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Leseprobe_Ein Modell für Mozart

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EIN MODELL FÜR MOZART<br />

DA S S E R A I L<br />

VON JOSEPH FR IEBERT<br />

(1778)<br />

Herausgegeben von<br />

Matthias J. Pernerstorfer


DON JUAN ARCHIV WIEN<br />

OTTOMANIA<br />

14<br />

Series Editors<br />

Michael Hüttler ∙ Suna Suner ∙ Reinhard Eisendle


Herausgegeben von<br />

Matthias J. Pernerstorfer


Gedruckt mit Unterstützung von<br />

Don Juan Archiv Wien – Forschungsverein <strong>für</strong> Theater- und Kulturgeschichte<br />

MA 7 – Kulturabteilung der Stadt Wien<br />

Matthias J. Pernerstorfer (Hg.):<br />

<strong>Ein</strong> <strong>Modell</strong> <strong>für</strong> <strong>Mozart</strong>.<br />

Das Serail von Joseph Friebert (1778).<br />

Wien: HOLLITZER Verlag, 2024<br />

(= Ottomania 14)<br />

Reihenherausgeber Ottomania<br />

Michael Hüttler ∙ Suna Suner ∙ Reinhard Eisendle<br />

Titelbild<br />

“Schinguene Mussulman / Comedienne Turc.” (ca. 1682)<br />

Öl auf Leinwand (184,1 × 172,6 cm)<br />

Ptuj Regional Museum, G 26 s<br />

Lektorat und Register: Marion Linhardt und Inge Jasch<br />

Notensatz: David McShane<br />

Layout: Gabriel Fischer<br />

© HOLLITZER Verlag, Wien 2024<br />

HOLLITZER Verlag<br />

<strong>Ein</strong>e Abteilung der<br />

HOLLITZER Baustoffwerke Graz GmbH<br />

www.hollitzer.at<br />

Alle Rechte vorbehalten.<br />

ISSN 2617-2542<br />

ISBN 978-3-99012-322-5


Für<br />

Hans Ernst Weidinger


INHALT<br />

1<br />

5<br />

45<br />

Tatjana Marković, Michael Hüttler, Suna Suner,<br />

Reinhard Eisendle, Matthias J. Pernerstorfer<br />

Das Projekt zu Joseph Frieberts Das Serail am Don Juan Archiv Wien<br />

Matthias J. Pernerstorfer<br />

<strong>Ein</strong>führung in Das Serail<br />

<strong>Ein</strong> <strong>Modell</strong> <strong>für</strong> <strong>Mozart</strong> mit Musik von Joseph Friebert<br />

Markus Eberhardt<br />

Joseph Friebert – ein Lebensbild<br />

FRIEBERT ALS SÄNGER IN WIEN<br />

61<br />

111<br />

Mariateresa Dellaborra<br />

Joseph Friebert e Giuseppe Bonno: Un rapporto didattico e stilistico<br />

Jen-Yen Chen<br />

Europe’s Vision of the ‘Far’ East and the Voice of the Chinese Other:<br />

Dialogue and Representation in Metastasio’s L’eroe cinese and<br />

Junxiang’s Zhaoshi gu’er<br />

FRIEBERT ALS HOFKAPELLMEISTER IN PASSAU<br />

123<br />

141<br />

193<br />

Käthe Springer-Dissmann<br />

Joseph Maria Graf Thun-Hohenstein: Fürstbischof von Passau<br />

und Begründer von Joseph Frieberts Wirken in Passau<br />

Markus Eberhardt<br />

Repräsentanten dreier Fürstbischöfe: Die Passauer Hofmusikkapelle<br />

unter Joseph Friebert<br />

Petrus Eder OSB<br />

Musikalische Beziehungen zwischen Passau und Salzburg<br />

vom Barock bis zur Säkularisation<br />

VII


Inhalt<br />

ZU FRIEBERTS WERK<br />

207<br />

243<br />

315<br />

Julia Ackermann<br />

Opéra-comique-Vorlagen im süddeutschen Singspiel der 1770er Jahre:<br />

Joseph Frieberts Nanerl bey Hof nach Charles-Simon Favarts<br />

Ninette à la Cour<br />

Walter Kurt Kreyszig<br />

Joseph Frieberts „teutsche Operette“ Das Serail (1778).<br />

Zu den musikbezogenen Anmerkungen und Marginalien<br />

in der handschriftlichen Überlieferung<br />

Markus Eberhardt<br />

Joseph Frieberts Bearbeitung der Sieben letzten Worte unseres Erlösers<br />

am Kreuze von Joseph Haydn<br />

DAS SERAIL<br />

INTERPRETATIONEN<br />

351<br />

383<br />

401<br />

Adrian Kuhl<br />

Geographische Verortung:<br />

Die Figurendarstellung in Text und Musik von Joseph Frieberts Das Serail<br />

Christian Neuhuber<br />

„I bin halt ä Mädl wie ä Rädl“:<br />

Anmerkungen zur Figur der „Sclavinn“ in Joseph Frieberts Das Serail<br />

Tatjana Marković<br />

Das Serail by Joseph Friebert:<br />

Music Exoticism and Gender (Self)Representation<br />

VIII


Inhalt<br />

DAS SERAIL<br />

IM KONTEXT DER ZEITGENÖSSISCHEN THEATERPRODUKTION<br />

427<br />

461<br />

471<br />

Adeline Mueller<br />

‘Living Marionettes’:<br />

The Berner Children’s Troupe and Its Performers<br />

Bärbel Rudin †<br />

„Und wanns pascht, so bleibts dabey“:<br />

Joseph Frieberts Serail im theaterhistorischen Fadenkreuz<br />

Marion Linhardt<br />

Männer- und Frauenkostüme in Aufführungen von Serail-Stücken<br />

im deutschsprachigen Raum um 1780<br />

TRADITION DES SERAIL-STOFFES<br />

503<br />

529<br />

549<br />

Hans-Peter Kellner<br />

Floire et Blancheflor.<br />

Zur Frühgeschichte der Entführungsgeschichten aus dem Serail<br />

Martin Nedbal<br />

Censoring the Harem:<br />

‘Handkerchief’ Moments in Eighteenth-Century Viennese Türkenopern<br />

Christian Moritz-Bauer<br />

Zayre von Voltaire und Michael Haydn:<br />

<strong>Ein</strong>e philosophisch-musikalische Begegnung im Zeitalter der Aufklärung<br />

IX


Inhalt<br />

DRAMATURGIE DES SERAIL-STOFFES<br />

593<br />

635<br />

693<br />

Hans-Peter Kellner<br />

E³ – <strong>Ein</strong>e dramaturgische Betrachtung der Entführungsgeschichte(n)<br />

Reinhard Eisendle<br />

Das Unerwartete, hier wird’s Ereignis?<br />

Zur Dramaturgie von Joseph Frieberts Singspiel Das Serail<br />

im Kontext des zeitgenössischen deutschen Dramas<br />

Reinhard Eisendle, Matthias J. Pernerstorfer<br />

Das Serail und Zaide<br />

APPENDICES<br />

731<br />

APPENDIX 1<br />

Das Serail<br />

Bozener Libretto (1779)<br />

763<br />

APPENDIX 2<br />

Hans Ernst Weidinger, Hans-Peter Kellner<br />

Das Serail<br />

Strichfassung des Bozener Librettos in gebundener Rede (2016)<br />

793<br />

APPENDIX 3<br />

Fotos zur Aufführung von Joseph Frieberts Das Serail<br />

am 2. November 2016 im Castello di Sezzate<br />

REGISTER<br />

807<br />

819<br />

Personen<br />

Orte<br />

X


VORWORT<br />

DAS PROJEKT ZU JOSEPH FRIEBERTS DAS SERAIL<br />

AM DON JUAN ARCHIV WIEN<br />

Tatjana Marković · Michael Hüttler<br />

Suna Suner · Reinhard Eisendle<br />

Matthias J. Pernerstorfer<br />

Am 28. Jänner 2006 ersteigerte Hans Ernst Weidinger, Entrepreneur in alter Familientradition,<br />

Philanthrop und Mäzen, Schauspieler und Theaterhistoriker,1 vertreten<br />

durch Michael Hüttler, die lange verschollenen Materialien zu drei vom Passauer<br />

Hof- und Domkapellmeister Joseph Friebert vertonten musikdramatischen Werken.<br />

Darunter Das Serail (1778), dessen Libretto Johann Andreas Schachtner und Wolfgang<br />

Amadé <strong>Mozart</strong> wohl in Händen hielten, als sie an der Zaide (1779/1780) arbeiteten,<br />

wodurch das Stück zu einem ‚<strong>Modell</strong> <strong>für</strong> <strong>Mozart</strong>‘ wurde. Das <strong>Mozart</strong>jahr 2006 war<br />

mit drei Ausstellungen samt zugehörigen Publikationen Höhepunkt und zugleich<br />

Endpunkt der Zusammenarbeit von H. E. Weidinger mit dem von ihm mitbegründeten<br />

und geförderten Da Ponte Institut <strong>für</strong> Librettologie, Don Juan Forschung und<br />

Sammlungsgeschichte. Im Jänner 2007 machte er seine seit 1987 angelegte Bibliothek<br />

als „Don Juan Archiv Wien Forschungsverlag“ der Wissenschaft zugänglich, aus dem<br />

einige Jahre später der Hollitzer Wissenschaftsverlag (www.hollitzer.at) und das Don<br />

Juan Archiv Wien (www.donjuanarchiv.at) hervorgingen.<br />

Der Besitz der Friebert’schen Musikalien beeinflusste die Entscheidung, ab 2008<br />

jährlich in Wien und Istanbul Symposien zum Thema „Ottoman Empire & European<br />

Theatre“ abzuhalten. Es dauerte zwar einige Zeit bis zur Drucklegung des voluminösen<br />

ersten Bandes der zugehörigen Reihe Ottomania im Jahre 2013, doch dann entfaltete<br />

das verhältnismäßig kleine Institut eine sehr intensive Publikationstätigkeit.2 Da<br />

nun das tägliche Geschäft lief, konnte der Blick auf Das Serail gerichtet werden,<br />

1 Hans Ernst Weidinger: Il dissoluto punito. Untersuchungen zur äußeren und inneren Entstehungsgeschichte<br />

von Lorenzo da Pontes & Wolfgang Amadeus <strong>Mozart</strong>s Don Giovanni, 16 Bde. Phil. Diss., Universität<br />

Wien, 2002, und ders.: Don Giovanni und die habsburgische Heiratspolitik. Aus dem Nachlaß herausgegeben<br />

von Reinhard Eisendle und Matthias J. Pernerstorfer. Wien: Hollitzer Verlag, 2023<br />

(= Don Juan Studies 1). Siehe auch die Würdigungen im Newsletter of the <strong>Mozart</strong> Society of America<br />

27/2 (Herbst 2023) von Magnus Tessing Schneider (S. 13–14) und Ian Woodfield (S. 15–16).<br />

2 Siehe Matthias J. Pernerstorfer: Don Juan Archiv Wien: Publikationen. Wien: Hollitzer Verlag, 2023.<br />

1


T. Marković, M. Hüttler, S. Suner, R. Eisendle, M. J. Pernerstorfer<br />

immerhin ein Herzstück der Sammlung von H. E. Weidinger,3 mit dessen Edition,<br />

Interpretation und Aufführung er das Don Juan Archiv Wien betraut hatte.<br />

Von 19. bis 21. Mai 2016 fand in Salzburg das Symposium „Das Serail (1778) by<br />

Joseph Friebert in Historical, Socio-political and Cultural Context(s)“ statt, organisiert<br />

von Tatjana Marković und veranstaltet von Don Juan Archiv Wien, Universität<br />

<strong>Mozart</strong>eum Salzburg und Salzburg Global Seminar.4 Anlässlich der Eröffnung in<br />

Schloss Leopoldskron sowie in einem öffentlichen Konzert im „Solitär“ des <strong>Mozart</strong>eums<br />

zum Abschluss des Symposiums wurden einzelne Nummern von Frieberts<br />

wiederentdecktem Singspiel in konzertanter Form aufgeführt. Bei dem von Josef<br />

Wallnig, dem Gründer des Instituts <strong>für</strong> <strong>Mozart</strong>-Opern-Interpretation, geleiteten<br />

Arienabend erklangen gemeinsam mit Frieberts Musik Arien aus <strong>Mozart</strong>s Zaide und<br />

Die Entführung aus dem Serail. 2016 erschienen auch von Tatjana Marković5 und Michael<br />

Hüttler6 die ersten Publikationen zu Frieberts Serail.<br />

Zu dieser Zeit erarbeitete H. E. Weidinger im Gespräch mit Hans-Peter Kellner<br />

eine Strichfassung des Bozener Librettos in gebundener Rede, die als Appendix in<br />

diesem Band abgedruckt ist. Im Castello di Sezzate, dem toskanischen Wohnsitz von<br />

H. E. Weidinger, kam es am 2. November 2016 im Rahmen einer einwöchigen Forschungsklausur<br />

zum Serail zu einer spontan-szenischen Aufführung dieser Fassung<br />

unter der Regie von Hans-Peter Kellner und sängerischem Coaching von David<br />

McShane, der auch einen Klavierauszug erstellt hatte. <strong>Ein</strong>e kleine Bilder-Galerie dazu<br />

beschließt diesen Band.<br />

Am 13. Oktober 2018 fand in Passau ein weiteres Symposium statt: „Von Frieberts<br />

Serail zu <strong>Mozart</strong>s Zaide und Entführung. Text, Dramaturgie, Musik“, veranstaltet<br />

von Don Juan Archiv Wien, Universität <strong>Mozart</strong>eum Salzburg, Stiftung <strong>Mozart</strong>eum<br />

3 Zu einer weiteren Besonderheit siehe Brigitte Dalinger: Der Komplex Mauerbach. <strong>Ein</strong>e Theatersammlung<br />

„aus fachmännischem Besitze“ zwischen Führerbibliothek und Mauerbach Benefit Sale. Wien:<br />

Hollitzer Verlag, 2023 (= Bibliographica 3).<br />

4 <strong>Ein</strong> Bericht von Martin Nedbal erschien in Eighteenth-Century Music 14/1 (2017), S. 160–162.<br />

5 Tatjana Marković: „Das Serail (c.1778) by Joseph Friebert as an Embodiment of Enlightened<br />

Absolutism“, in: Ottoman Empire and European Theatre, Bd. 4: Seraglios in Theatre, Music and Literature,<br />

hg. von Michael Hüttler und Hans Ernst Weidinger. Wien: Hollitzer Verlag, 2016 (= Ottomania<br />

6), S. 131–144. In einer leicht überarbeiteten Fassung ist der Beitrag in diesem Band abgedruckt,<br />

S. 401–424.<br />

6 Michael Hüttler „Joseph Friebert’s Singspiel Das Serail (c.1778) in the Don Juan Archiv Wien:<br />

Provenance and State of Research“, in: Ottoman Empire and European Theatre, Bd. 4: Seraglios in<br />

Theatre, Music and Literature, hg. von Michael Hüttler und Hans Ernst Weidinger. Wien: Hollitzer<br />

Verlag, 2016 (= Ottomania 6), S. 115–130. <strong>Ein</strong>e aktualisierte Fassung erschien unter dem Titel<br />

„Hof- and Domkapellmeister Johann Joseph Friebert and His Singspiele“, in: Music Preferred.<br />

Essays in Musicology, Cultural History and Analysis in Honour of Harry White, hg. von Lorraine Byrne<br />

Bodley. Wien: Hollitzer Verlag, 2018, S. 393–408.<br />

2


Das Projekt zu Joseph Frieberts Das Serail am Don Juan Archiv Wien<br />

Salzburg, Consortium musicum Passau e. V. und dem Kunstreferat des Bistums Passau.<br />

Hier erklang Frieberts Musik erneut, durch Studierende der Universität <strong>Mozart</strong>eum<br />

Salzburg unter Leitung wie Begleitung auf einem historischen Tasteninstrument<br />

durch Wolfgang Brunner sowie erstmals unter <strong>Ein</strong>satz des Orchesters im Rahmen<br />

einer Aufführung des Passauer Konzertvereins, geleitet von Markus Eberhardt –<br />

Constantin Stimmer hatte die im Konvolut zum Serail fehlenden Stimmen ergänzt,<br />

David McShane die Aufführungspartitur fertiggestellt.<br />

Am 13. Februar 2020 wurden in den Räumlichkeiten von Don Juan Archiv Wien<br />

und Hollitzer Verlag Ausschnitte aus Frieberts Serail und <strong>Mozart</strong>s Zaide von Çiğdem<br />

Soyarslan (Sopran), Richard Klein (Tenor) und Gernot Heinrich (Tenor) sowie<br />

Christian Koch (Klavier) zum Besten gegeben; durch den Abend führten Suna Suner<br />

und Reinhard Eisendle. Dies erfolgte im Rahmen der Konzertreihe „Vom Bosporus<br />

an die schöne blaue Donau“ als Kooperation von Don Juan Archiv Wien und Verein<br />

Österreichisch-Türkische Zusammenarbeit (ÖTZ).<br />

In der Folgezeit erschienen zwei Monographien, die aus dem Projekt zu Joseph<br />

Frieberts Serail hervorgegangen waren: 2020 die Biographie des Komponisten von<br />

Markus Eberhardt,7 von der Teile in aktualisierter Form in diesen Band aufgenommen<br />

sind, und 2021 eine Studie zum ‚türkischen‘ Bühnenkostüm aus der Feder von Marion<br />

Linhardt.8 Interessanterweise passt die „Comedienne Turc“ (ca. 1682), die wir von Beginn<br />

an als Icon <strong>für</strong> unser Projekt zum Serail verwendeten, am ehesten zu der knapp<br />

200 Jahre später entstandenen Darstellung von Mad. Favart als Roxelane in Soliman<br />

second, ou Les Trois sultanes (ca. 1872, S. 490).<br />

Im Herbst 2022 klärten H. E. Weidinger, M. Eberhardt und M. J. Pernerstorfer die<br />

Details <strong>für</strong> eine halb-szenische moderne Erstaufführung von Das Serail – als Jubiläumsveranstaltung<br />

zu Ehren des 300. Geburtstages von Joseph Friebert – durch vier<br />

Vokalsolisten und das Orchester des Passauer Konzertvereins bei den Europäischen<br />

Wochen in Passau 2024. Am 24. Februar 2023, knapp zwei Monate nach Unterzeichnung<br />

des Vertrages, verstarb H. E. Weidinger, der seit dem Erwerb der Noten die wissenschaftliche<br />

wie künstlerische Rezeption des Serails maßgeblich bestimmt hatte.<br />

So würdigen dieser Band sowie die Aufführung in Passau am 27. Juli 2024 nicht<br />

nur den letzten Passauer Hof- und Domkapellmeister Joseph Friebert, sondern zugleich<br />

– zwei Tage vor seinem 75. Geburtstag – Hans Ernst Weidinger, dem <strong>Ein</strong> <strong>Modell</strong><br />

<strong>für</strong> <strong>Mozart</strong>. Das Serail von Joseph Friebert (1778) gewidmet ist.<br />

7 Markus Eberhardt: Johann Joseph Friebert und seine Zeit. Leben und Werk des letzten Passauer Hofkapellmeisters.<br />

Wien: Hollitzer Verlag, 2020 (= Specula Spectacula 11).<br />

8 Marion Linhardt: Stereotyp und Imagination. Das ‚türkische‘ Bühnenkostüm im europäischen Theater vom<br />

Barock bis zum frühen Historismus. Wien: Hollitzer Verlag, 2021 (= Ottomania 12).<br />

3


Matthias J. Pernerstorfer<br />

Abb. 1: Frontispiz zu Nachricht von der im Jahre 1758. von Herrn Felix Berner errichteten jungen<br />

Schauspieler=Gesellschaft von den bis jezt gethanenen Reisen, von der Aufnahme und dem Zuwachse derselben,<br />

einigen Anhängen, und vielen am Ende beigefügten Silhouettes von Schauspielern und Schauspielerinnen<br />

dieser Gesellschaft. Mit Bewilligung und Beitrag des Herrn Berner. Verfasset von F. X. Garnier, einem Zögling<br />

desselben im Jahr 1786. Wien, gedruckt bei Johann Joseph Jahn, Universitäts=Buchdrucker auf dem<br />

alten Bauernmarkte im Gundelhof Nro. 534 im ersten Stock. 1786.<br />

Wien, Wienbibliothek A-12.861<br />

4


EINFÜHRUNG IN DAS SERAIL<br />

EIN MODELL FÜR MOZART<br />

MIT MUSIK VON JOSEPH FRIEBERT<br />

Matthias J. Pernerstorfer<br />

Es war ein langer Weg, bis Das Serail, vertont vom Passauer Hof- und Domkapellmeister<br />

Johann Joseph Friebert (1724–1799), als ‚<strong>Modell</strong> <strong>für</strong> <strong>Mozart</strong>‘ erkannt wurde und in<br />

den Blick der Forschung geriet. Etwas Besonderes war dieses Werk, das in den Quellen<br />

als „musikalisches Singspiel“,1 „teutsche Operette“2 oder auch „ernsthafte Oper“3<br />

bezeichnet wird, von Anfang an: Die Uraufführung durch den Prinzipal Felix Berner<br />

(1738–1787), mit dem sämtliche bekannten Aufführungen des Serails in Verbindung<br />

stehen, erfolgte vor einem höchst ehr würdigen Publikum. Das geschah nach neuer<br />

Erkenntnis in Erlangen im April 1778 – frühere Datierungsversuche wie das in der<br />

Literatur häufig zu findende „Wels 1777“4 lassen sich nicht belegen. In einem Bericht<br />

über die Reisetätigkeit der Berner’schen Truppe wird zu diesem Jahr notiert: Nach<br />

dem „4. April […] reißte diese junge Schauspielergesellschaft, wiederum nach<br />

Erlang[en] zum zweytenmale, debutirte in Gegenwart der Frau Marggräfin5 und der<br />

ganzen Noblesse mit dem Serail, spielte abwechselnd in Nürnberg und Erlang[en]“.6<br />

Die Korrektheit dieser Angabe wird durch weitere Quellen bestätigt.<br />

1 So im Libretto <strong>Ein</strong> musikalisches Singspiel, genannt: Das Serail. Oder: Die unvermutete Zusammenkunft<br />

in der Sclaverey zwischen Vater, Tochter und Sohn. Botzen, gedruckt bey Karl Joseph Weiß, Stadt=<br />

und Mercantil=Buchdrucker. 1779.<br />

2 So auf dem Cembalo-Auszug, auf dessen Titelblatt steht: „Das Serail, | <strong>Ein</strong>e | Teutsche Operette. |<br />

Auth: re Gius: Friebert. | M. d. C: in Passavia | 1779“.<br />

3 So auf sämtlichen Theaterzetteln (s. u.).<br />

4 Siehe Michael Hüttler: „Joseph Friebert’s Singspiel Das Serail (c.1778)“, in: Ottoman Empire and<br />

European Theatre, Vol. IV: Seraglios in Theatre, Music and Literature, hg. von Michael Hüttler und<br />

Hans Ernst Weidinger. Wien: Hollitzer Verlag, 2016 (= Ottomania 6), S. 115–130, hier S. 121 f.,<br />

und ders.: „Hof- and Domkapellmeister Johann Joseph Friebert and His Singspiele“, in: Music<br />

Preferred. Essays in Musicology, Cultural History and Analysis in Honour of Harry White, hg. von<br />

Lorraine Byrne Bodley. Wien: Hollitzer Verlag, 2018, S. 393–408, hier S. 399.<br />

5 D. i. Friederike Caroline von Sachsen-Coburg-Saalfeld (1735–1791), Gattin des regierenden Karl<br />

Alexander Markgrafen von Brandenburg-Ansbach (1736–1806).<br />

6 Nachricht von der im Jahre 1758. von Herrn Felix Berner errichteten jungen Schauspieler=Gesellschaft von<br />

den bis jezt gethanenen Reisen, von der Aufnahme und dem Zuwachse derselben, einigen Anhängen, und<br />

vielen am Ende beigefügten Silhouettes von Schauspielern und Schauspielerinnen dieser Gesellschaft. Mit<br />

Bewilligung und Beitrag des Herrn Berner. Verfasset von F. X. Garnier, einem Zögling desselben im Jahr<br />

5


Matthias J. Pernerstorfer<br />

Abb. 2: Avertissement der Berner’schen Truppe.<br />

Nürnberg, Stadtbibliothek im Bildungscampus Nor. 2. 1307(1778.27)<br />

6


<strong>Ein</strong>führung in Das Serail<br />

Theaterzettel<br />

Zu der Aufführung am 20. April 1778, die an diesem Ostermontag wohl Berners Gastspiel<br />

im Nürnberger Opernhaus eröffnete, kündigt der Impresario zuversichtlich an<br />

(Abb. 2):<br />

„AVERTISSEMENT.<br />

Da <strong>Ein</strong> Hochlöblicher Rath mir zum zweytenmale die hohe und gnädige<br />

Erlaubniß ertheilet, mein Theater hier eröfnen zu dürfen, und ein verehrungswürdiges<br />

Auditorium mit unsern Specktakeln, auf das neue wieder zu unterhalten,<br />

so dienet zur unterthänigen und gehorsamen Nachricht, daß künftigen<br />

Ostermontag als den 20ten April unser Theater geöfnet, und darauf eine ganz<br />

neue, vortreffliche, mit den besten Verzierungen der Schaubühne, nach dem<br />

Kostume versehene Oper, unter dem Titel: Das Seraile, zum erstenmal aufgeführet<br />

wird, worauf ein von unserm neu aus Prag angekommenen Herrn<br />

Balletmeister, Namens Alberti, der sich auf den grösten Schaubühnen<br />

Deutschlands, als Wien, Prag, Linz, und mehrern Bühnen, durch seine Kunst<br />

berühmt gemacht, ein ganz neues, von ihm selbst erfundenes grosses Ballet<br />

gegeben wird. Wir versprechen uns also einen zahlreichen und gütigen Besuch,<br />

zumal, da wir, der bey unserm erstenmaligen Aufenthalt von <strong>Ein</strong>em<br />

Hochlöblichen Rath so wohl, als auch von unsern übrigen hohen und gnädigen<br />

Gönnern genossenen Wohlthaten, und grosen Unterstüzung unsers<br />

Schauspieles, zum feurigsten und uns immer gegenwärtigen Danke nichts versäumen<br />

werden, was zum Vergnügen, Aufheiterung des Gemüths, und Unterhaltung<br />

dienen kan, uns der grossen Ehre und vorzüglichen Gnaden, mit<br />

denen Sie uns überhäuften, immer würdiger zu machen, und zum zweytenmale<br />

mit dem Beyfalle einst wieder abtretten zu können, dessen wir uns das<br />

erstemal rühmen durfen.<br />

[F]elix Berner<br />

Direkteur.“<br />

1786. Wien: gedruckt bei Johann Joseph Jahn, Universitäts=Buchdrucker auf dem alten Bauernmarkte<br />

im Gundelhof Nro. 534 im ersten Stock, 1786, S. 12.<br />

7


Matthias J. Pernerstorfer<br />

Abb. 3: Theaterzettel zur Aufführung der Berner’schen Truppe in Nürnberg<br />

am 20. April 1778. – Nürnberg, Stadtbibliothek im Bildungscampus Nor. 2. 1307(1778.27)<br />

8


<strong>Ein</strong>führung in Das Serail<br />

Felix Berner7 beherrschte die Kunst, jene zu überzeugen, die ihm seine Gastspiele genehmigen<br />

oder finanzieren mussten – seien es nun Adelige oder Bürger, und das<br />

Publikum zu begeistern. Die Mitwirkenden der „jungen Schauspieler-Gesellschaft“<br />

waren im Alter zwischen 6 und 23 Jahren, wobei der Altersdurchschnitt im Laufe der<br />

Zeit anstieg. Das Repertoire unterschied sich nicht von den Angeboten der Gesellschaften<br />

mit erwachsenen Schauspielerinnen und Schauspielern: es umfasste Trauerspiele<br />

und Komödien, Singspiele, Opern, Pantomimen und Ballette. Ihre nahezu drei<br />

Jahrzehnte währende Reise führte Berners Gesellschaft von Österreich über Deutschland,<br />

Frankreich, die Schweiz, Italien, Slowenien, Kroatien, Ungarn, die Slowakei<br />

und Tschechien zurück nach Österreich (um heutige Bezeichnungen zu verwenden).<br />

Berner bot, wie zitiert, „Specktakeln“ und „was zum Vergnügen, Aufheiterung<br />

des Gemüths, und Unterhaltung dienen kan“, und am Ostermontag 1778 sogar noch<br />

mehr als in dieser Ankündigung versprochen. Das zeigt ein Theaterzettel, verteilt am<br />

Tag der Aufführung, der ein dreiteiliges Programm beschreibt, „von der unter Anleitung<br />

des Herrn Felix Berner K.K. Oesterreichischen allergnädigst privilegirten Directeur<br />

stehenden Gesellschaft junger Schauspieler, Tänzer und patomimischen Kinder<br />

aufgeführet“ (Abb. 3).<br />

Der Abend begann – so war es zumindest geplant – um 17 Uhr mit dem Lustspiel<br />

Die Wirthschafterinn, oder: Der Tambour bezahlt alles von Johann Gottlieb Stephanie<br />

dem Jüngern (1741–1800),8 der die Textfassung zu <strong>Mozart</strong>s 1782 uraufgeführtem Singspiel<br />

Die Entführung aus dem Serail beisteuern wird,9 den Abschluss bildete ein „neues<br />

Pantomimisches Ballet“ Die unschuldige Unterhaltung, oder: Die Freygebige Schäferin von<br />

Albert Morawek-Alberti (*1745), einem Schüler von Jean Georges Noverre (1727–<br />

7 Siehe Gertraude Dieke: Die Blütezeit des Kindertheaters. <strong>Ein</strong> Beitrag zur Theatergeschichte des 18. und<br />

beginnenden 19. Jahrhunderts. Emsdetten: Lechte, 1934 (= Die Schaubühne. Quellen und Forschungen<br />

zur Theatergeschichte 8). – Manfred Knedlik: „Kindertheater im 18. Jahrhundert: Felix Berner<br />

und seine ‚junge Schauspieler-Gesellschaft‘ in Regensburg und Amberg“, in: Verhandlungen<br />

des historischen Vereins <strong>für</strong> Oberpfalz und Regensburg 144 (2004), S. 195–202. – Gabriella-Nóra Tar:<br />

Deutschsprachiges Kindertheater in Ungarn im 18. Jahrhundert. Münster: LIT Verlag, 2012 (= Thalia<br />

Germanica 13). – Adolf Scherl und Bärbel Rudin: „Felix Berner“, in: Alena Jakubcová und<br />

Matthias J. Pernerstorfer (Hg.): Theater in Böhmen, Mähren und Schlesien. Von den Anfängen bis zum<br />

Ausgang des 18. Jahrhunderts. <strong>Ein</strong> Lexikon. Neu bearbeitete, deutschsprachige Ausgabe. Wien: Verlag<br />

der Österreichischen Akademie der Wissenschaften / Prag: Institut umění – Divadelní ústav,<br />

2013 (= Theatergeschichte Österreichs 10: Donaumonarchie 6), S. 47–49. – Sowie den Beitrag von<br />

Adeline Mueller: „‚Living Marionettes‘: The Berner Children’s Troupe and Its Performers“, in<br />

diesem Band S. 427–460.<br />

8 „Gottlieb Stephanie“, Wien Geschichte Wiki; https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Gottlieb_<br />

Stephanie (15. März 2024).<br />

9 Siehe den Beitrag von Reinhard Eisendle: „Das Unerwartete, hier wird’s Ereignis? Zur Dramaturgie<br />

von Joseph Frieberts Singspiel Das Serail im Kontext des zeitgenössischen Theaters“, in<br />

diesem Band S. 635–691.<br />

9


Matthias J. Pernerstorfer<br />

1810), welcher als Tänzer und Choreograph in Wien und Prag Karriere gemacht hatte<br />

und hier nun auch „sich selbsten im Tanzen alle Mühe geben wird, den Beyfall zu erhalten<br />

[…].“10<br />

Den Höhepunkt des Abends bildete „[e]ine ganz neue ernsthafte Oper in zweyen<br />

Aufzügen genannt: Das Serail. Oder Der Renegat“. Unter „Personen“ werden in hierarchischer<br />

Reihenfolge genannt:<br />

„Machmet Mustava, Großsultan.<br />

Der Renegat.<br />

Komaz.<br />

in Sklaverey.<br />

Zaide.<br />

<strong>Ein</strong>e Sklavin.<br />

Osmann, ein Sklavenhändler.<br />

Sultans Gefolge.<br />

Tänzer.<br />

<strong>Ein</strong> Türk.“<br />

Über den Ort der Handlung berichtet der Theaterzettel: „Im ersten Akt stellet das<br />

Theater einen prächtigen Garten vor, im zweyten das Serail. Nebst Gefängniß und<br />

Richtplatz.“ Zudem folgt die Nennung des Komponisten: „Die Musik ist von Herrn<br />

Friebert.“ Aufschlussreich ist die darauf folgende „Nachricht“, in der die Besonderheiten<br />

des Stückes betont werden:<br />

„Nachricht.<br />

Das Serail? – viel gesagt! – Entspricht’s aber auch der Erwartung? – der Ausschlag<br />

wird’s geben! – Es würde den Schein einer Ruhmrede gewinnen, wenn<br />

wir zu viel zum Lob dieser Operette sagen wollten. – Genug! es ist eine der<br />

vorzüglichsten! – die Karaktere gut, nach ihrer Situation mit Wärme, heisen<br />

Gefühl, ohne Schwulst, ganz in der Natur bearbeitet, der Innhalt so zerschieden,<br />

nicht immer ein verdrüßliches <strong>Ein</strong>erley, immer Neuheiten, die doch dem<br />

Ganzen zum Interesse werden. Kostüme, Verzierung der Bühne, Musik von<br />

größten Meistern verfertiget. – Ist noch was übrig, Aug, Herz, und Ohr zugleich<br />

zu reizen? – Ihr Gönner! kommt, seht’s mit an, ob wir uns zu viel von<br />

ihrer Wirkung versprochen.“<br />

10 Božena Brodská: „Albert Morawek-Alberti“, in: Jakubcová und Pernerstorfer: Theater in Böhmen,<br />

Mähren und Schlesien, S. 462–464.<br />

10


<strong>Ein</strong>führung in Das Serail<br />

Abb. 4: Theaterzettel zur Aufführung der Berner’schen Truppe in Erlangen am 22. April 1782.<br />

Erlangen, Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg 2 HIST (617 aa10)-1<br />

11


Matthias J. Pernerstorfer<br />

Abb. 5: Theaterzettel zur Aufführung der Berner’schen Truppe in Erlangen am 7. November 1782<br />

in Nürnberg. – Nürnberg, Stadtbibliothek im Bildungscampus Nor. 2. 1307(1782.15)<br />

12


<strong>Ein</strong>führung in Das Serail<br />

Auf einem undatierten Blatt mit dem Verzeichnis der von Berner gespielten Stücke<br />

wird Das Serail (bzw. eine entsprechende Titelvariante) nicht genannt,11 doch aus dem<br />

Jahr 1782 sind zwei weitere Theaterzettel erhalten. Sie kündigen das Stück unter dem<br />

neuen Titel Der Renegat, oder die unerwartete Großmuth an, <strong>für</strong> den 22. April in Erlangen<br />

(Abb. 4) und <strong>für</strong> den 7. November in Nürnberg (Abb. 5). Zusätzlich zur Erwähnung<br />

des Komponisten, der als „Hofrat und Musikdirektor in Passau“ bezeichnet wird, ist<br />

in der zitierten „Nachricht“ auch die Rollenbesetzung genannt.12<br />

Darüber hinaus gibt es bis dato keine weiteren Aufführungsbelege.<br />

Kritiken zu den Aufführungen oder Rezensionen von Libretto und Vertonung<br />

sind nicht bekannt – allemal war die Wirkung zumindest so einnehmend, dass man<br />

dieses Werk noch vier Jahre nach der Uraufführung in denselben Städten, Erlangen<br />

und Nürnberg, zumindest ein zweites Mal offerierte. Nach dem Jahr 1782 verliert sich<br />

allerdings jede Spur – beim Wiener Gastspiel Berners im Jahre 1786 findet sich das<br />

Werk nicht mehr im Repertoire der Berner’schen Truppe, das <strong>für</strong> Wien 31 Opern<br />

(nebst Schauspielen und Balletten) umfasste, davon ein Großteil Werke, welche die<br />

Truppe bereits in den 1770er Jahren aufgeführt hatte, wie ein von Ignaz Schwarz herausgegebenes<br />

Theater-Journal belegt.13<br />

Textdrucke<br />

Zum Text sind zwei Drucke erhalten. Das Libretto Das Serail. Oder: Die unvermutete<br />

Zusammenkunft in der Sclaverey zwischen Vater, Tochter und Sohn erschien 1779 in Bozen<br />

bei „Karl Joseph Weiß, Stadt= und Mercantil Buchdrucker“ (Abb. 6). Auf Seite 2 sind<br />

die „Agirende[n] Personen“ aufgelistet.<br />

„Der Sultan.<br />

Renegat.<br />

Comatz.<br />

Zaide.<br />

11 Verzeichniß, der Opern, Comoedien, Pantomimen und Ballets. S. l., s. n., s. a., unterzeichnet von „Felix<br />

Berner, Director der jungen Schauspielergesellschaft“ (Berlin, Staatsbibliothek, Yp 3463-4); verzeichnet<br />

in Paul S. Ulrich: Deutschsprachige Theater-Journale / German-Language Theater Journals<br />

(1772–1918). Bibliographie / Bibliography. Wien: Hollitzer Verlag, 2022 (= Topographie und Repertoire<br />

des Theaters / Topography and Repertoire of the Theater I), S. 3.<br />

12 Siehe Mueller: „Living Marionettes“, S. 423–456.<br />

13 [Ignaz Schwarz]: Abschieds=Rede des Souffleurs der Bernerischen jungen Schauspieler=Gesellschaft, samt<br />

einem Anhange aller deren Komödien, Operetten, Pantomimen, und Balleten, welche von Eröffnung des<br />

Theaters bis zum Beschluß desselben sind aufgeführet worden. Wien: s. n., 1787 (ÖNB, Sign. 248.597-<br />

A The; Ulrich: Deutschsprachige Theater-Journale I, S. 472).<br />

13


Matthias J. Pernerstorfer<br />

Abb. 6: Das Serail. Oder: Die unvermuthete Zusammenkunft in der Sclaverey<br />

zwischen Vater, Tochter und Sohn. Botzen: Weiß, 1779.<br />

Wien, Österreichische Nationalbibliothek 641.433-A.19,5<br />

14


<strong>Ein</strong>führung in Das Serail<br />

<strong>Ein</strong>e Sklavinn.<br />

Osman, ein Sclavenhändler.<br />

Das Gefolge des Sultans.<br />

Die Wache.“<br />

Es folgt der Hinweis: „Die Musik ist vom Herrn Joseph v. Friebert, Kapellmeister Sr.<br />

Eminenz des Cardinal und Fürst-Bischofen zu Passau“.<br />

Über den Fund dieses Librettos berichtete im Jahre 1936 Alfred <strong>Ein</strong>stein und<br />

knüpfte daran die Vermutung, der Text zu Frieberts Oper habe als literarische Vorlage<br />

<strong>für</strong> <strong>Mozart</strong>s Zaide gedient.14<br />

Vor gut 20 Jahren entdeckte Thomas Betzwieser einen undatierten Druck, der die<br />

Texte der Arien enthält: Arien welche gesungen werden in der Opera genannt Das Seraile,<br />

in zwey Aufzügen aufgeführt von den jungen Schauspielern unter der Direction des Herrn Felix<br />

Berner[.] Die Musik ist von Herrn Fribert (Abb. 7).15 Aufgrund von Berichten über die<br />

Tourneen von Berners Truppe (der erste erschien 1782) war bekannt, dass sein Repertoire<br />

auch Frieberts Das Serail umfasste.16<br />

14 Alfred <strong>Ein</strong>stein: „Die Text-Vorlage zu <strong>Mozart</strong>s ‚Zaide‘“, in: Acta Musicologica 8 (1936), S. 30–37;<br />

ein Faksimile des Librettos erschien in Wolfgang Amadeus <strong>Mozart</strong>. Kritische Berichte. Serie II. Werkgruppe<br />

5. Band 10: Zaide (Das Serail), hg. von Friedrich-Heinrich Neumann. Kassel, Basel, Paris,<br />

London: Bärenreiter 1963, S. 75–91, vgl. auch den Abschnitt „Zur Vorgeschichte der Zaide“,<br />

S. 11–26.<br />

15 Thomas Betzwieser: „,<strong>Ein</strong>e teutsche Oper ohne Titel größtentheils vollendet‘. Die Rätsel<br />

um <strong>Mozart</strong>s ‚Zaide‘“, in: Almanach der <strong>Mozart</strong>woche 2005, hg. von der Internationalen Stiftung<br />

<strong>Mozart</strong>eum. Salzburg: Internationale Stiftung <strong>Mozart</strong>eum, 2005, S. 194–203. – Ders.: „Auf der<br />

Suche nach der verlorenen ‚Zaide‘: die Probleme mit <strong>Mozart</strong>s Opernfragment“, in: Österreichische<br />

Musikzeitschrift 61/5 (2006), S. 16–24. – Ders.: „<strong>Mozart</strong>s Zaide und Das Serail von Friebert: Genese<br />

und Datierung von <strong>Mozart</strong>s Singspiel im Licht neuer Quellen“, in: Der junge <strong>Mozart</strong>. Symposium<br />

der Internationalen Stiftung <strong>Mozart</strong>eum Salzburg 2005, hg. von Henning Bey und Johanna Senigl.<br />

Kassel 2008 (= <strong>Mozart</strong>-Jahrbuch 2006), S. 279–296; ein Reprint des Ariendrucks findet sich<br />

S. 294–296.<br />

16 Diese Berichte wurden von Franz Xaver Garnier verfasst:<br />

Nachricht von der Bernerischen jungen Schauspieler Gesellschaft, von der Aufnahme und dem Zuwachse derselben,<br />

mit einigen Anhängen, und 24. am Ende beigefügten Silhouttes [!] mit Verwilligung und Beytrag des<br />

Herrn Berners zusammengetragen von M.I.R. <strong>Ein</strong>em Zögling derselben, im Jahre 1782. [Erlangen]: s. n.,<br />

1782 (ÖNB, Sign. 622529-B The; Wienbibliothek, Sign. A-109.676 u. a.).<br />

Nachricht von der Bernerischen Schauspieler Gesellschaft. Zusammengetragen von einem Zöglinge desselben.<br />

Bozen: s. n., 1784 (nach dem handschriftlichen Titelblatt des unikat erhaltenen Exemplars der<br />

ÖNB, Sign. 624.810-B).<br />

Garnier: Nachricht von der im Jahre 1758 von Herrn Felix Berner errichteten jungen Schauspieler-Gesellschaft<br />

[…]. 1786 (ÖNB, Sign. *28.M.102; Wienbibliothek, Sign. 12861-A u. a.).<br />

Ulrich: Deutschsprachige Theater-Journale I, S. 49, 167, 472.<br />

15


Matthias J. Pernerstorfer<br />

Abb. 7: Arien welche gesungen werden in der Opera genannt Das Seraile, in zwey<br />

Aufzügen aufgeführt von den jungen Schauspielern unter der Direction des Herrn Felix<br />

Berner[.] Die Musik ist von Herrn Fribert. Arienheft, [Nuremberg]: s. n., [1778].<br />

Darmstadt, Universitäts- und Landesbibliothek 41/1259<br />

16


<strong>Ein</strong>führung in Das Serail<br />

Unter Berücksichtigung des Bozener Librettos, das auffälligerweise keinen Bezug zu<br />

einer Aufführungsserie respektive zu einer Theatertruppe herstellt, konnte Betzwieser<br />

nachweisen, dass Berners Ariendruck all jene Arien bot, die auch im Bozener Textbuch<br />

aufscheinen, wenngleich die Texte in etlichen Details voneinander abweichen.<br />

In Anbetracht der oben genannten Aufführungen und Theaterzettel wurde das Heftchen<br />

höchstwahrscheinlich <strong>für</strong> die Aufführungen in Nürnberg und Erlangen 1778 /<br />

1782 gedruckt. Es enthält die Texte der Musiknummern (10 Arien, 4 Duette, 2 Terzette,<br />

1 Recitativo accompagnato und der Schlusschor), aber keine weiteren Angaben.<br />

In welchem Verhältnis der von der Berner’schen Truppe gesprochene Text zum<br />

Bozener Libretto stand, lässt sich nicht bestimmen. Der Impresario sah sich in den<br />

späten 1770er Jahren noch nicht mit einer Theatralzensur konfrontiert, die von ihm<br />

verlangt hätte, zuvor begutachtete Texte im genehmigten Wortlaut auf die Bühne zu<br />

bringen.17 Zudem ist von ihm nicht bekannt, dass er einen Beitrag zur Hebung der<br />

Dichtkunst leisten wollte und deshalb eine möglichst getreue Umsetzung der Dramentexte<br />

auf der Bühne gefördert hätte. Dazu passt, dass zahlreiche Arienhefte erhalten<br />

sind, jedoch kein vollständiges Libretto.18<br />

Inhalt19<br />

Die Kostüme spielen im 18. Jahrhundert <strong>für</strong> die Inszenierung des Orientalischen eine<br />

zentrale Rolle.20 Sie werden in der zitierten Nachricht als von einem großen Meister<br />

verfertigt angepriesen, doch lassen sie sich nicht rekonstruieren. Die „Verzierung der<br />

17 Siehe Reinhard Eisendle: Der einsame Zensor. Zur staatlichen Kontrolle des Theaters unter Maria<br />

Theresia und Joseph II. Wien: Hollitzer Verlag, 2020 (= Specula Spectacula 8), S. 27–177.<br />

18 Tar: Deutschsprachiges Kindertheater in Ungarn, S. 206–209. Zum komplexen Verhältnis von handschriftlichen<br />

oder gedruckten Arienheften / -sammlungen, Manuskripten und Librettodrucken<br />

anhand eines konkreten Beispiels siehe Matthias J. Pernerstorfer: „Editions and Cultural Translations.<br />

Der 30-jährige ABC-Schütz in German Speaking Lands“, in: Translation. Narration, Media and<br />

the Staging of Differences, hg. von Federico Italiano und Michael Rössner. Bielefeld: Transcript,<br />

2012, S. 121–142.<br />

19 Zur bis in die Antike zurückreichenden Stofftradition siehe Cesare Questa: Il ratto dal serraglio.<br />

Euripide, Plauto, <strong>Mozart</strong>, Rossini. Urbino: QuattroVenti, 1997 (= Letteratura e antropologia 6),<br />

sowie die Beiträge von Hans-Peter Kellner: „Floire et Blancheflor. Zur Frühgeschichte der Entführungsgeschichten<br />

aus dem Serail“, S. 503–528, und ders.: „E³ – <strong>Ein</strong>e dramaturgische Betrachtung<br />

der Entführungsgeschichte(n)“, S. 593–634; Martin Nedbal: „Censoring the Harem: ‚Handkerchief‘<br />

Moments in Eighteenth-Century Viennese Türkenopern“, S. 529–547, sowie Reinhard<br />

Eisendle: „Das Unerwartete, hier wird’s Ereignis?“, S. 635–691 in diesem Band.<br />

20 Siehe den Beitrag von Marion Linhardt: „Männer- und Frauenkostüme in Aufführungen von<br />

Serail-Stücken im deutschsprachigen Raum um 1780“, in diesem Band, S. 471–500, und dies.:<br />

Stereotyp und Imagination. Das ‚türkische‘ Bühnenkostüm im europäischen Theater vom Barock bis zum<br />

frühen Historismus. Wien: Hollitzer Verlag, 2021 (= Ottomania 12).<br />

17


Matthias J. Pernerstorfer<br />

Bühne“ ist im ersten Akt eine bukolisch-idyllische. Wir befinden uns im Serail des<br />

Sultans, in einem wunderbaren Garten, in dem der Gärtner schläft. Offenbar ist er<br />

hübsch – und seine zarten Hände weisen nicht nur auf seine europäische Herkunft<br />

hin, sondern auch darauf, dass er nicht allzu viel zu arbeiten hat (darin unterscheidet<br />

er sich von den Gärtnern, die <strong>für</strong> die Instandhaltung der Parkanlagen der europäischen<br />

– aber gewiss auch der realen orientalischen – Residenzen verantwortlich waren).<br />

Es handelt sich um einen Sklaven, dem man in dieser Szenerie seinen Stand kaum<br />

ansieht.<br />

Zu ihm, Comatz, tritt die Favorit-Sklavin des Sultans, Zaide, hinzu, die seit Längerem<br />

in ihn verliebt ist. Sie legt dem Jüngling, eine „Aria“ (Nr. 1) singend, einen<br />

Beutel mit Gold und ihr Portrait in den Schoß und beobachtet die Reaktion des Erwachenden.<br />

Das Bild betrachtend entflammt Comatz in Liebe („Meine Ruhe, meine<br />

Zufriedenheit und die Glückseligkeit meines ganzen Lebens“, wird er Zaide gegenüber<br />

sagen, liege „an diesem Portrait“), das Portrait soll ihm, wie er in einer „Aria“<br />

(Nr. 2) singt, helfen, die Last der Gefangenschaft leichter zu tragen. Zaide tritt erneut<br />

in den Vordergrund, nimmt ihm das Portrait weg und bezichtigt ihn des Diebstahls.<br />

Daraufhin wirft er sich der Anklagenden – offenbar ohne ihr Gesicht gesehen zu<br />

haben – vor die Füße und bittet um Verzeihung. Auf sein Seufzen und Weinen reagiert<br />

Zaide mit den Worten: „ich versichere dich meiner Gnade.“ Sie überlässt Comatz<br />

nicht nur das Portrait, sondern gibt sich als Schenkerin und Original zu erkennen. Die<br />

gegenseitige Freude dieser Begegnung wird in einer „Aria in zweyen“ (Nr. 3) zum<br />

Ausdruck gebracht.<br />

Nachdem Zaide abgegangen ist, tritt der Renegat – wie sich am Ende des Stücks<br />

herausstellen wird, der Vater der beiden – auf, der die Aufsicht über die Frauen des<br />

Sultans hat und damit die Verpflichtung, Übertretungen zu ahnden. Er hat Befehl,<br />

„einen jedweden, der in dergleichen Verbrechen angetroffen wird, gleich niederzusäbeln.“<br />

Comatz kann jedoch mit Argumenten und Bitten sein Herz erweichen – „erbarme<br />

dich über mich“ –, nicht zuletzt deshalb, da die beiden (Renegat und Comatz)<br />

bislang einander stets in Achtung begegnet sind. So sieht der Renegat davon ab, die<br />

vorgeschriebene tödliche Bestrafung vorzunehmen, ja sagt sogar seine Beihilfe zur<br />

Flucht zu – und gerät dadurch, nach dem Abgang des Comatz, in einen Gewissenskonflikt:<br />

„O! wie weit weiche ich von meiner Pflicht, und in welch Verderben lasse ich<br />

mich durch diesen Sclaven führen?“ Gleichzeitig wächst in ihm der Gedanke, vielleicht<br />

auch selbst die Flucht wagen zu können.<br />

Als Zaide und Comatz erneut auftreten, stellt der Renegat die beiden auf die Probe<br />

und mimt mit Verweis auf die Gefahr, in die er sich begeben würde, den Strengen,<br />

um die beiden letztlich doch seiner Hilfe zu versichern (Terzett Nr. 4).<br />

Nachdem das fluchtbereite Paar abgegangen ist, tritt der Sklavenhändler Osman<br />

auf und berichtet von einer besonders hübschen Sklavin, was den Renegaten auf<br />

18


<strong>Ein</strong>führung in Das Serail<br />

die Idee bringt, den Sultan mit einer potenziellen neuen Favoritin zu besänftigen.<br />

Osman geht ab, um sie zu holen, und kehrt mit einer verschleierten und zwar kostspieligen,<br />

doch, wie sich zeigt, besonders hübschen Sklavin aus dem Landl, d. h. dem<br />

oberösterreichischen Kerngebiet, zurück. Zum Erweis ihrer Kunstfertigkeit singt<br />

sie eine „Hirten=Aria“ (Nr. 5). Dies ist in der Anlage raffiniert: <strong>Ein</strong> Hirtenlied zu singen,<br />

passt einerseits recht gut zur Landlerin, andererseits ist die bukolische Dichtung<br />

seit Virgil in Arkadien angesiedelt, das im 18. Jahrhundert Teil des Osmanischen<br />

Reiches war. Wovon singt sie also? Von den realen Schäfern der Heimat wohl kaum,<br />

von den idealisierten Schäfern einer idealisierten Heimat eventuell – oder doch von<br />

einem wie Comatz, der anfangs als Gärtner im Serail schläft? Trotz hoher Kosten und<br />

harter Verhandlung erwirbt der Renegat die Sklavin, von der er selbst auch sehr begeistert<br />

ist.<br />

In „muselmännische Kleider“ gehüllt, die ihnen der Renegat bei einem Kaufmann<br />

organisiert hat, treten Zaide und Comatz erneut auf, singen ein Duett (Nr. 6) und verabschieden<br />

sich nach einem kurzen Wortwechsel vom Renegaten in einem Terzett in<br />

freudiger Erwartung und mit der Bitte um himmlischen Beistand (Nr. 7). Damit endet<br />

der erste Akt.<br />

Im zweiten Akt schwenkt mit dem Auftritt des Sultans samt Gefolge der Blick<br />

vom paradiesischen Serail hin ins Zentrum der Macht. Alle Tagesereignisse scheinen<br />

höchst erfreulich <strong>für</strong> den Herrscher, nur seine Favoritin fehlt zur Vollendung des<br />

Glücks. Der Renegat soll sie holen, doch er kommt alleine zurück, versehen mit der<br />

Nachricht, dass sowohl Comatz als auch Zaide entflohen sind. Die Ausführung des<br />

Befehls, die Flüchtigen „niedersäbeln“ zu lassen, wird in Aussicht gestellt, davor aber<br />

wird der Sultan durch die Ankündigung der neuen Sklavin beschwichtigt. Durch ihr<br />

„Quodlibet“ (Nr. 1), das unterschiedliche literarische Werke zitiert,21 stellt sie den<br />

Herrscher zufrieden – und geht offenbar mit ihm in seine Gemächer ab. In diesem<br />

Moment beschließt der Renegat, ebenfalls zu fliehen.<br />

Nach seiner Arie (Nr. 2) tritt zu ihm die Landlerin und schimpft über den schon<br />

eingeschlafenen Sultan („ein besoffener Limmel“), was eventuell weniger über den<br />

Sultan selbst als über ihren Ärger über ihn aussagt. In solcher Stimmung trifft sie auf<br />

den Renegaten, der ihr „das schönste Zimmer im Serail“ verspricht und sich – zumindest<br />

was ihre Vorgeschichte betrifft – <strong>für</strong> sie interessiert. In ihrer kecken Art reizt sie<br />

den Renegaten und fordert ihn auf, „führ mich schlafen“. Sie gefällt ihm offenbar: „du<br />

hast Lust mit mir zu scherzen, wie ich sehe; allein ich halt es dir und deiner Schönheit<br />

zu gut, nun folge mir.“ Nach einer weiteren Arie (Nr. 3) folgt sie ihm in das Gemach,<br />

das er ihr zugedacht hat.<br />

21 Siehe den Beitrag von Christian Neuhuber: „‚I bin halt ä Mädl wie ä Rädl‘: Anmerkungen zur<br />

Figur der ‚Sclavinn‘ in Joseph Frieberts Das Serail“, in diesem Band S. 383–399.<br />

19


Matthias J. Pernerstorfer<br />

Während der Renegat die Sklavin off-stage versorgt und anschließend flieht, haben sich<br />

Comatz und Zaide außerhalb des Palastes, in freier Natur, verloren. Um die vergangene<br />

Zeit dramaturgisch zu überbrücken, werden drei Szenen eingeschoben, die im<br />

Kern ursprünglich durchaus <strong>für</strong> ein anderes Stück verfasst worden sein könnten:22<br />

Comatz hat Zaide an einem Platz zurückgelassen und findet sie, als er wieder zurückkehrt,<br />

nicht vor. Sitzend und voll der Klage singt er – er ist bzw. fühlt sich von Felsen<br />

umgeben – eine Arie mit Echo-Effekt (Nr. 4.),23 doch nimmt er die Zusprache des<br />

Echos nicht wahr:<br />

„Ist sie hier? = =<br />

Echo. = = hier.<br />

Ist sie da? = =<br />

Echo. = = ja.“<br />

Comatz ab. Zaide, die vermeint, seine Stimme gehört zu haben, kehrt an diesen Ort<br />

zurück in der Absicht, auf ihn zu warten. Als sie den erneut nahenden Comatz endlich<br />

erblickt, verbirgt sie sich aber, um „das weitere [zu] vernehmen“. Das nun folgende<br />

22 In diesem Szenenkomplex wird besonders deutlich, dass das alttestamentarische Hohelied Salomonis<br />

als Subtext des Librettos zu verstehen ist, vergleichbar zahlreichen, durch mystische Spiritualität<br />

gekennzeichneten Oratorien des 18. Jahrhunderts. Zur Szenerie der ersten Szenen cf. Cant. 6,2<br />

(Mein Geliebter ging in seinen Garten hinab / zu den Balsambeeten, um in den Gärten zu<br />

weiden, / um Lilien zu pflücken), zum Geschenk der Zaide, d. i. die Schwester des Comatz, cf.<br />

Cant. 4,9 (Verzaubert hast du mich, / meine Schwester Braut; Verzaubert mit einem Blick deiner<br />

Augen, / mit einer Perle deiner Halskette), zur Flucht der Favoritin des Sultans cf. Cant 1,4 (Zieh<br />

mich her hinter dir! Lass uns eilen! / Der König führt mich in seine Gemächer), zum Suchen und<br />

Finden cf. Cant 3,1–2 (Des Nachts auf meinem Lager suchte ich ihn, / den meine Seele liebt. / Ich<br />

suchte ihn und fand ihn nicht. Aufstehen will ich, die Stadt durchstreifen, / die Gassen und Plätze,<br />

ihn suchen, den meine Seele liebt. Ich suchte ihn und fand ihn nicht), zu Ruf und Antwort cf.<br />

Cant. 5,6 (mein Geliebter war weg, verschwunden. […] Ich suchte ihn und fand ihn nicht. / Ich<br />

rief ihn und er antwortete nicht), zur Gefangennahme der mit einen Mantel verkleideten Zaide<br />

cf. Cant. 5,7 (Da fanden mich die Wächter bei ihrer Runde durch die Stadt; / sie schlugen, sie verletzten<br />

mich. Meinen Mantel entrissen sie mir, / die Wächter der Mauern), zur Liebe zwischen<br />

Geschwistern cf. Cant. 8,1 (Ach, wärst du doch mein Bruder, / genährt an den Brüsten meiner<br />

Mutter. Träfe ich dich draußen, / ich würde dich küssen / und niemand dürfte mich deshalb verachten).<br />

Das Hohelied Salomonis wird hier in einer Weise zitiert, wie dies dem Autor nicht beiläufig<br />

„passiert“ sein kann. Vielmehr vermute ich, dass sich dahinter eine bislang nicht identifizierte<br />

Vorlage verbirgt – zu den Quellen <strong>für</strong> Das Serail siehe unten.<br />

23 Zum Echo-Effekt siehe Walter Kurt Kreyszig: „Joseph Frieberts ,teutsche Operette‘ Das Serail<br />

(1778). Zu den musikbezogenen Anmerkungen und Marginalien in der handschriftlichen Überlieferung“,<br />

in diesem Band S. 243–314, ad Abb. 8a–c, S. 265.<br />

20


<strong>Ein</strong>führung in Das Serail<br />

Duett (Nr. 5) beginnt mit des Geliebten Verzweiflung, in der er sich erdolchen will,<br />

aber von der endlich eingreifenden Zaide abgehalten wird – beide bekräftigen, die<br />

Flucht rasch fortsetzen zu wollen.<br />

Mit diesem <strong>Ein</strong>schub ist unter dem Gesichtspunkt der Chronologie der poetischen<br />

Wahrscheinlichkeit Rechnung getragen. Der Sultan tritt mit Gefolge auf und ist bereits<br />

über die Flucht und die soeben erfolgte Gefangennahme des Renegaten in Kenntnis<br />

gesetzt. <strong>Ein</strong> Brief des Kaufmanns, von dem die „muselmännischen Kleider“ stammen,<br />

deckt die Verbindung zwischen Renegat sowie Zaide und Comatz und deren<br />

gemeinsamen Verrat am Sultan auf, ein Verbrechen, auf das die Todesstrafe steht. Der<br />

Renegat ist bereit, Verantwortung <strong>für</strong> seine Tat zu übernehmen und zu sterben, doch<br />

als er erfährt, dass auch Zaide und Comatz gefangen sind, macht er sich nach dem Abgang<br />

des Sultans in einer Arie (Nr. 6) – einer Art innerer Monolog, eine Oratorien-<br />

Übersetzung von Johann Christoph Gottsched (1700–1766) aus den frühen 1750er Jahren<br />

zitierend (siehe unten) – seine Schuld bewusst. Dann wird er von den Wachen<br />

abgeführt.<br />

Zaide und Comatz treten auf, singen ein Duett (Nr. 7). Es folgen der Sultan und<br />

der Renegat, womit die Auflösung hin zum lieto fine beginnt: Der Renegat wird als<br />

eben jener Admiral erkannt, der 15 Jahre zuvor dem Sultan das Leben gerettet hat,<br />

woraufhin dem Renegaten die Fesseln gelöst werden und ihn der Herrscher als Freund<br />

umarmt. In dieser erneuerten Vertrauensposition hat der Renegat die Möglichkeit,<br />

beim Sultan <strong>für</strong> die beiden Entflohenen zum Fürsprecher zu werden, was in Zaide<br />

Hoffnung weckt (Nr. 8). Dennoch scheint die Verurteilung zum Tode trotz der<br />

Fürsprachen des Renegaten unabweisbar, was Comatz in einer Arie (Nr. 9) zum<br />

Ausdruck bringt. Im Zuge der Verabschiedung des todgeweihten Liebespaares vom<br />

Renegaten stellt sich heraus, dass der Renegat Fürst Rothschiero und die beiden seine<br />

Kinder Ellissinte und Emilio sind. Bewegt vom Freudentaumel der Wiedererkennung<br />

schenkt der Sultan allen dreien die Freiheit, verspricht ihnen sicheres Geleit und dem<br />

Renegaten eine angemessene Kompensation <strong>für</strong> „den erlittenen Verlust […], den du<br />

in deiner Sclaverey ertragen hast.“ Im Schluss-Chor loben alle gemeinsam „Großmuth<br />

und Tugend“ als hervorragende Eigenschaften eines Fürsten, der damit selbst das<br />

Wohlwollen der Götter erwirkt, ja wodurch Fürsten „den Göttern gleich werden“<br />

können – „in allen Theilen der Welt“.24<br />

24 Zur Kontextualisierung der Dramaturgie des Stückes siehe Reinhard Eisendle: „Das Unerwartete,<br />

hier wird’s Ereignis?“, S. 631–687; zur Frage des Schlusschores siehe Kreyszig: „Zu den musikbezogenen<br />

Anmerkungen und Marginalien“, ad Abb. 13, S. 275 f.<br />

21


Matthias J. Pernerstorfer<br />

Der Librettist<br />

Der Textautor des Serails lässt sich nicht eindeutig identifizieren: Die in den Jahren<br />

1782, 1784 und 1786 erschienenen Nachrichten von der Bernerschen Schauspieler Gesellschaft,<br />

die eine Reisechronik seit Gründung der Truppe, ein Verzeichnis des Repertoires<br />

sowie zahlreiche Stiche und Silhouetten des Personals enthalten, bieten widersprüchliche<br />

Angaben.<br />

In der ersten (Erlangen, 1782) und zweiten (Bozen, 1784) Ausgabe der Nachricht<br />

wird Friedrich Justin Bertuch (1747–1822) als Autor angegeben.25 In der dritten Ausgabe<br />

(Wien, 1786) wird dies revidiert: „Das Seraile, v[om] H[er]rn Sebastiani, Musik<br />

vom Herrn Fribert“.26<br />

Bertuch war später der berühmte Weimarer Verleger und Herausgeber des Journal<br />

des Luxus und der Moden (1786–1827), das als erste Bildzeitschrift in Europa gilt. In seiner<br />

Zeitschrift veröffentlichte Bertuch unter anderem mehrere Kritiken zu Aufführungen<br />

von <strong>Mozart</strong>s Die Entführung aus dem Serail, aber auch Artikel über „Das Serail<br />

zu Konstantinopel. <strong>Ein</strong>e Skizze“27 im Jahr 1809 oder im Jahr 1812 „Der Harem des<br />

Großherrn zu Constantinopel“,28 wo die Abenteuer des Malers und Architekten<br />

Antoine Ignace Melling (1763–1831), der Schriftstellerin Lady Mary Wortley Montagu<br />

(1689–1762) und anderer erzählt werden. Bertuch erwähnt jedoch weder Friebert noch<br />

Sebastiani oder Berner.<br />

Franz Joseph Sebastiani (1722–1772),29 Schauspieler und Impresario, führte 1765 im<br />

Mainzer Gasthof „Römischer König“ deutsche Operetten auf, wie im Theater-Journal<br />

<strong>für</strong> Deutschland vom Jahre 1777 zu lesen ist, darunter auch ein Singspiel mit dem Titel<br />

„das Serail“,30 was zur vorschnellen Annahme führte, dabei habe es sich um Frieberts<br />

25 Garnier: Nachricht, 1782, S. 31; 1784, S. 31. Die folgenden Informationen zu Bertuch und Das<br />

Serail sind entnommen aus Hüttler: „Joseph Friebert’s Singspiel Das Serail (c.1778)“, S. 125.<br />

26 Garnier: Nachricht, 1782, S. 35. Über die diesbezüglichen Drucke der Berner’schen Gesellschaft<br />

hinausgehend findet das Singspiel Das Serail in keinem bislang bekannten Druck des 18. Jahrhunderts<br />

(wie Theateralmanachen und Theatergeschichten) oder sonstigen Manuskripten Erwähnung.<br />

27 Friedrich Justin Bertuch und Joseph Eugène Calmet de Beauvoisin: „Das Serail zu Konstantinopel.<br />

<strong>Ein</strong>e Skizze“, in: Journal des Luxus und der Moden (Dezember 1809), S. 755–762.<br />

28 Al Gasa-Kis [= Friedrich Justin Bertuch]: „Der Harem des Großherrn zu Constantinopel“, in:<br />

Journal des Luxus und der Moden (Juli 1812), S. 429–449.<br />

29 Siehe Scherl und Rudin: „Felix Berner“, S. 621–624, wo u. a. die Lebensdaten Sebastianis korrigiert<br />

werden, und den Beitrag von Bärbel Rudin: „‚Und wanns pascht, so bleibts dabey‘: Joseph<br />

Frieberts Serail im theaterhistorischen Fadenkreuz“, in diesem Band S. 461–470.<br />

30 [Anonym]: „Geschichte der Maynzer Bühne“, in: Theater-Journal <strong>für</strong> Deutschland (1777), 1. Stück,<br />

S. 61–73, hier S. 67.<br />

22


<strong>Ein</strong>führung in Das Serail<br />

Oper gehandelt.31 In seiner Chronologie des deutschen Theaters (Leipzig 1775) kritisierte<br />

Christian Heinrich Schmid (1746–1800) Sebastiani und seine Aufführungen. Er nannte<br />

ihn „einen Mann von gar keiner Erziehung“, der sein Geld mit Kinder pantomimen<br />

verdiene und in Straßburg, Mannheim und Mainz „schlechte Übersetzungen, noch<br />

schlechtere Originale und Opern aus dem italienischen“ aufführe. Im Theater-Journal<br />

von 1777 wird indes Sebastianis Rolle zur Etablierung eines deutschen Singspiels gewürdigt.<br />

Als Theaterdichter ist Sebastiani ein ziemlich unbeschriebenes Blatt. Er gibt zwar<br />

1764 eine Sammlung neuer Schauspiele so wie sie auf dem Sebastianischen Schauplatz aufgeführet<br />

worden als 149. Theil der Deutschen Schaubühne heraus,32 doch als Autor wird er<br />

über die genannte Serail-Zuschreibung hinaus nur mit einem einzigen Theaterstück in<br />

Verbindung gebracht: dem Schauspiel Die Stärke der väterlichen Liebe (Mannheim<br />

1769).33 Im Theater=Kalender auf das Jahr 1785 erscheint ein kurzer Beitrag zum Komponisten<br />

„Fribert“, in dem zwar Das Serail nicht genannt wird, doch verzeichnet ist, der<br />

Komponist habe zwei namentlich nicht genannte Singspiele Sebastianis vertont.34<br />

Es lag also nahe, an Sebastiani als Autor zu denken, wenn der 1782 und 1784 genannte<br />

Bertuch nicht mehr in Frage kam. Was diese Verwerfung Bertuchs als Autor<br />

betrifft, schreibt Bärbel Rudin: „Vermutlich hatten dessen [d. h. Bertuchs] überregionales<br />

journalistisches Netzwerk und der große Abonnentenkreis seiner Allgemeinen<br />

Literatur-Zeitung (seit 1785) die Korrektur erzwungen. Der eindeutig behelfsweise<br />

31 Walter Senn: „<strong>Mozart</strong>s Zaide und der Verfasser der vermutlichen Textvorlage“, in: Festschrift<br />

Alfred Orel zum 70. Geburtstag überreicht von Kollegen, Freunden und Schülern, hg. von Hellmut<br />

Federhofer. Wien: Rudolf M. Rohrer, 1960, S. 173–186, hier S. 180 ff., und Friedrich-Heinrich<br />

Neumann: „Zur Vorgeschichte der Zaide“, in: <strong>Mozart</strong>-Jahrbuch 1962/1963, hg. von Géza Rech.<br />

Salzburg: Internationale Stiftung <strong>Mozart</strong>eum, 1964, S. 216–247, hier: S. 240–243. Siehe auch<br />

Robert N. Freeman: „Friebert“, in: The New Grove Dictionary of Opera, Bd. 2, hg. von Stanley<br />

Sadie. London: Macmillan, 1992, Reprinted with corrections 1994, 1996, 1997, S. 304. – Reinhart<br />

Meyer: Bibliographia dramatica et dramaticorum. Kommentierte Bibliographie der im ehemaligen deutschen<br />

Reichsgebiet gedruckten und gespielten Dramen des 18. Jahrhunderts nebst deren Bearbeitungen und Übersetzungen<br />

und ihrer Rezeption bis in die Gegenwart. 2. Abteilung: <strong>Ein</strong>zeltitel. Band 27: 1778–1780.<br />

Tübingen: Max Niemeyer Verlag, 2007, S. 309.<br />

32 Sammlung neuer Schauspiele so wie sie auf dem Sebastianischen Schauplatz aufgeführet worden. Erster<br />

Band. Augsburg, in Verlag bey Eberhard Kletts sel. Wittib, 1764. Neben der Matrone von Ephesus<br />

von Weiße enthielt der Band Übersetzungen aus dem Italienischen und Französischen.<br />

33 Die Stärke der väterlichen Liebe. <strong>Ein</strong> Schauspiel in drey Handlungen. Mannheim in der Chur<strong>für</strong>stlichen<br />

Hofbuchhandlung 1769. Sebastiani wird zwar nicht ausdrücklich als Autor genannt, doch unterzeichnet<br />

er die Widmung.<br />

34 Theater=Kalender, auf das Jahr 1785. Gotha, bey Carl Wilhelm Ettinger, S. 149. Paul S. Ulrich:<br />

Deutschsprachige Theater-Almanache / German-Language Theater Almanacs (1772–1918). Bibliographie /<br />

Bibliography. Wien: Hollitzer Verlag, 2023 (= Topographie und Repertoire des Theaters / Topography<br />

and Repertoire of the Theater IV), S. 31–33.<br />

23


Matthias J. Pernerstorfer<br />

Ersatz lässt den Schluss zu, Berner habe in Erinnerung an Sebastianis Serail-Produktion,<br />

die ihm 1765 mindestens vom Hörensagen zur Kenntnis gelangt war, diese Notlösung<br />

ergriffen.“35<br />

Die Frage der Autorschaft bleibt also offen – klar ist auf jeden Fall, dass der Autor<br />

(bzw. Bearbeiter) ältere Vorlagen verwendet, die stoffgeschichtlich verwandt sein<br />

konnten, aber nicht unbedingt mussten. Für drei Texte der Musiknummern lassen<br />

sich bislang Vorlagen nachweisen, die aus Kontexten stammen, die mit der Welt des<br />

Serails nichts zu tun haben – dies betrifft die ersten zwei Arien der Sklavin sowie die<br />

zweite Arie des Renegaten.<br />

1. Die älteste Textquelle konnte <strong>für</strong> die zweite Musiknummer der Sklavin, das<br />

Quodlibet „O Himmel! O Erde!“ (II/3), identifiziert werden. Dieses nimmt textliche<br />

Anleihen an der Poesie des Benediktinerpaters Johann Valentin Rathgeber (1682–1750)<br />

im 1733 erschienenen ersten Heft der Sammlung Ohren-vergnügendes und Gemüthergötzendes<br />

Tafel-Confect.36<br />

2. Chronologisch folgt die Textquelle <strong>für</strong> die erste Nummer der Sklavin: die<br />

bereits genannte Hirten-Aria „Muntre Schäfer! Scherzt und lacht“ (I/4). Es handelt<br />

sich um die Belustigungen des Verstandes und des Witzes, deren erste Edition in Leipzig<br />

1742 erschienen ist.37 Was die dritte Arie der „Landlerin“ betrifft, so konnte bislang<br />

keine literarische Vorlage gefunden werden, doch es ist nicht unwahrscheinlich, dass<br />

eine solche auch da<strong>für</strong> existiert.<br />

3. Die zweite Arie des Renegaten (II/10) hat ebenfalls eine literarische Vorlage:<br />

Ariendruck, 1778, S. 6 f. Libretto, 1779, S. 25<br />

„Schmach und Reue durchdringt die Seele<br />

Ach daß sie mich ganz und gar entseele<br />

Und in dem betrübten Stande<br />

Fühlt mein Herze Reu und Schande<br />

Ich will zu des Henkers Stricken<br />

Mich gedultig schicken.<br />

„Schmach und Reu durchdringt die Seele,<br />

Weil ich mich nun gräm und quäle,<br />

Und in dem betrübten Stande<br />

Fühlt mein Herze Reu und Schande.<br />

Ich will zu des Henkers Stricken<br />

Mich nun ganz geduldig bücken;<br />

35 Rudin: „Und wanns pascht, so bleibts dabey“, S. 461.<br />

36 Betreffend die Verse „Und alleweil á weni lusti, á weni trauri, á weni Geld im Sack á weni<br />

Schnopftaback, Und alleweil á so, Und alleweil á so, sososo, so.“ (Serail II/3) (https://www.<br />

deutschland-lese.de/streifzuege/lieder/freiheitslieder/alleweil-ein-wenig-lustig/) sowie zu den<br />

Versen „I bin halt ä Mädl, wie ä Rädl“ siehe den Beitrag von Christian Neuhuber in diesem Band,<br />

S. 383–399, und Neumann: Zaide (Das Serail), S. 74, mit weiteren Hinweisen auf mögliche<br />

Quellen.<br />

37 Belustigungen des Verstandes und des Witzes, Aus dem Jahre 1742. Heumonat. Zweyte Auflage 1744.<br />

Leipzig, Verlegts Bernhard Christoph Breitkopf.<br />

24


<strong>Ein</strong>führung in Das Serail<br />

Mich von selben zu befreyen<br />

Wird mir ohnmöglich seyn.<br />

Wird mir ohnmöglich seyn.“<br />

Denn von selben zu befreyn,<br />

Wird mir wohl unmöglich seyn.“<br />

Der Referenztext gehört – wie Reinhard Eisendle herausgefunden hat – in den religiösen<br />

Bereich. Das italienische Original La Conversione di Sant’Agostino stammt aus<br />

der Feder von Maria Antonia, Kur<strong>für</strong>stin von Sachsen und Mitglied der Arcadia<br />

(„Walpurgis“, 1724–1780). Das Werk wurde in einer Vertonung von Johann Adolph<br />

Hasse (1699–1783) am Karsamstag 1750 vor dem Heiligen Grab in der Dresdener Hofkapelle<br />

und bis in die 1780er Jahre etwa in Mannheim, Warschau, Prag und Innsbruck<br />

aufgeführt sowie u. a. von Johann Christoph Gottsched ins Deutsche übersetzt.38 Bei<br />

dem Theaterreformer lautet diese Passage:<br />

„Reu und Leid durchdringt die Seele,<br />

Gleichwohl liebt das Herz die Schande:<br />

Und in dem betrübten Stande<br />

Weis ich weder aus, noch ein!<br />

Weil ich mich nun gräm und quäle,<br />

Will ich mich vor Gott zwar bücken:<br />

Doch wie kann ich aus den Stricken<br />

Meines Herzens mich befreyn?“39<br />

Über den Nachweis einer textlichen Abhängigkeit hinaus ermöglicht der Vergleich<br />

eine folgenschwere Beobachtung. Der Bozener Text unterscheidet sich vom Berner’schen<br />

Ariendruck und vom Text des Klavierauszugs besonders markant in der<br />

zweiten Zeile der Arie:<br />

38 LA CONVERSIONE DI SANT’ AGOSTINO, ORATORIO DA CANTARSI NELLA REGIA<br />

ELETTORAL CAPPELLA DI DRESDA IL SABATO SANTO. NELL’ANNO MDCCL. [DRS-<br />

SDA [!], Dalla Stamperia Regia per la Vedova Stössel]. Im selben Jahr erschienen auch zwei zweisprachige<br />

Ausgaben des Stückes, eine italienisch-deutsch, eine italienisch-polnisch, was sich daraus<br />

erklärt, dass der Kur<strong>für</strong>st von Sachsen gleichzeitig als König von Polen regierte. Gottscheds<br />

Übersetzung erschien im Jahr darauf in: Herrn Johann Christoph Gottscheds, der Weltw. und Dichtk.<br />

öffentl. Lehrers in Leipzig, der Kön. Preuß. und Bonon. Akad. der Wiss. Mitgliedes, Gedichte, Darinn sowohl<br />

seine neuesten, als viele bisher ungedruckte Stücke enthalten sind. Zweyter Theil. Leipzig, Verlegts<br />

Bernhard Christoph Breitkopf, 1751. Siehe Matthias J. Pernerstorfer: Die Katholische Tradition<br />

geistlicher Vorstellungen während der Karwoche resp. beim Heiligen Grab im 17. und 18. Jahrhundert. Unpubl.<br />

Ms. Vorabdruck vom 22. 2. 2023.<br />

39 Gottsched: Johann Christoph Gottscheds Gedichte, 1751, S. 635.<br />

25


Matthias J. Pernerstorfer<br />

„Schmach und Reu durchdringt die Seele / Weil ich mich nun gräm und quäle“, heißt<br />

es im Bozener Libretto von 1779, „Schmach und Reue durchdringt die Seele / Ach daß<br />

sie mich ganz und gar entseele“ hingegen im Ariendruck von 1778 wie im Cembalo-<br />

Auszug von 1779. Die Formulierung „Weil ich mich nun gräm und quäle“ leitet in<br />

Gottscheds Text die zweite Strophe ein, was nahelegt, dass das Bozener Libretto – zumindest<br />

an dieser Stelle – eine frühere Textfassung bietet als der Ariendruck und der<br />

Cembalo-Auszug. Immerhin ist nicht davon auszugehen, dass die <strong>für</strong> das Bozener<br />

Libretto verantwortliche Person auf die Suche nach Textvorlagen ging, um punktuelle<br />

Textänderungen vorzunehmen. Die Veröffentlichung des Librettos steht also wohl<br />

in keinem Zusammenhang mit der Berner’schen Truppe, <strong>für</strong> deren Aufführungen die<br />

Textänderungen vorgenommen wurden.<br />

Das bei Karl Joseph Weiß in Bozen gedruckte Libretto nimmt eine besondere Stellung<br />

ein. Vor 1779 ist bislang kein Libretto aus dieser Stadt nachweisbar. Vierzehn<br />

Jahre zuvor gab man zwar in Anwesenheit von Maria Theresia und ihrem Gatten aus<br />

Anlass der Hochzeit von Erzherzog Leopold (1747–1792) mit der spanischen Infantin<br />

Maria Ludovica (1745–1792), die am 5. August 1765 in Innsbruck gefeiert wurde, eine<br />

Kantate <strong>für</strong> drei Stimmen: La pace di Mercurio mit dem Text des aus Florenz stammenden<br />

Zaccaria Betti (1732–1788) und der Musik von Tommaso Traetta (1727–1779).40<br />

Der Druck des Librettos erfolgte jedoch nicht in Bozen, sondern, wie auf der letzten<br />

Seite angegeben, in Verona.41 Operntexte aus Bozen sind abgesehen von Das Serail erst<br />

ab 1784 nachweisbar.42<br />

Sofern in Claudio Sartoris Libretto-Katalog43 bei Drucken aus Bozen ein Verlag<br />

genannt ist, handelt es sich dabei ebenfalls um Karl Joseph Weiß. Es sind ausnahmslos<br />

40 [Zaccaria Betti]: LA PACE DI MERCURIO CANTATA IN BOLZANO ALLA SOVRANA<br />

PRESENZA DELLE SACRE IMPERIALI REGIE MAESTÀ DI FRANCESCO PRIMO E DI<br />

MARIA THERESIA SEMPRE AUGUSTI PER LE FELICISSIME NOZZE DELLE LL. AA.<br />

RR. L’ARCIDUCA D’AUSTRIA PIETRO LEOPOLDO E LA INFANTA DI SPAGNA MARIA<br />

LOVISA. Nella fiera S. Bartolommeo del Anno MDCCLXV. IN UMLISSIMO OMAGGIO DEL<br />

MAGISTRATO MERCANTILE. E della UNIVERSALE CONTRATTAZIONE. S. l., s. n., s. a.<br />

(Sartori Nr. 17.652).<br />

41 „IN VERONA Nella Stamperia Moroni“ (ibidem).<br />

42 Zu Beginn der 1780er Jahre sind zwei Oratoriendrucke nachweisbar: I Profeti al Calvario, Text von<br />

Vincenzo Antonio Manini, Musik von Giuseppe Gazzaniga, in Bozen 1781 und 1783 gedruckt<br />

und jeweils am Karfreitag aufgeführt (Sartori Nr. 19.165 und Nr. 19.166). <strong>Ein</strong> weiterer Druck<br />

eines Oratorientexts stammt aus dem Folgejahr 1784: La morte d’Abel, Text von Pietro Metastasio,<br />

Musik von Johann Evangelista Anton Thomas Kozeluch, ebenfalls am Karfreitag aufgeführt<br />

(Sartori Nr. 15.979).<br />

43 Claudio Sartori: I libretti italiani a stampa dalle origini fino al 1800. Catalogo analitico con 16 Indici. 7 Bde.<br />

Cuneo: Bertola & Locatelli, 1990–1994; Reprint Wien: Hollitzer Verlag, 2024. In diesem Fall<br />

finden bei Sartori auch deutschsprachige Libretti Berücksichtigung. Siehe auch http://corago.unibo.it/.<br />

26


<strong>Ein</strong>führung in Das Serail<br />

italienische Opern, die in deutscher Übersetzung gedruckt und in Bozen aufgeführt<br />

worden sind: in den 1780er Jahren Opern ausschließlich mit Musik von Giovanni<br />

Paisiello (1740–1816), in den 1790ern auch mit Musik von Francesco Bianchi (1752–<br />

1810), Domenico Cimarosa (1749–1801) und Niccolò Antonio Zingarelli (1752–1837).<br />

Der Bozener Druck von Das Serail hatte musikgeschichtliche Folgen, denn es war<br />

mit großer Wahrscheinlichkeit dieses Libretto, das Johann Andreas Schachtner und /<br />

oder Wolfgang Amadé <strong>Mozart</strong> in Händen hielten, als sie an der Zaide arbeiteten.44 Wie<br />

das Libretto nach Wien oder Salzburg gekommen sein konnte, lässt sich dadurch erklären,<br />

dass Weiß mit der publikatorischen Großunternehmung von Johann Thomas<br />

Edlen von Trattnern (1717–1798) kooperierte. Dieser hatte Zweigniederlassungen in<br />

allen habsburgischen Ländern – wo er keine hatte, arbeitete er mit Kommissionären<br />

zusammen: <strong>für</strong> die Stadt Bozen war dies Weiß – man darf annehmen, dass diese<br />

Kooperation den Vertrieb der von Weiß gedruckten Werke beförderte.45<br />

Der Komponist<br />

( Johann) Joseph Friebert46 stammt aus der Familie des gleichnamigen Schulmeisters<br />

(1704–1755) und der Maria Elisabetha Rithallerin. Die beiden heirateten am 11. Jänner<br />

1724 und bekamen insgesamt elf Kinder, sieben Töchter, von welchen 4 oder 5 bereits<br />

im Säuglings- oder Kindesalter verstarben, und vier Söhne.47<br />

Zwei davon wurden Geistliche: Anton Jakob (getauft: 13. 5. 1731, † 2. 10. 1788) trat<br />

1750 ins Prämonstratenser-Chorherrnstift Geras ein und legte 1752 sein Ordensgelübde<br />

ab (Chorherr Thomas). Wahrscheinlich war er Schüler des Komponisten Franz<br />

Tuma, RISM verzeichnet 17 (derzeit nicht auffindbare) Werke, vor allem geistliche<br />

Vokalkompositionen.48 Johann Georg (getauft: 10. 4. 1738, † 20. 6. 1779) trat 1761 ins<br />

44 Siehe den Beitrag von Reinhard Eisendle und Matthias J. Pernerstorfer: „Das Serail und Zaide“, in<br />

diesem Band S. 693–725.<br />

45 Walter Garber: „Johann Thomas Edler von Trattner. Magnat und Raubdrucker aus Wien“, in:<br />

Kulturelemente. Zeitschrift <strong>für</strong> aktuelle Fragen 17 (Okt. 1999), S. 14–15.<br />

46 Siehe Heinrich Bauer: „Der Hofkapellmeister Joseph Friebert. Passauer Musik zur Zeit Haydns<br />

und <strong>Mozart</strong>s“, in: Bayerns goldenes Zeitalter. Bilder aus dem Barock und Rokoko, hg. von Herbert<br />

Schindler. München: Süddeutscher Verlag, 1968, S. 280–291. – Karl Maria Pisarowitz: „Joseph<br />

(Friebert) und seine Brüder“, in: Acta <strong>Mozart</strong>iana 17 (1970), S. 74–78. – Ingrid Fuchs und Leopold<br />

Vobruba: „Studien zur Biographie von Karl Friberth“, in: Studien zur Musikwissenschaft. Beihefte<br />

der Denkmäler der Tonkunst in Österreich, Bd. 34, hg. von Othmar Wessely. Tutzing: Hans Schneider,<br />

1984, S. 21–59. – Markus Eberhardt: Johann Joseph Friebert und seine Zeit. Leben und Werk des letzten<br />

Passauer Hofkapellmeisters. Wien: Hollitzer Verlag, 2020 (= Specula Spectacula 11).<br />

47 Siehe auch Markus Eberhardt: „Joseph Friebert – <strong>Ein</strong> Lebensbild“, in diesem Band S. 45–58.<br />

48 Fuchs und Vobruba: „Studien zur Biographie von Karl Friberth“, S. 23.<br />

27


Matthias J. Pernerstorfer<br />

Abb. 8: [Dezember 1724] Die 5 Bapt[izatus] e[st] Joannes Josephus, filius legitimus Josephi Fribert,<br />

SchullMeister alhier, et uxor Elisabetha, Patr[ini]: Johann aigner, Burgerlicher Mau[r]er=Meister<br />

in Markt stronstorf, et ux[or]: Joanna, Baptizans Jacobus Lederer Cooperator.49<br />

<strong>Ein</strong>trag zur Taufe von Joseph Friebert im Taufbuch von Gnadendorf (Niederösterreich)<br />

Benediktinerstift Altenburg ein, wo er 1762 sein Ordensgelübde ablegte (P. Leopold)<br />

und als Gastmeister wie als Regens chori tätig war.50<br />

In die Musikgeschichte eingegangen ist Karl (getauft: 7. 6. 1736 „Franziscus<br />

Carolus“, † 6. 7. 1816). Vielleicht ein Schüler von Florian Leopold Gassmann, ging er<br />

1759 – zur selben Zeit wie Joseph Haydn – nach Eisenstadt, wo er bis 1776 als Librettist<br />

(L’incontro improvviso, Lo speziale, Le pescatrici), Komponist und Sänger wirkte. Im<br />

Anschluss war er bis 1783 Musiklehrer der Hofsängerknaben. 1779 betreute er die<br />

Musik einiger Wiener Kirchen, war in der Tonkünstler-Societät – von 1783 bis 1786 als<br />

Sekretär – aktiv und schaffte es, das aufgrund der Josephinischen Reformen eingezogene<br />

Vermögen der Wiener Caecilien-Bruderschaft auf die Wiener Tonkünstler-<br />

Societät übertragen zu lassen.51<br />

Joseph Friebert (getauft: 5. 12. 1724, † 6. 7. 1799) wurde als erster Sohn geboren.<br />

Durch seinen Vater, der an seinen Wirkungsorten als Schulmeister zudem <strong>für</strong> die Kirchenmusik<br />

zuständig war, erhielt er eine solide Grundlage in der Musik. Es wurde<br />

angenommen, er habe auch im Benediktinerstift Melk eine musikalische Ausbildung<br />

genossen. Das ließe sich zwar gut nachvollziehen, da die Wirkungsorte seines Vaters –<br />

49 http://data.matricula-online.eu/de/oesterreich/wien/gnadendorf/01%252C2%252C3-03/?pg=8.<br />

Auch zitiert in Pisarowitz: „Joseph (Friebert) und seine Brüder“, S. 77, Anm. 2.<br />

50 Ibidem, S. 24.<br />

51 In der Haupt- und Residenzstadt Wien wird eine Organisationsform durch die andere ersetzt. In<br />

den ländlichen Zentren hingegen etablierten sich nur bedingt resp. erst wieder lange Zeit später<br />

„bürgerliche“ Organisationsformen. Durch die Zerschlagung der katholischen Infrastukturen<br />

wird eine Leerstelle geschaffen – und die Provinz erst zur Provinz gemacht.<br />

28


<strong>Ein</strong>führung in Das Serail<br />

sowohl Wullersdorf als auch Ravelsbach – dem Benediktinerstift Melk zugehörig<br />

waren, doch konnte <strong>für</strong> einen Besuch des Stiftsgymnasiums im Melker Archiv bislang<br />

kein Beleg gefunden werden. Friebert wurde jedenfalls im kirchenmusikalischen Bereich<br />

sozialisiert, d. h. dieser war <strong>für</strong> ihn eine Selbstverständlichkeit und bildete <strong>für</strong><br />

sein eigenes Schaffen die Basis. Als späterer Hof- und Domkapellmeister verstand er<br />

sich auf geistliche wie weltliche Musik.<br />

Letztere erwarb er sich als Schüler von Giuseppe Bonno (1711–1788)52 und in den<br />

Diensten von Joseph Friedrich von Sachsen-Hildburghausen (1702–1787); er wirkte an<br />

dessen Wiener Akademien mit und sang im Rahmen des letzten großen Barockfestes<br />

auf Schlosshof (eine erfolgreiche Verkaufsanbahnung, Kaiserin Maria Theresia erwarb<br />

das Schloss wenig später) 1754 in den Uraufführungen von Christoph Willibald Glucks<br />

La danza und Le cinesi.53 Im Jahr darauf wurde er Sänger am Wiener Kärntnerthor-<br />

Theater unter Johann Joseph Felix von Kurz (1717–1784), dem berühmt-berüchtigten<br />

Bernardon, der zu dieser Zeit mit Maschinenkomödien Furore machte.54 Für diesen<br />

vertonte 1758 Joseph Haydn den Neuen krummen Teufel, d. h. eine Bekanntschaft zwischen<br />

Friebert und Haydn ist spätestens seit dieser Zeit anzunehmen.<br />

Mit – und wohl auch aufgrund – dieser Erfahrung wurde Joseph Friebert 1763 von<br />

Fürstbischof Joseph Maria Graf Thun-Hohenstein (1713–1763) in einer Zeit des religiösen,<br />

sozialen und kulturellen Umbruchs55 in die Dreiflüssestadt engagiert, wo er bis<br />

zum Ende des Jahrhunderts im Dienste dreier Fürstbischöfe tätig war.56 Er arbeitete<br />

wohl mit dem Prinzipal Felix Berner zusammen und förderte ab der Mitte der 1780er<br />

Jahre die <strong>Mozart</strong>-Rezeption in Passau, doch in die Musikgeschichte ging er letztlich in<br />

erster Linie aufgrund seiner Oratorien-Bearbeitung von Joseph Haydns Die Sieben<br />

letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze ein.57<br />

52 Siehe den Beitrag von Mariateresa Dellaborra: „Joseph Friebert e Giuseppe Bonno: Un Rapporto<br />

didattico e stilistico“, in diesem Band S. 61–110.<br />

53 Siehe den Beitrag von Jen-Yen Chen: „Europe’s Vision of the ‚Far‘ East and the Voice of the<br />

Chinese Other: Dialogue and Representation in Metastasio’s L’eroe cinese and Junxiang’s Zhaoshi<br />

gu’er“, in diesem Band S. 111–119.<br />

54 Siehe Andrea Brandner-Kapfer: Johann Joseph Felix von Kurz. Das Komödienwerk. Historisch-Kritische<br />

Edition. Diss., Graz, 2007; und dies.: Johann Joseph Felix von Kurz. <strong>Ein</strong>e ganz neue Komödie…<br />

Ausgewählte Bernardoniaden und Lustspiele. Wien: Lehner, 2010 (= Texte und Studien zur österreichischen<br />

Literatur- und Theatergeschichte 3).<br />

55 Siehe den Beitrag von Käthe Springer-Dissmann: „Joseph Maria Graf Thun-Hohenstein: Fürstbischof<br />

von Passau und Begründer von Joseph Frieberts Wirken in Passau“, in diesem Band<br />

S. 123–139.<br />

56 Siehe den Beitrag von Markus Eberhardt: „Repräsentanten dreier Fürstbischöfe: Die Passauer<br />

Hofmusikkapelle unter Joseph Friebert“, in diesem Band S. 141–191.<br />

57 Siehe den Beitrag von Markus Eberhardt: „Joseph Frieberts Bearbeitung der Sieben letzten Worte<br />

unseres Erlösers am Kreuze von Joseph Haydn“, in diesem Band S. 315–347.<br />

29


Matthias J. Pernerstorfer<br />

Abb. 9a-b: Joseph Friebert: Das Serail.<br />

Cembalo-Auszug, Titelblatt und Beginn der ersten Arie.<br />

Don Juan Archiv Wien<br />

30

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