PS_1981-1982_009
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ebenen, auf denen sich das Werk entfaltet, überschneiden einander und schaffen so, was
die Klangfarbe betrifft, drei verschiedene Zonen, welche jedoch im Hinblick auf das Ergebnis
eng miteinander verbunden sind — ein einerseits eklektisches und sehr phantasiereiches,
aber dennoch streng einheitliches Ergebnis. Schon durch die Wahl der Texte — Britten hat
dabei, seinem besonderen, durch eine reiche humanistische Bildung bedingten Geschmack
folgend, auf manches wertvolle Gut in der englischen Literatur zurückgegriffen —,
schon durch die Wahl dieser Texte also erscheint jene Einheitlichkeit auch auf die Form der
Komposition übertragen, so reich an Details und vielfältigen Akzenten diese auch sein mag.
Das Werk wird durch einen Prolog eingeleitet und durch einen Epilog beschlossen, welche
beide dem Horn allein übertragen sind und, gleichsam als sollte durch die Wiederholung der
zyklische Aufbau des Ganzen betont werden, auf einem und demselben Motiv aufbauen.
Zwischen Prolog und Epilog liegen sechs Episoden nach Worten verschiedener Autoren.
“Pastorale" (von Cotton), “Notturno” (von Tennyson), “Elegie” (von Blake), “Grabgesang” (von
einem unbekannten Autor des 15. Jahrhundert: Es ist dies der Höhepunkt des Werkes),
“Hymne” (von Ben Jonson) und "Sonett” (von Keats).
Franz Joseph Haydn: Symphonie Nr. 101 in D Dur, “Die Uhr”
Diese 1794 in London entstandene Komposition ist eines der wertvollsten Kleinodien im
prächtigen Zyklus der zwölf sogenannten “Londoner” Symphonien, in denen der Rohrauer
Komponist, vom Beispiel der letzten Mozartschen Meisterwerke dieser Gattung angeregt,
die ganze Größe seiner Erfindungsgabe zeigt: Stellen doch diese Werke den Brückenschlag
zur titanischen Symphonik Beethovens dar, ja bisweilen klingen darin sogar ausgesprochen
romantische Töne an. Die Symphonie, welche in London begeisterte Aufnahme fand, verdankt
ihre Popularität zu einem guten Teil der Bezeichnung, welche man ihr zu Anfang des
neunzehnten Jahrhunderts beilegte: "Die Uhr”. Sie ist auf die Untermalung des Themas im
zweiten Satz (“Andante”) zurückzuführen, ein gleichmäßig rhythmisches, ans Ticken eines
Pendels erinnerndes Stakkato in den Fagotten und Pizzikato in den Streichern (Beethoven
bedient sich desselben Ausdrucksmittels im zweiten Satz seiner “klassischsten” Symphonie,
der Achten). Es liegt jedoch, wie Manzoni schreibt, “ganz und gar nichts banal Beschreibendes
oder oberflächlich Imitierendes in dieser Symphonie, die in ihrem wuchtigen Aufbau
vielmehr bereits an Beethoven gemahnt.
Dieses in den Dienst strenger Formgebundenheit gestellte Bemühen um den Ausdruck läßt
sich eindeutig bereits im wundervollen ersten Satz erkennen, wo die Einleitung, ein “Adagio”
in d Moll, die Spannungen vorwegnimmt, welche diejenige des Oratoriums “Die Schöpfung”
kennzeichnen, und auf die ununterbrochene, dicht gedrängte thematische Verarbeitung
des "Presto” vorbereitet, das durch den geradezu unglaublichen Reichtum an Kontrasten
auffällt. Della Croce schreibt hierzu, "Haydns Musik habe sich nirgendwo so feurig
erwiesen, und nie zuvor habe der Komponist so völlig neue Wege beschritten wie hier: Praktisch
befänden wir uns mit diesem Satz bereits auf Beethovenschem Boden. Ist es doch bei
dieser Musik nicht mehr die musikalische Gestalt als solche, die zählt, sondern ihr Werden,
das Zustreben auf ein Ziel, das nach nach erobert werden will.”
Der schon genannte zweite der dritte Satz (“Minuetto. Allegretto”) stellen der Kraft und
rhythmischen Lebendigkeit der beiden äußeren eine beschauliche Ruhe entgegen. Die
Musik fließt hier entspannt dahin, entfaltet ihren Klangzauber mit lieblicher Kantabilität. Der
Phantasie wird freier Lauf gelassen, und es fehlt auch nicht an scherzhaften, ja sogar ironischen
Anklängen, so im Menuett, das gewissermaßen an das “Andante" erinnert (es handelt
sich um die Überarbeitung eines Stückes, das der Komponist im Jahrzuvorfürein mechanisches
Musikwerk, die sogenannte Flötenuhr, geschrieben hatte). Besonders reizvoll wegen
seines Reichtums an überraschenden Wendungen und bunten Einfällen ist das Trio. Den
Abschluß der Symphonie bildet ein "Vivace" in der Form eines Rondos mit Variationen, ein
weitgespannter, wahrhaft großartiger Satz, dessen Stimmung in ständigem, überaus anregendem
Wechsel zwischen Ernst u nd Heiterkeit begriffen ist. Nach einer ernsten, wuchtigen
Doppelfuge im zweiten Teil klingt er in einer phantastischen Coda aus, welche zum Mitreißendsten
gehört, was Haydn auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft geschrieben hat.
Sergio Sablich