen Geister ihre Opfer, die sich ruhig, untertänig,<br />

verständnisvoll und friedlich zu <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s Füßen setzten. Den Dämonen aber wur<strong>de</strong><br />

gestattet, eine Her<strong>de</strong> Säue in <strong>de</strong>n See zu stürzen. Für die Einwohner in Gadara überwog<br />

dieser Verlust die von Jesus gewährten Segnungen, und <strong>de</strong>r göttliche Arzt wur<strong>de</strong> ersucht,<br />

von dannen zu gehen. Dies war <strong>de</strong>r Erfolg, <strong>de</strong>n Satan erreichen wollte. In<strong>de</strong>m er die Schuld<br />

für <strong>de</strong>n Verlust Jesus zuschrieb, erweckte er die selbstsüchtigen Befürchtungen <strong>de</strong>r Leute<br />

und hin<strong>de</strong>rte sie, <strong>de</strong>ssen Worten zu lauschen. Satan klagt die Christen beständig an, sie seien<br />

die Ursache von Verlusten, Unglück und Lei<strong>de</strong>n, anstatt <strong>de</strong>n Vorwurf dorthin zur richten,<br />

wohin er gehört: auf sich selbst und seine Werkzeuge.<br />

Aber Jesu Absichten wur<strong>de</strong>n nicht vereitelt. Er gestattete <strong>de</strong>n bösen Geistern, die Her<strong>de</strong><br />

Säue zugrun<strong>de</strong> zu richten als Vorwurf gegen jene Ju<strong>de</strong>n, die diese unreinen Tiere um <strong>de</strong>s<br />

Gewinnes willen gezüchtet hatten. Hätte Christus die Dämonen nicht zurückgehalten, so<br />

wür<strong>de</strong>n sie nicht nur die Schweine, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>ren Hüter und Eigentümer in <strong>de</strong>n See<br />

gestürzt haben. Daß bei<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r Hüter und <strong>de</strong>r Eigentümer, bewahrt blieben, war nur seiner<br />

Macht zu verdanken, mit <strong>de</strong>r er sich barmherzig für <strong>de</strong>ren Errettung eingesetzt hatte. Ferner<br />

sollten die Jünger durch dieses Ereignis die grausame Macht Satans über Menschen und<br />

über Tiere sehen. Der Heiland wünschte, daß seine Nachfolger <strong>de</strong>n Feind genau kennen<br />

sollten, <strong>de</strong>m sie gegenübertreten mußten, damit sie <strong>de</strong>ssen List nicht täuschen und<br />

überwin<strong>de</strong>n möchte. Es war auch sein Wille, <strong>de</strong>n Bewohnern jener Gegend seine Kraft zu<br />

zeigen, die die Fesseln Satans bricht und seine Gefangenen befreit. Und wenn Jesus auch<br />

360


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

selber von dannen ging, so blieben doch die so wun<strong>de</strong>rbar befreiten Männer zurück, um die<br />

Barmherzigkeit ihres Wohltäters zu verkündigen.<br />

Die Heilige Schrift berichtet noch an<strong>de</strong>re Beispiele ähnlicher Art. Die Tochter <strong>de</strong>s<br />

syrophönizischen Weibes wur<strong>de</strong> von einem Teufel übel geplagt, <strong>de</strong>n Jesus durch sein Wort<br />

austrieb. Markus 7,26-30. „Ein Besessener ... <strong>de</strong>r war blind und stumm“ (Matthäus 12,22);<br />

ein Jüngling, <strong>de</strong>r einen stummen Geist hatte, <strong>de</strong>r ihn oft „in Feuer und Wasser geworfen,<br />

daß er ihn umbrächte“ (Markus 9,17-27); <strong>de</strong>r Wahnsinnige, <strong>de</strong>r von „einem unsaubern<br />

Teufel“ (Lukas 4,33-36) gequält, die Sabbatruhe <strong>de</strong>r Schule zu Kapernaum störte, sie alle<br />

wur<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>m barmherzigen Heiland geheilt. Fast je<strong>de</strong>smal re<strong>de</strong>te Jesus <strong>de</strong>n bösen Geist<br />

als ein verständiges Wesen an und befahl ihm, aus seinem Opfer auszufahren und es nicht<br />

mehr zu quälen. Als die Anbeten<strong>de</strong>n zu Kapernaum seine gewaltige Macht sahen, „kam eine<br />

Furcht über sie alle, und sie re<strong>de</strong>ten miteinan<strong>de</strong>r und sprachen: Was ist das für ein Ding? Er<br />

gebietet mit Macht und Gewalt <strong>de</strong>n unsaubern Geistern, und sie fahren aus“. Lukas 4,33-36.<br />

Die von Teufeln Besessenen wer<strong>de</strong>n meist so dargestellt, als hätten sie ungewöhnlich<br />

viel zu lei<strong>de</strong>n, doch gab es auch Ausnahmen von dieser Regel. Um übernatürliche Macht zu<br />

erlangen, hießen manche <strong>de</strong>n satanischen Einfluß willkommen. Diese hatten natürlich<br />

keinen Kampf mit <strong>de</strong>n bösen Geistern zu bestehen. Zu ihnen gehörten die, welche <strong>de</strong>n Geist<br />

<strong>de</strong>s Wahrsagens besaßen: Simon Magus, Elymas <strong>de</strong>r Zauberer und die Magd, die Paulus<br />

und Silas zu Philippi nachlief. Keiner steht in größerer Gefahr, <strong>de</strong>m Einfluß böser Geister zu<br />

erliegen, als <strong>de</strong>r, welcher ungeachtet <strong>de</strong>s bestimmten und umfassen<strong>de</strong>n Zeugnisses <strong>de</strong>r<br />

Heiligen Schrift das Dasein und die Wirksamkeit <strong>de</strong>s Teufels und seiner Engel leugnet.<br />

Solange wir ihrer List unkundig sind, haben sie einen fast unbegreiflichen Vorteil; viele<br />

achten auf ihre Einflüsterungen, während sie meinen, daß sie <strong>de</strong>n Eingebungen ihrer eigenen<br />

Weisheit folgen. Weil wir uns <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Zeit nähern, da Satan mit größter Macht<br />

wirken wird, um uns zu betrügen und zu ver<strong>de</strong>rben, streut er überall die Meinung aus, daß<br />

es ihn überhaupt nicht gebe. Es ist seine listige Metho<strong>de</strong>, sich und eine Wirkungsweise zu<br />

verbergen.<br />

Nichts fürchtet <strong>de</strong>r große Betrüger so sehr, als daß wir mit seinen Plänen bekannt<br />

wer<strong>de</strong>n. Um seinen wahren Charakter und seine Absichten besser zu tarnen, ließ er sich so<br />

darstellen, daß sein Name keine stärkere Erregung als Spott o<strong>de</strong>r Verachtung erweckte. Es<br />

gefällt ihm sehr wohl, sich als ein lächerliches o<strong>de</strong>r abscheuliches Wesen, als Ungestalt,<br />

halb Tier, halb Mensch, abgebil<strong>de</strong>t zu sehen. Es ist ihm angenehm, seinen Namen in Spaß<br />

und Spott von <strong>de</strong>nen nennen zu hören, die sich selbst für verständig und wohlunterrichtet<br />

halten.<br />

Weil er sich mit größter Geschicklichkeit verstellt hat, erhebt sich so häufig die Frage:<br />

Ist solch ein Wesen wirklich vorhan<strong>de</strong>n? Es ist ein Beweis seines Erfolges, daß man<br />

Ansichten, die von <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utlichsten Zeugnissen <strong>de</strong>r Heiligen Schrift Lügen gestraft wer<strong>de</strong>n,<br />

in <strong>de</strong>r religiösen Welt so allgemein annimmt. Und weil Satan die Gemüter, die sich seines<br />

Einflusses unbewußt sind, so leicht beherrscht, gibt Gottes Wort viele Beispiele von seinem<br />

361


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

boshaften Wirken und enthüllt seine geheimen Kräfte, damit wir uns vor seinen Angriffen in<br />

acht nehmen.<br />

Die Macht und Bosheit Satans und seiner Scharen könnten uns mit Recht beunruhigen,<br />

wenn wir nicht Zuflucht und Befreiung in <strong>de</strong>r überlegenen Macht unseres Erlösers fän<strong>de</strong>n.<br />

Unsere Häuser sichern wir sorgfältig mit Riegeln und Schlössern, um unser Eigentum und<br />

unser Leben vor bösen Menschen zu schützen, <strong>de</strong>nken aber sel- ten an die bösen Engel, die<br />

ständig Zugang zu uns suchen und gegen <strong>de</strong>ren Angriffe wir uns aus eigener Kraft nicht<br />

verteidigen können. Falls es ihnen erlaubt wird, können sie unseren Geist verwirren, <strong>de</strong>n<br />

Körper krank machen und quälen, unser Besitztum zerstören und unser Leben vernichten.<br />

Ihre einzige Freu<strong>de</strong> ist Elend und Ver<strong>de</strong>rben. Schrecklich ist <strong>de</strong>r Zustand <strong>de</strong>rer, die sich <strong>de</strong>m<br />

Einfluß Gottes entziehen und <strong>de</strong>n Versuchungen Satans nachgeben, bis Gott sie <strong>de</strong>r<br />

Herrschaft <strong>de</strong>r bösen Geister überläßt. Die aber Christus nachfolgen, sind unter seiner Obhut<br />

stets sicher. Starke Engel wer<strong>de</strong>n vom Himmel gesandt, sie zu beschützen. Der Böse kann<br />

die Schutzwache nicht durchbrechen, die Gott um sein Volk gestellt hat.<br />

362


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 32- Gefährliche Täuschungen<br />

Der große Streit zwischen Christus und Satan, <strong>de</strong>r schon nahezu 6000 Jahre währt, wird<br />

bald zu En<strong>de</strong> gehen. Der Boshafte verdoppelt seine Bemühungen, Christi Werk für die<br />

Menschen zu vereiteln und Seelen in seinen Schlingen zu verstricken. Das Ziel,wonach er<br />

strebt, heißt: die Menschen in Dunkel und Unbußfertigkeit zu halten, bis das Mittleramt<br />

Christi been<strong>de</strong>t ist und es für die Sün<strong>de</strong> kein Opfer mehr gibt. Wird keine beson<strong>de</strong>re<br />

Anstrengung unternommen, seiner Macht zu wi<strong>de</strong>rstehen,und herrscht in <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> und<br />

in <strong>de</strong>r Welt Gleichgültigkeit, dann ist Satan unbekümmert; <strong>de</strong>nn dann besteht nicht die<br />

Gefahr, die zu verlieren, die er nach seinem Willen gefangenführt.<br />

Wird aber die Aufmerksamkeit auf ewige Dinge gelenkt und fragen Seelen: „Was soll<br />

ich tun, daß ich selig wer<strong>de</strong>?“ (Apostelgeschichte 16,30), so ist Satan da, sucht mit seiner<br />

Stärke <strong>de</strong>r Macht Christi zu wi<strong>de</strong>rstehen und wirkt <strong>de</strong>m Einfluß <strong>de</strong>s Heiligen Geistes<br />

entgegen. Die Heilige Schrift sagt, daß bei einem bestimmten Anlaß, „da die Kin<strong>de</strong>r Gottes<br />

kamen und vor <strong>de</strong>n Herrn traten, kam <strong>de</strong>r Satan auch unter ihnen“ (Hiob 1,6), nicht etwa,<br />

um vor <strong>de</strong>m ewigen König anzubeten, son<strong>de</strong>rn um seine böswilligen Anschläge gegen die<br />

Gerechten zu för<strong>de</strong>rn. Mit <strong>de</strong>rselben Absicht ist er dabei, wo Menschen sich zum<br />

Gottesdienst versammeln.<br />

Wenn auch <strong>de</strong>m Auge verborgen, wirkt er doch mit allem Fleiß, die Gedanken <strong>de</strong>r<br />

Anbeten<strong>de</strong>n zu beherrschen. Einem geschickten Feldherrn gleich legt er seine Pläne im<br />

voraus. Sieht er, daß Gottes Boten die Heilige Schrift durchforschen, so merkt er sich das<br />

Thema, das <strong>de</strong>n Menschen vorgetragen wer<strong>de</strong>n soll. Dann wen<strong>de</strong>t er alle seine List und<br />

Verschlagenheit an, um die Verhältnisse so einzurichten, daß die Botschaft jene nicht<br />

erreichen kann, die er gera<strong>de</strong> über diesen Punkt täuschen will. Wer <strong>de</strong>r Warnung am meisten<br />

bedarf, wird in irgen<strong>de</strong>ine dringen<strong>de</strong> Geschäftssache verwickelt, die seine Anwesenheit<br />

verlangt, o<strong>de</strong>r durch irgen<strong>de</strong>in an<strong>de</strong>res Mittel vom Anhören <strong>de</strong>r Worte abgehalten, die sich<br />

für ihn als ein „Geruch <strong>de</strong>s Lebens zum Leben“ erweisen könnten.<br />

Satan sieht auch, wenn die Diener <strong>de</strong>s Herrn wegen <strong>de</strong>r geistlichen Finsternis, die das<br />

Volk umgibt, bedrückt sind. Er hört ihre ernsten Gebete um göttliche Gna<strong>de</strong> und um Kraft,<br />

<strong>de</strong>n auf ihnen liegen<strong>de</strong>n Bann <strong>de</strong>r Gleichgültigkeit, <strong>de</strong>r Sorglosigkeit und Trägheit zu<br />

brechen. Dann betreibt er mit erneutem Eifer seine Anschläge. Er versucht die Menschen,<br />

<strong>de</strong>r Eßlust zu frönen o<strong>de</strong>r sich irgen<strong>de</strong>iner an<strong>de</strong>rn Form <strong>de</strong>r Genußsucht hinzugeben, und<br />

betäubt auf diese Weise ihr Feingefühl, so daß sie gera<strong>de</strong> die Dinge nicht hören, die zu<br />

lernen sie so sehr nötig haben.<br />

Der böse Feind weiß wohl, daß alle, die er verleiten kann, das Gebet und das Forschen<br />

in <strong>de</strong>r Heiligen Schrift zu vernachlässigen, durch seine Angriffe überwun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.<br />

Deshalb erfin<strong>de</strong>t er alle möglichen Pläne, um <strong>de</strong>n Geist in Anspruch zunehmen. Es hat von<br />

jeher eine Klasse von Menschen gegeben, die vorgibt, gottselig zu leben, die aber, statt in<br />

<strong>de</strong>r Erkenntnis <strong>de</strong>r Wahrheit fortzuschreiten, es zu ihrer Religion macht, irgen<strong>de</strong>inen<br />

363


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Charakterfehler o<strong>de</strong>r einen Glaubensirrtum bei jenen zu suchen, mit <strong>de</strong>nen sie nicht<br />

übereinstimmen. Solche Seelen sind Satans Hauptgehilfen. Es gibt viele Verkläger <strong>de</strong>r<br />

Brü<strong>de</strong>r; man fin<strong>de</strong>t sie stets tätig, wenn Gott wirkt und seine Diener ihm wahre Huldigung<br />

erweisen. Sie werfen ein falsches Licht auf die Worte und Handlungen <strong>de</strong>rer, die die<br />

Wahrheit lieben und ihr gehorchen, und stellen die ernsten, eifrigen, selbstverleugnen<strong>de</strong>n<br />

Diener Christi als Betrogene o<strong>de</strong>r als Betrüger hin. Sie miß<strong>de</strong>uten die Beweggrün<strong>de</strong> je<strong>de</strong>r<br />

guten und edlen Tat, bringen Gerüchte in Umlauf und erwecken Argwohn in <strong>de</strong>n Gemütern<br />

<strong>de</strong>r Unerfahrenen. In je<strong>de</strong>r <strong>de</strong>nkbaren Weise trachten sie danach, daß das Reine und<br />

Gerechte als ver<strong>de</strong>rbt und trügerisch angesehen wer<strong>de</strong>.<br />

Aber niemand braucht sich über sie einer Täuschung hinzugeben. Es läßt sich leicht<br />

ersehen, wessen Kin<strong>de</strong>r sie sind, wessen Beispiel sie folgen und wessen Werke sie tun. „An<br />

ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“ Matthäus 7,16. Ihr Benehmen gleicht <strong>de</strong>m Satans, <strong>de</strong>s<br />

giftigen Verleum<strong>de</strong>rs, <strong>de</strong>s Verklägers unserer Brü<strong>de</strong>r. Offenbarung 12,10. Der große<br />

Betrüger hat viele Vertreter, die bereitwillig alle und je<strong>de</strong> Art <strong>de</strong>s Irrtums ersinnen, um<br />

Seelen zu verstricken: Ketzereien, die dazu angelegt sind, sich <strong>de</strong>m verschie<strong>de</strong>nen<br />

Geschmack und Fassungsvermögen <strong>de</strong>rer anzupassen, die er ver<strong>de</strong>rben möchte. Es ist sein<br />

Plan, unaufrichtige, ver<strong>de</strong>rbte Personen in die Gemein<strong>de</strong> zu bringen, die <strong>de</strong>n Zweifel und<br />

Unglauben ermutigen und allen <strong>de</strong>nen hin<strong>de</strong>rnd in <strong>de</strong>n Weg treten, die Gottes Werk<br />

wachsen sehen und mit ihm vorwärtskommen möchten. Viele, die nicht wirklich an Gott<br />

o<strong>de</strong>r an sein Wort glauben, stimmen gewissen Grundsätzen <strong>de</strong>r Wahrheit zu und gelten als<br />

Christen und führen dadurch ihre Irrtümer als biblische Lehren ein.<br />

Die Behauptung, daß es gleichgültig sei, was die Menschen glauben, ist eine <strong>de</strong>r<br />

erfolgreichsten Täuschungen Satans. Er weiß, daß die in Liebe aufgenommene Wahrheit die<br />

Seele <strong>de</strong>s Empfängers heiligt; <strong>de</strong>shalb sucht er beständig falsche <strong>Theorie</strong>n, Fabeln, ja ein<br />

an<strong>de</strong>res Evangelium unterzuschieben. Von Anbeginn haben Gottes Diener gegen falsche<br />

Lehrer gekämpft, nicht nur, weil diese lasterhafte Menschen waren, son<strong>de</strong>rn weil sie die<br />

Irrtümer verbreiteten, die <strong>de</strong>r Seele zum Ver<strong>de</strong>rben gereichen. Elia, Jeremia, Paulus<br />

wi<strong>de</strong>rsetzten sich furchtlos und entschie<strong>de</strong>n <strong>de</strong>nen, die die Menschen <strong>de</strong>m Worte Gottes<br />

abspenstig machten. Jener Freisinn, <strong>de</strong>r einen echten religiösen Glauben als unwichtig<br />

betrachtet, fand keine Anerkennung bei diesen heiligen Verteidigern <strong>de</strong>r Wahrheit.<br />

Die leeren und überspannten Auslegungen <strong>de</strong>r Heiligen Schrift und die vielen sich<br />

wi<strong>de</strong>rsprechen<strong>de</strong>n Ansichten über <strong>de</strong>n religiösen Glauben, wie sie unter Christen bestehen,<br />

sind das Werk unseres großen Wi<strong>de</strong>rsachers, <strong>de</strong>r die Gemüter so verwirren will, daß sie die<br />

Wahrheit nicht unterschei<strong>de</strong>n können. Die Uneinigkeit und Spaltung, die sich in <strong>de</strong>n<br />

christlichen Gemeinschaften kundtut, ist vorwiegend <strong>de</strong>m herrschen<strong>de</strong>n Brauch<br />

zuzuschreiben, die Heilige Schrift zu verdrehen, um irgen<strong>de</strong>ine Lieblingsansicht zu<br />

unterstützen. Statt Gottes Wort sorgfältig mit <strong>de</strong>mütigem Herzen zu studieren, um seinen<br />

Willen kennenzulernen, suchen viele nur darin, um etwas Wun<strong>de</strong>rliches o<strong>de</strong>r<br />

Eigentümliches zu ent<strong>de</strong>cken.<br />

364


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Um Irrlehren o<strong>de</strong>r unchristliche Bräuche zu unterstützen, lösen manche bestimmte<br />

Schriftstellen aus ihrem Zusammenhang und führen vielleicht die Hälfte eines einzelnen<br />

Verses zur Bestätigung ihrer Behauptung an, obgleich <strong>de</strong>r übrige Teil <strong>de</strong>n entgegengesetzten<br />

Sinn hat. Mit <strong>de</strong>r List einer Schlange verschanzen sie sich hinter unzusammenhängen<strong>de</strong>n<br />

Äußerungen, die sie um ihrer fleischlichen Gelüste willen aufstellen. So verdrehen viele<br />

absichtlich das Wort Gottes. An<strong>de</strong>re, die eine lebendige Einbildungskraft besitzen, nehmen<br />

die Bil<strong>de</strong>r und Sinnbil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Heiligen Schrift auf, legen sie ihrer Phantasie gemäß aus, mit<br />

wenig Rücksicht auf das Zeugnis <strong>de</strong>r Heiligen Schrift als ihr eigener Ausleger, und tragen<br />

dann ihre Einfälle als biblische Lehren vor.<br />

Wird das Studium <strong>de</strong>r Heiligen Schrift nicht in beten<strong>de</strong>m, <strong>de</strong>mütigem, lernbegierigem<br />

Geist durchgeführt, dann wer<strong>de</strong>n sowohl die einfachsten und <strong>de</strong>utlichsten als auch die<br />

schwierigeren Stellen in ihrer wahren Be<strong>de</strong>utung entstellt. Die päpstlichen Wür<strong>de</strong>nträger<br />

wählen solche Teile <strong>de</strong>r Heiligen Schrift, die ihrer Absicht am besten dienen, legen sie aus,<br />

wie es ihnen paßt, und tragen sie dann <strong>de</strong>m Volk vor, während sie ihm die Freiheit, die<br />

Bibel selbst zu studieren und <strong>de</strong>ren heilige Wahrheiten zu verstehen, versagen. Die ganze<br />

Bibel in ihrem vollständigen Wortlaut sollte <strong>de</strong>m Volk zugänglich sein. Es wäre besser, ihm<br />

überhaupt keinen biblischen Unterricht zu erteilen, als die Lehren <strong>de</strong>r Heiligen Schrift auf so<br />

grobe Weise zu verfälschen.<br />

Die Bibel war bestimmt, allen <strong>de</strong>nen ein Führer zu sein, die mit <strong>de</strong>m Willen ihres<br />

Schöpfers vertraut wer<strong>de</strong>n wollten. Gott gab <strong>de</strong>m Menschen das feste prophetische Wort;<br />

Engel und sogar Christus selbst kamen, um Daniel und Johannes die Dinge kundzutun, die<br />

sich in Kürze zutragen müssen. Jene wichtigen Angelegenheiten, die unser Heil betreffen,<br />

blieben keineswegs Geheimnis, sie wur<strong>de</strong>n auch nicht in einer solchen Weise offenbart, daß<br />

sie <strong>de</strong>n aufrichtigen Forscher nach Wahrheit verwirren o<strong>de</strong>r irreleiten konnten. Der Herr<br />

sagte durch <strong>de</strong>n Propheten Habakuk: „Schreib das Gesicht und male es auf eine Tafel, daß<br />

es lesen könne, wer vorüberläuft.“ Habakuk 2,2. Das Wort Gottes ist allen verständlich, die<br />

darin mit beten<strong>de</strong>m Herzen forschen. Je<strong>de</strong> wahrhaft aufrichtige Seele wird zum Licht <strong>de</strong>r<br />

Wahrheit gelangen. „Dem Gerechten muß das Licht immer wie<strong>de</strong>r aufgehen.“ Psalm 97,11.<br />

Keine Gemein<strong>de</strong> kann in <strong>de</strong>r Heiligung zunehmen, es sei <strong>de</strong>nn, ihre Gläubigen suchen nach<br />

<strong>de</strong>r Wahrheit wie nach einem verborgenen Schatz.<br />

Durch <strong>de</strong>n Ruf: Nur nicht engherzig! wer<strong>de</strong>n die Menschen blind gegen die Pläne ihres<br />

Wi<strong>de</strong>rsachers, während er beständig auf die Erreichung seiner Absicht hinwirkt. Gelingt es<br />

ihm, die Bibel durch menschliche Ansichten zu verdrängen, dann wird das Gesetz Gottes<br />

beiseitegesetzt, und die Kirchen stehen unter <strong>de</strong>r Knechtschaft <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>, während sie <strong>de</strong>n<br />

Anspruch erheben, frei zu ein. Vielen ist die wissenschaftliche Forschung zum Fluch<br />

gewor<strong>de</strong>n. Gott hat <strong>de</strong>r Welt viel Licht zu <strong>de</strong>n Leistungen in Kunst und Wissenschaft<br />

gegeben; aber selbst die fähigsten Köpfe wer<strong>de</strong>n, wenn nicht <strong>de</strong>r Geist Gottes sie leitet,<br />

verwirrt, sobald sie versuchen, die Beziehungen zwischen Wissenschaft und Offenbarung zu<br />

ergrün<strong>de</strong>n.<br />

365


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Die menschliche Erkenntnis, sowohl in materiellen als auch in geistlichen Dingen, ist<br />

Stückwerk und unvollkommen; <strong>de</strong>shalb sind viele nicht imstan<strong>de</strong>, ihre wissenschaftlichen<br />

Ansichten mit schriftgemäßen Erklärungen in Übereinstimmung zu bringen. Manche<br />

nehmen bloße <strong>Theorie</strong>n und Vermutungen als wissenschaftliche Tatsachen an und meinen,<br />

das Wort Gottes müsse an „<strong>de</strong>r falsch berühmten Kunst“ geprüft wer<strong>de</strong>n. 1.Timotheus 6,20.<br />

Der Schöpfer und seine Werke gehen über ihr Begriffsvermögen hinaus, und weil sie diese<br />

nicht durch natürliche Gesetze erklären können, wird die biblische Geschichte als<br />

unzuverlässig betrachtet. Und wenn sie die Berichte <strong>de</strong>s Alten und Neuen Testaments<br />

bezweifeln, gehen sie nur zu oft noch einen Schritt weiter und stellen das Dasein Gottes in<br />

Frage und schreiben <strong>de</strong>r Natur eine unendliche Macht zu. Haben sie ihren Anker losgelassen,<br />

wer<strong>de</strong>n sie an die Felsen <strong>de</strong>s Unglaubens verschlagen.<br />

Auf diese Weise irren viele vom Glauben ab und wer<strong>de</strong>n vom Teufel verführt. Die<br />

Menschen haben danach getrachtet, weiser zu sein als ihr Schöpfer; menschliche Weisheit<br />

hat versucht, Geheimnisse zu ergrün<strong>de</strong>n und zu erklären, die in Ewigkeit nicht offenbar<br />

wer<strong>de</strong>n. Wollten die Menschen doch untersuchen und verstehen, was Gott von sich selbst<br />

und seinen Absichten kundgetan hat, so wür<strong>de</strong>n sie einen solchen Eindruck von <strong>de</strong>r<br />

Herrlichkeit, Majestät und Macht Gottes gewinnen, daß sie ihre Be<strong>de</strong>utungslosigkeit einsähen<br />

und zufrie<strong>de</strong>n wären mit <strong>de</strong>m, was ihnen und ihren Kin<strong>de</strong>rn offenbart wor<strong>de</strong>n ist.<br />

Es ist ein Meisterstück <strong>de</strong>r Täuschung Satans, <strong>de</strong>n Geist <strong>de</strong>r Menschen bezüglich <strong>de</strong>r<br />

Dinge, die Gott nicht kundgetan hat und von <strong>de</strong>nen er nicht will, daß wir sie verstehen<br />

sollen, am Suche+n und Vermuten zu erhalten. Auf diese Weise verlor Luzifer seinen Platz<br />

im Himmel. Er wur<strong>de</strong> unzufrie<strong>de</strong>n, weil Gott ihm nicht alle Geheimnisse seiner Absichten<br />

anvertraute, und mißachtete völlig das, was dieser ihm über seine Aufgabe in <strong>de</strong>r ihm<br />

zugewiesenen erhabenen Stellung offenbarte. In<strong>de</strong>m er die gleiche Unzufrie<strong>de</strong>nheit in <strong>de</strong>n<br />

Herzen <strong>de</strong>r seinem Befehl unterstellten Engel erweckte, verursachte er ihren Fall. Jetzt<br />

versucht er <strong>de</strong>n gleichen Geist auf die Menschen zu übertragen und sie ebenfalls zu verleiten,<br />

die klaren Gebote Gottes zu mißachten.<br />

Die nicht willens sind, die <strong>de</strong>utlichen, tiefgreifen<strong>de</strong>n Wahrheiten <strong>de</strong>r Bibel anzunehmen,<br />

suchen beständig nach angenehmen Fabeln, die das Gewissen beruhigen. Je weniger<br />

geistlich, selbstverleugnend und <strong>de</strong>mütigend die vorgetragenen Lehren sind, <strong>de</strong>sto günstiger<br />

wer<strong>de</strong>n sie aufgenommen. Solche Menschen würdigen die Verstan<strong>de</strong>skräfte herab, um ihren<br />

fleischlichen Begier<strong>de</strong>n zu frönen. In ihrer Selbstüberschätzung zu weise, um in <strong>de</strong>r<br />

Heiligen Schrift mit bußfertigem Herzen und unter ernstem Gebet nach göttlicher Leitung<br />

zu suchen, haben sie keinen Schild gegen die Verblendung. Satan steht bereit, das<br />

Verlangen <strong>de</strong>s Herzens zu stillen, und er setzt seine Täuschungen an die Stelle <strong>de</strong>r Wahrheit.<br />

Auf diese Weise gewann das Papsttum seine Macht über die Menschen, und durch die<br />

Verwerfung <strong>de</strong>r Wahrheit, weil diese ein Kreuz einschließt, gehen die Protestanten <strong>de</strong>n<br />

gleichen Weg.<br />

366


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Alle, die das Wort Gottes vernachlässigen, um Bequemlichkeit und Klugheit zu<br />

studieren, damit sie sich nicht von <strong>de</strong>r Welt unterschei<strong>de</strong>n, wer<strong>de</strong>n verdammungswürdige<br />

Ketzereien für religiöse Wahrheit empfangen. Je<strong>de</strong> er<strong>de</strong>nkliche Form <strong>de</strong>s Irrtums wird von<br />

<strong>de</strong>nen angenommen wer<strong>de</strong>n, die die Wahrheit vorsätzlich verwerfen. Wer mit Schrecken auf<br />

eine Täuschung sehen mag, wird eine an<strong>de</strong>re willig annehmen. Der Apostel Paulus spricht<br />

von Menschen, welche „die Liebe zur Wahrheit nicht haben angenommen, auf daß sie selig<br />

wür<strong>de</strong>n“, und sagt von ihnen: „Darum wird ihnen Gott kräftige Irrtümer sen<strong>de</strong>n, daß sie<br />

glauben <strong>de</strong>r Lüge, auf daß gerichtet wer<strong>de</strong>n alle, die <strong>de</strong>r Wahrheit nicht glauben, son<strong>de</strong>rn<br />

haben Lust an <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit.“ 2.Thessalonicher 2,10-12. Mit solcher Warnung vor<br />

Augen ziemt es uns, bezüglich <strong>de</strong>r Lehren, die wir annehmen, auf <strong>de</strong>r Hut zu sein.<br />

Zu <strong>de</strong>n erfolgreichsten Werkzeugen <strong>de</strong>s großen Betrügers gehören die trügerischen<br />

Lehren und lügenhaften Wun<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Spiritismus. Sich zu einem Engel <strong>de</strong>s Lichts<br />

verstellend, wirft er seine Netze aus, wo es am wenigsten vermutet wird. Möchten die<br />

Menschen doch das Buch Gottes unter ernstem Gebet durchforschen, um seine Lehren zu<br />

verstehen, so blieben sie nicht in <strong>de</strong>r Finsternis und nähmen keine falschen Lehren an. Weil<br />

sie aber die Wahrheit verwerfen, fallen sie Täuschungen zum Opfer. Ein an<strong>de</strong>rer<br />

gefährlicher Irrtum ist die Lehre, die die Gottheit Christi leugnet und behauptet, daß er vor<br />

seinem Kommen in diese Welt nicht existiert habe. Diese Ansicht wird von vielen, die<br />

angeblich an die Bibel glauben, günstig aufgenommen; <strong>de</strong>nnoch wi<strong>de</strong>rspricht sie <strong>de</strong>n<br />

ein<strong>de</strong>utigen Erklärungen unseres Heilan<strong>de</strong>s über seinen göttlichen Charakter und sein<br />

Vordasein sowie über seine Verwandtschaft zum Vater. Man kann diese Ansicht nicht<br />

aufrechterhalten, ohne die Heilige Schrift auf die unverantwortlichste Weise zu verdrehen.<br />

Sie erniedrigt nicht nur unsere menschliche Vorstellung vom Erlösungswerk, son<strong>de</strong>rn<br />

untergräbt auch <strong>de</strong>n Glauben an die Bibel als einer Offenbarung Gottes. Je gefährlicher sie<br />

dadurch wird, <strong>de</strong>sto schwieriger ist es, ihr entgegenzutreten. Verwerfen die Menschen das<br />

Zeugnis <strong>de</strong>r von Gott eingegebenen Heiligen Schrift über die Gottheit Christi, so wird man<br />

darüber vergebens mit ihnen sprechen, <strong>de</strong>nn kein noch so zwingen<strong>de</strong>r Beweis wird sie<br />

überzeugen können. „Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts vom Geist Gottes; es ist<br />

ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen; <strong>de</strong>nn es muß geistlich gerichtet<br />

sein.“ 1.Korinther 2,14. Wer in diesem Irrtum befangen ist, kann we<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>m Charakter<br />

und <strong>de</strong>m Werk Christi noch von <strong>de</strong>m großen Plane Gottes zur Erlösung <strong>de</strong>r Menschen eine<br />

rechte Vorstellung haben.<br />

Noch ein an<strong>de</strong>rer geschickt angelegter und unheilvoller Irrtum liegt in <strong>de</strong>r sich schnell<br />

verbreiten<strong>de</strong>n Auffassung, Satan sei kein persönliches Wesen; diese Bezeichnung wer<strong>de</strong> in<br />

<strong>de</strong>r Bibel nur gebraucht, um die bösen Gedanken und Begier<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Menschen zu<br />

veranschaulichen. Die von volkstümlichen Kanzeln herab so weithin ertönen<strong>de</strong> Lehre, daß<br />

die Wie<strong>de</strong>rkunft Christi darin bestehe, daß er zu je<strong>de</strong>m einzelnen bei <strong>de</strong>ssen To<strong>de</strong> komme,<br />

ist eine Erfindung, die die Gedanken <strong>de</strong>r Menschen von seinem persönlichen Erscheinen in<br />

<strong>de</strong>n Wolken <strong>de</strong>s Himmels ablenken soll. Jahrelang hat Satan auf diese Weise gesagt: „Siehe,<br />

367


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

er ist in <strong>de</strong>r Kammer“ (Matthäus 24,23-36) und viele Seelen sind verlorengegangen, weil sie<br />

diese Täuschung angenommen haben.<br />

Auch lehrt weltliche Weisheit, das Gebet sei nicht wesentlich. Männer <strong>de</strong>r Wissenschaft<br />

behaupten, daß es keine wirkliche Antwort auf ein Gebet geben könne; daß dies eine<br />

Verkehrung <strong>de</strong>r Gesetze, ein Wun<strong>de</strong>r wäre, und daß es keine Wun<strong>de</strong>r gebe. Das Weltall,<br />

sagen sie, wird von feststehen<strong>de</strong>n Gesetzen regiert, und Gott selbst tut nichts, was diesen<br />

Gesetzen entgegen ist. So stellen sie Gott dar, als ob er durch seine eigenen Gesetze<br />

gebun<strong>de</strong>n sei; als ob das Wirken göttlicher Gesetze die göttliche Freiheit ausschlösse.<br />

Solche Lehre ist <strong>de</strong>m Zeugnis <strong>de</strong>r Heiligen Schrift zuwi<strong>de</strong>r. Wur<strong>de</strong>n nicht durch Christus<br />

und seine Apostel Wun<strong>de</strong>r gewirkt? Derselbe erbarmungsvolle Heiland lebt heute noch, und<br />

er ist jetzt ebenso bereit, auf die Gebete <strong>de</strong>s Glaubens zu hören, wie damals, als er sichtbar<br />

unter <strong>de</strong>n Menschen wan<strong>de</strong>lte. Das Natürliche wirkt zusammen mit <strong>de</strong>m Übernatürlichen.<br />

Es ist ein Teil <strong>de</strong>s Planes Gottes, uns in Erhörung <strong>de</strong>s im Glauben dargebrachten Gebetes<br />

das zu gewähren, was er uns nicht gewähren wür<strong>de</strong>, wenn wir nicht in dieser Weise zu ihm<br />

beteten.<br />

Unzählbar sind die irrtümlichen Lehren und die überspannten Vorstellungen in <strong>de</strong>n<br />

Kirchen <strong>de</strong>r Christenheit. Es ist unmöglich, die üblen Folgen abzuschätzen, die durch die<br />

Verrückung auch nur einer <strong>de</strong>r durch das Wort Gottes festgesetzten Grenzen entstehen. Nur<br />

wenige von <strong>de</strong>nen, die dies zu tun wagen, bleiben bei <strong>de</strong>r Verwerfung einer Wahrheit stehen;<br />

die Mehrheit fährt fort, einen Grundsatz <strong>de</strong>r Wahrheit nach <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn zu verwerfen, bis sie<br />

tatsächlich ungläubig wird. Die Irrtümer <strong>de</strong>r allgemein verbreiteten theologischen<br />

Auffassungen haben manchen Menschen, <strong>de</strong>r sonst bibelgläubig hätte wer<strong>de</strong>n können, <strong>de</strong>r<br />

Zweifelsucht in die Arme getrieben. Es ist ihm unmöglich, Lehren anzunehmen, die seinen<br />

Auffassungen von Gerechtigkeit, Gna<strong>de</strong> und Güte Gewalt antun; und wenn solche<br />

Auffassungen als Lehren <strong>de</strong>r Bibel hingestellt wer<strong>de</strong>n, weigert er sich, sie als Gottes Wort<br />

anzuerkennen.<br />

Das ist es, was Satan zu erreichen sucht. Nichts wünscht er mehr, als das Vertrauen zu<br />

Gott und seinem Wort zu zerstören. Satan steht an <strong>de</strong>r Spitze <strong>de</strong>s großen Heeres <strong>de</strong>r<br />

Zweifler, und er arbeitet mit größter Anstrengung, um Menschen in seine Reihen zu ziehen.<br />

Das Zweifeln fängt an, Mo<strong>de</strong> zu wer<strong>de</strong>n. Zahlreiche Menschen sehen das Wort Gottes aus<br />

<strong>de</strong>mselben Grun<strong>de</strong> mit Mißtrauen an wie seinen Urheber, weil es die Sün<strong>de</strong> straft und<br />

verurteilt. Die nicht willens sind, seinen Anfor<strong>de</strong>rungen zu gehorchen, versuchen seine<br />

Autorität über <strong>de</strong>n Haufen zu werfen. Sie lesen die Bibel o<strong>de</strong>r lauschen <strong>de</strong>ren Lehren, wie<br />

sie von <strong>de</strong>r Kanzel herab verkündigt wer<strong>de</strong>n, nur um an <strong>de</strong>r Heiligen Schrift o<strong>de</strong>r an <strong>de</strong>r<br />

Predigt etwas Ta<strong>de</strong>lnswertes zu fin<strong>de</strong>n. Nicht wenige wer<strong>de</strong>n ungläubig, um sich für die<br />

Vernachlässigung ihrer Pflicht zu rechtfertigen o<strong>de</strong>r zu entschuldigen. An<strong>de</strong>re nehmen aus<br />

Stolz und Trägheit zweifelhafte Grundsätze an. Zu sehr für ein bequemes Leben<br />

eingenommen, um irgend etwas zu vollbringen, was <strong>de</strong>r Ehre wert wäre o<strong>de</strong>r was<br />

Anstrengung und Selbstverleugnung erfor<strong>de</strong>rte, streben sie danach, sich einen Ruf höherer<br />

368


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Weisheit zu verschaffen, in<strong>de</strong>m sie die Bibel bekritteln. Es gibt darin vieles, was <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r<br />

göttlichen Weisheit unerleuchtete Verstand einfach nicht verstehen kann; auf diese Weise<br />

fin<strong>de</strong>n sie Anlaß zum Kritisieren. Viele scheinen anzunehmen, daß es eine Tugend sei, auf<br />

<strong>de</strong>r Seite <strong>de</strong>s Unglaubens und <strong>de</strong>s Zweifels zu stehen. Aber man wird feststellen, daß solche<br />

Menschen unter einem Anschein von Aufrichtigkeit nur von Selbstvertrauen und Stolz<br />

angetrieben wer<strong>de</strong>n. Viele machen sich das größte Vergnügen daraus, etwas in <strong>de</strong>r Heiligen<br />

Schrift zu fin<strong>de</strong>n, das an<strong>de</strong>re in Verlegenheit bringt. Etliche kritisieren und diskutieren auf<br />

<strong>de</strong>r Seite <strong>de</strong>s Unrechts, nur aus Liebe zum Wortstreit. Sie wer<strong>de</strong>n nicht gewahr, daß sie sich<br />

auf diese Weise selbst in <strong>de</strong>n Schlingen <strong>de</strong>s Voglers verstricken. Da sie aber offen ihrem<br />

Unglauben Ausdruck gegeben haben, glauben sie, ihre Stellung behaupten zu müssen.<br />

Dadurch verbin<strong>de</strong>n sie sich mit <strong>de</strong>n Gottlosen und verbauen sich <strong>de</strong>n Weg in das Paradies.<br />

Gott hat in seinem Wort genügend Beweise von <strong>de</strong>ssen göttlichen Ursprung gegeben.<br />

Die großen Wahrheiten, die sich auf unsere Erlösung beziehen, sind klar dargelegt. Mit<br />

Hilfe <strong>de</strong>s Heiligen Geistes, <strong>de</strong>r allen verheißen ist, die aufrichtig darum bitten, vermag je<strong>de</strong>r<br />

diese Wahrheiten zu verstehen. Gott hat <strong>de</strong>n Menschen einen starken Grund verliehen, auf<br />

<strong>de</strong>n sie ihren Glauben stützen können. Doch <strong>de</strong>r begrenzte Verstand <strong>de</strong>r Menschen ist<br />

unzureichend, um die Pläne und Ratschlüsse <strong>de</strong>s ewigen Gottes völlig zu erfassen. Wir<br />

können Gott nie durch Forschen ergrün<strong>de</strong>n. Wir dürfen es nicht wagen, mit vermessener<br />

Hand <strong>de</strong>n Vorhang zu lüften, mit <strong>de</strong>m er seine Majestät verhüllt. Der Apostel ruft aus: „Wie<br />

gar unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!“ Römer 11,33.<br />

Wir können seine Handlungsweise mit uns und die ihn leiten<strong>de</strong>n Beweggrün<strong>de</strong> so weit<br />

begreifen, daß wir unbegrenzte Liebe und Barmherzigkeit, verbun<strong>de</strong>n mit unendlicher<br />

Macht, erkennen können. Unser himmlischer Vater ordnet alles in Weisheit und<br />

Gerechtigkeit, und wir dürfen nicht unzufrie<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r mißtrauisch sein, son<strong>de</strong>rn müssen uns<br />

in ehrfurchtsvoller Demut beugen. Er wird uns soviel von seinen Absichten enthüllen, wie<br />

zu unserem Besten dient; darüber hinaus müssen wir <strong>de</strong>m vertrauen, <strong>de</strong>r allmächtig und<br />

<strong>de</strong>ssen Herz voller Liebe ist. Während Gott <strong>de</strong>m Glauben<strong>de</strong>n genügend Beweise gibt, wird<br />

er niemals alles beseitigen, was <strong>de</strong>n Unglauben entschuldigen könnte. Wer nach irgen<strong>de</strong>iner<br />

Stütze für seinen Zweifel sucht, wird sie auch fin<strong>de</strong>n. Wer sich weigert, Gottes Wort<br />

anzunehmen und zu befolgen, bis je<strong>de</strong>r Einwand beseitigt ist, so daß nicht länger Anlaß zum<br />

Zweifeln besteht, wird nie zum Licht kommen.<br />

Das Mißtrauen gegen Gott ist eine natürliche Folge <strong>de</strong>s nicht erneuerten Herzens, das<br />

Gott feind ist. Der Glaube wird von <strong>de</strong>m Heiligen Geist eingegeben und ge<strong>de</strong>iht, wenn er<br />

gepflegt wird. Niemand kann ohne entschlossenes Bemühen im Glauben wachsen. Der<br />

Unglaube verstärkt sich, je nach<strong>de</strong>m er ermutigt wird; und wenn Menschen zweifeln und<br />

kritteln, statt sich mit <strong>de</strong>n Beweisen zu beschäftigen, die Gott zur Befestigung ihres<br />

Glaubens gegeben hat, wer<strong>de</strong>n sie ihre Zweifel immer mehr bestätigt fin<strong>de</strong>n. Die an Gottes<br />

Verheißungen zweifeln und <strong>de</strong>n Versicherungen seiner Gna<strong>de</strong> mißtrauen, entehren ihn. Ihr<br />

Einfluß neigt dazu, an<strong>de</strong>re von Christus zu trennen, statt sie zu ihm zu ziehen. Sie sind<br />

369


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

unfruchtbare Bäume, die ihre dürren Zweige weit ausbreiten und dadurch an<strong>de</strong>rn Pflanzen<br />

das Sonnenlicht wegnehmen, so daß diese in <strong>de</strong>m kalten Schatten verwelken und absterben.<br />

Ihr Lebenswerk wird unaufhörlich gegen sie zeugen. Sie säen <strong>de</strong>n Samen <strong>de</strong>s Zweifels und<br />

<strong>de</strong>s Unglaubens, <strong>de</strong>r unausbleiblich seine Ernte bringen wird.<br />

Für diejenigen, die aufrichtig danach trachten, von Zweifeln frei zu wer<strong>de</strong>n, gibt es nur<br />

einen Weg: statt das anzuzweifeln und zu bekritteln, was sie nicht verstehen, müssen sie auf<br />

das ihnen bereits scheinen<strong>de</strong> Licht achtgeben, dann wer<strong>de</strong>n sie größeres Licht empfangen.<br />

Erfüllen sie je<strong>de</strong> Aufgabe, die sie klar erkannt haben, dann wer<strong>de</strong>n sie fähig, auch jene<br />

Aufgaben zu verstehen und auszuführen, über die sie jetzt noch im Zweifel sind. Satan<br />

vermag Fälschungen zu entwerfen, die <strong>de</strong>r Wahrheit so gleichen, daß Seelen getäuscht<br />

wer<strong>de</strong>n, die das von <strong>de</strong>r Wahrheit gefor<strong>de</strong>rte Opfer und die Selbstverleugnung umgehen<br />

möchten, und die willig sind, sich täuschen zu lassen. Es ist ihm jedoch unmöglich, eine<br />

Seele unter seiner Macht zu halten, die aufrichtig wünscht — koste es, was es wolle —, die<br />

Wahrheit zu erkennen. Christus ist die Wahrheit und „das wahrhaftige Licht, welches alle<br />

Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen“. Johannes 1,9. Der Geist <strong>de</strong>r Wahrheit ist<br />

gesandt wor<strong>de</strong>n, um die Menschen in alle Wahrheit zu leiten. Und mit Vollmacht <strong>de</strong>s<br />

Sohnes Gottes steht geschrieben: „Suchet, so wer<strong>de</strong>t ihr fin<strong>de</strong>n.“ „So jemand will <strong>de</strong>s<br />

(Vaters) Willen tun, <strong>de</strong>r wird innewer<strong>de</strong>n, ob diese Lehre von Gott sei.“ Matthäus 7,7;<br />

Johannes 7,17.<br />

Die Nachfolger Christi wissen wenig von <strong>de</strong>n Anschlägen, die Satan und seine Scharen<br />

gegen sie schmie<strong>de</strong>n. Aber <strong>de</strong>r im Himmel thront, wird alle diese Absichten zur Erfüllung<br />

seiner unerforschlichen Pläne lenken. Der Herr läßt es zu, daß seine Kin<strong>de</strong>r in die<br />

Feuerprobe <strong>de</strong>r Versuchung geraten, nicht weil er an ihren Lei<strong>de</strong>n und an ihrer Trübsal<br />

Freu<strong>de</strong> empfin<strong>de</strong>t, son<strong>de</strong>rn weil dieses Verfahren zu ihrem endgültigen Sieg wesentlich ist.<br />

Er kann sie nicht entsprechend seiner eigenen Herrlichkeit vor <strong>de</strong>r Versuchung schützen;<br />

<strong>de</strong>nn es ist gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Zweck <strong>de</strong>r Prüfung, sie zuzubereiten, allen bösen Lockungen<br />

wi<strong>de</strong>rstehen zu können.<br />

We<strong>de</strong>r gottlose Menschen noch Teufel können Gottes Werk hin<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r seinem Volk<br />

Gottes Gegenwart entziehen, wenn es gebeugten, reuigen Herzens seine Sün<strong>de</strong> bekennt und<br />

läßt und im Glauben seine Verheißungen beansprucht. Je<strong>de</strong>r Versuchung, je<strong>de</strong>m<br />

wi<strong>de</strong>rstreiten<strong>de</strong>n Einfluß, ob offen o<strong>de</strong>r geheim, kann man erfolgreich wi<strong>de</strong>rstehen, „nicht<br />

durch Heer o<strong>de</strong>r Kraft, son<strong>de</strong>rn durch meinen Geist ... spricht <strong>de</strong>r Herr Zebaoth“. Sacharja<br />

4,6. „Die Augen <strong>de</strong>s Herrn merken auf die Gerechten und seine Ohren auf ihr Gebet ... Und<br />

wer ist, <strong>de</strong>r euch scha<strong>de</strong>n könnte, so ihr <strong>de</strong>m Guten nachkommt?“ 1.Petrus 3,12.13. Als<br />

Bileam, verlockt durch das Versprechen einer großen Belohnung, Zauberformeln gegen<br />

Israel anwandte und durch <strong>de</strong>m Herrn dargebrachte Opfer einen Fluch über Gottes Volk zu<br />

bringen versuchte, wandte Gottes Geist das Übel ab, das ausgesprochen wer<strong>de</strong>n sollte, und<br />

Bileam sah sich gezwungen auszurufen: „Wie soll ich <strong>de</strong>m fluchen, <strong>de</strong>m Gott nicht flucht?<br />

Wie soll ich <strong>de</strong>n verwünschen, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Herr nicht verwünscht? ...<br />

370


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Möchte meine Seele <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Gerechten sterben und mein En<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n wie ihr<br />

En<strong>de</strong>!“ Als abermals geopfert wor<strong>de</strong>n war, erklärte <strong>de</strong>r gottlose Prophet: „Siehe, zu segnen<br />

bin ich beauftragt, und hat Er gesegnet, so kann ich‘s nicht abwen<strong>de</strong>n! Man schaut kein<br />

Unheil in Jakob und sieht keine Beschwer<strong>de</strong> in Israel. Jehova, sein Gott, ist mit ihm, und<br />

Königsjubel erschallt in ihm ... So hilft <strong>de</strong>nn keine Zauberei gegen Jakob und keine<br />

Wahrsagerei wi<strong>de</strong>r Israel. Zu seiner Zeit wird man von Jakob sagen: Wie Großes hat Gott<br />

getan!“ 4.Mose 23,8.10.20.21.23; 4; 4.Mose 24,9 (Schlachter). Dennoch wur<strong>de</strong>n zum<br />

drittenmal Altäre errichtet, und abermals versuchte Bileam einen Fluch auszusprechen.<br />

Durch die unwilligen Lippen <strong>de</strong>s Propheten erklärte <strong>de</strong>r Geist Gottes jedoch das Ge<strong>de</strong>ihen<br />

seiner Auserwählten und strafte die Torheit und Bosheit ihrer Fein<strong>de</strong>: „Gesegnet sei, wer<br />

dich segnet, und verflucht sei, wer dir flucht!“<br />

Zu dieser Zeit waren die Kin<strong>de</strong>r Israel Gott treu, und solange sie seinem Gesetz treu<br />

blieben, konnte keine Macht <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Hölle sie überwältigen. Aber schließlich<br />

gelang es Bileam doch, <strong>de</strong>n Fluch, <strong>de</strong>n er nicht über Gottes Volk aussprechen durfte, über<br />

dieses Volk zu bringen, in<strong>de</strong>m er es zur Sün<strong>de</strong> verleitete. Als es Gottes Gebote übertrat,<br />

trennte es sich von ihm und mußte die Macht <strong>de</strong>s Ver<strong>de</strong>rbers fühlen. Satan ist sich bewußt,<br />

daß die schwächste Seele, die in Christus bleibt, <strong>de</strong>n Scharen <strong>de</strong>r Finsternis überlegen ist,<br />

und daß man, zeigt er sich offen, ihm begegnen und wi<strong>de</strong>rstehen wird. Deshalb versucht er<br />

die Streiter <strong>de</strong>s Kreuzes aus ihrer gewappneten Stellung herauszulocken, während er mit<br />

seinen Streitkräften im Hinterhalt liegt, bereit, alle zu ver<strong>de</strong>rben, die sich auf sein Gebiet<br />

wagen sollten. Nur in <strong>de</strong>mütigem Vertrauen auf Gott und im Gehorsam gegen alle seine<br />

Gebote können wir sicher sein.<br />

Niemand ist auch nur einen Tag o<strong>de</strong>r eine Stun<strong>de</strong> lang sicher ohne das Gebet. Wir<br />

sollten <strong>de</strong>n Herrn beson<strong>de</strong>rs um Weisheit bitten, sein Wort zu verstehen. Hier wer<strong>de</strong>n die<br />

Anschläge <strong>de</strong>s Versuchers offenbart sowie auch die Mittel, durch die er zurückgeschlagen<br />

wer<strong>de</strong>n kann. Satan ist sehr sachkundig, wenn es gilt, Bibelstellen anzuführen, <strong>de</strong>nen er<br />

seine eigene Auslegung beifügt, um uns zu Fall zu bringen. Wir müssen die Bibel mit<br />

<strong>de</strong>mütigem Herzen erforschen und dürfen nie unsere Abhängigkeit von Gott aus <strong>de</strong>n Augen<br />

verlieren. Während wir vor <strong>de</strong>n Anschlägen Satans beständig auf <strong>de</strong>r Hut sein müssen,<br />

sollten wir ohne Unterlaß im Glauben beten: „Führe uns nicht in Versuchung.“ Matthäus<br />

6,13.<br />

371


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 33- Die erste große Tauschung<br />

Von <strong>de</strong>r frühesten Geschichte <strong>de</strong>s Menschen an begann Satan seine Bemühungen, unser<br />

Geschlecht zu verführen. Der im Himmel Empörung angestiftet hatte, wollte die Bewohner<br />

<strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> veranlassen, sich mit ihm in <strong>de</strong>m Streit gegen die Regierung Gottes zu verbin<strong>de</strong>n.<br />

Adam und Eva lebten im Gehorsam gegen das Gesetz Gottes vollkommen glücklich, und<br />

diese Tatsache war ein beständiges Zeugnis gegen die Behauptung, die Satan im Himmel<br />

vorgebracht hatte, daß Gottes Gesetz seine Geschöpfe knechte und ihrem Glück<br />

entgegenstehe. Auch war durch die schöne, <strong>de</strong>m sündlosen Paar bereitete Heimat Satans<br />

Neid gereizt wor<strong>de</strong>n. Er beschloß daher, die Menschen zu Fall zubringen, um dann,<br />

nach<strong>de</strong>m er sie von Gott getrennt und unter seine eigene Macht gebracht hätte, die Er<strong>de</strong><br />

einzunehmen und hier, <strong>de</strong>m Allerhöchsten zum Trotz, sein Reich aufzurichten.<br />

Hätte er seinen wahren Charakter offenbart, so wäre er ohne weiteres zurückgewiesen<br />

wor<strong>de</strong>n; <strong>de</strong>nn Gott hatte Adam und Eva vor diesem gefährlichen Feind gewarnt. Doch Satan<br />

wirkte im Verborgenen und verhüllte seine Absicht, um sein Ziel um so sicherer zu<br />

erreichen. Die Schlange, damals eine Kreatur von anziehen<strong>de</strong>m Äußeren, als Werkzeug<br />

benutzend, wandte er sich an Eva: „Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von<br />

allerlei Bäumen im Garten?“ 1.Mose 3,1. Hätte sich Eva nicht auf ein Gespräch mit <strong>de</strong>m<br />

Versucher eingelassen, so wäre sie bewahrt geblieben; doch sie wagte es, mit ihm zu<br />

sprechen und fiel seinen listigen Anschlägen zum Opfer. So wer<strong>de</strong>n noch immer viele<br />

Menschen überwun<strong>de</strong>n. Sie bezweifeln und erwägen Gottes Anfor<strong>de</strong>rungen und nehmen,<br />

statt <strong>de</strong>n göttlichen Geboten zu gehorchen, menschliche <strong>Theorie</strong>n an, die nur die Pläne<br />

Satans ver<strong>de</strong>cken.<br />

„Da sprach das Weib zur Schlange: Wir essen von <strong>de</strong>n Früchten <strong>de</strong>r Bäume im Garten;<br />

aber von <strong>de</strong>n Früchten <strong>de</strong>s Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon,<br />

rühret‘s auch nicht an, daß ihr nicht sterbet. Da sprach die Schlange zum Weibe: Ihr wer<strong>de</strong>t<br />

mitnichten <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s sterben; son<strong>de</strong>rn Gott weiß, daß, welches Tages ihr davon esset, so<br />

wer<strong>de</strong>n eure Augen aufgetan, und wer<strong>de</strong>t sein wie Gott und wissen, was gut und böse<br />

ist.“ 1.Mose 3,2-5. Satan erklärte, daß sie wür<strong>de</strong>n wie Gott, begabt mit größerer Weisheit als<br />

zuvor und zu einer höheren Daseinsstufe befähigt. Eva gab <strong>de</strong>r Versuchung nach, und durch<br />

ihren Einfluß wur<strong>de</strong> auch Adam zur Sün<strong>de</strong> verführt. Sie glaubten <strong>de</strong>n Worten <strong>de</strong>r Schlange,<br />

daß Gott nicht meinte, was er sagte, sie mißtrauten ihrem Schöpfer und bil<strong>de</strong>ten sich ein,<br />

daß er ihre Freiheit beschränke, daß sie aber große Weisheit und eine hohe Stellung<br />

erlangen könnten, wenn sie sein Gesetz übertreten wür<strong>de</strong>n.<br />

Doch welchen Sinn fand Adam, nach<strong>de</strong>m er gesündigt hatte, hinter <strong>de</strong>n Worten:<br />

„Welches Tages du davon issest, wirst du <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s sterben?“ 1.Mose 2,17. Fand er ihre<br />

Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>mentsprechend, was Satan ihn glauben gemacht hatte, daß er in eine<br />

erhabenere Daseinsstufe versetzt wer<strong>de</strong>n sollte? Dann wäre in <strong>de</strong>r Tat durch die Übertretung<br />

ein großer Gewinn zu erzielen, und Satan erwiese sich als <strong>de</strong>r Wohltäter unseres<br />

372


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Geschlechts. Aber Adam stellte fest, daß dies keineswegs <strong>de</strong>r Sinn <strong>de</strong>s göttlichen<br />

Ausspruchs war. Gott hatte erklärt, daß <strong>de</strong>r Mensch als Strafe für die Sün<strong>de</strong> wie<strong>de</strong>r zu Er<strong>de</strong><br />

wer<strong>de</strong>n müsse, von <strong>de</strong>r er genommen war: „Du bist Er<strong>de</strong> und sollst zu Er<strong>de</strong><br />

wer<strong>de</strong>n.“ 1.Mose 3,19. Die Worte Satans: „So wer<strong>de</strong>n eure Augen aufgetan“, erwiesen sich<br />

als wahr nur in einem Sinne; <strong>de</strong>nn nach<strong>de</strong>m Adam und Eva Gott ungehorsam waren,<br />

wur<strong>de</strong>n ihnen die Augen geöffnet, damit sie ihre Torheit einsähen; sie erkannten das Böse<br />

und kosteten die bittere Frucht <strong>de</strong>r Übertretung.<br />

In <strong>de</strong>r Mitte <strong>de</strong>s Gartens wuchs <strong>de</strong>r Baum <strong>de</strong>s Lebens, <strong>de</strong>ssen Frucht die Kraft hatte, das<br />

Leben immerwährend zu erhalten. Wäre Adam Gott gehorsam geblieben, so hätte er sich<br />

stets <strong>de</strong>s freien Zugangs zu diesem Baum erfreuen dürfen und wür<strong>de</strong> ewig gelebt haben. Als<br />

er aber sündigte, trennte Gott ihn von <strong>de</strong>m Baum <strong>de</strong>s Lebens und unterwarf ihn <strong>de</strong>m To<strong>de</strong>.<br />

Der göttliche Urteilsspruch: „Du bist Er<strong>de</strong> und sollst zu Er<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n“ <strong>de</strong>utet auf eine<br />

gänzliche Austilgung <strong>de</strong>s Lebens hin. Die <strong>de</strong>m Menschen unter <strong>de</strong>r Bedingung <strong>de</strong>s<br />

Gehorsams verheißene Unsterblichkeit war durch die Übertretung verwirkt wor<strong>de</strong>n. Adam<br />

konnte seiner Nachkommenschaft nichts überlassen, was er selbst nicht besaß, und es hätte<br />

keine Hoffnung für die gefallene Menschheit gegeben, wenn Gott <strong>de</strong>n Menschen durch die<br />

Hingabe seines Sohnes nicht <strong>de</strong>n Weg zur Unsterblichkeit gewiesen hätte. Während „<strong>de</strong>r<br />

Tod zu allen Menschen durchgedrungen“ ist, „dieweil sie alle gesündigt haben“, hat<br />

Christus „das Leben und ein unvergänglich Wesen ans Licht gebracht durch das<br />

Evangelium“. Römer 5,12; 2.Timotheus 1,10.<br />

Durch Christus allein kann Unsterblichkeit erlangt wer<strong>de</strong>n. Jesus sagte: „Wer an <strong>de</strong>n<br />

Sohn glaubt, <strong>de</strong>r hat das ewige Leben. Wer <strong>de</strong>m Sohn nicht glaubt, <strong>de</strong>r wird das Leben nicht<br />

sehen.“ Johannes 3,36. Je<strong>de</strong>r Mensch kann diesen unschätzbaren Segen erlangen, wenn er<br />

die Bedingungen erfüllt. Alle, „die mit Geduld in guten Werken trachten nach <strong>de</strong>m ewigen<br />

Leben“, empfangen „Preis und Ehre und unvergängliches Wesen“. Römer 2,7. Der große<br />

Betrüger versprach Adam Leben im Ungehorsam. Die Erkärung, die die Schlange <strong>de</strong>r Eva<br />

im Paradiese gab — „Ihr wer<strong>de</strong>t mitnichten <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s sterben!“ —, war die erste über die<br />

Unsterblichkeit <strong>de</strong>r Seele gehaltene Predigt. Und doch hallt diese Erklärung, die auf <strong>de</strong>r<br />

Autorität Satans beruht, von <strong>de</strong>n Kanzeln <strong>de</strong>r Christenheit wi<strong>de</strong>r und wird von <strong>de</strong>r Mehrzahl<br />

<strong>de</strong>r Menschen ebenso bereitwillig angenommen, wie sie von unseren ersten Eltern<br />

angenommen wor<strong>de</strong>n ist. Der göttliche Richterspruch: „Welche Seele sündigt, die soll<br />

sterben“ (Hesekiel 18,20) wird danach ge<strong>de</strong>utet: Die Seele, die sündigt, soll nicht sterben,<br />

son<strong>de</strong>rn ewig leben. Wir können uns nur wun<strong>de</strong>rn über die seltsame Verblendung, die die<br />

Menschen hinsichtlich <strong>de</strong>r Worte Satans so leichtgläubig und bezüglich <strong>de</strong>r Worte Gottes so<br />

ungläubig macht.<br />

Hätte <strong>de</strong>r Mensch nach seinem Fall freien Zugang zu <strong>de</strong>m Baum <strong>de</strong>s Lebens gehabt, so<br />

wür<strong>de</strong> er ewig gelegt haben, und auf diese Weise wäre die Sün<strong>de</strong> unsterblich gewor<strong>de</strong>n.<br />

Aber „Cherubim mit <strong>de</strong>m bloßen hauen<strong>de</strong>n Schwert“ bewahrten „<strong>de</strong>n Weg zu <strong>de</strong>m Baum<br />

<strong>de</strong>s lebens“ (1.Mose 3,24), und keinem aus <strong>de</strong>r Familie Adams war es gestattet wor<strong>de</strong>n, die<br />

373


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Schranke zu überschreiten und von <strong>de</strong>r lebenspen<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Frucht zu genießen. Deshalb gibt<br />

es keinen unsterblichen Sün<strong>de</strong>r. Nach <strong>de</strong>m Fall gebot Satan seinen Engeln, beson<strong>de</strong>re<br />

Anstrengungen zu machen, <strong>de</strong>m Menschen <strong>de</strong>n Glauben an seine natürliche Unsterblichkeit<br />

einzuschärfen. Wenn sie das Volk zur Annahme dieses Irrtums verleitet hätten, sollten sie es<br />

zu <strong>de</strong>r Schlußfolgerung führen, daß <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>r ewig im Elend leben wür<strong>de</strong>. Der Fürst <strong>de</strong>r<br />

Finsternis stellt durch seine Diener Gott als einen rachsüchtigen Tyrannen dar und erklärt,<br />

dieser verstoße alle, die ihm nicht gefallen, in die Hölle, wo er sie auf ewig seinen Zorn<br />

fühlen lasse, und ihr Schöpfer blicke, während sie unaussprechliche Qualen erdul<strong>de</strong>n und<br />

sich in <strong>de</strong>n ewigen Flammen vor Schmerzen krümmen, mit Befriedigung auf sie nie<strong>de</strong>r.<br />

Auf diese Weise beklei<strong>de</strong>t <strong>de</strong>r Erzfeind <strong>de</strong>n Schöpfer und Wohltäter <strong>de</strong>s<br />

Menschengeschlechts mit <strong>de</strong>n Eigenschaften, die er selbst besitzt. Grausamkeit ist satanisch.<br />

Gott ist die Liebe, und alles, was er schuf, war rein, heilig und lieblich, bis durch <strong>de</strong>n ersten<br />

großen Empörer die Sün<strong>de</strong> hereingebracht wur<strong>de</strong>. Satan selbst ist <strong>de</strong>r Feind, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />

Menschen zur Sün<strong>de</strong> verführt und ihn dann womöglich vernichtet. Hat er sein Opfer sicher,<br />

frohlockt er über das Ver<strong>de</strong>rben, das er bewirkte. Könnte er, wie er wollte, so wür<strong>de</strong> er das<br />

ganze Menschengeschlecht in sein Netz einfangen. Legte sich nicht die göttliche Macht ins<br />

Mittel, ihm wür<strong>de</strong> nicht ein Sohn, nicht eine Tochter Adams entrinnen.<br />

Satan sucht die Menschen heute zu überwin<strong>de</strong>n, wie er unsere ersten Eltern überwand,<br />

in<strong>de</strong>m er ihr Vertrauen zu <strong>de</strong>m Schöpfer erschüttert und sie verleitet, die Weisheit seiner<br />

Regierung und die Gerechtigkeit seiner Gesetze anzuzweifeln. Satan und seine Sendlinge<br />

stellen Gott schlimmer dar, als sie selbst sind, um ihre eigene Bosheit und Empörung zu<br />

rechtfertigen. Der große Betrüger versucht, seinen schrecklich grausamen Charakter<br />

unserem himmlischen Vater unterzuschieben, damit er selbst als ein Wesen erscheine, <strong>de</strong>m<br />

durch die Verstoßung aus <strong>de</strong>m Himmel ein großes Unrecht zugefügt wur<strong>de</strong>, da er sich<br />

einem so ungerechten Herrscher nicht unterwerfen wollte. Er führt <strong>de</strong>r Welt die Freiheit vor<br />

Augen, <strong>de</strong>r sie sich unter seiner mil<strong>de</strong>n Herrschaft erfreuen könnte, im Gegensatz zu <strong>de</strong>r<br />

durch die strengen Erlasse Gottes auferlegten Knechtschaft. Auf diese Weise gelingt es ihm,<br />

Seelen von ihrer Treue zu Gott abwendig zu machen.<br />

Wie unvereinbar mit je<strong>de</strong>r Regung von Liebe und Barmherzigkeit, ja selbst mit unserem<br />

Sinn von Gerechtigkeit ist die Lehre, daß die gottlosen Toten mit Feuer und Schwefel in<br />

einer ewig brennen<strong>de</strong>n Hölle gepeinigt wer<strong>de</strong>n, daß sie für die Sün<strong>de</strong>n in einem kurzen<br />

irdischen Leben lei<strong>de</strong>n müssen, solange Gott lebt! Und doch ist dies allgemein gelehrt<br />

wor<strong>de</strong>n, und diese Lehre fin<strong>de</strong>t sich noch heute in vielen Glaubensbekenntnissen <strong>de</strong>r<br />

Christenheit. Ein angesehener Theologe sagte: „Der Anblick <strong>de</strong>r Höllenqualen wird die<br />

Glückseligkeit <strong>de</strong>r heiligen für immer erhöhen. Wenn sie sehen, wie an<strong>de</strong>re, gleicher Natur<br />

wie sie und unter <strong>de</strong>n gleichen Umstän<strong>de</strong>n geboren, in solches Elend verstoßen sind,<br />

während sie selbst erhaben dastehen, wer<strong>de</strong>n sie innewer<strong>de</strong>n, wie glücklich sie sind.“ Ein<br />

an<strong>de</strong>rer sprach folgen<strong>de</strong>s: „Während <strong>de</strong>r Verdammungsbefehl ewig an <strong>de</strong>n Gefäßen <strong>de</strong>s<br />

Zornes ausgeübt wird, wird <strong>de</strong>r Rauch ihrer Qual ewiglich vor <strong>de</strong>n Gefäßen <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong><br />

374


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

aufsteigen, und diese wer<strong>de</strong>n, statt an <strong>de</strong>m Schicksal dieser Elen<strong>de</strong>n Anteil zu nehmen,<br />

sagen: Halleluja! Lobt <strong>de</strong>n Herrn!“<br />

Wo fin<strong>de</strong>n sich im Worte Gottes solche Lehren? Wer<strong>de</strong>n die Erlösten im Himmel für<br />

alle Gefühle <strong>de</strong>s Mitleids und <strong>de</strong>s Erbarmens, ja selbst für die Empfindungen gewöhnlicher<br />

Menschlichkeit unzugänglich sein? Sollen diese gegen <strong>de</strong>n Gleichmut <strong>de</strong>s Stoikers o<strong>de</strong>r die<br />

Grausamkeit <strong>de</strong>s Wil<strong>de</strong>n eingetauscht wer<strong>de</strong>n? — Nie und nimmer! Solches lehrt das Wort<br />

Gottes nicht! Männer, welche die in jenen Zitaten dargelegten Ansichten verkündigen,<br />

mögen Gelehrte und sogar aufrichtige Menschen sein, aber sie sind durch die Sophistereien<br />

Satans betrogen. Er verleitet sie, wichtige Ausdrücke <strong>de</strong>r Heiligen Schrift zu entstellen und<br />

<strong>de</strong>m Wortlaut eine Färbung zur Bitterkeit und Bosheit hin zu geben, die ihm selbst, aber<br />

nicht unserem Schöpfer eigen ist. „So wahr als ich lebe, spricht <strong>de</strong>r Herr Herr, ich habe<br />

keinen Gefallen am To<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Gottlosen, son<strong>de</strong>rn daß sich <strong>de</strong>r Gottlose bekehre von seinem<br />

Wesen und lebe. So bekehret euch doch nun von eurem bösen Wesen. Warum wollt ihr<br />

sterben?“ Hesekiel 33,11.<br />

Könnte es zu Gottes Gunsten sein, wenn wir zugeben wollten, daß er sich beim Anblick<br />

unaufhörlicher Qualen ergötze, daß er erquickt wer<strong>de</strong> durch das Stöhnen, das Geschrei und<br />

die Verwünschungen <strong>de</strong>r lei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Geschöpfe, die er in <strong>de</strong>n Flammen <strong>de</strong>r Hölle<br />

gefangenhält? Können diese entsetzlichen Töne Musik sein in <strong>de</strong>n Ohren unendlicher Liebe?<br />

Es wird behauptet, daß die Verhängung endlosen Elends über die Gottlosen <strong>de</strong>n Haß Gottes<br />

gegen die Sün<strong>de</strong> bekun<strong>de</strong>, die <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>n und die Ordnung im Weltall zerstöre. O<br />

schreckliche Gotteslästerung! Als ob Gottes Haß gegen die Sün<strong>de</strong> ein Grund sei, sie zu<br />

verewigen! Denn nach <strong>de</strong>n Lehren dieser Theologen macht die fortgesetzte Qual ohne<br />

Hoffnung auf Erbarmen ihre elen<strong>de</strong>n Opfer rasend; und da sich ihre Wut in Flüchen und<br />

Gotteslästerungen äußert, vergrößern sie ständig ihre Schul<strong>de</strong>nlast. Gottes Herrlichkeit wird<br />

nicht erhöht durch eine solche endlose Verewigung <strong>de</strong>r beständig zunehmen<strong>de</strong>n Sün<strong>de</strong>.<br />

Es liegt außerhalb <strong>de</strong>r Fähigkeit <strong>de</strong>s menschlichen Geistes das Übel abzuschätzen, das<br />

durch die falsche Lehre von <strong>de</strong>r ewigen Qual geschaffen wor<strong>de</strong>n ist. Die Religion <strong>de</strong>r Bibel,<br />

die voller Liebe und Güte und überaus reich an Erbarmen ist, wird durch <strong>de</strong>n Aberglauben<br />

verfinstert und in Schrecken gehüllt. Ist es verwun<strong>de</strong>rlich, daß unser gna<strong>de</strong>nreicher Schöpfer<br />

gefürchtet, gescheut und sogar gehaßt wird, wenn wir be<strong>de</strong>nken, in welchen falschen Farben<br />

Satan das Wesen Gottes gemalt hat? Die entsetzlichen Vorstellungen von Gott, wie sie<br />

durch jene Lehren von <strong>de</strong>r Kanzel herunter über die Welt verbreitet wur<strong>de</strong>n, haben<br />

Tausen<strong>de</strong>, ja Millionen von Zweiflern und Ungläubigen hervorgerufen.<br />

Die Ansicht von einer ewigen Qual ist eine <strong>de</strong>r falschen Lehren, die zu <strong>de</strong>m Greuelwein<br />

<strong>de</strong>s geistlichen Babylons gehören,mit <strong>de</strong>m es die Völker trunken macht. Offenbarung 14,8;<br />

Offenbarung 17,2. Wie Diener Christi diese falsche Lehre annehmen und sie von geweihter<br />

Stätte herab verkündigen konnten, ist in <strong>de</strong>r Tat unverständlich. Sie empfingen sie, wie auch<br />

<strong>de</strong>n falschen Sabbat, von Rom. Wohl haben große und gute Männer diese Lehre auch<br />

gepredigt; aber ihnen war darüber nicht die Erkenntnis gewor<strong>de</strong>n wie uns heute. Sie waren<br />

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<strong>Chaos</strong>theorie<br />

nur für das Licht verantwortlich, das zu ihrer Zeit schien; wir müssen Rechenschaft ablegen<br />

über das Licht, das in unserer Zeit scheint. Wen<strong>de</strong>n wir uns von <strong>de</strong>m Zeugnis <strong>de</strong>s Wortes<br />

Gottes ab und nehmen wir falsche Lehren an, weil unsere Väter sie verbreiteten, so fallen<br />

wir unter die über Babylon ausgesprochene Verdammnis; wir trinken von <strong>de</strong>m Wein ihrer<br />

Greuel.<br />

Sehr viele Menschen, <strong>de</strong>nen die Lehre von einer ewigen Qual anstößig ist, wer<strong>de</strong>n zu<br />

<strong>de</strong>m entgegengesetzten Irrtum getrieben. Sie sehen, daß die Heilige Schrift Gott als ein<br />

Wesen <strong>de</strong>r Liebe und <strong>de</strong>r Barmherzigkeit darstellt, und sie können nicht glauben, daß er<br />

seine Geschöpfe <strong>de</strong>m verzehren<strong>de</strong>n Feuer einer ewig brennen<strong>de</strong>n Hölle überlassen wer<strong>de</strong>.<br />

Durch die Behauptung, daß die Seele an und für sich unsterblich sei, kommen sie zu <strong>de</strong>m<br />

Schluß, daß alle Menschen schließlich gerettet wer<strong>de</strong>n. Die Drohungen <strong>de</strong>r Bibel sind, nach<br />

ihrer Auffassung, nur dazu bestimmt, die Menschen durch Furcht zum Gehorsam zu bringen,<br />

aber nicht um buchstäblich erfüllt zu wer<strong>de</strong>n. Auf diese Weise kann <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>r in<br />

selbstsüchtigem Vergnügen dahinleben, die Anfor<strong>de</strong>rungen Gottes mißachten und doch<br />

erwarten, schließlich in Gna<strong>de</strong>n angenommen zu wer<strong>de</strong>n. Eine solche Lehre, die auf Gottes<br />

Gna<strong>de</strong> pocht, aber seine Gerechtigkeit unbeachtet läßt, gefällt <strong>de</strong>m fleischlichen Herzen und<br />

macht die Gottlosen kühn in ihrer Ungerechtigkeit.<br />

Um zu zeigen, wie die an eine allgemeine Erlösung glauben<strong>de</strong>n Menschen die Bibel<br />

verdrehen, um ihre seelenver<strong>de</strong>rben<strong>de</strong>n Lehrsätze zu unterstützen, braucht man nur ihre<br />

eigenen Aussprüche anzuführen. Beim Begräbnis eines ungläubigen jungen Mannes, <strong>de</strong>r<br />

durch einen Unfall plötzlich getötet wor<strong>de</strong>n war, wählte ein universalistischer Geistlicher als<br />

Text die auf David bezogene Aussage <strong>de</strong>r Bibel: „Er hatte sich getröstet über Amnon, daß er<br />

tot war.“ 2.Samuel 13,39.<br />

„Man fragt mich häufig“, sagte <strong>de</strong>r Sprecher, „was das Schicksal jener sein wer<strong>de</strong>, die<br />

in Sün<strong>de</strong>n die Welt verlassen, die vielleicht in trunkenem Zustand sterben, mit <strong>de</strong>n<br />

unabgewaschenen Scharlachflecken <strong>de</strong>s Verbrechens an ihren Klei<strong>de</strong>rn, o<strong>de</strong>r die<br />

dahinfahren wie dieser junge Mann, ohne je nach Religion gefragt o<strong>de</strong>r ihren Segen erfahren<br />

zu haben. Wir sind zufrie<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>r Heiligen Schrift; ihre Antwort soll die schwierige<br />

Aufgabe lösen. Amnon war überaus sündig; er war unbußfertig, er wur<strong>de</strong> trunken gemacht<br />

und in diesem Zustand umgebracht. David war ein Prophet Gottes; er muß gewußt haben, ob<br />

Amnon es in <strong>de</strong>r zukünftigen Welt schlecht o<strong>de</strong>r gut haben wer<strong>de</strong>. Was waren die<br />

Äußerungen seines Herzens? ‚Er hatte sich getröstet über Amnon, daß er tot war.‘<br />

Welchen Schluß könne wir aus diesen Worten ziehen? Ist es nicht dieser, daß die<br />

endlose Qual keinen Teil seines religiösen Glaubens ausmachte? So <strong>de</strong>nken wir; und hier<br />

ent<strong>de</strong>cken wir einen trefflichen Beweis als Stütze <strong>de</strong>r angenehmeren, erleuchten<strong>de</strong>ren,<br />

wohltätigeren Annahme einer letzten allgemeinen Reinheit und eines dauern<strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>ns.<br />

Er war getröstet darüber, daß sein Sohn tot war. Und warum? Weil sein prophetisches Auge<br />

vorwärts in die herrliche Zukunft blicken und sehen konnte, daß sein Sohn, nach<strong>de</strong>m er —<br />

von allen Versuchungen weit entfernt, <strong>de</strong>r Knechtschaft entbun<strong>de</strong>n, von <strong>de</strong>r Ver<strong>de</strong>rbtheit<br />

376


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

<strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> gereinigt — hinreichend geheiligt und erleuchtet wor<strong>de</strong>n war, in die<br />

Versammlung zum Himmel aufgefahrener, frohlocken<strong>de</strong>r Geister aufgenommen wur<strong>de</strong>.<br />

Sein einziger Trost war, daß sein geliebter Sohn, entrückt aus <strong>de</strong>m gegenwärtigen Zustand<br />

<strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> und <strong>de</strong>s Lei<strong>de</strong>ns, dorthin versetzt sei, wo die erhabensten Einflüsse <strong>de</strong>s Heiligen<br />

Geistes sich in seine verfinsterte Seele ergießen wür<strong>de</strong>n, wo sein Gemüt <strong>de</strong>r Weisheit <strong>de</strong>s<br />

Himmels und <strong>de</strong>m süßen Entzücken unsterblicher Liebe geöffnet wür<strong>de</strong> und er, auf diese<br />

Weise ausgerüstet mit einem geheiligten Wesen, die Ruhe und die Gemeinschaft <strong>de</strong>s<br />

himmlischen Erbes genießen könne.<br />

In diesen Gedanken möchten wir so verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n, daß wir glauben, die Seligkeit<br />

<strong>de</strong>s Himmels hängt von nichts ab, was wir in diesem Leben tun können, we<strong>de</strong>r von einer<br />

gegenwärtigen Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Herzens noch von <strong>de</strong>m jetzigen Glauben o<strong>de</strong>r einem<br />

gegenwärtigen Religionsbekenntnis.“ Auf diese Weise wie<strong>de</strong>rholte <strong>de</strong>r angebliche Diener<br />

Christi die von <strong>de</strong>r Schlange im Paradies ausgesprochene Lüge: „Ihr wer<strong>de</strong>t mitnichten <strong>de</strong>s<br />

To<strong>de</strong>s sterben ... Welches Tages ihr davon esset, so wer<strong>de</strong>n eure Augen aufgetan, und<br />

wer<strong>de</strong>t sein wie Gott.“ Er erklärte, daß <strong>de</strong>r gröbste Sün<strong>de</strong>r, ob Mör<strong>de</strong>r, Dieb o<strong>de</strong>r<br />

Ehebrecher, nach <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> vorbereitet wird, um in unsterbliche Wonne einzugehen.<br />

Und woraus zieht dieser Verfälscher <strong>de</strong>r Heiligen Schrift seine Schlüsse? Aus <strong>de</strong>m<br />

einzigen Satz, <strong>de</strong>r Davids Unterwerfung unter die Fügung <strong>de</strong>r Vorsehung ausdrückt. „David<br />

stand davon ab, auszuziehen wi<strong>de</strong>r Absalom; <strong>de</strong>nn er hatte sich getröstet über Amnon, daß<br />

er tot war.“ Nach<strong>de</strong>m die Heftigkeit seines Schmerzes mit <strong>de</strong>r Zeit nachgelassen hatte,<br />

wandten sich seine Gedanken von <strong>de</strong>m toten zu <strong>de</strong>m lebendigen Sohn, <strong>de</strong>r aus Furcht vor<br />

<strong>de</strong>r gerechten Bestrafung seines Verbrechens freiwillig in die Verbannung gegangen war.<br />

Und das wäre <strong>de</strong>r Beweis, daß <strong>de</strong>r blutschän<strong>de</strong>rische, betrunkene Amnon unmittelbar nach<br />

<strong>de</strong>m To<strong>de</strong> an <strong>de</strong>n Ort <strong>de</strong>r Wonne entrückt wur<strong>de</strong>, um dort gereinigt und zubereitet zu<br />

wer<strong>de</strong>n für die Gemeinschaft sündloser Engel! Eine angenehme Fabel in <strong>de</strong>r Tat, wohl<br />

geeignet, das fleischliche Herz zufrie<strong>de</strong>nzustellen! Dies ist Satans eigene Lehre, und sie<br />

wirkt erfolgreich für sein Werk. Dürfen wir uns wun<strong>de</strong>rn, daß bei solcher Belehrung die<br />

Gottlosigkeit überhandnimmt?<br />

Das Verfahren dieses falschen Lehrers veranschaulicht das vieler an<strong>de</strong>rer. Einige<br />

wenige Worte <strong>de</strong>r Heiligen Schrift wer<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m Zusammenhang gerissen, <strong>de</strong>r in vielen<br />

Fällen zeigen wür<strong>de</strong>, daß ihr Sinn gera<strong>de</strong> entgegengesetzt ist. Dann wer<strong>de</strong>n diese<br />

zerstückelten Stellen verdreht und als Beweis von Lehren gebraucht, die im Worte Gottes<br />

keine Grundlage haben. Das als Beweis angeführte Zeugnis, daß <strong>de</strong>r betrunkene Amnon im<br />

Himmel sei, ist nichts als eine Schlußfolgerung, <strong>de</strong>r die <strong>de</strong>utliche und bestimmte Erklärung<br />

<strong>de</strong>r Heiligen Schrift, daß kein Trunkenbold das Reich Gottes ererben kann (1.Korinther<br />

6,10), direkt wi<strong>de</strong>rspricht. Auf diese Weise verwan<strong>de</strong>ln Zweifler, Ungläubige und Skeptiker<br />

die Wahrheit Gottes in eine Lüge; viele sind durch solche Sophistereien getäuscht und in<br />

fleischliche Sicherheit gewiegt wor<strong>de</strong>n.<br />

377


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Wenn es wahr wäre, daß die Seelen aller Menschen bei ihrem Tod sofort in <strong>de</strong>n Himmel<br />

gingen, dann möchten wir wohl eher <strong>de</strong>n Tod begehren als das Leben. Viele sind durch<br />

diesen Glauben dazu verleitet wor<strong>de</strong>n, ihrem Dasein ein En<strong>de</strong> zu machen. Von Sorgen,<br />

Schwierigkeiten und Enttäuschungen überwältigt, scheint es ein leichtes zu sein, <strong>de</strong>n<br />

schwachen Lebensfa<strong>de</strong>n zu zerreißen und sich zur Wonne <strong>de</strong>r ewigen Welt aufzuschwingen.<br />

Gott hat in seinem Wort entschie<strong>de</strong>ne Beweise dargelegt, daß er die Übertreter seines<br />

Gesetzes strafen will. Wer annimmt, daß Gott zu barmherzig sei, um an <strong>de</strong>m Sün<strong>de</strong>r<br />

Gerechtigkeit zu üben, braucht nur auf das Kreuz von Golgatha zu schauen. Der Tod <strong>de</strong>s<br />

makellosen Sohnes Gottes bezeugt, daß <strong>de</strong>r Tod <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> Sold ist, daß je<strong>de</strong> Übertretung<br />

<strong>de</strong>s Gesetzes Gottes ihre gerechte Vergeltung erfahren muß. Christus, <strong>de</strong>r ohne Sün<strong>de</strong> war,<br />

wur<strong>de</strong> um unsertwil len zur Sün<strong>de</strong> gemacht. Er trug die Schuld <strong>de</strong>r Übertretung; seines<br />

Vaters Angesicht war vor ihm verhüllt, bis sein Herz brach und das Leben in ihm erstickte.<br />

Dies Opfer wur<strong>de</strong> gebracht, damit Sün<strong>de</strong>r erlöst wer<strong>de</strong>n könnten. Auf keine an<strong>de</strong>re Weise<br />

war es möglich, <strong>de</strong>n Menschen von <strong>de</strong>r Strafe <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> frei zu machen. Je<strong>de</strong> Seele, die sich<br />

weigert, an <strong>de</strong>r so teuer erkauften Versöhnung teilzuhaben, muß selbst die Schuld und Strafe<br />

<strong>de</strong>r Übertretung tragen.<br />

Wir wollen betrachten, was die Bibel weiter über die Gottlosen und Unbußfertigen lehrt,<br />

die <strong>de</strong>r Universalist als heilige, glückliche Engel in <strong>de</strong>n Himmel versetzt. „Ich will <strong>de</strong>m<br />

Durstigen geben von <strong>de</strong>m Brunnen <strong>de</strong>s lebendigen Wassers umsonst.“ Diese Verheißung<br />

gilt nur <strong>de</strong>nen, die dürsten. Nur die nach <strong>de</strong>m Wasser <strong>de</strong>s Lebens verlangen und es unter<br />

allen Umstän<strong>de</strong>n suchen, wer<strong>de</strong>n es erhalten. „Wer überwin<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>r wird es alles ererben,<br />

und ich wer<strong>de</strong> sein Gott sein, und er wird mein Sohn sein.“ Offenbarung 21,6.7. Hier<br />

wer<strong>de</strong>n ebenfalls Bedingungen aufgestellt. Um alles zu ererben, müssen wir <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong><br />

wi<strong>de</strong>rstehen und sie überwin<strong>de</strong>n.<br />

Der Herr erklärt durch <strong>de</strong>n Propheten Jesaja: „Prediget von <strong>de</strong>n Gerechten, daß sie es<br />

gut haben ... Weh aber <strong>de</strong>n Gottlosen! <strong>de</strong>nn sie haben es übel, und es wird ihnen vergolten<br />

wer<strong>de</strong>n, wie sie es verdienen.“ Jesaja 3,10.11. „Ob ein Sün<strong>de</strong>r hun<strong>de</strong>rtmal böses tut und<br />

lange lebt, so weiß ich doch, daß es wohl gehen wird <strong>de</strong>nen, die Gott fürchten, die sein<br />

Angesicht scheuen. Aber <strong>de</strong>m Gottlosen wird es nicht wohl gehen“, sagt Salomo. Prediger<br />

8,12.13. Und Paulus bezeugt, daß <strong>de</strong>r Gottlose sich selbst häufe „Zorn auf <strong>de</strong>n Tag <strong>de</strong>s<br />

Zorns und <strong>de</strong>r Offenbarung <strong>de</strong>s gerechten Gerichtes Gottes, welcher geben wird einem<br />

jeglichen nach seinen Werken ... <strong>de</strong>nen, die da zänkisch sind und <strong>de</strong>r Wahrheit nicht<br />

gehorchen, gehorchen aber <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit, Ungna<strong>de</strong> und Zorn“. Römer 2,5.6.8.<br />

„Das sollt ihr wissen, daß kein Hurer o<strong>de</strong>r Unreiner o<strong>de</strong>r Geiziger, welcher ist ein<br />

Götzendiener, Erbe hat in <strong>de</strong>m Reich Christi und Gottes.“ Epheser 5,5. „Jaget nach — <strong>de</strong>m<br />

Frie<strong>de</strong>n gegen je<strong>de</strong>rmann und <strong>de</strong>r Heiligung, ohne welche wird niemand <strong>de</strong>n Herrn<br />

sehen.“ Hebräer 12,14. „Selig sind, die seine Gebote halten, auf daß sie Macht haben an<br />

<strong>de</strong>m Holz <strong>de</strong>s Lebens und zu <strong>de</strong>n Toren eingehen in die Stadt. Denn draußen sind die Hun<strong>de</strong><br />

378


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

und die Zauberer und die Hurer und die Totschläger und die Abgöttischen und alle, die<br />

liebhaben und tun die Lüge.“ Offenbarung 22,14.15.<br />

Gott hat <strong>de</strong>n Menschen sein Wesen und seine Verfahrensweise mit <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong><br />

beschrieben: „Herr, Herr, Gott, barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gna<strong>de</strong><br />

und Treue! <strong>de</strong>r da bewahret Gna<strong>de</strong> in tausend Glie<strong>de</strong>r und vergibt Missetat, Übertretung und<br />

Sün<strong>de</strong>, und vor welchem niemand unschuldig ist.“ 2.Mose 34,6.7. „Der Herr ... wird<br />

vertilgen alle Gottlosen.“ „Die Übertreter wer<strong>de</strong>n vertilgt miteinan<strong>de</strong>r, und die Gottlosen<br />

wer<strong>de</strong>n zuletzt ausgerottet.“ Psalm 145,20; Psalm 37,38. Wohl wird die Macht und Autorität<br />

<strong>de</strong>r göttlichen Regierung angewandt, um die Empörung nie<strong>de</strong>rzuschlagen, <strong>de</strong>nnoch wer<strong>de</strong>n<br />

alle Bekundungen <strong>de</strong>r vergelten<strong>de</strong>n Gerechtigkeit vollkommen mit <strong>de</strong>m Charakter Gottes,<br />

<strong>de</strong>r barmherzig, langmütig und gütig ist, übereinstimmen.<br />

Gott zwingt nieman<strong>de</strong>s Willen o<strong>de</strong>r Urteil. Er hat kein Gefallen an sklavischem<br />

Gehorsam. Er wünscht, daß seine Geschöpfe ihn lieben, weil er <strong>de</strong>r Liebe wert ist. Er will,<br />

daß sie ihm gehorchen, weil sie seine Weisheit, Gerechtigkeit und Großmut würdigen<br />

können. Wer eine richtige Vorstellung von diesen Eigenschaften hat, wird ihn lieben, weil er<br />

in Bewun<strong>de</strong>rung seines Wesens zu ihm gezogen wird. Die Grundsätze <strong>de</strong>r Freundlichkeit,<br />

Barmherzigkeit und Liebe, wie sie von unserem Heiland gelehrt und ausgelebt wur<strong>de</strong>n, sind<br />

ein Abbild <strong>de</strong>s Willens und Wesens Gottes. Christus erklärte, daß er nichts gelehrt habe,<br />

was er nicht von seinem Vater empfangen hätte. Die Grundsätze <strong>de</strong>r göttlichen Regierung<br />

stimmen vollkommen mit <strong>de</strong>m Gebot <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s überein: „Liebet eure Fein<strong>de</strong>!“ Gott läßt<br />

<strong>de</strong>n Bösen Gerechtigkeit wi<strong>de</strong>rfahren zum Besten <strong>de</strong>s Weltalls, ja selbst zum Besten <strong>de</strong>rer,<br />

die von seinen Gerichten heimgesucht wer<strong>de</strong>n. Er wür<strong>de</strong> sie glücklich machen, wenn er dies<br />

in Übereinstimmung mit <strong>de</strong>n Gesetzen seiner Regierung und <strong>de</strong>r Gerechtigkeit seines<br />

Wesens tun könnte. Er umgibt sie mit Zeichen seiner Liebe, er schenkt ihnen die Kenntnis<br />

seines Gesetzes und geht ihnen nach mit <strong>de</strong>m Anerbieten seiner Gna<strong>de</strong>; aber sie verachten<br />

seine Liebe, übertreten sein Gesetz und verwerfen seine Gna<strong>de</strong>. Während sie beständig seine<br />

Gaben empfangen, entehren sie <strong>de</strong>n Geber. Sie hassen<br />

Gott, weil sie wissen, daß er ihre Sün<strong>de</strong>n verabscheut. Der Herr hat lange Geduld mit<br />

ihrer Bosheit; aber die Stun<strong>de</strong> wird schließlich doch kommen, da ihr Schicksal entschie<strong>de</strong>n<br />

wer<strong>de</strong>n muß. Wird er dann die Empörer an sich ketten? Wird er sie zwingen, seinen Willen<br />

zu tun? Seelen, die Satan zu ihrem Führer erwählten und sich von seiner Macht beherrschen<br />

ließen, sind nicht vorbereitet, in die Gegenwart Gottes zu treten. Stolz, Trug,<br />

Ausschweifung, Grausamkeit haben sich in ihrem Herzen eingewurzelt. Können sie in <strong>de</strong>n<br />

Himmel eingehen, um ewig mit <strong>de</strong>nen zusammenzuleben, die sie auf Er<strong>de</strong>n verachteten und<br />

haßten? Die Wahrheit wird einem Lügner nie angenehm sein; Sanftmut kann Eigendünkel<br />

und Stolz nicht befriedigen, Reinheit wird von <strong>de</strong>m Ver<strong>de</strong>rbten nicht angenommen, und<br />

selbstlose Liebe erscheint <strong>de</strong>m Selbstsüchtigen nicht anziehend. Welche Freu<strong>de</strong>n könnte <strong>de</strong>r<br />

Himmel <strong>de</strong>nen bieten, die hier völlig in irdischen und selbstsüchtigen Interessen aufgehen?<br />

379


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Könnten die Menschen, die ihr Leben in Empörung gegen Gott zugebracht haben,<br />

plötzlich in <strong>de</strong>n Himmel versetzt wer<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>n hohen und heiligen Zustand <strong>de</strong>r<br />

Vollkommenheit ertragen, <strong>de</strong>r stets dort herrscht, wo je<strong>de</strong> Seele mit Liebe erfüllt ist, je<strong>de</strong>s<br />

Angesicht vor Freu<strong>de</strong> strahlt; wo klangvolle Melodien zur Ehre Gottes und <strong>de</strong>s Lammes<br />

ertönen und Ströme <strong>de</strong>s Lichts, die ausgehen vom Angesicht <strong>de</strong>ssen, <strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m Stuhl sitzt,<br />

unaufhörlich über die Erlösten hinwegfluten? Könnten Seelen, <strong>de</strong>ren Herzen mit Haß gegen<br />

Gott, gegen Wahrheit und Heiligkeit erfüllt sind, sich unter die himmlische Schar mischen<br />

und in ihren Lobgesang mit einstimmen? Könnten sie die Herrlichkeit Gottes und <strong>de</strong>s<br />

Lammes ertragen? Nimmermehr! Jahre <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong>nzeit waren ihnen gewährt, damit sie<br />

einen Charakter für <strong>de</strong>n Himmel heranbil<strong>de</strong>ten, aber sie haben sich nie darin geübt, das<br />

Reine zu lieben, haben niemals die Sprache <strong>de</strong>s Himmels gelernt — nun ist es zu spät. Ein<br />

Leben <strong>de</strong>r Empörung gegen Gott hat sie für <strong>de</strong>n Himmel untauglich gemacht.<br />

Seine Reinheit, seine Heiligkeit und sein Frie<strong>de</strong> wäre ihnen eine Qual, die Herrlichkeit<br />

Gottes ein verzehren<strong>de</strong>s Feuer. Sie wür<strong>de</strong>n sich danach sehnen, von jenem heiligen Orte zu<br />

fliehen. Sie heißen <strong>de</strong>n Untergang willkommen, damit sie vor <strong>de</strong>m Angesicht Jesu, <strong>de</strong>r starb,<br />

um sie zu erlösen, verborgen wären. Das Schicksal <strong>de</strong>r Gottlosen wird durch ihre eigene<br />

Wahl besiegelt. Ihren Ausschluß aus <strong>de</strong>m Himmel haben sie freiwillig herausgefor<strong>de</strong>rt; von<br />

seiten Gottes ist er gerecht und barmherzig. Gleich <strong>de</strong>n Wassern <strong>de</strong>r Sintflut verkün<strong>de</strong>n die<br />

Feuer <strong>de</strong>s großen Tages das Urteil Gottes, daß die Gottlosen unheilbar sind. Sie wollen sich<br />

<strong>de</strong>r göttlichen Autorität nicht unterwerfen. Ihr Wille hat sich in Empörung geübt, und wenn<br />

das Leben zu En<strong>de</strong> ist, wird es zu spät sein, ihre Gedanken in die entgegengesetzte Richtung<br />

zu lenken, zu spät, um sich von <strong>de</strong>r Übertretung zum Gehorsam, vom Haß zur Liebe zu<br />

bekehren.<br />

In<strong>de</strong>m Gott <strong>de</strong>n Mör<strong>de</strong>r Kain am Leben erhielt, zeigte er <strong>de</strong>r Welt, welche Folgen<br />

eintreten, wenn <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>r am Leben bleibt und seinen Wan<strong>de</strong>l in zügelloser Bosheit<br />

weiterführt. Durch <strong>de</strong>n Einfluß von Kains Lehren und Beispiel wur<strong>de</strong>n Tausen<strong>de</strong> seiner<br />

Nachkommen zur Sün<strong>de</strong> verleitet, bis „<strong>de</strong>r Menschen Bosheit groß war auf Er<strong>de</strong>n und alles<br />

Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar ... Die Er<strong>de</strong> war ver<strong>de</strong>rbt vor<br />

Gottes Augen und voll Frevels“. 1.Mose 6,5.11. Weil er mit <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> Erbarmen hatte,<br />

vertilgte Gott ihre ver<strong>de</strong>rbten Bewohner zur Zeit Noahs. Aus Barmherzigkeit vernichtete er<br />

die gottlosen Einwohner Sodoms. Durch die trügerische Macht Satans erlangen die<br />

Übeltäter Mitgefühl und Bewun<strong>de</strong>rung und führen dadurch beständig an<strong>de</strong>re zur Empörung.<br />

So war es in Kains und in Noahs Tagen, zur Zeit Abrahams und Lots; so ist es auch heute.<br />

Aus Erbarmen mit <strong>de</strong>m Weltall wird Gott die Verwerfer seiner Gna<strong>de</strong> vernichten.<br />

„Der Tod ist <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> Sold; aber die Gabe Gottes ist das ewige Leben in Christo Jesu,<br />

unserm Herrn.“ Römer 6,23. Während Leben das Erbe <strong>de</strong>r Gerechten ist, wird Tod das Teil<br />

<strong>de</strong>r Gottlosen sein. Mose erklärte Israel: „Siehe, ich habe dir heute vorgelegt das Leben und<br />

das Gute, <strong>de</strong>n Tod und das Böse.“ 5.Mose 30,15. Der in dieser Schriftstelle erwähnte Tod ist<br />

nicht <strong>de</strong>r über Adam ausgesprochene Tod, <strong>de</strong>nn alle Menschen erlei<strong>de</strong>n die Strafe <strong>de</strong>r<br />

380


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Übertretung, son<strong>de</strong>rn es ist <strong>de</strong>r „zweite Tod“, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m ewigen Leben gegenübergestellt wird.<br />

Der Tod ist infolge <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> Adams auf das ganze menschliche Geschlecht gekommen.<br />

Alle ohne Unterschied sinken ins Grab. Durch die Einsetzung <strong>de</strong>s Erlösungsplanes wer<strong>de</strong>n<br />

alle wie<strong>de</strong>r aus ihren Gräbern hervorgehen. Es gibt eine zukünftige „Auferstehung <strong>de</strong>r Toten,<br />

<strong>de</strong>r Gerechten und Ungerechten“. Apostelgeschichte 24,15. „Denn gleichwie sie in Adam<br />

alle sterben, also wer<strong>de</strong>n sie in Christo alle lebendig gemacht wer<strong>de</strong>n.“ 1.Korinther 15,22.<br />

Dennoch wird ein Unterschied bestehen zwischen <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Klassen, die aus <strong>de</strong>n Gräbern<br />

hervorgehen wer<strong>de</strong>n. „Alle, die in <strong>de</strong>n Gräbern sind, wer<strong>de</strong>n seine Stimme hören, und<br />

wer<strong>de</strong>n hervorgehen, die da Gutes getan haben, zur Auferstehung <strong>de</strong>s Lebens, die aber<br />

Übles getan haben, zur Auferstehung <strong>de</strong>s Gerichts.“ Johannes 5,28.29. Die <strong>de</strong>r Auferstehung<br />

<strong>de</strong>s Lebens würdig befun<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>n, sind „selig ... und heilig ... Über solche hat <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re<br />

Tod keine Macht“. Offenbarung 20,6.<br />

Die Menschen hingegen, die nicht durch Buße und Glauben Vergebung erlangt haben,<br />

müssen die Strafe für ihre Übertretung, „<strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> Sold“, erdul<strong>de</strong>n. Sie erlei<strong>de</strong>n Pein nach<br />

ihren Werken, unterschiedlich in Dauer und Stärke, die mit <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn Tod en<strong>de</strong>t. Da es<br />

Gott in Übereinstimmung mit seiner Gerechtigkeit und Gna<strong>de</strong> unmöglich ist, <strong>de</strong>n Sün<strong>de</strong>r in<br />

seinen Sün<strong>de</strong>n zu erretten, muß dieser sein Leben lassen, das er durch seine Übertretungen<br />

verwirkt hat und <strong>de</strong>ssen er sich unwürdig erwies. Der Psalmist sagt: „Es ist noch um ein<br />

kleines, so ist <strong>de</strong>r Gottlose nimmer; und wenn du nach seiner Stätte sehen wirst, wird er weg<br />

sein.“ Psalm 37,10. Ein an<strong>de</strong>rer erleuchteter Schreiber erklärt: Sie „sollen sein, als wären sie<br />

nie gewesen“. Obadja 16. Mit Schan<strong>de</strong> be<strong>de</strong>ckt, versinken sie in hoffnungslose, ewige<br />

Vergessenheit.<br />

So wird <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> mit allem Weh und Ver<strong>de</strong>rben, die aus ihr hervorgegangen sind, ein<br />

En<strong>de</strong> gemacht. Der Psalmist sagt: „Du ... bringst die Gottlosen um; ihren Namen vertilgst du<br />

immer und ewiglich ... ihr Gedächtnis ist umgekommen samt ihnen.“ Psalm 9,6.7. In <strong>de</strong>r<br />

Offenbarung hört Johannes, in<strong>de</strong>m er auf <strong>de</strong>n ewigen Zustand vorausblickt, einen<br />

allgemeinen Lobgesang, <strong>de</strong>r von keinem einzigen Mißklang gestört wird. Alle Kreatur im<br />

Himmel und auf Er<strong>de</strong>n gibt Gott die Ehre. Offenbarung 5,13. Es gibt keine verlorenen<br />

Seelen mehr, die Gott lästern, während sie sich unter Qualen krümmen; keine elen<strong>de</strong>n<br />

Geschöpfe <strong>de</strong>r Hölle wer<strong>de</strong>n ihre Schmerzensschreie mit <strong>de</strong>n Gesängen <strong>de</strong>r Erlösten<br />

vermischen.<br />

Auf <strong>de</strong>m Grundirrtum <strong>de</strong>r natürlichen Unsterblichkeit beruht die Lehre von <strong>de</strong>m<br />

Bewußtsein im To<strong>de</strong> — eine Lehre,die gleich <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r ewigen Qual <strong>de</strong>n Lehren <strong>de</strong>r<br />

Heiligen Schrift, <strong>de</strong>n Eingebungen <strong>de</strong>r Vernunft und unsern Gefühlen <strong>de</strong>r Menschlichkeit<br />

wi<strong>de</strong>rstrebt. Nach allgemein verbreiteter Auffassung sind die Erlösten im Himmel mit allem<br />

vertraut, was auf Er<strong>de</strong>n stattfin<strong>de</strong>t, beson<strong>de</strong>rs mit <strong>de</strong>m Leben <strong>de</strong>r Freun<strong>de</strong>, die sie<br />

zurückgelassen haben. Wie könnte es aber für die Toten eine Quelle <strong>de</strong>r Glückseligkeit sein,<br />

die Wi<strong>de</strong>rwärtigkeiten <strong>de</strong>r Leben<strong>de</strong>n zu kennen, die von ihren Lieben begangenen Sün<strong>de</strong>n<br />

wahrzunehmen und zu sehen, wie sie Lei<strong>de</strong>n, Enttäuschungen und die Sorgen <strong>de</strong>s Lebens<br />

381


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

erdul<strong>de</strong>n? Wieviel wür<strong>de</strong>n jene, <strong>de</strong>ren Gedanken bei ihren Freun<strong>de</strong>n auf Er<strong>de</strong>n verweilen,<br />

von <strong>de</strong>r Wonne <strong>de</strong>s Himmels genießen? Und wie außeror<strong>de</strong>ntlich empörend ist ferner <strong>de</strong>r<br />

Glaube, daß die Seele <strong>de</strong>s Unbußfertigen <strong>de</strong>n Flammen <strong>de</strong>r Hölle übergeben wer<strong>de</strong>, sobald<br />

<strong>de</strong>r O<strong>de</strong>m <strong>de</strong>n Leib verläßt! Welch tiefe Angst mußten die Menschen erlei<strong>de</strong>n, die ihre<br />

Freun<strong>de</strong> unvorbereitet ins Grab sinken sehen, um eine Ewigkeit <strong>de</strong>r Pein und <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong><br />

anzutreten! Viele sind durch diesen qualvollen Gedanken zum Wahnsinn getrieben wor<strong>de</strong>n.<br />

Was sagt die Heilige Schrift über diese Dinge? David erklärt, daß <strong>de</strong>r Tote kein<br />

Bewußtsein besitzt: „Des Menschen Geist muß davon, und er muß wie<strong>de</strong>r zu Er<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n,<br />

alsdann sind verloren alle seine Anschläge.“ Psalm 146,4. Salomo bezeugt das gleiche: „Die<br />

Lebendigen wissen, daß sie sterben wer<strong>de</strong>n; die Toten aber wissen nichts, sie haben auch<br />

keinen Lohn mehr — <strong>de</strong>nn ihr Gedächtnis ist vergessen, daß man sie nicht mehr liebt noch<br />

haßt noch nei<strong>de</strong>t — und haben kein Teil mehr auf <strong>de</strong>r Welt an allem, was unter <strong>de</strong>r Sonne<br />

geschieht ... Denn bei <strong>de</strong>n Toten, dahin du fährst, ist we<strong>de</strong>r Werk, Kunst, Vernunft noch<br />

Weisheit.“ Prediger 9,5.6.10.<br />

Als Hiskias Leben, in Erfüllung seines Gebets, um fünfzehn Jahre verlängert wur<strong>de</strong>,<br />

huldigte <strong>de</strong>r dankbare König Gott mit Lob und Preis für seine große Barmherzigkeit. In<br />

diesem Lobgesang nennt er <strong>de</strong>n Grund seiner Freu<strong>de</strong>: „Denn die Hölle lobt dich nicht; so<br />

rühmt dich <strong>de</strong>r Tod nicht, und die in die Grube fahren, warten nicht auf <strong>de</strong>ine Wahrheit;<br />

son<strong>de</strong>rn allein, die da leben, loben dich, wie ich jetzt tue.“ Jesaja 38,18.19. Die allgemeine<br />

Theologie sagt von <strong>de</strong>n gerechten Toten, daß sie im Himmel seien, wo sie, in Wonne lebend,<br />

Gott mit unsterblicher Zunge preisen; aber Hiskia konnte im To<strong>de</strong> keine solche herrliche<br />

Erwartung sehen. Mit seinen Worten stimmt das Zeugnis <strong>de</strong>s Psalmisten überein: „Im To<strong>de</strong><br />

ge<strong>de</strong>nkt man <strong>de</strong>in nicht; wer will dir bei <strong>de</strong>n Toten danken?“ „Die Toten wer<strong>de</strong>n dich, Herr,<br />

nicht loben, noch die hinunterfahren in die Stille.“ Psalm 6,6; Psalm 115,17.<br />

Petrus sagte am Pfingsttag von <strong>de</strong>m Erzvater David. „Er ist gestorben und begraben,<br />

und sein Grab ist bei uns bis auf diesen Tag ... Denn David ist nicht gen Himmel<br />

gefahren.“ Apostelgeschichte 2,29.34. Die Tatsache, daß David bis zur Auferstehung im<br />

Grabe bleibt, beweist: Die Gerechten gehen beim To<strong>de</strong> nicht in <strong>de</strong>n Himmel ein. Nur durch<br />

die Auferstehung und kraft <strong>de</strong>r Tatsache, daß Christus auferstan<strong>de</strong>n ist, kann David<br />

schließlich zur Rechten Gottes sitzen. Paulus erklärte: „So die Toten nicht auferstehen, so ist<br />

Christus auch nicht auferstan<strong>de</strong>n. Ist Christus aber nicht auferstan<strong>de</strong>n, so ist euer Glaube<br />

eitel, so seid ihr noch in euren Sün<strong>de</strong>n. So sind auch die, so in Christo entschlafen sind,<br />

verloren.“ 1.Korinther 15,1618. Wären 4000 Jahre lang die Gerechten beim To<strong>de</strong> sofort in<br />

<strong>de</strong>n Himmel aufgenommen wor<strong>de</strong>n, wie hätte Paulus dann sagen können, daß, wenn es<br />

keine Auferstehung gäbe, „auch die, so in Christo entschlafen sind, verloren“ seien? Es wäre<br />

dann überhaupt keine Auferstehung nötig.<br />

Der Märtyrer Tyndale sagte über <strong>de</strong>n Zustand <strong>de</strong>r Toten: „Ich gestehe offen, ich bin<br />

nicht davon überzeugt, daß sie schon in <strong>de</strong>r Herrlichkeit leben, wie Christus und die<br />

erwählten Engel Gottes. Auch ist diese Lehre kein Artikel meines Glaubensbekenntnisses;<br />

382


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

<strong>de</strong>nn wenn <strong>de</strong>m so wäre, sähe ich die Predigt von <strong>de</strong>r Auferstehung <strong>de</strong>s Leibes als ganz<br />

vergeblich an.“ Es ist eine unleugbare Tatsache, daß die Hoffnung, beim To<strong>de</strong> sofort in<br />

unsterbliche Seligkeit versetzt zu wer<strong>de</strong>n, zu einer weitverbreiteten Vernachlässigung <strong>de</strong>r<br />

biblischen Lehre über die Auferstehung geführt hat. Dr. Adam Clarke stellte dies fest und<br />

sagte: „Die Auferstehungslehre scheint unter <strong>de</strong>n ersten Christen von weit größerer<br />

Be<strong>de</strong>utung gewesen zu ein, als es heute <strong>de</strong>r Fall ist. Wie kommt das? Die Apostel betonten<br />

sie beständig und ermahnten durch sie die Gotteskin<strong>de</strong>r zu Fleiß, Gehorsam und Freudigkeit.<br />

Ihre Nachfolger in <strong>de</strong>r Gegenwart erwähnen sie nur selten! So predigten die Apostel und so<br />

glaubten die ersten Christen; so predigen wir, und so glauben unsere Zuhörer. Es gibt keine<br />

Lehre im Evangelium, auf die mehr Nachdruck gelegt wird, und es fin<strong>de</strong>t sich keine Lehre<br />

in <strong>de</strong>r gegenwärtigen theologischen Verkündigung, die mehr vernachlässigt wird.“ (Clarke,<br />

„Commentary on the New Testament“, Bd. II, über 1.Korinther 15).<br />

Dies hat angedauert, bis die herrliche Wahrheit von <strong>de</strong>r Auferstehung beinahe gänzlich<br />

verdunkelt und von <strong>de</strong>r christlichen Welt fast völlig aus <strong>de</strong>n Augen verloren wor<strong>de</strong>n ist. Ein<br />

führen<strong>de</strong>r religiöser Schriftsteller sagt in seinen Anmerkungen zu <strong>de</strong>n Worten <strong>de</strong>s Apostels<br />

Paulus in 1.Thessalonicher 4,13-18: „Für alle praktischen Zwecke <strong>de</strong>s Trostes nimmt die<br />

Lehre von <strong>de</strong>r seligen Unsterblichkeit <strong>de</strong>r Gerechten für uns die Stelle irgen<strong>de</strong>iner<br />

zweifelhaften Lehre von <strong>de</strong>m zweiten Kommen Christi ein. Bei unserem To<strong>de</strong> kommt <strong>de</strong>r<br />

Herr für uns. Darauf sollen wir harren, dafür wachen. Die Toten sind bereits in die<br />

Herrlichkeit eingegangen. Sie warten nicht auf die Posaune, ihr Urteil und ihre Seligkeit zu<br />

erlange.“<br />

Aber als Jesus im Begriff stand, seine Jünger zu verlassen, sagte er ihnen nicht, daß sie<br />

bald zu ihm kommen wür<strong>de</strong>n. „Ich gehe hin“, sprach er, „euch die Stätte zu bereiten. Und<br />

wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, so will ich wie<strong>de</strong>rkommen und euch zu mir<br />

nehmen.“ Johannes 14,2.3. Und Paulus sagt uns weiter, daß „er selbst, <strong>de</strong>r Herr, wird mit<br />

einem Feldgeschrei und <strong>de</strong>r Stimme <strong>de</strong>s Erzengels und mit <strong>de</strong>r Posaune Gottes<br />

hernie<strong>de</strong>rkommen vom Himmel, und die Toten in Christo wer<strong>de</strong>n auferstehen zuerst.<br />

Darnach wir, die wir leben und übrig bleiben, wer<strong>de</strong>n zugleich mit ihnen hingerückt wer<strong>de</strong>n<br />

in <strong>de</strong>n Wolken, <strong>de</strong>m Herrn entgegen in <strong>de</strong>r Luft, und wer<strong>de</strong>n also bei <strong>de</strong>m Herrn sein<br />

allezeit.“ Außer<strong>de</strong>m fügt er hinzu: „So tröstet euch nun mit diesen Worten<br />

untereinan<strong>de</strong>r.“ 1.Thessalonicher 4,16-18. Wie groß ist <strong>de</strong>r Unterschied zwischen diesen<br />

Worten <strong>de</strong>s Trostes und jenen eben angeführten Bemerkungen <strong>de</strong>s Universalistenpredigers!<br />

Dieser tröstete die trauern<strong>de</strong>n Freun<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>r Versicherung, daß <strong>de</strong>r Tote, wie sündig er<br />

auch gewesen sein mag, unter die Engel aufgenommen wor<strong>de</strong>n sei, sobald er sein Leben<br />

hier auf Er<strong>de</strong>n ausgehaucht hatte. Paulus weist seine Brü<strong>de</strong>r auf das zukünftige Kommen<br />

<strong>de</strong>s Herrn hin, da die Fesseln <strong>de</strong>s Grabes gebrochen und „die Toten in Christo“ zu ewigen<br />

Leben auferweckt wer<strong>de</strong>n sollen.<br />

Bevor irgendwelche Seelen die Wohnungen <strong>de</strong>r Seligen betreten können, muß je<strong>de</strong>r Fall<br />

untersucht, müssen ihr Charakter und ihre Werke von Gott beurteilt wer<strong>de</strong>n. Alle wer<strong>de</strong>n<br />

383


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

nach <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n Büchern aufgezeichneten Berichten gerichtet; alle wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Lohn<br />

empfangen nach ihren Werken. Dieses Gericht fin<strong>de</strong>t nicht beim To<strong>de</strong> statt. Man beachte<br />

die Worte <strong>de</strong>s Paulus: „Darum daß er einen Tag gesetzt hat, an welchem er richten will <strong>de</strong>n<br />

Kreis <strong>de</strong>s Erdbo<strong>de</strong>ns mit Gerechtigkeit durch einen Mann, in welchem er‘s beschlossen hat<br />

und je<strong>de</strong>rmann vorhält <strong>de</strong>n Glauben, nach<strong>de</strong>m er ihn hat von <strong>de</strong>n Toten<br />

auferweckt.“ Apostelgeschichte 17,31. Hier erklärt <strong>de</strong>r Apostel <strong>de</strong>utlich, daß für das Gericht<br />

eine bestimmte, damals zukünftige Zeit festgesetzt sei. Judas verweist auf <strong>de</strong>nselben<br />

Zeitpunkt: „Die Engel, die ihr Fürstentum nicht bewahrten, son<strong>de</strong>rn verließen ihre<br />

Behausung, hat er behalten zum Gericht <strong>de</strong>s großen Tages mit ewigen Ban<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r<br />

Finsternis.“ Ferner führt er die Worte Henochs an: „Siehe, <strong>de</strong>r Herr kommt mit vielen<br />

tausend Heiligen, Gericht zu halten über alle.“ Judas 6.14.15. Johannes erklärt, daß er „sah<br />

die Toten, bei<strong>de</strong>, groß und klein, stehen vor Gott ... Und die Toten wur<strong>de</strong>n gerichtet nach<br />

<strong>de</strong>r Schrift in <strong>de</strong>n Büchern, nach ihren Werken.“ Offenbarung 20,12.<br />

Wenn sich aber die Toten bereits <strong>de</strong>r Wonne <strong>de</strong>s Himmels erfreuen o<strong>de</strong>r sich in <strong>de</strong>n<br />

Flammen <strong>de</strong>r Hölle win<strong>de</strong>n, wozu ist dann noch ein künftiges Gericht notwendig? Die<br />

Lehren <strong>de</strong>s Wortes Gottes über diese wichtigen Fragen sind we<strong>de</strong>r dunkel noch<br />

wi<strong>de</strong>rsprechend, sie können von einfachen Leuten verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Welches aufrichtige<br />

Gemüt kann aber in <strong>de</strong>r üblichen Lehre Weisheit o<strong>de</strong>r Gerechtigkeit sehen? Sollen die<br />

Gerechten nach <strong>de</strong>r Untersuchung ihrer Fälle im Gericht das Lob empfangen: „Ei du<br />

frommer und getreuer Knecht ... gehe ein zu <strong>de</strong>ines Herrn Freu<strong>de</strong>!“ (Matthäus 25,21), wenn<br />

sie vielleicht schon jahrhun<strong>de</strong>rtelang in seiner Gegenwart verweilt haben? Sollen die<br />

Gottlosen von <strong>de</strong>m Ort <strong>de</strong>r Qual weggerufen wer<strong>de</strong>n, um von <strong>de</strong>m Richter <strong>de</strong>r ganzen Er<strong>de</strong><br />

das Urteil zu vernehmen: „Gehet hin von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer“?<br />

Matthäus 25,41. Welch ein Spott! Welch schändliche Anklage gegen die Weisheit und<br />

Gerechtigkeit Gottes! Die <strong>Theorie</strong> von <strong>de</strong>r Unsterblichkeit <strong>de</strong>r Seele war eine <strong>de</strong>r falschen<br />

Lehren, die Rom <strong>de</strong>m Hei<strong>de</strong>ntum entlehnte und mit <strong>de</strong>r christlichen Religion vermengte.<br />

Martin Luther reihte sie „<strong>de</strong>n zahl- losen Ausgeburten <strong>de</strong>s römischen Misthaufens <strong>de</strong>r<br />

Dekretalen an“. In seinen Anmerkungen zu <strong>de</strong>n Worten Salomos im Prediger, daß die Toten<br />

nichts wissen, sagt <strong>de</strong>r Reformator. „Ein weiterer Beweis, daß die Toten bewußtlos sind.<br />

Salomo <strong>de</strong>nkt <strong>de</strong>shalb, die Toten schliefen gänzlich, und dächten an nichts. Sie liegen, ohne<br />

Tage o<strong>de</strong>r Jahre zu rechnen; doch wenn sie aufwachen, wird es ihnen vorkommen, als ob sie<br />

nur einen Augenblick geschlafen hätten.“1<br />

Nirgends in <strong>de</strong>r Heiligen Schrift ist die Erklärung zu fin<strong>de</strong>n, daß die Gerechten ihre<br />

Belohnung o<strong>de</strong>r die Gottlosen ihre Strafe beim To<strong>de</strong> erhalten. Die Erzväter und Propheten<br />

haben keine solche Zusicherung hinterlassen. Christus und seine Apostel haben nichts<br />

Derartiges ange<strong>de</strong>utet. Die Bibel lehrt <strong>de</strong>utlich, daß die Toten nicht unmittelbar in <strong>de</strong>n<br />

Himmel eingehen, son<strong>de</strong>rn bis zur Auferstehung schlafen. (1.Thessalonicher 4,14; Hiob<br />

14,10-12.) An <strong>de</strong>mselben Tage, an <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r „silberne Strick“ wegkommt und die „gol<strong>de</strong>ne<br />

Schale“ zerbricht (Prediger 12,6), wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Menschen Gedanken zunichte. Die in das<br />

Grab hinunterfahren, verharren in Schweigen. Sie wissen nichts mehr von allem, was unter<br />

384


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

<strong>de</strong>r Sonne geschieht. Hiob 14,21. Selige Ruhe für die mü<strong>de</strong>n Gerechten! Die Zeit, sei sie<br />

kurz o<strong>de</strong>r lang, ist nur ein Augenblick für sie! Sie entschlafen und wer<strong>de</strong>n durch die<br />

Posaune Gottes zu einer herrlichen Unsterblichkeit auferweckt. „Denn es wird die Posaune<br />

schallen, und die Toten wer<strong>de</strong>n auferstehen unverweslich ... Denn dies Verwesliche muß<br />

anziehen die Unverweslichkeit, und dies Sterbliche muß anziehen die Unsterblichkeit. Wenn<br />

aber dies Verwesliche wird anziehen die Unverweslichkeit, und dies Sterbliche wird<br />

anziehen die Unsterblichkeit, dann wird erfüllt wer<strong>de</strong>n das Wort, das geschrieben steht.<br />

>Der Tod ist verschlungen in <strong>de</strong>n Sieg.“ 1.Korinther 15,52-55. Wenn sie aus ihrem tiefen<br />

Schlummer herausgerufen wer<strong>de</strong>n, fangen sie gera<strong>de</strong> da an zu <strong>de</strong>nken, wo sie seinerzeit<br />

aufhörten. Das letzte Gefühl war die To<strong>de</strong>sangst, <strong>de</strong>r letzte Gedanke, daß sie <strong>de</strong>r Macht <strong>de</strong>s<br />

Grabes anheimfielen. Nun, da sie auferstan<strong>de</strong>n sind, wird ihr erster froher Gedanke in <strong>de</strong>m<br />

frohlocken<strong>de</strong>n Ruf ausbrechen: „Tod, wo ist <strong>de</strong>in Stachel? Hölle, wo ist <strong>de</strong>in<br />

Sieg?“ 1.Korinther 15,52-55.<br />

385


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 34- Können die Toten mit uns sprechen?<br />

Der Dienst <strong>de</strong>r heiligen Engel, wie ihn das Wort Gottes darstellt, ist für je<strong>de</strong>n<br />

Nachfolger Christi eine beson<strong>de</strong>rs trostreiche und köstliche Wahrheit. Aber die biblische<br />

Lehre darüber ist durch die Irrtümer einer im Volke beliebten Theologie verdunkelt und<br />

verfälscht wor<strong>de</strong>n. Die Lehre von einer natürlichen Unsterblichkeit, anfangs <strong>de</strong>r heidnischen<br />

Philosophie entlehnt und in <strong>de</strong>r Finsternis <strong>de</strong>s großen Abfalls mit <strong>de</strong>m christlichen Glauben<br />

verbun<strong>de</strong>n, hat die in <strong>de</strong>r Heiligen Schrift so <strong>de</strong>utlich gelehrte Wahrheit, daß die Toten<br />

nichts wissen, verdrängt. Sehr viele Menschen glauben heute, daß „dienstbare Geister,<br />

ausgesandt zum Dienst um <strong>de</strong>rer willen, die ererben sollen die Seligkeit“ (Hebräer 1,14),<br />

Geister <strong>de</strong>r Toten seien, obgleich die heilige Schrift das Dasein himmlischer Engel und ihre<br />

Verbindung mit <strong>de</strong>r Geschichte <strong>de</strong>s Menschen bezeugt, ehe noch ein menschliches Wesen<br />

gestorben war.<br />

Die Lehre von <strong>de</strong>m Bewußtsein <strong>de</strong>s Menschen im To<strong>de</strong>, insbeson<strong>de</strong>re die Überzeugung,<br />

daß die Geister <strong>de</strong>r Verstorbenen zurückkehren, um <strong>de</strong>n Leben<strong>de</strong>n zu dienen, hat <strong>de</strong>m<br />

mo<strong>de</strong>rnen Spiritismus <strong>de</strong>n Weg bereitet. Wenn die Toten in die Gegenwart Gottes und <strong>de</strong>r<br />

heiligen Engel treten dürfen und mit weit mehr Erkenntnis begünstigt wer<strong>de</strong>n, als sie vorher<br />

besaßen, warum sollten sie dann nicht auf diese Er<strong>de</strong> zurückkehren, um die Leben<strong>de</strong>n zu<br />

erleuchten und zu unterweisen? Wenn die Geister <strong>de</strong>r Toten, wie von <strong>de</strong>n volkstümlichen<br />

Theologen gelehrt wird, ihre Freun<strong>de</strong> auf Er<strong>de</strong>n umschweben, warum sollten sie dann nicht<br />

mit ihnen verkehren dürfen, um sie vor <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> zu warnen o<strong>de</strong>r sie in ihrem Kummer zu<br />

trösten? Wie können Seelen, die an ein bewußtes Fortleben <strong>de</strong>s Menschen nach <strong>de</strong>m To<strong>de</strong><br />

glauben, das verwerfen, was verklärte Geister ihnen als göttliches Licht mitteilen? Hier ist<br />

ein als heilig betrachtetes Mittel, durch das Satan auf das Erreichen seiner Absichten<br />

hinwirkt. Die gefallenen Engel, die seine Befehle ausführen, erscheinen als Boten aus <strong>de</strong>r<br />

Geisterwelt. Unter <strong>de</strong>m Deckmantel, die Leben<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>n Toten zu verbin<strong>de</strong>n, übt <strong>de</strong>r<br />

Fürst <strong>de</strong>s Bösen seinen bestricken<strong>de</strong>n Einfluß auf ihre Gemüter aus. Er hat die Macht, <strong>de</strong>n<br />

Menschen die Erscheinung ihrer abgeschie<strong>de</strong>nen Freun<strong>de</strong> vor Augen zu führen.<br />

Die Nachahmung ist vollkommen; das bekannte Aussehen, die Worte, die Stimme<br />

wer<strong>de</strong>n mit unglaublicher Deutlichkeit wie<strong>de</strong>rgegeben. Viele wer<strong>de</strong>n durch die<br />

Versicherung getröstet, daß ihre Lieben die Wonne <strong>de</strong>s Himmels genießen, und schenken,<br />

ohne Gefahr zu argwöhnen, <strong>de</strong>n „verführerischen Geistern und Lehren <strong>de</strong>r<br />

Teufel“ (1.Timotheus 4,1) Gehör. Sind sie dann verleitet wor<strong>de</strong>n zu glauben, daß die Toten<br />

tatsächlich zurückkommen, um mit ihnen zu verkehren, so läßt Satan Menschen erscheinen,<br />

die unvorbereitet starben. Diese behaupten jetzt, im Himmel glücklich zu sein und dort<br />

sogar gehobene Stellungen einzunehmen. Auf diese Weise wird die irrige Auffassung<br />

verbreitet, daß zwischen <strong>de</strong>n Gerechten und <strong>de</strong>n Gottlosen kein Unterschied gemacht wer<strong>de</strong>.<br />

Die angeblichen Besucher aus <strong>de</strong>r Geisterwelt äußern zuweilen Warnungen und<br />

Mahnungen zur Vorsicht, die sich als richtig erweisen. Haben sie dann Vertrauen gewonnen,<br />

386


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

bringen sie Lehren vor, die <strong>de</strong>n Glauben an die Heilige Schrift gera<strong>de</strong>zu untergraben. Mit<br />

<strong>de</strong>m Anschein großer Anteilnahme an <strong>de</strong>r Wohlfahrt ihrer Freun<strong>de</strong> auf Er<strong>de</strong>n flößen sie<br />

ihnen die gefährlichsten Irrtümer ein. Die Tatsache, daß sie einige Wahrheiten darlegen und<br />

zuweilen imstan<strong>de</strong> sind, zukünftige Ereignisse vorauszusagen, gibt ihren Aussagen einen<br />

Anschein von Zuverlässigkeit. Ihre falschen Lehren wer<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r Menge so bereitwillig<br />

angenommen und so blind geglaubt, als seien es die heiligsten Wahrheiten <strong>de</strong>r Bibel. Das<br />

Gesetz Gottes wird beiseite geschoben, <strong>de</strong>r Geist <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong> verachtet, das Blut <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>s<br />

als etwas Unheiliges angesehen. Die Geister verleugnen die Gottheit Christi und stellen sich<br />

sogar mit <strong>de</strong>m Schöpfer auf die gleiche Stufe. So führt <strong>de</strong>r große Empörer unter einer neuen<br />

Maske weiterhin seinen Kampf gegen Gott, <strong>de</strong>n er im Himmel begonnen und beinahe 6000<br />

Jahre auf Er<strong>de</strong>n fortgesetzt hat.<br />

Viele bemühen sich, die spiritistischen Bekundungen dadurch zu erklären, daß sie diese<br />

gänzlich als Betrug hinstellen o<strong>de</strong>r sie <strong>de</strong>n Kunstgriffen <strong>de</strong>s Mediums zuschreiben. Während<br />

es zwar wahr ist, daß Taschenspielerkünste oft als echte Offenbarungen ausgegeben wer<strong>de</strong>n,<br />

hat man auch außeror<strong>de</strong>ntliche Kundgebungen übernatürlicher Kräfte wahrgenommen. Das<br />

geheimnisvolle Klopfen, womit <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rne Spiritismus begann, war nicht das Ergebnis<br />

menschlicher Kunstgriffe o<strong>de</strong>r Geschicklichkeit, son<strong>de</strong>rn das unmittelbare Werk böser<br />

Engel, die auf diese Weise eine <strong>de</strong>r erfolgreichsten seelenver<strong>de</strong>rben<strong>de</strong>n Täuschungen<br />

einführten. Viele wer<strong>de</strong>n verstrickt durch die Annahme, daß <strong>de</strong>r Spiritismus eine rein<br />

menschliche Betrügerei sei; wer<strong>de</strong>n sie aber Bekundungen gegenübergestellt, die sie nur als<br />

übernatürlich betrachten können, dann wer<strong>de</strong>n sie verblen<strong>de</strong>t und verführt, sie als die große<br />

Macht Gottes anzunehmen.<br />

Diese Leute übersehen das Zeugnis <strong>de</strong>r heiligen Schrift über die durch Satan und seine<br />

Engel gewirkten Wun<strong>de</strong>r. Durch satanische Hilfe waren Pharaos Zauberer fähig, das Werk<br />

Gottes nachzuahmen. Paulus bezeugt, daß vor <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft Christi ähnliche<br />

Offenbarungen <strong>de</strong>r satanischen Macht stattfin<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Dem Kommen <strong>de</strong>s Herrn muß die<br />

„Wirkung <strong>de</strong>s Satans mit allerlei lügenhaftigen Kräften und Zeichen und Wun<strong>de</strong>rn und mit<br />

allerlei Verführung zur Ungerechtigkeit“ (2.Thessalonicher 2,9.10) vorausgehen. Der<br />

Apostel Johannes beschreibt die Wun<strong>de</strong>r wirken<strong>de</strong> Macht, die in <strong>de</strong>n letzten Tagen<br />

offenbart wer<strong>de</strong>n wird, mit folgen<strong>de</strong>n Worten: „Und tut große Zeichen, daß es auch macht<br />

Feuer vom Himmel fallen vor <strong>de</strong>n Menschen; und verführt, die auf Er<strong>de</strong>n wohnen, um <strong>de</strong>r<br />

Zeichen willen, die ihm gegeben sind zu tun.“ Offenbarung 13,13.14. Keine bloßen<br />

Betrügereien sind hier vorhergesagt. Die Menschen wer<strong>de</strong>n verführt durch die Wun<strong>de</strong>r, die<br />

Satans Helfer ausüben können und nicht etwa nur vorgeben auszuüben.<br />

Der Fürst <strong>de</strong>r Finsternis, <strong>de</strong>r so lange die Kräfte seines gewaltigen Geistes Täuschungen<br />

geweiht hat, paßt seine Versuchungen <strong>de</strong>n Menschen aller Klassen und Stän<strong>de</strong> geschickt an.<br />

Den Gebil<strong>de</strong>ten stellt er <strong>de</strong>n Spiritismus in seinen verfeinerten und verstan<strong>de</strong>smäßigen<br />

Gesichtspunkten dar, wodurch es ihm gelingt, viele in sein Netz zu ziehen. Die Weisheit, die<br />

<strong>de</strong>r Spiritismus verleiht, ist, wie <strong>de</strong>r Apostel Jakobus sagt, „nicht die Weisheit, die von<br />

387


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

obenherab kommt, son<strong>de</strong>rn irdisch, menschlich und teuflisch“. Jakobus 3,15. Dies verbirgt<br />

<strong>de</strong>r große Betrüger jedoch, wenn die Verstellung seine<br />

Absichten am besten dient. Der in <strong>de</strong>r Wüste <strong>de</strong>r Versuchung vor Christus im Glanz <strong>de</strong>r<br />

himmlischen Seraphim erscheinen konnte, kommt zu <strong>de</strong>n Menschen in einer<br />

außeror<strong>de</strong>ntlich anziehen<strong>de</strong>n Weise als ein Engel <strong>de</strong>s Lichts. Er wen<strong>de</strong>t sich an <strong>de</strong>n<br />

Verstand, in<strong>de</strong>m er gewichtige Themen vorbringt; er entzückt die Einbildungskraft durch<br />

hinreißen<strong>de</strong> Darstellungen und erwirbt sich die Zuneigung durch beredte Schil<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r<br />

Liebe und Menschenfreundlichkeit. Er reizt die Phantasie zu einem himmelstürmen<strong>de</strong>n<br />

Aufschwung und verleitet die Menschen zu einer so hohen Meinung von ihrer Weisheit, daß<br />

sie in ihren Herzen <strong>de</strong>n Ewigen verachten. Jenes mächtige Wesen, das <strong>de</strong>n Erlöser <strong>de</strong>r Welt<br />

auf einen sehr hohen Berg nehmen und ihm alle Reiche <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> und ihre Herrlichkeit<br />

zeigen konnte, wird mit seinen Versuchungen <strong>de</strong>n Menschen in einer Weise nahen, daß aller<br />

Sinne verwirrt wer<strong>de</strong>n, die nicht unter <strong>de</strong>m Schutz <strong>de</strong>r göttlichen Macht stehen.<br />

Satan beeinflußt jetzt die Menschen, wie er Eva in E<strong>de</strong>n beeinflußte, in<strong>de</strong>m er ihnen<br />

schmeichelt, in ihnen das Verlangen nach verbotenen Kenntnissen weckt und ein<br />

ehrgeiziges Streben nach Selbsterhebung erregt. Weil er sich selbst diesen bösen Begier<strong>de</strong>n<br />

hingab, kam er zu Fall, und nun versucht er, durch sie die Menschen ins Ver<strong>de</strong>rben zu<br />

stürzen. Ihr „wer<strong>de</strong>t sein wie Gott“, erklärte er, „und wissen, was gut und böse ist“. 1.Mose<br />

3,5. Der Spiritismus lehrt: „Der Mensch sei ein Geschöpf <strong>de</strong>s Fortschritts; von Geburt an sei<br />

seine Bestimmung, sich zur Gottheit hinzuentwickeln bis in die Ewigkeit.“ Und abermals:<br />

„Je<strong>de</strong>r Geist wird sich selbst richten, und nicht ein an<strong>de</strong>rer ... Das Gericht wird ein richtiges<br />

sein, <strong>de</strong>nn es ist ein Selbstgericht …Der Thron ist in dir selber.“ Ein spiritistischer Lehrer<br />

sagte, als das „geistige Bewußtsein“ in ihm erwachte: „Alle meine Mitmenschen waren<br />

nichtgefallene Halbgötter.“ Ein an<strong>de</strong>rer behauptete: „Je<strong>de</strong>s gerechte und vollkommene<br />

Wesen ist Christus.“<br />

So hat Satan an die Stelle <strong>de</strong>r Gerechtigkeit und Vollkommenheit <strong>de</strong>s ewigen Gottes,<br />

<strong>de</strong>m allein Anbetung gebührt, und an die Stelle <strong>de</strong>r vollkommenen Gerechtigkeit seines<br />

Gesetzes, <strong>de</strong>s wahren Maßstabes menschlichen Strebens, die sündhafte, irren<strong>de</strong> Natur <strong>de</strong>s<br />

Menschen gesetzt, <strong>de</strong>r die Verehrung gebühre, die die einzige Richtschnur <strong>de</strong>s Gerichts sei,<br />

<strong>de</strong>r einzige Maßstab <strong>de</strong>s Charakters. Dies ist <strong>de</strong>r Fortschritt, aber nicht aufwärts, son<strong>de</strong>rn<br />

abwärts. Es ist ein Gesetz <strong>de</strong>r geistigen wie auch <strong>de</strong>r geistlichen Natur, daß wir, in<strong>de</strong>m wir<br />

uns mit einer Sache näher beschäftigen, umgewan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n. Das Gemüt paßt sich<br />

allmählich <strong>de</strong>n Dingen an, bei <strong>de</strong>nen man es verweilen läßt. Es wird <strong>de</strong>m ähnlich, was zu<br />

lieben und zu verehren ihm Gewohnheit gewor<strong>de</strong>n ist. Der Mensch wird nie über <strong>de</strong>n von<br />

ihm gesetzten Maßstab von Reinheit, Güte o<strong>de</strong>r Wahrheit hinauskommen. Ist das eigene Ich<br />

sein höchstes I<strong>de</strong>al, so wird er niemals etwas Erhabeneres erreichen. Im Gegenteil, er wird<br />

beständig tiefer sinken. Die Gna<strong>de</strong> Gottes allein hat die Macht, <strong>de</strong>n Menschen zu erheben.<br />

Bleibt er sich selbst überlassen, so muß sein Lauf unvermeidlich abwärts führen.<br />

388


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Den ihren Lei<strong>de</strong>nschaften nachgehen<strong>de</strong>n, vergnügungssüchtigen, sinnlichen Menschen<br />

tritt <strong>de</strong>r Spiritismus unter einer weniger feinen Maske entgegen als <strong>de</strong>n Gebil<strong>de</strong>ten und<br />

Geistreichen; <strong>de</strong>nn sie fin<strong>de</strong>n in seinen gröberen Formen gera<strong>de</strong> das, was mit ihren<br />

Neigungen im Einklang steht. Satan studiert je<strong>de</strong>s Anzeichen einer Gebrechlichkeit <strong>de</strong>r<br />

menschlichen Natur, er merkt sich die Sün<strong>de</strong>n, die zu begehen je<strong>de</strong>r einzelne geneigt ist,<br />

und gibt dann acht, daß es nicht an Gelegenheiten fehlt, die Neigung zum Bösen zu<br />

befriedigen. Er verleitet die Menschen, zu übertreiben, was an und für sich recht und gut ist,<br />

so daß sie durch Unmäßigkeit die körperliche, geistige und sittliche Kraft schwächen. Er<br />

verdarb und verdirbt Tausen<strong>de</strong> durch die Befriedigung <strong>de</strong>r Lei<strong>de</strong>nschaften, wodurch die<br />

ganze Natur <strong>de</strong>s Menschen auf die Stufe <strong>de</strong>s Tieres absinkt. Um sein Werk zu<br />

vervollständigen, behauptet er durch die Geister, daß die wahre Erkenntnis <strong>de</strong>n Menschen<br />

über alle Gesetze erhaben mache; daß alles, was bestehe, recht sei; daß Gott nicht verdamme<br />

und daß alle Sün<strong>de</strong>n, die begangen wer<strong>de</strong>n, harmlos seien. Wenn Menschen auf diese Weise<br />

verleitet wer<strong>de</strong>n zu glauben, daß die Lust das höchste Gesetz sei, daß Freiheit vollständige<br />

Ungebun<strong>de</strong>nheit be<strong>de</strong>ute und daß er nur sich selbst Rechenschaft zu geben habe, ist es dann<br />

verwun<strong>de</strong>rlich, daß sich überall Ver<strong>de</strong>rbtheit und sittliche Verkommenheit breitmacht?<br />

Tausen<strong>de</strong> nehmen begierig die Lehren an, die ihnen die Freiheit geben, <strong>de</strong>n Neigungen <strong>de</strong>s<br />

fleischlichen Herzens zu willfahren. Die Zügel <strong>de</strong>r Selbstbeherrschung wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Lust<br />

überlassen, die Kräfte <strong>de</strong>s Geistes und <strong>de</strong>r Seele <strong>de</strong>n tierischen Neigungen unterworfen, und<br />

Satan treibt frohlockend Tausen<strong>de</strong> in sein Netz, die angeblich Nachfolger Christi sein<br />

wollen.<br />

Niemand braucht durch die lügenhaften Ansprüche <strong>de</strong>s Spiritismus getäuscht zu wer<strong>de</strong>n.<br />

Gott hat <strong>de</strong>r Welt hinreichend Licht gegeben, die Schlinge ent<strong>de</strong>cken zu können. Wie<br />

bereits dargelegt wur<strong>de</strong>, steht die Lehre, die die eigentliche Grundlage <strong>de</strong>s Spiritismus bil<strong>de</strong>t,<br />

in schroffem Wi<strong>de</strong>rspruch zu <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utlichsten Aussagen <strong>de</strong>r Heiligen Schrift. Die Bibel<br />

lehrt, daß die Toten nichts wissen, daß ihre Gedanken dahin sind, daß sie keinen Teil haben<br />

an irgend etwas, das unter <strong>de</strong>r Sonne geschieht, und nichts wissen von <strong>de</strong>n Freu<strong>de</strong>n und<br />

Schmerzen <strong>de</strong>rer, die ihnen auf Er<strong>de</strong>n am teuersten waren.<br />

Ferner hat Gott ausdrücklich je<strong>de</strong>n angeblichen Verkehr mit <strong>de</strong>n abgeschie<strong>de</strong>nen<br />

Geistern verboten. Unter <strong>de</strong>n Hebräern gab es Leute, die wie die Spiritisten heutzutage<br />

behaupteten, Umgang mit <strong>de</strong>n Toten zu haben. Aber die „Wahrsagegeister“, wie man diese<br />

Besucher aus <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rn Welt nannte, wer<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r Bibel als „Geister <strong>de</strong>r<br />

Teufel“ bezeichnet. Vgl. 4.Mose 25,1-3; Psalm 106,28; 1.Korinther 10,20; Offenbarung<br />

16,14. Mit Wahrsagegeistern zu verkehren, wur<strong>de</strong> vom Herrn als Greuel angesehen und<br />

unter To<strong>de</strong>sstrafe feierlich verboten. 3.Mose 19,31; 3.Mose 20,27. Schon <strong>de</strong>r Name<br />

„Zauberei“ wird jetzt verachtet. Die Behauptung, daß Menschen mit bösen Geistern in<br />

Verbindung stehen können, wird als eine mittelalterliche Fabel betrachtet. Der Spiritismus<br />

aber, <strong>de</strong>r seine Anhänger nach Hun<strong>de</strong>rttausen<strong>de</strong>n, ja nach Millionen zählt, <strong>de</strong>r sich seinen<br />

Weg in wissenschaftliche Kreise gebahnt, sich in Kirchen gedrängt hat, <strong>de</strong>r in<br />

gesetzgeben<strong>de</strong>n Körperschaften, ja sogar an <strong>de</strong>n Höfen <strong>de</strong>r Könige günstig aufgenommen<br />

389


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

wur<strong>de</strong> — diese Riesentäuschung ist nur eine Wie<strong>de</strong>rbelebung <strong>de</strong>r vor alters verdammten<br />

und verbotenen Zauberei in einem neuen Gewan<strong>de</strong>.<br />

Selbst wenn es kein an<strong>de</strong>res Kennzeichen für <strong>de</strong>n wahren Charakter <strong>de</strong>s Spiritismus<br />

gäbe, sollte es für <strong>de</strong>n Christen genügen, daß die Geister keinen Unterschied zwischen<br />

Gerechtigkeit und Sün<strong>de</strong>, zwischen <strong>de</strong>n e<strong>de</strong>lsten und reinsten Aposteln Christi und <strong>de</strong>n<br />

verkommensten Dienern Satans machen. In<strong>de</strong>m Satan die schlechtesten Menschen in <strong>de</strong>n<br />

Himmel versetzt und sie in dort gehobener Stellung darstellt, erklärt er <strong>de</strong>r Welt: Gleichviel,<br />

wie gottlos ihr auch seid, ob ihr Gott und <strong>de</strong>r Bibel glaubt o<strong>de</strong>r nicht — lebt, wie es euch<br />

gefällt; <strong>de</strong>r Himmel ist eure Heimat. Die spiritistischen Lehrer behaupten tatsächlich: „‚Wer<br />

Böses tut, <strong>de</strong>r gefällt <strong>de</strong>m Herrn, und zu solchen hat er‘, o<strong>de</strong>r: ‚Wo ist <strong>de</strong>r Gott, <strong>de</strong>r da<br />

strafe¿“ Maleachi 2,17. Gottes Wort aber sagt: „Weh <strong>de</strong>nen, die Böses gut und Gutes böse<br />

heißen, die aus Finsternis Licht und aus Licht Finsternis machen!“ Jesaja 5,20.<br />

Diese Lügengeister stellen die Apostel so hin, als wi<strong>de</strong>rsprächen sie <strong>de</strong>m, was sie unter<br />

Eingebung <strong>de</strong>s Heiligen Geistes schrieben, als sie noch auf Er<strong>de</strong>n waren. Sie leugnen <strong>de</strong>n<br />

göttlichen Ursprung <strong>de</strong>r Bibel, vernichten dadurch die Grundlage <strong>de</strong>r Hoffnung <strong>de</strong>s Christen<br />

und löschen das Licht aus, das <strong>de</strong>n Weg zum Himmel offenbart. Satan macht die Welt<br />

glauben, daß die Bibel nur ein erdichtetes o<strong>de</strong>r wenigstens ein nur für unsere Vorfahren<br />

passen<strong>de</strong>s Buch sei, das jetzt geringgeschätzt o<strong>de</strong>r als veraltet beiseite geworfen wer<strong>de</strong>n<br />

sollte. Als Ersatz für das Wort Gottes weist er auf spiritistische Offenbarungen hin. Hier ist<br />

ein Weg, <strong>de</strong>r völlig unter seiner Herrschaft steht; hierdurch kann er die Welt glauben<br />

machen, was er will. Das Buch, das ihn und seine Nachfolger richten wird, stellt er in <strong>de</strong>n<br />

Schatten, wohin er es haben will; <strong>de</strong>n Heiland <strong>de</strong>r Welt würdigt er zu einem gewöhnlichen<br />

Menschen herab. Und wie die römischen Wachen, die das Grab Jesu bewachten, das<br />

lügenhafte Gerücht verbreiteten, das ihnen die Priester und Ältesten in <strong>de</strong>n Mund gelegt<br />

hatten, um Christi Auferstehung zu wi<strong>de</strong>rlegen, so versuchen die Anhänger spiritistischer<br />

Offenbarungen <strong>de</strong>n Anschein zu erwecken, daß an <strong>de</strong>m Leben unseres Heilan<strong>de</strong>s nichts<br />

Wun<strong>de</strong>rbares sei. Nach<strong>de</strong>m sie auf diese Weise versucht haben, Jesus in <strong>de</strong>n Hintergrund zu<br />

drängen, lenken sie die Aufmerksamkeit ihrer Opfer auf ihre eigenen Wun<strong>de</strong>r und erklären,<br />

daß diese die Werke Christi bei weitem übertreffen.<br />

Wohl verän<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>r Spiritismus jetzt seine Form, verbirgt einige seiner verwerflicheren<br />

Züge und hängt sich ein christliches Mäntelchen um. Doch seine Aussprüche in öffentlichen<br />

Re<strong>de</strong>n und in <strong>de</strong>r Presse sind <strong>de</strong>m Volke schon seit Jahren bekannt; in ihnen offenbart sich<br />

sein wirklicher Charakter. Diese Lehren können we<strong>de</strong>r geleugnet noch verborgen wer<strong>de</strong>n.<br />

Selbst in <strong>de</strong>r gegenwärtigen Form ist die Täuschung weit davon entfernt, <strong>de</strong>r Duldung<br />

würdiger zu sein als früher; in Wirklichkeit ist sie gefährlicher, weil sie weit verfänglicher<br />

ist. Während sie früher Christus und die Bibel verwarf, gibt sie nun vor, bei<strong>de</strong> anzunehmen.<br />

Doch wird die Bibel in einer Weise ausgelegt, die <strong>de</strong>m nicht erneuerten Herzen gefällt,<br />

während ihre ernstesten und wichtigsten Wahrheiten als wertlos hingestellt wer<strong>de</strong>n.<br />

390


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Man spricht von <strong>de</strong>r Liebe als <strong>de</strong>r Haupteigenschaft Gottes, erniedrigt sie aber zu einer<br />

schwachen Gefühlsseligkeit, die wenig Unterschied macht zwischen <strong>de</strong>m Guten und <strong>de</strong>m<br />

Bösen. Gottes Gerechtigkeit, seine Verdammung <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>, die For<strong>de</strong>rungen seines<br />

heiligen Gesetzes wer<strong>de</strong>n nicht beachtet. Das Volk wird gelehrt, die Zehn Gebote als toten<br />

Buchstaben zu betrachten. Angenehme, bezaubern<strong>de</strong> Fabeln nehmen die Sinne gefangen<br />

und veranlassen die Menschen, die Heilige Schrift als Grundlage ihres Glaubens zu<br />

verwerfen. Christus wird ebenso verleugnet wie ehemals; aber Satan hat die Augen <strong>de</strong>r<br />

Menschen so geblen<strong>de</strong>t, daß sie die Täuschung nicht wahrnehmen.<br />

Es gibt nur wenige, die eine richtige Vorstellung haben von <strong>de</strong>r täuschen<strong>de</strong>n Macht <strong>de</strong>s<br />

Spiritismus und von <strong>de</strong>r Gefahr, seinem Einfluß zu unterliegen. Viele beschäftigen sich<br />

damit, nur um ihre Neugier<strong>de</strong> zu befriedigen. Sie glauben nicht wirklich daran und wür<strong>de</strong>n<br />

zurückschrecken vor <strong>de</strong>m Gedanken, sich unter die Herrschaft <strong>de</strong>r Geister zu stellen. Sie<br />

wagen sich auf verbotenes Gebiet, und <strong>de</strong>r gewaltige Ver<strong>de</strong>rber übt gegen ihren Willen<br />

seine Macht auf sie aus. Sind sie einmal bewogen wor<strong>de</strong>n, sich von ihm leiten zu lassen, so<br />

hält er sie gefangen. Es ist ihnen unmöglich, sich aus eigener Kraft von diesem<br />

bezaubern<strong>de</strong>n, verlocken<strong>de</strong>n Bann loszureißen. Nichts außer <strong>de</strong>r Macht Gottes kann diese<br />

verstrickten Seelen in Erhörung eines ernsten, im Glauben gesprochenen Gebetes befreien.<br />

Die sündhaften Neigungen frönen o<strong>de</strong>r vorsätzlich einer bewußten Sün<strong>de</strong> nachgehen,<br />

for<strong>de</strong>rn dadurch die Versuchungen Satans heraus. Sie trennen sich von Gott und <strong>de</strong>r<br />

Fürsorge seiner Engel; tritt <strong>de</strong>r Böse dann mit Täuschungen an sie heran, sind sie schutzlos<br />

und fallen ihm leicht zum Opfer. Die sich auf diese Weise in seine Macht begeben, ahnen<br />

kaum, wo ihr Leben en<strong>de</strong>n wird. Nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Versucher sie gestürzt hat, bedient er sich<br />

ihrer, um an<strong>de</strong>re ins Ver<strong>de</strong>rben zu locken. Der Prophet Jesaja sagt: „Wenn sie aber zu euch<br />

sagen: Ihr müsset die Wahrsager und Zeichen<strong>de</strong>uter fragen, die da flüstern und murmeln (so<br />

sprecht): Soll nicht ein Volk seinen Gott fragen, o<strong>de</strong>r soll man die Toten für die Lebendigen<br />

fragen? Ja, nach <strong>de</strong>m Gesetz und Zeugnis! Wer<strong>de</strong>n sie das nicht sagen, so wer<strong>de</strong>n sie die<br />

Morgenröte nicht haben.“ Jesaja 8,19.20. Hätten die Menschen die in <strong>de</strong>r Heiligen Schrift so<br />

<strong>de</strong>utlich dargelegte Wahrheit über die Natur <strong>de</strong>s Menschen und <strong>de</strong>n Zustand <strong>de</strong>r Toten<br />

angenommen, so wür<strong>de</strong>n sie in <strong>de</strong>n Behauptungen und Bekundungen <strong>de</strong>s Spiritismus Satans<br />

Wirken mit Macht und Zeichen und betrügerischen Wun<strong>de</strong>rn erblicken. Aber statt die <strong>de</strong>m<br />

fleischlichen Herzen so angenehme Ungebun<strong>de</strong>nheit aufzugeben und sich von <strong>de</strong>n<br />

liebgewor<strong>de</strong>nen Sün<strong>de</strong>n loszureißen, verschließen viele ihre Augen vor <strong>de</strong>m Licht und<br />

wan<strong>de</strong>ln unbekümmert um alle Warnungen weiter, während Satan ihnen Schlingen legt,<br />

<strong>de</strong>nen sie zum Opfer fallen. „Dafür daß sie die Liebe zur Wahrheit nicht haben<br />

angenommen, ... wird ihnen Gott kräftige Irrtümer sen<strong>de</strong>n, daß sie glauben <strong>de</strong>r<br />

Lüge.“ 2.Thessalonicher 2,10.11.<br />

Die sich <strong>de</strong>n Lehren <strong>de</strong>s Spiritismus wi<strong>de</strong>rsetzen, greifen nicht nur Menschen, son<strong>de</strong>rn<br />

auch <strong>de</strong>n Teufel und seine Engel an. Sie haben <strong>de</strong>n Kampf aufgenommen mit Fürsten und<br />

Gewaltigen und mit <strong>de</strong>n bösen Geistern unter <strong>de</strong>m Himmel. Satan wird auch nicht einen<br />

391


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Zollbreit seines Bereiches preisgeben, es sei <strong>de</strong>nn, daß er durch die Macht himmlischer<br />

Boten zurückgetrieben wird. Gottes Volk sollte imstan<strong>de</strong> sein, ihm mit <strong>de</strong>n gleichen Worten<br />

zu begegnen, mit <strong>de</strong>nen unser Heiland ihm entgegentrat: „Es steht geschrieben.“ Matthäus<br />

4,4.7.10. Wie in <strong>de</strong>n Tagen Christi führt Satan auch heute Schriftstellen an und verdreht ihre<br />

Aussagen, um seine Täuschungen zu unterstützen. Wer in dieser Zeit <strong>de</strong>r Gefahr standhalten<br />

möchte, muß das Zeugnis <strong>de</strong>r Heiligen Schrift verstehen.<br />

Viele wer<strong>de</strong>n Geistern <strong>de</strong>r Teufel gegenübergestellt, die in Gestalt lieber Verwandter<br />

o<strong>de</strong>r Freun<strong>de</strong> erscheinen und die gefährlichsten Irrlehren verkün<strong>de</strong>n. Diese Besucher<br />

wer<strong>de</strong>n unsere zärtlichsten Gefühle berühren und Wun<strong>de</strong>r wirken, um ihren Behauptungen<br />

Nachdruck zu verleihen. Wir müssen bereit sein, ihnen mit <strong>de</strong>r Bibelwahrheit<br />

entgegenzutreten, daß die Toten nichts wissen und daß alle, die auf diese Weise erscheinen,<br />

Geister <strong>de</strong>r Teufel sind. Die „Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Versuchung, die kommen wird über <strong>de</strong>n ganzen<br />

Weltkreis“ (Offenbarung 3,10), steht unmittelbar bevor. Alle, <strong>de</strong>ren Glaube nicht fest auf<br />

das Wort Gottes gegrün<strong>de</strong>t ist, wer<strong>de</strong>n hintergangen und überwun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.<br />

Satan wirkt „mit allerlei Verführung“, um die Menschenkin<strong>de</strong>r unter seine Herrschaft zu<br />

bringen; seine Täuschungen nehmen ständig zu. Er kann jedoch sein Ziel nur erreichen,<br />

wenn die Menschen freiwillig auf seine Versuchungen eingehen. Wer ernsthaft nach <strong>de</strong>r<br />

Erkenntnis <strong>de</strong>r Wahrheit sucht und bestrebt ist, seine Seele durch Gehorsam zu läutern, und<br />

auf diese Weise alles in seinen Kräften Stehen<strong>de</strong> tut, um sich auf <strong>de</strong>n Kampf vorzubereiten,<br />

<strong>de</strong>r wird in <strong>de</strong>m Gott <strong>de</strong>r Wahrheit eine sichere Schutzwehr fin<strong>de</strong>n. „Dieweil du hast<br />

bewahrt das Wort meiner Geduld, will ich auch dich bewahren“ (Offenbarung 3,10), lautet<br />

die Verheißung Jesu. Er wür<strong>de</strong> eher alle Engel <strong>de</strong>s Himmels sen<strong>de</strong>n, sein Volk zu<br />

beschützen, als einen, <strong>de</strong>r ihm vertraut, preiszugeben, damit Satan ihn überwin<strong>de</strong>.<br />

Der Prophet Jesaja weist auf die furchtbare Täuschung hin, die über die Gottlosen<br />

kommen wird, so daß sie sich vor <strong>de</strong>n Gerichten Gottes sicher fühlen: „Wir haben mit <strong>de</strong>m<br />

Tod einen Bund und mit <strong>de</strong>r Hölle einen Vertrag gemacht; wenn eine Flut dahergeht, wird<br />

sie uns nicht treffen; <strong>de</strong>nn wir haben die Lüge zu unsrer Zuflucht und Heuchelei zu unserm<br />

Schirm gemacht.“ Jesaja 28,15. Zu <strong>de</strong>r hier beschriebenen Menschenklasse gehören alle, die<br />

sich in hartnäckiger Unbußfertigkeit mit <strong>de</strong>r Versicherung trösten, daß es keine Strafe für<br />

<strong>de</strong>n Sün<strong>de</strong>r geben wird, daß alle Menschen, wie ver<strong>de</strong>rbt sie auch sein mögen, in <strong>de</strong>n<br />

Himmel erhoben wer<strong>de</strong>n sollen, um <strong>de</strong>n Engeln Gottes gleich zu wer<strong>de</strong>n. Weit mehr aber<br />

verbin<strong>de</strong>n sich diejenigen mit <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> und mit <strong>de</strong>r Hölle, welche die Wahrheiten, die <strong>de</strong>r<br />

Himmel als Schutzwehr für die Gerechten in <strong>de</strong>n Tagen <strong>de</strong>r Trübsal vorgesehen hat,<br />

verwerfen und zu <strong>de</strong>n von Satan angebotenen Lügen, <strong>de</strong>n betrügerischen Vorspiegelungen<br />

<strong>de</strong>s Spiritismus, ihre Zuflucht nehmen.<br />

Über alle Maßen erstaunlich ist die Blindheit <strong>de</strong>s gegenwärtigen Menschengeschlechts.<br />

Tausen<strong>de</strong> verwerfen das Wort Gottes als unglaubhaft und nehmen mit eifrigem Vertrauen<br />

die Täuschungen Satans an. Zweifler und Spötter verhöhnen <strong>de</strong>n blin<strong>de</strong>n Eifer <strong>de</strong>rer, die für<br />

<strong>de</strong>n Glauben <strong>de</strong>r Propheten und Apostel kämpfen, und belustigen sich damit, die ernsten<br />

392


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Erklärungen <strong>de</strong>r Heiligen Schrift über Christus, <strong>de</strong>n Erlösungsplan und die<br />

Wie<strong>de</strong>rvergeltung, die alle Verwerfer <strong>de</strong>r Wahrheit heimsuchen soll, ins Lächerliche zu<br />

ziehen. Sie heucheln, großes Mitleid mit <strong>de</strong>nen zu haben, die so beschränkt, schwach und<br />

abergläubisch sind, Gottes Ansprüche anzuerkennen und <strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen seines<br />

Gesetzes zu gehorchen. Sie legen eine solche Gewißheit an <strong>de</strong>n Tag, als hätten sie in <strong>de</strong>r Tat<br />

einen Bund mit <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> und einen Vertrag mit <strong>de</strong>r Hölle gemacht, ja als hätten sie eine<br />

unübersteigbare, undurchdringliche Schranke zwischen sich und <strong>de</strong>r Rache Gottes<br />

aufgerichtet. Nichts kann ihre Furcht erwecken. So völlig haben sie sich <strong>de</strong>m Versucher<br />

hingegeben, so innig sind sie mit ihm verbun<strong>de</strong>n, so gründlich von seinem Geist erfüllt, daß<br />

sie we<strong>de</strong>r die Kraft noch die Neigung haben, sich aus seinen Schlingen zu befreien.<br />

Lange hat sich Satan auf seine letzte Anstrengung, die Täuschung <strong>de</strong>r Welt, vorbereitet.<br />

Die Grundlage zu seinem Werk wur<strong>de</strong> bereits durch die <strong>de</strong>r Eva im Paradies gegebene<br />

Versicherung gelegt: „Ihr wer<strong>de</strong>t mitnichten <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s sterben ... welches Tages ihr davon<br />

esset, so wer<strong>de</strong>n eure Augen aufgetan, und wer<strong>de</strong>t sein wie Gott und wissen, was gut und<br />

böse ist.“ 1.Mose 3,4.5. Nach und nach hat er die Vorbereitungen für sein Meisterstück <strong>de</strong>s<br />

Betruges in <strong>de</strong>r Entwicklung <strong>de</strong>s Spiritismus getroffen. Er hat sein Ziel noch nicht völlig<br />

erreicht, seine Bemühungen wer<strong>de</strong>n aber in <strong>de</strong>r allerletzten Zeit von Erfolg gekrönt sein.<br />

Der Prophet sagt: „Und ich sah ... drei unreine Geister, ... gleich <strong>de</strong>n Fröschen; <strong>de</strong>nn es sind<br />

Geister <strong>de</strong>r Teufel, die tun Zeichen und gehen aus zu <strong>de</strong>n Königen auf <strong>de</strong>m ganzen Kreis <strong>de</strong>r<br />

Welt, sie zu versammeln in <strong>de</strong>n Streit auf jenen großen Tag Gottes.“ Offenbarung 16,13.14.<br />

Mit Ausnahme <strong>de</strong>rer, die durch die Macht Gottes im Glauben an sein Wort bewahrt bleiben,<br />

wird die ganze Welt diesem Blendwerk in die Arme getrieben wer<strong>de</strong>n. Die Menschen<br />

wer<strong>de</strong>n in eine gefährliche Sicherheit eingelullt und erst durch die Ausgießung <strong>de</strong>s Zornes<br />

Gottes aufgeweckt.<br />

Gott <strong>de</strong>r Herr sagt: „Ich will das Recht zur Richtschnur und die Gerechtigkeit zum<br />

Gewicht machen; so wird <strong>de</strong>r Hagel die falsche Zuflucht wegtreiben,und Wasser sollen <strong>de</strong>n<br />

Schirm wegschwemmen, daß euer Bund mit <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> los wer<strong>de</strong> und euer Vertrag mit <strong>de</strong>r<br />

Hölle nicht bestehe. Und wenn eine Flut dahergeht, wird sie euch zertreten.“ Jesaja 28,17.18.<br />

393


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 35- Gewissensfreiheit Bedroht<br />

Die Protestanten stehen gegenwärtig <strong>de</strong>n Erscheinungsformen <strong>de</strong>r römisch-katholischen<br />

Welt wohlwollen<strong>de</strong>r gegenüber als in <strong>de</strong>n früheren Jahren. In <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn, in <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r<br />

Katholizismus nicht im Zunehmen begriffen ist und die Päpstlichen eine versöhnliche<br />

Haltung einnehmen, um Einfluß zu gewinnen, herrscht eine wachsen<strong>de</strong> Gleichgültigkeit<br />

gegenüber <strong>de</strong>n Lehren, die die protestantischen Kirchen von <strong>de</strong>r päpstlichen Hierarchie<br />

trennen. Es setzt sich immer mehr die Ansicht durch, daß wir in <strong>de</strong>n wichtigsten Punkten<br />

nicht so weit auseinan<strong>de</strong>rgehen, wie vermutet wur<strong>de</strong>, und daß uns ein geringes Zugeständnis<br />

in ein besseres Verhältnis zu Rom bringen wer<strong>de</strong>. Es gab eine Zeit, da die Protestanten<br />

hohen Wert auf die Gewissensfreiheit legten, die so teuer erkauft wor<strong>de</strong>n war. Sie lehrten<br />

ihre Kin<strong>de</strong>r, das Papsttum zu verabscheuen und waren <strong>de</strong>r Auffassung, daß es <strong>de</strong>r Untreue<br />

gegen Gott gleichkäme, nach Übereinstimmung mit Rom zu streben. Wie weit weicht die<br />

Gesinnung davon ab, die sich heute kundtut.<br />

Die Verteidiger <strong>de</strong>s Papsttums erklären, daß ihre Kirche verleum<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n sei; und die<br />

protestantische Welt ist geneigt, diese Erklärung anzunehmen. Viele machen geltend, daß es<br />

ungerecht sei, die römische Kirche <strong>de</strong>r Neuzeit nach <strong>de</strong>n Greueln und Absurditäten zu<br />

richten, die ihre Herrschaft während <strong>de</strong>r Jahrhun<strong>de</strong>rte <strong>de</strong>r Unwissenheit und <strong>de</strong>r Finsternis<br />

kennzeichneten. Sie entschuldigen ihre entsetzliche Grausamkeit mit <strong>de</strong>r Roheit <strong>de</strong>r Zeiten<br />

und behaupten, daß die Einflüsse <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Kultur ihre Gesinnung gewan<strong>de</strong>lt<br />

hätten.Haben diese Menschen <strong>de</strong>n Anspruch auf Unfehlbarkeit vergessen, <strong>de</strong>r 800 Jahre<br />

lang von dieser anmaßen<strong>de</strong>n Macht geltend gemacht wur<strong>de</strong>? Weit davon entfernt, diesen<br />

Anspruch fahren zu lassen, wur<strong>de</strong> er im 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt mit größerer Bestimmtheit bestätigt<br />

als je zuvor. Wenn Rom behauptet, daß die Kirche nie geirrt habe und auf Grund <strong>de</strong>r<br />

Heiligen Schrift nie irren wer<strong>de</strong>, wie kann es sich dann von <strong>de</strong>n Grundsätzen lossagen, die<br />

in vergangenen Zeiten sein Verhalten bestimmten?<br />

Die päpstliche Kirche wird ihren Anspruch auf Unfehlbarkeit nie aufgeben. Sie besteht<br />

darauf, in allem, was sie bei <strong>de</strong>n Verfolgungen <strong>de</strong>rer, die ihre Glaubenssätze verwarfen,<br />

getan hat, recht gehan<strong>de</strong>lt zu haben; und wür<strong>de</strong> sie nicht die gleichen Taten wie<strong>de</strong>rholen,<br />

falls sich Gelegenheit dazu bieten sollte? Beseitigte man die jetzt von weltlichen Mächten<br />

auferlegten Schranken und setzte man Rom wie<strong>de</strong>r in seine frühere Machtstellung ein, dann<br />

wür<strong>de</strong> sich sofort eine Wie<strong>de</strong>rbelebung seiner Gewaltherrschaft und Verfolgung zeigen. Ein<br />

bekannter Geschichtsschreiber äußert sich über die Haltung <strong>de</strong>r päpstlichen<br />

Priesterherrschaft zu <strong>de</strong>r Gewissensfreiheit und <strong>de</strong>n Gefahren, die ganz beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>n<br />

Vereinigten Staaten drohen, wenn sie ihre Pläne durchsetzen kann: „Es gibt viele, die<br />

geneigt sind, irgendwelche Furcht vor <strong>de</strong>m römischen Katholizismus in <strong>de</strong>n Vereinigten<br />

Staaten als engherzig o<strong>de</strong>r kindisch hinzustellen. Sie sehen eben in <strong>de</strong>m Charakter und <strong>de</strong>r<br />

Stellung <strong>de</strong>r römisch-katholischen Erscheinungswelt nichts, was unseren freien<br />

Einrichtungen gegenüber feindlich ist, o<strong>de</strong>r fin<strong>de</strong>n nichts Unheilverkün<strong>de</strong>n<strong>de</strong>s in ihrem<br />

394


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Wachstum. Wir wollen <strong>de</strong>shalb zuerst etliche <strong>de</strong>r Grundregeln unserer Regierung mit <strong>de</strong>nen<br />

<strong>de</strong>r katholischen Kirche vergleichen.<br />

Die Verfassung <strong>de</strong>r Vereinigten Staaten sichert Gewissensfreiheit zu. Nichts ist teurer<br />

o<strong>de</strong>r wesentlicher. Papst Pius IX. sagte in seiner Enzyklika vom 15. August 1854: ‚Die<br />

abgeschmackten und irrigen Lehren o<strong>de</strong>r Faseleien zur Verteidigung <strong>de</strong>r Gewissensfreiheit<br />

sind ein außeror<strong>de</strong>ntlich ver<strong>de</strong>rblicher Irrtum — eine Pest, die vor allem an<strong>de</strong>rn in einem<br />

Staat am meisten zu fürchten ist.‘ Derselbe Papst spricht in seiner Enzyklika vom 8.<br />

Dezember 1864 <strong>de</strong>n Bannfluch aus über ‚diejenigen, die die Freiheit <strong>de</strong>s Gewissens und <strong>de</strong>s<br />

Glaubens behaupten‘, wie auch über ‚alle solche, die darauf bestehen, daß die Kirche nicht<br />

Gewalt üben dürfe‘.<br />

Der friedfertige Ton Roms in <strong>de</strong>n Vereinigten Staaten schließt keineswegs eine<br />

Sinnesän<strong>de</strong>rung in sich. Es ist duldsam, wo es ohne Hilfe ist. Bischof O‘Connor sagte: Die<br />

Religionsfreiheit wird nur gedul<strong>de</strong>t, bis das Gegenteil durchgesetzt wer<strong>de</strong>n kann, ohne die<br />

katholische Welt zu gefähr<strong>de</strong>n ... Der Erzbischof von St. Louis sagte bei einer Gelegenheit:<br />

Ketzerei und Unglaube sind Verbrechen; und in christlichen Län<strong>de</strong>rn, wie zum Beispiel in<br />

Italien und Spanien, wo die ganze Bevölkerung katholisch ist und wo die katholische<br />

Religion einen wesentlichen Teil <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>sgesetze bil<strong>de</strong>t, wer<strong>de</strong>n sie wie an<strong>de</strong>re<br />

Verbrechen bestraft ...Je<strong>de</strong>r Kardinal, Erzbischof und Bischof in <strong>de</strong>r katholischen Kirche<br />

legt <strong>de</strong>m Papst <strong>de</strong>n Treueid ab, <strong>de</strong>r u.a. folgen<strong>de</strong> Worte enthält: ‚Ketzer, Schismatiker und<br />

Rebellen wi<strong>de</strong>r unseren besagten Herrn (<strong>de</strong>n Papst) o<strong>de</strong>r seine vorerwähnten Nachfolger,<br />

will ich nach Kräften verfolgen und mich ihnen aufs äußerste wi<strong>de</strong>rsetzen‘.“<br />

Allerdings gibt es auch echte Christen in <strong>de</strong>r römischkatholischen Gemeinschaft.<br />

Tausen<strong>de</strong> dienen Gott nach <strong>de</strong>r besten Erkenntnis, die sie besitzen. Ihnen ist <strong>de</strong>r Zugang zu<br />

seinem Wort (Siehe Anm. 54) nicht gestattet, und <strong>de</strong>shalb können sie die Wahrheit nicht<br />

erkennen. Sie haben nie <strong>de</strong>n Unterschied zwischen einem lebendigen Herzensdienst und<br />

einer Reihe bloßer Formen und Zeremonien gesehen. Gott sieht mit zärtlichem Erbarmen<br />

auf diese Seelen, die in einem trügerischen und unbefriedigen<strong>de</strong>n Glauben erzogen wor<strong>de</strong>n<br />

sind, und er wird es so führen, daß Lichtstrahlen die dichte Finsternis durchdringen, die sie<br />

umgibt. Er wird ihnen die Wahrheit, wie sie in Jesus ist, offenbaren, und viele wer<strong>de</strong>n sich<br />

noch zu seinem Volk bekennen.<br />

Der Katholizismus als Religionssystem stimmt heute nicht mehr als zu irgen<strong>de</strong>iner<br />

früheren Zeit seiner Geschichte mit <strong>de</strong>m Evangelium Christi überein. Die protestantischen<br />

Kirchen befin<strong>de</strong>n sich in großer Finsternis, sonst wür<strong>de</strong>n sie die Zeichen <strong>de</strong>r Zeit<br />

wahrnehmen. Die römische Kirche ist weitblickend in ihren Plänen und in <strong>de</strong>r Art ihres<br />

Wirkens. Sie bedient sich je<strong>de</strong>r List, um ihren Einfluß auszu<strong>de</strong>hnen und ihre Macht zu<br />

mehren. Sie bereitet sich auf einen grimmigen und entschlossenen Kampf vor, um die<br />

Herrschaft <strong>de</strong>r Welt wie<strong>de</strong>rzugewinnen und alles zu vernichten, was <strong>de</strong>r Protestantismus<br />

geschaffen hat. Der Katholizismus gewinnt überall Bo<strong>de</strong>n. Man sehe auf die wachsen<strong>de</strong><br />

Zahl seiner Kirchen und Kapellen in protestantischen Län<strong>de</strong>rn und betrachte die<br />

395


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Volkstümlichkeit seiner von <strong>de</strong>n Protestanten in so großer Zahl besuchten Hochschulen und<br />

Seminare in Amerika. Man achte auf das Wachstum <strong>de</strong>s Ritualismus in England und die<br />

häufigen Übertritte zum Katholizismus. Diese Dinge sollten die Besorgnis aller erregen, die<br />

die reinen Grundsätze <strong>de</strong>s Evangeliums wertschätzen.<br />

Die Protestanten haben sich mit <strong>de</strong>m Papsttum eingelassen und es begünstigt; sie haben<br />

Verträge und Zugeständnisse gemacht, die selbst die Katholiken überraschten und die diese<br />

nicht verstehen konnten. Die Menschen verschließen sich <strong>de</strong>m wahren Charakter <strong>de</strong>r<br />

römischen Kirche und <strong>de</strong>n Gefahren, die von ihrer Oberherrschaft zu befürchten sind. Sie<br />

müssen aufgerüttelt wer<strong>de</strong>n, um <strong>de</strong>m Vordringen dieses so sehr gefährlichen Fein<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r<br />

bürgerlichen und religiösen Freiheit zu wi<strong>de</strong>rstehen.<br />

Viele Protestanten nehmen an, die katholische Religion sei reizlos und ihr Gottesdienst<br />

eine schale, be<strong>de</strong>utungslose Aneinan<strong>de</strong>rreihung von Zeremonien. Hierin irren sie. Der<br />

Gottesdienst <strong>de</strong>r römischen Kirche ist ein sehr eindrucksvoller Vorgang. Die glänzen<strong>de</strong><br />

Prachtentfaltung und die feierlichen Gebräuche bezaubern die Sinne <strong>de</strong>s Volkes und bringen<br />

die Stimme <strong>de</strong>r Vernunft und <strong>de</strong>s Gewissens zum Schweigen. Das Auge ist entzückt.<br />

Prachtvolle Kirchen, großartige Festzüge, gol<strong>de</strong>ne Altäre, mit Juwelen verzierte<br />

Reliquienschreine, auserlesene Gemäl<strong>de</strong> und kostbare Skulpturen fesseln <strong>de</strong>n<br />

Schönheitssinn. Auch das Ohr wird angesprochen. Die Musik ist unübertroffen. Wenn die<br />

vollen Klänge <strong>de</strong>r feierlich tönen<strong>de</strong>n Orgel, vermischt mit <strong>de</strong>m Gesang vieler Stimmen,<br />

durch die hohen Kuppeln und säulenreichen Chorgänge <strong>de</strong>r großartigen Kathedralen<br />

schwellen, müssen sie unfehlbar die Gemüter mit Ehrfurcht und heiliger Scheu erfüllen.<br />

Dieser äußerliche Glanz, dies Gepränge und diese Zeremonien sind ein Beweis ihrer<br />

inneren Ver<strong>de</strong>rbnis. Christi Religion bedarf zu ihrer Empfehlung solcher Reize nicht. In<br />

<strong>de</strong>m vom Kreuz ausstrahlen<strong>de</strong>n Licht erscheint das Christentum so rein und lieblich, daß<br />

keine äußerlichen Zier<strong>de</strong>n seinen echten Wert vergrößern können. Nur <strong>de</strong>r heilige Schmuck<br />

eines sanftmütigen und stillen Geistes hat bei Gott Wert.Ein glanzvoller Stil ist nicht<br />

notwendigerweise ein Ausdruck reiner, erhabener Gedanken. Eine hohe Auffassung von <strong>de</strong>r<br />

Kunst und ein sehr kultivierter Geschmack fin<strong>de</strong>n sich häufig in einem irdischen und<br />

sinnlichen Gemüt. Sie wer<strong>de</strong>n oft von Satan benutzt, damit die Menschen die Bedürfnisse<br />

ihrer Seele vergessen, die Zukunft und das ewige Leben aus <strong>de</strong>n Augen verlieren, sich von<br />

ihrem allmächtigen Helfer abwen<strong>de</strong>n und ausschließlich für diese Welt leben.<br />

Eine Religion <strong>de</strong>r Äußerlichkeiten ist für das nicht erneuerte Herz anziehend. Das<br />

Gepränge und die Zeremonien <strong>de</strong>r katholischen Kirche haben eine verführerische,<br />

bestricken<strong>de</strong> Kraft, durch die viele getäuscht wer<strong>de</strong>n, und zwar so sehr, daß sie die<br />

katholische Kirche als das wirkliche Tor zum Himmel ansehen. Nur solche, die ihre Füße<br />

fest auf <strong>de</strong>n Grund <strong>de</strong>r Wahrheit gestellt haben und <strong>de</strong>ren Herzen durch <strong>de</strong>n Geist Gottes<br />

erneuert sind, wer<strong>de</strong>n gegen ihren Einfluß gesichert sein. Tausen<strong>de</strong>, die keine lebendige<br />

Erfahrung mit Christus gemacht haben, wer<strong>de</strong>n dahin geführt, daß sie <strong>de</strong>n Schein <strong>de</strong>r<br />

396


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Gottseligkeit ohne die Kraft annehmen. Gera<strong>de</strong> eine solche Religion wünschen sich die<br />

meisten.<br />

Durch <strong>de</strong>n Anspruch <strong>de</strong>r Kirche auf das Recht zur Sün<strong>de</strong>nvergebung fühlt sich <strong>de</strong>r<br />

Katholik berechtigt, zu sündigen, und die Einrichtung <strong>de</strong>r Beichte, ohne die sie keine<br />

Vergebung gewährt, führt dahin, <strong>de</strong>m Bösen Spielraum zu geben. Wer vor einem<br />

sterblichen Menschen kniet und ihm beichtend die geheimen Gedanken und Triebe seines<br />

Herzens erschließt, erniedrigt seine Menschenwür<strong>de</strong> und setzt alle edlen Regungen seines<br />

Herzens herab. Wer seine Sün<strong>de</strong>n vor einem Priester enthüllt — einem irren<strong>de</strong>n, sündigen<br />

Sterblichen, <strong>de</strong>r nur zu oft durch Wein und Ausschweifung verdorben ist —, <strong>de</strong>ssen rechtes<br />

Maß für <strong>de</strong>n Charakter ist herabgewürdigt und <strong>de</strong>r selbst infolge<strong>de</strong>ssen verunreinigt. Seine<br />

Vorstellung von Gott wird zum Abbild <strong>de</strong>r gefallenen Menschheit erniedrigt; <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r<br />

Priester gilt als Vertreter Gottes. Dieses erniedrigen<strong>de</strong> Bekenntnis von Mensch zu Mensch<br />

ist die geheime Quelle, aus <strong>de</strong>r viel Böses geflossen ist, das die Welt ver<strong>de</strong>rbt hat und sie<br />

zur endgültigen Vernichtung führen wird. Doch ist es <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r gegen sich selbst nachsichtig<br />

ist, angenehmer, einem Mitmenschen zu beichten, als sein Herz vor Gott zu offenbaren; es<br />

sagt <strong>de</strong>r menschlichen Natur mehr zu, Buße zu tun, als <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> zu entsagen. Es ist leichter,<br />

<strong>de</strong>n Körper in Sacktuch mit Brennesseln und einschnei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Ketten zu kasteien, als die<br />

fleischlichen Lüste zu kreuzigen. Schwer ist das Joch, welches das fleischliche Herz lieber<br />

trägt, als daß es sich unter das Joch Christi beugte.<br />

Es besteht eine überraschen<strong>de</strong> Ähnlichkeit zwischen <strong>de</strong>r römischkatholischen Kirche<br />

und <strong>de</strong>r jüdischen Gemein<strong>de</strong> zur Zeit Christi. Während die Ju<strong>de</strong>n insgeheim die Grundsätze<br />

<strong>de</strong>s Gesetzes Gottes mit Füßen traten, achteten sie nach außen hin streng auf die Einhaltung<br />

dieser Verordnungen, die sie mit hohen Anfor<strong>de</strong>rungen und mit Überlieferungen<br />

beschwerten, die ihre Befolgung peinigend und lästig machten. Wie die Ju<strong>de</strong>n vorgaben, das<br />

Gesetz zu ehren, so behauptet die römische Kirche, das Kreuz zu verherrlichen. Sie erhöht<br />

das Symbol <strong>de</strong>r Lei<strong>de</strong>n Christi, während sie <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n es darstellt, in <strong>de</strong>r Praxis verleugnet.<br />

Die Katholiken bringen auf ihren Kirchen, Altären und Gewän<strong>de</strong>rn Kreuze an, Überall<br />

sieht man das Zeichen <strong>de</strong>s Kreuzes, überall wird es nach außen hin verehrt und erhöht. Aber<br />

die Lehren Christi sind unter einer Fülle sinnloser Überlieferungen, falscher Auslegung und<br />

strenger Vorschriften begraben. Des Heilan<strong>de</strong>s Worte über die verblen<strong>de</strong>ten Ju<strong>de</strong>n passen<br />

noch viel besser auf die Wür<strong>de</strong>nträger <strong>de</strong>r römisch-katholischen Kirche: „Sie bin<strong>de</strong>n aber<br />

schwere und unerträgliche Bür<strong>de</strong>n und legen sie <strong>de</strong>n Menschen auf <strong>de</strong>n Hals; aber sie selbst<br />

wollen dieselben nicht mit einem Finger regen.“ Gewissenhafte Menschen wer<strong>de</strong>n ständig<br />

in Schrecken und Furcht vor <strong>de</strong>m Zorn eines beleidigten Gottes gehalten, während viele<br />

Wür<strong>de</strong>nträger <strong>de</strong>r Kirche in Luxus und Vergnügen leben.<br />

Um <strong>de</strong>n Untergang <strong>de</strong>r Menschen zu erreichen, will Satan ihre Aufmerksamkeit von<br />

Christus abwen<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r allein sie erlösen kann. Er bietet allen möglichen Ersatz für <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r<br />

gesagt hat. „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und bela<strong>de</strong>n seid; ich will euch<br />

erquicken.“ Es ist Satans beständiges Bemühen, das Wesen Gottes, die Natur <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> und<br />

397


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

<strong>de</strong>n wahren Ausgang <strong>de</strong>s großen Kampfes verkehrt darzustellen. Seine Trugschlüsse<br />

verringern die Verpflichtung gegen das göttliche Gesetz und gestatten <strong>de</strong>n Menschen zu<br />

sündigen. Gleichzeitig flößt er ihnen falsche Vorstellungen von Gott ein, so daß sie eher mit<br />

Furcht und Haß <strong>de</strong>nn mit Liebe zu ihm aufblicken. Die seinem eigenen Charakter<br />

anhaften<strong>de</strong> Grausamkeit schreibt er <strong>de</strong>m Schöpfer zu; sie ist in <strong>de</strong>n Religionssystemen<br />

verkörpert und fin<strong>de</strong>t Ausdruck in <strong>de</strong>n Gebräuchen <strong>de</strong>s Gottesdienstes.<br />

So wer<strong>de</strong>n die Gemüter <strong>de</strong>r Menschen verblen<strong>de</strong>t, und Satan sichert sie sich als seine<br />

Werkzeuge, um Gott zu bekämpfen. Durch verkehrte Vorstellungen vom göttlichen Wesen<br />

wur<strong>de</strong>n heidnische Völker zu <strong>de</strong>r Annahme verleitet, menschliche Opfer seien notwendig,<br />

um sich die Gunst Gottes zu sichern; und fürchterliche Grausamkeiten wur<strong>de</strong>n unter <strong>de</strong>n<br />

verschie<strong>de</strong>nsten Formen <strong>de</strong>r Abgötterei verübt. Die römisch-katholische Kirche, die die<br />

Bräuche <strong>de</strong>s Hei<strong>de</strong>ntums mit <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>s Christentums vereinigte, und gleich <strong>de</strong>m Hei<strong>de</strong>ntum<br />

das Wesen Gottes entstellte, hat zu nicht weniger grausamen und empören<strong>de</strong>n<br />

Gewohnheiten Zuflucht (Siehe Anm. 013) genommen. In <strong>de</strong>n Tagen <strong>de</strong>r Oberherrschaft<br />

Roms gab es Folterwerkzeuge, mit <strong>de</strong>nen es die Annahme seiner Lehren erzwang. Es gab<br />

<strong>de</strong>n Scheiterhaufen für die, die <strong>de</strong>m Anspruch Roms nicht nachgeben wollten. Blutbä<strong>de</strong>r<br />

wur<strong>de</strong>n in einem solchen Umfang verübt, <strong>de</strong>r erst im Jüngsten Gericht offenbar wer<strong>de</strong>n wird.<br />

Wür<strong>de</strong>nträger <strong>de</strong>r Kirche ersannen, beeinflußt von <strong>de</strong>m Geist Satans, Mittel, die die<br />

größtmöglichen Qualen verursachten, ohne doch dabei ihr Opfer zu töten. In vielen Fällen<br />

wur<strong>de</strong> dieses teuflische Verfahren bis zur äußersten Grenze <strong>de</strong>s für Menschen noch<br />

Erträglichen wie<strong>de</strong>rholt, bis die Natur <strong>de</strong>n Kampf aufgab und <strong>de</strong>r Lei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Tod als<br />

angenehme Befreiung begrüßte. So gestaltete sich das Schicksal <strong>de</strong>r Gegner Roms. Für<br />

seine Anhänger hatte es das Zuchtmittel <strong>de</strong>r Geißel, <strong>de</strong>s Hungers und <strong>de</strong>r körperlichen<br />

Kasteiung in je<strong>de</strong>r nur <strong>de</strong>nkbaren, das Herz kränken<strong>de</strong>n Form. Um sich die Gunst <strong>de</strong>s<br />

Himmels zu sichern, verletzten die Büßen<strong>de</strong>n die Gebote Gottes, in<strong>de</strong>m sie die Naturgesetze<br />

übertraten. Sie wur<strong>de</strong>n gelehrt, das Band zu zerschnei<strong>de</strong>n, das Er eingesetzt hatte, um <strong>de</strong>s<br />

Menschen irdischen Aufenthalt zu segnen und zu erheitern. Die Friedhöfe bergen Millionen<br />

von Opfern, die ihr Leben mit fruchtlosen Bemühungen verbrachten, ihre natürlichen<br />

Neigungen zu unterdrücken und je<strong>de</strong>n Gedanken und je<strong>de</strong>s Mitgefühl für ihre<br />

Mitmenschen — als beleidigend für Gott — zurückzudrängen.<br />

Wir können aus <strong>de</strong>m Leben Christi keine Beispiele anführen, daß Männer und Frauen<br />

sich in Klöster einschließen sollen, um sich auf <strong>de</strong>n Himmel vorzubereiten. Er hat nie<br />

gelehrt, daß Liebe und Mitgefühl unterdrückt wer<strong>de</strong>n müssen. Das Herz <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s floß<br />

von Liebe über. Je mehr sich <strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>r sittlichen Vollkommenheit nähert, <strong>de</strong>sto<br />

schärfer sind seine Empfindungen, <strong>de</strong>sto genauer nimmt er die Sün<strong>de</strong> wahr, und <strong>de</strong>sto mehr<br />

fühlt er mit <strong>de</strong>n Lei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n. Der Papst behauptet zwar, <strong>de</strong>r Stellvertreter Christi zu sein; aber<br />

wie hält sein Tun einen Vergleich aus mit <strong>de</strong>m unseres Heilan<strong>de</strong>s? Hat Christus jemals<br />

Menschen <strong>de</strong>m Gefängnis o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Folter überliefert, weil sie ihm als <strong>de</strong>m König <strong>de</strong>s<br />

Himmels keine<br />

398


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Huldigung erwiesen? Hat er seine Stimme erhoben, um die zum To<strong>de</strong> zu verurteilen, die<br />

ihn nicht annahmen? Als die Bewohner eines samaritischen Dorfes seiner nicht achteten,<br />

entrüstete sich <strong>de</strong>r Apostel Johannes und sagte: „Herr, willst du, so wollen wir sagen, daß<br />

Feuer vom Himmel falle und verzehre sie, wie Elia tat!“ Jesus blickte mitleidig auf <strong>de</strong>n<br />

Jünger; <strong>de</strong>ssen Härte ta<strong>de</strong>lnd, sagte er: „Der Menschen Sohn ist nicht gekommen, <strong>de</strong>r<br />

Menschen Seelen zu ver<strong>de</strong>rben, son<strong>de</strong>rn zu erhalten.“ Lukas 9,54,56. Wie grundverschie<strong>de</strong>n<br />

von <strong>de</strong>r durch Christus bekun<strong>de</strong>ten Haltung ist die seines angeblichen Stellvertreters!<br />

Die römische Kirche bietet heute <strong>de</strong>r Welt ein äußeres Bild <strong>de</strong>r Sauberkeit, in<strong>de</strong>m sie<br />

über ihren Bericht schrecklicher Grausamkeit einen Mantel von Entschuldigungen breitet.<br />

Sie hat sich wohl in christliche Gewän<strong>de</strong>r gehüllt; in ihrem Wesen jedoch ist sie unverän<strong>de</strong>rt.<br />

Je<strong>de</strong>r Grundsatz <strong>de</strong>s Papsttums, <strong>de</strong>r in vergangenen Jahrhun<strong>de</strong>rten Geltung hatte, ist auch<br />

heute noch gültig. Die in finstersten Zeiten erlassenen Verordnungen und Lehren wer<strong>de</strong>n<br />

noch immer aufrechterhalten. Es täusche sich niemand! Das Papsttum, <strong>de</strong>m die Protestanten<br />

jetzt die Anerkennung nicht versagen wollen, ist das gleiche, das zur Zeit <strong>de</strong>r Reformation<br />

die Welt beherrschte, als Männer Gottes unter Einsatz ihres Lebens aufstan<strong>de</strong>n, um die<br />

Bosheit <strong>de</strong>r römischen-katholischen Kirche bloßzustellen. Es besitzt <strong>de</strong>n gleichen Stolz, die<br />

gleiche hochmütige Anmaßung, die es sich über Könige und Fürsten erheben ließ und die<br />

die Vorrechte Gottes beanspruchte. Sein Geist ist jetzt nicht weniger grausam und<br />

willkürlich als zu <strong>de</strong>r Zeit, da es die menschliche Freiheit nie<strong>de</strong>rwarf und die Heiligen <strong>de</strong>s<br />

Allerhöchsten erschlug.<br />

Auf das Papsttum trifft genau das von <strong>de</strong>r Prophezeiung gebrauchte Bild zu von <strong>de</strong>m<br />

„Abfall, <strong>de</strong>r da kommen soll“. Es gehört zu seinem diplomatischen Geschick, immer <strong>de</strong>n<br />

Charakter anzunehmen, <strong>de</strong>r am besten seinen Absichten dient. „Wir sind nicht gebun<strong>de</strong>n,<br />

<strong>de</strong>n Ketzern Treue und Glauben zu halten“, erklärt die römische Kirche. Soll nun diese<br />

Macht, <strong>de</strong>ren Geschichte während eines Jahrtausends mit <strong>de</strong>m Blut <strong>de</strong>r Heiligen geschrieben<br />

wur<strong>de</strong>, zur Gemein<strong>de</strong> Christi gerechnet wer<strong>de</strong>n? Nicht ohne Grund ist in protestantischen<br />

Län<strong>de</strong>rn die Behauptung aufgestellt wor<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r Katholizismus unterschei<strong>de</strong> sich nicht mehr<br />

so sehr vom Protestantismus wie in früheren Zeiten. Wohl hat sich manches geän<strong>de</strong>rt, aber<br />

nicht das Papsttum. Der Katholizismus ähnelt in <strong>de</strong>r Tat <strong>de</strong>m heutigen Protestantismus, weil<br />

dieser seit <strong>de</strong>n Tagen <strong>de</strong>r Reformation sehr entartet ist.<br />

In<strong>de</strong>m die protestantischen Kirchen die Gunst <strong>de</strong>r Welt gesucht haben, hat falsche<br />

Nächstenliebe ihre Augen verblen<strong>de</strong>t. Sie können nicht einsehen, warum es unrecht sein<br />

sollte, von allem Bösen Gutes zu <strong>de</strong>nken; und als unausbleibliche Folge wer<strong>de</strong>n sie<br />

schließlich Böses von allem Guten glauben. Anstatt <strong>de</strong>n einst <strong>de</strong>n Heiligen übergebenen<br />

Glauben zu verteidigen, entschuldigen sie sich nun sozusagen bei Rom wegen ihrer<br />

lieblosen Beurteilung dieses Glaubens und bitten darum, ihren blin<strong>de</strong>n Eifer zu verzeihen.<br />

Viele von <strong>de</strong>nen, die <strong>de</strong>r römisch-katholischen Erscheinungswelt nicht wohlwollend<br />

gegenüberstehen, fürchten nichts von <strong>de</strong>ren Machteinfluß.<br />

399


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Sie machen geltend, daß die geistige und sittliche Finsternis, die während <strong>de</strong>s<br />

Mittelalters herrschte, die Ausbreitung ihrer Glaubenssätze, ihres Aberglaubens und ihrer<br />

Unterdrückungen begünstigte, und daß die Einsichten <strong>de</strong>r Neuzeit, die allgemeine<br />

Verbreitung <strong>de</strong>s Wissens und die zunehmen<strong>de</strong> Freiheit in Glaubensdingen ein<br />

Wie<strong>de</strong>raufleben von Unduldsamkeit und Tyrannei unmöglich machen. Schon <strong>de</strong>r Gedanke,<br />

daß ein solcher Zustand bestehen könne, wird verlacht. Es ist wahr, daß unserem Geschlecht<br />

große geistige, sittliche und religiöse Erkenntnisse aufgingen. Aus <strong>de</strong>m frei erschlossenen<br />

heiligen Wort Gottes hat sich himmlisches Licht über die Welt ergossen. Man sollte aber<br />

be<strong>de</strong>nken, daß je größer das gewährte Licht, <strong>de</strong>sto dunkler auch die Finsternis <strong>de</strong>rer ist, die<br />

es verdrehen o<strong>de</strong>r verwerfen.<br />

Ein Studium <strong>de</strong>r Heiligen Schrift unter Gebet wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Protestanten <strong>de</strong>n wahren<br />

Charakter <strong>de</strong>s Papsttums zeigen; aber viele sind nach ihrer eigenen Meinung so weise, daß<br />

sie nicht das Bedürfnis haben, Gott <strong>de</strong>mütig zu suchen, um in die Wahrheit geleitet zu<br />

wer<strong>de</strong>n. Obwohl sie sich mit ihrer Erleuchtung brüsten, wissen sie we<strong>de</strong>r etwas von <strong>de</strong>r<br />

Heiligen Schrift noch von <strong>de</strong>r Kraft Gottes. Sie müssen irgen<strong>de</strong>in Mittel haben, um ihr<br />

Gewissen zu beruhigen; und sie suchen das, was am wenigsten geistlich und <strong>de</strong>mütigend ist.<br />

Sie möchten gern Gott vergessen, aber in einer Weise, daß es scheint, als gedächten sie<br />

seiner. Das Papsttum kann <strong>de</strong>n Bedürfnissen dieser Menschen entsprechen. Es hat sich auf<br />

zwei Klassen <strong>de</strong>r Menschheit eingestellt; und diese umfassen beinahe die ganze Er<strong>de</strong>:<br />

diejenigen, die durch ihre eigenen Verdienste gerettet wer<strong>de</strong>n möchten, und jene, die in<br />

ihren Sün<strong>de</strong>n gerettet wer<strong>de</strong>n wollen. Hier liegt das Geheimnis seiner Macht.<br />

Es hat sich erwiesen, daß eine Zeit tiefer geistiger Finsternis <strong>de</strong>m Erfolg <strong>de</strong>s Papsttums<br />

günstig ist, und es wird sich noch zeigen, daß eine Zeit großen geistigen Lichtes sein<br />

Ge<strong>de</strong>ihen nicht min<strong>de</strong>r för<strong>de</strong>rt. In vergangenen Zeiten, als die Menschen ohne Gottes Wort<br />

und ohne die Erkenntnis <strong>de</strong>r Wahrheit lebten, wur<strong>de</strong>n ihre Augen verblen<strong>de</strong>t und Tausen<strong>de</strong><br />

gefesselt, weil sie das Netz nicht sahen, das für ihre Füße gelegt war. In diesem Geschlecht<br />

gibt es viele, <strong>de</strong>ren Augen durch <strong>de</strong>n Glanz menschlicher Spekulationen, fälschlich<br />

„Wissenschaft“ genannt, geblen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n, so daß sie das Netz nicht wahrnehmen und so<br />

bereitwillig hineinlaufen, als wären ihre Augen verbun<strong>de</strong>n. Gott beabsichtigte daß <strong>de</strong>r<br />

menschliche Verstand als eine Gabe seines Schöpfers betrachtet und im Dienst <strong>de</strong>r Wahrheit<br />

und Gerechtigkeit eingesetzt wer<strong>de</strong>n sollte; wenn aber Stolz und Ehrgeiz gepflegt wer<strong>de</strong>n,<br />

wenn Menschen ihre eigenen Ansichten über das Wort Gottes erheben, dann kann <strong>de</strong>r<br />

Verstand größeren Scha<strong>de</strong>n anrichten als die Unwissenheit.<br />

So wird die falsche Wissenschaft <strong>de</strong>r gegenwärtigen Zeit, die <strong>de</strong>n Glauben an die<br />

Heilige Schrift untergräbt, ebenso wirksam helfen, <strong>de</strong>r Annahme <strong>de</strong>s Papsttums mit seinen<br />

einnehmen<strong>de</strong>n Gebräuchen <strong>de</strong>n Weg zu bereiten, wie im Mittelalter das Vorenthalten von<br />

Erkenntnissen zu seiner Erhöhung beitrug. Bei <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n Vereinigten Staaten vor sich<br />

gehen<strong>de</strong>n Maßnahmen, für die Einrichtungen und Gebräuche <strong>de</strong>r Kirche die Unterstützung<br />

<strong>de</strong>s Staates zu erlangen, folgen die Protestanten in <strong>de</strong>n Fußtapfen <strong>de</strong>r Katholiken. Ja, noch<br />

400


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

mehr, sie öffnen <strong>de</strong>m Papsttum die Tore, damit es im protestantischen Amerika die<br />

Oberherrschaft gewinne , die es in <strong>de</strong>r Alten Welt verloren hat. Was dieser Bewegung<br />

größere Be<strong>de</strong>utung gibt, ist die Tatsache, daß <strong>de</strong>r beabsichtigte Hauptzweck die<br />

Durchsetzung <strong>de</strong>r Sonntagsfeier ist — einer Gewohnheit, die in Rom ihren Ursprung hat,<br />

und die, wie es geltend macht, ein Zeichen seiner Macht ist. Es ist <strong>de</strong>r Geist <strong>de</strong>s<br />

Papsttums — <strong>de</strong>r Geist <strong>de</strong>r Übereinstimmung mit weltlichen Sitten, die Verehrung<br />

menschlicher Überlieferungen statt <strong>de</strong>r Gebote Gottes —, <strong>de</strong>r die protestantischen Kirchen<br />

durchdringt und sie dahin führt, <strong>de</strong>n Sonntag zu erheben, wie es das Papsttum vor ihnen<br />

getan hat.<br />

Will <strong>de</strong>r Leser die in <strong>de</strong>m bald anbrechen<strong>de</strong>n Kampf wirken<strong>de</strong>n Kräfte verstehen so<br />

braucht er nur <strong>de</strong>n Bericht über die Mittel und Wege zu verfolgen, die Rom in <strong>de</strong>r<br />

Vergangenheit für das gleiche Ziel angewandt hat. Möchte er wissen, wie Katholiken und<br />

Protestanten gemeinsam jene behan<strong>de</strong>ln wer<strong>de</strong>n, die ihre Glaubenssätze verwerfen, dann<br />

achte er auf <strong>de</strong>n Geist, <strong>de</strong>n Rom gegen <strong>de</strong>n Sabbat und <strong>de</strong>ssen Verteidiger bekun<strong>de</strong>t hat.<br />

Kaiserliche Erlasse, allgemeine Konzilien und Kirchenverordnungen, unterstützt von<br />

weltlicher Macht, waren die Stufen, auf <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r heidnische Festtag zu seiner<br />

Ehrenstellung in <strong>de</strong>r christlichen Welt emporstieg. Die erste öffentliche Maßnahme, die die<br />

Sonntagsfeier erzwang, war das von Konstantin erlassene Gesetz.<br />

Dieses Gesetz verlangte von <strong>de</strong>r Stadtbevölkerung, am „ehrwürdigen Tag <strong>de</strong>r Sonne“ zu<br />

ruhen, gestattete jedoch <strong>de</strong>r Landbevölkerung, ihre landwirtschaftliche Arbeit fortzusetzen.<br />

Obgleich dies eine im Grun<strong>de</strong> genommen heidnische Verordnung war, so wur<strong>de</strong> sie doch<br />

vom Kaiser durchgeführt, nach<strong>de</strong>m er angeblich das Christentum angenommen hatte. Da<br />

sich <strong>de</strong>r kaiserliche Befehl nicht als genügen<strong>de</strong>s Ersatzmittel für die göttliche Autorität<br />

erwies, stellte Eusebius, ein Bischof, <strong>de</strong>r die Gunst <strong>de</strong>r Fürsten suchte und ein beson<strong>de</strong>rer<br />

Freund und Schmeichler Konstantins war, die Behauptung auf, daß Christus <strong>de</strong>n Sabbat auf<br />

<strong>de</strong>n Sonntag verlegt habe. Kein einziges Zeugnis <strong>de</strong>r Schrift wur<strong>de</strong> als Beweis für die neue<br />

Lehre angeführt. Selbst Eusebius bekannte offen, daß sie falsch wäre, und wies auf <strong>de</strong>n<br />

wirklichen<br />

Urheber dieser Verän<strong>de</strong>rung hin, in<strong>de</strong>m er sagte: „Alles, was man am Sabbat zu tun<br />

verpflichtet war, haben wir auf <strong>de</strong>n Tag <strong>de</strong>s Herrn übertragen.“ Aber so unbegrün<strong>de</strong>t die<br />

Einsetzung <strong>de</strong>s Sonntags auch war, diente sie doch dazu, die Menschen zu ermutigen, <strong>de</strong>n<br />

Sabbat <strong>de</strong>s Herrn mit Füßen zu treten. Alle, die von <strong>de</strong>r Welt geehrt wer<strong>de</strong>n wollten,<br />

nahmen <strong>de</strong>n volkstümlichen Festtag an.<br />

Mit <strong>de</strong>r festeren Verwurzelung <strong>de</strong>s Papsttums bürgerte sich auch die Erhöhung <strong>de</strong>s<br />

Sonntags ein. Eine Zeitlang befaßten sich die Leute mit landwirtschaftlichen Arbeiten, wenn<br />

sie nicht die Kirche besuchten, während <strong>de</strong>r siebente Tag noch immer als Sabbat betrachtet<br />

wur<strong>de</strong>. Langsam aber sicher trat eine Än<strong>de</strong>rung ein. Allen, die kirchliche Ämter beklei<strong>de</strong>ten,<br />

wur<strong>de</strong> es untersagt, am Sonntag über zivile Streitigkeiten zu verhan<strong>de</strong>ln. Bald darauf erging<br />

das Gebot, daß alle Menschen, gleich welchen Stan<strong>de</strong>s — bei Geldstrafe für die Freien und<br />

401


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Rutenstreichen für die Dienen<strong>de</strong>n —, sich am Sonntag gewöhnlicher Arbeit zu enthalten<br />

hätten. Später wur<strong>de</strong> angeordnet, Reiche mit <strong>de</strong>m Verlust <strong>de</strong>r Hälfte ihres Vermögens zu<br />

bestrafen und schließlich, falls sie sich noch immer wi<strong>de</strong>rsetzlich zeigten, sie zu Sklaven zu<br />

machen. Die Angehörigen nie<strong>de</strong>rer Klassen aber sollte lebenslängliche Verbannung treffen.<br />

Angebliche Wun<strong>de</strong>rzeichen wur<strong>de</strong>n vorgebracht. Unter an<strong>de</strong>rem wur<strong>de</strong> berichtet, daß<br />

ein Landmann, <strong>de</strong>r im Begriff stand, am Sonntag sein Feld zu pflügen, vorerst <strong>de</strong>n Pflug mit<br />

einem Eisen reinigte, wobei das Eisen fest in seiner Hand steckenblieb und er es zwei Jahre<br />

lang „unter großen Schmerzen und zu seiner Schan<strong>de</strong>“ mit sich herumtragen mußte. Später<br />

gab <strong>de</strong>r Papst Anweisungen, daß Priester je<strong>de</strong>r Pfarrgemein<strong>de</strong> die Übertreter <strong>de</strong>s<br />

Sonntagsgesetzes ermahnen und bewegen sollten, in die Kirche zu gehen und zu beten, da<br />

sie sonst manch ein großes Unglück über sich und ihre Nachbarn bringen könnten. Eine<br />

Kirchenversammlung führte <strong>de</strong>n seither so allgemein, sogar von Protestanten angewandten<br />

Nachweis an, daß <strong>de</strong>r Sonntag <strong>de</strong>r Sabbat sein müsse, weil Leute, die an diesem Tage<br />

arbeiteten, vom Blitz getroffen wor<strong>de</strong>n waren. „Es ist augenscheinlich“, sagten die Prälaten,<br />

„wie groß das Mißfallen Gottes ist wegen <strong>de</strong>r Vernachläs- sigung dieses Tages.“ Dann<br />

wur<strong>de</strong> ein Aufruf erlassen, daß Priester und Prediger, Könige und Fürsten und alle treuen<br />

Untertanen „ihre äußerste Anstrengung und Sorgfalt anwen<strong>de</strong>n sollten, damit <strong>de</strong>r Tag<br />

wie<strong>de</strong>r zu seiner Ehre gelange und künftig zum Lobe <strong>de</strong>r Christenheit andächtiger beachtet<br />

wer<strong>de</strong>“.<br />

Als sich die Beschlüsse <strong>de</strong>r Kirchenversammlungen als unzulänglich erwiesen, wur<strong>de</strong>n<br />

die weltlichen Behör<strong>de</strong>n ersucht, ein Edikt zu erlassen, das die Herzen <strong>de</strong>s Volkes mit<br />

Schrecken erfüllen und es zwingen wür<strong>de</strong>, sich am Sonntag <strong>de</strong>r Arbeit zu enthalten.<br />

Anläßlich einer in Rom abgehaltenen Syno<strong>de</strong> wur<strong>de</strong>n alle früher getroffenen Entschei<strong>de</strong> mit<br />

größerer Kraft und Feierlichkeit erneut bestätigt. Sie wur<strong>de</strong>n auch <strong>de</strong>m Kirchengesetz<br />

hinzugefügt und von <strong>de</strong>n zivilen Behör<strong>de</strong>n in fast <strong>de</strong>r ganzen Christenwelt durchgesetzt.<br />

Immer noch verursachte <strong>de</strong>r Mangel an biblischen Beweisen für die Sonntagsfeier nicht<br />

geringe Be<strong>de</strong>nken. Das Volk bezweifelte die Berechtigung ihrer Lehrer, die bestimmte<br />

Erklärung <strong>de</strong>s Herrn: „Der siebente Tag ist <strong>de</strong>r Sabbat <strong>de</strong>s Herrn, <strong>de</strong>ines<br />

Gottes“ beiseitezusetzen, um <strong>de</strong>n Tag <strong>de</strong>r Sonne zu ehren. Um <strong>de</strong>n Mangel an biblischen<br />

Zeugnissen zu beheben, waren an<strong>de</strong>re Hilfsmittel nötig. Einem eifrigen Verteidiger <strong>de</strong>s<br />

Sonntags, <strong>de</strong>r ungefähr En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s zwölften Jahrhun<strong>de</strong>rts die englischen Gemein<strong>de</strong>n besuchte,<br />

wi<strong>de</strong>rstan<strong>de</strong>n treue Zeugen für die Wahrheit; seine Bemühungen waren so fruchtlos, daß er<br />

das Land eine Zeitlang verließ und versuchte, irgen<strong>de</strong>in Mittel ausfindig zu machen, um<br />

seine Lehren durchzusetzen.<br />

Als er zurückkehrte, hatte er sich das Erfor<strong>de</strong>rliche verschafft, und er erntete bei seinem<br />

späteren Wirken größeren Erfolg. Er brachte eine Schriftrolle mit, die angeblich von Gott<br />

selbst kam und das für die Sonntagsfeier benötigte Gebot sowie auch schreckliche<br />

Drohungen enthielt, um die Ungehorsamen einzuschüchtern. Er gab vor, dies kostbare<br />

Schriftstück — eine ebenso nie<strong>de</strong>rträchtige Fälschung wie die ganze Einrichtung, die es<br />

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<strong>Chaos</strong>theorie<br />

unterstützte — sei vom Himmel gefallen und in Jerusalem auf <strong>de</strong>m Altar <strong>de</strong>s heiligen<br />

Simeon auf Golgatha gefun<strong>de</strong>n wor<strong>de</strong>n. In Wirklichkeit war <strong>de</strong>r päpstliche Palast in Rom<br />

<strong>de</strong>r Ort, woher sie kam. Betrug und Fälschungen zur För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Macht und <strong>de</strong>s ansehens<br />

<strong>de</strong>r Kirche sind von <strong>de</strong>r päpstlichen Hierarchie zu allen Zeiten als gesetzlich angesehen<br />

wor<strong>de</strong>n.<br />

Das Schriftstück verbot alle Arbeit von <strong>de</strong>r neunten Stun<strong>de</strong> an, von drei Uhr<br />

samstagnachmittags bis zum Sonnenaufgang am Montag, und es wur<strong>de</strong> behauptet, seine<br />

Echtheit sei durch viele Wun<strong>de</strong>r bestätigt. Man berichtete, daß Menschen, die über die<br />

bestimmte Zeit hinaus gearbeitet hätten, vom Schlage getroffen wor<strong>de</strong>n seien. Ein Müller,<br />

<strong>de</strong>r Korn gemahlen habe, hätte statt Mehl einen Blutstrom herauskommen sehen, und das<br />

Mühlrad wäre ungeachtet <strong>de</strong>s starken Wasserstroms stehengeblieben. Eine Frau, die Teig in<br />

<strong>de</strong>n Ofen gesetzt habe, hätte ihn noch roh gefun<strong>de</strong>n, als sie ihn herausnahm, obgleich <strong>de</strong>r<br />

Ofen sehr heiß war. Eine an<strong>de</strong>re, <strong>de</strong>ren Teig um die neunte Stun<strong>de</strong> zum Backen bereit war<br />

und die sich entschloß, ihn bis Montag stehenzulassen, hätte am nächsten Tag festgestellt,<br />

daß er durch göttliche Macht zu Laiben geformt und gebacken wor<strong>de</strong>n sei. Ein Mann, <strong>de</strong>r<br />

nach <strong>de</strong>r neunten Stun<strong>de</strong> am Samstag Brot gebacken habe, hätte, als er es am nächsten<br />

Morgen brach, die Feststellung machen müssen, daß Blut herausfloß. Durch solche<br />

lächerlichen und abergläubischen Fälschungen versuchten die Verteidiger <strong>de</strong>s Sonntags<br />

<strong>de</strong>ssen Heiligkeit zu begrün<strong>de</strong>n.<br />

In Schottland wie in England wur<strong>de</strong> eine größere Rücksichtnahme auf <strong>de</strong>n Sonntag<br />

dadurch erreicht, daß man einen Teil <strong>de</strong>s alten Sabbats damit vereinte. Aber die Zeit, die<br />

heiliggehalten wer<strong>de</strong>n sollte, war unterschiedlich. Ein Erlaß <strong>de</strong>s Königs von Schottland<br />

erklärte, daß „<strong>de</strong>r Samstag von zwölf Uhr mittags an heilig erachtet wer<strong>de</strong>n sollte“, und daß<br />

niemand von dieser Stun<strong>de</strong> an bis Montag morgen sich an weltlichen Geschäften beteiligen<br />

dürfe. Aber ungeachtet aller Bemühungen, die Heiligkeit <strong>de</strong>s Sonntags einzuführen, haben<br />

die Päpstlichen selbst öffentlich die göttliche Autorität <strong>de</strong>s Sabbats und <strong>de</strong>n menschlichen<br />

Ursprung <strong>de</strong>r Einrichtung, durch die er ersetzt wor<strong>de</strong>n ist, zugegeben. Im 16. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

erklärte ein päpstliches Konzil ein<strong>de</strong>utig, alle Christen sollten be<strong>de</strong>nken, daß <strong>de</strong>r siebente<br />

Tag von Gott geheiligt und nicht nur von <strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>n angenommen und beachtet wur<strong>de</strong>,<br />

son<strong>de</strong>rn auch von allen an<strong>de</strong>rn, die vorgaben, Gott zu verehren, obgleich wir Christen ihren<br />

Sabbat in <strong>de</strong>n Tag <strong>de</strong>s Herrn umgewan<strong>de</strong>lt haben. Die sich erdreisteten, Hand an das<br />

göttliche Gesetz zu legen, waren sich <strong>de</strong>s Charakters ihres Werkes wohl bewußt. Sie<br />

erhoben sich absichtlich über Gott.<br />

Die lange und blutige Verfolgung <strong>de</strong>r Wal<strong>de</strong>nser, von <strong>de</strong>nen einige <strong>de</strong>n Sabbat hielten,<br />

zeigt in auffallen<strong>de</strong>r Weise Roms Verfahren <strong>de</strong>nen gegenüber, die nicht mit ihm<br />

übereinstimmten. An<strong>de</strong>re litten auf ähnliche Weise wegen ihrer Treue gegen das vierte<br />

Gebot. Die Geschichte <strong>de</strong>r Christen in Abessinien ist dafür beson<strong>de</strong>rs bezeichnend. Inmitten<br />

<strong>de</strong>r Finsternis <strong>de</strong>s Mittelalters verlor man die Christen in Mittelafrika aus <strong>de</strong>n Augen; sie<br />

wur<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r Welt vergessen und erfreuten sich viele Jahrhun<strong>de</strong>rte <strong>de</strong>r Freiheit, ihres<br />

403


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Glaubens leben zu können. Aber schließlich erfuhr Rom von ihrem Dasein, und <strong>de</strong>r Kaiser<br />

von Abessinien wur<strong>de</strong> bald darauf gedrängt, <strong>de</strong>n Papst als <strong>de</strong>n Stellvertreter Christi<br />

anzuerkennen. An<strong>de</strong>re Zugeständnisse folgten. Es wur<strong>de</strong> ein Edikt erlassen, das die<br />

Sabbatfeier unter Androhung härtester Strafen verbot. Aber die päpstliche Tyrannei wur<strong>de</strong><br />

bald zu einem so drücken<strong>de</strong>n Joch, daß die Abessinier sich entschlossen, es von ihrem<br />

Nacken zu schütteln. Nach einem schrecklichen Kampf wur<strong>de</strong>n die Römlinge von ihren<br />

Besitzungen verbannt und <strong>de</strong>r alte Glaube wie<strong>de</strong>rhergestellt. Die Gemein<strong>de</strong>n erfreuten sich<br />

abermals ihrer Freiheit und vergaßen nie die Lehre, die sie hinsichtlich <strong>de</strong>s Betruges, <strong>de</strong>s<br />

Fanatismus und <strong>de</strong>r bedrücken<strong>de</strong>n Macht Roms erfahren hatten. In ihrem abgeschlossenen<br />

Lan<strong>de</strong> waren sie es zufrie<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r übrigen Christenheit unbekannt zu bleiben.<br />

Die Gemein<strong>de</strong>n Afrikas hielten <strong>de</strong>n Sabbat, wie er von <strong>de</strong>r Kirche vor ihrem<br />

vollständigen Abfall gehalten wor<strong>de</strong>n war. Während sie <strong>de</strong>n siebenten Tag im Gehorsam<br />

gegen Gottes Gebot feierten, arbeiteten sie in Übereinstimmung mit <strong>de</strong>m Gebrauch <strong>de</strong>r<br />

Kirche auch am Sonntag nicht. Nach<strong>de</strong>m Rom zu höchster Macht gelangt war, trat es <strong>de</strong>n<br />

Sabbat Gottes mit Füßen, um seinen eigenen Feiertag zu erhöhen; aber die nahezu ein volles<br />

Jahrtausend verborgen gebliebenen Gemein<strong>de</strong>n Afrikas hatten an diesem Abfall keinen<br />

Anteil. Als sie unter die Herrschaft Roms kamen, wur<strong>de</strong>n sie gezwungen, <strong>de</strong>n wahren<br />

Sabbat beiseitezusetzen und <strong>de</strong>n falschen zu erhöhen; aber kaum hatten sie ihre<br />

Unabhängigkeit wie<strong>de</strong>rerlangt, so kehrten sie auch wie<strong>de</strong>r zum Gehorsam gegen das vierte<br />

Gebot zurück.<br />

Diese Berichte aus <strong>de</strong>r Vergangenheit enthüllen <strong>de</strong>utlich die Feindseligkeit Roms gegen<br />

<strong>de</strong>n wahren Sabbat und <strong>de</strong>ssen Verteidiger sowie die Mittel, die es anwandte, um seine<br />

selbstgeschaffene Einrichtung zu ehren. Das Wort Gottes lehrt, daß sich diese Dinge<br />

wie<strong>de</strong>rholen wer<strong>de</strong>n, wenn sich Katholiken und Protestanten zur Erhöhung <strong>de</strong>s Sonntags<br />

zusammenschließen. Die in Offenbarung 13 durch das Tier mit Hörnern „gleichwie ein<br />

Lamm“ dargestellte Macht wird ihren Einfluß dahingehend ausüben, „daß die Er<strong>de</strong> und die<br />

darauf wohnen“ das Papsttum anbeten. Das Tier mit <strong>de</strong>n zwei Hörnern wird auch sagen<br />

„<strong>de</strong>nen, die auf Er<strong>de</strong>n wohnen, daß sie ein Bild machen sollen <strong>de</strong>m Tier“; und ferner wird es<br />

so wirken, daß „die Kleinen und Großen, die Reichen und Armen, die Freien und<br />

Knechte“ das Malzeichen <strong>de</strong>s Tieres annehmen. Offenbarung 13,11-16.<br />

Es wur<strong>de</strong> bereits dargelegt, daß die vereinigten Staaten die Macht sind, die durch das<br />

Tier, „das hatte zwei Hörner gleichwie ein Lamm“, versinnbil<strong>de</strong>t ist und daß diese<br />

Weissagung in Erfüllung gehen wird, wenn die Vereinigten Staaten die Sonntagsheiligung,<br />

die Rom als die beson<strong>de</strong>re Anerkennung seiner Oberherrschaft beansprucht, erzwingen<br />

wer<strong>de</strong>n. In dieser Huldigung <strong>de</strong>m Papsttum gegenüber wer<strong>de</strong>n die Vereinigten Staaten nicht<br />

alleinstehen; Roms Einfluß in <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn, die einst seine Herrschaft anerkannten, ist noch<br />

längst nicht abgetan. Die Weissagung sagt eine Wie<strong>de</strong>rherstellung seiner Macht voraus: „Ich<br />

sah seiner Häupter eines, als wäre es tödlich wund; und seine tödliche Wun<strong>de</strong> ward heil.<br />

Und <strong>de</strong>r ganze Erdbo<strong>de</strong>n verwun<strong>de</strong>rte sich <strong>de</strong>s Tieres.“ Offenbarung 13,3.<br />

404


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Das Beibringen <strong>de</strong>r tödlichen Wun<strong>de</strong> weist auf <strong>de</strong>n Sturz <strong>de</strong>s Papsttums im Jahre 1798<br />

hin. Auf die hierauf folgen<strong>de</strong> Zeit weisend, sagt <strong>de</strong>r Prophet: „Seine tödliche wun<strong>de</strong> ward<br />

heil. Und <strong>de</strong>r ganze Erdbo<strong>de</strong>n verwun<strong>de</strong>rte sich <strong>de</strong>s Tieres.“ Paulus sagt ausdrücklich, daß<br />

<strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> bis zur Zeit <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft Christi fortbestehen wer<strong>de</strong>. „Lasset euch<br />

niemand verführen in keinerlei Weise; <strong>de</strong>nn er (<strong>de</strong>r Tag Christi) kommt nicht, es sei <strong>de</strong>nn,<br />

daß zuvor <strong>de</strong>r Abfall komme und offenbart wer<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>, das Kind <strong>de</strong>s<br />

Ver<strong>de</strong>rbens ... und alsdann wird <strong>de</strong>r Boshafte offenbart wer<strong>de</strong>n, welchen <strong>de</strong>r Herr<br />

umbringen wird mit <strong>de</strong>m Geist seines Mun<strong>de</strong>s und wird durch die Erscheinung seiner<br />

Zukunft ihm ein En<strong>de</strong> machen.“ 2.Thessalonicher 2,3.8. Bis ganz zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Zeit wird er<br />

sein Werk <strong>de</strong>r Täuschung fortsetzen.<br />

Der Schreiber <strong>de</strong>r Offenbarung, Johannes, erklärt: „Alle, die auf Er<strong>de</strong>n wohnen, beten<br />

es an, <strong>de</strong>ren Namen nicht geschrieben sind in <strong>de</strong>m Lebensbuch <strong>de</strong>s Lammes.“ Offenbarung<br />

13,8. In <strong>de</strong>r Alten wie in <strong>de</strong>r Neuen Welt wird <strong>de</strong>m Papsttum durch die Einführung <strong>de</strong>r<br />

Sonntagsheiligung gehuldigt, da diese einzig und allein auf <strong>de</strong>r Autorität <strong>de</strong>r römischen<br />

Kirche beruht. Schon länger als ein Jahrhun<strong>de</strong>rt haben Forscher <strong>de</strong>r Weissagungen in <strong>de</strong>n<br />

Vereinigten Staaten <strong>de</strong>r Welt dies Zeugnis vor Augen gehalten. Die jetzt stattfin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />

Ereignisse zeigen einen raschen Fortschritt zur Erfüllung <strong>de</strong>r Weissagung. Protestantische<br />

Lehrer erheben <strong>de</strong>n gleichen Anspruch auf göttliche Autorität <strong>de</strong>r Sonntagsfeier, und es<br />

herrscht ihrerseits <strong>de</strong>r gleiche Mangel an Beweisen aus <strong>de</strong>r Schrift wie bei <strong>de</strong>n päpstlichen<br />

Führern, die Wun<strong>de</strong>r ersannen, um damit ein göttliches Gebot zu ersetzen. Die Behauptung,<br />

daß Gottes Gerichte die Menschen wegen <strong>de</strong>r Übertretung <strong>de</strong>s Sonntags heimsuchen, <strong>de</strong>n<br />

man als <strong>de</strong>n Sabbat hinstellt, wird wie<strong>de</strong>rholt wer<strong>de</strong>n; man fängt bereits an, sie<br />

vorzubringen, und eine Bewegung, die Sonntagsheiligung zu erzwingen, macht schnelle<br />

Fortschritte.<br />

Erstaunlich in ihrer Geschicklichkeit ist die römische Kirche. Sie spürt gera<strong>de</strong>zu, was<br />

kommen wird. Sie wartet ruhig auf ihre Stun<strong>de</strong>, da sie sieht, daß die protestantischen<br />

Kirchen ihr durch die Annahme <strong>de</strong>s falschen Sabbats huldigen und sie sich vorbereiten,<br />

seine Anerkennung mit <strong>de</strong>n gleichen Mitteln zu erzwingen, <strong>de</strong>ren sie sich selbst in früheren<br />

Tagen bedienten. Die das Licht <strong>de</strong>r Wahrheit verwerfen, wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>nnoch die Hilfe <strong>de</strong>r nach<br />

eigener Aussage unfehlbaren Macht suchen, um eine Einrichtung zu erhöhen, die gera<strong>de</strong><br />

von jener Macht ins Leben gerufen wur<strong>de</strong>. Wie bereitwillig diese Macht dabei <strong>de</strong>n<br />

Protestanten zu Hilfe kommen wird, ist nicht schwer zu erraten. Wer versteht besser als die<br />

päpstlichen Führer mit <strong>de</strong>nen umzugehen, die <strong>de</strong>r Kirche ungehorsam sind?<br />

Die römische Kirche mit allen ihren Verzweigungen über die ganze Welt hin bil<strong>de</strong>t eine<br />

riesige Organisation, die unter <strong>de</strong>r Leitung <strong>de</strong>s päpstlichen Stuhles steht und dazu bestimmt<br />

ist, ihre Interessen wahrzunehmen. Ihre Millionen Mitglie<strong>de</strong>r in allen Län<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong><br />

wer<strong>de</strong>n unterwiesen, <strong>de</strong>m Papst treue Untertanen zu sein. Welcher Nationalität o<strong>de</strong>r<br />

Regierungsform sie auch angehören mögen, sie müssen die Autorität <strong>de</strong>r Kirche über alles<br />

schätzen. Selbst wenn sie <strong>de</strong>m Staat <strong>de</strong>n Treueid leisten, steht doch darüber das Gelüb<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

405


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Gehorsams gegen Rom, das sie je<strong>de</strong>s Versprechens entbin<strong>de</strong>t, das die Interessen Roms<br />

beeinträchtigen könnte. Die Geschichte <strong>de</strong>r römischen Kirche zeugt von ihren geschickten<br />

und hartnäckigen Bemühungen, sich in die Angelegenheiten <strong>de</strong>r Nationen einzudrängen.<br />

Hat sie da erst einmal Fuß gefaßt, verfolgt sie ohne Rücksicht auf das Wohl von Fürsten und<br />

Volk ihre eigenen Ziele. Im Jahre 1204 zwang Papst Innozenz III. <strong>de</strong>n König von Aragonien,<br />

Peter II., folgen<strong>de</strong>n außergewöhnlichen Eid abzulegen:<br />

„Ich, Peter, König <strong>de</strong>r Aragonier, bekenne und verspreche, meinem Herrn, Papst<br />

Innozenz, seinen katholischen Nachfolgern und <strong>de</strong>r römischen Kirche stets treu und<br />

gehorsam zu sein und gewissenhaft mein Reich im Gehorsam gegen ihn zu bewahren, <strong>de</strong>n<br />

köstlichen Glauben zu verteidigen und ketzerische Ver<strong>de</strong>rbtheit zu verfolgen.“ Dies stimmt<br />

mit <strong>de</strong>n Ansprüchen bezüglich <strong>de</strong>r Macht <strong>de</strong>s römischen Oberpriesters überein, daß „es ihm<br />

gesetzlich zustehe, Kaiser abzusetzen“ und daß „er Untertanen von ihrer Pflicht ungerechten<br />

Herrschern gegenüber freisprechen kann“. Wir dürfen nicht vergessen, daß sich Rom damit<br />

brüstet, unverän<strong>de</strong>rlich zu sein. Die Grundsätze Gregors VII. und Innozenz‘ III. sind noch<br />

immer die Grundsätze <strong>de</strong>r römisch-katholischen Kirche. Und hätte sie heute die Macht, sie<br />

wür<strong>de</strong> sie mit ebenso großer Energie ausüben wie in <strong>de</strong>n vergangenen Jahrhun<strong>de</strong>rten. Die<br />

Protestanten wissen kaum, was sie tun, wenn sie vorschlagen, bei <strong>de</strong>r Erhöhung <strong>de</strong>s<br />

Sonntags die Hilfe Roms annehmen zu wollen. Während sie entschlossen sind, ihr Vorhaben<br />

auszuführen, strebt Rom nach Wie<strong>de</strong>rherstellung seiner Macht, um seine verlorene Oberhoheit<br />

wie<strong>de</strong>rzugewinnen. Laßt in <strong>de</strong>n Vereinigten Staaten erst <strong>de</strong>n Grundsatz eingeführt sein,<br />

daß die Kirche die Macht <strong>de</strong>s Staates beherrschen o<strong>de</strong>r für sich einsetzen darf, daß religiöse<br />

Verordnungen durch weltliche Gesetze erzwungen wer<strong>de</strong>n können — kurz, daß die<br />

Autorität von Kirche und Staat über das Gewissen zu gebieten hat: <strong>de</strong>r Triumph Roms in<br />

diesem Lan<strong>de</strong> wird gesichert sein.<br />

Das Wort Gottes hat vor <strong>de</strong>r herannahen<strong>de</strong>n Gefahr gewarnt; bleibt diese Warnung<br />

unbeachtet, so wird die protestantische Welt erfahren, was Roms Absichten wirklich sind;<br />

doch erst wenn es zu spät ist, <strong>de</strong>n Schlingen zu entrinnen. Rom nimmt im stillen an Macht<br />

zu. Seine Lehren üben auf Parlamente, auf Kirchen und auf die Herzen <strong>de</strong>r Menschen ihren<br />

Einfluß aus. Es türmt seine hohen und gewaltigen Bauwerke auf, in <strong>de</strong>ren geheimen<br />

Verliesen sich die früheren Verfolgungen wie<strong>de</strong>rholen wer<strong>de</strong>n. Heimlich und unverdächtig<br />

stärkt es seine Kräfte, um seine Endziele zu för<strong>de</strong>rn, wenn die Zeit da ist, zum Schlag<br />

auszuholen. Alles, wonach es verlangt, ist eine günstige Angriffsposition, und diese ist ihm<br />

bereits zugestan<strong>de</strong>n. Wir wer<strong>de</strong>n bald sehen und fühlen, wohin römischer Geist zielt. Wer<br />

<strong>de</strong>m Worte Gottes glauben und gehorchen will, wird sich dadurch Schmach und Verfolgung<br />

zuziehen.<br />

406


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

407


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 36- Der kommen<strong>de</strong> Kampf<br />

Seit beginn <strong>de</strong>s großen Streites im Himmel ist es Satans Plan, Gottes Gesetz<br />

umzustoßen. Um dieses Ziel zu erreichen, hat er sich gegen <strong>de</strong>n Schöpfer empört; und<br />

obgleich er <strong>de</strong>shalb aus <strong>de</strong>m Himmel verstoßen wur<strong>de</strong>, hat er <strong>de</strong>nselben Kampf auf Er<strong>de</strong>n<br />

fortgesetzt. Die Menschen zu täuschen und sie zur Übertretung <strong>de</strong>s Gesetzes Gottes zu<br />

veranlassen, ist das Ziel, <strong>de</strong>m er beharrlich nachjagt. Ob dies nun erreicht wird, in<strong>de</strong>m man<br />

das ganze Gesetz umstößt o<strong>de</strong>r nur eines seiner Gebote verwirft: die Folgen wer<strong>de</strong>n letzten<br />

En<strong>de</strong>s dieselben sein. Wer da „sündigt an einem“, verachtet dadurch das ganze Gesetz; sein<br />

Einfluß sowie sein Beispiel stehen auf <strong>de</strong>r Seite <strong>de</strong>r Übertretung; er wird es „ganz schuldig“.<br />

Jakobus 2,10.<br />

In<strong>de</strong>m Satan die göttlichen Gebote verächtlich zu machen suchte, hat er die Lehren <strong>de</strong>r<br />

Bibel verfälscht und dadurch Tausen<strong>de</strong>n, die bekennen, sich an die Schrift zu halten,<br />

Irrtümer in ihren Glauben gepflanzt. Der letzte große Kampf zwischen Wahrheit und Irrtum<br />

ist das entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Ringen in <strong>de</strong>m langanhalten<strong>de</strong>n Streit über Gottes Gesetz. Wir sind<br />

jetzt im Begriff, diesen Kampf aufzunehmen: einen Kampf zwischen <strong>de</strong>n Gesetzen <strong>de</strong>r<br />

Menschen und <strong>de</strong>n Geboten <strong>de</strong>s Herrn, zwischen <strong>de</strong>r Religion <strong>de</strong>r Heiligen Schrift und <strong>de</strong>r<br />

Religion <strong>de</strong>r Fabeln und Überlieferungen.<br />

Die Kräfte, die sich in diesem Streit gegen Wahrheit und Gerechtigkeit vereinen, sind<br />

nun an <strong>de</strong>r Arbeit. Gottes heiliges Wort, das uns unter soviel Lei<strong>de</strong>n und Blutvergießen<br />

überliefert ist, wird nur wenig geschätzt. Die Bibel ist allen erreichbar; aber nur wenige<br />

nehmen sie wirklich als Wegweiser zum Leben an. Der Unglaube nimmt in erschrecken<strong>de</strong>m<br />

Maße überhand, nicht nur in <strong>de</strong>r Welt, son<strong>de</strong>rn auch in <strong>de</strong>r Kirche. Viele verleugnen Lehren,<br />

die die eigentlichen Grund- pfeiler <strong>de</strong>s christlichen Glaubens sind. Die erhabenen Tatsachen<br />

<strong>de</strong>r Schöpfung, wie sie von durch Gottes Geist geleiteten Schreibern dargestellt wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r<br />

Fall <strong>de</strong>s Menschen, die Versöhnung und die ewige Gültigkeit <strong>de</strong>s Gesetzes Gottes wer<strong>de</strong>n<br />

tatsächlich von einem großen Teil angeblicher Christen entwe<strong>de</strong>r ganz o<strong>de</strong>r teilweise<br />

verworfen. Tausen<strong>de</strong>, die sich mit ihrer Weisheit und Unabhängigkeit brüsten, betrachten es<br />

als ein Zeichen <strong>de</strong>r Schwäche, unbedingtes Vertrauen in die Heilige Schrift zu setzen; sie<br />

halten es für einen Beweis <strong>de</strong>r Überlegenheit und Gelehrsamkeit, die Heilige Schrift zu<br />

bekritteln und ihre wichtigsten Wahrheiten zu vergeistigen und zu entkräften. Viele Prediger<br />

lehren ihre Gemein<strong>de</strong>n und viele Professoren und Lehrer unterweisen ihre Schüler, daß<br />

Gottes Gesetz verän<strong>de</strong>rt o<strong>de</strong>r aufgehoben wor<strong>de</strong>n sei und daß alle, die glauben, seine<br />

Anfor<strong>de</strong>rungen seien noch immer gültig und müßten buchstäblich beachtet wer<strong>de</strong>n, nur<br />

Spott und Schmach verdienen.<br />

Durch die Verachtung <strong>de</strong>r Wahrheit verwerfen die Menschen <strong>de</strong>ren Urheber. In<strong>de</strong>m sie<br />

das Gesetz Gottes mit Füßen treten, leugnen sie die Autorität <strong>de</strong>s Gesetzgebers. Es ist<br />

ebenso leicht, sich einen Götzen aus falschen Lehren und <strong>Theorie</strong>n zu errichten, wie ein<br />

Götzenbild aus Holz o<strong>de</strong>r Stein zu formen. Durch Satans lügenhafte Darstellung <strong>de</strong>r<br />

408


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Eigenschaften Gottes machen sich die Menschen einen falschen Begriff vom Wesen ihres<br />

Schöpfers. Von vielen wird ein philosophischer Götze an Stelle Gottes, <strong>de</strong>s Allerhöchsten,<br />

auf <strong>de</strong>n Thron erhoben, und <strong>de</strong>r lebendige Gott, wie er in seinem Wort, in Christus und in<br />

seinen Schöpfungswerken offenbart ist, wird nur von wenigen verehrt. Tausen<strong>de</strong> vergöttern<br />

die Natur, während sie <strong>de</strong>n Gott <strong>de</strong>r Natur leugnen. Obwohl sich die Form gewan<strong>de</strong>lt hat, so<br />

besteht doch <strong>de</strong>r Götzendienst in <strong>de</strong>r heutigen christlichen Welt ebenso wirklich, wie er im<br />

alten Israel in <strong>de</strong>n Tagen Elias ausgeübt wur<strong>de</strong>. Der Gott vieler angeblich weiser Männer,<br />

Philosophen, Dichter, Staatsmänner, Journalisten, <strong>de</strong>r Gott vornehmer Kreise, vieler<br />

Hochschulen und Universitäten, ja sogar einiger theologischer Anstalten ist nicht viel besser<br />

als Baal, <strong>de</strong>r Sonnengott <strong>de</strong>r Phönizier.<br />

Kein von <strong>de</strong>r christlichen Welt angenommener Irrtum stößt kühner gegen die Autorität<br />

<strong>de</strong>s Himmels vor, keiner geht so unmittelbar gegen die Vernunft o<strong>de</strong>r ist ver<strong>de</strong>rblicher in<br />

seinen Folgen als die so rasch um sich greifen<strong>de</strong> Lehre <strong>de</strong>r Neuzeit, daß das Gesetz Gottes<br />

für die Menschen nicht mehr bin<strong>de</strong>nd sei. Je<strong>de</strong>s Land hat seine Gesetze, die Achtung und<br />

Gehorsam gebieten; keine Regierung könnte ohne sie bestehen. Wie kann man sich<br />

vorstellen, daß <strong>de</strong>r Schöpfer <strong>de</strong>s Himmels und <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> kein Gesetz habe, um die Geschöpfe<br />

zu regieren, die er erschaffen hat? Wie lange wür<strong>de</strong>n hervorragen<strong>de</strong> Geistliche auf <strong>de</strong>r<br />

Kanzel gedul<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n, falls sie lehrten, daß die Gesetze zum Schutz <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s und <strong>de</strong>r<br />

Rechte seiner Bürger nicht verbindlich seien, daß sie die Freiheit <strong>de</strong>s Volkes einschränkten<br />

und <strong>de</strong>shalb nicht befolgt wer<strong>de</strong>n sollten? Ist es jedoch ein schwereres Vergehen, die<br />

Gesetze von Staaten und Län<strong>de</strong>rn zu mißachten, als jene göttlichen Verordnungen mit<br />

Füßen zu treten, die die sittliche Grundlage je<strong>de</strong>r Regierung sind?<br />

Es wäre eher verständlich, daß Staaten ihre Gesetze aufhöben und <strong>de</strong>n Menschen<br />

gestatteten, zu han<strong>de</strong>ln wie es ihnen gefällt, als das Gesetz <strong>de</strong>s Herrschers <strong>de</strong>r Welt zunichte<br />

zu machen und die Er<strong>de</strong> ohne einen Maßstab zu lassen, um die Schuldigen verurteilen o<strong>de</strong>r<br />

die Gehorsamen rechtfertigen zu können. Kennen wir die Folgen <strong>de</strong>r Aufhebung <strong>de</strong>s<br />

Gesetzes Gottes? Der Versuch ist gemacht wor<strong>de</strong>n. Schrecklich waren die in Frankreich<br />

sich abspielen<strong>de</strong>n Vorgänge, als <strong>de</strong>r Atheismus zur herrschen<strong>de</strong>n Macht wur<strong>de</strong>. Damals<br />

wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Welt gezeigt, daß die Beschränkungen abzuschütteln, die Gott auferlegt hat,<br />

nichts an<strong>de</strong>res heißt, als die Herrschaft <strong>de</strong>r grausamsten Wüteriche anzunehmen. Wenn die<br />

Richtschnur <strong>de</strong>r Gerechtigkeit beiseitegesetzt wird, steht <strong>de</strong>m Fürsten <strong>de</strong>r Finsternis <strong>de</strong>r<br />

Weg offen, seine Herrschaft auf Er<strong>de</strong>n aufzurichten.<br />

Wo die göttlichen Vorschriften verworfen wer<strong>de</strong>n, hört die Sün<strong>de</strong> auf sündhaft o<strong>de</strong>r die<br />

Gerechtigkeit wünschenswert zu erscheinen. Die sich weigern, <strong>de</strong>r Herrschaft Gottes<br />

untertan zu sein, sind völlig unfähig, sich selbst zu regieren. Durch ihre ver<strong>de</strong>rblichen<br />

Lehren pflanzen sie <strong>de</strong>n Geist <strong>de</strong>r Zuchtlosigkeit in die Herzen <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r und <strong>de</strong>r Jugend,<br />

die von Natur aus Beschränkungen nur mit Ungeduld ertragen, und ein gesetzloses,<br />

ungebändigtes Verhalten <strong>de</strong>r Gesellschaft ist die Folge. Während viele über die<br />

Leichtgläubigkeit jener spotten, die <strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen Gottes gehorchen, nehmen sie<br />

409


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

bereitwillig die Täuschungen Satans an. Sie lassen <strong>de</strong>r Lust freien Lauf und begehen Sün<strong>de</strong>n,<br />

die einst Strafgerichte über die Hei<strong>de</strong>n gebracht haben.<br />

Wer das Volk Gottes lehrt, die Gebote Gottes geringzuachten, sät Ungehorsam, um<br />

Ungehorsam zu ernten. Beseitigte man völlig die durch das göttliche Gesetz auferlegten<br />

Beschränkungen, so wür<strong>de</strong>n alle menschlichen Gesetze bald mißachtet wer<strong>de</strong>n. Weil Gott<br />

unehrbare Handlungen, Begier<strong>de</strong>n, Lügen und Betrug verbietet, wollen die Menschen seine<br />

Verordnungen als ein Hin<strong>de</strong>rnis für ihr weltliches Wohlergehen mit Füßen treten; aber die<br />

Folgen dieser Handlungsweise wür<strong>de</strong>n <strong>de</strong>rartig sein, wie sie sie nicht erwarteten. Wäre das<br />

Gesetz nicht bin<strong>de</strong>nd, warum sollte sich irgend jemand fürchten, es zu übertreten? Das<br />

Eigentum wäre nicht mehr sicher. Die Menschen wür<strong>de</strong>n sich die Habe ihres Nächsten mit<br />

Gewalt aneignen, und die Stärksten wür<strong>de</strong>n die Reichsten wer<strong>de</strong>n. Selbst vor <strong>de</strong>m Leben<br />

hätte man keine Ehrfurcht. Das Ehegelüb<strong>de</strong> sähe man nicht mehr als ein heiliges Bollwerk<br />

zum Schutz <strong>de</strong>r Familie an. Wer die Macht hätte, wür<strong>de</strong>, falls ihn danach verlangte, seines<br />

Nächsten Weib mit Gewalt nehmen. Das fünfte Gebot bliebe einschließlich <strong>de</strong>s vierten<br />

unbeachtet. Kin<strong>de</strong>r wür<strong>de</strong>n nicht davor zurückschrecken, ihre Eltern zu töten, wenn sie<br />

dadurch das Verlangen ihres ver<strong>de</strong>rbten Herzens stillen könnten. Die gesittete Welt führte<br />

sich auf wie eine Hor<strong>de</strong> von Räubern und Mör<strong>de</strong>rn; und Frie<strong>de</strong>, Ruhe und Glück wären von<br />

<strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> verbannt.<br />

Die Lehre, daß die Menschen von <strong>de</strong>m Gehorsam gegen Gottes For<strong>de</strong>rungen entbun<strong>de</strong>n<br />

seien, hat die Kraft <strong>de</strong>r sittlichen Verpflichtung bereits geschwächt und <strong>de</strong>r Welt die<br />

Schleusen <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit geöffnet. Gesetzlosigkeit, Verschwendung und Ver<strong>de</strong>rbtheit<br />

strömen auf uns ein gleich einer überschwemmen<strong>de</strong>n Flut. In <strong>de</strong>r Familie ist Satan am<br />

Wirken. Sein Banner weht sogar in angeblich christlichen Häusern. Man fin<strong>de</strong>t dort Neid,<br />

böse Mutmaßungen, Heuchelei, Entfremdung, Zwietracht, Streit, Verrat <strong>de</strong>s heiligen<br />

Vertrauens, Befriedigung sinnlicher Begier<strong>de</strong>n. Der ganze Bau religiöser Grundsätze und<br />

Lehren, die die Grundlage und das Gerüst <strong>de</strong>s gesellschaftlichen Lebens bil<strong>de</strong>n sollte,<br />

scheint ins Schwanken gekommen zu sein, bereit zu verfallen. Die gemeinsten Verbrecher,<br />

die wegen ihrer Vergehen ins Gefängnis geworfen sind, wer<strong>de</strong>n oft mit Gaben und<br />

Aufmerksamkeit bedacht, als sei ihre Haft eine benei<strong>de</strong>nswerte<br />

Auszeichnung. Ihr Charakter und ihre Verbrechen wer<strong>de</strong>n in sensationeller Weise <strong>de</strong>r<br />

Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Presse veröffentlicht die empören<strong>de</strong>n Einzelheiten<br />

eines Verbrechens und weiht auf diese Weise an<strong>de</strong>re in die Ausübung von Betrug, Räuberei<br />

und Mord ein, während Satan über <strong>de</strong>n Erfolg seiner höllischen Anschläge frohlockt. Das<br />

Liebäugeln mit <strong>de</strong>m Laster, die leichtfertigen Mordtaten, die schreckliche Zunahme <strong>de</strong>r<br />

Unmäßigkeit und Bosheit je<strong>de</strong>r Art und je<strong>de</strong>n Gra<strong>de</strong>s sollten alle Gottesfürchtigen<br />

veranlassen zu forschen, was getan wer<strong>de</strong>n könnte, um <strong>de</strong>r Flut <strong>de</strong>s Übels Einhalt zu<br />

gebieten.<br />

Die Gerichtshöfe sind ver<strong>de</strong>rbt. Herrscher wer<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>m Verlangen nach Gewinn und<br />

Liebe zu sinnlichen Vergnügungen getrieben. Unmäßigkeit hat die Fähigkeiten vieler<br />

410


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Menschen getrübt, so daß Satan eine nahezu vollständige Herrschaft über sie ausübt.<br />

Rechtsgelehrte wer<strong>de</strong>n verführt, bestochen, hintergangen. Trunksucht und Schwelgerei,<br />

Lei<strong>de</strong>nschaft, Neid, Unehrlichkeit in je<strong>de</strong>r Weise wer<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>nen verübt, die die Gesetze<br />

handhaben. „Das Recht ist zurückgewichen und Gerechtigkeit fern getreten; <strong>de</strong>nn die<br />

Wahrheit fällt auf <strong>de</strong>r Gasse, und Recht kann nicht einhergehen.“ Jesaja 59,14.<br />

Die Bosheit und geistliche Finsternis, die unter <strong>de</strong>r Oberherrschaft <strong>de</strong>r römischen<br />

Kirche überhandnehmen, sind die unausbleibliche Folge ihrer Unterdrückung <strong>de</strong>r Heiligen<br />

Schrift. Wo aber liegt die Ursache <strong>de</strong>r weitverbreiteten Gottlosigkeit, <strong>de</strong>r Verwerfung <strong>de</strong>s<br />

Gesetzes Gottes und <strong>de</strong>r daraus folgen<strong>de</strong>n Ver<strong>de</strong>rbtheit unter <strong>de</strong>m vollen Licht <strong>de</strong>s<br />

Evangeliums in einem Zeitalter religiöser Freiheit? Jetzt, da Satan die Welt nicht länger<br />

unter seiner Herrschaft halten kann, in<strong>de</strong>m er ihr die Heilige Schrift entzieht, nimmt er zu<br />

an<strong>de</strong>ren Mitteln seine Zuflucht, um dasselbe Ziel zu erreichen. Den Glauben an die Bibel zu<br />

zerstören, dient seiner Absicht ebensosehr, als die Bibel selbst zu vernichten. Durch die<br />

Auffassung, daß Gottes Gesetze nicht bin<strong>de</strong>nd seien, bringt er die Menschen ebenso<br />

erfolgreich dahin, sie zu übertreten, als wenn sie über <strong>de</strong>ren Vorschriften überhaupt nichts<br />

wüßten.<br />

Auch gegenwärtig hat er, wie in früheren Zeiten, durch die Kirche gewirkt, um seine<br />

Absichten zu för<strong>de</strong>rn. Religiöse Gemeinschaften haben sich geweigert, auf die in <strong>de</strong>r<br />

Heiligen Schrift <strong>de</strong>utlich vor Augen geführten, beim Volke unbeliebten Wahrheiten zu<br />

achten. In<strong>de</strong>m sie diese bekämpfen, nehmen sie eine Auslegung an und behaupten einen<br />

Standpunkt,durch <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Samen <strong>de</strong>s Unglaubens gesät wird. Den päpstlichen Irrtum von<br />

<strong>de</strong>r natürlichen Unsterblichkeit und <strong>de</strong>m Bewußtseinszustand <strong>de</strong>s Menschen im To<strong>de</strong><br />

festhaltend, haben sie die einzige Schutzwehr gegen die Täuschungen <strong>de</strong>s Spiritismus<br />

verworfen. Die Lehre von <strong>de</strong>r ewigen Qual hat viele Menschen verleitet, die Aussagen <strong>de</strong>r<br />

Heiligen Schrift anzuzweifeln. Und wenn die Ansprüche <strong>de</strong>s vierten Gebotes <strong>de</strong>m Volk<br />

klargemacht wer<strong>de</strong>n und es zeigt sich, daß die Beachtung <strong>de</strong>s Siebenten-Tag-Sabbats zur<br />

Pflicht gemacht wird, dann erklären viele volkstümliche Lehrer als einzigen Ausweg, sich<br />

von einer Pflicht zu befreien, die sie nicht erfüllen wollen, daß Gottes Gesetz nicht mehr<br />

bin<strong>de</strong>nd sei. Auf diese Weise verwerfen sie bei<strong>de</strong>s zusammen, das Gesetz und <strong>de</strong>n Sabbat.<br />

Wenn sich die Sabbatreform aus<strong>de</strong>hnt, wird die Verwerfung <strong>de</strong>s göttlichen Gesetzes, um die<br />

Ansprüche <strong>de</strong>s vierten Gebotes zu umgehen, nahezu allgemein üblich wer<strong>de</strong>n. Die Lehren<br />

verantwortlicher religiöser Männer haben <strong>de</strong>m Unglauben, <strong>de</strong>m Spiritismus und <strong>de</strong>r<br />

Verachtung <strong>de</strong>s heiligen Gesetzes Gottes die Tore geöffnet. Auf diesen leiten<strong>de</strong>n Männern<br />

liegt eine furchtbare Verantwortung für die Gottlosigkeit, die in <strong>de</strong>r christlichen Welt<br />

vorhan<strong>de</strong>n ist.<br />

Dennoch erhebt gera<strong>de</strong> diese selbe Gruppe die Behauptung, daß die schnell<br />

überhandnehmen<strong>de</strong> Ver<strong>de</strong>rbnis großenteils <strong>de</strong>r Entheiligung <strong>de</strong>s sogenannten „christlichen<br />

Sabbats“ zuzuschreiben sei, und daß die strikte Durchführung <strong>de</strong>r Sonntagsfeier die Sitten<br />

<strong>de</strong>s Volkes um vieles bessern wür<strong>de</strong>. Diese Behauptung wird beson<strong>de</strong>rs in Amerika<br />

411


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

aufgestellt, wo die Lehre vom wahren Sabbat schon weit und breit gepredigt wor<strong>de</strong>n ist.<br />

Dort wird das Mäßigkeitswerk, eine <strong>de</strong>r hervorragendsten und wichtigsten aller sittlichen<br />

Reformen, oft mit <strong>de</strong>r Sonntagsbewegung verbun<strong>de</strong>n, und ihre Anhänger treten auf, als<br />

wirkten sie für das höchste Wohl <strong>de</strong>r Gesellschaft; und alle, die sich weigern, sich mit ihnen<br />

zu verbin<strong>de</strong>n, wer<strong>de</strong>n als Fein<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Mäßigkeit und <strong>de</strong>r Reform verschrien.<br />

Aber die Tatsache, daß mit einer an und für sich guten Maßnahme eine Bewegung<br />

verbun<strong>de</strong>n ist, die einen Irrtum verkündigt, spricht nicht zu <strong>de</strong>ren Gunsten. Wir können das<br />

Gift mit gesun<strong>de</strong>r Nahrung vermischen und dadurch unkenntlich machen, aber auf diese<br />

Weise verän<strong>de</strong>rn wir seine Natur nicht. Im Gegenteil, es wird nur noch gefährlicher, da man<br />

es <strong>de</strong>sto leichter unversehens nimmt. Es ist eine <strong>de</strong>r Listen Satans, mit <strong>de</strong>r Lüge gera<strong>de</strong> so<br />

viel Wahrheit zu verbin<strong>de</strong>n, damit sie glaubwürdig erscheint. Die leiten<strong>de</strong>n Männer <strong>de</strong>r<br />

Sonntagsbewegung mögen Reformen vertreten, die das Volk nötig hat, und Grundsätze, die<br />

mit <strong>de</strong>r Bibel übereinstimmen; und doch können sich <strong>de</strong>s Herrn Knechte nicht mit ihnen<br />

vereinen, weil damit eine For<strong>de</strong>rung verbun<strong>de</strong>n ist, die <strong>de</strong>m Gesetz Gottes zuwi<strong>de</strong>rläuft.<br />

Nichts kann die Beseitigung <strong>de</strong>r Gebote Gottes zugunsten menschlicher Vorschriften<br />

rechtfertigen.<br />

Durch die zwei großen Irrtümer, die Unsterblichkeit <strong>de</strong>r Seele und die Heiligkeit <strong>de</strong>s<br />

Sonntags, wird Satan das Volk unter seine Täuschungen bringen. Während jener <strong>de</strong>n Grund<br />

für <strong>de</strong>n Spiritismus legt, schafft dieser ein Band <strong>de</strong>r Übereinstimmung mit Rom. Die<br />

Protestanten <strong>de</strong>r Vereinigten Staaten wer<strong>de</strong>n die ersten sein, die ihre Hän<strong>de</strong> über <strong>de</strong>n<br />

Abgrund ausstrecken, um die Hand <strong>de</strong>s Spiritismus zu erfassen; sie wer<strong>de</strong>n über die Kluft<br />

hinüberreichen zum Handschlag mit <strong>de</strong>r römischen Macht, und unter <strong>de</strong>m Einfluß dieser<br />

dreifachen Verbindung wird jenes Land <strong>de</strong>n Fußtapfen Roms folgen und die<br />

Gewissensrechte mit Füßen treten.<br />

Da sich <strong>de</strong>r Spiritismus <strong>de</strong>m heutigen Namenschristentum anpaßt, hat er größere Macht,<br />

zu hintergehen und zu verstricken. Satan selbst hat sich zu <strong>de</strong>r neuen Ordnung <strong>de</strong>r Dinge<br />

bekehrt. Er wird als ein Engel <strong>de</strong>s Lichts erscheinen. Durch die Wirksamkeit <strong>de</strong>s Spiritismus<br />

wer<strong>de</strong>n Wun<strong>de</strong>r geschehen; Kranke wer<strong>de</strong>n geheilt und viele unstreitig übernatürliche Taten<br />

vollbracht wer<strong>de</strong>n. Und da die Geister ihren Glauben an die Bibel beteuern und Achtung vor<br />

<strong>de</strong>n Einrichtungen <strong>de</strong>r Kirche bekun<strong>de</strong>n, wird ihr Werk als eine Offenbarung göttlicher<br />

Macht angenommen wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Grenzlinie zwischen <strong>de</strong>n bekennen<strong>de</strong>n Christen und <strong>de</strong>n Gottlosen ist gegenwärtig<br />

kaum erkennbar. Glie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Kirche lieben, was die Welt liebt, und sind bereit, sich mit ihr<br />

zu vereinen. Satan ist fest entschlossen, sie zu einer Gemeinschaft zu verbin<strong>de</strong>n und seine<br />

Sache dadurch zu stärken, daß er alle in die Reihen <strong>de</strong>s Spiritismus treibt. Katholiken, die<br />

Wun<strong>de</strong>r als ein Zeichen <strong>de</strong>r wahren Kirche ansehen, wer<strong>de</strong>n durch diese Wun<strong>de</strong>r wirken<strong>de</strong><br />

Macht leicht getäuscht wer<strong>de</strong>n; und Protestanten, die <strong>de</strong>n Schild <strong>de</strong>r Wahrheit von sich<br />

geworfen haben, wer<strong>de</strong>n ebenfalls hintergangen. Katho- liken, Protestanten und<br />

Weltmenschen wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Schein eines gottseligen Wesens annehmen, während sie <strong>de</strong>ssen<br />

412


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kraft verleugnen. Sie wer<strong>de</strong>n in dieser Vereinigung eine große Bewegung sehen, die die<br />

Welt bekehrt und die lang erwartete tausendjährige Regierung Christi ankündigt.<br />

Durch <strong>de</strong>n Spiritismus erscheint Satan als Wohltäter <strong>de</strong>s Menschengeschlechts, in<strong>de</strong>m<br />

er die Krankheiten <strong>de</strong>s Volkes heilt und vorgibt, eine neue und erhabenere Religion<br />

einzuführen; gleichzeitig aber wirkt er als Zerstörer. Seine Versuchungen führen Scharen<br />

von Menschen ins Ver<strong>de</strong>rben. Die Unmäßigkeit entthront die Vernunft; sinnliche<br />

Befriedigung, Streit und Blutvergießen folgen. Satan ergötzt sich am Krieg; <strong>de</strong>nn dieser<br />

erweckt die schlimmsten Lei<strong>de</strong>nschaften <strong>de</strong>r Seele und rafft dann seine in Laster und Blut<br />

untergetauchten Opfer hinweg in die Ewigkeit. Es ist daher Satans Absicht, die Völker<br />

gegeneinan<strong>de</strong>r zum Krieg aufzuhetzen; <strong>de</strong>nn auf diese Weise kann er die Gedanken <strong>de</strong>r<br />

Menschen von <strong>de</strong>n Vorbereitungen ablenken, die sie befähigen wür<strong>de</strong>n, am Tage Gottes zu<br />

bestehen.<br />

Satan wirkt auch durch die Elemente, um seine Ernte, die unvorbereiteten Seelen,<br />

einzusammeln. Er hat die Geheimnisse <strong>de</strong>s Laboratoriums <strong>de</strong>r Natur studiert, und er setzt<br />

seine ganze Macht darein, um die Elemente zu beherrschen, soweit Gott es zuläßt. Als es<br />

ihm gestattet war, Hiob heimzusuchen, da waren Her<strong>de</strong>n, Knechte, Häuser, Kin<strong>de</strong>r schnell<br />

hinweggerafft, ein Unglück folgte unmittelbar auf das an<strong>de</strong>re. Gott behütet seine Geschöpfe<br />

und bewahrt sie vor <strong>de</strong>r Macht <strong>de</strong>s Ver<strong>de</strong>rbens. Die christliche Welt hat das Gesetz <strong>de</strong>s<br />

Herrn verachtet, und <strong>de</strong>r Herr wird genau das tun, was er angekündigt hat ausführen zu<br />

wollen: er wird <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> seinen Segen entziehen und seinen fürsorgen<strong>de</strong>n Schutz von <strong>de</strong>nen<br />

nehmen, die sich gegen sein Gesetz empören und an<strong>de</strong>re lehren und zwingen, dasselbe zu<br />

tun. Satan herrscht über alle, die nicht unter Gottes beson<strong>de</strong>rem Schutz stehen. Er wird<br />

manche begünstigen und för<strong>de</strong>rn, um seine eigenen Absichten voranzubringen; auf an<strong>de</strong>re<br />

wird er Schwierigkeiten herabbeschwören und die Menschen glauben machen, es sei Gott,<br />

<strong>de</strong>r sie peinige.<br />

Während er <strong>de</strong>n Menschenkin<strong>de</strong>rn als ein großer Arzt erscheint, <strong>de</strong>r alle ihre<br />

Krankheiten heilen kann, wird er Gebrechen und Unheil bringen, bis volkreiche Städte in<br />

Trümmer und Einö<strong>de</strong>n verwan<strong>de</strong>lt sind. Gera<strong>de</strong> jetzt ist er am Wirken. In Unfällen und Not<br />

zu Wasser und zu Lan<strong>de</strong>, in großen Feuersbrünsten, in wüten<strong>de</strong>n Wirbelstürmen und<br />

schrecklichen Hagelwettern, in Orkanen, Überschwemmungen, Springfluten und Erdbeben,<br />

an allen Orten und in tausen<strong>de</strong>rlei Gestalt übt Satan seine Macht aus. Er fegt die reifen<strong>de</strong><br />

Ernte hinweg, und Hungersnot und Elend folgen. Er erfüllt die Luft mit einer tödlichen<br />

Seuche, und Tausen<strong>de</strong> kommen durch Pestilenz um. Die Heimsuchungen wer<strong>de</strong>n immer<br />

häufiger und unheilvoller wer<strong>de</strong>n. Das Ver<strong>de</strong>rben wird über Menschen wie über Tiere<br />

kommen. „Das Land steht jämmerlich und ver<strong>de</strong>rbt ... die Höchsten <strong>de</strong>s Volks ... nehmen ab.<br />

Das Land ist entheiligt von seinen Einwohnern; <strong>de</strong>nn sie übertreten das Gesetz und än<strong>de</strong>rn<br />

die Gebote und lassen fahren <strong>de</strong>n ewigen Bund.“ Jesaja 24,4.5.<br />

Alsdann wird <strong>de</strong>r große Betrüger <strong>de</strong>n Menschen einre<strong>de</strong>n, daß diejenigen, die Gott<br />

dienen, diese Übelstän<strong>de</strong> verursachen. Die Seelen, die das Mißfallen <strong>de</strong>s Himmels<br />

413


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

herausgefor<strong>de</strong>rt haben, wer<strong>de</strong>n all ihr Unglück <strong>de</strong>nen zur Last legen, <strong>de</strong>ren Gehorsam gegen<br />

Gottes Gebote <strong>de</strong>n Übertretern ein beständiger Vorwurf ist. Man wird erklären, daß die<br />

Menschen durch die Mißachtung <strong>de</strong>r Sonntagsfeier Gott beleidigen, daß diese Sün<strong>de</strong> ein<br />

Elend herbeigeführt habe, das nicht aufhören wer<strong>de</strong>, bis man die Heiligung <strong>de</strong>s Sonntags<br />

streng einschärfe, und daß die, welche die Ansprüche <strong>de</strong>s vierten Gebots aufrechterhalten<br />

und dadurch die Achtung vor <strong>de</strong>m Sonntag zugrun<strong>de</strong> richten, das Volk beschweren und<br />

seine Wie<strong>de</strong>reinsetzung in göttliche Gna<strong>de</strong> und zeitliches Wohlergehen verhin<strong>de</strong>rn. Auf<br />

diese Weise wird die einst gegen die Diener Gottes vorgebrachte Anklage, und zwar aus <strong>de</strong>n<br />

gleichen Grün<strong>de</strong>n, wie<strong>de</strong>rholt wer<strong>de</strong>n: „Und da Ahab Elia sah, sprach Ahab zu ihm: Bist du,<br />

<strong>de</strong>r Israel verwirrt? Er aber sprach: Ich verwirre Israel nicht, son<strong>de</strong>rn du und <strong>de</strong>ines Vaters<br />

Haus, damit daß ihr <strong>de</strong>s Herrn Gebote verlassen habt und wan<strong>de</strong>lt <strong>de</strong>n Baalim<br />

nach.“ 1.Könige 18,17.18. Wenn <strong>de</strong>r Menschen Zorn durch falsche Anschuldigungen erregt<br />

sein wird, wer<strong>de</strong>n sie gegen die Gesandten Gottes ähnlich verfahren wie damals das<br />

abtrünnige Israel gegen Elia.<br />

Die Wun<strong>de</strong>r wirken<strong>de</strong>, sich durch <strong>de</strong>n Spiritismus offenbaren<strong>de</strong> Macht wird ihren<br />

Einfluß gegen alle ausüben, die es vorziehen, Gott mehr zu gehorchen als <strong>de</strong>n Menschen. In<br />

ihren Mitteilungen wer<strong>de</strong>n Geister erklären, daß Gott sie gesandt habe, um die Verwerfer<br />

<strong>de</strong>s Sonntags ihres Irrtums zu überführen und zu bestätigen, daß die Gesetze <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s als<br />

Gottes Gesetze beachtet wer<strong>de</strong>n sollten. Sie wer<strong>de</strong>n die große Gottlosigkeit in <strong>de</strong>r Welt<br />

beklagen und die Zeugnisse religiöser Lehrer unterstützen, daß die gesunkene Moral durch<br />

die Entheiligung <strong>de</strong>s Sonntags verursacht wer<strong>de</strong>. Tiefe Entrüstung wird sich gegen alle jene<br />

erheben, die sich weigern, ihr Zeugnis anzunehmen.<br />

Satans Handlungsweise gegenüber <strong>de</strong>m Volke Gottes in diesem letzten Kampf ist die<br />

gleiche, die er zu Beginn <strong>de</strong>s großen Streites im Himmel einschlug. Er gab vor, die<br />

Festigkeit <strong>de</strong>r göttlichen Regierung för<strong>de</strong>rn zu wollen, während er heimlich alle<br />

Anstrengung machte, sie zu stürzen. Gera<strong>de</strong> das Werk, das er auf diese Weise<br />

durchzuführen hoffte, legte er <strong>de</strong>n treugebliebenenen Engeln zur Last. Unter <strong>de</strong>r Herrschaft<br />

Roms wur<strong>de</strong>n die Menschen, die ihre Treue zum Evangelium mit <strong>de</strong>m Leben bezahlen<br />

mußten als Übeltäter gebrandmarkt; man erklärte, sie seien mit Satan im Bun<strong>de</strong>, und wandte<br />

alle möglichen Mittel an, sie mit Schmach zu überhäufen, damit sie in <strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>s<br />

Volkes und sogar vor sich selbst als die gemeinsten Verbrecher erschienen. So wird es auch<br />

jetzt sein. In<strong>de</strong>m Satan danach trachtet, die Menschen umzubringen, die Gottes Gebote<br />

ehren, wird er veranlassen, daß sie als Übertreter <strong>de</strong>s Gesetzes angeklagt wer<strong>de</strong>n, als solche,<br />

die Gott entehren und seine schrecklichen Gerichte über die Welt bringen.<br />

Gott zwingt nie, we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Willen noch das Gewissen; Satan hingegen nimmt, um jene<br />

in seine Gewalt zu bringen, die er auf keine an<strong>de</strong>re Weise verführen kann, beständig seine<br />

Zuflucht zum Zwang durch Grausamkeit. Mit Furcht o<strong>de</strong>r Gewalt bemüht er sich, das<br />

Gewissen zu beherrschen und Huldigungen für sich selbst zu gewinnen. Um dies<br />

414


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

durchzusetzen, wirkt er durch religiöse und auch weltliche Mächte, die er antreibt, <strong>de</strong>n<br />

menschlichen Verordnungen — Gottes Gesetz zum Trotz — gehorsam zu erzwingen.<br />

Die <strong>de</strong>n biblischen Sabbat ehren, wer<strong>de</strong>n verschrien wer<strong>de</strong>n als Fein<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Gesetzes<br />

und <strong>de</strong>r Ordnung, die die sittlichen Schranken <strong>de</strong>r Gesellschaft nie<strong>de</strong>rreißen, Anarchie und<br />

Ver<strong>de</strong>rbnis verursachen und Strafgerichte Gottes über die Er<strong>de</strong> hervorrufen. Ihre gewis<br />

senhaften Be<strong>de</strong>nken wird man als Eigensinn, Hartnäckigkeit und Verachtung <strong>de</strong>r Obrigkeit<br />

ansehen. Sie wer<strong>de</strong>n als Fein<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Regierung beschuldigt wer<strong>de</strong>n. Prediger, die die<br />

Verbindlichkeit <strong>de</strong>s göttlichen Gesetzes leugnen, wer<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r Kanzel herunter zu <strong>de</strong>r<br />

Verpflichtung aufrufen, <strong>de</strong>n zivilen Behör<strong>de</strong>n, als von Gott eingesetzt, Gehorsam zu leisten.<br />

In gesetzgeben<strong>de</strong>n Kreisen und an Gerichtshöfen wer<strong>de</strong>n die Menschen, die Gottes Gebote<br />

beachten, verleum<strong>de</strong>t und verurteilt wer<strong>de</strong>n. Ihre Worte wird man falsch <strong>de</strong>uten und ihren<br />

Handlungen die schlechtesten Beweggrün<strong>de</strong> unterschieben.<br />

Wenn die protestantischen Gemein<strong>de</strong>n die <strong>de</strong>utlichen, schriftgemäßen Beweise zur<br />

Verteidigung <strong>de</strong>s Gesetzes Gottes verwerfen, wer<strong>de</strong>n sie danach verlangen, alle die zum<br />

Schweigen zu bringen, <strong>de</strong>ren Glauben sie mit <strong>de</strong>r Bibel nicht umstürzen können. Obwohl sie<br />

die Augen <strong>de</strong>n Tatsachen gegenüber verschließen, schlagen sie <strong>de</strong>nnoch ein Verfahren ein,<br />

das zur Verfolgung <strong>de</strong>rer führen wird, die sich gewissenhaft weigern, <strong>de</strong>m nachzukommen,<br />

was die übrige christliche Welt tut, und sie erkennen ihrerseits die Ansprüche <strong>de</strong>s<br />

päpstlichen Sonntags an.<br />

Die Wür<strong>de</strong>nträger <strong>de</strong>r Kirche und <strong>de</strong>s Staates wer<strong>de</strong>n sich vereinen, alle Menschen zu<br />

bestechen, zu überre<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r zu zwingen, <strong>de</strong>n Sonntag zu ehren. Die mangeln<strong>de</strong>n göttlichen<br />

Beweise wer<strong>de</strong>n durch gewalttätige For<strong>de</strong>rungen ersetzt wer<strong>de</strong>n. Die politische Ver<strong>de</strong>rbtheit<br />

untergräbt die Liebe zur Gerechtigkeit und die Achtung vor <strong>de</strong>r Wahrheit. Selbst im freien<br />

Amerika wer<strong>de</strong>n Beamte und Gesetzgeber <strong>de</strong>m Verlangen <strong>de</strong>s Volkes nach einem Gesetz,<br />

das die Sonntagsfeier erzwingt, nachgeben, nur um sich die öffentliche Gunst zu sichern.<br />

Die Gewissensfreiheit, die so große Opfer gekostet hat, wird nicht länger geachtet wer<strong>de</strong>n.<br />

In <strong>de</strong>m bald kommen<strong>de</strong>n Kampfe wer<strong>de</strong>n uns die Worte <strong>de</strong>s Propheten durch Taten<br />

veranschaulicht wer<strong>de</strong>n: „Und <strong>de</strong>r Drache ward zornig über das Weib und ging hin, zu<br />

streiten mit <strong>de</strong>n übrigen von ihrem Samen, die da Gottes Gebote halten und haben das<br />

Zeugnis Jesu Christi.“ Offenbarung 12,17.<br />

415


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 37- Die Bibel eine Schutzwehr<br />

„Ja, nach <strong>de</strong>m Gesetz und Zeugnis! Wer<strong>de</strong>n sie das nicht sagen, so wer<strong>de</strong>n sie die<br />

Morgenröte nicht haben.“ Jesaja 8,20. Dem Volke Gottes wird die Heilige Schrift als Schutz<br />

gegen <strong>de</strong>n Einfluß falscher Lehrer und gegen die trügerische Macht <strong>de</strong>r Geister <strong>de</strong>r<br />

Finsternis vor Augen gestellt. Satan wen<strong>de</strong>t je<strong>de</strong> mögliche List an, die Menschen zu hin<strong>de</strong>rn,<br />

sich Kenntnisse aus <strong>de</strong>r Bibel anzueignen; <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>ren <strong>de</strong>utliche Aussagen enthüllen seine<br />

Täuschungen. Bei je<strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rbelebung <strong>de</strong>s Werkes Gottes wird <strong>de</strong>r Fürst <strong>de</strong>s Bösen zu<br />

größerer Betriebsamkeit angespornt; nun gelten seine äußersten Anstrengungen einem<br />

letzten Kampf gegen Christus und seine Nachfolger. Die letzte große Täuschung wird sich<br />

bald vor uns entfalten. Der Antichrist wird seine erstaunlichen Werke vor unseren Augen<br />

ausführen. Das Nachgebil<strong>de</strong>te wird <strong>de</strong>m Echten so genau gleichen, daß es unmöglich sein<br />

wird, bei<strong>de</strong> zu unterschei<strong>de</strong>n, außer durch die Heilige Schrift. Mit ihrem Zeugnis muß je<strong>de</strong><br />

Behauptung und je<strong>de</strong>s Wun<strong>de</strong>r geprüft wer<strong>de</strong>n.<br />

Jene, die versuchen, allen Geboten Gottes zu gehorchen, wer<strong>de</strong>n angefein<strong>de</strong>t und<br />

verlacht wer<strong>de</strong>n. Sie können nur in Gott standhalten. Um die vor ihnen liegen<strong>de</strong> Prüfung<br />

bestehen zu können, müssen sie <strong>de</strong>n Willen Gottes verstehen, wie er in seinem Wort<br />

offenbart ist; sie können ihn nur ehren, wenn sie eine richtige Vorstellung seines Wesens,<br />

seiner Regierung und seiner Absichten haben und auch danach han<strong>de</strong>ln. Nur wer seine Seele<br />

mit <strong>de</strong>n Wahrheiten <strong>de</strong>r Bibel gestärkt hat, wird <strong>de</strong>n letzten großen Kampf überstehen. Je<strong>de</strong>r<br />

wird durch die an ihn gerichtete Frage geprüft: Soll ich Gott mehr gehorchen als <strong>de</strong>n<br />

Menschen? Die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Stun<strong>de</strong> ist jetzt sehr nahe. Stehen unsere Füße auf <strong>de</strong>m Felsen<br />

<strong>de</strong>s unverän<strong>de</strong>rlichen Wortes Gottes? Sind wir vorbereitet, fest zu bleiben bei <strong>de</strong>r<br />

Verteidigung <strong>de</strong>r Gebote Gottes und <strong>de</strong>s Glaubens an Jesus?<br />

Vor <strong>de</strong>r Kreuzigung erklärte <strong>de</strong>r Heiland seinen Jüngern, daß er getötet wer<strong>de</strong>n und aus<br />

<strong>de</strong>m Grabe wie<strong>de</strong>r auferstehen wür<strong>de</strong>, und Engel umgaben sie, um seine Worte ihren<br />

Herzen und Gemütern einzuprägen. Die Jünger aber erwarteten eine irdische Befreiung vom<br />

römischen Joch und konnten <strong>de</strong>n Gedanken nicht ertragen, daß Jesus, <strong>de</strong>r Mittelpunkt ihrer<br />

Hoffnung, einen schmachvollen Tod erlei<strong>de</strong>n sollte. Die Worte, an die sie sich hätten<br />

erinnern sollen, entschwan<strong>de</strong>n ihrem Gedächtnis, und als die Zeit <strong>de</strong>r Prüfung kam, waren<br />

sie unvorbereitet. Jesu Tod zerstörte ihre Hoffnungen vollständig, als ob er sie nie auf sein<br />

Sterben hingewiesen hätte. So wird uns in <strong>de</strong>n Weissagungen die Zukunft ebenso <strong>de</strong>utlich<br />

erschlossen, wie sie <strong>de</strong>n Jüngern durch Christi Worte erschlossen wur<strong>de</strong>. Die Ereignisse, die<br />

mit <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong>nzeit und <strong>de</strong>m Vorbereitungswerk für die Zeit <strong>de</strong>r Trübsal in<br />

Verbindung stehen, wer<strong>de</strong>n uns klar veranschaulicht. Aber Tausen<strong>de</strong> haben ein Verständnis<br />

für diese wichtigen Wahrheiten, als wären sie ihnen nie offenbart wor<strong>de</strong>n. Satan wacht, um<br />

je<strong>de</strong>n Einfluß von ihnen abzulenken, <strong>de</strong>r sie zur Seligkeit tauglich machen könnte. Dann<br />

wird die trübselige Zeit sie unvorbereitet fin<strong>de</strong>n.<br />

416


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Wenn Gott <strong>de</strong>n Menschen so wichtige Warnungen sen<strong>de</strong>t, daß <strong>de</strong>r Prophet sie darstellt,<br />

wie heilige Engel sie verkündigen, die mitten durch <strong>de</strong>n Himmel fliegen, dann verlangt er<br />

von je<strong>de</strong>m vernünftigen Wesen, die Botschaft zu beachten. Die furchtbaren Strafgerichte,<br />

die gegen die Anbetung <strong>de</strong>s Tieres und seines Bil<strong>de</strong>s ausgesprochen wur<strong>de</strong>n (Offenbarung<br />

14,9-11), sollten alle zu einem eifrigen Studium <strong>de</strong>r Weissagungen antreiben, damit sie<br />

erführen, was das Malzeichen <strong>de</strong>s Tieres ist, und wie sie vermei<strong>de</strong>n können, es anzunehmen.<br />

Aber die meisten Menschen haben taube Ohren für die Wahrheit und wen<strong>de</strong>n sich <strong>de</strong>n<br />

Fabeln zu. Der Apostel Paulus erklärte im Hinblick auf die letzten Tage: „Es wird eine Zeit<br />

sein, da sie die heilsame Lehre nicht lei<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.“ 2.Timotheus 4,3.<br />

Diese Zeit ist jetzt da. Die Menge wünscht keine Bibelwahrheit, weil diese sich mit <strong>de</strong>n<br />

Begier<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s sündigen, weltlieben<strong>de</strong>n Herzens nicht verträgt; und Satan versorgt sie mit<br />

<strong>de</strong>m Blendwerk, das die Menschen lieben. Aber Gott will ein Volk auf Er<strong>de</strong>n haben, das die<br />

heilige Schrift, und nur diese allein, beibehält als Richtschnur aller Lehre und als Grundlage<br />

aller Reformen. Die Meinungen gelehrter Männer, die Ergebnisse <strong>de</strong>r Wissenschaft, die<br />

Glaubenssätze und Beschlüsse von Kirchenversammlungen, zahlreich und uneins wie die<br />

Kirchen, die sie vertreten, die Stimme <strong>de</strong>r Mehrheit — we<strong>de</strong>r das eine allein noch sie alle<br />

zusammen können als Beweis für o<strong>de</strong>r gegen irgen<strong>de</strong>inen religiösen Glaubenspunkt<br />

betrachtet wer<strong>de</strong>n. Ehe wir irgen<strong>de</strong>ine Lehre o<strong>de</strong>r Vorschrift annehmen, sollten wir ein<br />

<strong>de</strong>utliches „So spricht <strong>de</strong>r Herr!“ als Beweis dafür verlangen.<br />

Satan ist ständig bemüht, die Aufmerksamkeit auf Menschen statt auf Gott zu richten.<br />

Er verleitet das Volk, Bischöfe, Geistliche und Theologieprofessoren als Führer zu<br />

betrachten, statt die Heilige Schrift zu erforschen, um ihre Pflicht zu erfahren. Wenn er dann<br />

<strong>de</strong>n Verstand dieser geistlichen Führer beherrscht, kann er die Menge nach seinem Willen<br />

beeinflussen. Als Christus kam, um Worte <strong>de</strong>s Lebens zu verkün<strong>de</strong>n, hörte das gemeine<br />

Volk ihm gern zu; und viele, sogar Priester und Obersten, glaubten an ihn. Aber die<br />

führen<strong>de</strong>n Köpfe <strong>de</strong>r Priesterschaft und die tonangeben<strong>de</strong>n Männer <strong>de</strong>s Volkes waren<br />

entschlossen, seine Lehren zu verdammen und zu verschmähen. Obwohl alle ihre<br />

Anstrengungen, Anklagepunkte gegen ihn zu fin<strong>de</strong>n, scheiterten, obwohl sie <strong>de</strong>n Einfluß<br />

göttlicher Macht und Weisheit, <strong>de</strong>r seine Worte begleitete, fühlten, blieben sie doch bei<br />

ihren Vorurteilen; sie verwarfen die <strong>de</strong>utlichsten Beweise seines Messiasamtes, damit sie<br />

nicht gezwungen wären, seine Jünger zu wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Wi<strong>de</strong>rsacher Jesu waren Männer, die zu ehren das Volk von Kindheit an gelehrt<br />

wor<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>ren Autorität es sich bedingungslos zu beugen gewohnt war. Wie kommt es,<br />

fragten viele, daß unsere Obersten und weisen Schriftgelehrten nicht an Jesus glauben?<br />

Wür<strong>de</strong>n diese frommen Männer ihn nicht annehmen, falls er Christus wäre? Der Einfluß<br />

solcher Lehrer war es, <strong>de</strong>r die Ju<strong>de</strong>n dazu verleitete, ihren Erlöser zu verwerfen. Diesen<br />

Geist, <strong>de</strong>r jene Priester und Obersten bewegte, bekun<strong>de</strong>n auch jetzt noch viele, die von ihrer<br />

Frömmigkeit viel Aufhebens machen. Sie weigern sich, das Zeugnis <strong>de</strong>r Heiligen Schrift<br />

hinsichtlich <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren Wahrheiten für diese Zeit zu prüfen. Sie verweisen auf ihre<br />

417


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

große Zahl, ihren Reichtum und ihre Volkstümlichkeit und blicken geringschätzig auf die<br />

Verteidiger <strong>de</strong>r Wahrheit herab, die sie als wenige, arme und unbeliebte Leute ansehen die<br />

einen Glauben haben, <strong>de</strong>r sie von <strong>de</strong>r Welt trennt.<br />

Christus sah voraus, daß die ungebührliche Machtanmaßung, wie sie von <strong>de</strong>n<br />

Schriftgelehrten und Pharisäern geübt wur<strong>de</strong>, mit <strong>de</strong>r Zerstreuung <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n nicht aufhören<br />

wür<strong>de</strong>. Er hatte einen prophetischen Blick für die Geschichte menschlicher Machterhebung<br />

zur Beherrschung <strong>de</strong>s Gewissens, die zu allen Zeiten ein schrecklicher Fluch für die Kirche<br />

gewesen ist. Seine furchtbaren Strafre<strong>de</strong>n gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer sowie<br />

seine Warnungen an das Volk, diesen verblen<strong>de</strong>ten Führern nicht zu folgen, wur<strong>de</strong>n als<br />

Mahnung für die künftigen Geschlechter aufgezeichnet. Die römische Kirche beschränkt das<br />

Recht, die Heilige Schrift auszulegen, auf die Geistlichkeit. Gestützt darauf, daß diese allein<br />

imstan<strong>de</strong> sei, Gottes Wort zu erklären, entzieht sie die Bibel <strong>de</strong>m gewöhnlichen Volk.<br />

(Siehe Anm. 60) Wenn auch die Reformation allen Menschen die Heilige Schrift gab, so<br />

hin<strong>de</strong>rt doch <strong>de</strong>r gleiche Grundsatz, <strong>de</strong>n Rom geltend machte, viele in <strong>de</strong>n protestantischen<br />

Kirchen daran, die Bibel für sich selbst zu studieren. Sie wer<strong>de</strong>n unterwiesen, ihre Lehren<br />

anzunehmen, wie die Kirche sie auslegt; und es gibt Tausen<strong>de</strong>, die es nicht wagen, irgend<br />

etwas anzunehmen, das ihrem Glaubensbekenntnis o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n bestehen<strong>de</strong>n Lehrsätzen <strong>de</strong>r<br />

Kirche entgegengesetzt ist, sei es auch noch so <strong>de</strong>utlich in <strong>de</strong>r Schrift offenbart.<br />

Obgleich die Bibel viele Warnungen vor falschen Lehrern enthält, überlassen doch viele<br />

auf diese Weise die Bewahrung ihrer Seele <strong>de</strong>r Geistlichkeit. Es gibt heute Tausen<strong>de</strong> von<br />

sogenannten Christen, die keinen an<strong>de</strong>rn Grund für ihren Glauben angeben können, als daß<br />

sie von ihren religiösen Führern so unterrichtet wur<strong>de</strong>n. Sie lassen die Lehren <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s<br />

beinahe gänzlich unbeachtet und setzen unbedingtes Vertrauen in die Worte <strong>de</strong>r Prediger.<br />

Sind diese aber unfehlbar? Wie können wir unsere Seelen ihrer Führung anvertrauen, es sei<br />

<strong>de</strong>nn, daß wir aus Gottes Wort wissen, daß sie Träger <strong>de</strong>s Lichtes sind? Mangeln<strong>de</strong>r<br />

moralischer Mut, <strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r Welt eingeschlagenen Weg zu verlassen, verleitet viele, <strong>de</strong>n<br />

Fußtapfen gelehrter Männer zu folgen; und durch ihre Abneigung, selbst zu forschen,<br />

wer<strong>de</strong>n sie hoffnungslos in <strong>de</strong>n Ketten <strong>de</strong>s Irrtums festgehalten.<br />

Sie sehen, daß die Lehren <strong>de</strong>r gegenwärtigen Wahrheiten in <strong>de</strong>r Bibel klar<br />

hervorgehoben sind, und sie fühlen die Macht <strong>de</strong>s Heiligen Geistes, <strong>de</strong>r ihre Verkündigung<br />

begleitet und doch lassen sie sich durch <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rstand <strong>de</strong>r Geistlichkeit von <strong>de</strong>m Licht<br />

wegführen. Obwohl die Vernunft und das Gewissen überzeugt sind, wagen diese<br />

verblen<strong>de</strong>ten Seelen nicht, an<strong>de</strong>rs zu <strong>de</strong>nken als <strong>de</strong>r Prediger. Ihr persönliches Urteil und ihr<br />

ewiges Wohl wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m Unglauben, <strong>de</strong>m Stolz und Vorurteil eines an<strong>de</strong>rn geopfert. Auf<br />

mannigfaltige Weise wirkt Satan mit Hilfe menschlichen Einflusses, um seine Gefangenen<br />

zu bin<strong>de</strong>n. Er sichert sich ganze Scharen, in<strong>de</strong>m er sie mit <strong>de</strong>n sei<strong>de</strong>nen Ban<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r<br />

Zuneigung an jene bin<strong>de</strong>t, die Fein<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Kreuzes Christi sind. Gleichviel mit wem man so<br />

verbun<strong>de</strong>n sein mag, ob mit Eltern, Kin<strong>de</strong>rn, Ehegatten o<strong>de</strong>r Freun<strong>de</strong>n, die Wirkung ist die<br />

gleiche; die Gegner <strong>de</strong>r Wahrheit üben ihre Macht aus und beherrschen das Gewissen, und<br />

418


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

die unter ihrer Gewalt stehen<strong>de</strong>n Seelen haben nicht genügend Mut o<strong>de</strong>r sind nicht<br />

unabhängig genug, ihrem eigenen Pflichtgefühl zu gehorchen.<br />

Die Wahrheit und die Verherrlichung Gottes sind untrennbar miteinan<strong>de</strong>r verbun<strong>de</strong>n; es<br />

ist unmöglich, Gott durch irrige Ansichten zu ehren, wenn wir die Bibel zur Hand haben.<br />

Viele behaupten, daß es nicht darauf ankomme, was man glaube, wenn man nur recht lebe;<br />

aber das Leben wird durch <strong>de</strong>n Glauben geprägt. Wenn Licht und Wahrheit uns dargeboten<br />

wer<strong>de</strong>n, und wir machen uns die Gna<strong>de</strong>ngabe, sie zu hören und zu erkennen, nicht zunutze,<br />

so verwerfen wir diese Gabe im Grun<strong>de</strong> genommen; wir ziehen die Finsternis <strong>de</strong>m Lichte<br />

vor. „Manchem gefällt ein Weg wohl; aber zuletzt bringt er ihn zum To<strong>de</strong>.“ Sprüche 16,25.<br />

Unwissenheit ist keine Entschuldigung für <strong>de</strong>n Irrtum o<strong>de</strong>r die Sün<strong>de</strong>, wenn man je<strong>de</strong><br />

Gelegenheit hat, Gottes Willen zu erkennen. Ein Wan<strong>de</strong>rer kommt an eine Weggabelung;<br />

ein Wegweiser zeigt, wohin je<strong>de</strong>r Weg führt. Läßt er ihn außer acht und schlägt er <strong>de</strong>n Weg<br />

ein, <strong>de</strong>r ihm <strong>de</strong>r rechte zu sein scheint, so wird er sich doch höchstwahrscheinlich, mag er<br />

noch so aufrichtig dabei sein, auf <strong>de</strong>m verkehrten Weg befin<strong>de</strong>n.<br />

Gott hat uns sein Wort gegeben, damit wir mit <strong>de</strong>ssen Lehren vertraut wer<strong>de</strong>n und selbst<br />

wissen, was er von uns verlangt. Als <strong>de</strong>r Schriftgelehrte zu Jesus kam mit <strong>de</strong>r Frage: „Was<br />

muß ich tun, daß ich das ewige Leben ererbe?“, verwies ihn <strong>de</strong>r Heiland auf die Schrift,<br />

in<strong>de</strong>m er sagte: „Wie steht im Gesetz geschrieben? Wie ließest du?“ Lukas 10,25.26. Die<br />

Unwissenheit kann we<strong>de</strong>r alt noch jung entschuldigen, noch von <strong>de</strong>r Strafe befreien, die die<br />

Übertretung <strong>de</strong>s Gesetzes Gottes nach sich zieht, weil sie eine getreue Darstellung jenes<br />

Gesetzes sowie seiner Grundsätze und Anfor<strong>de</strong>rungen zur Hand haben. Gute Absichten<br />

genügen keineswegs; auch reicht es nicht hin, das zu tun, was man für recht hält o<strong>de</strong>r was<br />

<strong>de</strong>r Prediger für recht erklärt. Das Heil <strong>de</strong>r Seele steht auf <strong>de</strong>m Spiel; je<strong>de</strong>r muß für sich<br />

selbst in <strong>de</strong>r Schrift forschen. Wie stark auch seine Überzeugung sein, wie zuversichtlich er<br />

auch glauben mag, daß <strong>de</strong>r Geistliche wisse, was Wahrheit ist: er hat damit keine sichere<br />

Grundlage. Er besitzt eine Karte, die ihm genau <strong>de</strong>n Weg <strong>de</strong>r Reise nach <strong>de</strong>m Himmel<br />

bezeichnet, und er sollte <strong>de</strong>shalb nichts zu erraten suchen.<br />

— Es ist die erste und höchste Pflicht je<strong>de</strong>s vernünftigen Wesens, aus <strong>de</strong>r Heiligen<br />

Schrift zu lernen, was Wahrheit ist, und dann in diesem Licht zu wan<strong>de</strong>ln und an<strong>de</strong>re zu<br />

ermutigen, ihrem Beispiel zu folgen. Wir sollten Tag für Tag fleißig in <strong>de</strong>r Bibel forschen,<br />

je<strong>de</strong>n Gedanken wägen und Text mit Text vergleichen. Mit Gottes Hilfe müssen wir uns<br />

selbst unsere Meinungen bil<strong>de</strong>n, da wir auch für uns selbst vor Gott Rechenschaft abzulegen<br />

haben.<br />

Die in <strong>de</strong>r Bibel so ein<strong>de</strong>utig offenbarten Wahrheiten sind in Zweifel und Dunkelheit<br />

gehüllt wor<strong>de</strong>n von gelehrten Männern, die unter <strong>de</strong>r Vorspiegelung, große Weisheit zu<br />

besitzen, lehren, daß die Heilige Schrift eine mystische, geheimnisvolle, geistliche<br />

Be<strong>de</strong>utung habe, die in <strong>de</strong>r angewandten Sprache nicht ersichtlich sei. Diese Männer sind<br />

falsche Lehrer. Solchen erklärte Jesus: „Ihr irret darum daß ihr nichts wisset von <strong>de</strong>r Schrift<br />

noch von <strong>de</strong>r Kraft Gottes.“ Markus 12,24. Die Sprache <strong>de</strong>r Bibel sollte ihrer<br />

419


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

unverkennbaren Be<strong>de</strong>utung gemäß erklärt wer<strong>de</strong>n, vorausgesetzt, daß nicht ein Symbol o<strong>de</strong>r<br />

eine bildliche Re<strong>de</strong> gebraucht ist. Christus hat die Verheißung gegeben: „So jemand will <strong>de</strong>s<br />

Willen tun, <strong>de</strong>r wird innewer<strong>de</strong>n, ob diese Lehre von Gott sei.“ Johannes 7,17. Wenn die<br />

Menschen die Heilige Schrift nehmen wollten, wie sie wirklich lautet, wenn es kei- ne<br />

falschen Lehrer gäbe, dann könnte eine Aufgabe erfüllt wer<strong>de</strong>n, die die Engel erfreute und<br />

Tausen<strong>de</strong> und aber Tausen<strong>de</strong>, die jetzt im Irrtum wan<strong>de</strong>ln, zur wahren Her<strong>de</strong> Christi brächte.<br />

Wir sollten beim Studium <strong>de</strong>r Bibel alle unsere Geisteskräfte anwen<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>n<br />

Verstand anstrengen, die tiefen Dinge Gottes zu erfassen, soweit dies Sterblichen möglich<br />

ist; doch dürfen wir nicht vergessen, daß die Fügsamkeit und Unterwerfung eines Kin<strong>de</strong>s<br />

<strong>de</strong>r richtige Geist zum Lernen ist. Schwierigkeiten im Bibeltext können nie auf dieselbe<br />

Weise überwun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n, die bei <strong>de</strong>r Ergründung philosophischer Fragen angewandt wird.<br />

Wir dürfen uns nicht mit jenem Selbstvertrauen an das Studium <strong>de</strong>r Bibel begeben, mit <strong>de</strong>m<br />

so viele das Gebiet <strong>de</strong>r Wissenschaft betreten, son<strong>de</strong>rn mit einem andächtigen Vertrauen auf<br />

Gott und <strong>de</strong>m aufrichtigen Verlangen, seinen Willen zu erkennen. Wir müssen mit einem<br />

<strong>de</strong>mütigen und gelehrigen Geist kommen, um Erkenntnis von <strong>de</strong>m großen Ich bin zu<br />

erlangen; sonst wer<strong>de</strong>n böse Engel unseren Verstand so verblen<strong>de</strong>n und unsere Herzen so<br />

verhärten, daß die Wahrheit keinen Eindruck mehr auf uns macht.<br />

Mancher Teil <strong>de</strong>r Heiligen Schrift, <strong>de</strong>n gelehrte Männer als ein Geheimnis hinstellen<br />

o<strong>de</strong>r als unwichtig übergehen, ist voller Trost und Unterweisung für <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Schule<br />

Christi gelehrt wor<strong>de</strong>n ist. Ein Grund dafür, daß viele Theologen kein klareres Verständnis<br />

<strong>de</strong>s Wortes Gottes haben, ist, daß sie vor <strong>de</strong>n Wahrheiten, die sie nicht ausleben wollen, ihre<br />

Augen verschließen. Ein Verständnis <strong>de</strong>r Bibelwahrheiten hängt nicht so sehr von <strong>de</strong>r<br />

Stärke <strong>de</strong>s Urteilsvermögens ab als von <strong>de</strong>r Zielstrebigkeit seines Bemühens, <strong>de</strong>m ernsten<br />

Verlangen nach Gerechtigkeit.<br />

Nie sollte die Bibel ohne Gebet studiert wer<strong>de</strong>n. Der Heilige Geist allein kann uns die<br />

Wahrheit <strong>de</strong>r leichtverständlichen Teile einprägen und uns von <strong>de</strong>m Verdrehen<br />

schwerverständlicher Wahrheiten abhalten. Durch <strong>de</strong>n Dienst himmlischer Engel wer<strong>de</strong>n die<br />

Herzen zubereitet, Gottes Wort so zu verstehen, daß wir von <strong>de</strong>ssen Schönheit gefangen,<br />

durch seine Warnungen ermahnt o<strong>de</strong>r durch die Verheißungen ermutigt und gestärkt wer<strong>de</strong>n.<br />

Wir sollten <strong>de</strong>s Psalmisten Bitte: „Öffne mir die Augen, daß ich sehe die Wun<strong>de</strong>r an <strong>de</strong>inem<br />

Gesetz“ (Psalm 119,18) zu unserer eigenen machen. Die Versuchungen erscheinen oft<br />

unwi<strong>de</strong>rstehlich, weil sich <strong>de</strong>r Versuchte wegen <strong>de</strong>r Vernachlässigung <strong>de</strong>s Gebets und <strong>de</strong>s<br />

Studiums <strong>de</strong>r Bibel nicht gleich <strong>de</strong>r Verheißungen Gottes zu erinnern und Satan mit <strong>de</strong>n<br />

biblischen Waffen entgegenzutreten vermag. Aber Engel lagern sich um diejenigen, die<br />

willig sind, sich in göttlichen Dingen belehren zu lassen, und wer<strong>de</strong>n sie in <strong>de</strong>r Zeit großer<br />

Not gera<strong>de</strong> an die Wahrheiten erinnern, <strong>de</strong>ren sie bedürfen. Wenn <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rsacher kommen<br />

wird wie ein Strom, wird <strong>de</strong>r Geist <strong>de</strong>s Herrn das Panier gegen ihn aufrichten.<br />

Jesus verhieß seinen Jüngern: „Aber <strong>de</strong>r Tröster, <strong>de</strong>r heilige Geist, welchen mein Vater<br />

sen<strong>de</strong>n wird in meinem Namen, <strong>de</strong>r wird euch alles lehren und euch erinnern alles <strong>de</strong>s, das<br />

420


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

ich euch gesagt habe.“ Johannes 14,26. Aber die Lehren Christi müssen zuvor <strong>de</strong>m<br />

Gedächtnis eingeprägt wor<strong>de</strong>n sein, damit Gottes Geist sie uns zur Zeit <strong>de</strong>r Gefahr in<br />

Erinnerung bringen kann. David sagte: „Ich behalte <strong>de</strong>in Wort in meinem Herzen, auf daß<br />

ich nicht wi<strong>de</strong>r dich sündige.“ Psalm 119,11.<br />

Alle, die ihr ewiges Heil schätzen, sollten vor <strong>de</strong>r Zweifelsucht auf <strong>de</strong>r Hut sein. Die<br />

eigentlichen Grundpfeiler <strong>de</strong>r Wahrheit wer<strong>de</strong>n angegriffen wer<strong>de</strong>n. Es ist unmöglich, von<br />

<strong>de</strong>n Spötteleien, Spitzfindigkeiten und <strong>de</strong>n trügerischen, hinterlistigen Lehren <strong>de</strong>s mo<strong>de</strong>rnen<br />

Unglaubens verschont zu bleiben. Satan paßt seine Versuchungen allen Klassen an. Die<br />

Ungebil<strong>de</strong>ten überfällt er mit Gespött o<strong>de</strong>r Hohn, während er <strong>de</strong>n Gebil<strong>de</strong>ten mit<br />

wissenschaftlichen Einwän<strong>de</strong>n und philosophischen Gedankengängen gegenübertritt, bei<strong>de</strong>s<br />

darauf berechnet, Mißtrauen o<strong>de</strong>r Geringschätzung gegen die Heilige Schrift zu erwecken.<br />

Selbst die unerfahrene Jugend maßt sich an, auf Zweifel an <strong>de</strong>n wesentlichen Grundsätzen<br />

<strong>de</strong>s Christentums anzuspielen. Und dieser jugendliche Unglaube, oberflächlich wie er ist,<br />

hat seinen Einfluß. Viele wer<strong>de</strong>n auf diese Weise dazu verleitet, über <strong>de</strong>n Glauben ihrer<br />

Väter zu spotten und <strong>de</strong>n Geist <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong> zu schmähen. Hebräer 10,29. Manches Leben, das<br />

verhieß, Gott zur Ehre und für die Welt zum Segen gelebt zu wer<strong>de</strong>n, ist durch <strong>de</strong>n giftigen<br />

Hauch <strong>de</strong>s Unglaubens ver<strong>de</strong>rbt wor<strong>de</strong>n. Alle, die <strong>de</strong>n prahlerischen Schlüssen<br />

menschlicher Vernunft vertrauen und sich einbil<strong>de</strong>n, göttliche Geheimnisse erklären und<br />

ohne <strong>de</strong>n Beistand <strong>de</strong>r Weisheit Gottes zur Wahrheit gelangen zu können, sind in Satans<br />

Schlingen verstrickt.<br />

Wir leben in <strong>de</strong>m ernstesten Abschnitt <strong>de</strong>r Geschichte dieser Welt. Das Schicksal <strong>de</strong>r<br />

auf <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> geschäftig dahintreiben<strong>de</strong>n Menschenmassen steht im Begriff, entschie<strong>de</strong>n zu<br />

wer<strong>de</strong>n. Unser eigenes zukünftiges Wohl und auch das Heil an<strong>de</strong>rer Seelen hängt davon ab,<br />

welchen Weg wir jetzt einschlagen. Wir bedürfen <strong>de</strong>r Leitung <strong>de</strong>s Geistes <strong>de</strong>r Wahrheit.<br />

Je<strong>de</strong>r Nachfolger Christi muß ernstlich fragen: Herr, was willst du, daß ich tun soll? Wir<br />

müssen uns vor <strong>de</strong>m Herrn <strong>de</strong>mütigen mit Fasten und Beten und viel über sein Wort,<br />

beson<strong>de</strong>rs über die Gerichtsszenen, nach<strong>de</strong>nken. Es gilt jetzt nach einer tiefen und<br />

lebendigen Erfahrung in <strong>de</strong>n göttlichen Dingen zu suchen. Wir haben keinen Augenblick zu<br />

verlieren. Rings um uns her geschehen Ereignisse von höchster Wichtigkeit; wir befin<strong>de</strong>n<br />

uns auf Satans bestricken<strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n. Schlaft nicht, Wächter Gottes; <strong>de</strong>r Feind lauert in <strong>de</strong>r<br />

Nähe, stets bereit, euch anzufallen und euch zu seiner Beute zu machen, falls ihr matt und<br />

schläfrig wer<strong>de</strong>t.<br />

Viele befin<strong>de</strong>n sich hinsichtlich ihrer wahren Lage vor Gott im Irrtum. Sie schätzen sich<br />

glücklich,daß sie gewisse böse Handlungen nicht begehen und vergessen die guten und<br />

edlen Taten, die Gott von ihnen verlangt, die sie jedoch unterlassen haben. Es genügt nicht,<br />

daß sie Bäume im Garten Gottes sind. Sie müssen seinen Erwartungen entsprechen, in<strong>de</strong>m<br />

sie Frucht tragen. Er macht sie verantwortlich für all das Gute, das sie durch seine sie<br />

stärken<strong>de</strong> Gna<strong>de</strong> hätten leisten können und nicht geleistet haben. In die Bücher <strong>de</strong>s Himmels<br />

wer<strong>de</strong>n sie als solche eingetragen, die das Erdreich hin<strong>de</strong>rn. Doch selbst die Lage dieser<br />

421


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Menschen ist nicht hoffnungslos. Für die, welche Gottes Barmherzigkeit geringgeachtet und<br />

seine Gna<strong>de</strong> mißbraucht haben, fleht noch immer das Herz <strong>de</strong>s langmütigen Gottes <strong>de</strong>r<br />

Liebe. Darum spricht er: „‚Wache auf, <strong>de</strong>r du schläfst, und stehe auf von <strong>de</strong>n Toten, so wird<br />

dich Christus erleuchten.‘ So sehet nun zu, wie ihr vorsichtig wan<strong>de</strong>lt ... und kaufet die Zeit<br />

aus; <strong>de</strong>nn es ist böse Zeit.“ Epheser 5,14-16.<br />

Wenn die Zeit <strong>de</strong>r Prüfung kommt, wer<strong>de</strong>n die Menschen hervortreten, die Gottes Wort<br />

zu ihrer Lebensregel gemacht haben. Im Sommer erkennt man keinen wahrnehmbaren<br />

Unterschied zwischen <strong>de</strong>n immergrünen Bäumen und <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn; wenn aber die<br />

Winterstürme kommen, bleiben die immergrünen Bäume unverän<strong>de</strong>rt, während die an<strong>de</strong>rn<br />

ihren Blätterschmuck verlieren. So mag <strong>de</strong>r Scheinchrist jetzt von <strong>de</strong>m wahren Christen<br />

nicht zu unterschei<strong>de</strong>n sein; aber die Zeit ist nahe, da sich <strong>de</strong>r Unterschied zeigen wird. Laßt<br />

erst Wi<strong>de</strong>rstand sich erheben, religiösen Fanatismus und Unduldsamkeit wie<strong>de</strong>rum das<br />

Zepter führen und Verfolgung aufs neue einsetzen, dann wer<strong>de</strong>n die Halbherzigen und<br />

Heuchler wanken und ihren Glauben aufgeben; <strong>de</strong>r wahre Christ aber wird feststehen wie<br />

ein Fels mit einem stärkeren Glauben, einer größeren Hoffnung als in <strong>de</strong>n Tagen <strong>de</strong>s<br />

Wohlergehens.<br />

Der Psalmist sagt: „Deine Zeugnisse sind meine Re<strong>de</strong> ... Dein Wort macht mich klug;<br />

darum hasse ich alle falschen Wege.“ Psalm 119,99.104. „Wohl <strong>de</strong>m Menschen, <strong>de</strong>r<br />

Weisheit fin<strong>de</strong>t.“ „Der ist wie ein Baum, am Wasser gepflanzt und am Bach gewurzelt.<br />

Denn obgleich eine Hitze kommt, fürchtet er sich doch nicht, son<strong>de</strong>rn seine Blätter bleiben<br />

grün, und sorgt nicht, wenn ein dürres Jahr kommt, son<strong>de</strong>rn er bringt ohne Aufhören<br />

Früchte.“ Sprüche 3,13; Jeremia 17,8.<br />

422


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 38- Die letzte Warnung<br />

„Darnach sah ich einen an<strong>de</strong>rn Engel nie<strong>de</strong>rfahren vom Himmel, <strong>de</strong>r hatte eine große<br />

Macht, und die Er<strong>de</strong> ward erleuchtet von seiner Klarheit. Und er schrie aus Macht mit<br />

großer Stimme und sprach: Sie ist gefallen, sie ist gefallen, Babylon, die große, und eine<br />

Behausung <strong>de</strong>r Teufel gewor<strong>de</strong>n und ein Behältnis aller unreinen Geister und ein Behältnis<br />

aller unreinen und verhaßten Vögel ... Und ich hörte eine an<strong>de</strong>re Stimme vom Himmel, die<br />

sprach: Gehet aus von ihr, mein Volk, daß ihr nicht teilhaftig wer<strong>de</strong>t ihrer Sün<strong>de</strong>n, auf daß<br />

ihr nicht empfanget etwas von ihren Plagen!“ Offenbarung 18,1.2.4.<br />

Diese Schriftstelle weist vorwärts auf eine Zeit, da die Ankündigung <strong>de</strong>s Falles<br />

Babylons, wie sie <strong>de</strong>r zweite Engel (Offenbarung 14,8) in Offenbarung 14 macht,<br />

wie<strong>de</strong>rholt wird, erwähnt aber zu<strong>de</strong>m die Ver<strong>de</strong>rbnisse, die in die verschie<strong>de</strong>nen<br />

Gemeinschaften, aus <strong>de</strong>nen sich Babylon zusammensetzt, eingedrungen sind, seit<strong>de</strong>m jene<br />

Botschaft im Sommer 1844 zuerst verkündigt wur<strong>de</strong>. Ein schrecklicher Zustand <strong>de</strong>r<br />

religiösen Welt wird hier beschrieben. Mit je<strong>de</strong>r Verwerfung <strong>de</strong>r Wahrheit wer<strong>de</strong>n die<br />

Gemüter <strong>de</strong>s Volkes finsterer und die Herzen hartnäckiger wer<strong>de</strong>n, bis sie hinter einer<br />

ungläubigen Dreistigkeit verschanzt sind. Den von Gott gegebenen Warnungen zum Trotz<br />

verhöhnen sie weiterhin eines <strong>de</strong>r Zehn Gebote, bis sie dahin kommen, die zu verfolgen, die<br />

es heilighalten. Christus wird durch die Geringschätzung, mit <strong>de</strong>r man sein Wort und sein<br />

Volk behan<strong>de</strong>lt, für nichts geachtet. Wenn die Lehren <strong>de</strong>s Spiritismus von <strong>de</strong>n Kirchen<br />

angenommen wer<strong>de</strong>n, fällt die <strong>de</strong>m fleischlichen Herzen auferlegte Schranke, und das<br />

etwaige Religionsbekenntnis wird zum Deckmantel <strong>de</strong>r niedrigsten Sün<strong>de</strong>.<br />

Der Glaube an spiritistische Offenbarungen öffnet verführerischen Geistern und Lehren<br />

<strong>de</strong>r Teufel die Tür, und auf diese Weise wird <strong>de</strong>r Einfluß <strong>de</strong>r bösen Engel in <strong>de</strong>n Kirchen<br />

spürbar. Von Babylon heißt es zu <strong>de</strong>r Zeit, da es in <strong>de</strong>r Weissagung uns vor Augen geführt<br />

wird: „Ihre Sün<strong>de</strong>n reichen bis in <strong>de</strong>n Himmel, und Gott <strong>de</strong>nkt an ihren<br />

Frevel.“ Offenbarung 18,5. Sie hat das Maß ihrer Schuld angefüllt, und das Ver<strong>de</strong>rben wird<br />

sie schnell überfallen. Aber Gott hat noch ein Volk in Babylon, und vor <strong>de</strong>r Heimsuchung<br />

durch seine Strafgerichte müssen diese Getreuen herausgerufen wer<strong>de</strong>n, damit sie nicht, wie<br />

erklärt, teilhaftig wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>ren Sün<strong>de</strong>n, damit sie nicht etwas empfangen von <strong>de</strong>ren Plagen.<br />

Deshalb ist auch die Bewegung durch <strong>de</strong>n Engel versinnbil<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>r vom Himmel<br />

herabkommt, die Er<strong>de</strong> mit seiner Herrlichkeit erleuchtet und mit Macht und starker Stimme<br />

die Sün<strong>de</strong>n Babylons verkündigt. In Verbindung mit einer Botschaft erklingt <strong>de</strong>r Ruf:<br />

„Gehet aus von ihr, mein Volk!“ Diese Ankündigungen bil<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>r dritten<br />

Engelsbotschaft die letzte Warnung an die Bewohner <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>.<br />

Furchtbar ist das En<strong>de</strong>, <strong>de</strong>m die Welt entgegeneilt. Die im Kampf gegen die Gebote<br />

Gottes verbun<strong>de</strong>nen Mächte <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n verfügen, daß „die Kleinen und Großen, die<br />

Reichen und Armen, die Freien und Knechte“ (Offenbarung 13,16) sich durch die Feier <strong>de</strong>s<br />

falschen Sabbats nach <strong>de</strong>n Gebräuchen <strong>de</strong>r Kirche richten müssen. Alle, die sich weigern,<br />

423


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

diesen Gebräuchen nachzukommen, wer<strong>de</strong>n gesetzlich bestraft wer<strong>de</strong>n, und man wird<br />

schließlich erklären, daß sie <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s schuldig sind. Dahingegen verlangt das Gesetz<br />

Gottes, das <strong>de</strong>n Ruhetag <strong>de</strong>s Herrn for<strong>de</strong>rt, Gehorsam und bedroht alle Übertreter <strong>de</strong>s<br />

Gesetzes mit Zorn. Wem auf diese Weise <strong>de</strong>r Ausgang <strong>de</strong>s Kampfes <strong>de</strong>utlich vor Augen<br />

geführt wor<strong>de</strong>n ist, wer Gottes Gesetz mit Füßen tritt, um einer menschlichen Verordnung<br />

zu gehorchen, <strong>de</strong>r empfängt das Malzeichen <strong>de</strong>s Tieres; er nimmt das Zeichen <strong>de</strong>r<br />

Untertanentreue gegenüber <strong>de</strong>r Macht an, <strong>de</strong>r er an Gottes Statt gehorchen will. Die<br />

Warnung vom Himmel lautet: „So jemand das Tier anbetet und sein Bild und nimmt das<br />

Malzeichen an seine Stirn o<strong>de</strong>r an seine Hand, <strong>de</strong>r wird von <strong>de</strong>m Wein <strong>de</strong>s Zorns Gottes<br />

trinken, <strong>de</strong>r lauter eingeschenkt ist in seines Zornes Kelch.“ Offenbarung 14,9.10.<br />

Niemand aber wird <strong>de</strong>n Zorn Gottes erlei<strong>de</strong>n, ehe nicht die Wahrheit vor <strong>de</strong>r Tür seines<br />

Herzens und Gewissens Einlaß begehrt hat und verworfen wor<strong>de</strong>n ist. Es gibt viele, die nie<br />

Gelegenheit hatten, die beson<strong>de</strong>ren Wahrheiten für diese Zeit zu hören. Die Verbindlichkeit<br />

<strong>de</strong>s vierten Gebots ist ihnen nie im wahren Lichte gezeigt wor<strong>de</strong>n. Der in allen Herzen liest<br />

und je<strong>de</strong>n Beweggrund prüft, wird keinen, <strong>de</strong>n nach Erkenntnis <strong>de</strong>r Wahrheit verlangt, über<br />

<strong>de</strong>n Ausgang <strong>de</strong>s Kampfes im unklaren lassen. Der Erlaß soll <strong>de</strong>m Volk nicht blindlings<br />

aufgenötigt wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn je<strong>de</strong>r wird hinreichend Licht empfangen, um seinen Entscheid<br />

einsichtsvoll treffen zu können.<br />

Der Sabbat wird <strong>de</strong>r große Prüfstein <strong>de</strong>r Treue sein; <strong>de</strong>nn er ist <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>rs bekämpfte<br />

Punkt <strong>de</strong>r Wahrheit. Wenn sich die Menschen <strong>de</strong>r letzten endgültigen Prüfung unterziehen,<br />

dann wird die Grenzlinie gezogen wer<strong>de</strong>n zwischen <strong>de</strong>nen, die Gott dienen, und <strong>de</strong>nen, die<br />

ihm nicht dienen. Während die Feier <strong>de</strong>s falschen Sabbats in Übereinstimmung mit <strong>de</strong>n<br />

Lan<strong>de</strong>sgesetzen, jedoch im Wi<strong>de</strong>rspruch zum vierten Gebot, ein offenes Treuebekenntnis<br />

gegenüber einer Macht ist, die Gott feindlich gegenübersteht, wird das Halten <strong>de</strong>s wahren<br />

Sabbats im Gehorsam gegen Gottes Gesetz ein Beweis <strong>de</strong>r Treue gegen <strong>de</strong>n Schöpfer sein.<br />

Während eine Klasse durch die Annahme <strong>de</strong>s Zeichens <strong>de</strong>r Unterwerfung unter irdische<br />

Mächte das Malzeichen <strong>de</strong>s Tieres empfängt, nimmt die an<strong>de</strong>re das Siegel Gottes an, in<strong>de</strong>m<br />

sie das Zeichen <strong>de</strong>r Treue gegen die göttliche Autorität erwählt.<br />

Ehe<strong>de</strong>m wur<strong>de</strong>n Personen, die die Wahrheiten <strong>de</strong>r dritten Engelsbotschaft verkündigten,<br />

oft nur als Schwarzseher betrachtet. Ihre Vorhersagen, daß religiöse Unduldsamkeit in <strong>de</strong>n<br />

Vereinigten Staaten die Oberhand gewinnen, daß Kirche und Staat sich zusammenfin<strong>de</strong>n<br />

wür<strong>de</strong>n, um die zu verfolgen, die Gottes Gebote halten, wur<strong>de</strong>n als grundlos und lächerlich<br />

abgetan, und man hat zuversichtlich erklärt, jenes Land könne nichts an<strong>de</strong>res wer<strong>de</strong>n, als es<br />

gewesen ist: <strong>de</strong>r Verteidiger <strong>de</strong>r religiösen Freiheit. Da aber die Frage <strong>de</strong>r Erzwingung <strong>de</strong>r<br />

Sonntagsfeier überall erörtert wird, sieht man das so lange bezweifelte Ereignis näher<br />

kommen, und die dritte Engelsbotschaft wird eine Wirkung hervorrufen, die vorher nicht da<br />

sein konnte. In je<strong>de</strong>m Zeitalter hat Gott seine Diener gesandt, um die Sün<strong>de</strong> zu bestrafen,<br />

nicht allein in <strong>de</strong>r Welt, son<strong>de</strong>rn auch in <strong>de</strong>r Kirche.<br />

424


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Das Volk aber wünscht sanfte Re<strong>de</strong>n zu hören, und die lautere, ungeschminkte<br />

Wahrheit ist nicht beliebt. Viele Reformatoren beschlossen bei Beginn ihres Wirkens, mit<br />

großer Vorsicht gegen die Sün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Kirche und <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s vorzugehen. Sie hofften durch<br />

das Beispiel eines reinen, christlichen Lebens das Volk zu <strong>de</strong>n Lehren <strong>de</strong>r Heiligen Schrift<br />

zurückzuführen. Aber <strong>de</strong>r Geist Gottes kam über sie, wie er über Elia kam und ihn antrieb<br />

die Sün<strong>de</strong>n eines gottlosen Königs und eines abtrünnigen Volkes zu ta<strong>de</strong>ln; sie konnten sich<br />

nicht zurückhalten, die <strong>de</strong>utlichen Aussagen <strong>de</strong>r Bibel, selbst die Lehren, die sie<br />

vorzubringen zögerten, zu predigen. Sie mußten die Wahrheit und die Gefahr, die <strong>de</strong>n<br />

Seelen drohte, eifrig verkündigen. Die Folgen nicht fürchtend, sprachen sie die Worte, die<br />

<strong>de</strong>r Herr ihnen eingab, und das Volk war gezwungen, die Warnung anzuhören.<br />

Auf diese Weise wird auch die dritte Engelsbotschaft verkündigt wer<strong>de</strong>n. Wenn die Zeit<br />

kommt, da sie mit größter Kraft verbreitet wer<strong>de</strong>n soll, wird <strong>de</strong>r Herr durch <strong>de</strong>mütige<br />

Werkzeuge wirken, in<strong>de</strong>m er die Gemüter <strong>de</strong>rer leitet, die sich ihm zum Dienst weihen. Die<br />

Mitarbeiter wer<strong>de</strong>n viel mehr durch die Salbung seines Geistes als durch die Ausbildung<br />

wissenschaftlicher Anstalten befähigt wer<strong>de</strong>n. Männer <strong>de</strong>s Glaubens und <strong>de</strong>s Gebets wer<strong>de</strong>n<br />

sich gedrungen fühlen, mit heiligem Eifer aufzutreten, um die Worte zu verkün<strong>de</strong>n, die Gott<br />

ihnen anvertraut. Die Sün<strong>de</strong>n Babylons wer<strong>de</strong>n offenbar wer<strong>de</strong>n; die furchtbaren Folgen <strong>de</strong>r<br />

Erzwingung <strong>de</strong>r kirchlichen Gebräuche durch <strong>de</strong>n Staat, die Anmaßungen <strong>de</strong>s Spiritismus,<br />

die heimliche aber rasche Zunahme <strong>de</strong>r päpstlichen Macht, alles wird entlarvt wer<strong>de</strong>n.<br />

Durch diese ernsten Warnungen wird das Volk aufgerüttelt.<br />

Tausen<strong>de</strong> und aber Tausen<strong>de</strong>, die noch nie solche Worte gehört haben, lauschen diesen<br />

Warnungen. Mit Verwun<strong>de</strong>rung hören sie das Zeugnis, daß Babylon die infolge seiner<br />

Irrtümer und Sün<strong>de</strong>n gefallene Kirche ist, weil sie die ihr vom Himmel gesandte Wahrheit<br />

verworfen hat. Wen<strong>de</strong>t sich das Volk dann mit <strong>de</strong>r brennen<strong>de</strong>n Frage, ob es wirklich so sei,<br />

an seine früheren Lehrer, so erzählen die Prediger Fabeln, prophezeien beruhigen<strong>de</strong> Dinge,<br />

um die Besorgnis zu beschwichtigen und das erwachte Gewissen zu besänftigen. Da sich<br />

jedoch viele weigern, sich mit bloßer menschlicher Autorität zu begnügen und ein<br />

<strong>de</strong>utliches „So spricht <strong>de</strong>r Herr“ verlangen, erklären die volkstümlichen Prediger, wie einst<br />

die Pharisäer, zorn- erfüllt, weil ihre Vollmacht in Frage gestellt wird: die Botschaft sei von<br />

Satan. Und sie wiegeln die sün<strong>de</strong>nlieben<strong>de</strong> Menge auf, jene zu verunglimpfen und zu<br />

verfolgen, die die Botschaft verkündigen.<br />

Sowie <strong>de</strong>r Kampf sich auf neue Gebiete aus<strong>de</strong>hnt und die Aufmerksamkeit <strong>de</strong>s Volkes<br />

auf das mit Füßen getretene Gesetz Gottes gelenkt wird, gerät Satan in Aufregung. Die Kraft,<br />

welche die Botschaft begleitet, wird jene rasend machen, die ihr wi<strong>de</strong>rstehen. Die<br />

Geistlichen wer<strong>de</strong>n mit beinahe übermenschlichen Anstrengungen das Licht zu verschließen<br />

suchen,damit es nicht auf ihre Her<strong>de</strong> scheine, und sie wer<strong>de</strong>n sich mit allen ihnen zu Gebote<br />

stehen<strong>de</strong>n Mitteln bemühen, die Besprechung dieser wichtigen Fragen zu unterdrücken. Die<br />

Kirche wen<strong>de</strong>t sich an <strong>de</strong>n starken Arm <strong>de</strong>r Staatsgewalt, und zwar wer<strong>de</strong>n sich Katholiken<br />

und Protestanten in diesem Bemühen vereinigen. Wenn die Bewegung, die Sonntagsfeier zu<br />

425


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

erzwingen, kühner und entschie<strong>de</strong>ner wird, wer<strong>de</strong>n die Gesetze gegen diejenigen angerufen<br />

wer<strong>de</strong>n, die die Gebote Gottes halten. Man wird sie mit Geldstrafen und Gefängnis<br />

bedrohen; einigen wird man einflußreiche Stellungen und an<strong>de</strong>re Belohnungen und Vorteile<br />

anbieten, damit sie ihrem Glauben entsagen. Ihre standhafte Antwort aber lautet: Beweist<br />

uns unseren Irrtum aus <strong>de</strong>m Worte Gottes — dieselbe Bitte, die Luther unter ähnlichen<br />

Umstän<strong>de</strong>n ausgesprochen hatte.<br />

Vor Gericht geführt, wer<strong>de</strong>n sie die Wahrheit ein<strong>de</strong>utig rechtfertigen, und manche<br />

Zuhörer wer<strong>de</strong>n sich entschließen, alle Gebote Gottes zu halten. So wer<strong>de</strong>n Tausen<strong>de</strong> von<br />

Menschen das Licht sehen, die es sonst nie geschaut hätten. Gewissenhafter Gehorsam<br />

gegen Gottes Wort wird als Empörung angesehen wer<strong>de</strong>n. Von Satan verblen<strong>de</strong>t, wer<strong>de</strong>n<br />

die Eltern das gläubige Kind hart und streng behan<strong>de</strong>ln; Herrschaften wer<strong>de</strong>n ihre Bedienten,<br />

die die Gebote halten, unterdrücken. Die Liebe wird erkalten; Kin<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n enterbt und<br />

aus <strong>de</strong>m Haus getrieben. Die Worte <strong>de</strong>s Paulus: „Alle, die gottselig leben wollen in Christo<br />

Jesu, müssen Verfolgung lei<strong>de</strong>n“ (2.Timotheus 3,12) wer<strong>de</strong>n buchstäblich in Erfüllung<br />

gehen. Da sich die Verteidiger <strong>de</strong>r Wahrheit weigern, <strong>de</strong>n Sonntag als Sabbat zu ehren,<br />

wer<strong>de</strong>n manche von ihnen ins Gefängnis geworfen,an<strong>de</strong>re verbannt und etliche wie Sklaven<br />

behan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n. Dem menschlichen Verstand scheint dies alles jetzt unmöglich; wenn<br />

aber <strong>de</strong>r zügeln<strong>de</strong> Geist Gottes <strong>de</strong>n Menschen entzogen wird und sie <strong>de</strong>r Herrschaft Satans,<br />

<strong>de</strong>r die göttlichen Verordnungen haßt, überlassen bleiben, dann wer<strong>de</strong>n sich ungewöhnliche<br />

Dinge enthüllen. Das Herz kann sehr grausam sein, sobald Gottesfurcht und Liebe<br />

verschwun<strong>de</strong>n sind.<br />

Wenn <strong>de</strong>r Sturm herannaht, wer<strong>de</strong>n viele, die sich zur dritten Engelsbotschaft bekannt<br />

haben, aber nicht durch <strong>de</strong>n Gehorsam gegen die Wahrheit geheiligt wor<strong>de</strong>n sind, ihren<br />

Standpunkt aufgeben und sich zu <strong>de</strong>n Reihen <strong>de</strong>r Gegner schlagen. In<strong>de</strong>m sie sich mit <strong>de</strong>r<br />

Welt vereinigen und an ihrem Geist teilhaben, kommen sie dahin, die Dinge in nahezu <strong>de</strong>m<br />

gleichen Licht zu betrachten wie die Welt, und wenn die Prüfung an sie herantritt, wählen<br />

sie die leichte, allseits beliebte Seite. Talentvolle Männer von ansprechen<strong>de</strong>m Benehmen,<br />

die sich einst <strong>de</strong>r Wahrheit erfreuten, setzen ihre Kräfte ein, um Seelen zu täuschen und<br />

irrezuleiten, und wer<strong>de</strong>n die bittersten Fein<strong>de</strong> ihrer ehemaligen Brü<strong>de</strong>r. Wenn jene, die <strong>de</strong>n<br />

Sabbat halten, vor Gericht gestellt wer<strong>de</strong>n, um sich um ihres Glaubens willen zu<br />

verantworten, sind diese Abtrünnigen die wirksamsten Werkzeuge Satans, sie zu<br />

verleum<strong>de</strong>n und anzuklagen und durch falsche Berichte und Einflüsterungen die Herrscher<br />

gegen sie aufzuhetzen.<br />

In dieser Zeit <strong>de</strong>r Verfolgung wird <strong>de</strong>r Glaube <strong>de</strong>r Diener <strong>de</strong>s Herrn geprüft wer<strong>de</strong>n. Sie<br />

haben im Hinblick auf Gott und sein Wort die Warnung treulich verkün<strong>de</strong>t; Gottes Geist<br />

wirkte auf ihre Herzen und zwang sie zu re<strong>de</strong>n. Von heiligem Eifer angeregt und vom Geist<br />

Gottes mit Macht getrieben, gingen sie an die Ausführung <strong>de</strong>r ihnen aufgetragenen<br />

Aufgaben, ohne die Folgen zu be<strong>de</strong>nken, die ihnen durch die Verkündigung <strong>de</strong>s ihnen von<br />

Gott eingegebenen Wortes erwachsen könnten. Sie waren we<strong>de</strong>r auf ihr irdisches<br />

426


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Wohlergehen bedacht, noch haben sie danach getrachtet, ihren guten Ruf o<strong>de</strong>r ihr Leben zu<br />

bewahren; <strong>de</strong>nnoch wer<strong>de</strong>n manche, wenn <strong>de</strong>r Sturm <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rstan<strong>de</strong>s und <strong>de</strong>r Schmach<br />

über sie hereinbricht, von Bestürzung überwältigt, bereit sein auszurufen: Hätten wir die<br />

Folgen unserer Worte vorhergesehen, sie wären ungesagt geblieben. — Sie sind ringsum<br />

von Schwierigkeiten umgeben. Satan bestürmt sie mit grimmigen Versuchungen. Die<br />

Aufgabe, die sie in Angriff genommen haben, scheint ihre Fähigkeiten weit zu übersteigen,<br />

um sie vollen<strong>de</strong>n zu können. Man droht ihnen, sie umzubringen.<br />

Die Begeisterung, die sie beseelte, ist dahin; sie können nicht mehr <strong>de</strong>n Weg<br />

zurückgehen. Dann flehen sie, sich ihrer äußersten Ohnmacht bewußt, zu <strong>de</strong>m Allmächtigen<br />

um Kraft. Sie erinnern sich, daß die Worte die sie gesprochen haben, nicht ihre eigenen<br />

Worte waren, son<strong>de</strong>rn die Worte <strong>de</strong>ssen, <strong>de</strong>r ihnen befohlen hatte, die Warnung zu erteilen.<br />

Gott pflanzte die Wahrheit in ihre Herzen, und sie konnten nicht an<strong>de</strong>rs, sie mußten sie<br />

verkündigen. Die gleichen Prüfungen haben Männer Gottes in <strong>de</strong>n vergangenen Zeiten<br />

durchgemacht. Wiklif, Hus, Luther, Tyndale, Baxter, Wesley, sie verlangten, daß alle<br />

Lehren durch die Bibel geprüft wer<strong>de</strong>n sollten und erklärten, sich von allem lossagen zu<br />

wollen, was diese verdamme. Gegen diese Männer wütete die Verfolgung mit<br />

unerbittlichem Zorn, und doch hörten sie nicht auf, die Wahrheit zu verkündigen.<br />

Verschie<strong>de</strong>ne Abschnitte <strong>de</strong>r Kirchengeschichte zeichnen sich durch die Enthüllung<br />

irgen<strong>de</strong>iner beson<strong>de</strong>ren Wahrheit aus, die <strong>de</strong>n Bedürfnissen <strong>de</strong>s Volkes Gottes zu jener Zeit<br />

angemessen war. Je<strong>de</strong> neue Wahrheit hat sich ihren Weg durch Haß und Wi<strong>de</strong>rstand<br />

hindurch gebahnt; wer mit ihrer Erkenntnis gesegnet war, wur<strong>de</strong> versucht und geprüft.<br />

Wenn es nottut, gibt <strong>de</strong>r Herr <strong>de</strong>m Volke eine beson<strong>de</strong>re Wahrheit. Wer wagt es, ihre<br />

Verkündigung zu verweigern? Er gebietet seinen Dienern, <strong>de</strong>r Welt die letzte<br />

Gna<strong>de</strong>nbotschaft vor Augen zu führen. Sie können nicht schweigen, es sei <strong>de</strong>nn unter<br />

Gefährdung ihrer eigenen Seele. Die Gesandten Christi haben mit <strong>de</strong>n Folgen nichts zu tun.<br />

Sie müssen ihre Pflicht erfüllen und das übrige Gott überlassen.<br />

Wird <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rstand grimmiger, so wer<strong>de</strong>n Gottes Diener aufs neue verwirrt; <strong>de</strong>nn es<br />

scheint ihnen, als hätten sie die Entscheidung herbeigeführt. Aber ihr Gewissen und das<br />

Wort Gottes geben ihnen die Sicherheit,daß ihr Verhalten richtig war; und wenn die<br />

Prüfungen fortdauern, wer<strong>de</strong>n sie gestärkt, sie zu ertragen. Der Kampf wird entschlossener<br />

und heftiger, aber ihr Glaube und ihr Mut steigen mit <strong>de</strong>r Schwierigkeit ihrer Lage. Ihr<br />

Zeugnis lautet: Wir wagen es nicht, in Gottes Wort Än<strong>de</strong>rungen vorzunehmen, in<strong>de</strong>m wir<br />

sein heiliges Gesetz zertrennen und <strong>de</strong>n einen Teil wesentlich und <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren unwesentlich<br />

nennen, nur um die Gunst <strong>de</strong>r Welt zu gewinnen.<br />

Der Herr, <strong>de</strong>m wir dienen, ist imstan<strong>de</strong>, uns zu befreien. Christus hat die Mächte <strong>de</strong>r<br />

Er<strong>de</strong> überwun<strong>de</strong>n; sollten wir uns fürchten vor einer bereits besiegten Welt? Die Verfolgung<br />

in ihren verschie<strong>de</strong>nen Formen ist die Entfaltung eines Grundsatzes, <strong>de</strong>r so lange bestehen<br />

wird, solange Satan lebt und das Christentum Lebenskraft besitzt. Kein Mensch kann Gott<br />

dienen, ohne <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rstand <strong>de</strong>r Scharen <strong>de</strong>r Finsternis zu erregen. Die bösen Engel, die<br />

427


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

beunruhigt sind, daß sein Einfluß ihren Hän<strong>de</strong>n die Beute entreißen möchte, wer<strong>de</strong>n ihn<br />

bestürmen, und böse Menschen, die sich durch sein Beispiel gestraft fühlen, wer<strong>de</strong>n sich mit<br />

jenen Engeln vereinen, ihn durch locken<strong>de</strong> Versuchungen von Gott zu trennen. Bleiben<br />

diese erfolglos, wird Gewalt angewen<strong>de</strong>t, um das Gewissen zu zwingen.<br />

Doch solange Jesus im himmlischen Heiligtum <strong>de</strong>r Vermittler <strong>de</strong>s Menschen bleibt,<br />

wer<strong>de</strong>n Herrscher und Volk <strong>de</strong>n beschränken<strong>de</strong>n Einfluß <strong>de</strong>s Heiligen Geistes spüren. Noch<br />

immer beherrscht er in einem gewissen Gra<strong>de</strong> die Gesetze <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s. Wäre es nicht um<br />

dieser Gesetze willen, <strong>de</strong>r Zustand <strong>de</strong>r Welt wür<strong>de</strong> viel schlimmer sein, als er jetzt ist.<br />

Während viele unserer hohen Beamten wirksame Helfer Satans sind, hat Gott seine<br />

Mitarbeiter auch unter <strong>de</strong>n führen<strong>de</strong>n Männern <strong>de</strong>s Volkes. Der Feind wirkt auf seine<br />

Knechte ein, Maßnahmen vorzuschlagen, die das Werk Gottes beträchtlich hin<strong>de</strong>rn wür<strong>de</strong>n;<br />

aber Staatsmänner, die <strong>de</strong>n Herrn fürchten, wer<strong>de</strong>n von heiligen Engeln beeinflußt, sich<br />

solchen Vorschlägen mit unwi<strong>de</strong>rlegbaren Beweisen zu wi<strong>de</strong>rsetzen. Auf diese Weise<br />

wer<strong>de</strong>n wenige Männer einen mächtigen Strom <strong>de</strong>s Übels aufhalten. Der Wi<strong>de</strong>rstand <strong>de</strong>r<br />

Fein<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Wahrheit wird zurückgedrängt wer<strong>de</strong>n, damit die dritte Engelsbotschaft ihre<br />

Aufgabe erfüllen kann. Wird dann die letzte Warnung verkündigt, so ist die<br />

Aufmerksamkeit dieser führen<strong>de</strong>n Männer, durch die <strong>de</strong>r Herr nun wirkt, gefesselt, und<br />

manche von ihnen wer<strong>de</strong>n sie annehmen und sich während <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r Trübsal <strong>de</strong>m Volke<br />

Gottes anschließen.<br />

Der Engel, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Verkündigung <strong>de</strong>r dritten Engelsbotschaft folgt, soll die ganze Er<strong>de</strong><br />

mit seiner Herrlichkeit erleuchten. Hier wird ein Werk von weltumspannen<strong>de</strong>r Aus<strong>de</strong>hnung<br />

und ungewöhnlicher Kraft vorhergesagt. Die Adventbewegung von 1840 bis 1844 war eine<br />

herrliche Offenbarung <strong>de</strong>r Macht Gottes. Die erste Engelsbotschaft wur<strong>de</strong> zu je<strong>de</strong>r<br />

Missionsstation in <strong>de</strong>r Welt getragen, und in einigen Län<strong>de</strong>rn herrscht die größte religiöse<br />

Bewegung, die seit <strong>de</strong>r Reformation <strong>de</strong>s 16. Jahrhun<strong>de</strong>rts in irgen<strong>de</strong>inem Lan<strong>de</strong> gesehen<br />

wur<strong>de</strong>, aber noch weit größer wird die mächtige Bewegung sein, die durch die letzte<br />

Warnung <strong>de</strong>s dritten Engels entstehen wird. Diese Bewegung wird <strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Pfingsttages<br />

ähnlich sein. Wie <strong>de</strong>r „Frühregen“ in <strong>de</strong>r Ausgießung <strong>de</strong>s Heiligen Geistes am Anfang <strong>de</strong>r<br />

Apostelzeit fiel, um das Aufsprießen <strong>de</strong>s köstlichen Samens zu bewirken, so wird <strong>de</strong>r<br />

„Spätregen“ am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Tage ausgegossen wer<strong>de</strong>n, damit die Ernte reife. „Dann wer<strong>de</strong>n<br />

wir acht darauf haben und fleißig sein, daß wir <strong>de</strong>n Herrn erkennen. Denn er wird<br />

hervorbrechen wie die schöne Morgenröte und wird zu uns kommen wie ein Regen, wie ein<br />

Spätregen, <strong>de</strong>r das Land feuchtet.“ Hosea 6,3. „Und ihr, Kin<strong>de</strong>r Zions, freuet euch und seid<br />

fröhlich im Herrn, eurem Gott, <strong>de</strong>r euch Lehrer zur Gerechtigkeit gibt und euch herabsen<strong>de</strong>t<br />

Frühregen und Spätregen.“ Joel 2,23. „Und es soll geschehen in <strong>de</strong>n letzten Tagen, spricht<br />

Gott, ich will ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und eure<br />

Töchter sollen weissagen ... Und soll geschehen, wer <strong>de</strong>n Namen <strong>de</strong>s Herrn anrufen wird,<br />

soll selig wer<strong>de</strong>n.“ Apostelgeschichte 2,17.21.<br />

428


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Das große Werk <strong>de</strong>s Evangeliums wird mit keiner geringeren Offenbarung <strong>de</strong>r Macht<br />

Gottes schließen als <strong>de</strong>rjenigen, die seinen Anfang kennzeichnete. Die Weissagungen, die in<br />

<strong>de</strong>r Ausgießung <strong>de</strong>s Frühregens am Anfang <strong>de</strong>r frühchristlichen Zeit ihre Erfüllung fan<strong>de</strong>n,<br />

wer<strong>de</strong>n sich am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r christlichen Geschichte im Spätregen erfüllen. Es ist die Zeit <strong>de</strong>r<br />

Erquickung, <strong>de</strong>r auch <strong>de</strong>r Apostel Petrus entgegensah, als er sagte: „so tut nun Buße und<br />

bekehret euch, daß eure Sün<strong>de</strong>n vertilgt wer<strong>de</strong>n; auf daß da komme die Zeit <strong>de</strong>r Erquickung<br />

von <strong>de</strong>m Angesichte <strong>de</strong>s Herrn wenn er sen<strong>de</strong>n wird <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r euch jetzt zuvor gepredigt<br />

wird, Jesus Christus.“ Apostelgeschichte 3,19.20.<br />

Diener Gottes mit leuchten<strong>de</strong>m und vor heiligem Eifer strahlen<strong>de</strong>m Angesicht wer<strong>de</strong>n<br />

von Ort zu Ort eilen, um die Botschaft vom Himmel zu verkündigen. Tausen<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n die<br />

Warnung über die ganze Er<strong>de</strong> verbreiten. Erstaunliche Taten wer<strong>de</strong>n gewirkt, Kranke<br />

geheilt wer<strong>de</strong>n, Zeichen und Wun<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Gläubigen folgen. Auch Satan wird<br />

lügenhafte Wun<strong>de</strong>r wirken und sogar Feuer vom Himmel fallen lassen vor <strong>de</strong>n Menschen.<br />

Offenbarung 13,13. Auf diese Weise wer<strong>de</strong>n die Bewohner <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> gezwungen, sich zu<br />

entschei<strong>de</strong>n. Die Botschaft wird nicht so sehr durch Beweisführungen als durch die tiefe<br />

Überzeugung <strong>de</strong>s Geistes Gottes verbreitet wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Beweise sind vorgetragen wor<strong>de</strong>n. Der Same ist ausgestreut und wird nun<br />

aufsprießen und Frucht bringen. Die durch Missionsarbeiter verbreiteten Druckschriften<br />

haben ihren Einfluß ausgeübt; doch sind viele, <strong>de</strong>ren Gemüter ergriffen waren, verhin<strong>de</strong>rt<br />

wor<strong>de</strong>n, die Wahrheit völlig zu verstehen o<strong>de</strong>r ihr Gehorsam zu leisten. Nun dringen die<br />

Lichtstrahlen überall durch, die Wahrheit wird in ihrer Klarheit gesehen, und die<br />

aufrichtigen Kin<strong>de</strong>r Gottes zerschnei<strong>de</strong>n die Ban<strong>de</strong>, die sie gehalten haben.<br />

Familienverhältnisse und kirchliche Beziehungen sind jetzt machtlos, sie zurückzuhalten.<br />

Die Wahrheit ist köstlicher als alles an<strong>de</strong>re. Ungeachtet <strong>de</strong>r gegen die Wahrheit verbün<strong>de</strong>ten<br />

Kräfte stellt sich eine große Schar auf die Seite <strong>de</strong>s Herrn.<br />

429


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 39- Anarchie Entfesselt<br />

„Zur selben Zeit wird <strong>de</strong>r große Fürst Michael, <strong>de</strong>r für die Kin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>ines Volks steht,<br />

sich aufmachen. Denn es wird eine solche trübselige Zeit sein, wie sie nicht gewesen ist,<br />

seit<strong>de</strong>m Leute gewesen sind bis auf diese Zeit. Zur selben Zeit wird <strong>de</strong>in Volk errettet<br />

wer<strong>de</strong>n, alle, die im Buch geschrieben stehen.“ Daniel 12,1.<br />

Sobald die dritte Engelsbotschaft abgeschlossen ist, bittet die Gna<strong>de</strong> Christi nicht länger<br />

für die sündigen Bewohner <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>. Gottes Volk hat seine Aufgabe vollen<strong>de</strong>t; es hat <strong>de</strong>n<br />

„Spätregen“, „die Erquickung von <strong>de</strong>m Angesichte <strong>de</strong>s Herrn“, empfangen und ist auf die<br />

bevorstehen<strong>de</strong> schwere Stun<strong>de</strong> vorbereitet. Engel eilen im Himmel hin und her. Einer, <strong>de</strong>r<br />

von <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> zurückkehrt, verkündigt, daß sein Werk getan ist; die letze Prüfung ist über die<br />

Welt gegangen, und alle, die gegen die göttlichen Vorschriften treu gewesen sind, haben<br />

„das Siegel <strong>de</strong>s lebendigen Gottes“ empfangen. Dann been<strong>de</strong>t Jesus seinen Mittlerdienst im<br />

himmlischen Heiligtum. Er erhebt seine Hän<strong>de</strong> und spricht mit lauter Stimme: „Es ist<br />

vollbracht!“, und die gesamte Schar <strong>de</strong>r Engel legt ihre Kronen nie<strong>de</strong>r, wenn er feierlich<br />

ankündigt: „Wer böse ist, <strong>de</strong>r sei fernerhin böse, und wer unrein ist, <strong>de</strong>r sei fernerhin unrein;<br />

aber wer fromm ist, <strong>de</strong>r sei fernerhin fromm, und wer heilig ist, <strong>de</strong>r sei fernerhin<br />

heilig.“ Offenbarung 22,11. Je<strong>de</strong>r Fall ist zum Leben o<strong>de</strong>r zum To<strong>de</strong> entschie<strong>de</strong>n wor<strong>de</strong>n.<br />

Christus hat sein Volk versöhnt und <strong>de</strong>ssen Sün<strong>de</strong>n ausgetilgt. Die<br />

Vollzahl seiner Untertanen ist erreicht; „Reich, Gewalt und Macht unter <strong>de</strong>m ganzen<br />

Himmel“ sollen <strong>de</strong>n Erben <strong>de</strong>s Heils gegeben wer<strong>de</strong>n, und Jesus wird als König und Herr<br />

regieren. Wenn er das Heiligtum verläßt, liegt Finsternis über <strong>de</strong>n Bewohnern <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>. In<br />

jener schrecklichen Zeit müssen die Gerechten ohne einen Vermittler vor einem heiligen<br />

Gott leben. Die Macht, die bis dahin die Gottlosen zurückhielt, ist beseitigt, und Satan<br />

herrscht uneingeschränkt über die völlig Unbußfertigen. Gottes Langmut ist zu En<strong>de</strong>. Die<br />

Welt hat seine Gna<strong>de</strong> verworfen, seine Liebe verachtet und sein Gesetz mit Füßen getreten.<br />

Die Gottlosen haben die Grenzen ihrer Gna<strong>de</strong>nzeit überschritten; <strong>de</strong>r Geist Gottes, <strong>de</strong>m sie<br />

hartnäckig wi<strong>de</strong>rstan<strong>de</strong>n, ist ihnen schließlich entzogen wor<strong>de</strong>n. Von <strong>de</strong>r göttlichen Gna<strong>de</strong><br />

nicht mehr beschirmt, sind sie schutzlos <strong>de</strong>m Bösen ausgeliefert. Satan wird dann die<br />

Bewohner <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> in eine letzte große Trübsal stürzen. Wenn die Engel Gottes aufhören,<br />

die grimmigen Stürme menschlicher Lei<strong>de</strong>nschaften im Zaum zu halten, wer<strong>de</strong>n alle Mächte<br />

<strong>de</strong>s Streites entfesselt sein. Die ganze Welt wird in ein Ver<strong>de</strong>rben hineingezogen wer<strong>de</strong>n,<br />

das schrecklicher ist als jenes, das einst über das alte Jerusalem hereinbrach.<br />

Ein einziger Engel brachte alle Erstgeborenen <strong>de</strong>r Ägypter um und erfüllte dadurch das<br />

Land mit Wehklagen. Als sich David gegen Gottes Gebot verging, in<strong>de</strong>m er das Volk zählte,<br />

erhob sich ein Engel zu jener schrecklichen Vernichtung, durch die seine Sün<strong>de</strong> bestraft<br />

wur<strong>de</strong>. Die gleiche zerstören<strong>de</strong> Macht, die die heiligen Engel ausüben, wenn Gott es befiehlt,<br />

wird von <strong>de</strong>n bösen Engeln ausgeübt wer<strong>de</strong>n, wenn er es zuläßt. Jene Kräfte stehen jetzt<br />

bereit und warten nur auf die göttliche Erlaubnis, um überall Verwüstung anzurichten. Die<br />

430


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Gottes Gesetz ehrten,sind beschuldigt wor<strong>de</strong>n, Gerichte über die Welt gebracht zu haben.<br />

Sie wer<strong>de</strong>n als die Ursache <strong>de</strong>s Streites und Blutvergießens unter <strong>de</strong>n Menschen sowie <strong>de</strong>r<br />

fürchterlichen Erschütterungen <strong>de</strong>r Natur angesehen wer<strong>de</strong>n, die die Er<strong>de</strong> mit Leid erfüllen.<br />

Die die letzte Warnung begleiten<strong>de</strong> Kraft hat die Gottlosen in Wut versetzt; ihr Zorn ist<br />

geschürt gegen alle, die die Botschaft angenommen haben, und Satan wird <strong>de</strong>n Geist <strong>de</strong>s<br />

Hasses und <strong>de</strong>r Verfolgung zu noch größerer Stärke anfachen.<br />

Als Gott sich schließlich vom jüdischen Volk zurückzog, wußten es we<strong>de</strong>r die Priester<br />

noch das Volk. Obgleich sie sich unter <strong>de</strong>r Herrschaft Satans befan<strong>de</strong>n und von <strong>de</strong>n<br />

schrecklichsten und abscheulichsten Lei<strong>de</strong>nschaften geleitet wur<strong>de</strong>n, betrachteten sie sich<br />

selbst noch immer als die Auserwählten Gottes. Den Dienst im Tempel setzten sie fort, die<br />

Opfer brachten sie auf seinen verunreinigten Altären dar, und täglich riefen sie <strong>de</strong>n<br />

göttlichen Segen auf ein Volk herab, das an <strong>de</strong>m Blut <strong>de</strong>s teuren Sohnes Gottes schuldig<br />

gewor<strong>de</strong>n war und versucht hatte, seine Diener und Apostel umzubringen. So wer<strong>de</strong>n auch<br />

die Bewohner <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> nicht wissen, wann die unwi<strong>de</strong>rrufliche Entscheidung im Heiligtum<br />

ausgesprochen und das Schicksal <strong>de</strong>r Welt auf ewig bestimmt wor<strong>de</strong>n ist. Ein Volk, von<br />

<strong>de</strong>m sich <strong>de</strong>r Geist Gottes endgültig zurückgezogen hat, wird weiterhin die Formen <strong>de</strong>r<br />

Religion beachten; und <strong>de</strong>r satanische Eifer, mit <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Fürst <strong>de</strong>s Bösen es zur Ausführung<br />

seiner boshaften Anschläge begeistern wird, trägt ähnliche Züge wie das Eifern für Gott.<br />

Da <strong>de</strong>r Sabbat in <strong>de</strong>r ganzen Christenheit beson<strong>de</strong>rs umkämpft ist und Staat und Kirche<br />

sich vereinigt haben, die Beachtung <strong>de</strong>s Sonntags zu erzwingen, wird die hartnäckige<br />

Weigerung einer kleinen Min<strong>de</strong>rheit, <strong>de</strong>r volkstümlichen For<strong>de</strong>rung nachzukommen, sie<br />

zum Ziel allgemeinen Fluches machen. Es wird hervorgehoben wer<strong>de</strong>n, daß die wenigen,<br />

die sich einer Verordnung <strong>de</strong>r Kirche und <strong>de</strong>n Verfügungen <strong>de</strong>s Staates wi<strong>de</strong>rsetzen, nicht<br />

gedul<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n sollten; daß es besser sei, diese lei<strong>de</strong>n zu lassen, als daß ganze Nationen in<br />

Verwirrung und Gesetzlosigkeit gestürzt wür<strong>de</strong>n. Die gleiche Behauptung wur<strong>de</strong> vor mehr<br />

als 1800 Jahren von <strong>de</strong>n Obersten <strong>de</strong>s Volkes Israel gegen Christus aufgestellt. Der<br />

verschlagene Kaiphas sagte: „Es ist uns besser, ein Mensch sterbe für das Volk, <strong>de</strong>nn daß<br />

das ganze Volk ver<strong>de</strong>rbe.“ Johannes 11,50.<br />

Diese Beweisführung wird als entschei<strong>de</strong>nd angesehen wer<strong>de</strong>n, und schließlich wird<br />

wi<strong>de</strong>r alle, die <strong>de</strong>n Sabbat <strong>de</strong>s vierten Gebots heiligen,ein Erlaß ergehen,worin sie als <strong>de</strong>r<br />

härtesten Strafen würdig hingestellt wer<strong>de</strong>n und man <strong>de</strong>m Volke die Freiheit gibt, sie nach<br />

einer gewissen Zeit umzubringen. Der Katholizismus in <strong>de</strong>r Alten und <strong>de</strong>r abgefallene<br />

Protestantismus in <strong>de</strong>r Neuen Welt wer<strong>de</strong>n in ähnlicher Weise gegen solche han<strong>de</strong>ln, die<br />

alle göttlichen Gebote ehren. Dann wird Gottes Volk in jene Tage <strong>de</strong>r Trübsal und <strong>de</strong>s<br />

Jammers geraten, die von <strong>de</strong>m Propheten Jeremia als die Zeit <strong>de</strong>r Angst in Jakob<br />

beschrieben wer<strong>de</strong>n: „So spricht <strong>de</strong>r Herr: Wir hören ein Geschrei <strong>de</strong>s Schreckens; es ist<br />

eitel Furcht da und kein Frie<strong>de</strong> … Wie geht es <strong>de</strong>nn zu, daß ... alle Angesichter so bleich<br />

sind? Es ist ja ein großer Tag, und seinesgleichen ist nicht gewesen, und ist eine Zeit <strong>de</strong>r<br />

Angst in Jakob; doch soll ihm daraus geholfen wer<strong>de</strong>n.“ Jeremia 30,5-7.<br />

431


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Jakobs Nacht <strong>de</strong>r Angst, als er im Gebet darum rang (1.Mose 32,25-31), aus <strong>de</strong>r Hand<br />

Esaus befreit zu wer<strong>de</strong>n, stellt die Erfahrung <strong>de</strong>s Volkes Gottes in <strong>de</strong>r trübseligen Zeit dar.<br />

Infolge <strong>de</strong>r Täuschung, die von Jakob begangen wor<strong>de</strong>n war, um sich <strong>de</strong>n Esau<br />

vorbehaltenen Segen seines Vaters zu verschaffen, hatte er, erschreckt durch die tödlichen<br />

Drohungen seines Bru<strong>de</strong>rs, fliehen müssen, um sein Leben zu retten. Nach<strong>de</strong>m er viele<br />

Jahre als freiwillig Verbannter gelebt, hatte er sich auf Gottes Geheiß auf <strong>de</strong>n Weg gemacht,<br />

um mit seinen Weibern und Kin<strong>de</strong>rn und mit seinen Her<strong>de</strong>n in seine Heimat<br />

zurückzukehren. Als er die Grenzen <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s erreichte, wur<strong>de</strong> er durch die Nachricht von<br />

<strong>de</strong>m Herannahen Esaus an <strong>de</strong>r Spitze einer Hor<strong>de</strong> Krieger erschreckt, die ohne Zweifel<br />

Rache üben wollten. Es schien, als müsse Jakobs unbewaffnete und wehrlose Schar <strong>de</strong>r<br />

Gewalt und <strong>de</strong>m Gemetzel hilflos zum Opfer fallen. Zu <strong>de</strong>r Unruhe und Furcht kam noch<br />

die bedrücken<strong>de</strong> Last <strong>de</strong>r Selbstanklage; <strong>de</strong>nn es war seine eigene Sün<strong>de</strong>, die diese Gefahr<br />

herbeigeführt hatte. Seine einzige Hoffnung lag in <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong> Gottes; seine einzige<br />

Verteidigung mußte das Gebet sein. Doch ließ er seinerseits nichts ungetan, um das <strong>de</strong>m<br />

Bru<strong>de</strong>r zugefügte Unrecht zu sühnen und die drohen<strong>de</strong> Gefahr abzuwen<strong>de</strong>n. So sollten die<br />

Nachfolger Christi beim Herannahen <strong>de</strong>r trübseligen Zeit je<strong>de</strong> Anstrengung unternehmen,<br />

sich <strong>de</strong>m Volk gegenüber ins richtige Licht zu setzen, das Vorurteil zu entkräften und die<br />

<strong>de</strong>r Gewissensfreiheit drohen<strong>de</strong> Gefahr abzuwen<strong>de</strong>n.<br />

Nach<strong>de</strong>m Jakob seine Familie weggeschickt hat, damit sie seinen Jammer nicht sehe,<br />

bleibt er allein, um Gott zu bitten, sich für ihn ins Mittel zu legen. Er bekennt seine Sün<strong>de</strong><br />

und anerkennt dankbar die Gna<strong>de</strong> Gottes gegen ihn, während er sich in tiefer Demut auf <strong>de</strong>n<br />

mit seinen Vätern geschlossenen Bund und auf die ihm in jener Nacht zu Bethel und im<br />

Lan<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Verbannung zuteil gewor<strong>de</strong>nen Verheißungen beruft. Der Wen<strong>de</strong>punkt in seinem<br />

Leben ist gekommen; alles steht auf <strong>de</strong>m Spiel. In <strong>de</strong>r Finsternis und Einsamkeit fährt er fort<br />

zu beten und sich vor Gott zu <strong>de</strong>mütigen. Plötzlich legt sich eine Hand auf seine Schulter. Er<br />

glaubt, daß ein Feind ihm nach <strong>de</strong>m Leben trachte, und ringt mit <strong>de</strong>r Kraft <strong>de</strong>r Verzweiflung<br />

mit seinem Angreifer. Als <strong>de</strong>r Tag zu dämmern beginnt, zeigt <strong>de</strong>r Frem<strong>de</strong> seine<br />

übermenschliche Kraft; bei seinem Berühren scheint <strong>de</strong>r starke Mann gelähmt, und er fällt<br />

seinem geheimnisvollen Wi<strong>de</strong>rsacher als hilfloser, weinen<strong>de</strong>r Bittsteller um <strong>de</strong>n Hals.<br />

Jakob weiß jetzt, daß er mit <strong>de</strong>m Engel <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>s gerungen hat. Obwohl<br />

kampfunfähig und heftigste Schmerzen lei<strong>de</strong>nd, läßt er seine Absicht nicht fahren. Lange<br />

hat er Unruhe, Gewissensbisse und Leid um seiner Sün<strong>de</strong> willen erdul<strong>de</strong>t; jetzt muß er die<br />

Versicherung haben, daß ihm verziehen ist. Der göttliche Besucher scheint ihn verlassen zu<br />

wollen; aber Jakob hängt sich an ihn und fleht um seinen Segen. Der Engel drängt: „Laß<br />

mich gehen; <strong>de</strong>nn die Morgenröte bricht an.“ Aber <strong>de</strong>r Patriarch ruft aus: „Ich lasse dich<br />

nicht, du segnest mich <strong>de</strong>nn.“ Welches Vertrauen, welche Entschie<strong>de</strong>nheit, welche<br />

Ausdauer wer<strong>de</strong>n hier an <strong>de</strong>n Tag gelegt! Wäre dies eine prahlerische, anmaßen<strong>de</strong><br />

For<strong>de</strong>rung gewesen, Jakob wür<strong>de</strong> sofort vernichtet wor<strong>de</strong>n sein; aber er sprach mit <strong>de</strong>r<br />

Zuversicht, die <strong>de</strong>r besitzt, <strong>de</strong>r seine Schwachheit und Unwürdigkeit kennt und doch auf die<br />

Gna<strong>de</strong> eines wahrhaftigen Gottes vertraut.<br />

432


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

„Er kämpfte mit <strong>de</strong>m Engel und siegte.“ Hosea 12,5. Durch Demut, Reue und<br />

Selbstübergabe errang dieser sündhafte, irren<strong>de</strong> Sterbliche die Anerkennung <strong>de</strong>r Majestät<br />

<strong>de</strong>s Himmels. Zitternd hatte er sich an die Verheißungen Gottes geklammert, und das Herz<br />

<strong>de</strong>r unendlichen Liebe konnte die Bitte <strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong>rs nicht abweisen. Als Beweis für seinen<br />

Sieg und zur Ermutigung für an<strong>de</strong>re, seinem Beispiel zu folgen, wur<strong>de</strong> sein Name, <strong>de</strong>r an<br />

die Sün<strong>de</strong> erinnerte, geän<strong>de</strong>rt, um das Gedächtnis seines Sieges wachzuhalten. Die Tatsache,<br />

daß er mit Gott gerungen und gesiegt hatte, war eine Bürgschaft, daß er auch bei <strong>de</strong>n<br />

Menschen <strong>de</strong>n Sieg davontragen wür<strong>de</strong>. Er fürchtete <strong>de</strong>n Zorn seines Bru<strong>de</strong>rs nicht länger,<br />

<strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Herr war sein Schutz.<br />

Satan hatte Jakob vor <strong>de</strong>n Engeln Gottes verklagt und das Recht beansprucht, ihn wegen<br />

seiner Sün<strong>de</strong> zu vernichten. Er hatte Esau beeinflußt, gegen Jakob zuziehen; und während<br />

dieser die ganze Nacht hindurch rang, bemühte sich Satan, ihm das Gefühl seiner Schuld<br />

aufzudrängen, um ihn zu entmutigen und seinen Halt an Gott zu brechen. Jakob wur<strong>de</strong><br />

beinahe zur Verzweiflung getrieben; aber er wußte, daß er ohne Hilfe vom Himmel<br />

umkommen müßte. Er hat seine große Sün<strong>de</strong> aufrichtig bereut und berief sich nun auf die<br />

Gna<strong>de</strong> Gottes. Er wollte sich von seinem Ziel nicht abbringen lasen, son<strong>de</strong>rn hielt <strong>de</strong>n Engel<br />

fest und brachte seine Bitte mit ernstem, flehentlichem Schreien vor, bis er <strong>de</strong>ssen<br />

Anerkennung errang.<br />

Wie Satan Esau beeinflußte, gegen Jakob zu ziehen, so wird er in <strong>de</strong>r trübseligen Zeit<br />

die Bösen aufwiegeln, Gottes Kin<strong>de</strong>r umzubringen. Wie er Jakob anklagte, so wird er seine<br />

Anklagen auch gegen Gottes Volk vorbringen. Er zählt die Welt zu seinem<br />

Herrschaftsgebiet, aber die kleine Schar, die die Gebote Gottes hält, wi<strong>de</strong>rsteht seiner<br />

Oberherrschaft. Könnte er diese von <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> vertilgen, so wür<strong>de</strong> sein Sieg vollkommen<br />

sein. Er sieht, daß heilige Engel sie bewahren und nimmt an, daß ihre Sün<strong>de</strong>n verziehen<br />

wor<strong>de</strong>n sind; aber er weiß nicht, daß ihre Fälle im himmlischen Heiligtum entschie<strong>de</strong>n<br />

wur<strong>de</strong>n. Er kennt genau die Sün<strong>de</strong>n, zu <strong>de</strong>nen er sie verführt hat, und stellt diese Gott im<br />

grellsten Licht dar und behauptet, dieses Volk verdiene es ebensosehr, von <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong><br />

Gottes ausgeschlossen zu wer<strong>de</strong>n, wie er selbst. Er erklärt, <strong>de</strong>r Herr könne von Rechts<br />

wegen ihre Sün<strong>de</strong>n nicht vergeben, ihn und seine Engel jedoch vertilgen. Er beansprucht sie<br />

als seine Beute und verlangt, daß sie zur Vernichtung ihm überantwortet wer<strong>de</strong>n.<br />

Während Satan Gottes Kin<strong>de</strong>r wegen ihrer Sün<strong>de</strong>n verklagt, gestattet ihm <strong>de</strong>r Herr, sie<br />

bis zum äußersten zu versuchen. Ihr Gottvertrauen, ihr Glaube und ihre Entschie<strong>de</strong>nheit<br />

wer<strong>de</strong>n schwer geprüft. Wenn sie die Vergangenheit überblicken, sinkt ihre Hoffnung; <strong>de</strong>nn<br />

in ihrem ganzen Leben können sie wenig Gutes ent<strong>de</strong>cken. Sie sind sich ihrer Schwachheit<br />

und Unwürdigkeit völlig bewußt. Satan versucht sie mit <strong>de</strong>m Gedanken zu erschrecken, daß<br />

ihre Fälle hoffnungslos seien,daß <strong>de</strong>r Makel ihrer Verunreinigung nie ausgewaschen wer<strong>de</strong>n<br />

könne. Er hofft damit ihren Glauben so zu vernichten, daß sie seinen Versuchungen<br />

nachgeben und ihre Treue gegen Gott aufgeben.<br />

433


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Obwohl die Kin<strong>de</strong>r Gottes von Fein<strong>de</strong>n umgeben sein wer<strong>de</strong>n, die es auf ihren<br />

Untergang abgesehen haben, so ist doch die Angst, die sie ausstehen, nicht eine Angst vor<br />

<strong>de</strong>r Verfolgung um <strong>de</strong>r Wahrheit willen; son<strong>de</strong>rn sie fürchten, nicht je<strong>de</strong> Sün<strong>de</strong> bereut und<br />

durch irgen<strong>de</strong>in Versehen ihrerseits die Erfüllung <strong>de</strong>r Worte Christi versäumt zu haben, in<br />

<strong>de</strong>nen er verheißt, sie zu „bewahren vor <strong>de</strong>r Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Versuchung, die kommen wird über<br />

<strong>de</strong>n ganzen Weltkreis“. Offenbarung 3,10. Hätten sie die Gewißheit, daß ihre Sün<strong>de</strong>n<br />

vergeben wären, so wür<strong>de</strong>n sie vor Marter und Tod nicht zurückschrecken, sollten sie sich<br />

aber unwürdig erweisen und wegen ihrer Charakterfehler ihr Leben verlieren, dann wür<strong>de</strong><br />

Gottes heiliger Name geschmäht wer<strong>de</strong>n.<br />

Überall hören sie von <strong>de</strong>n verräterischen Anschlägen und sehen das Wirken <strong>de</strong>r<br />

Empörung; es erhebt sich in ihnen das heftige Verlangen, die ernste Sehnsucht <strong>de</strong>r Seele,<br />

daß dieser große Abfall en<strong>de</strong>n und die Bosheit <strong>de</strong>r Gottlosen zum Abschluß kommen möge.<br />

Aber während sie Gott bitten, <strong>de</strong>r Empörung Einhalt zu gebieten, machen sie sich selbst<br />

Vorwürfe, daß sie keine Kraft haben, <strong>de</strong>r mächtigen Flut <strong>de</strong>s Übels zu wi<strong>de</strong>rstehen und sie<br />

einzudämmen. Sie fühlen, daß Satans Heere weniger Macht haben wür<strong>de</strong>n, sie zu<br />

überwältigen, falls sie alle ihre Fähigkeit im Dienste Christi eingesetzt hätten und von Kraft<br />

zu Kraft vorangegangen wären.<br />

Sie kasteien ihre Seelen vor Gott, wobei sie darauf hinweisen, daß sie ihre vielen<br />

Sün<strong>de</strong>n bereut haben, und sich auf das Versprechen <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s berufen: „Er ... wird mir<br />

Frie<strong>de</strong>n schaffen; Frie<strong>de</strong>n wird er mir <strong>de</strong>nnoch schaffen.“ Jesaja 27,5. Ihr Glaube wankt<br />

nicht, weil ihre Gebete nicht augenblicklich erhört wer<strong>de</strong>n. Obwohl sie heftigste Angst,<br />

Schrecken und Not erlei<strong>de</strong>n, hören sie doch nicht auf, zu Gott zu flehen. Sie ergreifen die<br />

Kraft Gottes, wie Jakob sich an <strong>de</strong>n Engel <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>s klammerte, und ihre Seelen sprechen:<br />

„Ich lasse dich nicht, du segnest mich <strong>de</strong>nn!“<br />

Hätte Jakob nicht zuvor seine Sün<strong>de</strong>, die Erlangung <strong>de</strong>r Erstgeburt durch Betrug, bereut,<br />

so wür<strong>de</strong> Gott sein Gebet nicht erhört und sein Leben nicht gnädig bewahrt haben. Ebenso<br />

wür<strong>de</strong>n auch die Kin<strong>de</strong>r Gottes überwältigt wer<strong>de</strong>n, wenn in <strong>de</strong>r trübseligen Zeit, da sie von<br />

Angst und Schrecken gepeinigt sind, noch nicht bekannte Sün<strong>de</strong>n vor ihnen auftauchten;<br />

Verzweiflung wür<strong>de</strong> ihren Glauben ersticken, und sie könnten kein Vertrauen haben, bei<br />

Gott um Errettung zu bitten. Aber während sie sich <strong>de</strong>s tiefen Gefühls ihrer Unwürdigkeit<br />

bewußt sind, haben sie keine verborgenen Fehler zu enthüllen. Ihre Sün<strong>de</strong>n sind schon<br />

vorher beurteilt und ausgetilgt wor<strong>de</strong>n, und sie ge<strong>de</strong>nken ihrer nicht mehr.<br />

Satan verleitet viele zu glauben, daß Gott ihre Untreue in geringeren Dingen <strong>de</strong>s Lebens<br />

übersehe; aber <strong>de</strong>r Herr zeigt in seiner Handlungsweise mit Jakob, daß er in keiner Weise<br />

das Böse gutheißen o<strong>de</strong>r dul<strong>de</strong>n wird. Alle, die sich bemühen, ihre Sün<strong>de</strong>n zu entschuldigen<br />

o<strong>de</strong>r zu verbergen und sie uneingestan<strong>de</strong>n und unvergeben in <strong>de</strong>n Büchern <strong>de</strong>s Himmels<br />

stehen lassen, wer<strong>de</strong>n von Satan überwun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Je größer ihr Anspruch auf<br />

Frömmigkeit und je ehrbarer die Stellung ist, die sie innehaben, <strong>de</strong>sto ärger wird ihr<br />

Benehmen in <strong>de</strong>n Augen Gottes sein und <strong>de</strong>sto sicherer <strong>de</strong>r Sieg ihres Gegners. Wer die<br />

434


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Vorbereitung für <strong>de</strong>n Tag Gottes aufschiebt, kann sie nicht in <strong>de</strong>r trübseligen Zeit o<strong>de</strong>r<br />

später erlangen. Sein Fall ist hoffnungslos.<br />

Die Namenschristen, die unvorbereitet in <strong>de</strong>n letzten schrecklichen Kampf gehen,<br />

wer<strong>de</strong>n in ihrer Verzweiflung ihre Sün<strong>de</strong>n in Worten brennen<strong>de</strong>r Angst bekennen, während<br />

die Gottlosen über ihren Jammer frohlocken. Diese Bekenntnisse tragen <strong>de</strong>n gleichen<br />

Charakter wie die Esaus o<strong>de</strong>r Judas. Sie beklagen die Folgen <strong>de</strong>r Übertretung, nicht aber<br />

ihre Schuld. Sie fühlen keine wahre Reue, keinen Abscheu vor <strong>de</strong>m Übel. Sie gestehen ihre<br />

Sün<strong>de</strong> aus Furcht vor <strong>de</strong>r Strafe; doch wie einst Pharao wür<strong>de</strong>n sie <strong>de</strong>m Himmel wie<strong>de</strong>rum<br />

Trotz bieten, sollten die Gerichte zurückgezogen wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Geschichte Jakobs enthält auch die Versicherung, daß Gott die nicht verwerfen will,<br />

die betrogen, versucht und zur Sün<strong>de</strong> verleitet wor<strong>de</strong>n sind, die sich aber in aufrichtiger<br />

Reue zu ihm gewandt haben. Während Satan versucht, diese Menschen zu vernichten, wird<br />

Gott seine Engel sen<strong>de</strong>n, sie in <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r Gefahr zu trösten und zu beschützen. Die<br />

Anläufe Satans sind grimmig und entschlossen, seine Täuschungen schrecklich; aber das<br />

Auge <strong>de</strong>s Herrn wacht über seine Kin<strong>de</strong>r, und seine Ohren merken auf ihr Geschrei. Ihre<br />

Trübsal ist groß, die Flammen <strong>de</strong>s Feuerofens scheinen sie verschlingen zu wollen; doch sie<br />

wer<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>r Hand <strong>de</strong>ssen, <strong>de</strong>r sie läutert, hervorgehen wie im Feuer gereinigtes Gold.<br />

Gottes Liebe zu seinen Kin<strong>de</strong>rn ist in <strong>de</strong>r trübseligen Zeit ihrer schwersten Prüfungen<br />

ebenso stark und gütig wie in <strong>de</strong>n Tagen ihres glänzendsten Wohlergehens; aber es tut ihnen<br />

not, in <strong>de</strong>n Feuerofen gebracht zu wer<strong>de</strong>n; das Irdische an ihnen muß vernichtet wer<strong>de</strong>n,<br />

damit sie das Bild Christi vollkommen wi<strong>de</strong>rstrahlen können.<br />

Die uns bevorstehen<strong>de</strong> Zeit <strong>de</strong>r Trübsal und Angst wird einen Glauben erfor<strong>de</strong>rn, <strong>de</strong>r<br />

Mühsal, Verzug und Hunger erdul<strong>de</strong>n kann, einen Glauben, <strong>de</strong>r nicht wankt, wenn er auch<br />

schwer geprüft wird. Die Gna<strong>de</strong>nzeit wird allen gewährt, um sich auf jene Tage<br />

vorzubereiten. Jakob siegte, weil er ausdauernd und entschlossen war. Sein Sieg ist ein<br />

Beweis von <strong>de</strong>r Kraft anhalten<strong>de</strong>n Gebets. Alle, die sich wie er auf die Verheißungen Gottes<br />

stützen und ebenso ernst und standhaft sind, wie er es war, wer<strong>de</strong>n gleich ihm Erfolg haben.<br />

Wer aber nicht willens ist, sich selbst zu verleugnen, vor Gott Reue zu zeigen und lange und<br />

ernstlich zu beten, wird seinen Segen nicht erlangen. Mit Gott ringen — wie wenige wissen,<br />

was das ist! Wie wenige Seelen haben mit heftigem Verlangen vor Gott ausgeharrt, bis je<strong>de</strong><br />

Kraft aufs äußerste angespannt war! Wie wenige halten sich in unerschütterlichem Glauben<br />

an die Verheißungen Gottes, wenn die Wogen <strong>de</strong>r Verzweiflung, die keine Sprache<br />

beschreiben kann, über <strong>de</strong>n Bitten<strong>de</strong>n hereinbrechen!<br />

Die jetzt nur wenig Glauben üben, sind in <strong>de</strong>r größten Gefahr, <strong>de</strong>r Macht satanischer<br />

Täuschungen und <strong>de</strong>m Gewissenszwang zu unterliegen. Und selbst wenn sie die Prüfung<br />

überstehen, wer<strong>de</strong>n sie in <strong>de</strong>r trübseligen Zeit in tieferen Jammer und größere Angst geraten,<br />

weil sie es nie gewohnt waren, auf Gott zu vertrauen. Die Lehren <strong>de</strong>s Glaubens, die sie<br />

vernachlässigt haben, wer<strong>de</strong>n sie unter einem schrecklichen Druck <strong>de</strong>r Entmutigung lernen<br />

müssen.<br />

435


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Wir sollten uns nun mit <strong>de</strong>m Wesen Gottes vertraut machen, in<strong>de</strong>m wir seine<br />

Verheißungen erproben. Engel berichten je<strong>de</strong>s Gebet, das ernst und aufrichtig ist. Wir<br />

sollten eher die selbstsüchtigen Befriedigungen aufgeben, als die Gemeinschaft mit Gott<br />

vernachlässigen. Die tiefste Armut, die größte Selbstverleugnung mit Gott sind besser als<br />

Reichtümer, Ehrungen, Bequemlichkeit und Freundschaft ohne ihn. Wir müssen uns Zeit<br />

nehmen zum Gebet. Lassen wir unsere Gemüter von weltlichen Angelegenheiten in<br />

Anspruch nehmen, so gibt Gott uns vielleicht dazu die Zeit, in<strong>de</strong>m er uns unsere Götzen, die<br />

in Reichtum, in Häusern o<strong>de</strong>r fruchtbaren Län<strong>de</strong>reien bestehen, wegnimmt.<br />

Die Jugend wür<strong>de</strong> nicht zur Sün<strong>de</strong> verführt wer<strong>de</strong>n, wenn sie sich weigerte, irgen<strong>de</strong>inen<br />

Pfad zu betreten, auf <strong>de</strong>m sie nicht Gottes Segen erbitten kann. Wür<strong>de</strong>n die Boten, die <strong>de</strong>r<br />

Welt die letzte ernste Warnung zutragen, um <strong>de</strong>n Segen Gottes bitten — nicht in einer<br />

kalten, gleichgültigen, nachlässigen Weise, son<strong>de</strong>rn inbrünstig und im Glauben wie einst<br />

Jakob — so hätten sie oft Gelegenheit zu sagen: „Ich habe Gott von Angesicht gesehen, und<br />

meine Seele ist genesen“ 1.Mose 32,31. Sie wür<strong>de</strong>n vom Himmel als Fürsten angesehen<br />

wer<strong>de</strong>n, da sie Macht haben, über Gott und Menschen <strong>de</strong>n Sieg davonzutragen.<br />

Eine trübselige Zeit, wie nie zuvor gewesen ist, wird bald über uns hereinbrechen. Wir<br />

wer<strong>de</strong>n dann einer Erfahrung bedürfen, die wir jetzt nicht besitzen und die zu erstreben viele<br />

zu träge sind. Es geschieht oft, daß die Trübsal in <strong>de</strong>r Vorstellung viel größer erscheint als<br />

sie in Wirklichkeit ist; dies ist aber nicht <strong>de</strong>r Fall bei <strong>de</strong>n uns bevorstehen<strong>de</strong>n<br />

entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Prüfungen. Die lebhafteste Vorstellung kann die Größe <strong>de</strong>r Feuerprobe nicht<br />

ermessen. In jener Zeit <strong>de</strong>r Prüfung muß je<strong>de</strong>r für sich selbst vor Gott stehen. Wenngleich<br />

Noah, Daniel und Hiob im Lan<strong>de</strong> wären, „so wahr ich lebe, spricht <strong>de</strong>r Herr Herr, wür<strong>de</strong>n<br />

sie we<strong>de</strong>r Söhne noch Töchter, son<strong>de</strong>rn allein ihre eigene Seele durch ihre Gerechtigkeit<br />

erretten.“ Hesekiel 14,20.<br />

Während unser großer Hoherpriester jetzt die Versöhnung für uns vollbringt, sollten wir<br />

versuchen in Christus vollkommen zu wer<strong>de</strong>n. Nicht mit einem Gedanken gab unser<br />

Heiland <strong>de</strong>r Macht <strong>de</strong>r Versuchung nach. Satan fin<strong>de</strong>t in menschlichen Herzen diesen o<strong>de</strong>r<br />

jenen Makel, <strong>de</strong>n er sich zunutze macht; manche sündhafte Neigung wird gepflegt, durch<br />

die seine Versuchungen ihre Macht behaupten. Christus aber erklärte von sich: „Es kommt<br />

<strong>de</strong>r Fürst dieser Welt, und hat nichts an mir.“ Johannes 14,30. Satan vermochte nichts im<br />

Herzen <strong>de</strong>s Sohnes Gottes zu fin<strong>de</strong>n, das ihm hätte helfen können, <strong>de</strong>n Sieg davonzutragen.<br />

Christus hatte seines Vaters Gebote gehalten, und es war keine Sün<strong>de</strong> in ihm, <strong>de</strong>ren sich<br />

Satan zu seinem Vorteil hätte bedienen können. Dies ist <strong>de</strong>r Zustand, <strong>de</strong>r jenen eigen sein<br />

muß, die in <strong>de</strong>r trübseligen Zeit bestehen sollen.<br />

Schon in diesem Leben müssen wir uns durch <strong>de</strong>n Glauben an das versöhnen<strong>de</strong> Blut<br />

Christi von <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> trennen. Unser mächtiger Heiland lädt uns ein, uns ihm anzuschließen,<br />

unsere Schwäche mit seiner Kraft, unsere Unwissenheit mit seiner Weisheit, unsere<br />

Unwürdigkeit mit seinem Verdienst zu verbin<strong>de</strong>n. Gottes Vorsehung ist die Schule, in <strong>de</strong>r<br />

wir die Sanftmut und Demut Jesu lernen sollen. Der Herr stellt uns stets das wahre<br />

436


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Lebensziel vor Augen, nicht aber <strong>de</strong>n Weg, <strong>de</strong>n wir wählen möchten, <strong>de</strong>r uns leichter und<br />

angenehmer erscheint. Es bleibt uns anheimgestellt, vereint mit <strong>de</strong>n Kräften zu wirken, die<br />

<strong>de</strong>r Himmel einsetzt, um unsere Charaktere nach <strong>de</strong>m göttlichen Vorbild zu gestalten.<br />

Niemand kann diese Aufgabe vernachlässigen o<strong>de</strong>r aufschieben, ohne seine Seele in<br />

furchtbarer Weise zu gefähr<strong>de</strong>n.<br />

Der Apostel Johannes hörte in einem Gesicht eine laute Stimme im Himmel, die ausrief:<br />

„Weh <strong>de</strong>nen, die auf Er<strong>de</strong>n wohnen und auf <strong>de</strong>m Meer! <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Teufel kommt zu euch<br />

hinab und hat einen großen Zorn und weiß, daß er wenig Zeit hat.“ Offenbarung 12,12.<br />

Schrecklich sind die Ereignisse, die diesen Ausruf <strong>de</strong>r himmlischen Stimme veranlassen.<br />

Der Zorn Satans nimmt zu, je weniger er Zeit hat. Seine Täuschungen und Zerstörungen<br />

erreichen ihren Höhepunkt in <strong>de</strong>r trübseligen Zeit. Furchtbare, übernatürliche<br />

Erscheinungen wer<strong>de</strong>n sich bald am Himmel bekun<strong>de</strong>n als Zeichen <strong>de</strong>r Macht Wun<strong>de</strong>r<br />

wirken<strong>de</strong>r Dämonen. Die Geister <strong>de</strong>r Teufel wer<strong>de</strong>n hingehen zu <strong>de</strong>n Königen <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> und<br />

zu <strong>de</strong>r ganzen Welt, um sie in Täuschung gefangenzuhalten und sie zu veranlassen, sich mit<br />

Satan in seinem letzten Kriegszug gegen die Regierung <strong>de</strong>s Himmels zu vereinen. Durch<br />

diese Kräfte wer<strong>de</strong>n Herrscher und Untergebene in gleicher Weise betrogen wer<strong>de</strong>n.<br />

Menschen wer<strong>de</strong>n sich Christus nennen und <strong>de</strong>n Titel und die Verehrung beanspruchen, die<br />

<strong>de</strong>m Erlöser <strong>de</strong>r Welt zukommen. Sie wer<strong>de</strong>n erstaunliche Heilungen vollbringen und<br />

vorgeben, Offenbarungen vom Himmel empfangen zu haben, die jedoch <strong>de</strong>m Zeugnis <strong>de</strong>r<br />

Heiligen Schrift wi<strong>de</strong>rsprechen.<br />

Als krönen<strong>de</strong> Tat in <strong>de</strong>m großen Drama <strong>de</strong>r Täuschung wird sich Satan als Christus<br />

ausgeben. Die Kirche hat lange Zeit bekannt, auf die Ankunft <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s, das Ziel ihrer<br />

Hoffnung, zu warten. Nun wird <strong>de</strong>r große Betrüger <strong>de</strong>n Anschein erwecken, daß Christus<br />

gekommen sei. In verschie<strong>de</strong>nen Teilen <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> wird sich Satan unter <strong>de</strong>n Menschen als<br />

ein majestätisches Wesen von verwirren<strong>de</strong>m Glanz offenbaren, das <strong>de</strong>r von Johannes in <strong>de</strong>r<br />

Offenbarung gegebenen Beschreibung <strong>de</strong>s Sohnes Gottes gleicht. Offenbarung 1,13-15. Die<br />

Herrlichkeit, die ihn umgibt, ist unübertroffen von allem, was sterbliche Augen je gesehen<br />

haben. Es ertönt <strong>de</strong>r Jubelruf: „Christus ist gekommen! Christus ist gekommen!“ Das Volk<br />

wirft sich anbetend vor ihm nie<strong>de</strong>r, während er seine Hän<strong>de</strong> erhebt und es segnet, wie<br />

Christus seine Jünger segnete, da er auf Er<strong>de</strong>n lebte. Seine Stimme ist weich und gedämpft,<br />

doch voller Wohlklang. In mil<strong>de</strong>m, bemitlei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>m Ton bringt er einige <strong>de</strong>rselben<br />

gna<strong>de</strong>nreichen himmlischen Wahrheiten vor, die <strong>de</strong>r Heiland einst aussprach; er heilt die<br />

Gebrechen <strong>de</strong>s Volkes, behauptet dann in seinem angemaßten Charakter Christi, daß er <strong>de</strong>n<br />

Sabbat in <strong>de</strong>n Sonntag verän<strong>de</strong>rt habe, und gebietet allen, <strong>de</strong>n Tag, auf <strong>de</strong>m sein Segen ruhe,<br />

zu heiligen. Er erklärt, daß alle, die bei <strong>de</strong>r Feier <strong>de</strong>s siebenten Tages bleiben, seinen Namen<br />

lästern, da sie sich weigern, auf seine Engel zu hören, die er mit Licht und Wahrheit zu<br />

ihnen sandte. Das ist die starke, beinahe überwältigen<strong>de</strong> Täuschung. Gleich <strong>de</strong>n Samaritern,<br />

die von Simon Magus hintergangen wur<strong>de</strong>n, achtet die Menge, vom Geringsten bis zum<br />

Vornehmsten, auf die Zaubereien und sagt: „Der ist die Kraft Gottes, die da groß<br />

ist.“ Apostelgeschichte 8,10.<br />

437


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Aber Gottes Volk wird nicht irregeleitet wer<strong>de</strong>n. Die Lehren dieses falschen Christus<br />

stimmen nicht mit <strong>de</strong>r Heiligen Schrift überein. Dieser spricht seinen Segen über die<br />

Verehrer <strong>de</strong>s Tieres und seines Bil<strong>de</strong>s aus, gera<strong>de</strong> über die Klasse, von <strong>de</strong>r die Heilige<br />

Schrift erklärt, daß <strong>de</strong>r unvermischte Zorn Gottes über sie ausgegossen wer<strong>de</strong>n soll. Es wird<br />

Satan auch nicht gestattet sein, die Art und Weise <strong>de</strong>s Kommens Christi nachzuahmen. Der<br />

Heiland hat sein Volk vor einer <strong>de</strong>rartigen Täuschung gewarnt und sein Kommen <strong>de</strong>utlich<br />

beschrieben: „Es wer<strong>de</strong>n falsche Christi und falsche Propheten aufstehen und große Zeichen<br />

und Wun<strong>de</strong>r tun, daß verführt wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n Irrtum (wo es möglich wäre) auch die<br />

Auserwählten ... Darum, wenn sie zu euch sagen wer<strong>de</strong>n: Siehe, er ist in <strong>de</strong>r Wüste! so<br />

gehet nicht hinaus, — siehe, er ist in <strong>de</strong>r Kammer! so glaubt nicht. Denn gleichwie <strong>de</strong>r Blitz<br />

ausgeht vom Aufgang und scheint bis zum Nie<strong>de</strong>rgang, also wird auch sein die Zukunft <strong>de</strong>s<br />

Menschensohnes.“ Matthäus 24,24-27.31; Offenbarung 1,7; 1.Thessalonicher 4,16.17. Es<br />

gibt keine Möglichkeit, dies Kommen vorzutäuschen. Es wird allgemein bekannt wer<strong>de</strong>n<br />

und <strong>de</strong>r ganzen Welt sichtbar sein.<br />

Nur die, welche eifrig in <strong>de</strong>r Bibel geforscht und die Liebe zur Wahrheit angenommen<br />

haben, wer<strong>de</strong>n vor <strong>de</strong>r gewaltigen Täuschung, die die Welt gefangennimmt, geschützt sein.<br />

Durch das Zeugnis <strong>de</strong>r Heiligen Schrift wer<strong>de</strong>n sie <strong>de</strong>n Betrüger in seiner Verkleidung<br />

erkennen, zu<strong>de</strong>m wird die Prüfungszeit anbrechen. Durch <strong>de</strong>n Ausleseprozeß infolge <strong>de</strong>r<br />

Versuchung wird <strong>de</strong>r echte Christ offenbar wer<strong>de</strong>n. Ist Gottes Volk jetzt so fest auf sein<br />

Wort gegrün<strong>de</strong>t, daß es sich nicht auf seine Sinneswahrnehmungen verläßt? Wird es sich in<br />

einer solchen Entscheidungsstun<strong>de</strong> an die Heilige Schrift und nur an die Heilige Schrift<br />

halten? Satan wird mit allen Mitteln zu verhin<strong>de</strong>rn suchen, daß es sich darauf vorbereitet, an<br />

jenem Tage bestehen zu können. Er wird alles so anordnen, daß <strong>de</strong>n Gotteskin<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Weg<br />

versperrt ist, er wird sie mit irdischen Schätzen bestricken, ihnen eine schwere, mühsame<br />

Last aufbür<strong>de</strong>n, damit ihre Herzen mit <strong>de</strong>n Sorgen dieses Lebens überla<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n möchten<br />

und <strong>de</strong>r Tag <strong>de</strong>r Prüfung wie ein Dieb über sie komme.<br />

Da das von verschie<strong>de</strong>nen Herrschern <strong>de</strong>r Christenheit erlassene Gesetz gegen die<br />

Gläubigen, die Gottes Gebot halten, diesen <strong>de</strong>n Schutz <strong>de</strong>r Regierung entzieht und sie <strong>de</strong>nen<br />

ausliefert, die ihren Untergang wollen, wird Gottes Volk aus <strong>de</strong>n Städten und Dörfern<br />

fliehen, sich in Gruppen sammeln und an <strong>de</strong>n ö<strong>de</strong>sten und einsamsten Orten wohnen. Viele<br />

wer<strong>de</strong>n in Bergfesten Zuflucht fin<strong>de</strong>n. Gleich <strong>de</strong>n Christen <strong>de</strong>r piemontesischen Täler<br />

wer<strong>de</strong>n sie die hohen Örter <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> zu ihrem Heiligtum machen und Gott für <strong>de</strong>n Schutz<br />

<strong>de</strong>r Felsen danken. Jesaja 33,16. Aber viele aus allen Völkern und Stän<strong>de</strong>n, hoch und<br />

niedrig, reich und arm, schwarz und weiß, wer<strong>de</strong>n außeror<strong>de</strong>ntlich ungerechte und grausame<br />

Gefangenschaft zu erdul<strong>de</strong>n haben. Die Geliebten Gottes müssen beschwerliche Tage<br />

verbringen: in Ketten gebun<strong>de</strong>n, hinter Schloß und Riegel, zum To<strong>de</strong> verurteilt, einige<br />

anscheinend <strong>de</strong>m Hungerto<strong>de</strong> überlassen in finsteren und ekelerregen<strong>de</strong>n Verliesen, kein<br />

menschliches Ohr steht ihren Wehklagen offen, keine menschliche Hand bereit, ihnen zu<br />

helfen.<br />

438


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Wird <strong>de</strong>r Herr sein Volk in dieser schweren Stun<strong>de</strong> vergessen? Vergaß er <strong>de</strong>n treuen<br />

Noah, als die vorsintflutliche Welt von <strong>de</strong>n Gerichten Gottes heimgesucht wur<strong>de</strong>? Vergaß er<br />

Lot, als Feuer vom Himmel herabfuhr, um die Städte <strong>de</strong>r Ebene zu verzehren? Vergaß er<br />

<strong>de</strong>n von Götzendienern umgebenen Joseph in Ägypten? Vergaß er Elia, als <strong>de</strong>r Eid Isebels<br />

ihn mit <strong>de</strong>m Schicksal <strong>de</strong>r Baalspropheten bedrohte? Vergaß er Jeremia in <strong>de</strong>r finsteren,<br />

schauerlichen Grube <strong>de</strong>s Gefängnisses? Vergaß er die drei tapferen Jünglinge im Feuerofen,<br />

o<strong>de</strong>r Daniel in <strong>de</strong>r Löwengrube? „Zion aber spricht: Der Herr hat mich verlassen, <strong>de</strong>r Herr<br />

hat mein vergessen. Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen, daß sie sich nicht<br />

erbarme über <strong>de</strong>n Sohn ihres Leibes? Und ob sie <strong>de</strong>sselben vergäße, so will ich doch <strong>de</strong>in<br />

nicht vergessen. Siehe, in die Hän<strong>de</strong> habe ich dich gezeichnet.“ Jesaja 49,14-16. Der Herr<br />

<strong>de</strong>r Heerscharen hat gesagt, daß „wer euch antastet, <strong>de</strong>r tastet seinen Augapfel an“. Sacharja<br />

2,12.<br />

Obgleich die Fein<strong>de</strong> sie ins Gefängnis werfen, so können die Kerkermauern <strong>de</strong>n<br />

Verkehr zwischen ihnen und Christus doch nicht absperren. Einer, <strong>de</strong>r ihre Schwachheit<br />

sieht und mit je<strong>de</strong>r Prüfung vertraut ist, thront über allen irdischen Mächten, und Engel<br />

wer<strong>de</strong>n sie in ihren einsamen Gefängniszellen besuchen und ihnen Licht und Frie<strong>de</strong>n vom<br />

Himmel bringen. Das Gefängnis wird wie ein Palast sein, <strong>de</strong>nn die reich sind im Glauben<br />

befin<strong>de</strong>n sich dort; die düsteren Mauern wer<strong>de</strong>n von himmlischen Licht erhellt wie damals,<br />

als Paulus und Silas im Gefängnis zu Philippi um Mitternacht beteten und Loblie<strong>de</strong>r sangen.<br />

Gottes Gerichte wer<strong>de</strong>n die heimsuchen, die sein Volk unterdrücken und ver<strong>de</strong>rben.<br />

Seine große Langmut mit <strong>de</strong>n Gottlosen macht die Menschen kühn in ihrer Übertretung;<br />

aber wenn ihre Strafe auch lange aufgeschoben wur<strong>de</strong>, ist sie ihnen nichts<strong>de</strong>stoweniger<br />

gewiß, und sie wird schrecklich sein. „Denn <strong>de</strong>r Herr wird sich aufmachen wie auf <strong>de</strong>m<br />

Berge Perazim und zürnen wie im Tal Gibeon, daß er sein Werk vollbringe auf eine frem<strong>de</strong><br />

Weise und daß er seine Arbeit tue auf seine seltsame Weise.“ Jesaja 28,21. Unserem<br />

barmherzigen Gott wi<strong>de</strong>rstrebt das Strafen. „So wahr als ich lebe, spricht <strong>de</strong>r Herr Herr, ich<br />

habe keinen Gefallen am To<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Gottlosen.“ Hesekiel 33,11. Der Herr ist „barmherzig<br />

und gnädig und geduldig und von großer Gna<strong>de</strong> und Treue ... und vergibt Missetat,<br />

Übertretung und Sün<strong>de</strong>“, und doch läßt er nichts ungestraft. „Der Herr ist geduldig und von<br />

großer Kraft, vor welchem niemand unschuldig ist.“ 2.Mose 34,6.7; Nahum 1,3. Durch<br />

schreckliche Gerechtigkeit wird er die Autorität seines mit Füßen getretenen Gesetzes<br />

rechtfertigen. Die strenge Vergeltung die <strong>de</strong>n Übertreter erwartet, zeigt sich darin, daß <strong>de</strong>r<br />

Herr zögert, das Gericht zu vollstrecken. Das Volk, mit <strong>de</strong>m er so lange Geduld geübt hat<br />

und das er nicht schlagen will, bis das Maß seiner Ungerechtigkeit gegen Gott voll ist, wird<br />

schließlich <strong>de</strong>n Kelch <strong>de</strong>s Zorns trinken, <strong>de</strong>m keine Gna<strong>de</strong> beigemischt ist.<br />

Wenn Christus sein Mittleramt im Heiligtum nie<strong>de</strong>rlegt, wird <strong>de</strong>r lautere Zorn<br />

ausgegossen wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>nen angedroht wur<strong>de</strong>, die das Tier und sein Bild anbeten und<br />

sein Malzeichen annehmen. Offenbarung 14,9.10. Die Plagen, die über Ägypten kamen,<br />

ließen jene schrtecklichen und umfassen<strong>de</strong>ren Gerichte vorausahnen, die die Welt gera<strong>de</strong><br />

439


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

vor <strong>de</strong>r endgültigen Befreiung <strong>de</strong>s Volkes Gottes heimsuchen wer<strong>de</strong>n. Der Schreiber <strong>de</strong>r<br />

Offenbarung sagt, in<strong>de</strong>m er diese furchtbaren Geißeln beschreibt: „Es ward eine böse und<br />

arge Drüse an <strong>de</strong>n Menschen, die das Malzeichen <strong>de</strong>s Tieres hatten und die sein Bild<br />

anbeteten.“ Das Meer „ward Blut wie eines Toten, und alle lebendigen Seelen starben in<br />

<strong>de</strong>m Meer ... Und <strong>de</strong>r dritte Engel goß aus seine Schale in die Wasserströme und in die<br />

Wasserbrunnen; und es ward Blut“. So schrecklich diese Plagen auch sein wer<strong>de</strong>n, Gottes<br />

Gerechtigkeit ist völlig gerechtfertigt. Der Engel erklärt:<br />

„Herr, du bist gerecht ..., daß du solches geurteilt hast, <strong>de</strong>nn sie haben das Blut <strong>de</strong>r<br />

Heiligen und <strong>de</strong>r Propheten vergossen, und Blut hast du ihnen zu trinken gegeben; <strong>de</strong>nn sie<br />

sind‘s wert.“ Offenbarung 16,2-6. In<strong>de</strong>m sie die Kin<strong>de</strong>r Gottes zum To<strong>de</strong> verurteilten, haben<br />

sie die Schuld ihres Blutes ebenso auf sich gela<strong>de</strong>n, als wenn es von ihren eigenen Hän<strong>de</strong>n<br />

vergossen wor<strong>de</strong>n wäre. In gleicher Weise erklärte Christus die Ju<strong>de</strong>n seiner Zeit <strong>de</strong>s Blutes<br />

<strong>de</strong>r Heiligen schuldig, das seit <strong>de</strong>n Tagen Abels vergossen wor<strong>de</strong>n war; <strong>de</strong>nn sie besaßen<br />

<strong>de</strong>n gleichen Geist wie diese Mör<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Propheten und wollten das gleiche Werk tun. In <strong>de</strong>r<br />

darauffolgen<strong>de</strong>n Plage wird <strong>de</strong>r Sonne Macht gegeben, „<strong>de</strong>n Menschen heiß zu machen mit<br />

Feuer. Und <strong>de</strong>n Menschen ward heiß vor großer Hitze“. Offenbarung 16,8.9.<br />

Die Propheten schil<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n Zustand <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> zu dieser schrecklichen Zeit mit<br />

folgen<strong>de</strong>n Worten: „Das Feld ist verwüstet ... das Getrei<strong>de</strong> ist verdorben ... Alle Bäume auf<br />

<strong>de</strong>m Fel<strong>de</strong> sind verdorrt; <strong>de</strong>nn die Freu<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Menschen ist zum Jammer gewor<strong>de</strong>n ... Der<br />

Same ist unter <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> verfault, die Kornhäuser stehen wüste ... O wie seufzt das Vieh! Die<br />

Rin<strong>de</strong>r sehen kläglich, <strong>de</strong>nn sie haben keine Wei<strong>de</strong> ... die Wasserbäche sind ausgetrocknet<br />

und das Feuer hat die Auen in <strong>de</strong>r Wüste verbrannt.“ „Die Lie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>m Palaste sollen in<br />

ein Heulen verkehrt wer<strong>de</strong>n zu selben Zeit, spricht <strong>de</strong>r Herr Herr; es wer<strong>de</strong>n viel Leichname<br />

liegen an allen Orten, die man in <strong>de</strong>r Stille hinwerfen wird.“ Joel 1,10-12.17-20; Amos 8,3.<br />

Diese Plagen sind nicht allgemein, sonst wür<strong>de</strong>n die Bewohner <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> vollständig<br />

ausgerottet wer<strong>de</strong>n. Doch sie wer<strong>de</strong>n die schrecklichsten Heimsuchungen sein, die<br />

Sterbliche je erfahren haben. Alle Gerichte, die vor Beendigung <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong>nzeit über die<br />

Menschen kamen, waren mit Gna<strong>de</strong> vermischt. Das um Vergebung flehen<strong>de</strong> Blut Christi hat<br />

<strong>de</strong>n Sün<strong>de</strong>r vor <strong>de</strong>m vollen Maß seiner Schuld verschont; aber im Endgericht wird <strong>de</strong>r Zorn<br />

Gottes lauter, ohne Gna<strong>de</strong> ausgegossen wer<strong>de</strong>n. An je<strong>de</strong>m Tage wer<strong>de</strong>n viele <strong>de</strong>n Schutz<br />

<strong>de</strong>r göttlichen Gna<strong>de</strong> begehren, die sie bis dahin verachtet haben. „Siehe, es kommt die Zeit,<br />

spricht <strong>de</strong>r Herr Herr, daß ich einen Hunger ins Land schicken wer<strong>de</strong>, nicht einen Hunger<br />

nach Brot o<strong>de</strong>r Durst nach Wasser, son<strong>de</strong>rn nach <strong>de</strong>m Wort <strong>de</strong>s Herrn, zu hören; daß sie hin<br />

und her von einem Meer zum an<strong>de</strong>rn, von Mitternacht gegen Morgen umlaufen und <strong>de</strong>s<br />

Herrn Wort suchen, und doch nicht fin<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.“ Amos 8,11.22.<br />

Gottes Volk wird nicht frei von Lei<strong>de</strong>n sein; aber während man es verfolgt und bedrängt,<br />

während es Entbehrung erträgt und Hunger lei<strong>de</strong>t, wird es doch nicht umkommen. Gott, <strong>de</strong>r<br />

für Elia sorgte, wird an keinem seiner sich selbst aufopfern<strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>r vorübergehen. Der<br />

die Haare auf ihren Häuptern zählt, wird für sie sorgen, und zur Zeit <strong>de</strong>r Teuerung wer<strong>de</strong>n<br />

440


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

sie genug haben. Während die Gottlosen verhungern und an Seuchen zugrun<strong>de</strong>gehen,<br />

beschützen Engel die Gerechten und befriedigen <strong>de</strong>ren Bedürfnisse. Für <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r in<br />

Gerechtigkeit wan<strong>de</strong>lt, gilt die Verheißung: „Sein Brot wird ihm gegeben, sein Wasser hat<br />

er gewiß.“ „Die Elen<strong>de</strong>n und Armen suchen Wasser, und ist nichts da; ihre Zunge verdorrt<br />

vor Durst. Aber ich, <strong>de</strong>r Herr, will sie erhören; ich, <strong>de</strong>r Gott Israels will sie nicht<br />

verlassen.“ Jesaja 33,16; Jesaja 41,17. „Denn <strong>de</strong>r Feigenbaum wird nicht grünen, und wird<br />

kein Gewächs sein an <strong>de</strong>n Weinstöcken; die Arbeit am Ölbaum ist vergeblich, und die<br />

Äcker bringen keine Nahrung; und Schafe wer<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>n Hür<strong>de</strong>n gerissen, und wer<strong>de</strong>n<br />

keine Rin<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Ställen sein. Aber ich will mich freuen <strong>de</strong>s Herrn und fröhlich sein in<br />

Gott, meinem Heil.“ Habakuk 3,17.18. „Der Herr behütet dich; <strong>de</strong>r Herr ist <strong>de</strong>in Schatten<br />

über <strong>de</strong>iner rechten Hand, daß dich <strong>de</strong>s Tages die Sonne nicht steche noch <strong>de</strong>r Mond <strong>de</strong>s<br />

Nachts. Der Herr behüte dich vor allem Übel, er behüte <strong>de</strong>ine Seele.“ Psalm 121,5-7; Psalm<br />

91,3-10.<br />

„Er errettet dich vom Strick <strong>de</strong>s Jägers und von <strong>de</strong>r schädlichen Pestilenz. Er wird dich<br />

mit seinen Fittichen <strong>de</strong>cken, und <strong>de</strong>ine Zuversicht wird sein unter seinen Flügeln. Seine<br />

Wahrheit ist Schirm und Schild, daß du nicht erschrecken müssest vor <strong>de</strong>m Grauen <strong>de</strong>r<br />

Nacht, vor <strong>de</strong>n Pfeilen, die <strong>de</strong>s Tages fliegen, vor <strong>de</strong>r Pestilenz, die im Finstern schleicht,<br />

vor <strong>de</strong>r Seuche, die im Mittage ver<strong>de</strong>rbt. Ob tausend fallen zu <strong>de</strong>iner Seite und zehntausend<br />

zu <strong>de</strong>iner Rechten, so wird es doch dich nicht treffen. Ja du wirst mit <strong>de</strong>inen Augen <strong>de</strong>ine<br />

Lust sehen und schauen, wie <strong>de</strong>n Gottlosen vergolten wird. Denn <strong>de</strong>r Herr ist <strong>de</strong>ine<br />

Zuversicht; <strong>de</strong>r Höchste ist <strong>de</strong>ine Zuflucht. Es wird dir kein Übel begegnen, und keine Plage<br />

wird zu <strong>de</strong>iner Hütte sich nahen.“ Psalm 121,5-7; Psalm 91,3-10.<br />

Dennoch wird es nach menschlichem Dafürhalten <strong>de</strong>n Anschein haben, als müsse<br />

Gottes Volk sein Zeugnis bald mit <strong>de</strong>m Blut besiegeln, wie vor ihm einst die Märtyrer. Das<br />

Volk befürchtet, <strong>de</strong>r Herr habe es verlassen, damit es in die Hand seiner Fein<strong>de</strong> falle. Es ist<br />

eine Zeit schrecklicher Seelenangst. Tag und Nacht schreien die Bedrängten zu Gott um<br />

Befreiung. Die Gottlosen frohlocken, und man vernimmt <strong>de</strong>n höhnen<strong>de</strong>n Ruf: „Wo ist nun<br />

euer Glaube? Warum befreit euch Gott nicht aus unseren Hän<strong>de</strong>n, wenn ihr wirklich sein<br />

Volk seid?“ Aber die Warten<strong>de</strong>n <strong>de</strong>nken daran, daß die Hohenpriester und Obersten beim<br />

To<strong>de</strong> Jesu am Kreuz auf Golgatha spottend ausriefen: „An<strong>de</strong>rn hat er geholfen, und kann<br />

sich selber nicht helfen. Ist er <strong>de</strong>r König Israels, so steige er nun vom Kreuz, so wollen wir<br />

ihm glauben.“ Matthäus 27,42. Wie Jakob ringen alle mit Gott. In ihren Angesichtern<br />

spiegelt sich <strong>de</strong>r innere Kampf wi<strong>de</strong>r. Blässe liegt auf ihren Zügen. Doch hören sie mit ihrer<br />

ernsten Fürbitte nicht auf.<br />

Wür<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Menschen die Augen geöffnet, sie erblickten Scharen von starken Engeln,<br />

die um jene lagern, welche das Wort <strong>de</strong>r Geduld Christi bewahrt haben. In mitfühlen<strong>de</strong>r<br />

Besorgnis haben die Engel ihren Jammer gesehen und ihre Gebete gehört. Sie hoffen auf das<br />

Wort ihres Gebieters, um sie aus <strong>de</strong>r Gefahr herauszureißen. Sie müssen jedoch noch ein<br />

wenig warten. Die Kin<strong>de</strong>r Gottes müssen <strong>de</strong>n Kelch trinken und mit <strong>de</strong>r Taufe getauft<br />

441


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

wer<strong>de</strong>n. Gera<strong>de</strong> die für sie so quälen<strong>de</strong> Verzögerung ist die beste Antwort auf ihre Bitten.<br />

In<strong>de</strong>m sie vertrauensvoll auf <strong>de</strong>n Herrn warten, daß er wirke, kommen sie dahin, Glauben,<br />

Hoffnung und Geduld zu üben, die sie in ihrem religiösen Leben zu wenig geübt haben.<br />

Dennoch wird um <strong>de</strong>r Auserwählten willen die trübselige Zeit verkürzt wer<strong>de</strong>n. „Sollte aber<br />

Gott nicht auch retten seine Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er‘s<br />

mit ihnen verziehen? Ich sage euch: Er wird sie erretten in einer Kürze“. Lukas 18,7.8. Das<br />

En<strong>de</strong> wird schneller kommen, als die Menschen es erwarten. Der Weizen wird gesammelt<br />

und in Garben gebun<strong>de</strong>n für die Scheune Gottes, das Unkraut aber wird für das Feuer <strong>de</strong>r<br />

Verwüstung gebun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.<br />

Der ihnen anvertrauten Aufgabe getreu, wachen die himmlischen Wächter auch in<br />

Zukunft. Obwohl ein allgemeines Gebot die Zeit bestimmt hat, da diejenigen, die Gottes<br />

Gebote halten, umgebracht wer<strong>de</strong>n sollen, so wer<strong>de</strong>n doch ihre Fein<strong>de</strong> in manchen Fällen<br />

<strong>de</strong>m Erlaß zuvorkommen wollen und versuchen, sie zu töten. Aber niemand kann an <strong>de</strong>n<br />

mächtigen Wächtern vorbeikommen, die je<strong>de</strong> Seele bewahren. Einige wer<strong>de</strong>n auf ihrer<br />

Flucht aus <strong>de</strong>n Städten und Dörfern angegriffen; doch die gegen sie erhobenen Schwerter<br />

zerbrechen und fallen machtlos wie ein Strohhalm zu Bo<strong>de</strong>n. An<strong>de</strong>re wer<strong>de</strong>n von Engeln in<br />

<strong>de</strong>r Gestalt von Kriegern verteidigt. Zu allen Zeiten hat Gott für <strong>de</strong>n Beistand und für die<br />

Befreiung seines Volkes durch heilige Engel gewirkt. Himmlische Wesen haben an <strong>de</strong>m<br />

Leben und Treiben <strong>de</strong>r Menschen tätigen Anteil genommen. Sie sind erschienen in<br />

Gewän<strong>de</strong>rn, die wie <strong>de</strong>r Blitz leuchteten, o<strong>de</strong>r sind gekommen als Menschen in<br />

Wan<strong>de</strong>rtracht. Engel sind <strong>de</strong>n Männern Gottes in menschlicher Gestalt erschienen. Sie<br />

haben <strong>de</strong>s Mittags unter <strong>de</strong>n Eichen geruht, als ob sie mü<strong>de</strong> wären, haben bei Nacht<br />

verspäteten Reisen<strong>de</strong>n als Führer gedient, mit ihren eigenen Hän<strong>de</strong>n das Feuer auf <strong>de</strong>m<br />

Altar angezün<strong>de</strong>t und die Gastfreundschaft irdischer Wohnungen angenommen. Sie haben<br />

Gefängnistüren geöffnet und die Diener Gottes freigelassen. Mit <strong>de</strong>r Waffenrüstung <strong>de</strong>s<br />

Himmels angetan, kamen sie, um <strong>de</strong>n Stein vom Grabe <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s wegzurollen.<br />

In Menschengestalt sind Engel oft in <strong>de</strong>n Versammlungen <strong>de</strong>r Gerechten anwesend und<br />

besuchen die Zusammenkünfte <strong>de</strong>r Gottlosen, wie sie einst nach Sodom kamen, um einen<br />

Bericht von <strong>de</strong>n Taten seiner Einwohner aufzunehmen und zu entschei<strong>de</strong>n, ob sie das Maß<br />

<strong>de</strong>r Langmut Gottes überschritten hatten. Der Herr hat Wohlgefallen an <strong>de</strong>r Barmherzigkeit;<br />

und um einiger weniger willen, die ihm wirklich dienen, hält er das Unglück zurück und<br />

verlängert die Ruhe <strong>de</strong>r Menge. Wie wenig erkennen die Sün<strong>de</strong>r, daß sie ihr eigenes Leben<br />

<strong>de</strong>m Häuflein Gottgetreuer verdanken, die sie verspotten und unterdrücken, um sich zu<br />

ergötzen!<br />

Wenn die Herrscher dieser Welt es auch nicht wissen, so haben doch oft in ihren<br />

Versammlungen Engel das Wort geführt. Menschliche Augen haben auf sie geblickt,<br />

menschliche Ohren ihren Auffor<strong>de</strong>rungen gelauscht: menschliche Lippen haben sich ihren<br />

Vorschlägen wi<strong>de</strong>rsetzt und ihre Ratschläge verlacht; menschliche Hän<strong>de</strong> haben sie<br />

beleidigt und mißhan<strong>de</strong>lt. In <strong>de</strong>r Ratsversammlung, an <strong>de</strong>n Gerichtshöfen haben sich diese<br />

442


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

himmlischen Boten mit <strong>de</strong>r menschlichen Geschichte sehr vertraut gezeigt, sie haben die<br />

Sache <strong>de</strong>r Unterdrückten besser vertreten als <strong>de</strong>ren fähigste und beredteste Verteidiger. Sie<br />

haben Absichten vereitelt und böse Taten aufgehalten, die das Werk Gottes sehr behin<strong>de</strong>rt<br />

und seinem Volk große Lei<strong>de</strong>n verursacht hätten. In <strong>de</strong>r Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gefahr und <strong>de</strong>r Trübsal<br />

lagert „<strong>de</strong>r Engel <strong>de</strong>s Herrn ... sich um die her, so ihn fürchten, und hilft ihnen aus“. Psalm<br />

34,8.<br />

Mit großer Sehnsucht erwartet das Volk Gottes die Anzeichen seines kommen<strong>de</strong>n<br />

Königs. Wenn die Wächter angerufen wer<strong>de</strong>n: „Hüter, ist die Nacht schier hin?“, wird ohne<br />

Zögern die Antwort gegeben: „Wenn <strong>de</strong>r Morgen schon kommt, so wird es doch Nacht<br />

sein.“ Jesaja 21,11.12. Licht erglänzt auf <strong>de</strong>n Wolken über <strong>de</strong>n Bergesspitzen. Bald wird<br />

sich seine Herrlichkeit offenbaren. Die Sonne <strong>de</strong>r Gerechtigkeit wird bald hervorleuchten.<br />

Der Morgen und die Nacht, <strong>de</strong>r Beginn <strong>de</strong>s endlosen Tages für die Gerechten, <strong>de</strong>r Anfang<br />

<strong>de</strong>r ewigen Nacht für die Gottlosen, stehen nahe bevor. Während die Ringen<strong>de</strong>n ihre Bitten<br />

zu Gott emporsen<strong>de</strong>n, scheint <strong>de</strong>r Schleier, <strong>de</strong>r sie von <strong>de</strong>r unsichtbaren Welt trennt, fast<br />

weggezogen zu sein. Die Himmel erglühen von <strong>de</strong>r Dämmerung <strong>de</strong>s ewigen Tages, und<br />

gleich einem klangvollen Engelchor erschallen die Worte an das Ohr: Steht fest in eurer<br />

Treue! Die Hilfe kommt! Christus, <strong>de</strong>r allmächtige Sieger, hält seinen mü<strong>de</strong>n Streitern eine<br />

Krone unvergänglicher Herrlichkeit bereit, und seine Stimme ertönt von <strong>de</strong>n halbgeöffneten<br />

Toren: „Siehe, ich bin mit euch! Fürchtet euch nicht! Ich kenne all euren Kummer, ich habe<br />

eure Sorgen getragen. Ihr kämpft nicht gegen unbesiegbare Fein<strong>de</strong>. Ich habe <strong>de</strong>n Kampf<br />

eurethalben ausgefochten, und in meinem Namen seid ihr unüberwindlich.“<br />

Der liebevolle Heiland wird gera<strong>de</strong> dann Hilfe sen<strong>de</strong>n, wenn wir sie brauchen. Der Weg<br />

zum Himmel ist durch seine Fußtapfen geheiligt. Je<strong>de</strong>r Dorn, <strong>de</strong>r unseren Fuß verwun<strong>de</strong>t,<br />

hat auch seinen Fuß verletzt. Je<strong>de</strong>s Kreuz, das zu tragen wir berufen wer<strong>de</strong>n, hat er vor uns<br />

getragen. Der Herr läßt Kämpfe zu, damit die Seele für <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>n vorbereitet wer<strong>de</strong>. Die<br />

trübselige Zeit ist eine schreckliche Feuerprobe für Gottes Volk; aber es ist auch für je<strong>de</strong>n<br />

Gläubigen die Zeit, emporzublicken, und er wird im Glauben über sich <strong>de</strong>n Bogen <strong>de</strong>r<br />

Verheißung sehen.<br />

„Also wer<strong>de</strong>n die Erlösten <strong>de</strong>s Herrn wie<strong>de</strong>rkehren und gen Zion kommen mit Jauchzen,<br />

und ewige Freu<strong>de</strong> wird auf ihrem Haupte sein. Wonne und Freu<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n sie ergreifen;<br />

aber Trauern und Seufzen wird von ihnen fliehen. Ich, ich bin euer Tröster. Wer bist du<br />

<strong>de</strong>nn, daß du dich vor Menschen fürchtest, die doch sterben, und vor Menschenkin<strong>de</strong>rn, die<br />

wie Gras vergehen, und vergissest <strong>de</strong>s Herrn, <strong>de</strong>r dich gemacht hat ... Du aber fürchtest dich<br />

täglich <strong>de</strong>n ganzen Tag vor <strong>de</strong>m Grimm <strong>de</strong>s Wüterichs, wenn er sich vornimmt zu<br />

ver<strong>de</strong>rben. Wo bleibt nun <strong>de</strong>r Grimm <strong>de</strong>s Wüterichs? Der Gefangene wird eilends<br />

losgegeben, daß er nicht hinsterbe zur Grube, auch keinen Mangel an Brot habe. Denn ich<br />

bin <strong>de</strong>r Herr, <strong>de</strong>in Gott, <strong>de</strong>r das Meer bewegt, daß seine Wellen wüten; sein Name heißt<br />

Herr<br />

443


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Zebaoth. Ich lege mein Wort in <strong>de</strong>inen Mund und be<strong>de</strong>cke dich unter <strong>de</strong>m Schatten<br />

meiner Hän<strong>de</strong> …Darum höre dies, du Elen<strong>de</strong> und Trunkene, doch nicht von Wein! So<br />

spricht <strong>de</strong>in Herrscher, <strong>de</strong>r Herr, und <strong>de</strong>in Gott, <strong>de</strong>r sein Volk rächt: Siehe, ich nehme <strong>de</strong>n<br />

Taumelkelch von <strong>de</strong>iner Hand samt <strong>de</strong>n Hefen <strong>de</strong>s Kelchs meines Grimmes; du sollst ihn<br />

nicht mehr trinken, son<strong>de</strong>rn ich will ihn <strong>de</strong>inen Schin<strong>de</strong>rn in die Hand geben, die zu <strong>de</strong>iner<br />

Seele sprachen: Bücke dich, daß wir darüberhin gehen, und mache <strong>de</strong>inen Rücken zur Er<strong>de</strong><br />

und wie eine Gasse, daß man darüberhin laufe.“ Jesaja 51,11-16,21-23. Das alle Zeiten<br />

überschauen<strong>de</strong> Auge Gottes war auf die Entscheidungsstun<strong>de</strong> gerichtet, <strong>de</strong>r die Kin<strong>de</strong>r<br />

Gottes begegnen müssen, wenn die irdischen Mächte sich gegen sie aufstellen. Den<br />

gefangenen Verbannten gleich wer<strong>de</strong>n sie sich fürchten vor <strong>de</strong>m Tod durch Hunger o<strong>de</strong>r<br />

Gewalt.<br />

Aber <strong>de</strong>r Heilige, <strong>de</strong>r das Rote Meer vor Israel teilte, wird seine gewaltige Macht<br />

offenbaren und ihre Gefangenschaft wen<strong>de</strong>n. „Sie sollen, spricht <strong>de</strong>r Herr Zebaoth, <strong>de</strong>s<br />

Tages, <strong>de</strong>n ich machen will, mein Eigentum sein; und ich will ihrer schonen, wie ein Mann<br />

seines Sohnes schont, <strong>de</strong>r ihm dient.“ Maleachi 3,17. Wür<strong>de</strong> das Blut <strong>de</strong>r treuen Zeugen<br />

Christi zu dieser Zeit vergossen, so könnte es nicht gleich <strong>de</strong>m Blut <strong>de</strong>r Märtyrer wie ein<br />

Same sein, gesät, damit eine Ernte zu Gottes Ehre reife. Ihre Treue wäre kein Zeugnis, um<br />

an<strong>de</strong>re von <strong>de</strong>r Wahrheit zu überzeugen; <strong>de</strong>nn die Wogen <strong>de</strong>r Barmherzigkeit haben sich an<br />

<strong>de</strong>n verhärteten Herzen gebrochen, bis sie nicht mehr wie<strong>de</strong>rkehrten. Fielen die Gerechten<br />

jetzt ihren Fein<strong>de</strong>n zum Opfer, so be<strong>de</strong>utete das für <strong>de</strong>n Fürsten <strong>de</strong>r Finsternis einen Sieg.<br />

Der Psalmist sagt: „Er <strong>de</strong>ckt mich in seiner Hütte zur bösen Zeit, er verbirgt mich heimlich<br />

in seinem Gezelt.“ Psalm 27,5. Christus hat die Worte gesprochen: „Gehe hin, mein Volk, in<br />

<strong>de</strong>ine Kammer und schließ die Tür nach dir zu; verbirg dich einen kleinen Augenblick, bis<br />

<strong>de</strong>r Zorn vorübergehe. Dann siehe, <strong>de</strong>r Herr wird ausgehen von seinem Ort, heimzusuchen<br />

die Bosheit <strong>de</strong>r Einwohner <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s über sie.“ Jesaja 26,20.21. Herrlich wird die Rettung<br />

jener Menschen sein, die geduldig auf seine Wie<strong>de</strong>rkunft gewartet haben und <strong>de</strong>ren Namen<br />

im Buch <strong>de</strong>s Lebens geschrieben stehen!<br />

444


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 40- Gottes Volk wird befreit<br />

Wenn man daran geht, <strong>de</strong>n Schutz menschlicher Gesetze <strong>de</strong>nen zu entziehen, die die<br />

Gebote Gottes ehren, wird in verschie<strong>de</strong>nen Län<strong>de</strong>rn zu gleicher Zeit eine Bewegung<br />

entstehen, jene Gläubigen zu vernichten. Wenn die in <strong>de</strong>m Erlaß bestimmte Zeit herannaht,<br />

verschwört sich das Volk, die verhaßte Sekte auszurotten, und beschließt, in einer Nacht <strong>de</strong>n<br />

entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Schlag zu führen, <strong>de</strong>r jene abweichen<strong>de</strong>n Stimmen und Kritiker für immer<br />

zum Schweigen bringen soll. Gottes Kin<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>ren etliche in Gefängniszellen leben, etliche<br />

in <strong>de</strong>n einsamen Schlupfwinkeln <strong>de</strong>r Wäl<strong>de</strong>r und Berge verborgen sind, erflehen noch<br />

immer göttlichen Schutz, während überall bewaffnete Männer, angetrieben von Scharen<br />

böser Engel, Vorkehrungen für das Werk <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s treffen. Jetzt, in <strong>de</strong>r Stun<strong>de</strong> äußerster<br />

Gefahr, wird <strong>de</strong>r Gott Israels einschreiten, um seine Auserwählten zu erretten. Der Herr hat<br />

gesagt: „Da wer<strong>de</strong>t ihr singen wie in <strong>de</strong>r Nacht eines heiligen Festes und euch von Herzen<br />

freuen, wie wenn man mit Flötenspiel geht zum Berge <strong>de</strong>s Herrn, zum Hort Israels. Und <strong>de</strong>r<br />

Herr wird seine herrliche Stimme schallen lassen, daß man sehe seinen ausgereckten Arm<br />

mit zornigem Dräuen und mit Flammen <strong>de</strong>s verzehren<strong>de</strong>n Feuers, mit Wetterstrahlen, mit<br />

starkem Regen und mit Hagel.“ Jesaja 30,29.30.<br />

Mit Siegesgeschrei, mit Spott und Verwünschungen sind Scharen gottloser Menschen<br />

im Begriff, sich auf ihre Opfer zu stürzen; aber siehe,eine dichte Finsternis,schwärzer als die<br />

dunkelste Nacht, senkt sich auf die Er<strong>de</strong> hernie<strong>de</strong>r. Dann überspannt ein die Herrlichkeit <strong>de</strong>s<br />

Thrones Gottes wi<strong>de</strong>rstrahlen<strong>de</strong>r Regenbogen <strong>de</strong>n Himmel und scheint je<strong>de</strong> beten<strong>de</strong> Gruppe<br />

einzuschließen. Die zornigen Scharen wer<strong>de</strong>n plötzlich aufgehalten. Ihre spöttischen Rufe<br />

ersterben. Das Ziel ihrer mör<strong>de</strong>rischen Wut ist vergessen. Mit schrecklichen Ahnungen<br />

starren sie auf das Sinnbild <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>s Gottes und möchten gern vor <strong>de</strong>ssen<br />

überwältigen<strong>de</strong>m Glanz geschützt sein.<br />

Das Volk Gottes vernimmt eine helle, klangvolle Stimme, die ruft: „Sehet auf!“ Und die<br />

Augen zum Himmel erhebend erblickt es <strong>de</strong>n Bogen <strong>de</strong>r Verheißung. Die schwarzen,<br />

drohen<strong>de</strong>n Wolken, die das Himmelsgewölbe be<strong>de</strong>ckten, haben sich zerteilt. Gleich<br />

Stephanus sieht das Volk Gottes unverwandt zum Himmel empor und erblickt die<br />

Herrlichkeit Gottes und <strong>de</strong>s Menschen Sohn sitzend auf seinem Thron. An seiner göttlichen<br />

Gestalt erkennen die Auserwählten die Zeichen seiner Erniedrigung, und von seinen Lippen<br />

vernehmen sie die vor seinem Vater und <strong>de</strong>n heiligen Engeln dargebrachte Bitte: „Ich will,<br />

daß, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast.“ Johannes 17,24.<br />

Wie<strong>de</strong>rum erklingt eine klangvolle und frohlocken<strong>de</strong> Stimme, die sagt: „Sie kommen! Sie<br />

kommen! heilig, harmlos und makellos, sie haben das Wort meiner Geduld gehalten, sie<br />

sollen unter <strong>de</strong>n Engeln wan<strong>de</strong>ln.“ Und die blassen, zittern<strong>de</strong>n Lippen <strong>de</strong>rer, die an ihrem<br />

Glauben festgehalten haben, brechen in ein Siegesgeschrei aus.<br />

Es ist mitten in <strong>de</strong>r Nacht, da Gott seine Macht zur Befreiung seines Volkes offenbart.<br />

Die Sonne wird sichtbar und leuchtet in voller Kraft. Zeichen und Wun<strong>de</strong>r folgen rasch<br />

445


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

aufeinan<strong>de</strong>r. Die Gottlosen schauen erschreckt und bestürzt auf diese Vorgänge, während<br />

die Gerechten mit feierlicher Freu<strong>de</strong> die Zeichen ihrer Befreiung betrachten. In <strong>de</strong>r Natur<br />

scheint alles außer <strong>de</strong>r gewohnten Ordnung zu sein. Die Ströme hören auf zu fließen.<br />

Dunkle, schwere Wolken steigen auf und stoßen gegeneinan<strong>de</strong>r. Mitten an <strong>de</strong>m<br />

aufgerührten Himmel ist eine Stelle von unbeschreiblicher Herrlichkeit, von wo aus die<br />

Stimme Gottes <strong>de</strong>m gewaltigen Rauschen vieler Wasser gleich ertönt und spricht: „Es ist<br />

geschehen!“ Offenbarung 16,17.18.<br />

Jene Stimme erschüttert die Himmel und die Er<strong>de</strong>. Es erhebt sich „ein großes Erdbeben,<br />

wie solches nicht gewesen ist, seit Menschen auf Er<strong>de</strong>n gewesen sind, solch Erdbeben also<br />

groß“. Offenbarung 16,17.18. Der Himmel scheint sich zu öffnen und zu schließen. Die<br />

Herrlichkeit vom Thron Gottes blitzt hindurch. Die Berge erbeben gleich einem Rohr im<br />

Win<strong>de</strong>, und zerrissene Felsen wer<strong>de</strong>n überallhin zerstreut. Es erhebt sich ein Geheul wie<br />

von einem heran- ziehen<strong>de</strong>n Sturm. Das Meer wird aufgewühlt. Man hört das Brüllen <strong>de</strong>s<br />

Orkans, <strong>de</strong>m Schrei <strong>de</strong>r Dämonen gleich, wenn sie sich zur Zerstörung aufmachen. Die<br />

ganze Er<strong>de</strong> hebt und senkt sich wie die Wogen <strong>de</strong>s Meeres; ihre Oberfläche bricht auf;<br />

selbst ihre Grundfesten scheinen zu weichen. Bergketten versinken. Bewohnte Inseln<br />

verschwin<strong>de</strong>n. Die Seehäfen, die an Lasterhaftigkeit Sodom gleichgewor<strong>de</strong>n sind, wer<strong>de</strong>n<br />

von <strong>de</strong>n stürmischen Wassern verschlungen. Babylon, <strong>de</strong>r großen wird „gedacht vor Gott,<br />

ihr zu geben <strong>de</strong>n Kelch <strong>de</strong>s Weins von seinem grimmigen Zorn“. Offenbarung 16,19.20.<br />

Große Hagelsteine, schwer wie „ein Zentner“, vollbringen ihr Zerstörungswerk. Die<br />

stolzesten Städte <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n vernichtet. Die herrlichsten Paläste, an die die Großen <strong>de</strong>r<br />

Welt ihre Reichtümer verschwen<strong>de</strong>t haben, um sich selbst zu verherrlichen, zerfallen vor<br />

ihren Augen. Gefängnismauern stürzen zusammen, und Gottes Volk, das um seines<br />

Glaubens willen gefangengehalten wor<strong>de</strong>n war, wird frei.<br />

Gräber öffnen sich, und „viele, so unter <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> schlafen liegen, wer<strong>de</strong>n aufwachen:<br />

etliche zu ewigen Leben, etliche zu ewiger Schmach und Schan<strong>de</strong>“. Daniel 12,2. Alle, die<br />

im Glauben an die dritte Engelsbotschaft gestorben sind, kommen verklärt aus ihren<br />

Gräbern hervor, um mit <strong>de</strong>nen, die Gottes Gesetz gehalten haben, <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>nsbund Gottes<br />

zu vernehmen. Auch „die ihn zerstochen haben“ (Offenbarung 1,7), die Christus in seinem<br />

To<strong>de</strong>sschmerz verspotteten und verlachten und die heftigsten Wi<strong>de</strong>rsacher seiner Wahrheit<br />

und seines Volkes wer<strong>de</strong>n auferweckt, um ihn in seiner Herrlichkeit zu schauen und die <strong>de</strong>n<br />

Treuen und Gehorsamen verliehenen Ehren wahrzunehmen.<br />

Dichte Wolken be<strong>de</strong>cken noch <strong>de</strong>n Himmel; doch hier und da bricht die Sonne hindurch,<br />

wie das strafen<strong>de</strong> Auge <strong>de</strong>s Herrn; wüten<strong>de</strong> Blitze zucken vom Himmel und hüllen die Er<strong>de</strong><br />

in ein Flammenmeer. Lauter als das schreckliche Grollen <strong>de</strong>s Donners ertönen<br />

geheimnisvolle, furchterregen<strong>de</strong> Stimmen und verkün<strong>de</strong>n das Schicksal <strong>de</strong>r Gottlosen. Nicht<br />

alle erfassen diese Worte, aber die falschen Lehrer verstehen sie <strong>de</strong>utlich. Seelen, die kurz<br />

zuvor noch so sorglos, so prahlerisch und herausfor<strong>de</strong>rnd waren, so frohlockend in ihrer<br />

Grausamkeit gegen das die Gebote halten<strong>de</strong> Volk Gottes, sind jetzt vor Bestürzung<br />

446


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

überwältigt und beben vor Furcht. Ihre Wehrufe übertönen das Getöse <strong>de</strong>r Element.<br />

Dämonen anerkennen die Gottheit Christi und zittern vor seiner Macht, während die<br />

Menschen um Gna<strong>de</strong> flehen und vor Schrecken im Staube kriechen.<br />

Die Propheten <strong>de</strong>s Alten Bun<strong>de</strong>s sagten, als sie im Gesicht <strong>de</strong>n Tag Gottes sahen:<br />

„Heulet, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>s Herrn Tag ist nahe; er kommt wie eine Verwüstung vom<br />

Allmächtigen.“ Jesaja 13,6. „Gehe in <strong>de</strong>n Felsen und verbirg dich in <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> vor <strong>de</strong>r Furcht<br />

<strong>de</strong>s Herrn und vor seiner herrlichen Majestät. Denn alle hohen Augen wer<strong>de</strong>n erniedrigt<br />

wer<strong>de</strong>n, und die hohe Männer sind, wer<strong>de</strong>n sich bücken müssen; <strong>de</strong>r Herr aber wird allein<br />

hoch sein zu <strong>de</strong>r Zeit. Denn <strong>de</strong>r Tag <strong>de</strong>s Herrn Zebaoth wird gehen über alles Hoffärtige und<br />

Hohe und über alles Erhabene, daß es erniedrigt wer<strong>de</strong> ... Zu <strong>de</strong>r Zeit wird je<strong>de</strong>rmann<br />

wegwerfen seine silbernen und gol<strong>de</strong>nen Götzen, die er sich hatte machen lassen, anzubeten,<br />

in die Löcher <strong>de</strong>r Maulwürfe und <strong>de</strong>r Fle<strong>de</strong>rmäuse, auf daß er möge in die Steinritzen und<br />

Felsklüfte kriechen vor <strong>de</strong>r Furcht <strong>de</strong>s Herrn und vor seiner herrlichen Majestät, wenn er<br />

sich aufmachen wird, zu schrecken die Er<strong>de</strong>“.<br />

Jesaja 2,1012.20.21. Durch die aufbrechen<strong>de</strong>n Wolken hindurch strahlt ein Stern,<br />

<strong>de</strong>ssen Glanz im Gegensatz zu <strong>de</strong>r Finsternis viermal heller ist. Er spricht <strong>de</strong>n Treuen<br />

Hoffnung und Freu<strong>de</strong> zu, <strong>de</strong>n Übertretern <strong>de</strong>s Gesetzes Gottes aber Strenge und Zorn. Die<br />

alles für Christus geopfert haben, sind nun geborgen wie in <strong>de</strong>r Hütte <strong>de</strong>s Herrn. Sie sind<br />

geprüft wor<strong>de</strong>n und haben vor <strong>de</strong>r Welt und <strong>de</strong>n Verächtern <strong>de</strong>r Wahrheit ihre Treue zu <strong>de</strong>m<br />

bewiesen, <strong>de</strong>r für sie starb. Eine wun<strong>de</strong>rbare Wandlung ist mit <strong>de</strong>nen vorgegangen, die<br />

selbst angesichts <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s ihre Rechtschaffenheit bewahrt haben. Sie sind plötzlich vor <strong>de</strong>r<br />

finsteren und schrecklichen Raserei <strong>de</strong>r in Dämonen verwan<strong>de</strong>lten Menschen befreit wor<strong>de</strong>n.<br />

Ihre vor kurzem noch blassen, ängstlichen und verstörten Angesichter erglühen nun vor<br />

Erstaunen, Glauben und Liebe. Siegesfroh singen sie: „Gott ist unsre Zuversicht und Stärke,<br />

eine Hilfe in <strong>de</strong>n großen Nöten, die uns getroffen haben. Darum fürchten wir uns nicht,<br />

wenngleich die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer sänken, wenngleich das<br />

Meer wütete und wallte und von seinem Ungestüm die Berge einfielen.“ Psalm 46,2-4.<br />

Während diese Worte <strong>de</strong>s heiligen Vertrauens zu Gott emporsteigen, reißen die Wolken<br />

auf, und <strong>de</strong>r sternenbesäte Himmel wird sichtbar, von unsagbarer Herrlichkeit im Gegensatz<br />

zu <strong>de</strong>m schwarzen und zornigen Firmament ringsherum. Der Glanz <strong>de</strong>r himmlischen Stadt<br />

strahlt aus <strong>de</strong>n offenstehen<strong>de</strong>n Toren. Dann erscheint am Himmel eine Hand, die zwei<br />

zusammengelegte Tafeln hält. Der Prophet sagt: „Die Himmel wer<strong>de</strong>n seine Gerechtigkeit<br />

verkündigen; <strong>de</strong>nn Gott ist Richter.“ Psalm 50,6. Jenes heilige Gesetz, die Gerechtigkeit<br />

Gottes, die unter Donner und Flammen vom Sinai herab als Richtschnur <strong>de</strong>s Lebens<br />

verkün<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>, wird nun <strong>de</strong>n Menschen offenbart als Maßstab <strong>de</strong>s Gerichts. Die Hand<br />

faltet die Tafeln auseinan<strong>de</strong>r, und die zehn Gebote wer<strong>de</strong>n sichtbar, als wären sie mit einer<br />

feurigen Fe<strong>de</strong>r geschrieben. Die Worte sind so <strong>de</strong>utlich, daß alle sie lesen können. Die<br />

Erinnerung wird wach, die Finsternis <strong>de</strong>s Aberglaubens und <strong>de</strong>r Ketzerei ist von je<strong>de</strong>m<br />

447


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Gemüt geschwun<strong>de</strong>n, und die zehn kurzen, verständlichen und vollgültigen Worte Gottes<br />

stehen allen Bewohnern <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> <strong>de</strong>utlich vor Augen.<br />

Es ist unmöglich, <strong>de</strong>n Schrecken und die Verzweiflung <strong>de</strong>rer zu beschreiben, die Gottes<br />

heilige For<strong>de</strong>rungen mit Füßen getreten haben. Der Herr gab ihnen sein Gesetz; sie hätten<br />

ihren Charakter damit vergleichen und ihre Fehler erkennen können, als noch Zeit zur Buße<br />

und Besserung war; aber um die Gunst <strong>de</strong>r Welt zu erlangen, setzten sie seine<br />

Verordnungen beiseite und lehrten an<strong>de</strong>re, sie zu übertreten. Sie haben Gottes Volk zu<br />

zwingen versucht, <strong>de</strong>n Sabbat <strong>de</strong>s Herrn zu entheiligen. Jetzt wer<strong>de</strong>n sie durch jenes Gesetz<br />

verdammt, das sie mißachtet haben. Mit schrecklicher Deutlichkeit sehen sie, daß es für sie<br />

keine Entschuldigung gibt. Sie erwählten selbst, wem sie dienen und wen sie anbeten<br />

wollten. „Und ihr sollt dagegen wie<strong>de</strong>rum sehen, was für ein Unterschied sei zwischen <strong>de</strong>m<br />

Gerechten und <strong>de</strong>m Gottlosen und zwischen <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r Gott dient, und <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r ihm nicht<br />

dient.“ Maleachi 3,18.<br />

Die Fein<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Gesetzes Gottes, vom Prediger an bis hinunter zu <strong>de</strong>n geringsten unter<br />

ihnen, haben eine an<strong>de</strong>re Vorstellung von Wahrheit und Pflicht. Zu spät erkennen sie, daß<br />

<strong>de</strong>r Sabbat <strong>de</strong>s vierten Gebots das Siegel <strong>de</strong>s lebendigen Gottes ist; zu spät erkennen sie die<br />

wahre Natur ihres falschen Sabbats und <strong>de</strong>n sandigen Grund, auf <strong>de</strong>n sie gebaut haben. Es<br />

wird ihnen klar, daß sie gegen Gott zu Fel<strong>de</strong> gezogen sind. Religionslehrer haben Seelen ins<br />

Ver<strong>de</strong>rben geführt, während sie vorgaben, sie zu <strong>de</strong>n Toren <strong>de</strong>s Paradieses zu geleiten. Erst<br />

am Tage <strong>de</strong>r endgültigen Abrechnung wird man begreifen, wie groß die Verantwortung <strong>de</strong>r<br />

in heiligen Ämtern dienen<strong>de</strong>n Menschen ist, und wie schrecklich die Folgen ihrer Untreue<br />

sind. Nur in <strong>de</strong>r Ewigkeit können wir <strong>de</strong>n Verlust einer einzigen Seele richtig einschätzen.<br />

Furchtbar wird <strong>de</strong>ssen Los sein, zu <strong>de</strong>m Gott sagen wird: Gehe hinweg von mir, du gottloser<br />

Knecht!<br />

Die Stimme Gottes erschallt vom Himmel, verkündigt <strong>de</strong>n Tag und die Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Wie<strong>de</strong>rkunft Christi und übergibt seinem Volk <strong>de</strong>n ewigen Bund. Gleich <strong>de</strong>n lautesten<br />

Donnerschlägen rollen seine Worte über die Er<strong>de</strong>. Das Israel Gottes lauscht, die Augen<br />

aufwärts gerichtet. Die Angesichter leuchten auf von <strong>de</strong>m Glanz seiner Herrlichkeit. Sie<br />

strahlen wie das Antlitz Moses, als er vom Sinai herabkam. Die Gottlosen können sie nicht<br />

anblicken. Wenn die Menschen gesegnet wer<strong>de</strong>n, die Gott dadurch ehrten, daß sie seinen<br />

Sabbat heilighielten, erschallt ein gewaltiges Siegesgeschrei.<br />

Gegen Osten erscheint ein kleines schwarzes Wölkchen, ungefähr halb so groß wie<br />

eines Mannes Hand. Es ist die Wolke, die <strong>de</strong>n Heiland umgibt und die in <strong>de</strong>r Entfernung in<br />

Finsternis gehüllt zu sein scheint. Gottes Volk weiß, daß dies das Zeichen <strong>de</strong>s<br />

Menschensohnes ist. In ernstem Schweigen blicken alle unverwandt auf diese Wolke, wie<br />

sie <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> näher rückt und zusehends heller und herrlicher wird, bis sich eine große weiße<br />

Wolke entfaltet, <strong>de</strong>ren Grund wie verzehren<strong>de</strong>s Feuer aussieht und über welcher <strong>de</strong>r<br />

Regenbogen <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>s schwebt. Jesus reitet als mächtiger Sieger voraus. Er kommt jetzt<br />

nicht als Schmerzensmann, <strong>de</strong>n bitteren Kelch mit Schmach und Weh zu trinken, son<strong>de</strong>rn<br />

448


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

als Sieger im Himmel und auf Er<strong>de</strong>n, um die Lebendigen und die Toten zu richten. Er hieß<br />

„Treu und Wahrhaftig, und er richtet und streitet mit Gerechtigkeit ... Und ihm folgte nach<br />

das Heer im Himmel“. Offenbarung 19,11.14.<br />

Mit Wechselgesängen himmlischer Melodien begleitet ihn ein zahlloses Gefolge<br />

heiliger Engel. Das Himmelszelt scheint mit leuchten<strong>de</strong>n Gestalten be<strong>de</strong>ckt zu sein,<br />

zehntausendmal zehntausend und tausendmal tausend. Kein Mensch vermag diesen Anblick<br />

zu beschreiben, niemand seine Pracht zu erfassen. „Seines Lobes war <strong>de</strong>r Himmel voll, und<br />

seiner Ehre war die Er<strong>de</strong> voll. Sein Glanz war wie Licht.“ Habakuk 3,3.4. Da die Wolke<br />

noch näher kommt, sieht je<strong>de</strong>s Auge <strong>de</strong>n Lebensfürsten. Keine Dornenkrone entstellt sein<br />

erhabenes Haupt, son<strong>de</strong>rn das Dia<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Herrlichkeit ruht auf seiner heiligen Stirn. Sein<br />

Angesicht überstrahlt die blen<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Mittagssonne. „Und er hat einen Namen geschrieben<br />

auf seinem Kleid und auf seiner Hüfte also: Ein König aller Könige und ein Herr aller<br />

Herren.“ Offenbarung 19,16.<br />

In seiner Gegenwart sind alle Angesichter bleich, und die Verwerfer <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong> Gottes<br />

befällt <strong>de</strong>r Schrecken ewiger Verzweiflung. „Ihr Herz muß verzagen, die Kniee schlottern ...<br />

und alle Angesichter (wer<strong>de</strong>n) bleich.“ Nahum 2,11; Jeremia 30,6. Die Gerechten rufen mit<br />

Zittern: Wer kann bestehen? Der Gesang <strong>de</strong>r Engel verstummt, und es herrscht eine Zeitlang<br />

tiefes Schweigen. Dann hört man die Stimme Jesu sagen: „Meine Gna<strong>de</strong> ist für euch<br />

ausreichend.“ Die Gesichter <strong>de</strong>r Gerechten hellen sich auf, Freu<strong>de</strong> erfüllt je<strong>de</strong>s Herz. Die<br />

Engel singen im Chor und jubeln, in<strong>de</strong>m sie <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> noch näher kommen. Der König aller<br />

Könige steigt auf <strong>de</strong>r Wolke herab, in Feuerflammen gehüllt. Der Himmel entweicht wie ein<br />

zusammengerolltes Buch, die Er<strong>de</strong> bebt vor ihm, und alle Berge und alle Inseln wer<strong>de</strong>n aus<br />

ihren Örtern bewegt. „Unser Gott kommt und schweigt nicht. Fressend Feuer geht vor ihm<br />

her und um ihn her ein großes Wetter. Er ruft Himmel und Er<strong>de</strong>, daß er sein Volk<br />

richte.“ Psalm 50,3.4.<br />

„Und die Könige auf Er<strong>de</strong>n und die Großen und die Reichen und die Hauptleute und die<br />

Gewaltigen und alle Knechte und alle Freien verbargen sich in <strong>de</strong>n Klüften und Felsen an<br />

<strong>de</strong>n Bergen und sprachen zu <strong>de</strong>n Bergen und Felsen: fallet über uns und verberget uns vor<br />

<strong>de</strong>m Angesichte <strong>de</strong>s, <strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m Stuhl sitzt, und vor <strong>de</strong>m Zorn <strong>de</strong>s Lammes! Denn es ist<br />

gekommen <strong>de</strong>r große Tag seines Zorns, und wer kann bestehen?“ Offenbarung 6,15-17. Das<br />

höhnische Gespött hat aufgehört. Lügnerische Lippen sind zum Schweigen gebracht. Das<br />

Waffengeklirr und Schlachtgetümmel ist vorbei, alles Ungetüm und die blutigen Klei<strong>de</strong>r<br />

sind verschwun<strong>de</strong>n. Jesaja 9,4. Nur Gebete, Weinen und Wehklagen sind jetzt ver nehmbar.<br />

Von <strong>de</strong>n Lippen <strong>de</strong>r jüngst noch Spotten<strong>de</strong>n ertönt <strong>de</strong>r Schrei: „Es ist gekommen <strong>de</strong>r große<br />

Tag seines Zorns, und wer kann bestehen?“ Die Gottlosen bitten, eher unter <strong>de</strong>n Felsen <strong>de</strong>r<br />

Berge verborgen zu wer<strong>de</strong>n, als <strong>de</strong>m Angesicht <strong>de</strong>s Erlösers zu begegnen, <strong>de</strong>n sie verachtet<br />

und verworfen haben.<br />

Sie kennen jene Stimme, die ans Ohr <strong>de</strong>r Toten dringt. Wie oft hat ihr sanfter, flehen<strong>de</strong>r<br />

Ton sie zur Buße gerufen! Wie oft ist sie in <strong>de</strong>n rühren<strong>de</strong>n Bitten eines Freun<strong>de</strong>s, eines<br />

449


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Bru<strong>de</strong>rs, eines Erlösers vernommen wor<strong>de</strong>n! Den Verwerfern seiner Gna<strong>de</strong> könnte keine<br />

an<strong>de</strong>re Stimme so verdammend, so urteilsschwer sein als jene, die so lange gefleht hat: „So<br />

bekehret euch doch nun von eurem bösen Wesen. Warum wollt ihr sterben?“ Hesekiel 33,11.<br />

Ach, daß es für sie die Stimme eines Fremdlings wäre! Jesus sagt. „Ich ... rufe, und ihr<br />

weigert euch, ich recke meine Hand aus, und niemand achtet darauf, und laßt fahren allen<br />

meinen Rat und wollet meine Strafe nicht.“ Sprüche 1,24.25. Jene Stimme weckt<br />

Erinnerungen, die sie gern austilgen möchten: verachtete Warnungen, abgeschlagene<br />

Einladungen, geringgeschätzte Gna<strong>de</strong>ngaben.<br />

Dort sind jene, die Christus in seiner Erniedrigung verspottet hatten. Mit<br />

durchdringen<strong>de</strong>r Stärke kommen ihnen die Worte <strong>de</strong>s Dul<strong>de</strong>rs ins Gedächtnis zurück, als er,<br />

von <strong>de</strong>n Hohepriestern beschworen, feierlich erklärte: „Von nun an wird es geschehen, daß<br />

ihr sehen wer<strong>de</strong>t <strong>de</strong>s Menschen Sohn sitzen zur Rechten <strong>de</strong>r Kraft und kommen in <strong>de</strong>n<br />

Wolken <strong>de</strong>s Himmels.“ Matthäus 26,64. Jetzt erblicken sie ihn in seiner Herrlichkeit, und<br />

sie müssen ihn sitzen sehen zur Rechten <strong>de</strong>r Kraft. Die über seinen Anspruch, er sei <strong>de</strong>r<br />

Sohn Gottes, spotteten, sind nun sprachlos. Da ist <strong>de</strong>r hochmütige Hero<strong>de</strong>s, <strong>de</strong>r Jesu<br />

königlichen Titel verlästerte und <strong>de</strong>n höhnen<strong>de</strong>n Soldaten befahl, ihn zum König zu krönen.<br />

Da sind ganz dieselben Männer, die mit verruchten Hän<strong>de</strong>n das purpurne Gewand um seine<br />

Gestalt legten und die Dornenkrone auf seine heilige Stirn setzten; die in seine<br />

wi<strong>de</strong>rstandslose Hand das Zepter <strong>de</strong>s Spottes legten und sich unter gotteslästerlichen<br />

Hohnre<strong>de</strong>n vor ihm verbeugten. Die Männer, die <strong>de</strong>n Fürsten <strong>de</strong>s Lebens schlugen und<br />

anspien, wen<strong>de</strong>n sich nun von seinem durchdringen<strong>de</strong>n Blick ab und versuchen, aus <strong>de</strong>m<br />

überwältigen<strong>de</strong>n Glanz seiner Gegenwart zu fliehen. Die Knechte, die die Nägel durch seine<br />

Hän<strong>de</strong> und Füße trieben, <strong>de</strong>r Soldat, <strong>de</strong>r seine Seite durchstach, sehen diese Male mit Furcht<br />

und Gewissensbissen. Mit entsetzlicher Deutlichkeit erinnern sich die Priester und Obersten<br />

<strong>de</strong>r Ereignisse auf Golgatha. Mit Schau<strong>de</strong>rn und Schrecken <strong>de</strong>nken sie daran, wie sie, ihr<br />

Haupt schüttelnd, in fanatischem Frohlocken ausriefen: „An<strong>de</strong>rn hat er geholfen, und kann<br />

sich selber nicht helfen. Ist er <strong>de</strong>r König Israels, so steige er nun vom Kreuz, so wollen wir<br />

ihm glauben. Er hat Gott vertraut; <strong>de</strong>r erlöse ihn nun, hat er Lust zu ihm; <strong>de</strong>nn er hat gesagt:<br />

Ich bin Gottes Sohn.“ Matthäus 27,42.43.<br />

Lebhaft erinnern sie sich wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Gleichnisses Jesu von <strong>de</strong>n Weingärtnern, die sich<br />

weigerten, ihrem Herrn die Frucht <strong>de</strong>s Weinbergs zu geben, die seine Knechte mißhan<strong>de</strong>lten<br />

und seinen Sohn erschlugen. Auch ge<strong>de</strong>nken sie <strong>de</strong>s Ausspruchs, <strong>de</strong>r von ihnen selbst<br />

stammte: Der Herr <strong>de</strong>s Weinbergs „wird die Bösewichte übel umbringen“. Matthäus 21,41.<br />

In <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> und Bestrafung jener untreuen Männer sehen die Priester und Ältesten ihr<br />

eigenes Verhalten und ihre eigene gerechte Verurteilung. Und jetzt schreien sie in<br />

To<strong>de</strong>sangst. Lauter als <strong>de</strong>r Ruf: „Kreuzige ihn! kreuzige ihn!“ in <strong>de</strong>n Straßen Jerusalems<br />

ertönte, erschallt <strong>de</strong>r schreckliche, verzweifelte Weheruf: „Es ist Gottes Sohn! Es ist <strong>de</strong>r<br />

wahre Messias!“ Sie bemühen sich, aus <strong>de</strong>r Gegenwart <strong>de</strong>s Königs aller Könige zu fliehen.<br />

In tiefen Erdhöhlen, die sich durch <strong>de</strong>n Aufruhr <strong>de</strong>r Elemente bil<strong>de</strong>ten, suchen sie sich<br />

vergebens zu verbergen.<br />

450


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

In <strong>de</strong>m Leben aller, die die Wahrheit verwerfen, gibt es Augenblicke, da das Gewissen<br />

erwacht, da ihnen ihr Gedächtnis qualvolle Erinnerungen an Worte und Taten <strong>de</strong>r Heuchelei<br />

vorhält, da die Seele von Reue geplagt wird. Aber was sind diese, verglichen mit <strong>de</strong>n<br />

Gewissensbissen jenes Tages, da „Angst und Not kommt“, da das „Unglück als ein<br />

Wetter“ offenbar wird! Sprüche 1,27. Die Christus und seine Nachfolger gern umgebracht<br />

hätten, sehen nun die Herrlichkeit, die auf ihnen ruht. Inmitten <strong>de</strong>s Schreckens hören sie die<br />

Heiligen freudig ausrufen: „Siehe, das ist unser Gott, auf <strong>de</strong>n wir harren, und er wird uns<br />

helfen.“ Jesaja 25,9. Während die Er<strong>de</strong> schwankt, die Blitze zucken und <strong>de</strong>r Donner grollt,<br />

ruft die Stimme <strong>de</strong>s Sohnes Gottes die schlafen<strong>de</strong>n Heiligen hervor. Er blickt auf die Gräber<br />

<strong>de</strong>r Gerechten und ruft, seine Hand zum Himmel erhebend: „Erwachet, erwachet, erwachet!<br />

Die ihr im Staube schlaft, und stehet auf!“ Auf <strong>de</strong>r ganzen Er<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n die Toten diese<br />

Stimme hören, und die sie hören, wer<strong>de</strong>n leben. Die Er<strong>de</strong> wird dröhnen von <strong>de</strong>n Tritten <strong>de</strong>r<br />

außeror<strong>de</strong>ntlich großen Schar aus allen Hei<strong>de</strong>n, Geschlechtern, Völkern und Sprachen. Aus<br />

<strong>de</strong>n Gefängnissen <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s kommen sie, angetan mit unsterblicher Herrlichkeit, und rufen:<br />

„Tod, wo ist <strong>de</strong>in Stachel? Hölle, wo ist <strong>de</strong>in Sieg?“ 1.Korinther 15,55. Und die leben<strong>de</strong>n<br />

Gerechten und die auferstan<strong>de</strong>nen Heiligen vereinen ihre Stimmen zu langem, fröhlichem<br />

Siegesjubel.<br />

Alle kommen in <strong>de</strong>rselben Größe aus ihren Gräbern, wie sie hineingelegt wur<strong>de</strong>n. Adam,<br />

<strong>de</strong>r mitten unter <strong>de</strong>r auferstan<strong>de</strong>nen Schar steht, ist von erhabener Höhe und majestätischer<br />

Gestalt, nur wenig kleiner als <strong>de</strong>r Sohn Gottes. An ihm wird ein auffallen<strong>de</strong>r Gegensatz zu<br />

<strong>de</strong>n späteren Geschlechtern <strong>de</strong>utlich; in dieser einen Beziehung sieht man die tiefgehen<strong>de</strong><br />

Entartung <strong>de</strong>s Menschengeschlechts. Alle aber stehen auf in <strong>de</strong>r Frische und Kraft ewiger<br />

Jugend. Im Anfang wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Mensch nach <strong>de</strong>m Bil<strong>de</strong> Gottes geschaffen, nicht nur in<br />

Charakter, son<strong>de</strong>rn auch in Gestalt und Aussehen. Die Sün<strong>de</strong> hat das göttliche Bild entstellt<br />

und nahezu verwischt; aber Christus kam, um das, was verlorengegangen war,<br />

wie<strong>de</strong>rherzustellen.<br />

Er wird unseren nichtigen Leib verwan<strong>de</strong>ln und seinem verklärten Leibe ähnlich<br />

machen. Die sterbliche, vergängliche, anmutlose, einst mit Sün<strong>de</strong> befleckte Gestalt wird<br />

vollkommen, schön und unsterblich. Alle Fehler und Gebrechen bleiben im Grabe. Wie<strong>de</strong>r<br />

zum Baum <strong>de</strong>s Lebens in <strong>de</strong>m lange verlorenen Paradies zugelassen, wer<strong>de</strong>n die Erlösten<br />

zunehmen, bis sie zu <strong>de</strong>r vollen Größe <strong>de</strong>s Menschengeschlechts in seiner ursprünglichen<br />

Herrlichkeit herangewachsen sind. Die letzten noch verbliebenen Spuren <strong>de</strong>s Fluches <strong>de</strong>r<br />

Sün<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n beseitigt und die getreuen Christi erscheinen in <strong>de</strong>r Herrlichkeit <strong>de</strong>s Herrn,<br />

unseres Gottes, und wer<strong>de</strong>n an Leib, Seele und Geist das vollkommene Bild ihres Herrn<br />

wi<strong>de</strong>rstrahlen. Oh, wun<strong>de</strong>rbare Erlösung, lange besprochen, lange erhofft, mit eifriger<br />

Erwartung betrachte, aber nie völlig verstan<strong>de</strong>n!<br />

Die leben<strong>de</strong>n Gerechten wer<strong>de</strong>n „plötzlich, in einem Augenblick“, verwan<strong>de</strong>lt. Beim<br />

Ertönen <strong>de</strong>r Stimme Gottes wur<strong>de</strong>n sie verherrlicht; nun empfangen sie Unsterblichkeit und<br />

wer<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>n auferstan<strong>de</strong>nen Heiligen <strong>de</strong>m Herrn in <strong>de</strong>r Luft entgegengerückt. Die Engel<br />

451


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

wer<strong>de</strong>n „versammeln seine Auserwählten von <strong>de</strong>n vier Win<strong>de</strong>n, von <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> bis<br />

zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Himmels“. Markus 13,27. Kleine Kin<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n heiligen Engeln in<br />

die Arme ihrer Mütter getragen. Freun<strong>de</strong>, die <strong>de</strong>r Tod lange Zeit getrennt hatte, wer<strong>de</strong>n<br />

wie<strong>de</strong>r zusammengeführt, um nie mehr schei<strong>de</strong>n zu müssen, und gemeinsam steigen sie<br />

unter Freu<strong>de</strong>ngesängen auf zu <strong>de</strong>r Stadt Gottes. Auf je<strong>de</strong>r Seite <strong>de</strong>s Wolkenwagens befin<strong>de</strong>n<br />

sich Flügel, und unter ihm lebendige Rä<strong>de</strong>r, und wenn <strong>de</strong>r Wagen aufwärts rollt, rufen die<br />

Rä<strong>de</strong>r: „Heilig!“, und die Flügel rufen bei ihren Bewegungen: „Heilig!“, und das Gefolge<br />

<strong>de</strong>r Engel ruft: „Heilig, heilig, heilig ist Gott <strong>de</strong>r Herr, <strong>de</strong>r Allmächtige!“ Und die Erlösten<br />

rufen: „Halleluja!“, während sich <strong>de</strong>r Wagen aufwärts nach <strong>de</strong>m neuen Jerusalem hin<br />

bewegt.<br />

Vor <strong>de</strong>m Einzug in die Gottesstadt verleiht <strong>de</strong>r Heiland seinen Nachfolgern die<br />

Auszeichnungen <strong>de</strong>s Sieges und klei<strong>de</strong>t sie mit <strong>de</strong>n Zeichen ihres königlichen Stan<strong>de</strong>s. Die<br />

glänzen<strong>de</strong>n Reihen stellen sich in Form eines offenen Vierecks um ihren König herum auf,<br />

<strong>de</strong>ssen Gestalt sich hoheitsvoll über die Heiligen und die Engel erhebt und <strong>de</strong>ssen Antlitz<br />

allen voll gütiger Liebe strahlt. Der Blick je<strong>de</strong>s einzelnen dieser unzähligen Schar <strong>de</strong>r<br />

Erlösten ist auf ihn gerichtet, je<strong>de</strong>s Auge schaut seine Herrlichkeit, <strong>de</strong>ssen „Gestalt<br />

häßlicher ... <strong>de</strong>nn an<strong>de</strong>rer Leute und sein Aussehen <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Menschenkin<strong>de</strong>r“ war. Jesaja<br />

52,14. Auf die Häupter <strong>de</strong>r Überwin<strong>de</strong>r setzt <strong>de</strong>r Heiland mit eigener Hand die Krone <strong>de</strong>r<br />

Herrlichkeit. Je<strong>de</strong>r erhält eine Krone, die seinen „neuen Namen“ (Offenbarung 2,17) trägt<br />

sowie die Inschrift „heilig <strong>de</strong>m Herrn!“ In je<strong>de</strong> Hand wird die Siegespalme und die<br />

glänzen<strong>de</strong> Harfe gelegt. Dann gleitet je<strong>de</strong> Hand — die leiten<strong>de</strong>n Engel geben <strong>de</strong>n Ton an —<br />

geschickt über die Harfensaiten und entlockt ihnen liebliche Musik in reichen, klangvollen<br />

Melodien. Unsagbare Wonne entzückt je<strong>de</strong>s Herz, und je<strong>de</strong> Stimme erhebt sich in<br />

dankbarem Lobgesang: „Der uns geliebt hat und gewaschen von <strong>de</strong>n Sün<strong>de</strong>n mit seinem<br />

Blut und hat uns zu Königen und Priestern gemacht vor Gott und seinem Vater, <strong>de</strong>m sei<br />

Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.“ Offenbarung 1,5.6.<br />

Vor <strong>de</strong>r erlösten Schar liegt die heilige Stadt. Jesus öffnet die Perlentore weit, und die<br />

Seligen, die die Wahrheit gehalten haben, ziehen ein. Dort schauen sie das Paradies Gottes,<br />

die Heimat Adams in seiner Unschuld. Und nun ertönt jene Stimme, klangvoller als<br />

irgendwelche Musik, die je an eines Sterblichen Ohr gelangte, und sagt. „Euer Kampf ist<br />

been<strong>de</strong>t! ‚Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet ist<br />

von Anbeginn <strong>de</strong>r Welt¡“ Jetzt ist das Gebet <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s für seine Jünger erfüllt: „Ich will,<br />

daß, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast.“ Johannes 17,24. Christus<br />

bringt <strong>de</strong>m Vater <strong>de</strong>n Erlös seines Blutes „ohne Fehl ... vor das Angesicht seiner<br />

Herrlichkeit unsträflich mit Freu<strong>de</strong>n“ (Judas 24) und erklärt: „Hier bin ich und die Kin<strong>de</strong>r,<br />

die mir <strong>de</strong>r Herr gegeben hat.“ „Die du mir gegeben hast, die habe ich bewahrt.“ Jesaja 8,18;<br />

Johannes 17,12. O Wun<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r erlösen<strong>de</strong>n Liebe! O Wonne jener Stun<strong>de</strong>, da <strong>de</strong>r ewige<br />

Vater, auf die Erlösten blickend, sein Ebenbild sieht, da <strong>de</strong>r Mißklang <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> beseitigt,<br />

<strong>de</strong>r Bannfluch hinweggenommen und das Menschliche wie<strong>de</strong>rum mit <strong>de</strong>m Göttlichen in<br />

Einklang gebracht ist!<br />

452


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Mit unaussprechlicher Liebe heißt Jesus seine Getreuen zur „Freu<strong>de</strong> ihres<br />

Herrn“ willkommen. Des Heilan<strong>de</strong>s Freu<strong>de</strong> aber besteht darin, daß er in <strong>de</strong>m Reich <strong>de</strong>r<br />

Herrlichkeit die Seelen sieht, die durch sein Lei<strong>de</strong>n und seine Erniedrigung gerettet wor<strong>de</strong>n<br />

sind. Und die Erlösten wer<strong>de</strong>n an dieser Freu<strong>de</strong> teilhaben, wenn sie unter <strong>de</strong>n Seligen alle<br />

jene ent<strong>de</strong>cken, die durch ihre Gebete, ihre Mitarbeit und ihre liebevollen Opfer für Christus<br />

gewonnen wur<strong>de</strong>n. Wenn sie sich um <strong>de</strong>n großen weißen Thron versammeln, wird<br />

unsagbare Freu<strong>de</strong> ihre Herzen erfüllen, <strong>de</strong>nn sie erblicken nicht nur die, welche sie zum<br />

Herrn gebracht haben, son<strong>de</strong>rn erkennen auch, daß jene an<strong>de</strong>re Seelen gewonnen haben, und<br />

diese wie<strong>de</strong>rum an<strong>de</strong>re, die nun alle, in <strong>de</strong>n Hafen <strong>de</strong>r Ruhe gebracht, ihre Kronen zu Jesu<br />

Füßen nie<strong>de</strong>rlegen und ihn in <strong>de</strong>n endlosen Zeiten <strong>de</strong>r Ewigkeit preisen wer<strong>de</strong>n.<br />

Wenn die Erlösten in <strong>de</strong>r Stadt Gottes willkommen geheißen wer<strong>de</strong>n, hallt die Luft<br />

wie<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>m frohlocken<strong>de</strong>n Jubelruf <strong>de</strong>r Anbetung. Der erste und <strong>de</strong>r zweite Adam<br />

stehen kurz vor ihrer Begegnung. Der Sohn Gottes wartet mit ausgestreckten Armen, um<br />

<strong>de</strong>n Vater unseres Geschlechts zu empfangen: das Wesen, das er schuf, das gegen seinen<br />

Schöpfer sündigte und um <strong>de</strong>ssen Sün<strong>de</strong>n willen <strong>de</strong>r Heiland die Zeichen <strong>de</strong>r Kreuzigung<br />

trägt. Wenn Adam die Spuren <strong>de</strong>r grausamen Nägel erkennt, fällt er seinem Herrn nicht an<br />

die Brust, son<strong>de</strong>rn er wirft sich <strong>de</strong>mütig ihm zu Füßen und ruft: „Würdig, würdig ist das<br />

Lamm, das erwürget ist!“ Zärtlich hebt <strong>de</strong>r Heiland ihn auf und bittet ihn, noch einmal seine<br />

Heimat in E<strong>de</strong>n zu schauen, aus <strong>de</strong>r er so lange verbannt gewesen ist.<br />

Nach seiner Vertreibung aus E<strong>de</strong>n war Adams Leben hier auf Er<strong>de</strong>n voller Kummer:<br />

Je<strong>de</strong>s welken<strong>de</strong> Blatt, je<strong>de</strong>s Opfertier, je<strong>de</strong> Trübung in <strong>de</strong>r schönen Natur, je<strong>de</strong>r Makel an<br />

<strong>de</strong>r Reinheit <strong>de</strong>s Menschen erinnerte ihn aufs neue an seine Sün<strong>de</strong>. Schrecklich war <strong>de</strong>r<br />

Schmerz <strong>de</strong>r Reue, als er die überhandnehmen<strong>de</strong> Gottlosigkeit sah und auf seine Warnungen<br />

hin die Vorwürfe einstecken mußte, daß er die Veranlassung zur Sün<strong>de</strong> gegeben habe. Mit<br />

geduldiger Demut trug er fast tausend Jahre die Strafe <strong>de</strong>r Übertretung. Aufrichtig bereute er<br />

seine Sün<strong>de</strong>, vertraute auf die Verdienste <strong>de</strong>s verheißenen Heilan<strong>de</strong>s und starb in <strong>de</strong>r<br />

Hoffnung auf eine Auferstehung. Der Sohn Gottes machte <strong>de</strong>s Menschen Vergehen wie<strong>de</strong>r<br />

gut. Nun wird Adam durch das Werk <strong>de</strong>r Versöhnung wie<strong>de</strong>r in seine erste Herrschaft<br />

eingesetzt. —<br />

Entzückt vor Freu<strong>de</strong> betrachtet er die Bäume, die einst sein Ergötzen waren, ganz<br />

dieselben, von <strong>de</strong>nen er in <strong>de</strong>n Tagen seiner Unschuld und seines Glücks die Früchte<br />

genommen hatte. Er sieht die Reben, die seine Hän<strong>de</strong> gezogen haben, dieselben Blumen, die<br />

er so gern gepflegt hat. Sein Verstand erfaßt die Wirklichkeit <strong>de</strong>s Geschehens; er begreift,<br />

daß dies in <strong>de</strong>r Tat das wie<strong>de</strong>rhergestellte E<strong>de</strong>n ist, viel schöner jetzt als einst, da er daraus<br />

verbannt wur<strong>de</strong>. Der Heiland führt ihn zum Baum <strong>de</strong>s Lebens, bricht die herrliche Frucht<br />

und bittet ihn, zu essen. Er blickt um sich und sieht viele Glie<strong>de</strong>r seiner Familie erlöst im<br />

Paradiese Gottes. Jetzt legt er seine glänzen<strong>de</strong> Krone Jesus zu Füßen, fällt an seine Brust<br />

und umarmt <strong>de</strong>n Erlöser. Er greift in die gol<strong>de</strong>ne Harfe, und die Gewölbe <strong>de</strong>s Himmels<br />

hallen wi<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>m triumphieren<strong>de</strong>n Gesang: „Würdig, würdig, würdig ist das Lamm, das<br />

453


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

erwürgt wur<strong>de</strong> und lebt wie<strong>de</strong>rum!“ Adams Familie stimmt in <strong>de</strong>n Gesang mit ein, und alle<br />

legen die Kronen zu <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s Füßen nie<strong>de</strong>r und beugen sich in Anbetung vor ihm.<br />

Diese Wie<strong>de</strong>rvereinigung sehen die Engel, die über Adams Fall weinten, und die sich<br />

freuten, als Jesus nach seiner Auferstehung gen Himmel fuhr, nach<strong>de</strong>m er das Grab für alle<br />

geöffnet hatte, die an seinen Namen glauben wür<strong>de</strong>n. Nun sehen sie das Erlösungswerk<br />

vollen<strong>de</strong>t und stimmen mit in <strong>de</strong>n Lobgesang ein. Auf <strong>de</strong>m kristallenen Meer vor <strong>de</strong>m<br />

Thron, jenem gläsernen Meer, das so von <strong>de</strong>r Herrlichkeit Gottes glänzt, als wäre es mit<br />

Feuer vermengt, steht die Schar <strong>de</strong>rer, „die <strong>de</strong>n Sieg behalten hatten an <strong>de</strong>m Tier und<br />

seinem Bil<strong>de</strong> und seinem Malzeichen und seines Namens Zahl“. Offenbarung 15,2. Auf<br />

<strong>de</strong>m Berge Zion stehen mit <strong>de</strong>m Lamm die 144.000, die erlöst wur<strong>de</strong>n; man hört eine<br />

Stimme wie das Gebrause eines großen Wassers und wie das Grollen eines großen Donners,<br />

die Stimme „von Harfenspielern, die auf ihren Harfen spielen“. Offenbarung 14,1-3;<br />

Offenbarung 15,3.<br />

Sie singen „ein neues Lied“ vor <strong>de</strong>m Stuhl, ein Lied, das niemand lernen kann,<br />

ausgenommen die 144.000. Es ist das Lied Moses und <strong>de</strong>s Lammes, ein Lied <strong>de</strong>r Befreiung.<br />

Niemand außer <strong>de</strong>n 144.000 kann dieses Lied lernen; <strong>de</strong>nn es ist das Lied ihrer Erfahrung,<br />

und niemand sonst hat je eine solche Erfahrung gemacht wie sie. Diese sind‘s, die <strong>de</strong>m<br />

Lamm nachfolgen, wo es hingeht. Sie wer<strong>de</strong>n, da sie aus <strong>de</strong>n Lebendigen <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> heraus<br />

entrückt wur<strong>de</strong>n, als Erstlinge Gottes und <strong>de</strong>s Lammes (Offenbarung 14,4) angesehen.<br />

„Diese sind‘s, die gekommen sind aus großer Trübsal“ (Offenbarung 7,14), sie haben die<br />

trübselige Zeit erfahren, eine Zeit, wie sie nie auf Er<strong>de</strong>n war, seit Menschen darauf wohnen;<br />

sie haben die Angst in <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r Trübsal Jakobs ausgehalten; sie sind während <strong>de</strong>r letzten<br />

Ausgießung <strong>de</strong>r Gerichte Gottes ohne Vermittler gewesen. Aber sie sind befreit wor<strong>de</strong>n,<br />

<strong>de</strong>nn sie „haben ihre Klei<strong>de</strong>r gewaschen und haben ihre Klei<strong>de</strong>r hell gemacht im Blut <strong>de</strong>s<br />

Lammes“. „In ihrem Mun<strong>de</strong> ist kein Falsch gefun<strong>de</strong>n; <strong>de</strong>nn sie sind unsträflich vor <strong>de</strong>m<br />

Stuhl Gottes.“ „Darum sind sie vor <strong>de</strong>m Stuhl Gottes und dienen ihm Tag und Nacht in<br />

seinem Tempel; und <strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m Stuhl sitzt, wird über ihnen wohnen.“ Offenbarung 7,14;<br />

Offenbarung 14,5; Offenbarung 7,15. Sie haben gesehen, wie die Er<strong>de</strong> durch Hungersnot<br />

und Seuchen verwüstet wur<strong>de</strong>, wie die Sonne die Menschen mit großer Hitze quälte, und sie<br />

selbst haben Lei<strong>de</strong>n, Hunger und Durst erdul<strong>de</strong>t. Aber nun wird sie „nicht mehr hungern<br />

noch dürsten; es wird auch nicht auf sie fallen die Sonne o<strong>de</strong>r irgend eine Hitze; <strong>de</strong>nn das<br />

Lamm mitten im Stuhl wird sie wei<strong>de</strong>n und leiten zu <strong>de</strong>n lebendigen Wasserbrunnen, und<br />

Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen“. Offenbarung 7,16.17.<br />

Zu allen Zeiten sind die Auserwählten <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s in <strong>de</strong>r Schule <strong>de</strong>r Prüfung erzogen<br />

und ausgebil<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n. Sie wan<strong>de</strong>lten auf Er<strong>de</strong>n schmale Wege; sie wur<strong>de</strong>n im Feuerofen<br />

<strong>de</strong>r Trübsal geläutert. Um Jesu willen ertrugen sie Wi<strong>de</strong>rstand, Haß und Verleumdung. Sie<br />

folgten ihm durch schmerzliche Kämpfe, sie ertrugen Selbstverleugnung und erfuhren<br />

bittere Enttäuschungen. Aus ihrer eigenen bitteren Erfahrung lernten sie das Übel <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>,<br />

<strong>de</strong>ren Macht, Strafbarkeit und Weh kennen und sie mit Abscheu betrachten. Das Wissen um<br />

454


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

das unermeßliche Opfer, das zu ihrem Heil gebracht wor<strong>de</strong>n war, <strong>de</strong>mütigte sie in ihren<br />

eigenen Augen und erfüllte ihre Herzen mit Lob und Dankbarkeit, was [diejenigen], die nie<br />

gefallen sind, gar nicht würdigen können. Sie lieben viel, weil ihnen viel vergeben wor<strong>de</strong>n<br />

ist. Da sie Teilhaber <strong>de</strong>r Lei<strong>de</strong>n Christi gewesen sind, haben sie jetzt auch an seiner<br />

Herrlichkeit Anteil.<br />

Die Erben Gottes sind aus Dachkammern, aus Hütten, aus Gefängniszellen, vom<br />

Schafott, von <strong>de</strong>n Bergen, aus Wüsten, aus Grüften und aus <strong>de</strong>n Höhlen am Meer<br />

gekommen. Auf Er<strong>de</strong>n sind sie „umhergegangen ... mit Mangel, mit Trübsal, mit<br />

Ungemach“. Hebräer 11,37. Millionen sind schmachbe<strong>de</strong>ckt ins Grab gestiegen, weil sie<br />

sich standhaft geweigert hatten, <strong>de</strong>n trügerischen Ansprüchen Satans nachzugeben. Von<br />

irdischen Gerichten wur<strong>de</strong>n sie zu <strong>de</strong>n verkommensten Verbrechern gezählt. Aber jetzt ist<br />

Gott Richter. Psalm 50,6. Nun wird das irdische Urteil umgekehrt. „Er wird ... aufheben die<br />

Schmach seines Volks.“ „Man wird sie nennen das heilige Volk, die Erlösten <strong>de</strong>s<br />

Herrn.“ Jesaja 25,8; Jesaja 62,12. Er hat verordnet, daß „ihnen Schmuck für Asche und<br />

Freu<strong>de</strong>nöl für Traurigkeit und schöne Klei<strong>de</strong>r für einen betrübten Geist gegeben wer<strong>de</strong>n“.<br />

Jesaja 61,3. Sie sind nicht mehr schwach, betrübt, zerstreut und unterdrückt. Von nun an<br />

sollen sie immer beim Herrn sein. Sie stehen vor <strong>de</strong>m Thron mit reicheren Gewän<strong>de</strong>rn<br />

beklei<strong>de</strong>t, als die Vornehmsten auf Er<strong>de</strong>n je getragen haben. Sie sind mit herrlicheren<br />

Kronen geschmückt als irdische Herrscher je geziert haben.<br />

Die Tage <strong>de</strong>r Schmerzen und <strong>de</strong>s Weinens sind für immer vorüber. Der König <strong>de</strong>r<br />

Herrlichkeit hat die Tränen von allen Angesichtern abgewischt; je<strong>de</strong> Ursache <strong>de</strong>s Kummers<br />

ist beseitigt wor<strong>de</strong>n. Unter <strong>de</strong>m Wehen <strong>de</strong>r Palmzweige lassen die Erlösten einen hellen,<br />

frischen, harmonischen Lobgesang ertönen; alle Stimmen nehmen die Melodie auf, bis<br />

durch die Himmelsgewölbe <strong>de</strong>r Chor braust: „Heil sei <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m Stuhl sitzt, unserm<br />

Gott, und <strong>de</strong>m Lamm!“ Und alle Bewohner <strong>de</strong>s Himmels antworten mit <strong>de</strong>m Zuruf: „Amen,<br />

Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Kraft und Stärke sei unserm Gott von<br />

Ewigkeit zu Ewigkeit!“ Offenbarung 7,10.12.<br />

In diesem Leben können wir nur zu einem geringen Teil <strong>de</strong>n wun<strong>de</strong>rbaren Vorgang <strong>de</strong>r<br />

Erlösung verstehen. Mit unserem beschränkten Verstand können wir ernsthaft die Schan<strong>de</strong><br />

und die Herrlichkeit, das Leben und <strong>de</strong>n Tod, die Gerechtigkeit und die Gna<strong>de</strong>, die sich im<br />

Kreuz begegnen, betrachten und ermangeln doch — trotz äußerster Anstrengung — <strong>de</strong>r<br />

notwendigen Geisteskräfte, um <strong>de</strong>ren volle Be<strong>de</strong>utung zu erfassen. Die unermeßliche Größe<br />

<strong>de</strong>r erlösen<strong>de</strong>n Liebe wird nur dunkel begriffen. Der Erlösungsplan wird selbst dann nicht<br />

völlig verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n, wenn die Erlösten sehen, wie sie gesehen, und erkennen, wie sie<br />

erkannt wer<strong>de</strong>n; son<strong>de</strong>rn durch alle Ewigkeit hindurch wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m staunen<strong>de</strong>n und<br />

entzückten Gemüt stets neue Wahrheiten offenbart wer<strong>de</strong>n. Obwohl <strong>de</strong>r Kummer, die<br />

Schmerzen und Versuchungen <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> zu En<strong>de</strong> sind und die Ursache entfernt ist, wird es<br />

Gottes Volk doch stets klar und <strong>de</strong>utlich bewußt sein, was seine Seligkeit gekostet hat.<br />

455


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Die Erlösten wer<strong>de</strong>n in alle Ewigkeit über die Kreuzestat Jesu nachsinnen und davon<br />

singen. In <strong>de</strong>m verherrlichten Christus wer<strong>de</strong>n sie <strong>de</strong>n gekreuzigten Christus sehen. Nie<br />

wer<strong>de</strong>n sie vergessen, daß <strong>de</strong>r, <strong>de</strong>ssen Macht in <strong>de</strong>m unendlichen Bereich <strong>de</strong>s<br />

Himmelsgewölbes die unzähligen Welten schuf und erhielt, <strong>de</strong>r Geliebte Gottes, die<br />

Majestät <strong>de</strong>s Himmels, <strong>de</strong>r, <strong>de</strong>n Cherubim und glänzen<strong>de</strong> Seraphim freudig anbeteten, sich<br />

erniedrigte, um <strong>de</strong>n gefallenen Menschen zu erheben; daß er die Schuld und Schan<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Sün<strong>de</strong> erdul<strong>de</strong>t hat, daß er ertrug, wie sich das Antlitz seines Vaters vor ihm verbarg, bis das<br />

Weh über eine verlorene Welt sein Herz brach und sein Leben am Kreuz von Golgatha<br />

verlöschte. Daß <strong>de</strong>r Schöpfer aller Welten, <strong>de</strong>r Richter aller Geschicke seine Herrlichkeit<br />

beiseite legte und sich aus Liebe zu <strong>de</strong>n Menschen so sehr <strong>de</strong>mütigte, wird stets das<br />

Erstaunen und die Verehrung <strong>de</strong>s Weltalls wachrufen. Wenn die Scharen <strong>de</strong>r Erretteten auf<br />

ihren Erlöser sehen und die ewige Herrlichkeit <strong>de</strong>s Vaters auf seinem Angesicht erblicken,<br />

wenn sie seinen Thron schauen, <strong>de</strong>r von Ewigkeit zu Ewigkeit gegrün<strong>de</strong>t ist, und wissen,<br />

daß sein Reich kein En<strong>de</strong> nehmen soll, brechen sie in <strong>de</strong>n begeisterten Gesang aus: „Würdig,<br />

würdig ist das Lamm, das erwürgt wur<strong>de</strong> und uns mit Gott versöhnt hat durch sein<br />

köstliches Blut.“<br />

Das Geheimnis <strong>de</strong>s Kreuzes erklärt alle an<strong>de</strong>rn Geheimnisse. In <strong>de</strong>m Licht, das von<br />

Golgatha leuchtet, wer<strong>de</strong>n die Eigenschaften Gottes, die uns mit Furcht und Scheu erfüllten,<br />

erhaben und anziehend. Gna<strong>de</strong>, Zärtlichkeit und väterliche Liebe sieht man mit Heiligkeit,<br />

Gerechtigkeit und Macht vereint. Während wir die Majestät seines hohen und<br />

verehrungswürdigen Thrones betrachten, erkennen wir sein Wesen in seinen gnädigen<br />

Offenbarungen und verstehen wie nie zuvor die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s teuren Namens: Unser<br />

Vater.Man wird sehen, daß <strong>de</strong>r an Weisheit Unendliche keinen an<strong>de</strong>rn Plan für unser Heil<br />

ersinnen konnte als die Opferung seines Sohnes. Der Lohn für dieses Opfer ist die Freu<strong>de</strong>,<br />

die Er<strong>de</strong> mit erlösten, heiligen, glücklichen und unsterblichen Wesen bevölkert zu sehen.<br />

Die Folge <strong>de</strong>s Kampfes unseres Heilan<strong>de</strong>s mit <strong>de</strong>n Mächten <strong>de</strong>r Finsternis ist die Freu<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Erlösten, die in alle Ewigkeit zur Verherrlichung Gottes wi<strong>de</strong>rhallt. Und <strong>de</strong>r Wert je<strong>de</strong>r<br />

Seele ist so groß, daß <strong>de</strong>m Vater durch <strong>de</strong>n bezahlten Preis genüge getan ist und Christus<br />

selbst Genugtuung empfin<strong>de</strong>t, wenn er die Früchte seines großen Opfers sieht.<br />

456


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 41- Die Verwustung <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong><br />

„Ihre Sün<strong>de</strong>n reichen bis in <strong>de</strong>n Himmel, und Gott <strong>de</strong>nkt an ihren Frevel ... In welchem<br />

Kelch sie eingeschenkt hat, schenket ihr zwiefältig ein. Wieviel sie sich herrlich gemacht<br />

und ihren Mutwillen gehabt hat, so viel schenket ihr Qual und Leid ein! Denn sie spricht in<br />

ihrem Herzen: Ich sitze als Königin und bin keine Witwe, und Leid wer<strong>de</strong> ich nicht sehen.<br />

Darum wer<strong>de</strong>n ihre Plagen auf einen Tag kommen: Tod, Leid und Hunger; mit Feuer wird<br />

sie verbrannt wer<strong>de</strong>n; <strong>de</strong>nn stark ist Gott <strong>de</strong>r Herr, <strong>de</strong>r sie richten wird. Und es wer<strong>de</strong>n sie<br />

beweinen und sie beklagen die Könige auf Er<strong>de</strong>n, die mit ihr gehurt und Mutwillen<br />

getrieben haben, wenn sie sehen wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Rauch von ihrem Brand; und wer<strong>de</strong>n von ferne<br />

stehen vor Furcht ihrer Qual und sprechen: Weh, weh, die große Stadt Babylon, die starke<br />

Stadt! In einer Stun<strong>de</strong> ist <strong>de</strong>in Gericht gekommen.“ Offenbarung 18,5-10.<br />

„Die Kaufleute auf Er<strong>de</strong>n sind reich gewor<strong>de</strong>n von ihrer großen Wollust“ und „wer<strong>de</strong>n<br />

von Ferne stehen vor Furcht ihrer Qual, weinen und klagen und sagen: Weh, weh, die große<br />

Stadt, die beklei<strong>de</strong>t war mit köstlicher Leinwand und Purpur und Scharlach und übergol<strong>de</strong>t<br />

war mit Gold und E<strong>de</strong>lgestein und Perlen! <strong>de</strong>nn in einer Stun<strong>de</strong> ist verwüstet solcher<br />

Reichtum.“ Offenbarung 18,3.15-17. Derart sind die Gerichte, die am Tage <strong>de</strong>r<br />

Heimsuchung durch <strong>de</strong>n Zorn Gottes die Stadt Babylon treffen. Sie hat das Maß ihrer<br />

Ungerechtigkeit gefüllt, ihre Zeit ist gekommen, sie ist reif für die Zerstörung. Wenn die<br />

Stimme Gottes die Gefangenschaft seines Volkes wen<strong>de</strong>t, wird es ein schreckliches<br />

Erwachen für jene sein, die im Kampfe <strong>de</strong>s Lebens alles verloren haben. Während <strong>de</strong>r<br />

Gna<strong>de</strong>nzeit waren sie durch Satans Täuschungen verblen<strong>de</strong>t und rechtfertigten ihren<br />

sündhaften Lebenswan<strong>de</strong>l. Die Reichen brüsteten sich mit ihrer Überlegenheit vor <strong>de</strong>n<br />

weniger Begünstigten, obgleich sie ihre Reichtümer erworben hatten, in<strong>de</strong>m sie das Gesetz<br />

Gottes übertraten.<br />

Sie hatten es unterlassen, die Hungrigen zu speisen, die Nackten zu klei<strong>de</strong>n, gerecht zu<br />

han<strong>de</strong>ln und Barmherzigkeit zu lieben. Sie hatten versucht, sich selbst zu erheben und die<br />

Huldigung ihrer Mitmenschen zu erlangen. Nun sind sie alles <strong>de</strong>ssen, was sie groß machte,<br />

beraubt, sind mittellos und wehrlos. Sie sehen mit Schrecken auf die Vernichtung <strong>de</strong>r<br />

Götzen, die sie ihrem Schöpfer vorzogen. Sie haben ihre Seelen für irdische Reichtümer und<br />

Freu<strong>de</strong>n verkauft und nicht danach getrachtet, reich zu wer<strong>de</strong>n in Gott. Die Folge: ihr Leben<br />

ist ein Fehlschlag; ihre Vergnügungen sind in Bitternis verwan<strong>de</strong>lt, ihre Schätze in Fäulnis.<br />

Der Gewinn eines ganzen Lebens wird in einem einzigen Augenblick hinweggerafft. Sie<br />

bejammern die Zerstörung ihrer Häuser, die Zerteilung ihrer Gold- und Silberschätze. Doch<br />

ihre Klagen verstummen vor Furcht, daß sie selbst mit ihren Götzen umkommen müssen.<br />

Die Gottlosen wer<strong>de</strong>n mit Reue erfüllt, nicht wegen ihrer sündhaften Vernachlässigung<br />

Gottes und ihrer Mitmenschen, son<strong>de</strong>rn weil Gott gesiegt hat. Sie beklagen diese Folgen,<br />

aber bereuen nicht ihre Gottlosigkeit. Falls sie es könnten, wür<strong>de</strong>n sie kein Mittel<br />

unversucht lassen zu siegen. Die Welt sieht gera<strong>de</strong> jene Menschen, die sie verspottet und<br />

457


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

verlachte und die sie ausrotten wollte, ohne Scha<strong>de</strong>n durch Pestilenz, Stürme und Erdbeben<br />

gehen. Der <strong>de</strong>n Übertretern seines Gesetzes als ein verzehren<strong>de</strong>s Feuer erscheint, ist seinem<br />

Volk eine sichere Hütte. Der Prediger, <strong>de</strong>r die Wahrheit preisgab, um Menschengunst zu<br />

gewinnen, erkennt jetzt <strong>de</strong>n Charakter und <strong>de</strong>n Einfluß seiner Lehren. Es wird offenbar, daß<br />

ihm ein allwissen<strong>de</strong>s Auge gefolgt war, als er auf <strong>de</strong>r Kanzel stand, in <strong>de</strong>n Straßen ging o<strong>de</strong>r<br />

unter <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Lebensumstän<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>n Menschen in Berührung kam. Je<strong>de</strong><br />

Erregung <strong>de</strong>r Seele, je<strong>de</strong> geschriebene Zeile, je<strong>de</strong>s gesprochene<br />

Wort, je<strong>de</strong> Tat, die Menschen in falsche Zuversicht wiegte, war ein ausgestreuter Same,<br />

und in <strong>de</strong>n elen<strong>de</strong>n, verlorenen Seelen um sich herum erblickt er nun die Ernte. Der Herr<br />

sagt: Sie „trösten mein Volk in ihrem Unglück, daß sie es gering achten sollen, und sagen:<br />

‚Frie<strong>de</strong>! Frie<strong>de</strong>¡, und ist doch nicht Frie<strong>de</strong>“. „Daß ihr das Herz <strong>de</strong>r Gerechten fälschlich<br />

betrübet, die ich nicht betrübt habe, und habt gestärkt die Hän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gottlosen, daß sie sich<br />

von ihrem bösen Wesen nicht bekehren, damit sie lebendig möchten bleiben.“ Jeremia 8,11;<br />

Hesekiel 13,22. „Weh euch Hirten, die ihr die Her<strong>de</strong> meiner Wei<strong>de</strong> umbringet und<br />

zerstreuet! ... Siehe, ich will euch heimsuchen um eures bösen Wesens willen.“ „Heulet nun,<br />

ihr Hirten, und schreiet, wälzet euch in <strong>de</strong>r Asche, ihr Gewaltigen über die Her<strong>de</strong>: <strong>de</strong>nn die<br />

Zeit ist hier, daß ihr geschlachtet ... wer<strong>de</strong>t ... Und die Hirten wer<strong>de</strong>n nicht fliehen können,<br />

und die Gewaltigen über die Her<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n nicht entrinnen können.“ Jeremia 23,1.2;<br />

Jeremia 25,34.35.<br />

Prediger und Volk sehen, daß sie nicht das richtige Verhältnis zu Gott aufrechterhielten.<br />

Sie erkennen, daß sie sich gegen <strong>de</strong>n Urheber <strong>de</strong>s vollkommen gerechten und<br />

rechtschaffenen Gesetzes empört hatten. Ihre Mißachtung <strong>de</strong>r göttlichen Vorschriften gab<br />

tausen<strong>de</strong> Male Ursache zum Bösen, zu Zwietracht, Haß und Ungerechtigkeit, bis die Er<strong>de</strong><br />

ein weites Feld <strong>de</strong>s Streites, ein Sumpf <strong>de</strong>r Ver<strong>de</strong>rbnis wur<strong>de</strong>. Solch ein Anblick liegt jetzt<br />

vor <strong>de</strong>nen, welche die Wahrheit verwarfen und <strong>de</strong>n Irrtum pflegten. Keine Sprache vermag<br />

die Sehnsucht auszudrücken, die die Ungehorsamen und Treulosen nach <strong>de</strong>m empfin<strong>de</strong>n,<br />

was sie für immer verloren haben; <strong>de</strong>m ewigen Leben. Menschen, die von <strong>de</strong>r Welt wegen<br />

ihrer Gaben und Beredsamkeit verehrt wur<strong>de</strong>n, sehen nun diese Dinge in ihrem wahren<br />

Licht. Sie erkennen, was sie durch Übertretung verwirkt haben, und sie werfen sich <strong>de</strong>nen<br />

zu Füßen, <strong>de</strong>ren Treue sie verachtet und verspottet haben, und bekennen, daß Gott sie<br />

geliebt habe.<br />

Das Volk sieht, daß es hintergangen wor<strong>de</strong>n ist. Einer klagt <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn an, daß er ihn<br />

ins Ver<strong>de</strong>rben geführt habe; alle aber verdammen aufs bitterste die Prediger. Untreue Hirten<br />

haben angenehme Dinge geweissagt, haben ihre Zuhörer dazu verleitet, Gottes Gesetz<br />

beiseitezusetzen und die zu verfolgen, die es heilighalten wollten. In ihrer Verzweiflung<br />

bekennen sie jetzt vor <strong>de</strong>r Welt ihr betrügerisches Werk. Die Menge wird mit Raserei erfüllt.<br />

Wir sind verloren! schreit sie, und ihr seid die Ursache unseres Untergangs. Und sie wen<strong>de</strong>t<br />

sich gegen die falschen Hirten. Gera<strong>de</strong> jene, die sie am meisten bewun<strong>de</strong>rten, wer<strong>de</strong>n die<br />

furchtbarsten Verwünschungen über sie aussprechen. Dieselben Hän<strong>de</strong>, die sie einst mit<br />

458


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Lorbeer krönten, wer<strong>de</strong>n sich erheben, sie zu vernichten. Die Schwerter, die das Volk<br />

Gottes erschlagen sollten, wer<strong>de</strong>n nun <strong>de</strong>ssen Fein<strong>de</strong> umbringen. Überall herrschen Streit<br />

und Blutvergießen.<br />

Sein „Hall“ wird „erschallen ... bis an <strong>de</strong>r Welt En<strong>de</strong>. Der Herr hat zu rechten mit <strong>de</strong>n<br />

Hei<strong>de</strong>n und will mit allem Fleisch Gericht halten; die Gottlosen wird er <strong>de</strong>m Schwert<br />

übergeben“. Jeremia 25,30.31. Sechstausend Jahre hat <strong>de</strong>r große Kampf gedauert. Der Sohn<br />

Gottes und seine himmlischen Boten haben gegen die Macht <strong>de</strong>s Bösen gestritten, um die<br />

Menschenkin<strong>de</strong>r zu warnen, zu erleuchten und zu retten. Nun haben alle ihre Entscheidung<br />

getroffen; die Gottlosen haben sich ganz mit Satan vereint im Kampf gegen Gott. Für Gott<br />

ist die Zeit gekommen, die Autorität seines mit Füßen getretenen Gesetzes zu rechtfertigen.<br />

Der Streit herrscht jetzt nicht allein mit Satan, son<strong>de</strong>rn auch mit Menschen. „Der Herr hat zu<br />

rechten mit <strong>de</strong>n Hei<strong>de</strong>n“, „die Gottlosen wird er <strong>de</strong>m Schwert übergeben“.<br />

Das Zeichen <strong>de</strong>r Befreiung ist <strong>de</strong>nen aufgedrückt wor<strong>de</strong>n, „so da seufzen und jammern<br />

über alle Greuel, so ... geschehen“. Nun geht <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sengel aus, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>m Gesicht<br />

Hesekiels durch die mit mör<strong>de</strong>rischen Waffen versehenen Männer dargestellt wird, die <strong>de</strong>n<br />

Auftrag erhalten: „Erwürget Alte, Jünglinge, Jungfrauen, Kin<strong>de</strong>r und Weiber, alles tot; aber<br />

die das Zeichen an sich haben, <strong>de</strong>rer sollt ihr keinen anrühren. Fanget aber an an meinem<br />

Heiligtum!“ Der Prophet sagt: „Und sie fingen an, an <strong>de</strong>n alten Leuten, so vor <strong>de</strong>m Hause<br />

waren.“ Hesekiel 9,1-6. Das Vernichtungswerk beginnt bei <strong>de</strong>nen, die vorgaben, die<br />

geistlichen Hüter <strong>de</strong>s Volkes zu sein. Die falschen Wächter sind die ersten, die fallen sollen.<br />

Keiner wird bemitlei<strong>de</strong>t, keiner verschont. Männer,Weiber,Jungfrauen und Kindlein<br />

kommen miteinan<strong>de</strong>r um.<br />

„Der Herr wird ausgehen von seinem Ort, heimzusuchen die Bosheit <strong>de</strong>r Einwohner <strong>de</strong>s<br />

Lan<strong>de</strong>s über sie ... die darin erwürgt sind.“ Jesaja 26,21. „Und das wird die Plage sein,<br />

womit <strong>de</strong>r Herr plagen wird alle Völker, so wi<strong>de</strong>r Jerusalem gestritten haben: ihr Fleisch<br />

wird verwesen, dieweil sie noch auf ihren Füßen stehen, und ihre Augen wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n<br />

Löchern verwesen und ihre Zunge im Mund verwesen. Zu <strong>de</strong>r Zeit wird <strong>de</strong>r Herr ein großes<br />

Getümmel unter ihnen anrichten, daß einer wird <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn bei <strong>de</strong>r Hand fassen und seine<br />

Hand wi<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn Hand erheben.“ Sacharja 14,12.13. In <strong>de</strong>m wil<strong>de</strong>n Kampfe ihrer<br />

eigenen grimmigen Lei<strong>de</strong>nschaften und durch das Schrecken verbreiten<strong>de</strong> Ausgießen <strong>de</strong>s<br />

unvermischten Zornes Gottes fallen die gottlosen Bewohner <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>: Priester, Oberste und<br />

das Volk, reich und arm, hoch und niedrig. „Da wer<strong>de</strong>n die Erschlagenen <strong>de</strong>s Herrn zu<br />

<strong>de</strong>rselben Zeit liegen von einem En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> bis ans an<strong>de</strong>re En<strong>de</strong>; die wer<strong>de</strong>n nicht<br />

beklagt noch aufgehoben noch begraben wer<strong>de</strong>n.“ Jeremia 25,33.<br />

Bei <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft Christi wer<strong>de</strong>n die Gottlosen von <strong>de</strong>r ganzen Er<strong>de</strong> vertilgt, verzehrt<br />

von <strong>de</strong>m Geist seines Mun<strong>de</strong>s und vernichtet durch <strong>de</strong>n Glanz seiner Herrlichkeit. Christus<br />

führt sein Volk zu <strong>de</strong>r Stadt Gottes, und die Er<strong>de</strong> wird unbewohnt sein. „Siehe, <strong>de</strong>r Herr<br />

macht das Land leer und wüst und wirft um, was darin ist, und zerstreut seine Einwohner ...<br />

Das Land wird leer und beraubt sein; <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Herr hat solches gere<strong>de</strong>t ...; <strong>de</strong>nn sie<br />

459


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

übertreten das Gesetz und än<strong>de</strong>rn die Gebote und lassen fahren <strong>de</strong>n ewigen Bund. Darum<br />

frißt <strong>de</strong>r Fluch das Land; <strong>de</strong>nn sie verschul<strong>de</strong>n‘s, die darin wohnen. Darum verdorren die<br />

Einwohner <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s.“ Jesaja 24,1.3.5.6.<br />

Die ganze Welt sieht aus wie eine ö<strong>de</strong> Wüste. Ruinen <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>m Erdbeben zerstörten<br />

Städte und Dörfer, entwurzelte Bäume, rauhe, vom Meer ausgestoßene o<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong><br />

herausgeworfene Felsen liegen auf <strong>de</strong>r Oberfläche verstreut, während gähnen<strong>de</strong> Abgrün<strong>de</strong><br />

die Stätten kennzeichnen, wo die Berge aus ihren Grundfesten gerissen wur<strong>de</strong>n. Jetzt fin<strong>de</strong>t<br />

das Ereignis statt, auf das die letzte feierliche Handlung <strong>de</strong>s Versöhnungstages hinwies.<br />

Nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Dienst im Allerheiligsten vollen<strong>de</strong>t und die Sün<strong>de</strong>n Israels kraft <strong>de</strong>s<br />

Opferblutes aus <strong>de</strong>m Heiligtum entfernt wor<strong>de</strong>n waren, wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>nbock lebend vor<br />

<strong>de</strong>n Herrn gebracht, und im Beisein <strong>de</strong>s Volkes bekannte <strong>de</strong>r Hohepriester „auf ihn alle<br />

Missetat <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r Israel und alle ihre Übertretung in allen ihren Sün<strong>de</strong>n“ und legte sie<br />

<strong>de</strong>m leben<strong>de</strong>n Bock auf das Haupt. 3.Mose 16,21. Auf die gleiche Weise wer<strong>de</strong>n, wenn das<br />

Versöhnungswerk im himmlischen Heiligtum vollen<strong>de</strong>t ist, in <strong>de</strong>r Gegenwart Gottes und <strong>de</strong>r<br />

heiligen Engel und <strong>de</strong>r Schar <strong>de</strong>r Erlösten die Sün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Volkes Gottes auf Satan gelegt; er<br />

wird all <strong>de</strong>s Bösen schuldig erklärt wer<strong>de</strong>n, das er veranlaßt hat. Und wie <strong>de</strong>r leben<strong>de</strong> Bock<br />

in eine unbewohnte Gegend gejagt wur<strong>de</strong>, so wird Satan auf die verwüstete Er<strong>de</strong> verbannt<br />

wer<strong>de</strong>n, in eine unbewohnt, ö<strong>de</strong> Wildnis.<br />

Christus sagt Satans Verbannung sowie das <strong>Chaos</strong> und die Verödung, die dann auf <strong>de</strong>r<br />

Er<strong>de</strong> herrschen sollen voraus und erklärt, dieser Zustand wür<strong>de</strong> tausend Jahre lang bestehen.<br />

Nach <strong>de</strong>r Schil<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Ereignisse bei <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft <strong>de</strong>s Herrn und bei <strong>de</strong>m Untergang<br />

<strong>de</strong>r Gottlosen fährt <strong>de</strong>r Schreiber <strong>de</strong>r Offenbarung fort: „Ich sah einen Engel vom Himmel<br />

fahren, <strong>de</strong>r hatte <strong>de</strong>n Schlüssel zum Abgrund und eine große Kette in seiner Hand. Und er<br />

griff <strong>de</strong>n Drachen, die alte Schlange, welche ist <strong>de</strong>r Teufel und Satan, und band ihn tausend<br />

Jahre und warf ihn in <strong>de</strong>n Abgrund und verschloß ihn und versiegelte obendarauf, daß er<br />

nicht mehr verführen sollte die Hei<strong>de</strong>n, bis daß vollen<strong>de</strong>t wür<strong>de</strong>n tausend Jahre; und<br />

darnach muß er los wer<strong>de</strong>n eine kleine Zeit.“ Offenbarung 20,1-3.<br />

Daß <strong>de</strong>r Ausdruck „Abgrund“ die Er<strong>de</strong> in einem Zustand <strong>de</strong>r Verwirrung und <strong>de</strong>r<br />

Finsternis bezeichnet, erhellt aus an<strong>de</strong>rn Schriftstellen. Über <strong>de</strong>n Zustand <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> „am<br />

Anfang“ sagt <strong>de</strong>r biblische Bericht: „Die Er<strong>de</strong> war wüst und leer, und es war finster auf <strong>de</strong>r<br />

Tiefe.“ 1.Mose 1,2. Die Weissagung lehrt uns, daß die Er<strong>de</strong> wenigstens teilweise in diesen<br />

Zustand zurückversetzt wer<strong>de</strong>n wird. Im Hinblick auf <strong>de</strong>n großen Tag Gottes erklärt <strong>de</strong>r<br />

Prophet Jeremia: „Ich schaute das Land (Grundtext: die Er<strong>de</strong>) an, siehe, das war wüst und<br />

ö<strong>de</strong>, und <strong>de</strong>n Himmel, und er war finster. Ich sah die Berge an, und siehe, die bebten, und<br />

alle Hügel zitterten. Ich sah, und siehe, da war kein Mensch, und alle Vögel unter <strong>de</strong>m<br />

Himmel waren weggeflogen. Ich sah, und siehe, das Gefil<strong>de</strong> war eine Wüste; und alle Städte<br />

darin waren zerbrochen.“ Jeremia 4,23-26.<br />

Diese Einö<strong>de</strong> soll tausend Jahre lang die Heimat Satans mit seinen bösen Engeln sein.<br />

Auf die Er<strong>de</strong> beschränkt, wird er keinen Zugang zu an<strong>de</strong>rn Welten haben, um die zu<br />

460


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

versuchen und zu belästigen, die nie gefallen sind. In diesem Sinne ist er gebun<strong>de</strong>n;<br />

niemand ist zurückgeblieben, an <strong>de</strong>m er seine Macht auslassen könnte. Er ist gänzlich von<br />

seinem betrügerischen und ver<strong>de</strong>rbenbringen<strong>de</strong>n Werk abgeschnitten, das so viele<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rte lang seine einzige Freu<strong>de</strong> gewesen ist. Der Prophet Jesaja ruft im Hinblick auf<br />

die Zeit <strong>de</strong>s Sturzes Satans aus: „Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner<br />

Morgenstern! Wie bist du zur Er<strong>de</strong> gefällt, <strong>de</strong>r du die Hei<strong>de</strong>n schwächtest! Gedachtest du<br />

doch in <strong>de</strong>inem Herzen: ‚Ich will in <strong>de</strong>n Himmel steigen und meinen Stuhl über die Sterne<br />

Gottes erhöhen; ich will ... gleich sein <strong>de</strong>m Allerhöchsten.‘ Ja, zur Hölle fährst du, zur<br />

tiefsten Grube. Wer dich sieht, wird dich schauen und betrachten [und sagen]: ‚Ist das <strong>de</strong>r<br />

Mann, <strong>de</strong>r die Welt zittern und die Königreiche beben machte? <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Erdbo<strong>de</strong>n zur Wüste<br />

machte und die Städte darin zerbrach und gab seine Gefangenen nicht los¿“ Jesaja 14,12-17.<br />

Sechstausend Jahre lang ließ Satans empörerische Handlungsweise „die Welt zittern“.<br />

Er ist es, „<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Erdbo<strong>de</strong>n zur Wüste machte und die Städte darin zerbrach“. Und er „gab<br />

seine Gefangenen nicht los“. Sechstausend Jahre hat sein Gefängnis das Volk Gottes<br />

aufgenommen, und er hätte es auf ewig gefangengehalten, doch Christus hat die Fesseln<br />

gesprengt und <strong>de</strong>n Gefangenen zur Freiheit verholfen. Selbst die Gottlosen befin<strong>de</strong>n sich<br />

jetzt außerhalb <strong>de</strong>r Macht Satans; und er kann allein mit seinen bösen Engeln die Wirkung<br />

<strong>de</strong>s Fluches wahrnehmen, <strong>de</strong>n die Sün<strong>de</strong> über die Er<strong>de</strong> brachte. „Alle Könige <strong>de</strong>r Hei<strong>de</strong>n<br />

miteinan<strong>de</strong>r liegen doch mit Ehren, ein jeglicher in seinem Hause [im Grabe]; du aber bist<br />

verworfen fern von <strong>de</strong>inem Grabe wie ein verachteter Zweig, be<strong>de</strong>ckt von Erschlagenen, die<br />

mit <strong>de</strong>m Schwert erstochen sind, die hinunterfahren zu <strong>de</strong>n Steinen <strong>de</strong>r Grube ... Du wirst<br />

nicht wie jene begraben wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn du hast <strong>de</strong>in Land ver<strong>de</strong>rbt und <strong>de</strong>in Volk<br />

erschlagen.“ Jesaja 14,18-20.<br />

Tausend Jahre lang wird Satan auf <strong>de</strong>r verwüsteten Er<strong>de</strong> umherwan<strong>de</strong>rn, um die Folgen<br />

seiner Empörung gegen Gottes Gesetz zu betrachten. Während dieser Zeit sind seine Qualen<br />

unermeßlich groß. Seit seinem Fall hat seine rastlose Tätigkeit das Nach<strong>de</strong>nken verbannt;<br />

aber nun, seiner Macht entblößt, bleibt ihm nur noch übrig, über seine Rolle nachzu<strong>de</strong>nken,<br />

die er gespielt hat, seit er sich zuerst gegen die Herrschaft <strong>de</strong>s Himmels empörte. Mit Zittern<br />

und Schrecken sieht er <strong>de</strong>r furchtbaren Zukunft entgegen, da er für sein abgrundböses Tun<br />

lei<strong>de</strong>n und für die Sün<strong>de</strong>n, die er verursacht, bestraft wer<strong>de</strong>n muß.<br />

Dem Volke Gottes wird das Gebun<strong>de</strong>nsein Satans Freu<strong>de</strong> und Frohlocken bringen. Der<br />

Prophet sagt: „Zu <strong>de</strong>r Zeit, wenn dir <strong>de</strong>r Herr Ruhe geben wird von <strong>de</strong>inem Jammer und<br />

Leid und von <strong>de</strong>m harten Dienst, darin du gewesen bist, so wirst du ein solch Lied anheben<br />

wi<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n König zu Babel [<strong>de</strong>r hier <strong>de</strong>n Satan vorstellt] und sagen: Wie ist‘s mit <strong>de</strong>m<br />

Dränger so gar aus ... <strong>de</strong>r Herr hat die Rute <strong>de</strong>r Gottlosen zerbrochen, die Rute <strong>de</strong>r<br />

Herrscher, welche die Völker schlug im Grimm ohne Aufhören und mit Wüten herrschte<br />

über die Hei<strong>de</strong>n und verfolgte ohne Barmherzigkeit.“ Jesaja 14,3-6.<br />

Während <strong>de</strong>r tausend Jahre zwischen <strong>de</strong>r ersten und <strong>de</strong>r zweiten Auferstehung fin<strong>de</strong>t<br />

das Gericht über die Gottlosen statt. Der Apostel Paulus bezeichnet dieses Gericht als ein<br />

461


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Ereignis, das <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rkunft Christi folgt: „Darum richtet nicht vor <strong>de</strong>r Zeit, bis <strong>de</strong>r Herr<br />

komme, welcher auch wird ans Licht bringen, was im Finstern verborgen ist, und <strong>de</strong>n Rat<br />

<strong>de</strong>r Herzen offenbaren.“ 1.Korinther 4,5. Daniel erklärt, daß, als <strong>de</strong>r Alte kam, „das Gericht<br />

gegeben wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Heiligen <strong>de</strong>s Höchsten“. Daniel 7,22 (Lange und Grundtext). Um diese<br />

Zeit herrschen die Gerechten als Könige und Priester Gottes. Johannes erklärt in <strong>de</strong>r<br />

Offenbarung: „Und ich sah Stühle, und sie setzten sich darauf, und ihnen ward gegeben das<br />

Gericht ... Sie wer<strong>de</strong>n Priester Gottes und Christi sein und mit ihm regieren tausend<br />

Jahre.“ Offenbarung 20,4.6. Zu dieser Zeit wer<strong>de</strong>n, wie Paulus vorausgesagt hat, „die<br />

Heiligen die Welt richten“. 1.Korinther 6,2.<br />

Mit Christus richten die Gerechten die Gottlosen, in<strong>de</strong>m sie <strong>de</strong>ren Taten mit <strong>de</strong>m<br />

Gesetzbuch, <strong>de</strong>r Bibel, vergleichen und je<strong>de</strong>n Fall nach <strong>de</strong>n zu Lebzeiten geschehenen<br />

Werken entschei<strong>de</strong>n. Dann wird ihnen die Strafe, die sie erlei<strong>de</strong>n müssen, nach ihren<br />

Werken zugemessen und ihrem Namen gegenüber in das Buch <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s eingetragen. Auch<br />

Satan und die bösen Engel wer<strong>de</strong>n von Christus und seinem Volk gerichtet. Paulus sagt:<br />

„Wisset ihr nicht, daß wir über die Engel richten wer<strong>de</strong>n?“ 1.Korinther 6,3. Und Judas<br />

erklärt: „Die Engel, die ihr Fürstentum nicht bewahrten, son<strong>de</strong>rn verließen ihre Behausung,<br />

hat er behalten zum Gericht <strong>de</strong>s großen Tages mit ewigen Ban<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Finsternis.“ Judas 6.<br />

Am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r tausend Jahre wird die zweite Auferstehung stattfin<strong>de</strong>n. Dann wer<strong>de</strong>n die<br />

Gottlosen vom To<strong>de</strong> auferweckt wer<strong>de</strong>n und vor Gott zur Vollstreckung <strong>de</strong>s geschriebenen<br />

Urteils erscheinen. So heißt es in <strong>de</strong>r Offenbarung, nach<strong>de</strong>m die Auferstehung <strong>de</strong>r<br />

Gerechten beschrieben wur<strong>de</strong>, weiter: „Die an<strong>de</strong>rn Toten aber wur<strong>de</strong>n nicht wie<strong>de</strong>r lebendig,<br />

bis daß tausend Jahre vollen<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>n.“ Offenbarung 20,5. Und Jesaja erklärt hinsichtlich<br />

<strong>de</strong>r Gottlosen, „daß sie versammelt wer<strong>de</strong>n als Gefangene in die Grube und verschlossen<br />

wer<strong>de</strong>n im Kerker und nach langer Zeit wie<strong>de</strong>r heimgesucht wer<strong>de</strong>n“. Jesaja 24,22.<br />

462


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Kapitel 42- Des Kampfes En<strong>de</strong><br />

Am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r tausend Jahre kommt Christus wie<strong>de</strong>rum auf die Er<strong>de</strong>. Die Schar <strong>de</strong>r<br />

Erlösten und ein Gefolge von Engeln begleiten ihn. Während er in schreckenerregen<strong>de</strong>r<br />

Majestät hernie<strong>de</strong>rsteigt, befiehlt er <strong>de</strong>n gottlosen Toten, aufzustehen, um ihr Urteil zu<br />

empfangen. Sie kommen hervor, eine mächtige Schar, zahllos wie <strong>de</strong>r Sand am Meer.<br />

Welch ein Gegensatz zu <strong>de</strong>nen, die bei <strong>de</strong>r ersten Auferstehung erweckt wur<strong>de</strong>n! Die<br />

Gerechten waren mit unsterblicher Jugend und Schönheit beklei<strong>de</strong>t; die Gottlosen aber<br />

tragen die Spuren <strong>de</strong>r Krankheit und <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s.<br />

Je<strong>de</strong>s Auge in dieser ungeheuer großen Menge erblickt die Herrlichkeit <strong>de</strong>s Sohnes<br />

Gottes, und einstimmig rufen diese gottlosen Scharen aus: „Gesegnet ist, <strong>de</strong>r da kommt im<br />

Namen <strong>de</strong>s Herrn!“ Es ist nicht die Liebe zu Jesus, die sie diese Worte ausrufen läßt; die<br />

Kraft <strong>de</strong>r Wahrheit nötigt die Worte ihren unwilligen Lippen ab. Wie die Gottlosen in ihre<br />

Gräber gingen, so kommen sie heraus, mit <strong>de</strong>rselben Feindseligkeit gegen Christus, mit<br />

<strong>de</strong>mselben Geist <strong>de</strong>r Empörung. Ihnen wird keine neue Gna<strong>de</strong>nzeit zuteil, in <strong>de</strong>r sie die<br />

Fehler ihres vergangenen Lebens wie<strong>de</strong>rgutmachen können. Dadurch wür<strong>de</strong> nichts<br />

gewonnen wer<strong>de</strong>n. Ein Leben voll Übertretung hat ihre Herzen nicht gelöst, und sie<br />

brächten eine zweite Gna<strong>de</strong>nzeit, falls sie ihnen gewährt wür<strong>de</strong>, wie die erste zu, in<strong>de</strong>m sie<br />

Gottes Gebote mißachteten und zur Empörung gegen ihn anstifteten.<br />

Christus kommt auf <strong>de</strong>n Ölberg hernie<strong>de</strong>r, von wo er nach seiner Auferstehung gen<br />

Himmel fuhr, und wo die Engel die Verheißung seiner Rückkehr wie<strong>de</strong>rholten. Der Prophet<br />

sagt: „Da wird dann kommen <strong>de</strong>r Herr, mein Gott, und alle Heiligen mit dir.“ „Und seine<br />

Füße wer<strong>de</strong>n stehen zu <strong>de</strong>r Zeit auf <strong>de</strong>m Ölberge, <strong>de</strong>r vor Jerusalem liegt gegen Morgen.<br />

Und <strong>de</strong>r Ölberg wird sich mitten entzwei spalten ... sehr weit voneinan<strong>de</strong>r ... Und <strong>de</strong>r Herr<br />

wird König sein über alle Lan<strong>de</strong>. Zu <strong>de</strong>r Zeit wird <strong>de</strong>r Herr nur einer sein und sein Name<br />

nur einer.“ Sacharja 14,5.4.9. Wenn das neue Jerusalem in seinem verwirren<strong>de</strong>n Glanz vom<br />

Himmel hernie<strong>de</strong>rkommt, liegt es auf <strong>de</strong>m dafür gereinigten und zum Empfang<br />

vorbereiteten Platz, und Christus zieht mit seinem Volk und <strong>de</strong>n Engeln in die heilige Stadt<br />

ein.<br />

Nun bereitet sich Satan auf <strong>de</strong>n letzten mächtigen Kampf um die Oberherrschaft vor.<br />

Seiner Macht beraubt und von seinem Werk <strong>de</strong>r Täuschung abgeschnitten, war <strong>de</strong>r Fürst <strong>de</strong>s<br />

Bösen elend und nie<strong>de</strong>rgeschlagen; sind jedoch die gottlosen Toten auferweckt und sieht er<br />

die ungeheuer große Schar auf seiner Seite, kehrt seine Hoffnung zurück, und er ist<br />

entschlossen, <strong>de</strong>n großen Kampf nicht aufzugeben. Er will alle Heere <strong>de</strong>r Verlorenen unter<br />

sein Banner rufen und mit ihrer Hilfe versuchen, seine Pläne auszuführen. Die Gottlosen<br />

sind Satans Gefangene. Durch die Verwerfung Christi haben sie die Herrschaft <strong>de</strong>s<br />

rebellischen Anführers angenommen. Sie sind bereit, seinen Vorschlägen zu folgen und<br />

seine Befehle auszuführen. Seiner früheren Arglist getreu, gibt er sich jedoch nicht für Satan<br />

aus.<br />

463


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Er behauptet, <strong>de</strong>r Fürst, <strong>de</strong>r rechtmäßige Eigentümer <strong>de</strong>r Welt zu sein, <strong>de</strong>m das Erbe auf<br />

unrechtmäßige Weise entrissen wur<strong>de</strong>. Er stellt sich seinen betörten Untertanen als Erlöser<br />

vor und versichert ihnen, seine Macht habe sie aus ihren Gräbern hervorgebracht und er sei<br />

jetzt im Begriff, sie von <strong>de</strong>r grausamsten Gewaltherrschaft zu befreien. Da Christus sich<br />

entfernt hat, wirkt Satan Wun<strong>de</strong>r, um seine Ansprüche zu unterstützen. Er macht die<br />

Schwachen stark und beseelt alle mit seinem Geist und seiner Tatkraft. Er schlägt vor, sie<br />

gegen das Lager <strong>de</strong>r Heiligen zu führen und die Stadt Gottes einzunehmen. In teuflischem<br />

Frohlocken zeigt er auf die unzähligen Millionen Menschen, die von <strong>de</strong>n toten auferweckt<br />

wur<strong>de</strong>n, und erklärt, daß er als ihr Führer wohl imstan<strong>de</strong> sei, die Stadt zu erobern und seinen<br />

Thron und sein Reich wie<strong>de</strong>rzugewinnen.<br />

Unter jener großen Menge befin<strong>de</strong>n sich viele vom <strong>de</strong>m langlebigen Geschlecht aus <strong>de</strong>n<br />

Tagen vor <strong>de</strong>r Sintflut; Menschen von stattlichem Körperbau und riesenhaftem Verstand,<br />

die, sich <strong>de</strong>r Herr schaft gefallener Engel überlassend, alle ihre Geschicklichkeit und<br />

Kenntnisse <strong>de</strong>r Selbsterhebung widmeten; Männer, <strong>de</strong>ren wun<strong>de</strong>rbare Kunstwerke die Welt<br />

verleitete, ihre Gaben zu vergöttern, <strong>de</strong>ren Grausamkeit und teuflische Erfindungen jedoch,<br />

da sie die Er<strong>de</strong> befleckten und das Bild Gottes entstellten, <strong>de</strong>n Herrn veranlaßten, sie auf<br />

ewig aus seiner Schöpfung zu vertilgen. Darunter sind Könige und Feldherrn, die Völker<br />

besiegten, tapfere Männer, die nie eine Schlacht verloren haben, stolze, ehrgeizige Krieger,<br />

<strong>de</strong>ren Heranrücken Königreiche erzittern ließ. Der Tod hat sie nicht geän<strong>de</strong>rt. Dem Grabe<br />

entstiegen, nehmen sie ihren Gedankengang da wie<strong>de</strong>r auf, wo er einst abbrach. Die Gier<br />

nach Eroberung beherrscht sie genauso wie damals, als sie fielen.<br />

Satan berät sich mit seinen Engeln und dann mit diesen Königen, Eroberern und<br />

mächtigen Männern. Sie betrachten die zahlenmäßige Stärke ihrer Seite und erklären, daß<br />

das Heer innerhalb <strong>de</strong>r Stadt, verglichen mit <strong>de</strong>m ihren, klein sei und daß es überwun<strong>de</strong>n<br />

wer<strong>de</strong>n könne. Sie arbeiten Pläne aus, um die Reichtümer und Herrlichkeiten <strong>de</strong>s neuen<br />

Jerusalem zu gewinnen. Sofort beginnen alle, sich auf <strong>de</strong>n Kampf vorzubereiten. Geschickte<br />

Handwerker stellen Kriegsgeräte her. Militärische Führer, einst berühmt wegen ihres<br />

Erfolges, ordnen die Scharen kriegstüchtiger Männer in Bataillone und Regimenter.<br />

Schließlich wird <strong>de</strong>r Befehl zum Vorrücken gegeben, und die gewaltige Schar bewegt sich<br />

vorwärts, ein Heer, wie nie eins von irdischen Eroberern befehligt wur<strong>de</strong>,<strong>de</strong>m die<br />

vereinigten Kräfte aller Zeitalter, seit<strong>de</strong>m Krieg auf Er<strong>de</strong>n begann, niemals gleichkommen<br />

könnten. Satan, <strong>de</strong>r mächtigste <strong>de</strong>r Krieger, führt die Vorhut, und seine Engel sammeln ihre<br />

Heere zu diesem letzten Kampf. Könige und Krieger umgeben Satan, und die Masse seiner<br />

Anhänger folgt in großen Abteilungen, je<strong>de</strong> unter ihrem bestimmten Anführer. Mit<br />

militärischer Präzision rücken die dichtgedrängten Reihen über <strong>de</strong>n zerborstenen und<br />

unebenen Erdbo<strong>de</strong>n gegen die Stadt Gottes vor. Auf Jesu Befehl wer<strong>de</strong>n die Tore <strong>de</strong>s neuen<br />

Jerusalems geschlossen. Die Heere Satans umgeben die Stadt und bereiten sich auf <strong>de</strong>n<br />

Angriff vor.<br />

464


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Nun erscheint Christus wie<strong>de</strong>rum angesichts <strong>de</strong>r Fein<strong>de</strong>. Hoch über <strong>de</strong>r Stadt auf einem<br />

Fundament aus schimmern<strong>de</strong>m Gold ist ein hehrer und erhabener Thron zu sehen. Auf<br />

diesem Thron sitzt <strong>de</strong>r Sohn Gottes, umgeben von <strong>de</strong>n Untertanen seines Reiches. Die<br />

Macht und Erhabenheit Christi vermag keine Sprache zu schil<strong>de</strong>rn, keine Fe<strong>de</strong>r zu<br />

beschreiben. Die Herrlichkeit <strong>de</strong>s ewigen Vaters umhüllt seinen Sohn. Der Glanz seiner<br />

Gegenwart erfüllt die Stadt Gottes, scheint bis außerhalb <strong>de</strong>r Tore und überflutet die ganze<br />

Er<strong>de</strong> mit ihrer Strahlenpracht.<br />

Nächst <strong>de</strong>m Throne stehen die, welche einst eifrig die Sache Satans geför<strong>de</strong>rt haben, die<br />

aber, wie Brän<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>m Feuer errettet, ihrem Heiland mit tiefer, inniger Hingabe gefolgt<br />

sind. Nächst diesen befin<strong>de</strong>n sich jene, die inmitten von Betrug und Unglauben einen<br />

vollkommenen christlichen Charakter entwickelt haben, die das Gesetz Gottes ehrten, als<br />

die christliche Welt es für null und nichtig erklärte, und die Millionen aller Zeitalter, die um<br />

ihres Glaubens willen litten. Außer<strong>de</strong>m ist hier die „große Schar, welche niemand zählen<br />

konnte, aus allen Hei<strong>de</strong>n und Völkern und Sprachen, vor <strong>de</strong>m Stuhl stehend und vor <strong>de</strong>m<br />

Lamm, angetan mit weißen Klei<strong>de</strong>rn und Palmen in ihren Hän<strong>de</strong>n“. Offenbarung 7,9. Ihr<br />

Kampf ist zu En<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r Sieg erlangt. Sie sind nach <strong>de</strong>m Kleinod gelaufen und haben es<br />

gewonnen. Der Palmzweig in ihrer Hand ist das Sinnbild ihres Sieges, das weiße Kleid ein<br />

Zeichen <strong>de</strong>r fleckenlosen Gerechtigkeit Christi, die nun ihnen gehört.<br />

Die Erlösten stimmen einen Lobgesang an, <strong>de</strong>r durch die Gewölbe <strong>de</strong>s Himmels ertönt<br />

und wi<strong>de</strong>rhallte: „Heil sei <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m Stuhl sitzt, unserm Gott, und <strong>de</strong>m Lamm!“ Und<br />

Engel und Seraphim vereinen ihre Stimmen in Anbetung. Nach<strong>de</strong>m die Erlösten die Macht<br />

und Bosheit Satans erblickt haben, erkennen sie wie nie zuvor, daß keine an<strong>de</strong>re Macht als<br />

die <strong>de</strong>s Sohnes Gottes sie zum Siege führen konnte. In <strong>de</strong>r ganzen glänzen<strong>de</strong>n Schar fin<strong>de</strong>t<br />

sich niemand, <strong>de</strong>r sich die Errettung selbst zuschreibt, als hätte er durch seine eigene Kraft<br />

und Tüchtigkeit überwun<strong>de</strong>n. Nichts sagen sie von <strong>de</strong>m, was sie getan o<strong>de</strong>r gelitten haben;<br />

aber <strong>de</strong>r Hauptinhalt je<strong>de</strong>s Gesanges, <strong>de</strong>r Grundton je<strong>de</strong>s Chores lautet: Heil unserm Gott<br />

und <strong>de</strong>m Lamm!<br />

In Gegenwart <strong>de</strong>r versammelten Bewohner <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> und <strong>de</strong>s Himmels fin<strong>de</strong>t die<br />

endgültige Krönung <strong>de</strong>s Sohnes Gottes statt. Mit höchster Majestät und Macht angetan,<br />

spricht dann <strong>de</strong>r König <strong>de</strong>r Könige das Urteil über die Empörer gegen seine Regierung und<br />

übt Gerechtigkeit an <strong>de</strong>nen, die sein Gesetz übertreten und sein Volk unterdrückt haben. Der<br />

Prophet Gottes sagt: „Und ich sah einen großen, weißen Stuhl und <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r darauf saß; vor<br />

<strong>de</strong>s Angesicht floh die Er<strong>de</strong> und <strong>de</strong>r Himmel, und ihnen ward keine Stätte gefun<strong>de</strong>n. Und<br />

ich sah die Toten, bei<strong>de</strong>, groß und klein, stehen vor Gott, und Bücher wur<strong>de</strong>n aufgetan. Und<br />

ein an<strong>de</strong>res Buch ward aufgetan, welches ist das Buch <strong>de</strong>s Lebens. Und die Toten wur<strong>de</strong>n<br />

gerichtet nach <strong>de</strong>r Schrift in <strong>de</strong>n Büchern, nach ihren Werken.“ Offenbarung 20,11.12.<br />

Sobald die Bücher geöffnet wer<strong>de</strong>n und Jesu Auge auf die Gottlosen schaut, sind sie<br />

sich je<strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> bewußt, die sie jemals begangen haben. Sie sehen dann, wo ihr Fuß vom<br />

Pfa<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Reinheit und Heiligkeit abwich, wie weit Stolz und Empörung sie zur Übertretung<br />

465


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

<strong>de</strong>s Gesetzes Gottes geführt haben. Die verführerischen Anfechtungen, die sie nährten,<br />

in<strong>de</strong>m sie <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> nachgaben, die mißbrauchten Segnungen, die Verachtung <strong>de</strong>r Boten<br />

Gottes, die verworfenen Warnungen, die Wogen <strong>de</strong>r Barmherzigkeit, die an ihren<br />

hartnäckigen, unbußfertigen Herzen wirkungslos abprallten; alles steht vor ihnen wie mit<br />

feurigen Buchstaben geschrieben.<br />

Über <strong>de</strong>m Thron wird das Kreuz sichtbar; und wie in einem Panorama erschienen die<br />

Szenen <strong>de</strong>r Versuchung und <strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong>nfalles Adams sowie die aufeinan<strong>de</strong>rfolgen<strong>de</strong>n<br />

Schritte in <strong>de</strong>m großen Erlösungsplan. Des Heilan<strong>de</strong>s Geburt in Niedrigkeit, die Einfachheit<br />

und <strong>de</strong>r Gehorsam seiner Jugend; seine Taufe im Jordan; das Fasten und die Versuchung in<br />

<strong>de</strong>r Wüste; sein öffentliches Lehramt, das <strong>de</strong>n Menschen die köstlichen Segnungen <strong>de</strong>s<br />

Himmels entfaltete; die mit Taten <strong>de</strong>r Liebe und Barmherzigkeit gekrönten Tage und die<br />

Nächte <strong>de</strong>s Gebets und <strong>de</strong>s Wachens in <strong>de</strong>r Einsamkeit <strong>de</strong>r Berge; die Anschläge <strong>de</strong>s Nei<strong>de</strong>s,<br />

<strong>de</strong>s Hasses und <strong>de</strong>r Bosheit, die seine Wohltaten vergalten; das furchtbare, geheimnisvolle<br />

seelische Ringen in Gethsemane unter <strong>de</strong>r erdrücken<strong>de</strong>n Last <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r ganzen Welt;<br />

sein Verraten-wer<strong>de</strong>n in die Hän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s mör<strong>de</strong>rischen Haufens; die entsetzlichen Ereignisse<br />

jener Schreckensnacht, <strong>de</strong>r wi<strong>de</strong>rstandslose Gefangene, verlassen von seinen geliebtesten<br />

Jüngern, gewaltsam durch die Straßen Jerusalems geschleppt; <strong>de</strong>r Sohn Gottes, von<br />

frohlocken<strong>de</strong>n Menschen vor Hannas geführt, im Palaste <strong>de</strong>s Hohenpriesters vor Gericht<br />

gestellt, im Richthause <strong>de</strong>s Pilatus und vor <strong>de</strong>m feigen und grausamen Hero<strong>de</strong>s verhöhnt,<br />

geschmäht, gegeißelt, und schließlich zum To<strong>de</strong> verurteilt — alles ist lebendig dargestellt.<br />

Und dann wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r zittern<strong>de</strong>n Menge die letzten Ereignisse offenbart: <strong>de</strong>r stille<br />

Dul<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m Weg nach Golgatha, <strong>de</strong>r Fürst <strong>de</strong>s Himmels am Kreuz, die hochmütigen<br />

Priester und <strong>de</strong>r höhnen<strong>de</strong> Pöbel, die seinen To<strong>de</strong>skampf verspotteten, die übernatürliche<br />

Finsternis, das Beben <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>, die zerborstenen Felsen, die offenen Gräber, die <strong>de</strong>n<br />

Augenblick bezeichneten, da <strong>de</strong>r Erlöser <strong>de</strong>r Welt starb. Das schreckliche Schauspiel<br />

erscheint vor ihren Augen, wie es einst geschah. Satan, seine Engel und seine Untertanen<br />

haben keine Macht, sich von <strong>de</strong>r Darstellung ihres eigenen Wirkens abzuwen<strong>de</strong>n. Je<strong>de</strong>r<br />

Beteiligte erinnert sich <strong>de</strong>ssen, was er ausgeführt hat. Hero<strong>de</strong>s, <strong>de</strong>r die unschuldigen Kin<strong>de</strong>r<br />

Bethlehems ermor<strong>de</strong>n ließ, um dabei <strong>de</strong>n König Israels zu vernichten; die gemeine Herodias,<br />

<strong>de</strong>ren schuldige Seele durch das Blut Johannes <strong>de</strong>s Täufers verunreinigt ist; <strong>de</strong>r schwache<br />

Mietling Pilatus; die spotten<strong>de</strong>n Soldaten; die Priester und Obersten und die rasen<strong>de</strong> Menge,<br />

die schrie: „Sein Blut komme über uns und über unsere Kin<strong>de</strong>r!“ (Matthäus 27,25) — alle<br />

erkennen die Ungeheuerlichkeit ihrer Schuld. Vergebens suchen sie sich vor <strong>de</strong>r göttlichen<br />

Majestät seines Angesichtes, <strong>de</strong>ssen Leuchten <strong>de</strong>n Glanz <strong>de</strong>r Sonne überstrahlt, zu<br />

verbergen, während die Erlösten ihre Kronen <strong>de</strong>m Heiland zu Füßen werfen und dabei<br />

ausrufen: „Er starb für mich!“<br />

Unter <strong>de</strong>r erlösten Schar befin<strong>de</strong>n sich die Apostel Christi, <strong>de</strong>r hel<strong>de</strong>nmütige Paulus, <strong>de</strong>r<br />

hitzige Petrus, <strong>de</strong>r geliebte und lieben<strong>de</strong> Johannes und ihre treugesinnten Brü<strong>de</strong>r, und mit<br />

ihnen die große Schar <strong>de</strong>r Märtyrer, während außerhalb <strong>de</strong>r Mauern mit allem Gemeinen<br />

466


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

und abscheulichen jene stehen, von <strong>de</strong>nen sie verfolgt, eingekerkert und erschlagen wur<strong>de</strong>n.<br />

Dazu gehört Nero, das Ungeheuer an Grausamkeit und Lasterhaftigkeit; er sieht die Freu<strong>de</strong><br />

und Erhöhung <strong>de</strong>rer, die er einst marterte und an <strong>de</strong>ren höchster Angst er satanisches<br />

Ergötzen fand. Seine Mutter ist dort, um die Folgen ihrer Machenschaften zu erkennen, um<br />

zu sehen, wie die üblen Charakterzüge, die sie auf ihren Sohn übertrug, und die durch ihren<br />

Einfluß und ihr Beispiel gestärkten und entwickelten Lei<strong>de</strong>nschaften Früchte getragen haben<br />

in Verbrechen, die die Welt schau<strong>de</strong>rn machten.<br />

Es befin<strong>de</strong>n sich dort päpstliche Priester und Prälaten, die behaupteten, Gesandte Christi<br />

zu sein, und <strong>de</strong>nnoch Folter, Kerker und Scheiterhaufen anwandten, um die Gewissen <strong>de</strong>r<br />

Gotteskin<strong>de</strong>r zu beherrschen. Zu spät erkennen sie, daß <strong>de</strong>r Allwissen<strong>de</strong> für sein Gesetz<br />

eifert und niemand ungestraft läßt. Sie erfahren nun, daß Christus das Wohl seines Volkes<br />

seinem eigenen Wohl gleichstellt, und sie fühlen die tiefe Be<strong>de</strong>utung seiner<br />

beziehungsvollen Worte: „Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten<br />

Brü<strong>de</strong>rn, das habt ihr mir getan.“ Matthäus 25,40.<br />

Die ganze gottlose Welt steht vor <strong>de</strong>n Schranken Gottes unter <strong>de</strong>r Anklage <strong>de</strong>s<br />

Hochverrats gegen die Regierung <strong>de</strong>s Himmels. Niemand verteidigt ihre Sache; nichts kann<br />

sie entschuldigen, und das Urteil eines ewigen To<strong>de</strong>s wird über sie ausgesprochen. Es wird<br />

nun allen <strong>de</strong>utlich, daß nicht edle Unabhängigkeit und ewiges Leben <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> Sold ist,<br />

son<strong>de</strong>rn Sklaverei, Untergang und Tod. Die Gottlosen erkennen, was sie durch ihr<br />

empörerisches Leben verwirkt haben. Den alles bei weitem übersteigen<strong>de</strong>n ewigen Wert <strong>de</strong>r<br />

Herrlichkeit hatten sie verachtet, als diese ihnen angeboten wur<strong>de</strong>; doch wie begehrenswert<br />

erscheint sie ihnen jetzt! „Dies alles“, schreit die verlorene Seele, „hätte ich haben können;<br />

aber ich zog es vor, diese Dinge von mir zu stoßen. O seltsame Verblendung! Ich habe<br />

Frie<strong>de</strong>n, Glückseligkeit und Ehre für Elend, Schmach und Verzweiflung eingetauscht!“ Alle<br />

sehen, daß ihr Ausschluß aus <strong>de</strong>m Himmel ein gerechtes Urteil ist; <strong>de</strong>nn durch ihre<br />

Lebensführung haben sie erklärt: „Wir wollen nicht, daß dieser Jesus über uns herrsche!“<br />

Wie im Traum erlebten die Gottlosen die Krönung <strong>de</strong>s Sohnes Gottes. Sie sehen in<br />

seinen Hän<strong>de</strong>n die Tafeln <strong>de</strong>s göttlichen Gesetzes, jene Verordnungen, die sie verachtet und<br />

übertreten haben. Sie sind Zeugen <strong>de</strong>s Erstaunens, <strong>de</strong>s Entzückens und <strong>de</strong>r Anbetung <strong>de</strong>r<br />

Heiligen, und in<strong>de</strong>m ihre Rufe bis zu <strong>de</strong>r Menge außerhalb <strong>de</strong>r Stadt dringen, erklären alle<br />

einstimmig: „Groß und wun<strong>de</strong>rbar sind <strong>de</strong>ine Werke, Herr, Gott, Allmächtiger! gerecht und<br />

wahrhaftig <strong>de</strong>ine Wege, o König <strong>de</strong>r Nationen! Wer sollte nicht [dich], Herr, fürchten und<br />

<strong>de</strong>inen Namen verherrlichen?“ Offenbarung 15,3.4 (EB). Sich vor ihm nie<strong>de</strong>rwerfend, beten<br />

sie <strong>de</strong>n Fürsten <strong>de</strong>s Lebens an.<br />

Satan scheint beim Anblick <strong>de</strong>r Herrlichkeit und Hoheit Christi wie gelähmt. Der einst<br />

ein schirmen<strong>de</strong>r Cherub war, erinnert sich, von wo er gefallen. Ein scheinen<strong>de</strong>r Seraph, ein<br />

„Morgenstern“; wie verän<strong>de</strong>rt,wie tief gefallen! Aus <strong>de</strong>r Ratsversammlung,in <strong>de</strong>r er einst<br />

geehrt war, ist er für immer ausgeschlossen. Er sieht einen an<strong>de</strong>ren in <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>s Vaters<br />

stehen und seine Herrlichkeit verhüllen. Er hat gesehen, daß die Hand eines Engels von<br />

467


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

erhabener Gestalt und majestätischem Aussehen die Krone auf das Haupt Christi setzte, und<br />

er weiß, daß das hohe Amt dieses Engels sein Amt hätte sein können.<br />

Er erinnert sich <strong>de</strong>r Heimat seiner Unschuld und Reinheit, <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns und <strong>de</strong>s Glückes,<br />

die sein waren, bis er gegen Gott murrte und Neid gegen Christus hegte. Seine Anklagen,<br />

seine Empörung, seine Täuschungen, um das Mitleid und die Unterstützung <strong>de</strong>r Engel zu<br />

gewinnen, seine hartnäckige Weigerung, sich um seine Errettung zu bemühen, obwohl Gott<br />

ihm verziehen hätte; alles erscheint lebhaft vor seinen Augen. Er blickt zurück auf sein<br />

Werk auf Er<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>ssen Folgen: auf die Feindschaft <strong>de</strong>r Menschen untereinan<strong>de</strong>r, auf<br />

die schreckliche Vernichtung <strong>de</strong>s Lebens, auf <strong>de</strong>n Aufstieg und Untergang <strong>de</strong>r Königreiche,<br />

auf <strong>de</strong>n Sturz <strong>de</strong>r Throne, auf die lange Reihe von Aufruhr, Kriegen und Revolutionen. Er<br />

erinnert sich seiner beständigen Anstrengungen, sich <strong>de</strong>m Werke Christi zu wi<strong>de</strong>rsetzen und<br />

die Menschen immer tiefer sinken zu lassen. Er erkennt, daß seine teuflischen Anschläge<br />

machtlos waren, die zu vernichten, die ihr Vertrauen auf Jesus gesetzt hatten. Er sieht sein<br />

Reich, die Früchte seiner Arbeit, und erblickt nichts weiter als Mißerfolg und Ver<strong>de</strong>rben. Er<br />

hat die Menge zu <strong>de</strong>r Annahme verleitet, daß die Stadt Gottes einzunehmen sei, aber er weiß,<br />

daß dies nicht wahr ist. Immer und immer wie<strong>de</strong>r ist er während <strong>de</strong>s großen Kampfes<br />

geschlagen wor<strong>de</strong>n. Immer und immer wie<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong> er gezwungen, nachzugeben. Er kennt<br />

die Macht und Majestät <strong>de</strong>s Ewigen nur zu gut.<br />

Es war stets das Bestreben <strong>de</strong>s großen Empörers, sich selbst zu rechtfertigen und die<br />

göttliche Regierung für die Empörung verantwortlich zu machen. Auf dieses Ziel hatte er<br />

alle Kräfte seines riesenhaften Verstan<strong>de</strong>s gerichtet. Er hat vorsichtig, planmäßig und mit<br />

wun<strong>de</strong>rbarem Erfolg gearbeitet und unendlich viele verleitet, seine Auffassung von <strong>de</strong>m<br />

großen, so lange währen<strong>de</strong>n Kampf zu teilen. Während Tausen<strong>de</strong>n von Jahren hat dieser<br />

Oberste aller Verschwörung <strong>de</strong>n Irrtum an die Stelle <strong>de</strong>r Wahrheit gesetzt; aber nun ist die<br />

Zeit gekommen, da <strong>de</strong>r Aufstand endgültig besiegt und die Geschichte und das Wesen<br />

Satans enthüllt wer<strong>de</strong>n sollen. Bei diesem letzten großen Bemühen, Christus zu entthronen,<br />

sein Volk zu vernichten und die Stadt Gottes einzunehmen, ist <strong>de</strong>r Erzbetrüger völlig<br />

entlarvt wor<strong>de</strong>n. Alle, die sich mit ihm verbun<strong>de</strong>n haben, erkennen das vollständige<br />

Mißlingen seiner Sache. Die Nachfolger Jesu Christi und die getreuen Engel begreifen <strong>de</strong>n<br />

vollen Umfang seiner teuflischen Anschläge gegen die Herrschaft Gottes, und Satan ist das<br />

Ziel allgemeinen Abscheus.<br />

Satan sieht, daß seine freiwillige Empörung ihn für <strong>de</strong>n Himmel untauglich gemacht hat.<br />

Er hat seine Kräfte geschult, um Krieg gegen Gott zu führen; die Reinheit, <strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong> und<br />

die Eintracht <strong>de</strong>s Himmels wür<strong>de</strong>n ihm höchste Qual sein. Seine Anklagen gegen die Gna<strong>de</strong><br />

und Gerechtigkeit Gottes sind verstummt. Der Vorwurf, <strong>de</strong>n er <strong>de</strong>m Allmächtigen zu<br />

machen suchte, fällt völlig auf ihn selbst zurück. Und nun beugt Satan sich vor Gott und<br />

bekennt die Gerechtigkeit seiner Verurteilung.<br />

„Wer sollte dich nicht fürchten, Herr, und <strong>de</strong>inen Namen preisen? Denn du bist allein<br />

heilig. Denn alle Hei<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n kommen und anbeten vor dir; <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>ine Urteile sind<br />

468


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

offenbar gewor<strong>de</strong>n.“ Offenbarung 15,4. Je<strong>de</strong> Frage über Wahrheit und Irrtum in <strong>de</strong>m<br />

langanhalten<strong>de</strong>n Kampf ist nun klargestellt wor<strong>de</strong>n. Die Folgen <strong>de</strong>r Empörung, die Früchte<br />

<strong>de</strong>r Mißachtung <strong>de</strong>r göttlichen Verordnungen sind vor <strong>de</strong>n Augen aller geschaffenen Wesen<br />

offen dargelegt, und die Wirkung <strong>de</strong>r Herrschaft Satans im Gegensatz zur Regierung Gottes<br />

ist <strong>de</strong>m ganzen Weltall gezeigt wor<strong>de</strong>n. Satans eigene Werke haben ihn verdammt. Gottes<br />

Weisheit, seine Gerechtigkeit und seine Güte sind völlig gerechtfertigt. Es zeigt sich, daß all<br />

sein Han<strong>de</strong>ln in <strong>de</strong>m großen Kampf von <strong>de</strong>r Rücksicht auf das ewige Wohl seines Volkes<br />

und zum Besten aller von ihm erschaffenen Welten bestimmt wor<strong>de</strong>n ist. „Es sollen dir<br />

danken, Herr, alle <strong>de</strong>ine Werke und <strong>de</strong>ine Heiligen dich loben.“ (Psalm 145,10.) Die<br />

Geschichte <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> wird ewig dafür zeugen, daß von <strong>de</strong>m Bestehen <strong>de</strong>s Gesetzes Gottes<br />

die Glückseligkeit aller Wesen abhängt, die er geschaffen hat. Mit all <strong>de</strong>n Tatsachen <strong>de</strong>s<br />

großen Kampfes vor Augen wer<strong>de</strong>n alle seine Geschöpfe, die Treuen wie die Rebellischen,<br />

einstimmig erklären: „Gerecht und wahrhaftig sind <strong>de</strong>ine Wege, o König <strong>de</strong>r Nationen!“<br />

Dem ganzen Weltall ist das große Opfer, das von <strong>de</strong>m Vater und <strong>de</strong>m Sohn um <strong>de</strong>s<br />

Menschen willen gebracht wur<strong>de</strong>, <strong>de</strong>utlich gezeigt wor<strong>de</strong>n. Jetzt ist die Stun<strong>de</strong> gekommen,<br />

da Christus die ihm gebühren<strong>de</strong> Stellung einnimmt und über Fürstentümer und Gewalten<br />

und je<strong>de</strong>n Namen, <strong>de</strong>r genannt wer<strong>de</strong>n mag, verherrlicht wird. Um <strong>de</strong>r Freu<strong>de</strong> willen, die<br />

ihm verheißen war — daß er viele Kin<strong>de</strong>r zur Herrlichkeit bringen wür<strong>de</strong> —, erdul<strong>de</strong>te er<br />

das Kreuz und achtete die Schan<strong>de</strong> gering. Waren auch die Schmerzen und die Schan<strong>de</strong><br />

unfaßbar groß, größer noch sind die Freu<strong>de</strong> und die Herrlichkeit. Er schaut auf die Erlösten,<br />

die in sein Bild umgewan<strong>de</strong>lt sind, bei <strong>de</strong>nen je<strong>de</strong>s Herz das vollkommene Gepränge <strong>de</strong>s<br />

Göttlichen trägt, je<strong>de</strong>s Antlitz das Bild ihres Königs wi<strong>de</strong>rstrahlt. Er sieht in ihnen <strong>de</strong>n<br />

Erfolg <strong>de</strong>r belasten<strong>de</strong>n Arbeit seiner Seele und ist zufrie<strong>de</strong>n. Dann erklärt er mit machtvoller<br />

Stimme, die zu allen versammelten Gerechten und Gottlosen dringt:<br />

„Seht <strong>de</strong>n Erlös meines Blutes! Für diese habe ich gelitten; für diese bin ich gestorben,<br />

damit sie auf ewig in meiner Gegenwart weilen!“ Von <strong>de</strong>n Weißgeklei<strong>de</strong>ten, die um <strong>de</strong>n<br />

Thron herumstehen, steigt <strong>de</strong>r Lobgesang empor: „Das Lamm, das erwürget ist, ist würdig,<br />

zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und<br />

Lob.“ Offenbarung 5,12. Obgleich Satan gezwungen wor<strong>de</strong>n ist, Gottes Gerechtigkeit<br />

anzuerkennen und sich vor <strong>de</strong>r Gewalt Christi zu beugen, bleibt sein Charakter doch<br />

unverän<strong>de</strong>rt. Der Geist <strong>de</strong>r Empörung bricht abermals gleich einem mächtigen Strom hervor.<br />

Rasend vor Zorn, entschließt er sich, <strong>de</strong>n großen Streit nicht aufzugeben. Die Zeit für das<br />

letzte verzweifelte Ringen mit <strong>de</strong>m König <strong>de</strong>s Himmels ist gekommen. Er stürzt sich mitten<br />

unter seine Untertanen, versucht sie mit seiner eigenen Wut zu begeistern und zum<br />

sofortigen Kampf anzufeuern. Aber unter all <strong>de</strong>n zahllosen Millionen, die er zur Empörung<br />

verführt hat, erkennt jetzt keiner seine Oberherrschaft an. Seine Macht ist zu En<strong>de</strong>. Wohl<br />

sind die Bösen von <strong>de</strong>m gleichen Haß gegen Gott erfüllt wie Satan; aber sie sehen, daß ihre<br />

Lage hoffnungslos ist, daß sie über Gott nicht die Oberhand gewinnen können. Ihr Zorn<br />

entbrennt gegen Satan und alle jene, die bei <strong>de</strong>n Betrügereien seine Werkzeuge gewesen<br />

sind, und mit <strong>de</strong>r Wut von Dämonen wen<strong>de</strong>n sie sich gegen diese.<br />

469


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Der Herr sagt: „Weil sich <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>in Herz erhebt, als wäre es eines Gottes Herz, darum,<br />

siehe, ich will Frem<strong>de</strong> über dich schicken, nämlich die Tyrannen <strong>de</strong>r Hei<strong>de</strong>n; die sollen ihr<br />

Schwert zücken über <strong>de</strong>ine schöne Weisheit und <strong>de</strong>ine große Ehre zu Schan<strong>de</strong>n machen. Sie<br />

sollen dich hinunter in die Grube stoßen ... Darum will ich dich entheiligen von <strong>de</strong>m Berge<br />

Gottes und will dich ausgebreiteten Cherub aus <strong>de</strong>n feurigen Steinen verstoßen ... Darum<br />

will ich dich zu Bo<strong>de</strong>n stürzen und ein Schauspiel aus dir machen vor <strong>de</strong>n Königen ... und<br />

will dich zu Asche machen auf <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>, daß alle Welt zusehen soll. Alle, die dich kennen<br />

unter <strong>de</strong>n Hei<strong>de</strong>n, wer<strong>de</strong>n sich über dich entsetzen, daß du so plötzlich bist untergegangen<br />

und nimmermehr aufkommen kannst.“ Hesekiel 28,6-8.16-19.<br />

„Denn alle Rüstung <strong>de</strong>rer, die sich mit Ungestüm rüsten, und die blutigen Klei<strong>de</strong>r<br />

wer<strong>de</strong>n verbrannt und mit Feuer verzehrt wer<strong>de</strong>n.“ „Denn <strong>de</strong>r Herr ist zornig über alle<br />

Hei<strong>de</strong>n und grimmig über all ihr Heer. Er wird sie verbannen und zum Schlachten<br />

überantworten.“ „Er wird regnen lassen über die Gottlosen Blitze, Feuer und Schwefel und<br />

wird ihnen ein Wetter zum Lohn geben.“ Jesaja 9,4; Jesaja 34,2; Psalm 11,6. Feuer fällt vom<br />

Himmel hernie<strong>de</strong>r. Die Er<strong>de</strong> spaltet sich. Die in ihrer Tiefe verborgenen Waffen kommen<br />

hervor. Verzehren<strong>de</strong> Feuersbrünste brechen aus gähnen<strong>de</strong>n Schlün<strong>de</strong>n. Selbst die Felsen<br />

stehen in Flammen. Der Tag, „<strong>de</strong>r brennen soll wie ein Ofen“, ist gekommen. Die Elemente<br />

schmelzen vor glühen<strong>de</strong>r Hitze; „die Er<strong>de</strong> und die Werke, die darauf sind, wer<strong>de</strong>n<br />

verbrennen“. Maleachi 3,19; 2.Petrus 3,10. Die Oberfläche <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> scheint eine<br />

geschmolzene Masse zu sein, ein ungeheurer kochen<strong>de</strong>r Feuersee. Es ist die Zeit <strong>de</strong>s<br />

Gerichts und <strong>de</strong>s Ver<strong>de</strong>rbens <strong>de</strong>r gottlosen Menschen — „<strong>de</strong>r Tag <strong>de</strong>r Rache <strong>de</strong>s Herrn und<br />

das Jahr <strong>de</strong>r Vergeltung, zu rächen Zion“. Jesaja 34,8.<br />

Die Gottlosen erhalten ihre Belohnung auf Er<strong>de</strong>n. Sprüche 11,31. Sie wer<strong>de</strong>n „Stroh<br />

sein, und <strong>de</strong>r künftige Tag wird sie anzün<strong>de</strong>n, spricht <strong>de</strong>r Herr Zebaoth“. Maleachi 3,19.<br />

Manche wer<strong>de</strong>n wie in einem Augenblick vertilgt, während an<strong>de</strong>re tagelang lei<strong>de</strong>n. Alle<br />

wer<strong>de</strong>n „nach ihren Werken“ gestraft. Da die Sün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Gerechten auf Satan gelegt<br />

wur<strong>de</strong>n, muß er nicht nur für seine eigene Empörung lei<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn für alle Sün<strong>de</strong>n, zu<br />

<strong>de</strong>nen er das Volk Gottes verführt hat. Seine Strafe wird weit größer sein als die Strafe <strong>de</strong>rer,<br />

die er getäuscht hat. Nach<strong>de</strong>m alle, die er betört hat, vernichtet sind, muß er noch weiter<br />

leben und lei<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>n reinigen<strong>de</strong>n Flammen wer<strong>de</strong>n die Gottlosen ausgetilgt, Wurzel und<br />

Zweige: Satan die Wurzel, seine Nachfolger die Zweige. Himmel und Er<strong>de</strong> sehen, daß die<br />

volle Gesetzesstrafe ausgeteilt wor<strong>de</strong>n und daß allen For<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Rechtes<br />

nachgekommen ist, und sie anerkennen die Gerechtigkeit <strong>de</strong>s Herrn.<br />

Satans Zerstörungswerk ist auf immer been<strong>de</strong>t. Sechstausend Jahre lang hat er nach<br />

seinem Willen gehan<strong>de</strong>lt, die Er<strong>de</strong> mit Weh erfüllt und Kummer über das ganze Weltall<br />

gebracht. Die ganze Schöpfung hat gestöhnt und sich geängstet. Jetzt sind Gottes Geschöpfe<br />

auf ewig von <strong>de</strong>s Fein<strong>de</strong>s Gegenwart und von <strong>de</strong>n Versuchungen befreit. „Nun ruht doch<br />

alle Welt und ist still und (<strong>de</strong>r Gerechte) jauchzt fröhlich.“ Jesaja 14,7. Lobpreisungen und<br />

Freu<strong>de</strong>nrufe steigen von <strong>de</strong>r ganzen getreuen Menschheit empor. Die Stimme einer großen<br />

470


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Schar, <strong>de</strong>r Stimme eines großen Wassers und eines starken Donners vergleichbar, hört man<br />

sagen: „Halleluja! <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r allmächtige Gott hat das Reich eingenommen.“<br />

Während die Er<strong>de</strong> von <strong>de</strong>m Vernichtungsfeuer eingehüllt war, wohnten die Gerechten<br />

sicher in <strong>de</strong>r heiligen Stadt. Über jene, die an <strong>de</strong>r ersten Auferstehung teilhatten, hat <strong>de</strong>r<br />

zweite Tod keine Macht. Während Gott für die Gottlosen ein verzehren<strong>de</strong>s Feuer ist, ist er<br />

für sein Volk „Sonne und Schild“. Offenbarung 20,6; Psalm 84,12. „Und ich sah einen<br />

neuen Himmel und eine neue Er<strong>de</strong>; <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r erste Himmel und die erste Er<strong>de</strong><br />

verging.“ Offenbarung 21,1. Das Feuer, das die Gottlosen verzehrt, reinigt die Er<strong>de</strong>. Je<strong>de</strong><br />

Spur <strong>de</strong>s Fluches ist beseitigt. Keine ewig brennen<strong>de</strong> Hölle wird <strong>de</strong>n Erlösten die<br />

schrecklichen Folgen <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> vor Augen führen.<br />

Nur ein Erinnerungszeichen bleibt bestehen: Unser Heiland wird stets die Male seiner<br />

Kreuzigung tragen. An seinem verwun<strong>de</strong>ten Haupt, seinen Hän<strong>de</strong>n und Füßen zeigen sich<br />

die einzigen Spuren <strong>de</strong>s grausamen Werkes, das die Sün<strong>de</strong> gewirkt hat. Der Prophet sagt,<br />

in<strong>de</strong>m er Christus in seiner Herrlichkeit schaut: „Sein Glanz ist wie Licht; Strahlen sind ihm<br />

zur Seite, darin verbirgt sich seine Macht.“ Habakuk 3,4 (Henne). In jener Seite, die<br />

zerstochen wur<strong>de</strong>, aus welcher <strong>de</strong>r blutige Strom hervorquoll, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Menschen mit Gott<br />

versöhnte, dort liegt die Herrlichkeit <strong>de</strong>s Heilan<strong>de</strong>s, dort ist „seine Macht verborgen“. Er<br />

war „ein Meister zu helfen“ durch das Opfer <strong>de</strong>r Erlösung und <strong>de</strong>shalb mächtig, Gericht zu<br />

üben an <strong>de</strong>nen, die die Barmherzigkeit Gottes verachtet hatten. Diese Zeichen seiner<br />

Erniedrigung sind seine höchsten Ehren; von Ewigkeit zu Ewigkeit wer<strong>de</strong>n die Wun<strong>de</strong>n von<br />

Golgatha ihn rühmen und seine Macht verkündigen.<br />

„Und du, Turm E<strong>de</strong>r, du Feste <strong>de</strong>r Tochter Zion, zu dir wird kommen und einkehren die<br />

vorige Herrschaft.“ Micha 4,8. Die Zeit ist gekommen, auf die heilige Männer mit<br />

Sehnsucht gewartet haben, seit das Flammenschwert das erste Menschenpaar aus E<strong>de</strong>n<br />

verbannte: die Zeit „unsrer Erlösung, daß wir sein Eigentum wür<strong>de</strong>n“. Epheser 1,14. Die<br />

Er<strong>de</strong>, ursprünglich <strong>de</strong>m Menschen als sein Reich anvertraut, von ihm in die Hän<strong>de</strong> Satans<br />

verraten und von <strong>de</strong>m mächtigen Feind so lange im Besitz gehalten, ist durch <strong>de</strong>n großen<br />

Erlösungsplan wie<strong>de</strong>rgewonnen wor<strong>de</strong>n. Alles, was durch die Sün<strong>de</strong> verloren war ist<br />

wie<strong>de</strong>rhergestellt wor<strong>de</strong>n.<br />

„Denn so spricht <strong>de</strong>r Herr ... <strong>de</strong>r die Er<strong>de</strong> bereitet hat und hat sie gemacht und<br />

zugerichtet — und sie nicht gemacht hat, daß sie leer soll sein, son<strong>de</strong>rn sie bereitet hat, daß<br />

man darauf wohne solle.“ Jesaja 45,18. Gottes ursprüngliche Absicht bei <strong>de</strong>r Erschaffung<br />

<strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> ist erfüllt, da sie zum ewigen Wohnort <strong>de</strong>r Erlösten gemacht ist. „Die Gerechten<br />

erben das Land und bleiben ewiglich darin.“ Psalm 37,29. Die Besorgnis, daß das<br />

zukünftige Erbe zu materiell erschiene, hat viele dahin gebracht, gera<strong>de</strong> die Wahrheiten zu<br />

vergeistigen, die uns veranlaßten, dieses Erbe als unsere wahre Heimat zu betrachten.<br />

Christus versicherte seinen Jüngern, daß er hingehe, ihnen in <strong>de</strong>s Vaters Haus die Stätte zu<br />

bereiten. Wer die Lehren <strong>de</strong>s Wortes Gottes annimmt, wird hinsichtlich <strong>de</strong>r himmlischen<br />

Wohnungen nicht völlig unwissend sein, und doch erklärt <strong>de</strong>r Apostel Paulus: „Was kein<br />

471


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was<br />

Gott bereitet hat <strong>de</strong>nen, die ihn lieben.“ 1.Korinther 2,9. Die menschliche Sprache reicht<br />

nicht aus, um <strong>de</strong>n Lohn <strong>de</strong>r Gerechten zu beschreiben. Das wird nur jenen möglich sein, die<br />

die „himmlischen Wohnungen“ schauen wer<strong>de</strong>n. Kein sterblicher Verstand kann die<br />

Herrlichkeit <strong>de</strong>s Paradieses Gottes begreifen.<br />

In <strong>de</strong>r Bibel wird das Erbe <strong>de</strong>r Erlösten ein Vaterland genannt. Hebräer 11,14-16. Dort<br />

führt <strong>de</strong>r himmlische Hirte seine Her<strong>de</strong> zu Brunnen lebendigen Wassers. Der Baum <strong>de</strong>s<br />

Lebens gibt seine Frucht je<strong>de</strong>n Monat, und die Blätter <strong>de</strong>s Baumes dienen zur Gesundheit<br />

<strong>de</strong>r Völker. Dort sind ewig fließen<strong>de</strong> Ströme, hell wie Kristall, und an ihren Ufern werfen<br />

schwanken<strong>de</strong> Bäume ihren Schatten auf die für die Erlösten <strong>de</strong>s Herrn bereiteten Wege.<br />

Dort steigen die weit ausge<strong>de</strong>hnten Ebenen zu Hügeln <strong>de</strong>r Schönheit an, und die Berge<br />

Gottes erheben ihre majestätischen Gipfel. Auf diesen friedlichen Ebenen, an diesen<br />

lebendigen Strömen wird Gottes Volk, bisher Pilger und Wan<strong>de</strong>rer, eine neue Heimat fin<strong>de</strong>n.<br />

„Daß mein Volk in Häusern <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns wohnen wird, in sicheren Wohnungen und in<br />

stolzer Ruhe.“ „Man soll keinen Frevel mehr hören in <strong>de</strong>inem Lan<strong>de</strong> noch Scha<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r<br />

Ver<strong>de</strong>rben in <strong>de</strong>inen Grenzen; son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>ine Mauern sollen Heil und <strong>de</strong>ine Tore Lob<br />

heißen.“ „Sie wer<strong>de</strong>n Häuser bauen und bewohnen; sie wer<strong>de</strong>n Weinberge pflanzen und ihre<br />

Früchte essen. Sie sollen nicht bauen, was ein an<strong>de</strong>rer bewohne, und nicht pflanzen, was ein<br />

an<strong>de</strong>rer esse ...; und das Werk ihrer Hän<strong>de</strong> wird alt wer<strong>de</strong>n bei meinen<br />

Auserwählten.“ Jesaja 32,18; Jesaja 60,18; Jesaja 65,21.22.<br />

„Die Wüste und Einö<strong>de</strong> wird lustig sein, und das dürre Land wird fröhlich stehen und<br />

wird blühen wie die Lilien.“ „Es sollen Tannen für Hecken wachsen und Myrten für<br />

Dornen.“ Jesaja 35,1; Jesaja 55,13. „Die Wölfe wer<strong>de</strong>n bei <strong>de</strong>n Lämmern wohnen und die<br />

Par<strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>n Böcken liegen. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und<br />

Mastvieh miteinan<strong>de</strong>r treiben ... Man wird nirgend Scha<strong>de</strong>n tun noch ver<strong>de</strong>rben auf meinem<br />

ganzen heiligen Berge“, spricht <strong>de</strong>r Herr. Jesaja 11,6.9. Schmerzen sind in <strong>de</strong>r himmlischen<br />

Umgebung unmöglich. Dort wer<strong>de</strong>n keine Tränen mehr sein, keine Leichenzüge, keine<br />

Zeichen <strong>de</strong>r Trauer. „Der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei ... <strong>de</strong>nn das<br />

Erste ist vergangen.“ Offenbarung 21,4. „Und kein Einwohner wird sagen: Ich bin schwach.<br />

Denn das Volk, das darin wohnt, wird Vergebung <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> haben.“ Jesaja 33,24.<br />

Dort ist das neue Jerusalem, die Hauptstadt einer vere<strong>de</strong>lten neuen Er<strong>de</strong>, „eine schöne<br />

Krone in <strong>de</strong>r Hand <strong>de</strong>s Herrn und ein königlicher Hut in <strong>de</strong>r Hand seines Gottes“. Jesaja<br />

62,3. „Ihr Licht war gleich <strong>de</strong>m allere<strong>de</strong>lsten Stein, einem hellen Jaspis ... Und die Hei<strong>de</strong>n<br />

[Völker], die da selig wer<strong>de</strong>n wan<strong>de</strong>ln in ihrem Licht; und die Könige auf Er<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n<br />

ihre Herrlichkeit in sie bringen.“ Offenbarung 21,11.24. Der Herr sagt: „Ich will fröhlich<br />

sein über Jerusalem und mich freuen über mein Volk.“ Jesaja 65,19. „Siehe da, die Hütte<br />

Gottes bei <strong>de</strong>n Menschen! und er wird bei ihnen wohnen, und sie wer<strong>de</strong>n sein Volk sein,<br />

und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein.“ Offenbarung 21,3.<br />

472


<strong>Chaos</strong>theorie<br />

In <strong>de</strong>r Stadt Gottes „wird keine Nacht da sein“. Niemand wird <strong>de</strong>r Ruhe bedürfen o<strong>de</strong>r<br />

danach verlangen. Keiner wird mü<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n Willen Gottes auszuführen und seinen<br />

Namen zu preisen. Wir wer<strong>de</strong>n beständig die Lebensfrische <strong>de</strong>s Morgens fühlen, und nie<br />

wird ein En<strong>de</strong> kommen. „Sie wer<strong>de</strong>n nicht bedürfen einer Leuchte o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Lichts <strong>de</strong>r<br />

Sonne; <strong>de</strong>nn Gott <strong>de</strong>r Herr wird sie erleuchten.“ Offenbarung 22,5. Das Sonnenlicht wird<br />

ersetzt durch einen Glanz, <strong>de</strong>r nicht unangenehm blen<strong>de</strong>t, aber doch die Helle <strong>de</strong>s Mittags<br />

weit übertrifft. Die Herrlichkeit Gottes und <strong>de</strong>s Lammes überflutet die heilige Stadt mit<br />

ungetrübtem Licht. Die Erlösten wan<strong>de</strong>ln in <strong>de</strong>r sonnenlosen Herrlichkeit eines ewigen<br />

Tages.<br />

„Und ich sah keinen Tempel darin; <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Herr, <strong>de</strong>r allmächtige Gott, ist ihr Tempel,<br />

und das Lamm.“ Offenbarung 21,22. Gottes Volk genießt die Gna<strong>de</strong>, freie Gemeinschaft mit<br />

<strong>de</strong>m Vater und <strong>de</strong>m Sohn zu haben. „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen<br />

Wort.“ 1.Korinther 13,12. Gottes Bild erscheint hier auf Er<strong>de</strong>n wie in einem Spiegel in <strong>de</strong>n<br />

Werken <strong>de</strong>r Natur und in seiner Verfahrensweise mit <strong>de</strong>n Menschen; dann aber wer<strong>de</strong>n wir<br />

ihn von Angesicht zu Angesicht sehen, ohne einen trüben<strong>de</strong>n Schleier dazwischen. Wir<br />

wer<strong>de</strong>n vor ihm stehen und die Herrlichkeit seines Angesichtes schauen.<br />

Die Erlösten wer<strong>de</strong>n dort erkennen, wie auch sie erkannt wer<strong>de</strong>n. Die Gefühle <strong>de</strong>r Liebe<br />

und <strong>de</strong>r Teilnahme, die Gott selbst in die Seele gepflanzt hat, wer<strong>de</strong>n sich dort in <strong>de</strong>r<br />

e<strong>de</strong>lsten und lieblichsten Weise betätigen. Der reine Umgang mit heiligen Wesen, das<br />

ungetrübte gesellige Leben mit <strong>de</strong>n erhabenen Engeln und <strong>de</strong>n Gottgetreuen aller Zeitalter,<br />

die ihre Klei<strong>de</strong>r gewaschen und hell gemacht haben im Blut <strong>de</strong>s Lammes, das heilige Band,<br />

das „alles, was da Kin<strong>de</strong>r heißt im Himmel und auf Er<strong>de</strong>n“ (Epheser 3,15), miteinan<strong>de</strong>r<br />

verbin<strong>de</strong>t, wird zum Glück <strong>de</strong>r Erlösten beitragen.<br />

Dort wer<strong>de</strong>n unsterbliche Geister mit unermüdlicher Freu<strong>de</strong> die Wun<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

schöpferischen Macht und die Geheimnisse <strong>de</strong>r erlösen<strong>de</strong>n Liebe betrachten. Dort wird kein<br />

grausamer, betrügerischer Feind sein, um zur Gottvergessenheit zu verführen. Je<strong>de</strong> Anlage<br />

wird entwickelt wer<strong>de</strong>n, je<strong>de</strong> Fähigkeit zunehmen. Die wachsen<strong>de</strong>n Kenntnisse wer<strong>de</strong>n<br />

we<strong>de</strong>r das Gedächtnis ermü<strong>de</strong>n noch die Tatkraft erschöpfen. Die größten Unternehmungen<br />

können ausgeführt, die erhabensten Bemühungen erreicht, das höchste Verlangen<br />

verwirklicht wer<strong>de</strong>n, und doch gibt es immer neue Höhen zu erklimmen, neue Wun<strong>de</strong>r<br />

anzustaunen, neue Wahrheiten zu erfassen, und neue Aufgaben wer<strong>de</strong>n die Kräfte <strong>de</strong>s<br />

Geistes, <strong>de</strong>r Seele und <strong>de</strong>s Leibes entwickeln.<br />

Alle Schätze <strong>de</strong>s Weltalls wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Erlösten Gottes zur Erforschung offenstehen. Frei<br />

von <strong>de</strong>n Ban<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Sterblichkeit, erreichen sie in einem Flug, <strong>de</strong>r sie nicht ermü<strong>de</strong>t, ferne<br />

Welten, die beim Anblick <strong>de</strong>s menschlichen Wehs von Schmerz ergriffen wur<strong>de</strong>n und bei<br />

<strong>de</strong>r frohen Kun<strong>de</strong> von einer erlösten Seele von Jubellie<strong>de</strong>rn wi<strong>de</strong>rhallten. Mit<br />

unaussprechlicher Wonne, erfassen die Er<strong>de</strong>nkin<strong>de</strong>r die Freu<strong>de</strong>n und die Weisheit <strong>de</strong>r nie<br />

gefallenen Wesen. Sie haben Anteil an <strong>de</strong>n Schätzen <strong>de</strong>s Wissens und <strong>de</strong>r Erkenntnis, die<br />

jene durch die jahrhun<strong>de</strong>rtelange Betrachtung <strong>de</strong>r Schöpferwerke Gottes gewonnen haben.<br />

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<strong>Chaos</strong>theorie<br />

Mit ungetrübtem Blick schauen sie die Herrlichkeit <strong>de</strong>r Schöpfung: Sonnen und Sterne<br />

undPlanetensysteme, wie sie alle in ihrem bestimmten Lauf <strong>de</strong>n Thron <strong>de</strong>r Gottheit<br />

umkreisen. Auf allen Dingen, von <strong>de</strong>n Geringsten bis zu <strong>de</strong>n Größten, steht <strong>de</strong>r Name <strong>de</strong>s<br />

Schöpfers geschrieben, und in allen ist <strong>de</strong>r Reichtum seiner königlichen Macht entfaltet.<br />

Und die dahingehen<strong>de</strong>n Jahre <strong>de</strong>r Ewigkeit wer<strong>de</strong>n ihnen reichere und immer<br />

herrlichere Offenbarungen Gottes und Christi bringen. Mit wachsen<strong>de</strong>r Erkenntnis wird<br />

auch die Liebe, Ehrfurcht und Glückseligkeit zunehmen. Je mehr die Menschen von Gott<br />

lernen, <strong>de</strong>sto größer wird ihre Bewun<strong>de</strong>rung seines Wesens sein. Und wenn Jesus ihnen die<br />

Reichtümer <strong>de</strong>r Erlösung und die erstaunlichen Großtaten in <strong>de</strong>m erbitterten Kampf mit<br />

Satan erschließt, wer<strong>de</strong>n die Herzen <strong>de</strong>r Erlösten immer mehr in Liebe erglühen; mit<br />

stürmischer Wonne greifen sie in ihre gol<strong>de</strong>nen Harfen, und Tausen<strong>de</strong> und aber Tausen<strong>de</strong><br />

von Stimmen vereinigen sich zu einem mächtigen Lobgesang.<br />

„Und alle Kreatur, die im Himmel ist und auf Er<strong>de</strong>n und unter <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> und im Meer,<br />

und alles, was darinnen ist, hörte ich sagen: Dem, <strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m Stuhl sitzt, und <strong>de</strong>m Lamm<br />

sei Lob und Ehre und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit!“ Offenbarung 5,13. Der<br />

große Kampf ist been<strong>de</strong>t. Sün<strong>de</strong> und Sün<strong>de</strong>r sind nicht mehr. Das ganze Weltall ist rein.<br />

Eintracht und Freu<strong>de</strong> herrschen in <strong>de</strong>r ganzen unermeßlichen Schöpfung. Von <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r alles<br />

erschuf, fließt Leben, Licht und Freu<strong>de</strong> über alle Gebiete <strong>de</strong>s grenzenlosen Raumes. Vom<br />

kleinsten Atom bis zum größten Weltenkörper erklärt alle leben<strong>de</strong> und unbelebte Natur in<br />

ungetrübter Schönheit und vollkom mener Freu<strong>de</strong>: Gott ist die Liebe.<br />

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In Erwartung <strong>de</strong>s En<strong>de</strong>s

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