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PS_1981-1982_009

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SERENADE

Pastorale (Cotton)

Der Tag ist alt geworden, und kurz die Strecke Weges, die noch vor dem Sonnengott liegt;

doch sind die ermatteten Rosse, so geschickt er sie auch lenken mag, kaum noch imstande,

seinen Wagen zu ziehen. Die Schatten werden länger, so lang, daß Brombeerbüsche hoch

wie Zedern erscheinen, als Berge die Maulwurfshügel und riesig wie ein Elefant die kleine

Ameise. Eine winzige Herde beschattet mehrfach den Grund, den sie zu decken vermag,

und gewaltig wie Polyphem folgt ihr der schmächtige Hirte. Auf Bänken sitzt nun jung und alt,

beim Plaudern die Kühle zu genießen, bis Phöbus' Gespann im Meer versinkt und Schlummer

die müde Welt umfängt.

Notturno (Tennyson)

Bleich fällt des Mondes Licht auf schneebedeckte Gipfel und alter Burgen Gemäuer; des

Waldsees Wasserfläche erzittert in seinem Schein, und tausendfach glitzernd spiegelt ihn

wider der Wasserfall. Horch ! Wie von Hörnern klingt's nun ans Ohr, und schwach, aus weiter

Ferne tönt’s zurück. O süßer Klang! Des Elfenlands Hörner sind es, die da blasen; weit über

Fels und Abhänge trägt des Windes Hauch den Ton, und von Feld und Hügel, aus purpurnen

Tälern und wilder Bäche Schluchten antwortet, erst mächtig, dann zusehends leiser, der Widerhall.

Er erstirbt zuletzt an jenes fernen Himmels dunklem Zelt, doch tief in uns klingt er fort,

auf immer fort.

Grabgesang (von einem unbekannten Autor aus dem 15. Jahrhundert)

In dieser Nacht, in dieser selben Nacht

nimmt Gott deine Seele zu sich.

Hast du diese Welt hinter dir gelassen, so wirst du hinausgelangen in ein Dorngestrüpp, und

kannst du dann sagen, du habest je ein Beinkleid gegeben oder Schuhe dem, der dich darum

bat, so werden die Dornen dir nichts anhaben; gabst du dem Bittenden aber nichts, so

werden sie dich stechen bis aufs Blut.

In dieser Nacht, in dieser selben Nacht

Nimmt Gott deine Seele zu sich.

Vom Dorngestrüpp wird dich dein Weg über die Brücke des Grauens führen, dorthin, wo das

Fegefeuer brennt, und kannst du dann sagen, du habest je zu essen oder zu trinken gegeben

dem, der dich darum bat, so wird dir das Feuer nichts anhaben; gabst du dem Bittenden

aber nichts, so werden die Flammen dein Fleisch verzehren bis auf die Knochen.

In dieser Nacht, in dieser selben Nacht

nimmt Gott deine Seele zu sich.

Hymne (Ben Jonson)

Königliche Jägerin, du tugendhafte und schöne, nun, da die Sonne sich zur Ruhe begeben,

nimm Platz auf deinem silbernen Thron, um in gewohnter Weise zu herrschen! Sehnt doch

Hesperus dein Licht herbei, du strahlende Göttin, das Licht, das der Erde neidischer Schatten

nicht hindern möge, weil dein, Cynthias, Gestirn ja geschaffen wurde zu leuchten mach

des Tages Ende. Lege deinen perlenbesetzten Bogen beiseite samt dem kristall’nen Köcher

und gönn dem Hirsch, den du jagst, eines Augenblicks Rast auf seiner Flucht, du strahlende

Göttin!

Sonett (Keats)

Der du die Nacht mit süßem Duft erfüllst und sanften Fingers unsere Augen schließt, die Augen,

die sich licht- und erlebnismüde nach Dunkel sehnen und Vergessenheit —, lieblicher

Schlaf, wenn es dein Wille ist, so drücke die meinen zu, noch während ich schreibe; ziehst du

es aber vor, so laßt mich die Hymne beenden. Dann aber möge des Mohnes Kraft an mir seine

Wirkung tun, damit der vergangene Tag nichtfortwirke und, auf meine Kissen scheinend,

Leid bringe über Leid. Bewahre mich vor der Neugier meines Bewußtseins, das sein Ziel

auch im Dunkeln findet, einem Maulwurf gleich; dreh den Schlüssel im Schloß und versiegle

meiner Seele stillen Schrein.

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