vsao Journal Nr. 3 - Juni 2024
Plan - Ziele, Zufälle, Zeitzeugnisse Politik - 42+4: Gegenargumente auf dem Prüfstand Geschlechtsdysphorie – Chirurgische Behandlungsoptionen Achalasie - Verlauf, Diagnose, Therapie
Plan - Ziele, Zufälle, Zeitzeugnisse
Politik - 42+4: Gegenargumente auf dem Prüfstand
Geschlechtsdysphorie – Chirurgische Behandlungsoptionen
Achalasie - Verlauf, Diagnose, Therapie
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<strong>vsao</strong><br />
<strong>Nr</strong>. 3, <strong>Juni</strong> <strong>2024</strong><br />
<strong>Journal</strong><br />
Das <strong>Journal</strong> des Verbandes Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte<br />
Plan<br />
Ziele, Zufälle,<br />
Zeitzeugnisse<br />
Seite 28<br />
Politik<br />
42+4: Gegenargumente<br />
auf dem Prüfstand<br />
Seite 6<br />
Geschlechtsdysphorie<br />
Chirurgische<br />
Behandlungsoptionen<br />
Seite 50<br />
Achalasie<br />
Verlauf, Diagnose,<br />
Therapie<br />
Seite 54
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Inhalt<br />
Plan<br />
Ziele, Zufälle, Zeitzeugnisse<br />
Coverbild: Stephan Schmitz<br />
Editorial<br />
5 Vorausschauen und nachzeichnen<br />
Politik<br />
6 Einschränkung oder Chance?<br />
8 Eine Rose und ein Setzling<br />
11 Auf den Punkt gebracht<br />
Weiterbildung /<br />
Arbeitsbedingungen<br />
12 Nominieren Sie engagierte Weiterbildende<br />
für den SIWF-Award<br />
14 Next Level<br />
Feedback geben<br />
18 Forschen lernen<br />
<strong>vsao</strong><br />
20 Ein Unter stützungsnetzwerk<br />
für Ärztinnen und Ärzte<br />
22 Neues aus den Sektionen<br />
26 <strong>vsao</strong>-Inside<br />
27 <strong>vsao</strong>-Rechtsberatung<br />
Perspektiven<br />
50 Aktuelles zur Geschlechtsdysphorie:<br />
Geschlechts angleichende<br />
Operationen – was ist möglich?<br />
54 Aus der «Therapeutischen<br />
Umschau» – Übersichtsarbeit:<br />
Klinik-Update Achalasie <strong>2024</strong><br />
61 My Way<br />
mediservice<br />
62 Briefkasten<br />
64 Zusatzversicherungen kündigen?<br />
Medpension<br />
65 Wir setzen den Wachstumskurs<br />
erfolgreich fort<br />
66 Impressum<br />
Fokus: System<br />
28 Wie Muscheln sich in Schale werfen<br />
31 Die Autonomie der Patientinnen<br />
und Patienten fördern: die Gesundheitliche<br />
Vorausplanung<br />
36 Stadtpläne im Wandel der Zeit<br />
40 «So furchtbar es klingt: Ich bin<br />
dankbar um meine Krankheit»<br />
42 Ist Kreativität planbar?<br />
46 Wie wir den Zufall auf unsere<br />
Seite bringen<br />
48 Können Tiere planen?<br />
<strong>vsao</strong> <strong>Journal</strong>:<br />
neue Redaktionsmitglieder gesucht<br />
Sind Sie vielseitig interessiert und haben Lust,<br />
das <strong>vsao</strong> <strong>Journal</strong> mitzuprägen?<br />
Bild: zvg<br />
Gewinnen Sie einen Einblick in unsere Arbeit, und nehmen<br />
Sie unverbindlich an einer Redaktionssitzung teil.<br />
Hauptaufgaben der Redaktion sind<br />
• die thematische Planung der Hefte,<br />
• die Suche nach Autorinnen und Autoren,<br />
• die regelmässige Teilnahme an den Sitzungen<br />
(sechs abendliche Sitzungen und eine Retraite).<br />
Interessiert? Dann melden Sie sich unter journal@<strong>vsao</strong>.ch.<br />
Wir freuen uns auf neue Gesichter.<br />
«Als Redaktionsmitglied des<br />
<strong>vsao</strong> <strong>Journal</strong>s kann ich in<br />
einem erfrischenden Umfeld<br />
neue Ideen umsetzen.»<br />
Fabian Kraxner,<br />
Oberarzt Psychiatrie, Spital Affoltern,<br />
und Redaktionsmitglied seit 2020<br />
<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 3/24 3
Allgemeine<br />
Innere Medizin<br />
13. – 16.11.<strong>2024</strong> Zürich 32 h<br />
21. – 25.01.2025 Basel 40 h<br />
Innere Medizin<br />
25. – 29.06.<strong>2024</strong> Zürich 39 SGAIM<br />
03. – 07.12.<strong>2024</strong> Zürich 40 h<br />
Hausarzt<br />
Fortbildungstage<br />
05. – 06.09.<strong>2024</strong> Basel<br />
12. – 13.09.<strong>2024</strong> Bern<br />
27. – 28.09.<strong>2024</strong> Luzern<br />
Allergologie<br />
27. – 28.11.<strong>2024</strong> Zürich<br />
14 h<br />
13 h<br />
Diabetes<br />
07. – 09.11.<strong>2024</strong> Zürich<br />
EKG – Aufbaukurs<br />
28. – 29.10.<strong>2024</strong> Zürich<br />
16 SSAPM | 14 SGK |<br />
14 SGAIM | 16 SGNOR<br />
Gynäkologie<br />
28. – 30.11.<strong>2024</strong> Livestream<br />
Immunonkologika<br />
und gezielte Therapien<br />
05. – 06.07.<strong>2024</strong> Livestream<br />
Kardiologie<br />
15. – 16.11.<strong>2024</strong> Zürich<br />
21 h<br />
24 h<br />
16 h<br />
12 h<br />
Neurologie<br />
29. – 30.11.<strong>2024</strong> Zürich<br />
Notfallmedizin<br />
NEU<br />
13. – 14.11.<strong>2024</strong> Zürich<br />
Pädiatrie<br />
28. – 30.10.<strong>2024</strong> Zürich<br />
Psychiatrie und<br />
Psychotherapie<br />
07. – 09.11.<strong>2024</strong> Livestream<br />
Psychologie<br />
26. – 28.11.<strong>2024</strong> Zürich<br />
Rheumatologie<br />
16 SNG<br />
12 h<br />
24 h<br />
21 h<br />
23 h<br />
13 h<br />
Update Refresher<br />
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27. – 28.09.<strong>2024</strong> Zürich<br />
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03. – 04.12.<strong>2024</strong> Zürich<br />
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Editorial<br />
Vorausschauen<br />
und<br />
nachzeichnen<br />
Regula Grünwald<br />
Chefredaktorin <strong>vsao</strong> <strong>Journal</strong><br />
Kommissar Matthäi hat an alles gedacht: an die Tankstelle<br />
an der Strasse zwischen Graubünden und Zürich,<br />
an welcher der Mörder dreier Mädchen früher oder<br />
später vorbeifahren muss, und an das blonde Mädchen<br />
im roten Kleid, das seinem Beuteschema entspricht und als<br />
Lockvogel dienen soll. In Friedrich Dürrenmatts Kriminalroman<br />
«Das Versprechen» geht Matthäis Plan fast auf, aber eben nur fast.<br />
Im letzten Moment kommt der Zufall dazwischen.<br />
Auch unser Leben ist durchzogen von Zufällen – wenn glücklicherweise<br />
auch meist von weniger tragischen. Wie sich Zufälle<br />
in unsere Planung integrieren und sogar nutzen lassen, zeigt ein<br />
Beitrag im Fokusteil dieser Ausgabe. Ebenso gehen wir weiteren<br />
Fragen rund um das Thema «Plan» nach: Wie lässt sich Kreativität<br />
planen? Gibt es auch Tiere, die mit Absicht für zukünftige Bedürfnisse<br />
vorsorgen? Welche Vorteile hat die Gesundheitliche Vorausplanung?<br />
Und was bedeutet es, wenn eine Krankheit die eigenen<br />
Lebenspläne über den Haufen wirft?<br />
Neben der Beschäftigung mit der Zukunft machen wir auch zwei<br />
Abstecher in die Vergangenheit. Vor etwa 540 Millionen Jahren<br />
begannen die Muscheln, ihren Bauplan anzupassen und eine<br />
Panzerung zu entwickeln, um sich zu schützen. Die Folge davon<br />
ist eine schier endlose Artenvielfalt. Etwas weniger weit zurück<br />
reicht die Anfangszeit der Stadtpläne. Deren Wandel zeigt sowohl<br />
die technische Entwicklung als auch verschiedene gesellschaftliche<br />
Bedürfnisse auf.<br />
Eine Dienstplanung, die für Assistenzärztinnen und -ärzte eine<br />
Sollarbeitszeit von 42 Stunden plus vier Stunden strukturierte<br />
Weiterbildung vorsieht, ist ein Ziel des <strong>vsao</strong>. Welche Argumente<br />
die Gegner dieses Arbeitszeitmodells vorbringen und wie der <strong>vsao</strong><br />
dazu Stellung nimmt, ist im Politik-Teil nachzulesen. Und um<br />
die Frage, wie strukturiertes Feedback sowie schwierige Rückmeldungen<br />
im Spitalalltag gelingen, geht es in der Serie «Next Level».<br />
Möchten Sie sichergehen, dass Sie in Zukunft die Onlineausgabe<br />
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<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 3/24 5
Politik<br />
Einschränkung<br />
oder Chance?<br />
Die 42+4-Stunden-Woche für Assistenzärztinnen und -ärzte<br />
ist ein zentrales Anliegen des <strong>vsao</strong>. Eine parlamentarische Initiative im<br />
Kanton Zürich will eine entsprechende Regelung im Gesetz verankern.<br />
Gegenstimmen gab es aus bürgerlichen Parteien – auch von Ärzten.<br />
Wir haben bei ihnen nachgefragt.<br />
Philipp Thüler, Leiter Politik und Kommunikation / stv. Geschäftsführer <strong>vsao</strong><br />
Mit der 42+4-Stunden-Woche soll nicht nur die Arbeitszeit reduziert werden, sondern dank erhöhter Effizienz mehr Zeit für Patientinnen und Patienten<br />
zur Verfügung stehen.<br />
Die meisten Spitäler in der<br />
Schweiz planen die Einsätze<br />
ihrer Assistenzärztinnen und<br />
-ärzte auf der Basis einer<br />
50-Stunden-Woche. Das führt regelmässig<br />
zu Verstössen gegen das Arbeitsgesetz, das<br />
eine Höchstarbeitszeit von 50 Stunden pro<br />
Woche vorschreibt. Gleichzeitig kommt<br />
die Weiterbildung zu kurz, und viele Assistenzärztinnen<br />
und -ärzte leiden unter<br />
Überlastung und Erschöpfung, wie das unter<br />
anderem die Auswertung der <strong>vsao</strong>-Mitgliederumfrage<br />
2022 gezeigt hat.<br />
Der <strong>vsao</strong> setzt sich deshalb für das<br />
Modell der 42+4-Stunden-Woche ein, bei<br />
dem mit 42 Stunden Dienstleistung rund<br />
um die Patientenbetreuung plus vier<br />
Stunden strukturierter Weiterbildung geplant<br />
wird. Um dem Modell zum Durchbruch<br />
zu verhelfen, setzt der <strong>vsao</strong> vor allem<br />
auf Verhandlungen mit einzelnen<br />
Spitälern oder Kliniken – dies hat zum<br />
Beispiel am Institut für Intensivmedizin<br />
des Unispitals Zürich, am Paraplegiker-Zentrum<br />
Nottwil wie auch im Kanton<br />
Tessin (GAV-Regelung ab 2025) zum Erfolg<br />
geführt.<br />
Bild: Adobe Stock<br />
6<br />
3/24 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>
Politik<br />
Verankerung im Gesetz?<br />
Im Kanton Zürich gibt es nun zudem den<br />
Versuch, die 42+4-Stunden-Woche in den<br />
kantonalen Gesetzen zu verankern. Eine<br />
entsprechende parlamentarische Initiative<br />
wurde vom Medizinstudenten Benjamin<br />
Walder lanciert, der für die Grüne Partei<br />
im Kantonsrat sitzt. Konkret fordert die<br />
Initiative die konsequente Umsetzung der<br />
42+4-Stunden-Woche für Assistenzärztinnen<br />
und -ärzte in Zürcher Spitälern durch<br />
eine Änderung des Spitalplanungs- und<br />
Finanzierungsgesetzes sowie eine Änderung<br />
des Gesundheitsgesetzes.<br />
In der Parlamentsdebatte am 29. April<br />
fand die Initiative eine Mehrheit von<br />
62 Stimmen, womit der Vorschlag an die<br />
zuständige Kommission für soziale Sicherheit<br />
und Gesundheit überwiesen wurde.<br />
Diese wird die Idee und die konkrete Umsetzung<br />
diskutieren und dem Parlament<br />
einen Vorschlag zur Diskussion und Abstimmung<br />
unterbreiten.<br />
Die knappe Mehrheit kam dank der<br />
Unterstützung von SP, der Grünen Partei,<br />
der EVP, der Alternativen Liste und von<br />
Teilen der GLP zustande. Die GLP vertrat<br />
zwar die Meinung, dass die konkrete Forderung<br />
der 42+4-Stunden-Woche nicht<br />
umsetzbar sei, anerkennt aber das Problem<br />
und möchte es deshalb in der Kommission<br />
diskutieren, um eine – aus ihrer<br />
Sicht machbare – Lösung zu finden.<br />
Bürgerliche Ärzte dagegen<br />
Von bürgerlicher Seite hingegen erhielt die<br />
Vorlage keine Unterstützung, auch nicht<br />
von Ärzten. Josef Widler, Arzt, ehemaliger<br />
Präsident der Zürcher Ärztegesellschaft<br />
und Mitglied der Mitte-Fraktion, sowie<br />
Andreas Juchli, Arzt, Unternehmer und<br />
FDP-Mitglied, lehnten die Initiative ab.<br />
Wir wollten von ihnen wissen, warum.<br />
Josef Widler nimmt Bezug auf die beschränkte<br />
Zahl von Studienplätzen. 2022<br />
hätten sich 6147 Personen für die 2172<br />
angebotenen Studienplätze beworben.<br />
Widler betont zwar, dass eine Erhöhung<br />
der Ausbildungsplätze angestrebt werden<br />
müsse, aber es werde kaum möglich sein,<br />
innert nützlicher Frist genügend Plätze<br />
bereitzustellen, um die ärztliche Versorgung<br />
sicherzustellen. «Wer also einen der<br />
raren und kostspieligen Studienplätze erhält,<br />
sollte deshalb bereit und fähig sein,<br />
mehr zu leisten.»<br />
Die raren Studienplätze können aber<br />
auch zu anderen Schlussfolgerungen führen,<br />
findet der <strong>vsao</strong>: Gerade weil die Studienplätze<br />
beschränkt und teuer sind, muss<br />
verhindert werden, dass die frisch ausgebildeten<br />
Ärztinnen und Ärzte den Arztberuf<br />
frühzeitig wieder verlassen. Genau<br />
dies geschieht aber momentan aufgrund<br />
der schlechten Arbeitsbedingungen viel<br />
zu oft, wie diverse Studien und Umfragen<br />
gezeigt haben.<br />
Wie der <strong>vsao</strong> ist auch Josef Widler der<br />
Meinung, dass die Bürokratie unbedingt<br />
reduziert werden muss, damit Ärztinnen<br />
und Ärzte mehr Zeit am Patientenbett verbringen<br />
können. Widler glaubt aber diesbezüglich<br />
nicht an die heilsame Wirkung<br />
der 42+4-Stunden-Woche, sondern hält<br />
fest: «Dieser Kampf muss von der Ärzteschaft<br />
direkt in den Institutionen geführt<br />
werden.» Die 42+4-Stunden-Woche sei als<br />
Mittel gegen die Bürokratie untauglich.<br />
Der <strong>vsao</strong> hingegen ist überzeugt, dass die<br />
42+4-Stunden-Woche beim Bürokratieabbau<br />
hilfreich sein kann, da die Spitäler<br />
einen Anreiz erhalten, die klar beschränkte<br />
Arbeitszeit der Ärztinnen und Ärzte<br />
sinnvoll und effizient zu nutzen.<br />
Die drei Ziele von 42+4<br />
Mit der 42+4-Stunden-Woche will der<br />
<strong>vsao</strong> erreichen, dass die Sollarbeitszeit<br />
von Assistenzärztinnen und -ärzten<br />
reduziert wird, die Weiterbildung<br />
gemäss den Vorschriften des SIWF<br />
wahrgenommen werden kann und die<br />
ärztliche Tätigkeit wieder mehr am<br />
Patientenbett stattfindet. Auf der<br />
Website www.<strong>vsao</strong>.ch/42plus4 finden<br />
sich weitere Informationen zur<br />
42+4-Stunden-Woche, unter anderem<br />
ein Kurzargumentarium und konkrete<br />
Tipps zur Umsetzung.<br />
Wie viel wollen Ärztinnen und Ärzte<br />
arbeiten?<br />
Andreas Juchli begründet sein Votum<br />
gegen das Anliegen vor allem damit, dass<br />
der Arztberuf ein «Leistungsberuf» sei.<br />
Leistung heisse auch, «viel arbeiten zu<br />
wollen» – und 42 Stunden plus Weiterbildung<br />
seien «dafür einfach zu wenig».<br />
Gleichzeitig stellt Juchli die Frage: «Woher<br />
stammt die Erkenntnis, dass 42+4 mit viel<br />
mehr Lebensqualität einhergeht?» Auch<br />
Josef Widler ist der Meinung, dass eine<br />
Verkürzung der Arbeitszeit «die Freiheit<br />
der jungen Ärztinnen und Ärzte [einschränkt]<br />
und sie in ihrem Fortkommen<br />
behindert».<br />
Tatsache ist aber – auch das hat die<br />
<strong>vsao</strong>-Umfrage gezeigt – dass sich über<br />
80 Prozent der Assistenzärztinnen und<br />
-ärzte eine deutliche Reduktion der heute<br />
üblichen Sollarbeitszeit von 50 Stunden<br />
wünschen. Mit 42+4 kann diesem Wunsch<br />
entsprochen werden, zudem lässt sich damit<br />
das Arbeitsgesetz eher einhalten, da<br />
bei unvorhergesehenen Einsätzen nicht<br />
sofort die zulässige Höchstarbeitszeit<br />
überschritten wird. Mehreinsätze werden<br />
durch 42+4 somit nicht verhindert, sondern<br />
die Spitäler erhalten bei der Einsatzplanung<br />
mehr Flexibilität im Rahmen des<br />
Arbeitsgesetzes.<br />
Juchli betont, dass er sehr wohl für eine<br />
Verbesserung der Arbeitsbedingungen<br />
sei, aber «nicht einseitig über die Reduktion<br />
der Arbeitszeit». Er will stattdessen «das<br />
Effizienzpotenzial maximal ausschöpfen».<br />
Und diese «Effizienzdividende» solle danach<br />
fair aufgeteilt werden, zwischen Patientinnen<br />
und Patienten, Ärzteschaft, anderen<br />
Gesundheitsberufen sowie Arbeitgebenden<br />
und Steuerzahlenden.<br />
Damit ist Juchli letztlich nahe an der<br />
Argumentation des <strong>vsao</strong>. Die Arbeitszeit<br />
ist heute zu lang und wird oft ineffizient<br />
genutzt, was für viele frustrierend ist.<br />
Bei der Forderung nach einer 42+4-Stunden-Woche<br />
geht es deshalb nicht nur um<br />
eine Reduktion der Sollarbeitszeit, sondern<br />
auch um die Stärkung der Weiterbildung<br />
und um die Reduktion von administrativen<br />
Tätigkeiten, damit sich die<br />
Assistenzärztinnen und -ärzte vermehrt<br />
auf ihre Kernaufgabe, die Arbeit am Patientenbett,<br />
konzentrieren können.<br />
Der <strong>vsao</strong> wird sich deshalb weiterhin<br />
an allen Fronten für die 42+4-Stunden-Woche<br />
stark machen. Nur so kann langfristig<br />
sichergestellt werden, dass genügend Ärztinnen<br />
und Ärzte zur Verfügung stehen,<br />
die ihren Beruf mit Freude und Leidenschaft<br />
ausüben, ohne dabei ihre eigene<br />
Gesundheit aufs Spiel zu setzen.<br />
@<strong>vsao</strong>asmac<br />
<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 3/24 7
Politik<br />
Der <strong>vsao</strong>-Zentralvorstand<br />
bestätigte Angelo Barrile<br />
als Präsidenten.<br />
Eine Rose und<br />
ein Setzling<br />
Mit der Spitalrose 2023 zeichnete der <strong>vsao</strong>-Zentralvorstand<br />
einen Arbeitgeber aus, der seit Jahren in die Weiterbildung investiert.<br />
Noch weit vor der Blüte hingegen steht die Idee einer nationalen Kampagne<br />
oder Aktion für die Beschäftigten im Gesundheitswesen.<br />
Regula Grünwald, Chefredaktorin <strong>vsao</strong> <strong>Journal</strong>, Bilder: Severin Nowacki<br />
Ursprünglich hätte die Spitalrose<br />
2023 ausserordentliche Bemühungen<br />
zur Reduktion der<br />
Bürokratie oder zur Digitalisierung<br />
eines Spitals oder einer Klinik würdigen<br />
sollen. Bis zum offiziellen Einsendeschluss<br />
ging jedoch keine einzige Nomination<br />
ein. Deshalb erweiterte der Geschäftsausschuss<br />
(GA) den Aufruf kurzerhand um<br />
das Thema «Weiterbildung» – und konnte<br />
so dem Zentralvorstand (ZV) an dessen<br />
Frühjahrssitzung vom 27. April <strong>2024</strong> immerhin<br />
drei Projekte zur Auswahl vorlegen.<br />
Eine Rose mit Signalwirkung?<br />
Die Sektion Aargau hatte das interdisziplinäre<br />
Notfallzentrum des Kantonsspitals Baden<br />
(KSB) nominiert, weil es seit vielen Jahren<br />
konsequent in die Weiter- und Fortbildung<br />
investiert; unter anderem mit zehn<br />
expliziten externen Weiter- bzw. Fortbildungstagen<br />
für alle, weiteren internen Weiterbildungstagen<br />
für Assistenzärztinnen<br />
und -ärzte, kurzen Weiterbildungselementen<br />
beim Schichtwechsel am Nachmittag<br />
sowie einer grosszügigen finanziellen Unterstützung<br />
der Weiter- und Fortbildung.<br />
8<br />
3/24 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>
Politik<br />
Ebenfalls zur Auswahl stand das Universitätsspital<br />
Basel mit seiner vorbildlichen<br />
Mitbestimmungskultur. Nach einem<br />
offenen Brief, in dem die Assistenz- und<br />
Oberärztinnen und -ärzte ihre Unzufriedenheit<br />
mit den Arbeitsbedingungen und<br />
den Löhnen kundgetan hatten, initiierte<br />
die Spitalleitung monatliche Sitzungen.<br />
Diese finden seit über einem Jahr statt<br />
und haben bereits zu einigen Verbesserungen<br />
sowie weiteren Projekten in Planung<br />
geführt.<br />
Dritte Anwärterin auf die Spitalrose<br />
war die Abteilung Allgemeine Innere Medizin<br />
des Kantonsspitals St. Gallen. Eine<br />
gut organisierte Weiterbildung, das Eingehen<br />
auf individuelle Planungs- und Teilzeitwünsche,<br />
eine Dienstplanung, die – sogar<br />
auf dem Notfall – für eine zumutbare<br />
Belastung und ein gutes Arbeitsklima<br />
sorgt, sowie eine Stunde Homeoffice pro<br />
Woche zur Vorbereitung auf die Facharztprüfung<br />
waren einige der Argumente, welche<br />
die Sektion St. Gallen zugunsten ihrer<br />
Kandidatin ins Feld führte.<br />
Nach einer kurzen Diskussion entschied<br />
der ZV mit grosser Mehrheit, ein<br />
Zeichen dafür zu setzen, dass eine gute<br />
Weiterbildung auch auf einer Notfallstation<br />
möglich ist: Er vergab die Spitalrose<br />
2023 an das interdisziplinäre Notfallzentrum<br />
des KSB in der Hoffnung, dass sich<br />
auch andere Arbeitsorte daran ein Vorbild<br />
nehmen. Eine ausführliche Würdigung<br />
folgt in der nächsten Ausgabe.<br />
Gemeinsam für das Gesundheitswesen<br />
Nicht nur in manchen Notfallstationen und<br />
nicht nur punkto Weiterbildung herrscht<br />
im Gesundheitswesen Handlungsbedarf;<br />
weitere Stichworte sind der Fachkräftemangel,<br />
die schwierige Finanzlage der Spitäler<br />
und die schlechten Arbeitsbedingungen.<br />
Um diese Probleme anzugehen, hat die<br />
Gewerkschaft Unia gemeinsam mit dem<br />
Verband der Pflegefachpersonen (SBK) die<br />
Idee einer nationalen Kampagne mit den<br />
im Gesundheitswesen tätigen Personen<br />
lanciert. Hauptziele sind es, die Rahmenbedingungen<br />
und Voraussetzungen für eine<br />
langfristige und bedarfsorientierte Gesundheitsversorgung<br />
zu schaffen sowie die<br />
Arbeitsbedingungen und Tarifverträge der<br />
Leistungserbringer so zu gestalten, dass das<br />
Gesundheitswesen als attraktiver Arbeitsmarkt<br />
wahrgenommen wird und ausreichend<br />
Fachkräfte zur Verfügung stehen.<br />
Kann und will der <strong>vsao</strong> die finanziellen<br />
und personellen Ressourcen aufwenden,<br />
um bei der Kampagne mitzumachen?<br />
Ja, entschieden die Delegierten, sofern einige<br />
Bedingungen erfüllt sind: Der Beitrag<br />
des <strong>vsao</strong> ans Startkapital darf drei Franken<br />
pro Mitglied – also rund 66 000 Franken –<br />
nicht übersteigen, die Kampagne muss<br />
von einem Grossteil der Arbeitnehmendenverbände<br />
im Gesundheitswesen mitgetragen<br />
werden und die Entscheidungsprozesse<br />
im zu gründenden Verein sollten<br />
so gestaltet werden, dass der <strong>vsao</strong> als<br />
grosser Verband auch ein entsprechendes<br />
Mitspracherecht hat (siehe auch Kasten).<br />
Ein Abgang und zwei neue Gesichter<br />
Alle zwei Jahre muss der ZV die GA-Mitglieder<br />
und die Präsidentin bzw. den Präsidenten<br />
bestätigen. Bis auf Martin Sailer, der aus<br />
beruflichen Gründen auf eine Wiederwahl<br />
verzichtete, dem <strong>vsao</strong> jedoch als Vorstandsmitglied<br />
der Sektion Basel erhalten bleibt,<br />
stellten sich alle GA-Mitglieder für eine erneute<br />
Wahl zur Verfügung. Jedoch wird<br />
Vizepräsidentin Nora Bienz – ebenfalls aus<br />
beruflichen Gründen – nur noch bis Ende<br />
<strong>Juni</strong> im Amt bleiben. Neu wählte der ZV<br />
Vera Dino und Sarah Stalder (siehe Kasten<br />
auf S. 10) in den GA, zudem bestätigte er<br />
Angelo Barrile mit Applaus als <strong>vsao</strong>-Präsidenten.<br />
Auch im FMH-Zentralvorstand stehen<br />
im <strong>Juni</strong> Gesamterneuerungswahlen<br />
an. Der ZV beauftragte die Ärztekammer-<br />
Delegierten des <strong>vsao</strong>, die bisherigen Mitglieder<br />
Jana Siroka und Christoph Bosshard<br />
wiederzuwählen, wobei Letzteres für<br />
kurze Diskussionen sorgte. Dies nicht etwa,<br />
weil jemand die Kompetenz oder das<br />
<strong>vsao</strong>-Herz von Christoph Bosshard angezweifelt<br />
hätte, sondern weil er aufgrund<br />
der geltenden Amtszeitbeschränkung nur<br />
antreten kann, wenn ein – nur einmalig<br />
möglicher – Antrag auf Amtszeitverlängerung<br />
gestellt und angenommen wird. Von<br />
mehreren Seiten wurde deshalb betont,<br />
dass es nun wichtig sei, bereits jetzt Personen<br />
aufzubauen, die in vier Jahren in die<br />
Fussstapfen von Christoph Bosshard treten<br />
können.<br />
Neues Projekt zu sexueller<br />
Belästigung<br />
Dass dem <strong>vsao</strong> die Arbeit nicht ausgehen<br />
wird, zeigten die Berichte aus den Ressorts<br />
und Arbeitsgruppen, den Sektionen<br />
und dem Dachverband. So ist etwa die Arbeitsgruppe<br />
42+4 zum einen in Kontakt<br />
mit Chirurginnen und Chirurgen bezüglich<br />
der Umsetzung der 42+4-Stunden-Woche<br />
in der Chirurgie. Zum anderen ist sie<br />
gemeinsam mit einer Agentur daran, eine<br />
Informationskampagne aufzugleisen, die<br />
Aktualisierung: keine<br />
Beteiligung des <strong>vsao</strong> an<br />
der Kampagne<br />
Wenige Wochen nach dem ZV befasste<br />
sich auch der Geschäftsausschuss<br />
mit der vom ZV im Grundsatz befürworteten<br />
Kampagne für die im Gesundheitswesen<br />
tätigen Personen,<br />
die gemeinsam mit der Unia, dem SBK<br />
und weiteren Verbänden geplant war.<br />
In der Zwischenzeit hatten verschiedene<br />
Sektionen Hinweise erhalten,<br />
dass sich der VPOD nicht an der Kampagne<br />
beteiligen wolle. Da für viele<br />
Sektionen der VPOD bei den Verhandlungen<br />
mit Spitälern der wichtigste<br />
Partner ist, kommt eine Kampagne<br />
ohne VPOD für sie nicht infrage. Der<br />
GA hat deshalb entschieden, auf eine<br />
Beteiligung des <strong>vsao</strong> an der geplanten<br />
Kampagne zu verzichten. Stattdessen<br />
soll nach Möglichkeit eine gemeinsame<br />
Aktion oder Kampagne mit dem<br />
SBK, dem VPOD und allenfalls weiteren<br />
Partnern angestrebt werden.<br />
dem geforderten Arbeitszeitmodell weiteren<br />
Auftrieb geben soll. Auch die aus dem<br />
runden Tisch hervorgegangenen Untergruppen<br />
sind nach wie vor aktiv, so etwa<br />
beim Thema Bürokratie. Nach der letztjährigen<br />
Umfrage zu negativen Beispielen<br />
will der <strong>vsao</strong> nun positive Beispiele sammeln,<br />
die als Vorbild dienen können.<br />
Nebst unnötigem bürokratischem<br />
Aufwand gehören insbesondere für Ärztinnen<br />
oft auch anzügliche Bemerkungen<br />
zum Alltag. Mit einem neuen Projekt<br />
möchte der <strong>vsao</strong> nun Ärztinnen und Ärzte<br />
in Spitälern für das Problem der sexuellen<br />
Belästigung sensibilisieren und das Thema<br />
enttabuisieren. Noch steht das Projekt<br />
am Anfang, angedachte Massnahmen<br />
sind unter anderem eine Datenerhebung<br />
sowie Schulungen in den Spitälern.<br />
Auch noch relativ neu, aber schon<br />
sehr aktiv ist die Arbeitsgruppe Planetary<br />
Health. Neben einer bereits durchgeführten<br />
Umfrage, über die im letzten <strong>vsao</strong><br />
<strong>Journal</strong> berichtet wurde, hat die Arbeitsgruppe<br />
diverse weitere Aktivitäten geplant,<br />
sodass schon über die Hälfte des<br />
gesprochenen Budgets von 20 000 Franken<br />
aufgebraucht ist. Die Sektionen Bern<br />
und Zürich beantragten deshalb eine Budgeterhöhung<br />
auf 35 000 Franken für das<br />
laufende Geschäftsjahr. Der ZV stimmte<br />
dem Antrag zu.<br />
<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 3/24 9
Politik<br />
Das Vertrauen ins <strong>vsao</strong>-Zentralsekretariat ist da: Der Zentralvorstand genehmigte die Erfolgsrechnung 2023 einstimmig.<br />
Solide Finanzen<br />
Nicht um das laufende, sondern um das<br />
vergangene Geschäftsjahr ging es bei der<br />
Erfolgsrechnung 2023. Die zunehmenden<br />
Aktivitäten des <strong>vsao</strong> widerspiegelten sich<br />
auch in den Kosten, sagte <strong>vsao</strong>-Geschäftsführer<br />
Simon Stettler. Dennoch gebe es<br />
keinen Anlass zu Sorge, der <strong>vsao</strong> sei finanziell<br />
solide aufgestellt. Zwar schloss die<br />
Rechnung mit einem Minus, dieses fiel jedoch<br />
weniger hoch aus als budgetiert.<br />
Team von mediservice ist wieder<br />
komplett<br />
Ähnlich präsentierte sich die Situation an<br />
der Delegiertenversammlung (DV) von<br />
mediservice <strong>vsao</strong>-asmac. Auch hier war<br />
ein Minus budgetiert worden, auch hier<br />
fiel es geringer aus als vorgesehen. Und<br />
auch hier sind einige Aktivitäten im Gang:<br />
In seinem Statusbericht verwies mediservice-Präsident<br />
Daniel Schröpfer auf<br />
die Seminare und Webinare mit Partnern,<br />
die vermehrt geplant und durchgeführt<br />
werden. 2023 verzeichnete mediservice<br />
ein deutliches Wachstum – und kam erstmals<br />
auf über 19 000 Mitglieder. Wie Marc<br />
Schällebaum erläuterte, ist das Team von<br />
mediservice, das im vergangenen Jahr einige,<br />
teils altersbedingte Abgänge verzeichnete,<br />
mit der Anstellung von Florian<br />
Albrecht im Account Management nun<br />
wieder komplett.<br />
@<strong>vsao</strong>asmac<br />
Neu im Geschäftsausschuss<br />
<strong>vsao</strong><br />
Vera Dino<br />
Assistenzärztin Innere<br />
Medizin, Spital Wil,<br />
seit 2023 Mitarbeit im<br />
Team der <strong>vsao</strong>-Sektion<br />
St. Gallen und<br />
Appenzell<br />
Sarah Stalder<br />
Assistenzärztin Praxis<br />
am Weissenstein in<br />
Langendorf, Vorstandsmitglied<br />
<strong>vsao</strong><br />
Solothurn<br />
Bilder: zvg<br />
10<br />
3/24 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>
Politik<br />
Gemeinsam für<br />
ein starkes<br />
Gesundheits wesen?<br />
Bild: zvg<br />
Im November 2021 hat die Schweizer Stimmbevölkerung<br />
die Pflegeinitiative mit einer deutlichen Mehrheit von<br />
über 60 Prozent angenommen. Das klare Ja wurde zwar<br />
von der speziellen Situation mitten in der Covid-19-Pandemie<br />
begünstigt, trotzdem war es ein historischer Erfolg – nur<br />
schon, weil Volksinitiativen in der Schweiz nur ganz selten<br />
angenommen werden.<br />
Auch der <strong>vsao</strong> warb damals für ein Ja zur Initiative,<br />
weil er die Probleme bei den Arbeitsbedingungen<br />
des Pflegepersonals anerkannte. Er<br />
war und ist sich auch bewusst, dass der<br />
Fachkräftemangel bei den Pflegenden<br />
sich negativ auf die Arbeits- und Weiterbildungsbedingungen<br />
der Spitalärzteschaft<br />
auswirkt. Die Unterstützung<br />
war also nicht nur ein Akt der<br />
Solidarität, sondern erfolgte durchaus<br />
auch in eigenem Interesse.<br />
Genauso gut hätte damals wie<br />
auch heute eine Initiative für Assistenz-<br />
und Oberärztinnen und -ärzte<br />
lanciert werden können – oder eine<br />
für Hebammen, Physiotherapeuten,<br />
Ergotherapeutinnen oder eine andere<br />
Berufsgruppe aus dem Gesundheitswesen.<br />
Praktisch alle Personen, die im Gesundheitswesen<br />
beschäftigt sind – insbesondere die Angestellten<br />
– leiden in der einen oder anderen Form unter<br />
dem hohen Rhythmus, den langen und unregelmässigen Arbeitszeiten,<br />
dem Schichtbetrieb mit Nacht- und Sonntagsarbeit,<br />
der zunehmenden Bürokratie, der fehlenden Wertschätzung<br />
durch Vorgesetzte.<br />
Sie spüren auch die schlechte finanzielle Lage vieler<br />
Spitäler, und dazu kommt eine Medienberichterstattung und<br />
eine politische Debatte, die gefühlt ständig davon spricht,<br />
dass das Gesundheitswesen viel zu teuer sei und die Kosten<br />
unbedingt und dringend gesenkt werden müssten. Wobei<br />
Kostensenkung immer auch bedeuten würde, dass der Druck<br />
auf das Personal weiter erhöht wird, da niemand auf Leistungen<br />
verzichten möchte.<br />
Die Pflegeinitiative ist mittlerweile in der Umsetzung<br />
einen grossen Schritt weitergekommen. Die erste Etappe, bei<br />
der es darum ging, die Ausbildung von neuem Pflegepersonal zu<br />
fördern, ist auf Bundesebene abgeschlossen und tritt am 1. Juli<br />
<strong>2024</strong> in Kraft. Die damit beschlossene Ausbildungsoffensive<br />
Auf den<br />
Punkt<br />
gebracht<br />
kann aber nur gelingen, wenn auch die Kantone ihren Beitrag<br />
leisten: Geld vom Bund fliesst nämlich nur in jene Kantone,<br />
die selbst auch einen finanziellen Beitrag für die Förderung<br />
der Pflegeausbildung leisten. Welche Wirkung die Offensive<br />
tatsächlich haben wird, lässt sich heute noch nicht abschätzen.<br />
Die zweite Etappe, mit der die Arbeitsbedingungen des<br />
Pflegepersonals verbessert werden sollen, wurde kürzlich<br />
in die Vernehmlassung geschickt und wird danach<br />
im Parlament verhandelt. Der Verband der<br />
Pflegefachpersonen SBK hat sich in einer<br />
ersten Stellungnahme nur teilweise<br />
positiv geäussert. Er begrüsst zwar<br />
die vorgesehenen Verbesserungen<br />
der Arbeitsbedingungen, bemängelt<br />
aber insbesondere, dass für die<br />
Umsetzung keine zusätzlichen<br />
finanziellen Mittel vorgesehen sind.<br />
Tatsächlich stellt sich die<br />
Frage, wie die Arbeitsbedingungen<br />
von Pflegefachpersonen ganz<br />
ohne zusätzliche finanzielle Mittel<br />
verbessert werden können. Es<br />
zeichnet sich also ab, dass auch nach<br />
der Umsetzung der Initiative viele<br />
Probleme bestehen bleiben bzw. dass<br />
deren Lösung an der fehlenden Finanzierung<br />
scheitern wird. Ebenso bleiben die Probleme<br />
der Assistenzärztinnen und -ärzte und der anderen<br />
Berufsgruppen bestehen.<br />
Vielleicht rückt so der Zeitpunkt näher, an dem es gelingen<br />
wird, ein breites Bündnis der Beschäftigten im Gesundheitswesen<br />
zu mobilisieren. Wenn all diese Berufsgruppen – von<br />
Ärztinnen und Pflegenden über Hebammen und Psychotherapeuten<br />
bis zu Ergotherapeutinnen – gemeinsam ein Zeichen<br />
setzen, dass Verbesserungen dringend nötig sind, hat dies<br />
bestimmt eine andere und stärkere Wirkung, als wenn wie<br />
bis anhin einzelne Verbände mehr oder weniger im Alleingang<br />
ihre Forderungen stellen.<br />
Philipp Thüler,<br />
Leiter Politik und Kommunikation /<br />
stv. Geschäftsführer <strong>vsao</strong><br />
<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 3/24 11
Weiterbildung / Arbeitsbedingungen<br />
Nominieren Sie<br />
engagierte Weiterbildende<br />
für den SIWF-Award<br />
War eine ehemalige Weiterbildnerin von Ihnen besonders gut darin,<br />
einprägsame Erklärungen zu liefern? Oder hat sich ein früherer Weiterbildner<br />
auch in stressigen Situationen Zeit fürs Teaching genommen?<br />
Dann nominieren Sie diese Person oder auch ein ganzes Team für<br />
den SIWF-Award.<br />
Dr. med. Raphael Stolz, Vizepräsident des Schweizerischen Instituts für ärztliche Weiter- und Fortbildung (SIWF),<br />
PD Dr. med. et MME Monika Brodmann Maeder, Präsidentin des Schweizerischen Instituts für ärztliche Weiter- und Fortbildung (SIWF)<br />
Auf dem Weg zum Facharzttitel treffen Ärztinnen und Ärzte auf viele verschiedene Weiterbildungsverantwortliche.<br />
Motivierende und positive<br />
Reaktionen von Weiterbildnerinnen<br />
und Weiterbildnern,<br />
die für den SIWF-<br />
Award nominiert wurden, haben uns bestätigt,<br />
dass eine solche Auszeichnung<br />
sinnvoll ist und ihren Zweck erfüllt. Wir<br />
freuen uns deshalb, bereits zum elften Mal<br />
die Ausschreibung für den SIWF- Award<br />
veröffentlichen zu können.<br />
Entscheidende Grundlage für eine optimale<br />
Vermittlung von Haltung, Können<br />
und Wissen an die Weiterzubildenden ist<br />
das Engagement der Kaderärztinnen und<br />
Kaderärzte. Diese Aufgabe lässt sich nur<br />
beschränkt durch Pflichtenhefte definieren,<br />
viel wichtiger sind persönliches Engagement<br />
und Begeisterung. Die Belas-<br />
Bild: SIWF/Standardlizenz iStock<br />
12<br />
3/24 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>
Weiterbildung / Arbeitsbedingungen<br />
Bild: www.lovelife.ch/de/publikationen<br />
tungen in der medizinischen Arbeitswelt<br />
sind vielfältig, und die zeitlichen sowie finanziellen<br />
Ressourcen werden stets knapper.<br />
Umso mehr sollten besonders aktive<br />
und motivierte Weiterbildnerinnen und<br />
Weiterbildner auch Anerkennung erhalten.<br />
Das SIWF bietet aus diesem Grund Assistenzärztinnen<br />
und Assistenzärzten die<br />
Möglichkeit, das ausserordentliche Engagement<br />
solcher Weiterbildungsverantwortlichen<br />
explizit zu würdigen, ohne<br />
aber eine Rangliste erstellen zu wollen.<br />
Einzelpersonen oder Teams<br />
Für den SIWF-Award können Personen<br />
nominiert werden, die zurzeit in der ärztlichen<br />
Weiterbildung aktiv tätig sind. Im<br />
Fokus stehen Kaderärztinnen und Kaderärzte,<br />
die sich persönlich für die Weiterbildung<br />
von angehenden Fachärztinnen und<br />
Fachärzten einsetzen und besonders kompetent<br />
und initiativ bei der Weitergabe<br />
von Kompetenzen sind. Ebenfalls können<br />
verantwortliche Teams einer Weiterbildungsstätte<br />
nominiert werden. Nominationsberechtigt<br />
sind Ärztinnen und Ärzte,<br />
die sich zurzeit in der Weiterbildung zu<br />
einem Facharzttitel oder privatrechtlichen<br />
Schwerpunkt befinden oder vor weniger<br />
als einem Jahr den Facharzttitel erworben<br />
haben. Eine Nomination ist dann<br />
gültig, wenn sie durch zwei Personen gemeinsam<br />
erfolgt. Sie soll die persönliche<br />
Wertschätzung für die wahrgenommene<br />
Weiterbildungsqualität und für das Engagement<br />
der Weiterbildungsverantwortlichen<br />
ausdrücken. Damit aufgrund des<br />
Nominationsprozesses keine Vorteile oder<br />
Konflikte am Arbeitsplatz entstehen können,<br />
dürfen nur Weiterbildungsverantwortliche<br />
oder Teams nominiert werden,<br />
bei denen die Nominierenden aktuell<br />
nicht mehr angestellt sind.<br />
Die SIWF-Geschäftsleitung überprüft,<br />
ob die Nominierung formell korrekt ist,<br />
und entscheidet abschliessend über die<br />
Gültigkeit der einzelnen Nominationen.<br />
Alle korrekt Nominierten erhalten<br />
als Würdigung ihres Engagements in der<br />
Weiterbildung eine Anerkennungsurkunde,<br />
ein Präsent und eine kostenlose<br />
Einladung zum MedEd-Symposium am<br />
18. September <strong>2024</strong> in Bern. Sie werden<br />
(nach Rückfrage) auf der SIWF-Website<br />
(www.siwf.ch) aufgeführt und am MedEd-<br />
Symposium namentlich genannt. Die Namen<br />
der nominierenden Personen hingegen<br />
werden nicht veröffentlicht und<br />
den Nominierten auch nicht mitgeteilt.<br />
Es wird keine Rangliste der Nominierten<br />
erstellt.<br />
Jetzt Weiterbildungsverantwortliche nominieren!<br />
Der SIWF-Award gibt die Möglichkeit, besonders engagierten und kompetenten ärztlichen<br />
Weiterbildungsverantwortlichen und auch Teams eine Anerkennung auszudrücken.<br />
Hat eine ehemalige Weiterbildnerin oder ein ehemaliger Weiterbildner bei Ihnen<br />
einen bleibenden Eindruck hinterlassen? Dann nominieren Sie sie oder ihn für den<br />
SIWF-Award.<br />
Füllen Sie auf der SIWF-Website<br />
(www.siwf.ch b SIWF-Projekte b SIWF-Award)<br />
das Onlineformular aus.<br />
Einsendeschluss: 31. Juli <strong>2024</strong><br />
Weitere Informationen finden Sie auf www.siwf.ch.<br />
Wenn Sie Fragen haben, erreichen Sie uns über info@siwf.ch<br />
oder unter 031 503 06 00.<br />
Kriterien für die Nomination<br />
– Zugelassen sind Ärztinnen und Ärzte,<br />
die sich zurzeit in der Weiterbildung zu<br />
einem Facharzttitel oder privatrechtlichen<br />
Schwerpunkt befinden oder vor<br />
weniger als einem Jahr den Facharzttitel<br />
erworben haben.<br />
– Die Nomination muss gemeinsam durch<br />
zwei Personen erfolgen.<br />
– Nominierende dürfen aktuell nicht mehr<br />
bei der oder dem zu nominierenden Weiterbildungsverantwortlichen<br />
an gestellt<br />
sein.<br />
– Die zu nominierende Person muss aktuell<br />
in der Weiterbildung tätig sein.<br />
MedEd-Symposium <strong>2024</strong><br />
Die Nominierten werden am MedEd-<br />
Symposium am 18. September <strong>2024</strong><br />
in Bern gewürdigt. Weitere Informationen<br />
zum Symposium finden Sie<br />
via QR-Code.<br />
LOVE LIFE: Neue Schutz- und Testempfehlungen<br />
Seit vielen Jahren ist das Kondom in der breiten Öffentlichkeit<br />
verankert. Es war lange das Symbol von Safer Sex<br />
und bedeutete Schutz vor HIV. Heute umfasst Safer Sex<br />
den Schutz vor HIV, HCV, HBV und anderen sexuell<br />
übertragbaren Infektionen (STI).<br />
Die LOVE-LIFE-Kampagne «READY!» spricht nun nicht<br />
mehr von «Safer-Sex-Regeln», sondern von individuellen<br />
«Empfehlungen». An die Stelle der Kondomregel für alle<br />
tritt deshalb die neue Empfehlung: «Mach deinen persönlichen<br />
Safer-Sex-Check.»<br />
So erhalten die Nutzenden individuelle Schutz- und<br />
Testempfehlungen.<br />
Mehr Infos unter: www.lovelife.ch<br />
<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 3/24 13
Weiterbildung / Arbeitsbedingungen<br />
Positives Feedback darf auch mal im Patientenzimmer stattfinden.<br />
Next Level<br />
Feedback geben<br />
Regelmässige Rückmeldungen ermöglichen es Assistenzärztinnen<br />
und -ärzten, ihre Leistungen zu verbessern. Insbesondere dann,<br />
wenn relevante Defizite zur Sprache kommen, ist eine gute Vorbereitung<br />
des Feedbackgesprächs wichtig.<br />
Dr. med. Christine Roten, Spitalfachärztin I, und Dr. med. Martin Perrig, Chefarzt,<br />
Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin, Inselspital Bern<br />
Bilder: Adobe Stock, zvg<br />
14<br />
3/24 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>
Weiterbildung / Arbeitsbedingungen<br />
Feedback ist eine gezielte Information<br />
über eine beobachtete<br />
Leistung im Vergleich zu einem<br />
definierten Standard [1]. Feedback<br />
soll möglichst konkret und konstruktiv<br />
beschreiben, wie etwas gemacht<br />
bzw. durchgeführt wurde: Ziel ist die spezifische<br />
Verbesserung oder Änderung eines<br />
Verhaltens, einer Tätigkeit oder eines<br />
Prozesses.<br />
Voraussetzungen für Feedback<br />
Respektvolles Klima: Ein respektvolles<br />
Lernklima ist die Grundvoraussetzung, damit<br />
Feedback effektiv und nachhaltig ist<br />
[2]. Nur durch gegenseitigen Respekt und<br />
Vertrauen kann Feedback gut angenommen<br />
und umgesetzt werden [3].<br />
Erwartungen definieren: Es braucht definierte<br />
Vorgaben und Lernziele betreffend<br />
erwartete Leistung, um vorhandenes<br />
Wissen, eine Handlung oder ein Verhalten<br />
beurteilen zu können.<br />
Beobachtete Handlungen: Feedback soll<br />
sich auf konkret beobachtete Situationen<br />
beziehen. Es wirkt unglaubwürdig, wenn<br />
es auf einem Hörensagen oder auf Aussagen<br />
Dritter basiert.<br />
Regelmässig und zeitnah: Feedback soll<br />
regelmässig im Alltag integriert werden.<br />
Durch unmittelbares und direktes Ansprechen<br />
kann eine mangelhafte Leistung am<br />
effizientesten verbessert werden.<br />
Wie läuft strukturiertes Feedback ab?<br />
Auswahl der Inhalte und des geeigneten<br />
Rahmens: Vor dem Beobachten wird gemeinsam<br />
festgelegt, was die Ziele und Inhalte<br />
des Feedbacks sein sollen. Es sollen<br />
vor allem veränderbare Leistungen besprochen<br />
werden. Ein Feedback soll nach<br />
Möglichkeit immer in einer geeigneten<br />
und für beide Seiten angenehmen Umgebung<br />
stattfinden. Positives Feedback darf<br />
auch mal vor der Pflege oder vor Patientinnen<br />
und Patienten im Patientenzimmer<br />
stattfinden.<br />
Selbsteinschätzung: Beim Feedbackgespräch<br />
wird als Erstes mit offenen Fragen<br />
die Selbsteinschätzung der Assistentin<br />
oder des Assistenten erfragt, z.B.:<br />
«Wie hast du die Intervention, das Gespräch<br />
erlebt? Hast du dich sicher gefühlt? Gab es<br />
Unsicherheiten? Was hast du als schwierig<br />
empfunden?»<br />
Durch die Selbsteinschätzung können<br />
Schwierigkeiten aufgegriffen werden, die<br />
von der Oberärztin oder dem Oberarzt<br />
ebenfalls beobachtet wurden.<br />
Feedback: Beim eigentlichen Feedback beschreibt<br />
die Oberärztin oder der Oberarzt<br />
konkrete persönliche Beobachtungen. Dazu<br />
soll die Ich-Form verwendet werden,<br />
z.B.:<br />
«Ich habe beobachtet …, Mir ist aufgefallen<br />
…, Mir hat sehr gefallen, dass …»<br />
Als Erstes bespricht die Oberärztin oder<br />
der Oberarzt die Stärken (Verhalten, Gesprächstechnik,<br />
Fertigkeiten usw.), die<br />
beibehalten werden sollen. Die Assistenzärztin<br />
oder der Assistenzarzt fühlt sich<br />
dadurch unterstützt und motiviert [4, 5].<br />
Danach beschreibt und bespricht die<br />
Oberärztin oder der Oberarzt, bei welchen<br />
Leistungen Verbesserungen angezeigt<br />
sind.<br />
Eine Formulierung wie «… sehr gut,<br />
aber …» ist zu vermeiden, da unklar ist,<br />
was gut und was zu verbessern ist. Zudem<br />
hilft es, wenn die Oberärztin oder der<br />
Oberarzt konkret begründet, weshalb etwas<br />
verbessert werden soll, und spezifische<br />
Veränderungsvorschläge macht, die<br />
nachvollziehbar sind. Damit können die<br />
Akzeptanz und die Bereitschaft zur Veränderung<br />
erleichtert werden [6].<br />
Zusammenfassung und Abschluss: Die<br />
Assistentin oder der Assistent wird aufgefordert,<br />
ihre respektive seine Lerneffekte<br />
zusammenzufassen. Es kann ein nächstes<br />
Feedbacktreffen abgemacht werden, bei<br />
dem die Verbesserungen und Fortschritte<br />
erneut besprochen werden.<br />
Auch wenn man sich gut vorbereitet,<br />
laufen nicht alle Feedbacks wie erwartet.<br />
Deshalb lohnt es sich, nach jedem Feedback<br />
zu überlegen, was gut gelaufen ist<br />
und was man beim nächsten Mal anders<br />
machen würde [5, 7].<br />
Was sind meine Aufgaben<br />
als Oberärztin<br />
oder als Oberarzt?<br />
Da Oberärztinnen und -ärzte direkt für<br />
die Qualität der medizinischen Betreuung<br />
in ihrem ärztlichen Team mitverantwortlich<br />
sind, ist es wichtig, dass<br />
sie die Leistung ihres Teams beobachten,<br />
beurteilen sowie Probleme, Mängel<br />
usw. konkret ansprechen. Zudem<br />
tragen sie durch ihr Feedback wesentlich<br />
dazu bei, dass Assistenzärztinnen<br />
und -ärzte in ihrer Weiterbildung<br />
effizient vorwärtskommen und sich<br />
gezielt verbessern können.<br />
Um eine optimale Patientenbetreuung<br />
zu erreichen, ist auch ein regelmässiger<br />
Austausch mit gegenseitigem Feedback<br />
innerhalb des interprofessionellen<br />
Teams wichtig.<br />
Ein Leitfaden zur oberärztlichen Tätigkeit<br />
Der Schritt von der Assistenzzeit hin zur oberärztlichen<br />
Tätigkeit ist mit vielen neuen Aufgaben verbunden. Neben<br />
den fachlichen Kompetenzen sind auch vermehrt überfachliche<br />
Kompetenzen wie eine gute Kommunikation<br />
sowie didaktische und Führungsqualitäten gefordert. Die<br />
Artikelserie «Next Level» zeigt entsprechende Herausforderungen<br />
auf und bietet praktische Tipps und Unterstützung<br />
für die tägliche Arbeit. Die leicht angepassten und<br />
teilweise stark gekürzten Texte stammen aus dem Leitfaden<br />
«Die oberärztliche Tätigkeit – eine neue Herausforderung»<br />
und wurden vom Verlag Hogrefe sowie den jeweiligen<br />
Autorinnen und Autoren freundlicherweise für einen Nachdruck<br />
zur Verfügung gestellt. Der gesamte Leitfaden mit<br />
den ungekürzten Texten und weiteren Themen ist beim Verlag Hogrefe oder bei der<br />
Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM) erhältlich.<br />
Roten C, Perrig M (Hrsg.): Die oberärztliche Tätigkeit – eine neue Herausforderung.<br />
Ein praktischer Leitfaden. 1. Auflage, Bern: Hogrefe Verlag, 2021.<br />
www.hogrefe.com, www.sgaim.ch<br />
<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 3/24 15
Weiterbildung / Arbeitsbedingungen<br />
Feedback ist wichtig und wirksam: Mit gezieltem Feedback und bei Bedarf Unterstützung können Leistungen kontinuierlich verbessert werden.<br />
Anzeige<br />
www.hogrefe.com<br />
Norbert Donner-Banzhoff<br />
Die ärztliche Diagnose<br />
Erfahrung – Evidenz – Ritual<br />
Insbesondere niedergelassene<br />
Ärzt * innen müssen zunehmend die<br />
eigenen Erfahrungswerte und das<br />
individuelle Patienten-Wohl mit in<br />
die eigene Entscheidungsfindung<br />
integrieren, was nicht immer und<br />
zwangsläufig mit der Hochschullehrmeinung<br />
übereinstimmt. Das Buch versucht anhand verschiedener<br />
Sichtweisen eine Handlungsrelevanz für den ärztlichen<br />
Alltag herauszuarbeiten.<br />
2022, 360 S., 64 Abb., 5 Tab., Kt.<br />
€ 45,00 (DE) / € 46,30 (AT) / CHF 58.50<br />
ISBN 978-3-456-86194-4<br />
Auch als ebook erhältlich<br />
Schwieriges Feedback<br />
Feedback wird zu einer besonderen Herausforderung,<br />
wenn relevante Defizite beobachtet<br />
werden [8, 9]. Assistenzärztinnen<br />
und -ärzte sind sich dieser Defizite oft<br />
nicht bewusst.<br />
Für Oberärztinnen und -ärzte stellt<br />
sich die Frage, wann und wie sie schwerwiegende<br />
Mängel ansprechen sollen. Es<br />
besteht das Risiko, dass schwierige Gespräche<br />
verschoben und weitergegeben<br />
werden, ohne dass die betreffende Person<br />
je eine Rückmeldung erhält. Jedoch können<br />
bis zu 90 Prozent dieser Schwierigkeiten<br />
nach einem Feedback mit anschliessender<br />
Intervention und adäquater Unterstützung<br />
behoben werden [10, 11]. Der<br />
Austausch mit anderen oberärztlichen<br />
Kollegen und Kolleginnen ist hier besonders<br />
wichtig und hilfreich.<br />
TIPS-Modell<br />
Ist schwieriges Feedback nötig, empfiehlt<br />
sich das TIPS-Modell [12]. Die ersten beiden<br />
Schritte sollten vor dem Gespräch<br />
stattfinden.<br />
T = Type – Aufschreiben und Spezifizieren<br />
des Problemverhaltens<br />
Essenziell für Feedback bei relevanten Defiziten<br />
ist eine gute Vorbereitung. Es sol-<br />
Bild: Adobe Stock<br />
16<br />
3/24 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>
Weiterbildung / Arbeitsbedingungen<br />
len möglichst viele konkrete, am besten<br />
selbst beobachtete Beispiele gesammelt<br />
werden. Es lohnt sich, eigene Eindrücke<br />
aufzuschreiben. Zur Bestätigung können<br />
auch Eindrücke von anderen Beteiligten<br />
eingeholt werden.<br />
I = Identification – Identifizieren der<br />
Kategorie des Problems<br />
Die Zuordnung des Problems ist wichtig,<br />
um eine Lösungsstrategie entwickeln zu<br />
können. Die meisten Probleme können<br />
drei Gruppen zugeordnet werden:<br />
– Wissen: z.B. relevante Lücken im medizinischen<br />
Basiswissen<br />
– Verhalten/Haltung: z.B. fehlende Motivation,<br />
Selbstüberschätzung, mangelhafte<br />
Arzt-Patienten-Beziehung<br />
– Skills: z.B. falsche Interpretation von Informationen<br />
und Befunden, fehlende<br />
interpersonelle und kommunikative<br />
Skills, chaotische Arbeitsorganisation<br />
Die folgenden Schritte finden während<br />
des Feedbackgespräches statt.<br />
Literatur<br />
[1] van de Ridder JM, Stokking KM,<br />
McGaghie WC, Ten Cate OT. What is feedback<br />
in clinical education? Med Educ.<br />
2008;42(2):189–97. https://doi.<br />
org/10.1111/j.1365-2923.2007.02973.x.<br />
[2] Hewson MG, Little ML. Giving<br />
feedback in medical education: verification<br />
of recommended techniques. J Gen Intern Med.<br />
1998;13(2):111–6. https://doi.<br />
org/10.1046/j.1525-1497.1998.00027.x.<br />
[3] Hesketh EA, Laidlaw JM.<br />
Developing the teaching instinct, 1: feedback.<br />
Med Teach. 2002;24(3):245–8. https://doi.<br />
org/10.1080/014215902201409911.<br />
[4] Cantillon P, Sargeant J. Giving<br />
feedback in clinical settings. BMJ.<br />
2008;337:a1961. https://doi.org/10.1136/bmj.<br />
a1961.<br />
[5] Dent J, Harden RM, Hunt D, eds.<br />
A practical Guide for Medical Teachers. 5 th ed.<br />
Amsterdam: Elsevier; 2017.<br />
[6] Vickery AW, Lake FR. Teaching<br />
on the run tips 10: giving feedback. Med J Aust.<br />
2005;183(5):267–8. https://doi.<br />
org/10.5694/j.1326-5377.2005.tb07035.x.<br />
[7] Ramani S, Krackov SK. Twelve tips<br />
for giving feedback effectively in the clinical<br />
environment. Med Teach. 2012;34(10):787–91.<br />
https://doi.org/10.3109/0142159X.2012.684916.<br />
[8] Steinert Y. The «problem» junior:<br />
whose problem is it? BMJ. 2008;336(7636):150–3.<br />
https://doi.org/10.1136/bmj.39308.610081.AD.<br />
[9] Hicks PJ, Cox SM, Espey EL,<br />
Goepfert AR, Bienstock JL, Erickson SS, et al.<br />
To the point: medical education reviews –<br />
dealing with student difficulties in the clinical<br />
setting. Am J Obstet Gynecol.<br />
2005;193(6):1915–22. https://doi.org/10.1016/j.<br />
ajog.2005.08.012.<br />
[10] Winter RO, Birnberg B. Working<br />
with impaired residents: trials, tribulations,<br />
and successes. Fam Med. 2002;34(3):190–6.<br />
[11] Reamy BV, Harman JH. Residents<br />
in trouble: an in-depth assessment of the<br />
25-year experience of a single family medicine<br />
residency. Fam Med. 2006;38(4):252–7.<br />
[12] Lucas JH, Stallworth JR. Providing<br />
difficult feedback: TIPS for the problem learner.<br />
Fam Med. 2003;35(8):544–6.<br />
P = Perception – Beobachtungen<br />
schildern<br />
Die Oberärztin oder der Oberarzt beschreibt<br />
das Problem als Beobachtung in<br />
der Ich-Form und gibt danach der Assistentin<br />
oder dem Assistenten die Möglichkeit,<br />
ihre respektive seine Sicht der Dinge<br />
zu schildern. Zudem sollte die Oberärztin<br />
oder der Oberarzt mit Feingefühl eventuelle<br />
private Ursachen und Leistungen in<br />
früheren Anstellungen ansprechen.<br />
Je nach Verlauf des Gespräches können<br />
verschiedene Kommunikationstechniken<br />
unterstützend sein:<br />
– Normalisieren: «Ich habe einige Assistenzärztinnen<br />
und -ärzte gesehen, die sich … »<br />
– Assoziationen formulieren, Verständnis<br />
signalisieren: «Durch diese schwierige<br />
Situation zu Hause fällt es dir schwer,<br />
dich zu konzentrieren …»<br />
Auch kann es helfen, eigene Erfahrungen<br />
mit ähnlichen Situationen zu schildern.<br />
Herausfordernd wird es dann, wenn es Dis-<br />
krepanzen zwischen der Selbstwahrnehmung<br />
der Assistentin oder des Assistenten<br />
und der Realität gibt. Falls keine Einsicht<br />
erreicht wird, etwas am eigenen Verhalten<br />
zu ändern, kann man sie respektive ihn<br />
auffordern, die Perspektive zu wechseln,<br />
oder schwierige Fragen stellen, z.B.:<br />
– «Was denkst du, was würde ein Patient sagen<br />
über eine Assistenzärztin, die sich …»<br />
– «Kann ich eine komische Frage stellen?<br />
Ich frage mich, ob du wirklich Arzt sein<br />
möchtest …»<br />
S = Strategies – Plan aufstellen<br />
Sobald die Mängel erkannt sind, werden<br />
gemeinsam konkrete Schritte besprochen,<br />
wie diese Mängel behoben werden könnten.<br />
Mögliche Interventionen sind:<br />
– zusätzliche Supervision, Coaching oder<br />
Teaching<br />
– schriftliches Festhalten von Erwartungen<br />
– Reduktion der klinischen Arbeitsbelastung<br />
mit mehr geschützter Arbeitszeit<br />
– Änderung des Arbeitsplatzes durch Rotation<br />
– Probezeit und Beobachtungszeit verlängern<br />
Die Massnahmen sollten in einem Gesprächsprotokoll<br />
schriftlich festgehalten<br />
und von beiden Teilnehmenden unterschrieben<br />
werden. Zusätzlich wird zur<br />
Evaluation der besprochenen Schritte ein<br />
Folgetermin vereinbart.<br />
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Kathrin Grüneis<br />
<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 3/24 17
Weiterbildung / Arbeitsbedingungen<br />
Forschen lernen<br />
Wie war noch mal<br />
die Frage?<br />
In Douglas Adams köstlichem<br />
Science-Fiction-Roman «Per Anhalter<br />
durch die Galaxis» wird ein<br />
Supercomputer beauftragt, die<br />
Frage «nach dem Sinn des Lebens, dem<br />
Universum und dem ganzen Rest» zu<br />
finden. Nach langer Rechenzeit verkündet<br />
er seine Antwort: die Zahl 42. Die erzürnten<br />
Auftraggeber fragen den Computer<br />
nach einer Interpretation dieses simplen<br />
Resultats. Dieser rügt sie, dass sie eine<br />
solch komplexe Frage gar nicht begreifen<br />
könnten und sich ihnen daher auch die<br />
Antwort nie erschliessen würde.<br />
Auch in der klinischen Forschung<br />
enden viele Studien ohne Erfolg, weil<br />
Daten gesammelt werden, ohne vorher<br />
eine präzise Frage gestellt zu haben. Dies<br />
führt spätestens bei den statistischen<br />
Analysen zu Problemen.<br />
Beim Ausarbeiten Ihrer Studienfrage<br />
empfehle ich, die Prinzipien zum Verfassen<br />
von systematischen Reviews anzuwenden.<br />
Mithilfe des englischen Akronyms<br />
PICOT können Sie die Frage in ihre<br />
Bestandteile zerlegen. Wenn Sie beispielsweise<br />
erforschen wollen, ob eine<br />
Otitis media mit Antibiotika behandelt<br />
werden soll, sollten Sie sich etwa folgende<br />
Punkte überlegen:<br />
– Patients: Wie ist Ihre Studienpopulation<br />
definiert? Sind es pädiatrische<br />
Patienten? Schliessen Sie Patientengruppen<br />
mit gewissen Vorerkrankungen<br />
aus?<br />
– Intervention: Welche Antibiotika<br />
wollen Sie studieren? Wie werden sie<br />
verabreicht, wie lange und in welcher<br />
Dosierung?<br />
– Comparator: Was ist die alternative<br />
Therapie? Ein Placebo, keine Therapie<br />
oder eine andere Behandlung? Wie<br />
wird diese verabreicht, wie lange und<br />
in welcher Dosierung?<br />
– Outcome: Wie definieren Sie den<br />
Erfolg der Behandlung? Messen Sie<br />
objektive Outcomes (z. B. Entzündungsparameter)<br />
oder auch subjektive<br />
(z. B. Schmerzen)?<br />
– Time: Wie lange ist das Zeitintervall<br />
von der Behandlung bis zum Messen<br />
des Outcomes?<br />
Wenn Klarheit zu den PICOT-Punkten<br />
herrscht, ist eine wichtige Grundlage<br />
für weitere Überlegungen zum Studiendesign<br />
geschaffen – und damit die<br />
Voraussetzung, dass Ihre Studie nicht<br />
in einer banalen zweistelligen Zahl<br />
resultieren wird.<br />
Lukas Staub,<br />
klinischer Epidemiologe,<br />
Redaktionsmitglied des<br />
<strong>vsao</strong> <strong>Journal</strong>s<br />
Bild: zvg<br />
18<br />
3/24 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>
Anzeigen<br />
Neues Gesundheitszentrum im Zürcher Unterland lockt Ärzte<br />
mit attraktiven Praxisflächen – Es hat noch einzelne freie Mietflächen<br />
Das Rietbach Center in Bachenbülach schliesst medizinische Versorgungslücken.<br />
Unter dem Motto «Shopping meets Health» bietet das erst kürzlich eröffnete Center eine breite Palette<br />
an medizinischen Dienstleistungen in Verbindung mit einem attraktiven Einkaufserlebnis.<br />
Bachenbülach, ZH – Schon jetzt erfreut sich das Rietbach<br />
Center grosser Beliebtheit. Die Praxen werden regelrecht<br />
von Patienten überrannt, was die hohe Nachfrage nach medizinischen<br />
Dienstleistungen in der Region unterstreicht.<br />
Die freien Flächen werden exklusiv an weitere medizinische<br />
Dienstleister vermietet, betont Alexander Herren von<br />
der Bauherrin P&F Immobilien AG. Dabei sei man für alle<br />
Fachrichtungen offen, solange sie die aktuellen Mieter<br />
nicht konkurrieren. Bereits geöffnet haben eine renommierte<br />
Hausärztegruppe, eine Kinderarztpraxis mit 7 Ärzten<br />
und eine hochmoderne Zahnarztpraxis. Noch in diesem<br />
Jahr werden zudem eine Spitex und weitere Dienstleister<br />
ihre Türen öffnen. Abseits der medizinischen Einrichtungen<br />
bietet das Center ein breites Spektrum an Dienstleistungen<br />
und Einkaufsmöglichkeiten. Dazu gehören ein<br />
Business-Hotel, Burger King, JYSK, Petfriends und ein<br />
Beauty-Salon. Die nahegelegenen Geschäfte wie die Parkallee, der neue Coop Mega Store, Aldi, Smyths Toys und Jumbo machen<br />
das Rietbach Center zu einem lebendigen Knotenpunkt für Gesundheit und Alltag.<br />
Beratung und Inspiration «Freie Mietflächen» im Rietbach Center<br />
Interessenten für Praxisflächen können sich an Alexander Herren wenden.<br />
E-Mail: herren@pfimmobilien.ch, Telefon: 061 564 74 32<br />
Webseite: www.rietbach-center.ch<br />
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Rechtsschutz für Ärzte und<br />
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Ein Unterstützungsnetzwerk<br />
für Ärztinnen<br />
und Ärzte<br />
ReMed unterstützt Ärztinnen und Ärzte in Krisensituationen<br />
mit einem breiten Angebot. Dies mit dem Ziel, die Gesundheit und<br />
die ärztliche Funktionalität zu erhalten sowie die Patientensicherheit und<br />
die hohe Qualität in der medizinischen Versorgung zu gewährleisten.<br />
Dr. med. Peter Christen, ärztlicher Co-Programmleiter ReMed<br />
Esther Kraft, nicht ärztliche Co-Leitung ReMed<br />
Lange Arbeitszeiten, eine hohe Verantwortung und ein starker Leistungsdruck stellen<br />
für die Gesundheit von Ärztinnen und Ärzten eine Herausforderung dar. Das Netzwerk ReMed<br />
bietet Unterstützung in Krisensituationen.<br />
Illustration: zvg<br />
20<br />
3/24 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>
<strong>vsao</strong><br />
Damit Ärztinnen und Ärzte<br />
sich für die Gesundheit ihrer<br />
Patientinnen und Patienten<br />
engagieren können, ist es von<br />
grosser Bedeutung, dass sie ihre eigene<br />
Gesundheit im Blick behalten. Aufgrund<br />
ihrer Arbeitsbedingungen, ihrer hohen<br />
Leistungsbereitschaft und ihrem hohen<br />
Verantwortungsgefühl sind Medizinerinnen<br />
und Mediziner besonderen Risiken<br />
ausgesetzt, die zu ernsthaften physischen<br />
und psychischen Problemen führen können.<br />
Oft zögern sie aus Scham, Hilfe anzunehmen,<br />
und sie tendieren zu Selbstbehandlung<br />
und Selbstmedikation.<br />
In solchen Krisensituationen bietet das<br />
Netzwerk ReMed spezielle Unterstützung<br />
für die Ärzteschaft an, indem es Wissen und<br />
Erfahrung im Bereich Gesundheitsförderung<br />
und Prävention vermittelt. Das kompetente<br />
und erfahrene Beratungsteam sensibilisiert<br />
Ärztinnen und Ärzte für ihre eigene<br />
Gesundheit und vermittelt wertvolle<br />
Tipps. Die Ziele von ReMed bestehen darin,<br />
die Gesundheit und ärztliche Funktionalität<br />
zu erhalten sowie die Patientensicherheit<br />
und hohe Qualität in der medizinischen<br />
Versorgung sicherzustellen.<br />
Auch wenn ReMed von der FMH finanziert<br />
wird, hat die Standesorganisation zu<br />
keinem Zeitpunkt Einblick in die Personen-<br />
und Betreuungsakten. ReMed ist an<br />
das ärztliche Berufsgeheimnis gebunden,<br />
ärztliche und administrative Aufgaben<br />
sind klar getrennt [1].<br />
Situation verstehen und Lösungen<br />
erarbeiten<br />
Die Gesundheit der Ärztinnen und Ärzte<br />
steht bei ReMed im Zentrum, mit besonderer<br />
Beachtung berufsspezifischer Ri siken.<br />
ReMed kann über die 24-Stunden-Hotline<br />
0800-0REMED (0800-0-73633), per<br />
E-Mail (remed@hin.ch) oder über Internet<br />
(www.swiss-remed.ch) kontaktiert werden.<br />
Nach jeder Kontaktaufnahme meldet<br />
sich in nerhalb von 72 Stunden eine Erstberaterin<br />
oder ein Erstberater. Im Gespräch<br />
mit der Rat suchenden Person erfolgt eine<br />
Situa tionsanalyse, und weitere Massnahmen<br />
werden gemeinsam beschlossen. Re-<br />
Med vermittelt für die allfälligen weiteren<br />
Schritte geeignete Fachpersonen aus bestehenden<br />
Angeboten der Region für die<br />
Weiterbetreuung.<br />
ReMed ist für Sie da<br />
Brauchen Sie oder jemand aus Ihrem Umfeld professionelle Hilfe? Wenden Sie sich an<br />
ReMed: Das Unterstützungsnetzwerk für Ärztinnen und Ärzte respektiert das Arztgeheimnis<br />
und berät Sie kompetent. Auch bei anderen beruflichen und persönlichen Krisen kann Ihnen<br />
ReMed Lösungswege aufzeigen. Dieses Angebot gilt auch für Personen aus dem Umfeld<br />
von Ärztinnen und Ärzten. 24 Stunden am Tag. Die ärztlichen Beratenden melden sich<br />
innerhalb von 72 Stunden.<br />
remed@hin.ch / Hotline: 0800 0 73633<br />
gen beraten, begleitet und unterstützt –<br />
und wird dies auch weiterhin tun, denn die<br />
Gesundheit der Ärztinnen und Ärzte ist<br />
und bleibt ein zentrales Thema. 2023 sind<br />
beim Netzwerk über 250 Beratungsanfragen<br />
eingegangen. Die Anzahl Beratungen<br />
nimmt über die Jahre zu. Wie in den letzten<br />
Jahren war die Problematik «Belastung<br />
am Arbeitsplatz» der meistgenannte Grund<br />
für die Kontaktaufnahme, dicht gefolgt<br />
von den Problemen «Burn-out», «Angst»,<br />
«Selbstzweifel» und «Depression».<br />
Die Gründe für die Kontaktaufnahmen<br />
sind vergleichbar geblieben, die<br />
Struktur der Ratsuchenden hingegen hat<br />
sich in den letzten Jahren vom ambulanten<br />
hin zum stationären Sektor und von<br />
den kurz vor der Pension stehenden Ärztinnen<br />
und Ärzten hin zu den Assistenzsowie<br />
Oberärztinnen und -ärzten entwickelt.<br />
Rund 87 Prozent der Rat suchenden<br />
Ärztinnen und Ärzte, die im Spital arbeiten,<br />
geben eine dieser Funktionen an.<br />
Wirkt das Angebot?<br />
Für ReMed war und ist es wichtig, die eigene<br />
Arbeit zu reflektieren und weiterzuentwickeln.<br />
So erfolgte 2016 eine externe<br />
Evaluation und 2021 eine prospektive Studie<br />
realer Beratungsfälle. Gemäss der externen<br />
Evaluation fanden 92 Prozent die<br />
Reaktionszeit (sehr) gut, 98 Prozent schätzen<br />
die Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme<br />
als (sehr) gut ein. Und das Angebot hat<br />
bei 95 Prozent der Rat suchenden Ärztinnen<br />
und Ärzten (teilweise) geholfen. Die<br />
Ergebnisse aus der prospektiven Studie<br />
zeigen ein durchwegs positives Bild mit einer<br />
(sehr) guten Beurteilung der Strukturqualität<br />
von 97 Prozent. Dieser Anteil lag<br />
bei der Prozessqualität bei 90 Prozent und<br />
bei der Ergebnisqualität bei 82 Prozent.<br />
Ärztegesundheit stärken<br />
Verschiedene Faktoren stellen für die Gesundheit<br />
von Ärztinnen und Ärzten in der<br />
Schweiz eine Herausforderung dar: Lange<br />
Arbeitszeiten, hohe Verantwortung, starker<br />
Leistungsdruck, wenig Ausgleichsmöglich-<br />
Belastung am Arbeitsplatz,<br />
Burn-out und Angst<br />
Das Team von ReMed hat in den letzten<br />
13 Jahren rund 1800 Ärztinnen und Ärzte<br />
im Rahmen seiner Unterstützungsleistunkeiten<br />
und schlechte Work-Life-Balance<br />
sind einige davon. Es ist dringend notwendig,<br />
dass die Gesundheit der Ärztinnen und<br />
Ärzte mehr Beachtung findet. Denn Versorgungssicherheit<br />
und Behandlungsqualität<br />
hängen direkt mit dem Gesundheitszustand<br />
der behandelnden Ärztinnen und<br />
Ärzte zusammen. Deshalb engagiert sich<br />
die FMH in diesem Bereich und schafft mit<br />
der Charta Ärztegesundheit eine Argumentationsbasis,<br />
um für die Gesundheit der<br />
Ärztinnen und Ärzte einzustehen.<br />
Eine Arbeitsgruppe, bestehend aus<br />
Vertretungen der Verbände Schweizerischer<br />
Assistenz- und Oberärztinnen und<br />
-ärzte (<strong>vsao</strong>), der Jungen Haus- und KinderärztInnen<br />
(JHaS) und der Haus- und<br />
Kinderärzte (mfe), der Schweizerischen<br />
Gesellschaft für Arbeitsmedizin (SGARM),<br />
des Schweizerischen Instituts für ärztliche<br />
Weiter- und Fortbildung (SIWF), der Swiss<br />
Medical Students’ Association (swimsa),<br />
der FMH sowie den FMH-Projekten «Coach<br />
my Career» sowie ReMed erarbeitete in<br />
den Jahren 2020 und 2021 die Charta<br />
«Ärztegesundheit – Gesunde Ärztinnen<br />
und Ärzte für gesunde Patientinnen und<br />
Patienten». Diese wurde an der Ärztekammer<br />
vom 19. Mai 2022 allen der FMH<br />
an geschlossenen Verbänden vorgestellt.<br />
Die 14 Kernaussagen und die Angaben, wie<br />
die Charta unterzeichnet werden kann,<br />
finden Sie auf der FMH-Website unter:<br />
FMH › Themen › Public Health › Ärztegesundheit<br />
[2].<br />
Literatur<br />
[1] ReMed Handbuch (2023):<br />
https://remed.fmh.ch/ueber_remed.html,<br />
6.2.2023.<br />
[2] FMH Ärztegesundheit (2023):<br />
https://www.fmh.ch/themen/public-health/<br />
aerztegesundheit.cfm, 6.2.2023.<br />
<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 3/24 21
<strong>vsao</strong><br />
Neues aus<br />
den Sektionen<br />
Bern<br />
Mitgliederversammlung im<br />
Zeichen der Ver änderung<br />
Ende April <strong>2024</strong> fand die Mitgliederversammlung<br />
wiederum im PROGR Bern<br />
statt, und erfreulicherweise waren rund<br />
50 Mitglieder anwesend. Der Slam-Poet<br />
und Arzt Michael Frei hat die Versammlung<br />
mit seinen erfrischenden Texten<br />
künstlerisch umrahmt und den – gemäss<br />
seiner Einschätzung trockenen – statutarischen<br />
Teil aufgewertet.<br />
Weder das Protokoll der Versammlung<br />
2023 noch der Jahresbericht 2023,<br />
die Jahresrechnung 2023, das Budget <strong>2024</strong><br />
oder die Mitgliederbeiträge 2025 gaben<br />
Anlass zu Diskussionen, und alle wurden<br />
einstimmig angenommen. Wir bedanken<br />
uns ganz herzlich für das unserer Arbeit<br />
entgegengebrachte Vertrauen.<br />
Der Vorstand des VSAO Bern hat sich<br />
neu organisiert, arbeitet nun in Ressorts<br />
und macht keine Unterscheidung mehr<br />
Der Slam-Poet Michael Frei lockerte die<br />
Mitgliederversammlung des VSAO Bern mit<br />
seinen erfrischenden Texten auf.<br />
zwischen Kern- und Gesamtvorstand. Wir<br />
haben die acht neuen Ressorts vorgestellt<br />
und zum Mitwirken aufgerufen.<br />
Arbeitsbedingungen: Ziele sind die<br />
Verbesserung der Arbeitsbedingungen und<br />
die Umsetzung der 42+4-Stunden- Woche.<br />
Die Sozialpartnerschaft und der Gesamtarbeitsvertrag<br />
werden gepflegt (inklusive<br />
Lohnverhandlungen). Die Dienstplanberatung<br />
ist ein zentrales Element, wird weiter<br />
ausgebaut, und Workshops dazu werden<br />
angeboten. Anliegen aus den Rechtsberatungen<br />
werden aufgenommen und weiterverfolgt.<br />
Ebenso wird Medizin statt Bürokratie<br />
auf kantonaler Ebene weiterverfolgt.<br />
Gleichstellung: Der VSAO Bern will<br />
die Mitglieder für Gleichstellungsthemen<br />
sensibilisieren. Er setzt sich ein für gleiche<br />
Karrierechancen für alle – ohne Diskriminierung<br />
bezüglich Lohn – und für die<br />
Möglichkeit zur Teilzeitarbeit. Ebenfalls<br />
geht er gegen sexuelle Belästigung am<br />
Arbeitsplatz vor.<br />
Kommissionen: Ziele sind die Koordination<br />
der Vertretungen durch den VSAO<br />
Co-Präsident Marius Grädel-Suter verlässt den<br />
Vorstand des VSAO Bern nach langjähriger<br />
Tätigkeit. Die bisherige Co-Präsidentin Rahel<br />
Gasser wurde zur Präsidentin gewählt.<br />
Bern in Nachfolgekommissionen (Inselspital/Universität<br />
Bern) sowie die Unterstützung<br />
bei Fragen/Unklarheiten zu<br />
Nachfolgegeschäften. Dabei fungiert der<br />
VSAO Bern als Bindeglied zwischen Vorstand<br />
und Nichtvorstandsmitgliedern in<br />
Nachfolgekommissionen.<br />
Kommunikation: Der VSAO Bern ist<br />
regelmässig auf LinkedIn, Facebook und<br />
Instagram aktiv. Übergeordnetes Ziel der<br />
Kommunikationsabteilung ist es, Aktivitäten<br />
des VSAO Bern sichtbar zu machen<br />
sowie die für seine Mitglieder relevanten<br />
politischen Themen aufzugreifen und dazu<br />
Stellung zu beziehen.<br />
Planetary Health: Gestützt auf den<br />
Leitfaden des <strong>vsao</strong> soll eine eigene Richtlinie<br />
erarbeitet werden. Geplant sind zudem<br />
die Kontaktaufnahme zu Nachhaltigkeitsbeauftragten<br />
der Spitäler sowie die<br />
Organisation von Anlässen zum Thema.<br />
Politik: Die Schwerpunkte beinhalten<br />
die aktive Stellungnahme zu aktuellen gesundheitspolitischen<br />
Themen und die<br />
Mitgestaltung auf nationaler, kantonaler<br />
und lokaler Ebene. Wir wollen uns klar positionieren<br />
und die Interessen junger Ärztinnen<br />
und Ärzte in der Schweiz vertreten.<br />
Spitalvernetzung: Der Austausch zwischen<br />
dem VSAO Bern und den Ärztinnen<br />
und Ärzten aller Spitäler des Kantons Bern<br />
soll gefördert werden. Ziel ist es, ein Netzwerk<br />
zu schaffen, das erlaubt, Probleme<br />
rasch zu erkennen und bei Bedarf entsprechend<br />
zu handeln.<br />
Weiterbildung: Ziele sind die Evaluation<br />
der bestehenden Weiterbildungsangebote<br />
und die Förderung der Synergien<br />
zwischen den Spitälern.<br />
Wer gerne in einem Ressort mitwirken<br />
möchte, kann sich bei Janine Junker<br />
(junker@<strong>vsao</strong>-bern.ch) melden. Wir freuen<br />
uns sehr über Interessierte!<br />
Die Versammlung stand auch in personeller<br />
Hinsicht im Zeichen der Veränderung.<br />
Marius Grädel-Suter, seit 2015 im<br />
Vorstand aktiv und seit 2020 Co-Präsident,<br />
ist zurückgetreten und konzentriert<br />
Bilder: VSAO Bern<br />
22<br />
3/24 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>
<strong>vsao</strong><br />
sich fortan auf die Arbeit auf nationaler<br />
Ebene. Wir bedanken uns ganz herzlich<br />
für sein langjähriges und engagiertes Mitwirken<br />
in unserer Sektion.<br />
Marius Grädel-Suter verglich in seinen<br />
Abschiedsworten den <strong>vsao</strong> mit einer<br />
Rosmarinpflanze: Die kleinen Blüten seien<br />
erst nach Jahren und nicht für alle auf<br />
den ersten Blick sichtbar, manchmal müsse<br />
man die Pflanze schneiden, damit sie<br />
auch wieder wachsen könne, sie ertrage<br />
aber auch trockene Zeiten und sei sehr widerstandsfähig.<br />
Rahel Gasser, bisherige Co-Präsidentin,<br />
wurde mit grossem Applaus als Präsidentin<br />
gewählt und wird im Vizepräsidium<br />
von Nicolas Arnold und Yannick Turdo<br />
unterstützt.<br />
Die Vorstandsmitglieder Lukas Bauer,<br />
Anne Lafranchi, Miriam Müller-Grädel,<br />
Svenja Ravioli, Patrizia Rölli, Helene Schott,<br />
David Schreier und Eveline Tissot haben<br />
ihre Vorstandstätigkeit leider beendet und<br />
wurden mit einem grossen Dank für ihr intensives<br />
Engagement verabschiedet.<br />
Wir freuen uns sehr, konnten wir neben<br />
den bisherigen Vorstandsmitgliedern<br />
drei neue Personen in den Vorstand wählen.<br />
Lara Brockhus, Carole Frenzer und<br />
Michael Gardill haben bereits an mehreren<br />
Sitzungen teilgenommen, wollen ihr<br />
Engagement fortsetzen und wurden mit<br />
grossem Applaus gewählt.<br />
Nach einer kurzen Information zu<br />
den Lohnverhandlungen <strong>2024</strong> blieb noch<br />
Zeit für eine Diskussion zur 42+4-Stunden-Woche<br />
und zu deren Umsetzung im<br />
Kanton Bern.<br />
Zum Ausklang gab es ein feines Essen,<br />
die legendäre Tombola, Zeit zum Schwatzen,<br />
Schwelgen und Pläne schmieden.<br />
Thurgau<br />
Viele Neuzugänge im Vorstand<br />
des VSAO Thurgau<br />
Unsere diesjährige Mitgliederversammlung<br />
fand am 16. April im Restaurant Frohsinn<br />
in Frauenfeld statt. Das gemütlich<br />
urchige Chalet musste zwar aufgrund des<br />
unerwarteten Wintereinbruchs mittels<br />
Heizlüfter auf angenehmere Temperaturen<br />
gebracht werden, dies tat der Stimmung<br />
unter den Mitgliedern jedoch keinen<br />
Abbruch. Der Vorteil einer kleineren<br />
Sektion ist die Überschaubarkeit, und so<br />
konnte rasch ein Kennenlernen und ein<br />
gelungener Austausch zwischen allen<br />
stattfinden. Der reichhaltige Apéro trug<br />
ebenfalls dazu bei, dass eine lockere und<br />
gleichzeitig konstruktive Atmosphäre<br />
herrschte. Nachdem das Protokoll der vergangenen<br />
Mitgliederversammlung angenommen<br />
worden war, folgte ein ausführlicher<br />
Bericht des Co-Präsidiums, wobei<br />
deutlich wurde, wie viele Aufgaben Michael<br />
Wallies in den letzten Jahren über-<br />
Janine Junker, Geschäftsführerin VSAO Bern<br />
Bild: zvg<br />
Der verstärkte Vorstand des VSAO Thurgau (v. l. n. r.): Sabrina Berdi (Sekretariat), Michael Wallies,<br />
Hannah Wagner (Co-Präsidentin), Andrei Patrulescu (Co-Präsident), Noemi Rütsche, Eric Vultier<br />
(Jurist), Susanna Krah, Thomas Weiss, Annebärbel Grosskopf. Es fehlen: Vinzenz Mühlstein<br />
(Co-Präsident), Eva Senica, Hermann Reischle.<br />
<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 3/24 23
<strong>vsao</strong><br />
nommen hatte. Insbesondere sein Engagement<br />
auf nationaler Ebene und seine<br />
Leidenschaft im Einsatz für die spezifischen<br />
Anliegen unserer Sektion sind hervorzuheben.<br />
Nach der Präsentation der<br />
aktuellen Zahlen konnten diese durch alle<br />
anwesenden Mitglieder in Form der Jahresrechnungen<br />
2022 und 2023 sowie des<br />
Revisorenberichts angenommen werden.<br />
Die Decharge für den bisherigen Vorstand<br />
wurde einstimmig erteilt.<br />
Anschliessend folgte eine lebhafte<br />
Diskussion über die Budgetplanung und<br />
die Mitgliederbeiträge. Für <strong>2024</strong> wurde<br />
beschlossen, diese in der bisherigen Höhe<br />
beizubehalten. Voraussichtlich wird es<br />
im kommenden Jahr eine moderate Erhöhung<br />
geben, um den vielfältigen Aufgaben<br />
und Entwicklungen des VSAO<br />
Thurgau gerecht werden zu können. Hierbei<br />
können wir weiterhin auf die Unterstützung<br />
unseres Sektionsjuristen Eric<br />
Vultier zurückgreifen, der bereits seit vielen<br />
Jahren mit aussergewöhnlichem Einsatz<br />
an Bord ist.<br />
Bei der Neuwahl des Vorstands<br />
herrschte Aufbruchstimmung. Wir freuen<br />
uns ausserordentlich über fünf Neuzugänge:<br />
Mit Thomas Weiss, Noemi Rütsche,<br />
Hermann Reischle, Eva Senica und Annebärbel<br />
Grosskopf wurde die Vorstandsebene<br />
unserer Sektion um sympathische<br />
und fachlich vielfältig tätige Kolleginnen<br />
und Kollegen ergänzt, die es uns möglich<br />
machen werden, das Engagement der<br />
Thurgauer Sektion weiter auszubauen.<br />
Auch Susanna Krah wird weiterhin im Vorstand<br />
tätig bleiben. Im Präsidium kam es<br />
ebenfalls zu Veränderungen: Michael Wallies<br />
legte sein Amt als Co-Präsident nieder,<br />
bleibt dem Vorstand jedoch weiterhin erhalten.<br />
Ebenfalls wird Vinzenz Mühlstein<br />
mit seiner jahrelangen Erfahrung und<br />
guten Vernetzung das Co-Präsidium noch<br />
bis Ende des Jahres bereichern. Insbesondere<br />
die zwei Neuzugänge im Präsidium,<br />
Andrei Patrulescu und Hannah Wagner,<br />
sind dankbar, die Herausforderungen der<br />
neuen Tätigkeit gemeinsam mit dem sehr<br />
erfahrenen Kollegen angehen zu können.<br />
Die Effizienz des neu gewählten Vorstands<br />
wurde gleich auf die Probe gestellt,<br />
als die anschliessende Diskussion um eine<br />
vermehrte Präsenz des VSAO Thurgau in<br />
den kantonalen Spitälern begann. Es ergibt<br />
sich dieses Jahr zum ersten Mal seit<br />
langer Zeit die Möglichkeit für unsere Sektion,<br />
an einer Standaktion in den Spitälern<br />
Münsterlingen und Frauenfeld mitzuwirken.<br />
Es ist sehr erfreulich, dass auf Anhieb<br />
beide Termine personell gut besetzt werden<br />
konnten und so eine hochstehende<br />
Teilnahme des VSAO Thurgau gewährleistet<br />
werden kann. Weiterhin wurde deutlich,<br />
dass die Themen Dienstplanung und<br />
Arbeitszeitreglement auf der Agenda weiterhin<br />
ganz oben stehen und es viel zu tun<br />
gibt. Auch die Zusammenarbeit mit anderen<br />
Sektionen soll vorangetrieben werden.<br />
Wir freuen uns, in dieser herausfordernden<br />
Zeit auf einen verstärkten Vorstand<br />
zählen zu können.<br />
Hannah Wagner, Co-Präsidentin VSAO Thurgau<br />
Zürich /<br />
Schaffhausen<br />
Im Einsatz für die<br />
42+4-Stunden-Woche<br />
Der VSAO Zürich hat sich in den vergangenen<br />
Monaten an verschiedensten Fronten<br />
intensiv für die Einführung der 42+4-Stunden-Woche<br />
eingesetzt. Neben den Verhandlungen<br />
in den Spitalleitungen haben<br />
wir uns auch auf politischer Ebene für eine<br />
Reduktion der Arbeitszeit für Assistenzärztinnen<br />
und -ärzte engagiert. So hat sich<br />
der VSAO Zürich gemeinsam mit über<br />
30 Ärztinnen, Ärzten und Medizinstudierenden<br />
Ende April <strong>2024</strong> vor dem Zürcher<br />
Kantonsrat für die 42+4-Stunden-Initiative<br />
starkgemacht und die Räte motiviert,<br />
dafür zu stimmen. Und es hat sich gelohnt!<br />
Der Vorstoss wurde angenommen und an<br />
die zuständige Kommission überwiesen.<br />
Ein starkes Signal, das zeigt, dass wir gemeinsam<br />
etwas bewirken können!<br />
Unseren Flyer zu den Chancen, die eine<br />
Einführung der 42+4-Stunden-Woche<br />
bietet, kannst du übrigens über folgenden<br />
QR-Code herunterladen und in den Spitälern<br />
und bei Kolleginnen und Kollegen<br />
verteilen. Weiteres Informationsmaterial<br />
und Gadgets wie unsere 42+4-Stunden-<br />
Stickers, den 42+4-Stunden-Frame für dein<br />
Social-Media-Profilbild oder die Lanyards<br />
für faire Arbeitsbedingungen findest du zudem<br />
unter www.<strong>vsao</strong>-zh.ch.<br />
QR-Code zum<br />
42+4-Stunden-Flyer<br />
Für unsere Verhandlungen mit den Spitalleitungen<br />
seid ihr die starke Basis. Helft<br />
mit, eure Kolleginnen, Vorgesetzten und<br />
Freunde über die Chancen einer<br />
42+4-Stunden-Woche zu informieren. Eine<br />
vereinte Ärzteschaft ist wichtig!<br />
Präsenz vor dem Kantonsrat für die 42+4-Stunden-Woche.<br />
Save the Date: Zweite VSAO-Zürich-<br />
«Research UNight»<br />
Nach der erfolgreichen Premiere findet<br />
der zweite Forschungsevent am Mittwoch,<br />
25. September <strong>2024</strong>, ab 18.30 Uhr an der<br />
Universität Zürich statt. Tragt euch den<br />
Termin bereits jetzt in der Agenda ein.<br />
Weitere Informationen folgen!<br />
Dominique Iseppi, Kommunikationsassistentin,<br />
VSAO Zürich / Schaffhausen<br />
Bild: zvg<br />
24<br />
3/24 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>
Ich möchte<br />
als Ärztin<br />
durchstarten und<br />
auch am nächsten<br />
Triathlon.<br />
Geht das?<br />
Das geht!<br />
Gemeinsam machen<br />
wir es möglich!<br />
Wir setzen uns für Teilzeitstellen ein.<br />
JETZT AUF VSAO.CH MITGLIED WERDEN!
<strong>vsao</strong><br />
<strong>vsao</strong>-Inside<br />
Loredana Mitruccio<br />
Wohnort: Lugano und St. Gallen<br />
GA-Mitglied beim <strong>vsao</strong> seit:<br />
Dezember 2023<br />
Der <strong>vsao</strong> für dich in drei Worten:<br />
motiviert, offen, zielorientiert<br />
Nach einer kurzen Aufwärmzeit<br />
im Geschäftsausschuss<br />
(GA) ist Loredana mittlerweile<br />
voll im <strong>vsao</strong> dabei.<br />
Die Medizinstudentin vertritt die<br />
Swiss Medical Students Association<br />
(swimsa) im GA und sorgt so dafür,<br />
dass auch die Studierenden im <strong>vsao</strong><br />
gehört werden.<br />
Im Moment studiert Loredana Mitruccio<br />
in Lugano und wird nächstes Jahr ihr<br />
Studium abschlies sen. Von ihrer Zeit als<br />
Unterassistentin erhofft sie sich, dass sie<br />
mehr Klarheit darüber erhält, wo ihr beruflicher<br />
Werdegang sie hinführen wird.<br />
Zwischen all den Facharzttiteln hat sie<br />
sich bereits orientiert: Sie möchte in<br />
Pädiatrie abschliessen, kann sich aber<br />
sehr gut vorstellen, vorher in einem<br />
anderen Bereich Berufserfahrung zu<br />
sammeln.<br />
Auch ausserhalb der swimsa und<br />
des <strong>vsao</strong> ist Loredana sehr aktiv: Ihr medizinisches<br />
Interesse und Wissen gibt<br />
sie weiter, indem sie zukünftigen Autofahrenden<br />
in Nothelferkursen die wichtigsten<br />
Grundlagen lehrt. Ansonsten<br />
ist sie oft im Fitnesscenter und bei schönem<br />
Wetter auch draussen anzutreffen.<br />
Dass solche Aktivitäten Hunger verursachen,<br />
ist für sie kein Problem: Sie kocht<br />
sehr gerne und liebt es, auch mal zeitaufwendige<br />
Gerichte zu kreieren. Diese<br />
dürfen dann auch Freundinnen, Freunde<br />
und Familie geniessen.<br />
Als angehende Ärztin und Vertreterin<br />
der Medizinstudierenden sind<br />
die Arbeitsbedingungen und deren stetige<br />
Verbesserung ein wichtiges Anliegen<br />
von Loredana. So möchte sie die positiven<br />
Entwicklungen in der Branche,<br />
die der <strong>vsao</strong> vorantreibt, unterstützen<br />
und verstärken: Sie möchte ihren Beruf<br />
mit Leidenschaft ausüben können und<br />
will vermeiden, dass ihr im Arbeitsalltag<br />
die Lust am Beruf vergeht und sich<br />
dadurch auch die Patientenversorgung<br />
verschlechtern könnte. Im Moment<br />
stemme sich das Gesundheitswesen noch<br />
gegen viele positive und nötige Veränderungen,<br />
findet Loredana. Als Bindeglied<br />
zwischen der swimsa und dem <strong>vsao</strong><br />
möchte sie den nötigen Wandel aktiv<br />
mitgestalten.<br />
Der <strong>vsao</strong> erfüllt in ihren Augen<br />
eine zentrale Aufgabe, indem er auf<br />
positive Veränderungen im Gesundheitswesen<br />
hinwirkt. Im <strong>vsao</strong> selbst schätzt<br />
sie nicht nur den Austausch und die Diskussionen<br />
im GA und mit den Sektionen,<br />
sondern auch die zahlreichen Dienstleistungen:<br />
Das Wissen, dass der <strong>vsao</strong><br />
sich um die Ärztinnen und Ärzte kümmert<br />
und für sie sorgt, führt dazu, dass<br />
sie ihrem eigenen Berufseinstieg zuversichtlicher<br />
entgegenblickt.<br />
Bild: Severin Nowacki<br />
26<br />
3/24 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>
<strong>vsao</strong><br />
<strong>vsao</strong>-Rechtsberatung<br />
Überstundenregelung<br />
im Arbeitsvertrag:<br />
Was ist erlaubt?<br />
Bild: zvg<br />
In meinem Arbeitsvertrag als<br />
Assistenzärztin ist eine Sollarbeitszeit<br />
von 47 Stunden<br />
vorgeschrieben, ebenfalls enthält<br />
er die pauschalisierte Vertragsbestimmung,<br />
dass die Überstunden<br />
im Lohn inbegriffen sind. Ist das<br />
zulässig?<br />
Mit der derzeitigen Bewegung, der<br />
Abkehr von 50 Stunden Sollarbeitszeit,<br />
wird es insbesondere bei einem 100-Prozent-Pensum<br />
fortan nicht mehr nur<br />
Überzeit, sondern neu auch Überstunden<br />
geben. Als Überstunden gilt die Differenz<br />
zwischen der Sollarbeitszeit – in diesem<br />
Beispiel 47 Stunden – und der für Assistenzärztinnen<br />
und -ärzte geltenden<br />
Höchstarbeitszeit von 50 Stunden. So<br />
wären pro Woche drei Überstunden<br />
möglich, bis Überzeit (d. h. alles über<br />
50 Stunden) entstehen kann.<br />
Im Sinne von Art. 321c Abs. 1 OR<br />
sind Assistenzärztinnen und -ärzte zur<br />
Leistung von Überstunden verpflichtet,<br />
sofern diese betrieblich notwendig sind,<br />
sie diese zu leisten vermögen, diese zugemutet<br />
werden können und die Arbeitsund<br />
Ruhezeitvorschriften des Arbeitsgesetzes<br />
eingehalten werden.<br />
Grundsätzlich hat der Arbeitgeber<br />
im Einverständnis mit Arbeitnehmenden<br />
die Überstundenarbeit innert eines angemessenen<br />
Zeitraumes durch Freizeit von<br />
mindestens gleicher Dauer auszugleichen<br />
(Art. 321c Abs. 2 OR). Wird die<br />
Überstundenarbeit hingegen nicht durch<br />
Freizeit ausgeglichen, so hat der Arbeitgeber<br />
für die Überstundenarbeit Lohn<br />
zu entrichten, der sich nach dem Normallohn<br />
samt einem Zuschlag von mindestens<br />
einem Viertel bemisst, es sei<br />
denn, in einem Gesamtarbeitsvertrag<br />
(GAV) oder im Arbeitsvertrag ist etwas<br />
anderes schriftlich vereinbart (Art. 321c<br />
Abs. 3 OR).<br />
Diese Möglichkeit zu einer Vereinbarung<br />
bei Überstunden ist der Unterschied<br />
zur Überzeit, bei der die Zeitkompensation<br />
oder aber die Bezahlung des Zuschlages<br />
von 25 Prozent zwingend vorgeschrieben<br />
ist und die keine abweichende<br />
Vereinbarung zulässt.<br />
Bei Assistenzärztinnen und -ärzten<br />
ist die pauschalisierte Wegbedingung<br />
von Zeitkompensation bzw. der Abgeltung<br />
von Überstunden im Einzelarbeitsvertrag<br />
oder in allfälligen Reglementen<br />
gesetzlich grundsätzlich möglich. Dies<br />
ist in der Praxis jedoch nicht üblich, sondern<br />
höchstens die Klausel, dass für<br />
Überstunden nur der Normallohn ohne<br />
Zuschlag entrichtet wird. Schliesslich<br />
handelt es sich bei der Funktion der Assistenzärztin<br />
/ des Assistenzarztes um<br />
eine in der Regel befristete Weiterbildungsstelle<br />
mit grossem Abhängigkeitsverhältnis<br />
und nicht um eine leitende<br />
Position, bei der die Mehrarbeit mit dem<br />
Lohn abgegolten ist.<br />
Eine pauschalisierte Wegbedingung<br />
behandelt zudem Assistenzärztinnen<br />
und -ärzte im Voll- und Teilzeitpensum<br />
ungleich, da Teilzeitmitarbeitende für<br />
noch mehr unentgeltliche Überstundenarbeit<br />
herangezogen werden könnten,<br />
da die gesetzliche Höchstarbeitszeit von<br />
50 Stunden für Voll- und Teilzeitangestellte<br />
gleichermassen gilt und kaum von<br />
einem Spital reglementarisch entsprechend<br />
dem Pensum herabgesetzt wird.<br />
Es lohnt sich also, bei der Vertragsunterzeichnung<br />
die Augen offenzuhalten<br />
und nicht vorab einem Blankoverzicht<br />
auf Überstundenkompensation bzw. Abgeltung<br />
derselben zuzustimmen, da der<br />
Umfang der Überstunden bei Arbeitsbeginn<br />
meist nicht bekannt ist und<br />
ein solcher Verzicht insbesondere bei<br />
Teil zeitmitarbeitenden sehr viel unentgelt<br />
liche Arbeit bedeuten könnte.<br />
Der Fachkräftemangel und der notorisch<br />
eher knappe Stellenetat in den Spitälern<br />
wird auch bei einer Sollarbeitszeit von<br />
unter 50 Stunden wohl regelmässig Überstunden<br />
abverlangen, entsprechend ist<br />
es wichtig, darauf zu achten bzw. darum<br />
zu verhandeln, dass diese eine Wertigkeit<br />
erhalten bleibt – sei dies in Form von<br />
Freizeit oder im Rahmen einer finanziellen<br />
Entschädigung.<br />
Susanne Hasse,<br />
Sektionsjuristin VSAO Zürich<br />
<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 3/24 27
Fokus: Plan<br />
Wie Muscheln<br />
sich in Schale<br />
werfen<br />
Muscheln sind nicht nur schön, sondern auch artenreich.<br />
Mehr als 10 000 heute lebende Muschelarten sind bekannt,<br />
dazu kommen unzählige ausgestorbene Arten, die als Fossilien<br />
gefunden werden können. Und alle diese Arten haben<br />
unterschiedliche Schalen. Warum eigentlich?<br />
Michael Hautmann, Titularprofessor für Paläontologie, Universität Zürich<br />
Was uns ästhetisch erfreut,<br />
erfüllt für eine Muschel<br />
viele Zwecke. Die evolutive<br />
Idee, eine Schale auszubilden,<br />
die den Weichkörper umgibt, entstand<br />
zu Beginn des Kambriums vor ca. 540 Millionen<br />
Jahren, als die ersten Tiere anfingen,<br />
andere Tiere zu fressen. Die potenziellen<br />
Opfer, darunter die Muscheln, passten<br />
ihren Bauplan an und entwickelten eine<br />
Panzerung, die Schale. Das evolutive Wettrüsten<br />
zwischen Räubern und ihrer Beute<br />
führte zu einem raschen Anstieg der Artenvielfalt,<br />
die sich auch in einer Vielfalt unterschiedlicher<br />
Schalenmorphologien widerspiegelt.<br />
Denn die Schale erwies sich<br />
nicht nur als nützlich für den Schutz, sondern<br />
auch für die Anpassung an die unterschiedlichsten<br />
Lebensweisen.<br />
Einbuddeln und schnorcheln<br />
So graben sich viele Muscheln ein, indem<br />
sie ihren «Fuss» in den weichen Meeresboden<br />
hineintreiben und die Schale dann<br />
mit einer Schaukelbewegung nachziehen.<br />
Damit das leichter geht, helfen oftmals<br />
bestimmte Skulpturen auf der Aussenseite<br />
der Schale. Diese laufen häufig<br />
schräg zum Gehäuserand und sind asymmetrisch<br />
geformt, mit einer flachen Seite,<br />
die leicht ins Sediment flutscht, und einer<br />
steilen Seite, die das Tier im Sediment<br />
festhält, wenn die andere Hälfte der<br />
Schale in die Tiefe vordringt. Wenn sich<br />
Bereits vor 170 Millionen Jahren nutzte die<br />
Gattung Myophorella speziell angeordnete<br />
Pusteln auf der Schalenaussenseite, um beim<br />
Eingraben schneller voranzukommen.<br />
Muscheln sehr tief ins Sediment eingraben,<br />
benötigen sie eine Art Schnorchel,<br />
den sogenannten Sipho, mit dem sie den<br />
Kontakt zum Meerwasser aufrechterhalten.<br />
Diesen können sie, wenn er nicht<br />
zu lang ist, in die Schale zurückziehen.<br />
Den Platz dafür erkennt man im Inneren<br />
der Muschelschale in Form einer Ausbuchtung<br />
der «Mantellinie» – das ist die<br />
Linie, an welcher der Weichkörper mit der<br />
Schale verbunden ist.<br />
Räuber mit perfiden Methoden<br />
Aber wozu der Aufwand? Leider – zumindest<br />
aus Sicht der Muscheln – sind die<br />
Räuber im Laufe der Jahrmillionen deutlich<br />
raffinierter geworden. Rochen zerknacken<br />
harte Schalen mit ihrem Gebiss,<br />
Schutz in der Tiefe: Die Gattung Marcia gräbt<br />
sich tief in den Meeresboden ein und benötigt<br />
dafür einen «Schnorchel» (Sipho), was man an<br />
der Einbuchtung der Mantellinie (Pfeil)<br />
erkennen kann.<br />
Die Gattung Hysteroconcha schützt ihren Sipho<br />
mit langen Stacheln.<br />
Bilder: Michael Hautmann (Myophorella, Pectinidae, Rudisten, Malermuschel); Jan Delsing, Public domain, via Wikimedia Commons (Marcia); Wilfredor, CC0, via Wikimedia Commons (Hysteroconcha);<br />
Didier Descouens, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons (Spondylus)<br />
28<br />
3/24 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>
Fokus: Plan<br />
Krabben öffnen sie mit ihren Scheren,<br />
Nabel- und Purpurschnecken bohren<br />
kleine Löcher hinein und saugen das Tier<br />
aus. Besonders raffiniert sind die Seesterne:<br />
Sie umfassen das Gehäuse mit ihren<br />
Armen, saugen sich daran fest und<br />
ziehen. Wenn die Muschel müde wird und<br />
die Klappen auch nur einen winzigen<br />
Spalt öffnet, stülpt der Seestern seinen<br />
Magen aus, dringt durch den Spalt in das<br />
Schaleninnere ein und verdaut die Muschel<br />
in ihrer eigenen Schale. Bei so vielen<br />
perfiden Methoden braucht es mehr als<br />
eine einfache Panzerung, um sich zu<br />
schützen, und das Eingraben in den Meeresboden<br />
ist eine der besten Optionen.<br />
Falls doch mal einer in den Sipho beisst,<br />
hält die Gattung Hysteroconcha lange Stacheln<br />
an ihrem Hinterende bereit, um<br />
ihm den Appetit zu verderben.<br />
Die Geschichte eines bekannten<br />
Symbols<br />
Die Tiefe des Meeresbodens schützt, aber<br />
viele Muschelarten leben trotzdem auf<br />
dessen Oberfläche. Die Evolution hat im<br />
Laufe der Jahrmillionen dafür gesorgt,<br />
dass sie auch dort nicht schutzlos sind.<br />
Wird eine Kammmuschel angegriffen, so<br />
schwimmt sie einfach davon. Ihre kreisförmigen<br />
Klappen haben erstaunlich gute<br />
hydrodynamische Eigenschaften, und für<br />
den Antrieb sorgt ein rasches Öffnen und<br />
Schliessen der Klappen, wobei beim<br />
Schliessen das Wasser aus der Mantelhöhle<br />
in zwei Jets ausgestossen wird, die für<br />
den nötigen Schub sorgen. Sie wissen<br />
nicht, wie Kammmuscheln aussehen?<br />
Wenn Sie das nächste Mal bei Shell tanken,<br />
schauen Sie sich das Firmensymbol<br />
an. Tatsächlich hatte der Mineralölkonzern<br />
seine Anfänge im 19. Jahrhundert als<br />
Importeur von dekorativen Muschelschalen,<br />
die als Sammlerobjekte im viktorianischen<br />
England beliebt waren. Später kamen<br />
zu den Muschellieferungen andere<br />
Waren dazu, darunter die ersten Mineralölfässer,<br />
und der Firmeninhaber erkannte<br />
mit untrüglichem Geschäftssinn,<br />
dass hierin eine grössere Zukunft liegt als<br />
im Konchylienhandel.<br />
Muschelriffe aus der Kreidezeit<br />
Wer nicht flieht, kann das Gegenteil tun:<br />
sich festsetzen, am besten gleich richtig,<br />
indem die Schale auf den festen Untergrund<br />
zementiert wird. Das erschwert<br />
dem Räuber die Handhabung seines potenziellen<br />
Opfers, und wenn das nicht<br />
reicht, werden schöne lange Stacheln auf<br />
der Schalenaussenseite platziert, wie es<br />
Kammmuscheln (Pectinidae) leben auf der Oberfläche des Meeresbodens und können durch<br />
rasches Auf- und Zuklappen vor Angreifern davonschwimmen.<br />
Kaum als Muscheln zu erkennen sind die Rudisten, die in der Kreidezeit grosse Riffe bildeten.<br />
<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 3/24 29
Fokus: Plan<br />
Anzeige<br />
Der Ausweg aus Hunger und<br />
Armut heisst Öko-Landbau.<br />
Die Gattung Spondylus zementiert sich fest<br />
auf den Untergrund und spielt Kaktus.<br />
Die hierzulande verbreiteten Malermuscheln verdanken ihren<br />
Namen einem handwerklichen Usus: Die Maler mischten darin<br />
ihre Farben.<br />
www.biovision.ch<br />
die Gattung Spondylus tut. Und wenn man<br />
sich erst einmal entschlossen hat, dauerhaft<br />
sessil zu sein, kann die Evolution alles<br />
über Bord werfen, was dereinst der Fortbewegung<br />
diente, und das Gehäuse zu neuen<br />
Zwecken konfigurieren. Am konsequentesten<br />
hat das die Muschelgruppe der Rudisten<br />
in der Kreidezeit gemacht, wo ihre<br />
festgewachsene Klappe einen lang gestreckten<br />
Kelch bildete und die andere<br />
Klappe einen Deckel. So konnten die Rudisten<br />
ähnlich wie heute die Korallen ganze<br />
Riffe aufbauen. Und wären sie nicht vor<br />
65 Millionen Jahren zusammen mit den<br />
Dinosauriern ausgestorben, weil die Erde<br />
mit einem Asteroiden kollidierte, würden<br />
die Touristinnen und Touristen im Roten<br />
Meer oder an Australiens Küste heute zwischen<br />
Muschelriffen schnorcheln. Die<br />
kreidezeitlichen Muschelriffe wurden derweil<br />
von tektonischen Kräften vielerorts in<br />
die Tiefe versenkt, wo sie aufgrund ihrer<br />
porösen Struktur allerbeste Erdölspeichergesteine<br />
bilden. Und viele der grossen<br />
Erdöllagerstätten im mittleren Osten zapfen<br />
genau diese an – für Shell schliesst sich<br />
hier der Kreis.<br />
Kleine Kunstwerke der Natur<br />
Wenn Ihr Interesse an den beschalten<br />
Weichtieren geweckt ist und der nächste<br />
Meeresurlaub noch auf sich warten lässt,<br />
dann fahren Sie einfach zum nächsten<br />
See. Denn auch die Schalen von Süsswassermuscheln<br />
sind sehr attraktiv. In<br />
Schweizer Seen ist neben einer Reihe von<br />
eingeschleppten Arten vor allem die Malermuschel<br />
noch weitverbreitet. Die lang<br />
gestreckten, dickschaligen Klappen beziehen<br />
ihre Ästhetik aus dem Perlmutt der<br />
Schaleninnenseite, das in allen Regenbogenfarben<br />
irisiert. Ihren Namen hat die<br />
Malermuschel jedoch nicht, weil sich<br />
Künstlerinnen und Künstler von ihrem<br />
Farbenrausch inspirieren liessen, sondern<br />
weil diese die massenhaft verfügbaren<br />
Schalen ganz profan als Behälter zum Mischen<br />
ihrer Farben nutzten. Ob sie dabei<br />
bemerkten, dass jede Schale ein Kunstwerk<br />
der Natur ist?<br />
30<br />
3/24 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>
Fokus: Plan<br />
Die Autonomie der<br />
Patientinnen und Patienten<br />
fördern: die Gesundheitliche<br />
Vorausplanung<br />
Die Gesundheitliche Vorausplanung (GVP) ist ein Kommunikationsprozess,<br />
der es für den Fall einer Urteilsunfähigkeit ermöglicht, die Behandlung<br />
der Patientinnen und Patienten besser in Einklang mit ihren Präferenzen zu bringen,<br />
das Risiko einer Überbehandlung zu reduzieren und die Kommunikation<br />
aller involvierten Personen zu verbessern.<br />
Prof. Francesca Bosisio 1 , Dr. Daniela Ritzenthaler 2, 5 , Dr. Laura Jones 2 , Dr. Eve Rubli Truchard 2, 3 und Prof. Ralf J. Jox<br />
2, 4, 5<br />
Bei der GVP bestimmen urteilsfähige Menschen gemeinsam mit Fachpersonen und – falls erwünscht –<br />
mit Angehörigen, welche medizinischen Massnahmen im Fall einer Urteilsunfähigkeit getroffen werden<br />
sollen und welche nicht.<br />
1<br />
Haute école d’ingénierie et de gestion du<br />
canton de Vaud, HES-SO<br />
2 Chaire de soins palliatifs gériatriques, CHUV<br />
Bild: Adobe Stock<br />
Dieser Artikel wurde erstmalig in der «gazette médicale» (2021, Ausg. 6, S. 24–27) publiziert<br />
und erscheint hier in einer gekürzten und aktualisierten Fassung.<br />
3<br />
Service de gériatrie et de réadaptation<br />
gériatrique, CHUV<br />
4<br />
Service de soins palliatifs et de support, CHUV<br />
5 Institut des humanités en médecine, CHUV-UNIL<br />
<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 3/24 31
Fokus: Plan<br />
32<br />
Planungsphase<br />
Andere<br />
Gesundheitsfachpersonen<br />
vertretungsberechtigte<br />
Person<br />
(Andere)<br />
Angehörige<br />
Ärztin/Arzt<br />
des<br />
Vertrauens<br />
diniert, wurde 2020 gegründet. Eine gemeinsame<br />
Arbeitsgruppe von BAG und<br />
SAMW arbeitet derzeit an der Implementierung<br />
von GVP in der Schweiz, basierend<br />
auf einem Mandat des Bundesrats.<br />
Von Werten zur Gesundheitlichen<br />
Vorausplanung<br />
Die Umsetzung eines spezifischen Modells<br />
für die GVP im Kanton Waadt zeigt<br />
vielversprechende Ergebnisse. Dieses Modell,<br />
das von der Professur für geriatrische<br />
Palliative Care am CHUV verwendet wird,<br />
basiert auf einem in Zürich entwickelten<br />
Konzept (ACP Medizinisch Begleitet®),<br />
das wiederum von deutschen [14], amerikanischen<br />
[15] und australischen [16] Modellen<br />
inspiriert ist. Das Zürcher Modell<br />
wurde im Rahmen einer randomisierten<br />
kontrollierten Studie im Spital getestet<br />
[11]. Es beinhaltet Schulungen, Formulare<br />
Zeit<br />
Umsetzungsphase<br />
GVP-<br />
Gesprächsbegleiter/-in<br />
vertretungsberechtigte<br />
Person<br />
(Andere)<br />
Angehörige<br />
Ärztin/Arzt<br />
des<br />
Vertrauens<br />
GVP-<br />
Gesprächsbegleiter/-in<br />
Abbildung 1. Relationale (beziehungsorientierte) Autonomie. Die Vorbereitung der GVP ermöglicht es,<br />
einen konsensorientierten Ansatz der Betreuung im Falle einer Urteilsunfähigkeit zu implementieren<br />
(links). Wenn der/die Patient/-in urteilsunfähig ist (rechts), bezeugen die Personen, die an der Vorbereitung<br />
der GVP beteiligt waren, und insbesondere die vertretungsberechtigte Person den mutmasslichen<br />
Willen der Person und stärken damit ihre Autonomie.<br />
Gesundheitliche<br />
Vorausplanung<br />
Überlegungen,<br />
Diskussionen<br />
Patientenverfügung<br />
Vorsorgeauftrag<br />
Andere<br />
Gesundheitsfachpersonen<br />
Patientenverfügung<br />
Behandlungsentscheid<br />
Behandlungsentscheid<br />
Andere Dokumente<br />
(Ort und Pflege am<br />
Lebensende)<br />
Abbildung 2. Zeitliche Autonomie. In der Gesundheitlichen Vorausplanung wird die Person ermutigt,<br />
regelmässig über ihre Behandlungspräferenzen nachzudenken, ihre Patientenverfügung zu aktualisieren<br />
und mit Dokumenten zu ergänzen, die es ermöglichen, andere Situationen, beispielsweise aufgrund des<br />
veränderten Gesundheitszustandes, zu bewältigen. Die betroffene Person, ihre Angehörigen oder der/die<br />
GVP-Gesprächsbegleiter/-in können die Aktualisierung einleiten.<br />
Die Patientenverfügung wurde<br />
in den 1960er-Jahren ins Leben<br />
gerufen. Damals mit dem<br />
Ziel, die Selbstbestimmung<br />
der Patientinnen und Patienten über den<br />
Verlust der Urteilsfähigkeit hinaus zu respektieren.<br />
Leider hat sich die Patientenverfügung<br />
in ihrer klassischen Form als<br />
ungenügend erwiesen, um dieses Ziel zu<br />
erreichen. Einerseits ist sie ein noch wenig<br />
bekanntes und genutztes Mittel [1], andererseits<br />
wird ihre Umsetzung von zahlreichen<br />
konzeptionellen und praktischen<br />
Schwierigkeiten behindert [2].<br />
Gegen diesen Missstand wurde die Gesundheitliche<br />
Vorausplanung (GVP [3], advance<br />
care planning) entwickelt, definiert<br />
als «ein strukturierter Kommunikationsprozess,<br />
der es urteilsfähigen Personen ermöglicht,<br />
in Antizipation des Verlustes<br />
der Urteilsfähigkeit über ihre Behandlungspräferenzen<br />
und -ziele nachzudenken,<br />
diese mit ihren Angehörigen, Ärzten<br />
und Pflegefachpersonen zu besprechen<br />
und sie zu dokumentieren und bei Bedarf<br />
anzupassen» [4, Seite e549]. Die GVP ersetzt<br />
damit nicht die Patientenverfügung,<br />
sondern integriert diese in einen weiter<br />
gefassten, strukturierten und langfristigen<br />
Prozess [5]. Die Autonomie des Patienten<br />
bzw. der Patientin, ein zentrales Element<br />
des Gesundheitssystems, wird damit im<br />
Sinne einer beziehungsorientierten und<br />
zeitlichen Autonomie verstanden (Abbildungen<br />
1 und 2).<br />
Die Wirksamkeit dieses Ansatzes ist in<br />
mehreren systematischen Reviews methodisch<br />
hochwertiger Studien belegt [6–9].<br />
Nach Implementierung der GVP berichten<br />
Betroffene über mehr Klarheit hinsichtlich<br />
der Information und Dokumentation und<br />
dass ihre Präferenzen besser berücksichtigt<br />
werden. Dies reduziert das Risiko, dass<br />
sie gegen ihren Willen behandelt werden<br />
oder unnötige Behandlungen über sich ergehen<br />
lassen müssen. Angehörige, Ärztinnen<br />
und Ärzte sowie das Pflegepersonal<br />
berichten auch über ein verstärktes Gefühl<br />
der Kontrolle und Handlungssicherheit.<br />
Die GVP ist in den 1990er-Jahren in<br />
den USA entstanden und hat allmählich<br />
an Anerkennung gewonnen. Seit den<br />
2000er-Jahren wird dieser Ansatz auch in<br />
der Schweiz auf verschiedenen Ebenen<br />
umgesetzt [3, 10, 11]. Im Jahr 2018 haben<br />
die Schweizerische Akademie der Medizinischen<br />
Wissenschaften (SAMW) [12] und<br />
das Bundesamt für Gesundheit (BAG) [13]<br />
die Weiterentwicklung der GVP empfohlen.<br />
Der Verein ACP Swiss, der das Modell<br />
auf nationaler Ebene fördert und koorfür<br />
die Dokumentation der GVP und Standards<br />
für die Gesprächsführung. Im Rahmen<br />
von zwei oder drei Gesprächen, die<br />
zwischen der Person, den Angehörigen<br />
(falls erwünscht) und einer ausgebildeten<br />
Fachperson (gesprächsbegleitenden Person)<br />
stattfinden, werden folgende drei<br />
Etappen angegangen:<br />
– Die Bestimmung einer vertretungsberechtigten<br />
Person<br />
– Das Gespräch über persönliche Werte<br />
– Therapieziele und Vorausentscheidungen<br />
Die Bestimmung einer<br />
vertretungsberechtigten Person<br />
Dies ist ein zentrales Element der GVP, die<br />
von einer beziehungsorientierten Autonomie<br />
ausgeht (Abbildung 1) [17]. Die Wahl<br />
einer vertretungsberechtigten Person ist<br />
nicht immer einfach zu treffen, da dabei<br />
folgende Aspekte berücksichtigt werden<br />
3/24 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>
Fokus: Plan<br />
müssen: Wer verfügt über gute Kenntnisse<br />
der Person, ihrer Lebensgeschichte und<br />
ihrer Werte? Wer geniesst ihr Vertrauen?<br />
Wer ist in der Lage, den Willen der Person<br />
gegenüber den Gesundheitsfachpersonen<br />
zu vertreten? Wer ist bereit, die Rolle stellvertretender<br />
Entscheidungsfindung zu<br />
übernehmen, und verfügt über die dafür<br />
notwendige Zeit? Wir empfehlen, dass die<br />
vertretungsberechtigte Person – und allenfalls<br />
auch andere Angehörige, die an Behandlungsentscheidungen<br />
beteiligt sind –<br />
an der GVP partizipiert, um sich bestmöglich<br />
auf diese komplexe Schlüssel aufgabe<br />
vorzubereiten [18].<br />
Das Gespräch über persönliche Werte<br />
(«Standortbestimmung»)<br />
In diesem Schritt unterstützt die Gesprächsbegleiterin<br />
oder der Gesprächsbegleiter<br />
die Person darin, die Werte, die ihren<br />
Pflegepräferenzen zugrunde liegen, zu<br />
identifizieren. Im Rahmen unseres<br />
GVP-Modells beinhaltet die sogenannte<br />
Standortbestimmung eine Reflexion darüber,<br />
was der Person im Leben am wichtigsten<br />
ist (Tabelle 1). Dabei geht es darum,<br />
mit allgemeinen Themen (Lebensentwurf,<br />
Werte) zu beginnen und schrittweise zu<br />
spezifischeren Themen (Krankheit, Behinderung,<br />
Tod, Medizin) überzugehen.<br />
Die gesprächsführende Person dokumentiert<br />
alles. Anschliessend wird die Dokumentation<br />
von der betroffenen Person gegengelesen<br />
und nötigenfalls korrigiert.<br />
Therapieziele und<br />
Vorausentscheidungen<br />
Mit dem Instrument können die Personen<br />
Therapieziele und Vorausentscheidungen<br />
in Zusammenhang mit der medizinischen<br />
Behandlung (Tabelle 2) für drei Situationen<br />
der Urteilsunfähigkeit (Tabelle 3) dokumentieren,<br />
u. a. in einer Patientenverfügung.<br />
Der situationsbezogene Ansatz<br />
ermöglicht es allen Beteiligten, sich in<br />
konkrete Situationen hineinzuversetzen.<br />
Darüber hinaus ermöglicht es der Fokus<br />
auf Therapieziele statt nur auf Therapiemassnahmen,<br />
sogar in nicht vorhergesehenen<br />
Situationen patientenzentrierte<br />
Entscheidungen zu treffen. Wenn die Person<br />
im Falle einer Verschlechterung des<br />
Gesundheitszustands nicht in ein Spital<br />
eingewiesen werden möchte, können medizinische<br />
Notfallanordnungen verfasst<br />
werden, die es besser ermöglichen, das Lebensende<br />
zu Hause zu verbringen. Auch<br />
die Haltung zu Forschung und Organspende<br />
kann in Zusatzdokumenten festgehalten<br />
werden.<br />
Tabelle 1. Beispielfragen zum Gespräch über persönliche Werte («Standortbestimmung»)<br />
Schritte<br />
Einleitung<br />
Lebensqualität / Lebenswille<br />
Beschränkung der Therapien<br />
Lebensende und Tod<br />
Lebensumstände, Schlussfolgerung<br />
Fragen<br />
Tabelle 2. Therapieziele und Patientenverfügung<br />
Ziel A<br />
Ziel B<br />
Ziel C<br />
Tabelle 3. Szenarien für den Verlust der Urteilsfähigkeit<br />
Szenarien<br />
Plötzlicher Verlust<br />
der Urteilsfähigkeit<br />
Verlust der Urteilsfähigkeit<br />
von unbestimmter Dauer<br />
Dauerhafter Verlust<br />
der Urteilsfähigkeit<br />
Was motiviert Sie heute, eine Patientenverfügung<br />
zu verfassen? Falls die Person an einer Krankheit leidet:<br />
Was wissen Sie über Ihre Krankheit?<br />
Was zählt für Sie im Leben am meisten?<br />
Wie gerne leben Sie?<br />
Was bedeutet für Sie eine gute Lebensqualität?<br />
Was ist für Sie ein guter Tag?<br />
Wie wichtig ist es für Sie, noch lange zu leben?<br />
Darf eine medizinische Behandlung dazu beitragen, Ihr<br />
Leben in einer Krise zu verlängern? Welche Belastungen<br />
und Risiken wären Sie bereit, dafür in Kauf zu nehmen?<br />
Welche Sorgen oder Ängste bewegen Sie, wenn Sie an<br />
zukünftige medizinische Behandlungen denken?<br />
Was soll auf keinen Fall geschehen?<br />
Gibt es Situationen, in denen Sie nicht mehr lebensverlängernd<br />
behandelt werden wollen?<br />
Welche Erfahrungen beeinflussen diese Präferenzen?<br />
Wenn Sie ans Sterben denken – was kommt Ihnen dann<br />
in den Sinn?<br />
Wenn ich Ihnen sagen könnte, dass Sie heute Nacht<br />
friedlich einschlafen und morgen nicht mehr aufwachen<br />
werden – was würde das in Ihnen auslösen?<br />
Sind für Sie religiöse, spirituelle oder persönliche Überzeugungen<br />
oder kulturelle Gründe wichtig, wenn Sie über<br />
Ihre Behandlung oder Ihr Lebensende nachdenken?<br />
Haben Sie weitere Bemerkungen zum Ort der Behandlung?<br />
Möchten Sie noch etwas in Bezug auf Ihre Einstellung<br />
zum Leben, zur Krankheit oder zum Tod hinzufügen?<br />
Lebensverlängerung, soweit medizinisch möglich<br />
und indiziert<br />
Lebensverlängerung mit gewissen Einschränkungen:<br />
Die Person gibt an, welchen Massnahmen sie mit dem<br />
Ziel der Lebensverlängerung nicht zustimmt.<br />
Keine lebensverlängernden Massnahmen, sondern ausschliesslich<br />
Massnahmen zur Linderung von Leiden und<br />
Förderung des Wohlbefindens (comfort care).<br />
Beispiele<br />
Die Person verliert akut ihre Urteilsfähigkeit, z. B. aufgrund<br />
eines Hirninfarkts, eines Herzstillstands oder<br />
eines anaphylaktischen Schocks. Es handelt sich um<br />
eine lebensbedrohliche Notsituation.<br />
Die Person hat ihre Urteilsfähigkeit aufgrund von Komplikationen<br />
ihrer Krankheit, eines Eingriffs oder einer<br />
Wiederbelebung vorläufig verloren. In der Regel befindet<br />
sie sich im Krankenhaus, oft auf der Intensivstation.<br />
Die Person hat ihre Urteilsfähigkeit unwiederbringlich<br />
verloren. Die Person kann sich in einem Zustand<br />
dauer hafter Bewusstlosigkeit befinden (z. B. vegetatives<br />
Syndrom/Syndrom reaktionsloser Wachheit) oder bei<br />
Bewusstsein sein (z. B. neurokognitive Störungen,<br />
geistige Behinderung) befinden. Das häufigste Beispiel<br />
ist die Demenz in einem fortgeschrittenen Stadium.<br />
<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 3/24 33
Fokus: Plan<br />
Was ist gute Lebensqualität für mich? Und wann<br />
möchte ich auf lebenserhaltende Massnahmen<br />
verzichten? Wer sich im Rahmen einer Gesundheitlichen<br />
Vorausplanung solche Fragen stellt,<br />
stärkt nicht nur die eigene Autonomie, sondern<br />
entlastet auch die Angehörigen.<br />
Wichtig ist, zu betonen, dass die Person<br />
frei entscheiden kann, was sie zu einem<br />
bestimmten Zeitpunkt dokumentieren<br />
will. Der Prozess kann jederzeit unterbrochen<br />
und fortgesetzt werden. Die nach<br />
Abschluss der GVP erstellten Dokumente<br />
werden datiert und unterzeichnet von der<br />
Verfasserin oder dem Verfasser, aber idealerweise<br />
auch von der vertretungsberechtigten<br />
Person, der Ärztin bzw. dem Arzt<br />
sowie der Fachperson, die den Prozess begleitet<br />
hat. Zudem ist alles darauf ausgerichtet,<br />
den Betroffenen die Möglichkeit<br />
zu geben, ihre GVP bei Bedarf zu aktualisieren<br />
(zeitliche Autonomie, Abbildung 2).<br />
Schulung und Implementierung<br />
der GVP im Kanton Waadt<br />
Die Schulung der Fachpersonen für den<br />
Einsatz dieses Instruments ist in zwei Module<br />
gegliedert. Im Rahmen des ersten Moduls<br />
(Grundkurs) erhalten die Teilnehmenden<br />
Informationen über den Aufbau und<br />
den Ablauf der GVP und lernen, wie sie das<br />
Gespräch zu den persönlichen Werten führen.<br />
Im zweiten Modul (Beraterkurs) lernen<br />
die Fachpersonen, die Behandlungsziele zu<br />
dokumentieren und die Vorsorgedokumente<br />
(Patientenverfügung, Notfallanordnung)<br />
zu verfassen. Die Fachpersonen handeln als<br />
Prozessbegleitende und nicht als Experten.<br />
Ausblick: Entwicklung des Kursangebots<br />
und der Tools für Fachpersonen<br />
Die Gemeinschaft von Personen und Institutionen<br />
in der Schweiz, die GVP durchführen<br />
bzw. fördern, wächst kontinuier-<br />
lich. Wir verfolgen unter anderem folgende<br />
Ziele für die Zukunft:<br />
– Entwicklung von Kursen für Ärztinnen<br />
und Ärzte<br />
– Entwicklung von Instrumenten und<br />
Schulungen für Fachpersonen, die Menschen<br />
mit eingeschränkter Urteilsfähigkeit<br />
betreuen (sog. advance care planning<br />
by proxy)<br />
– Umsetzung der GVP auf kantonaler und<br />
nationaler Ebene<br />
– Stärkung der Zusammenarbeit mit dem<br />
kantonalen Notfallplan, um ungewollte<br />
und potenziell vermeidbare Spitaleinweisungen<br />
zu verhindern<br />
Fazit: Die GVP entspricht einem<br />
Bedürfnis<br />
Die Covid-19-Pandemie hat uns vor Augen<br />
geführt, wie wichtig es ist, die Selbstbestimmung<br />
der Menschen, die mit dem<br />
Verlust ihrer Urteilsfähigkeit rechnen, zu<br />
stärken. Die internationale Literatur und<br />
die Erfahrungen aus der Praxis im Kanton<br />
Waadt und andernorts in der Schweiz zeigen<br />
vielversprechende Ergebnisse für Betroffene,<br />
ihre Angehörigen und das Gesundheitssystem.<br />
Literatur<br />
[1] Vilpert S, Borrat-Besson<br />
C, Maurer J, Borasio GD. Awareness,<br />
approval and completion of<br />
advance directives in older adults in<br />
Switzerland. Swiss Med Wkly<br />
[Internet]. 2018 Jul 30 [cited 2019<br />
Jun 11];148(2930). Available from:<br />
https://smw.ch/en/article/doi/<br />
smw.2018.14642/<br />
[2] Fagerlin A, Schneider<br />
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Living Will. Hastings Cent Rep.<br />
2004;34(2):30–42.<br />
[3] Bosisio F, Fassier T,<br />
Rubli Truchard E, Pautex S, Jox R.<br />
Projet de soins anticipé ou advance<br />
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terminologie commune pour la<br />
Suisse romande. Rev Médicale<br />
Suisse. Sept 2019:1634–6.<br />
[4] Rietjens JAC, Sudore RL,<br />
Connolly M, van Delden JJ,<br />
Drickamer MA, Droger M, et al.<br />
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by the European Association for<br />
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2017;18(9):e543–51.<br />
[5] Jox R. Preparing<br />
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Schweda M, Pfaller L, Brauer K,<br />
Adloff F, Schicktanz S, editors. Planning<br />
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UK: Routledge; 2017. p. 164–80.<br />
[6] Brinkman-Stoppelenburg<br />
A, Rietjens JAC, van der Heide<br />
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Sep;28(8):1000–25.<br />
[7] Khandelwal N, Kross EK,<br />
Engelberg RA, Coe NB, Long AC,<br />
Curtis JR. Estimating the effect of<br />
palliative care interventions and<br />
advance care planning on ICU<br />
utilization: a systematic review. Crit<br />
Care Med. 2015 May;43(5):1102–11.<br />
[8] Austin CA, Mohottige D,<br />
Sudore RL, Smith AK, Hanson LC.<br />
Tools to Promote Shared Decision<br />
Making in Serious Illness: A<br />
Systematic Review. JAMA Intern<br />
Med. 2015 Jul;175(7):1213–21.<br />
[9] Houben CHM, Spruit<br />
MA, Groenen MTJ, Wouters EFM,<br />
Janssen DJA. Efficacy of advance<br />
care planning: a systematic review<br />
and meta-analysis. J Am Med Dir<br />
Assoc. 2014 Jul;15(7):477–89.<br />
[10] Séchaud L, Goulet C,<br />
Morin D, Mazzocato C. Advance care<br />
planning for institutionalised older<br />
people: an integrative review of the<br />
literature. Int J Older People Nurs.<br />
2014 Jun;9(2):159–68.<br />
[11] Krones T, Budilivschi A,<br />
Karzig I, Otto T, Valeri F, Biller-Andorno<br />
N, et al. Advance care<br />
planning for the severely ill in the<br />
hospital: a randomized trial. BMJ<br />
Support Palliat Care. 2019 Jan 21;<br />
[12] ASSM. Attitude face à la<br />
fin de vie et à la mort. Directives<br />
médico-éthiques de l’Académie<br />
Suisse des Sciences Médicales.<br />
[Internet]. Berne: ASSM; 2018 p. 38.<br />
Available from: https://www.samw.<br />
ch/fr/Publications/Directives.html<br />
[13] Imhof W, Office fédéral<br />
de la santé publique. L’anticipation<br />
en lien avec la santé, en particulier<br />
en cas d’incapacité de discernement<br />
(« Advance Care Planning »). 2018;32.<br />
[14] in der Schmitten J, Lex<br />
K, Mellert C, Rothärmel S,<br />
Wegscheider K, Marckmann G.<br />
Implementing an Advance Care<br />
Planning Program in German<br />
Nursing Homes. Dtsch Ärztebl Int.<br />
2014 Jan;111(4):50–7.<br />
[15] Hickman S, Hammes B,<br />
Moss A, Tolle S. Hope for the Future:<br />
Achieving the Original Intent of<br />
Advance Directives. Hastings Cent<br />
Rep. 2005;35(6):S26–30.<br />
[16] Detering KM, Hancock<br />
AD, Reade MC, Silvester W. The<br />
impact of advance care planning on<br />
end of life care in elderly patients:<br />
randomised controlled trial. BMJ.<br />
2010 Mar 24;340:c1345.<br />
[17] Bosisio F, Barazzetti G.<br />
Advanced Care Planning: Promoting<br />
Autonomy in Caring for People with<br />
Dementia. Am J Bioeth. 2020 Aug<br />
2;20(8):93–5.<br />
[18] Bosisio F, Jox R, Jones L,<br />
Rubli Truchard E. Planning ahead<br />
with dementia: what role can<br />
advance care planning play? A<br />
review on opportunities and<br />
challenges. Swiss Med Wkly.<br />
2018;148(w14706).<br />
Bild: Adobe Stock<br />
34<br />
3/24 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>
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<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 3/24 35
Fokus: Plan<br />
Stadtpläne<br />
im Wandel der<br />
Zeit<br />
Die Entwicklung der Stadtpläne spiegelt nicht nur<br />
den Fortschritt der Kartografie wider, sondern auch die sich<br />
ändernden gesellschaftlichen Bedürfnisse. Ein Blick auf<br />
einige Zeitzeugnisse und die Triebkräfte dahinter.<br />
Dr. phil. nat. Thomas Klöti, Geograf, ehemaliger Leiter der Kartensammlung des Bundesamts für<br />
Landestopografie swisstopo in Wabern und der Sammlung Ryhiner der Universitätsbibliothek Bern<br />
Der Begriff «Plan» im Sinne von<br />
Grundriss, Entwurf, Vorhaben<br />
oder Absicht wurde Anfang<br />
des 18. Jahrhunderts vom französischen<br />
Wort «plan», das auf Deutsch<br />
Entwurf, Grundfläche oder Grundriss bedeutete,<br />
entlehnt und wird bis heute unter<br />
anderem für die kartografische Darstellung<br />
einer Stadt verwendet [1]. Der Beginn der<br />
Stadtpläne reicht jedoch viel weiter zurück.<br />
Von kunstvoll zu nüchtern<br />
Stadtpläne entwickelten sich von einfachen<br />
Schemata über Aufrisszeichnungen<br />
mit Seitenansichten von Städten sowie per-<br />
Sickingerplan: die Stadt Bern im Jahr 1607<br />
Gregor Sickinger (1558–1631) war ein vielseitiger Künstler, von dessen Arbeiten vor allem seine<br />
grossen, auf Vermessung beruhenden Stadtansichten, sogenannte Planveduten, bekannt sind.<br />
Ein gängiges Instrument zur Vermessung von Städten oder Landschaften waren damals<br />
Messketten oder -schnüre, deren Glieder bzw. Knoten eine bestimmte Länge aufwiesen.<br />
Basierend auf den erhobenen Daten konstruierte Sickinger seine Stadtansichten perspektivisch<br />
aus der Vogelschau: Sein Ziel war eine Zentralperspektive von einem recht hoch gelegenen<br />
Punkt aus. Er schuf seine Planveduten als monumentale Gemälde auf Leinwand, bestimmt<br />
zum Schmuck öffentlicher Räume, nicht zur Reproduktion. Das Original der nordorientierten<br />
Planvedute von Bern, gemalt 1603 bis 1607, ist seit 1755 verschollen. Das Bild zeigt die Kopie des<br />
Plans (1753) durch Johann Ludwig Aberli (1723–1786) in der Umzeichnung von Eduard von Rodt<br />
(1849–1926) (1915) [6]. Trotz dem Verlust des Originals ist die Stadtvedute ein unschätzbares<br />
Dokument zur Stadtbaugeschichte Berns [7].<br />
Bild: Burgerbibliothek Bern, https://katalog.burgerbib.ch/detail.aspx?ID=283066<br />
36<br />
3/24 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>
Fokus: Plan<br />
Tontafel der Stadt Nippur<br />
Der Stadtplan von Nippur ist die älteste kartografische Darstellung einer Stadt. Die aus mittelbabylonischer<br />
Zeit stammende Tontafel ist etwa 3500 Jahre alt. Auf ihr sind der Umriss der Stadt<br />
mit Mauerverlauf, wichtige Wasserverläufe und der Tempel bezirk zu sehen. Das Fundstück wird<br />
in der Hilprecht-Sammlung in Jena aufbewahrt [5].<br />
Bild oben: Alfred Löhr, aus Wikimedia Commons: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Stadtplan_Nippur_Jena.jpg<br />
Bilder unten: Universitätsbibliothek Bern, https://doi.org/10.3931/e-rara-43944 und Meyers Grosses Konversations-Lexikon, www.zeno.org/Meyers-1905/A/Kippregel<br />
Grundriss der Stadt Basel<br />
= Plan de la ville de Basle<br />
Der von Samuel Ryhiner (1751–1787)<br />
aufgenommene, südorientierte Stadtplan<br />
von Basel entstand im Zuge der Arbeiten<br />
zur Verbesserung der Schanzen und<br />
anderer Verteidigungsanlagen. Es handelt<br />
sich dabei um den ersten genaueren Plan<br />
von Basel, der die Stadt rein grundrisslich,<br />
also senkrecht von oben, darstellt.<br />
Die Vermessung der Stadt hat Ryhiner<br />
vermutlich im Messtischverfahren<br />
durchgeführt. Dieses Feldmessinstrument<br />
für topografische Geländeaufnahmen<br />
besteht aus einem Stativ mit einem<br />
horizontal aufgestellten und mit Zeichenpapier<br />
bespannten Reissbrett. Auf dessen<br />
Fläche können durch ein mit Visiervorrichtung<br />
versehenes Lineal Richtungslinien<br />
aufgezeichnet werden, aus denen<br />
sich ein geometrisch richtiges Bild des<br />
Geländes in beliebiger Verkleinerung<br />
ergibt [8]. Der Plan wurde 1786 vom Basler<br />
Kupferstecher Christian von Mechel<br />
(1737–1817) herausgegeben [9, 10].<br />
<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 3/24 37
Fokus: Plan<br />
spektivischen Plänen, sogenannten Vogelschaudarstellungen,<br />
zu echten Grundrissdarstellungen,<br />
wie die nachfolgenden Ab -<br />
bildungen zeigen. Während Stadtpläne<br />
im Mittelalter oft repräsentative oder narrative<br />
Zwecke erfüllten, wurde ihr Erscheinungsbild<br />
im Laufe des 18. Jahrhunderts<br />
immer nüchterner. Um 1800 war die<br />
grundrissliche Darstellung, die sich seit<br />
dem 16. Jahrhundert herausgebildet hatte,<br />
führend [2] (siehe auch Grundriss der Stadt<br />
Basel). Heute ist ein Stadtplan eine grossmassstäbige<br />
thematische Karte einer<br />
Stadt, die der allgemeinen Orientierung in<br />
einem urbanen Raum dient. Der Massstab<br />
liegt meist im Bereich zwischen 1 : 5000<br />
und 1 : 10 000 [3].<br />
Triebkräfte der Kartierung<br />
Insbesondere drei Beweggründe führten zu<br />
Kartierungen:<br />
– der Wunsch, die Städte repräsentativ<br />
und für die Öffentlichkeit bildlich darzustellen<br />
– vermutlich wurden bereits<br />
römische Katasterpläne öffentlich ausgestellt;<br />
– das Bestreben, Basisinformationen für<br />
den Bau von Festungsanlagen zu bekommen;<br />
– die Absicht, Besitzverhältnisse festzuhalten.<br />
Pläne bildeten aber auch die Grundlage für<br />
thematische Darstellungen mit einem spezifischen<br />
Fokus, zum Beispiel die Seuchenbekämpfung.<br />
So musste sich der bernische<br />
Sanitätsrat im 18. Jahrhundert rechtzeitig<br />
über die Lage der Seuchenherde ins Bild<br />
setzen können. Johann Friedrich Ryhiner<br />
(1732–1803) wurde deshalb 1777 ersucht,<br />
Landkarten der Schweiz sowie der angrenzenden<br />
Staaten in einem Atlas zusammenzustellen.<br />
Der so zustande gekommene<br />
Sammelatlas umfasste sechs Bände mit<br />
Karten [4].<br />
Die Geburtsstunde der<br />
Epidemiologie: der Plan<br />
von John Snow<br />
Der britische Arzt John Snow (1813–1858)<br />
vertrat die Ansicht, dass die Cholera nicht<br />
durch Dünste (Miasmen) verbreitet wurde,<br />
wie damals weithin angenommen wurde,<br />
sondern dass Mikroorganismen im Trinkwasser<br />
die Seuche verursachten. Sein Plan<br />
zeigt Cholerafälle bei der Epidemie in<br />
London 1854, die sich bei einer Wasserpumpe<br />
an der Broad Street häufen [11].<br />
Bild: Wellcome Collection, www.wellcomecollection.org/works/dx4prdbj<br />
38<br />
3/24 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>
Fokus: Plan<br />
Literatur<br />
[1] «Plan». In: Digitales Wörterbuch der<br />
deutschen Sprache. www.dwds.de/wb/Plan<br />
(1.3.<strong>2024</strong>).<br />
[2] Lexikon zur Geschichte der<br />
Kartographie. Bd. 2. Wien, 1986.<br />
[3] «Stadtplan». In: Lexikon der<br />
Kartographie und Geomatik. Spektrum<br />
Akademischer Verlag, Heidelberg. https://www.<br />
spektrum.de/lexikon/kartographie-geomatik/<br />
stadtplan/4647 (11.4.<strong>2024</strong>).<br />
[4] Thomas Klöti: Johann Friedrich von<br />
Ryhiner, 1994, S. 38. https://boris.unibe.<br />
ch/59384/1/tom-kloeti_johann_friedrich_von_<br />
ryhiner.pdf (1.3.<strong>2024</strong>).<br />
[5] «Stadtplan von Nippur». In: Lexikon<br />
der Kartographie und Geomatik. Spektrum<br />
Akademischer Verlag, Heidelberg. https://www.<br />
spektrum.de/lexikon/kartographie-geomatik/<br />
stadtplan-von-nippur/4648 (11.4.<strong>2024</strong>).<br />
[6] «Bern: Stadtplan (1607), 1915».<br />
Burgerbibliothek Bern. https://katalog.<br />
burgerbib.ch/detail.aspx?ID=283066 (1.3.<strong>2024</strong>).<br />
[8] «Meßtisch». In: Brockhaus' Kleines<br />
Konversations-Lexikon, 5. Aufl., Bd. 2. Leipzig,<br />
1911, S. 172. http://www.zeno.org/Brockhaus -<br />
1911/A/Meßtisch (11.4.<strong>2024</strong>).<br />
[9] «Ryhiner Plan». Basler Bauten.<br />
www.basler-bauten.ch/index.php?option=com_<br />
content&view=article&id=46&Itemid=116<br />
(1.3.<strong>2024</strong>).<br />
[10] Grundriss der Stadt Basel = Plan de<br />
la ville de Basle. In Basel herausgegeben von<br />
Christian von Mechel, Kupferstecher und<br />
Kunstverleger, 1786. Universitätsbibliothek<br />
Bern, MUE Kart 413:11. https://doi.<br />
org/10.3931/e-rara-43944 / Public Domain<br />
Mark.<br />
[11] Theodore H. Tulchinsky, Chapter 5<br />
– John Snow, Cholera, the Broad Street Pump;<br />
Waterborne Diseases Then and Now. In:<br />
Theodore H. Tulchinsky (Hrsg.): Case Studies<br />
in Public Health, Academic Press, 2018.<br />
S. 77–99, https://doi.org/10.1016/B978-0-12-<br />
804571-8.00017-2.<br />
[7] Grosjean, Georges, Geschichte<br />
der Kartographie. Bern, 1996. S. 97. https://boris.<br />
unibe.ch/47914/14/U8_Grosjean_2013.pdf<br />
(1.3.<strong>2024</strong>).<br />
Weiterführende Literatur<br />
Björn und Sören Christensen: Die<br />
Geburtsstunde der Epidemiologie. In: SH-<strong>Journal</strong>,<br />
Wochenendbeilage im s-hz, 5.12.2020.<br />
www.achtung-statistik.de/wp-content/<br />
uploads/2020/12/Die-Geburtsstunde-der-<br />
Epidemiologie-2020_12_5.pdf (1.3.<strong>2024</strong>).<br />
Georges Grosjean: Stadtplanveduten.<br />
In: Geschichte der Kartographie. Bern, 1996.<br />
S. 94–99. https://boris.unibe.ch/47914/14/U8_<br />
Grosjean_2013.pdf (1.3.<strong>2024</strong>).<br />
Hans-Peter Höhener: Urban Mapping in<br />
Switzerland. In: Cartography in the European<br />
Enlightenment. 2 Bände. Chicago, 2019.<br />
S. 1616–1618. https://press.uchicago.edu/books/<br />
HOC/HOC_V4/HOC_VOLUME4_U.pdf (1.3.<strong>2024</strong>).<br />
Thomas Klöti: Johann Friedrich von<br />
Ryhiner, 1732–1803: Berner Staatsmann,<br />
Geograph, Kartenbibliograph und Verkehrspolitiker.<br />
Bern, 1994. S. 38, 233–238. https://boris.<br />
unibe.ch/59384/1/tom-kloeti_johann_friedrich_<br />
von_ryhiner.pdf (1.3.<strong>2024</strong>).<br />
Tom Koch: Disease maps – Epidemics<br />
on the ground. 2011. S. 144–163.<br />
Lexikon zur Geschichte der Kartographie.<br />
2 Bände. Wien, 1986.<br />
Ryhiner – Die Familie Ryhiner 500 Jahre<br />
im Basler Bürgerrecht 1518–2018. Basel, 2018.<br />
S. 92–94. http://chronik.ryhiner.ch/assets/<br />
buch-ryhiner.pdf (1.3.<strong>2024</strong>).<br />
Holger Scharlach: Den Seuchen auf der<br />
Spur. 200 Jahre Infektionskrankheiten im<br />
Kartenbild. (Begleitbroschüre zur Ausstellung).<br />
Hannover, 2012. https://kartdok.staatsbibliothekberlin.de/receive/kartdok_mods_00000309<br />
(1.3.<strong>2024</strong>).<br />
Holger Scharlach und Wolfgang Crom:<br />
Entwicklung und Einsatzgebiete thematischer<br />
Karten im frühen 19. Jahrhundert am Beispiel<br />
der Cholera. In: Kartographische Nachrichten 63,<br />
2013, 1. S. 19–26.<br />
<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 3/24 39
Fokus: Plan<br />
«So furchtbar<br />
es klingt: Ich bin<br />
dankbar für<br />
meine Krankheit»<br />
So hatte Amaya Muñoz Pérez ihr Leben nicht geplant:<br />
Mitten im Nachdiplomstudium erhielt sie die Diagnose Multiple Sklerose (MS).<br />
Doch die Krankheit hat sie auch etwas Wichtiges gelehrt.<br />
Regula Grünwald, Chefredaktorin <strong>vsao</strong> <strong>Journal</strong>. Bilder: Severin Nowacki<br />
Es begann mit Nackenschmerzen<br />
und einem Kribbeln im<br />
Arm. «Da ist wohl ein Nerv eingeklemmt»,<br />
dachte sich Amaya<br />
Muñoz Pérez. Die gelernte Krankenpflegerin<br />
hatte ein Jahr zuvor ihr Nachdiplomstudium<br />
in der Intensivpflege begonnen,<br />
das ihr sehr gefiel. Mit wärmenden<br />
Kompressen versuchte sie, die Symptome<br />
zum Verschwinden zu bringen. Aber das<br />
Kribbeln hörte nicht auf.<br />
Wer Amaya Muñoz Pérez beim Sprechen<br />
zuhört, ihre Mimik und Gestik beobachtet,<br />
könnte den Eindruck erhalten,<br />
dass sie von einer leichten Erkrankung,<br />
vielleicht einer Grippe, erzählt. Ihre Stimme<br />
klingt heiter, die blauen Augen blitzen<br />
vor Lebensfreude, und ihr Lachen ist ansteckend.<br />
Einzig die Ärmel ihres grauen<br />
Strickpullovers zieht sie immer wieder<br />
über ihre Hände, als ob sie sie aufwärmen<br />
möchte, nur um sie bei der nächsten Geste<br />
gleich wieder hervorzustrecken.<br />
Trotz ihrer Erkrankung an Multipler Sklerose<br />
arbeitet Amaya Muñoz Pérez Vollzeit, jedoch<br />
nicht mehr auf der Intensivstation, sondern als<br />
medizinische Kodiererin und Data Steward.<br />
tätsspital Zürich (USZ), den sie nach einigen<br />
Tagen aufsuchte. «In deinem Alter<br />
muss man auch immer an Multiple Sklerose<br />
denken, Amaya», sagte er der damals<br />
27-Jährigen, die diesen Gedanken rasch<br />
wieder von sich schob. «Dies mochte ja<br />
anderen passieren, aber bestimmt nicht<br />
mir, dachte ich», erzählt die heute 36-Jäh-<br />
Amaya Muñoz Pérez mag die Arbeit mit Zahlen,<br />
auch wenn ihr der Kontakt mit Patientinnen<br />
und Patienten manchmal fehlt.<br />
Ein unerwarteter Verdacht<br />
Obwohl Amaya Muñoz Pérez zwei Jahre<br />
auf einer Überwachungsstation mit<br />
Schwer punkt Neurologie gearbeitet hatte,<br />
machte sie sich zu diesem Zeitpunkt keine<br />
Gedanken darüber, dass das Kribbeln<br />
auch eine andere Ursache als einen eingeklemmten<br />
Nerv haben könnte. Anders der<br />
Neurologe, ein Bekannter vom Universirige.<br />
Doch die weiteren Untersuchungen<br />
sollten den Verdacht des Arztes bestätigen.<br />
«Warum ich?»<br />
Seit der Diagnose hat Amaya Muñoz Pérez<br />
verschiedene Phasen durchlaufen. «Ganz<br />
am Anfang war ich recht optimistisch und<br />
40<br />
3/24 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>
Fokus: Plan<br />
empfand die Diagnose nicht als besonders<br />
schlimm», erzählt sie. Doch mit dem Besuch<br />
der Pflegeberatung und der eigenen<br />
Recherche im Internet habe sich dies geändert.<br />
«Ich sah plötzlich ein Leben voller<br />
Einschränkungen und Hindernisse vor<br />
mir: Meine Weiterbildung, Reisen, Kinder<br />
und meine weiteren Pläne und Träume<br />
schienen plötzlich nur noch schwer umsetzbar.»<br />
Gleichzeitig musste sich Amaya<br />
Muñoz Pérez unmittelbar nach der Diagnose<br />
einer hochdosierten Kortisontherapie<br />
unterziehen, um die Symptome zum<br />
Verschwinden zu bringen und bleibende<br />
Läsionen möglichst zu verhindern. «Das<br />
war Himmel und Hölle zugleich.» Himmel,<br />
weil die Therapie wirkte und Nackenschmerzen<br />
und das Kribbeln verschwanden.<br />
Hölle, weil die Nebenwirkungen es in<br />
sich hatten: «Ich wurde innerlich extrem<br />
nervös, konnte nicht schlafen, quoll auf.»<br />
Amaya Muñoz Pérez geriet in eine depressive<br />
Verstimmung. «Ich habe viel geweint,<br />
und ich habe mir oft die Frage gestellt: Warum<br />
ich?»<br />
Alles in Massen<br />
Eine Antwort auf diese Frage hat die gebürtige<br />
Berlinerin bis heute nicht gefunden.<br />
Doch sie hat aufgehört, sie zu stellen.<br />
Auf dem Weg dahin geholfen haben ihr<br />
ein gutes Umfeld, eine mehrmonatige<br />
Behandlung mit Antidepressiva sowie eine<br />
innere Entwicklung. Sie habe gelernt,<br />
zu akzeptieren, dass sie manche Dinge<br />
nicht beeinflussen oder ändern könne.<br />
«Aber ich lasse mich von der Krankheit<br />
nicht mehr einschüchtern: Ich erlaube<br />
mir alles, was mich glücklich macht –<br />
auch wenn es streng genommen vielleicht<br />
nicht das Beste für meinen Körper ist.<br />
Alles in Massen, ist heute meine Devise.»<br />
So ist Amaya Muñoz Pérez auch ab und zu<br />
im Ausgang anzutreffen, manchmal sogar<br />
mit einem Cocktail oder einer Zigarette in<br />
der Hand. Sie unternimmt weiterhin Reisen,<br />
jedoch wählt sie Destinationen, Zeitpunkt<br />
und Dauer sorgfältig aus. Und auch<br />
beruflich hat sie einen guten Kompromiss<br />
gefunden. So arbeitet sie zwar weiterhin<br />
Vollzeit, hat sich aber zur medizinischen<br />
Kodiererin weitergebildet, um die Zeit auf<br />
der Intensivstation zu reduzieren. «Ich<br />
mag die Arbeit am Bett sehr, aber nur dort<br />
zu arbeiten, wäre zu stressig, und das Infektionsrisiko<br />
wäre zu hoch.» Während<br />
Jahren habe sie am USZ auf ein tolles<br />
Team zählen können: «Ich war zwar für<br />
drei Schichten angestellt, aber mein Team<br />
übernahm immer meine Nächte und<br />
schaute darauf, dass ich nicht die hochinfektiösen<br />
Patientinnen und Patienten<br />
betreuen musste.» Seit ihr das USZ zusätzlich<br />
eine Teilzeitstelle im Institut für<br />
Intensivmedizin als Data Steward angeboten<br />
hat, arbeitet sie nicht mehr auf der<br />
Intensivstation. Eine Rückkehr will sie<br />
aber nicht ausschliessen. «Von den Kolleginnen<br />
und Kollegen wollte sich jedenfalls<br />
niemand so richtig von mir verabschieden.»<br />
Schwangerschaft muss geplant<br />
werden<br />
Amaya Muñoz Pérez spricht sehr offen<br />
über ihre Krankheit und über das, was sie<br />
beschäftigt. Vor ihrer Krankheit sei für sie<br />
immer klar gewesen, dass sie mal Kinder<br />
möchte, erzählt sie. Der Wunsch sei noch<br />
immer da. Aber falls sie sich für ein Kind<br />
entscheide, müsse das gut geplant sein.<br />
«Um schwanger zu werden, müsste ich die<br />
Therapie absetzen.» Ohnehin habe sie momentan<br />
keinen Partner. Und auch da stelle<br />
sie sich heute mehr Fragen als vor der Diagnose.<br />
«Wann würde ich einem potenziellen<br />
Partner von der Krankheit erzählen?<br />
Und wie würde er es aufnehmen?» Zwar<br />
habe sie diesbezüglich bislang keine negativen<br />
Erfahrungen gemacht. «Aber die<br />
meisten Leute, die nicht vom Fach sind,<br />
setzen MS mit dem Rollstuhl gleich – auch<br />
wenn dies längst nicht mehr bei allen Betroffenen<br />
der Fall ist.»<br />
Stärker und lebenslustiger<br />
Neben der medikamentösen Therapie<br />
muss sich Amaya Muñoz Pérez regel mässig<br />
bildgebenden Untersuchungen des Kopfes<br />
sowie dreimonatlichen Kontrollen des<br />
Blutbildes unterziehen. Seit vier Jahren<br />
hat sie nun keine Schübe mehr gehabt und<br />
ist sehr stabil. Von früheren Schüben geblieben<br />
sind wenige Symptome, mit denen<br />
sie gelernt hat, umzugehen. «Ich sehe beispielsweise<br />
Doppelbilder, wenn ich nach<br />
links gucke. Nun drehe ich halt einfach<br />
den Kopf – Problem gelöst.» Doch noch<br />
etwas anderes hat die Erkrankung nachhaltig<br />
verändert: «Ich habe gelernt, mehr<br />
auf mich und meine Bedürfnisse zu achten<br />
und nicht so sehr darauf, was die anderen<br />
von mir erwarten», sagt Amaya Muñoz<br />
Pérez. Früher sei sie sehr schüchtern gewesen<br />
und habe zu allem Ja gesagt. Durch<br />
die MS und die Auseinandersetzung mit<br />
sich selbst sei sie stärker und durchsetzungsfähiger<br />
sowie offener und lebenslustiger<br />
geworden. «Ohne die MS wäre ich<br />
nicht der Mensch, der ich jetzt bin. Und so<br />
furchtbar es klingt: In gewisser Weise bin<br />
ich dankbar für meine Krankheit.»<br />
Multiple Sklerose (MS):<br />
Entstehung, Symptome,<br />
Verlauf<br />
MS ist eine autoimmune, chronischentzündliche<br />
Erkrankung des zentralen<br />
Nervensystems (Gehirn und Rückenmark).<br />
Dabei greift das Immunsystem<br />
irrtümlicherweise die Myelinschicht,<br />
welche die Nervenzellen isoliert, an.<br />
Die dadurch ausgelöste Demyelinisierung<br />
sowie die mögliche Schädigung<br />
der Nervenzellen und -fasern verlangsamt<br />
die Nervenleitgeschwindigkeit. Je<br />
nach Region, die betroffen ist, variieren<br />
die Symptome. Häufige Symptome sind<br />
unter anderem Sehstörungen, Muskelschwäche<br />
oder -spastiken, Schwindel,<br />
Empfindungsstörungen wie Kribbeln,<br />
Schmerzen oder Temperaturempfindlichkeit,<br />
Fatigue, kognitive Leistungseinbussen,<br />
Depressionen, Sprechund<br />
Schluckstörungen sowie Blasenund<br />
Darmstörungen. Es wird zwischen<br />
mehreren Verlaufsformen unterschieden.<br />
Zumindest bei Krankheitsbeginn<br />
ist die schubförmig remittierende MS<br />
die häufigste Form. Diese beginnt meist<br />
zwischen 20 und 45 Jahren und kann<br />
nach etwa zehn Jahren auch in eine<br />
sekundär chronisch progrediente MS<br />
übergehen. Auch Verläufe ohne sichtbare<br />
Schübe sind möglich: Bei der<br />
primär chronisch progredienten MS<br />
zeigt sich von Beginn an eine langsame<br />
progrediente Verschlechterung der<br />
Symptomatik. Die genaue Ursache von<br />
MS ist nach wie vor nicht bekannt.<br />
Mehr Informationen:<br />
www.multiplesklerose.ch<br />
<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 3/24 41
Fokus: Plan<br />
Spektakuläre Stunts und Feuerwerke<br />
gehören zu jedem KKG-Stück.<br />
Ist Kreativität<br />
planbar?<br />
Die unbändige Lust, Grenzen zu sprengen und Unterhaltung<br />
mit Innovation zu verbinden, ist die treibende Kraft der<br />
Theatertruppe Karl’s kühne Gassenschau. Welchen Platz nimmt<br />
die Planung in diesem kreativen Umfeld ein? Paul Weilenmann,<br />
Mitgründer und künstlerischer Leiter, weiss Bescheid.<br />
Christoph Bohn, freier Autor<br />
Bilder: © Karl’s kühne Gassenschau<br />
42<br />
3/24 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>
Fokus: Plan<br />
mich im Alltag? Welche Geschichten berühren<br />
mich? Was möchte ich selbst auf<br />
der Bühne sehen? Was hat es in der Theaterszene<br />
noch nicht gegeben? Aus diesen<br />
Diskussionen ergibt sich ein Thema, das<br />
uns fasziniert. Und aus dieser Faszination<br />
entsteht die künstlerische Kraft, eine Theatershow<br />
zu kreieren.<br />
Wir organisieren aber auch vor jedem<br />
neuen Stück kreative Retraiten, wo wir<br />
Leute von ausserhalb einladen, um auf andere<br />
Ideen zu kommen. Dasselbe machen<br />
wir auch mit unseren eigenen Leuten, die<br />
oftmals einen anderen Blick auf ein Stück<br />
haben als wir von der Leitung.<br />
Zur Person<br />
Paul Weilenmann, was löst der Begriff<br />
«Planung» bei Ihnen aus?<br />
Als wir vor 40 Jahren zu sechst mit Karl’s<br />
kühner Gassenschau, kurz KKG, starteten,<br />
haben wir gar nichts geplant. Alles geschah<br />
spontan aus dem Lustprinzip. Heute ist<br />
das natürlich anders. Planung gibt uns Sicherheit,<br />
auch wenn die Realität dann<br />
ganz anders aussieht, als ich sie mir vorgestellt<br />
habe.<br />
KKG ist berühmt für kreative, unkonventionelle<br />
und spektakuläre Auftritte.<br />
Das bringt uns zur Frage: Lässt sich<br />
Kreativität überhaupt planen?<br />
Man kann vieles so einrichten, dass Kreativität<br />
entstehen kann. Zuerst tauschen<br />
wir uns im engen Kreis aus. Was bewegt<br />
Zuerst war KKG eine kleine Strassentheater-Truppe,<br />
heute haben Sie pro<br />
Abend bis zu 1400 Zuschauerinnen<br />
und Zuschauer. Da muss eine riesige<br />
Planung dahinterstecken.<br />
Allerdings. Wir begannen auf der Strasse<br />
mit einer Hutkollekte nach der Show, heute<br />
haben wir ein ausgeklügeltes, gut funktionierendes<br />
Ticketing-System via Internet.<br />
Damals wollten wir ja nur während<br />
der Sommerferien Strassenzirkus machen<br />
und unsere Skills anwenden, die wir an<br />
der Mimenschule Ilg gelernt hatten. Planung<br />
kam niemandem in den Sinn. Wir<br />
stürzten uns freudvoll ins Gauklerleben<br />
und waren jederzeit bereit, falls nötig auch<br />
wieder in unsere Berufe zurückzugehen.<br />
Je professioneller wir wurden, desto<br />
wichtiger wurde auch die Planung. Heute<br />
ist eine weise Voraussicht enorm wichtig<br />
für das Gelingen unserer Arbeit. Schliesslich<br />
haben wir Verpflichtungen gegenüber<br />
mehr als 100 Mitarbeitenden, die mehr<br />
oder weniger davon abhängig sind, ob<br />
unsere Shows erfolgreich sind oder nicht.<br />
Dafür braucht es eine monatelange Vorbereitung.<br />
Künstlerische Konzepte müssen<br />
erfunden, Bühnenbilder entworfen, Pläne<br />
gezeichnet und unzählige Bewilligungen<br />
eingeholt werden. Die administrative Arbeit<br />
unterscheidet sich kaum von anderen<br />
Betrieben, die ein Produkt herstellen und<br />
verkaufen müssen. Viel schwieriger ist die<br />
Planung für die kreativen Prozesse.<br />
Eigentlich wollte Paul Weilenmann<br />
immer Clown werden. An der Mimenschule<br />
Ilg in Zürich lernte er Brigitt<br />
Maag, Ernesto Graf und Markus Heller<br />
kennen. Gemeinsam mit zwei weiteren<br />
Personen gründeten sie 1984 den<br />
Strassenzirkus Karl’s kühne Gassenschau<br />
– mit einem Apostroph im<br />
Namen, um die Deutschlehrerinnen<br />
und -lehrer zu ärgern. Zu Beginn<br />
interessierten Paul Weilenmann<br />
insbesondere die klassischen Zirkusdisziplinen<br />
wie Akrobatik und<br />
Jonglage, mit der Zeit entwickelte er<br />
auch ein Flair für witzig inszenierte<br />
Szenen und bewegte sich etwas vom<br />
Rampenlicht weg hin zur Regiearbeit.<br />
Heute ist er in der Geschäftsleitung<br />
von KKG und hat die künstlerische<br />
Leitung inne. Seit der Gründung vor<br />
40 Jahren hat KKG 22 verschiedene<br />
Produktionen in über 3500 Vorstellungen<br />
vor über drei Millionen Zuschauenden<br />
gezeigt – eine stolze Bilanz.<br />
Was gab es für das neueste KKG-Spektakel<br />
«Reception» speziell zu planen,<br />
und wann haben Sie damit begonnen?<br />
Tatsächlich begann die Planung für<br />
«Reception» schon vor sieben Jahren.<br />
Wegen Corona mussten wir die Vorbereitungsarbeiten<br />
stoppen. Wir wussten<br />
damals nicht, wie die Welt danach aussehen<br />
würde. Darum lösten wir alle Verträge<br />
auf, das Risiko war schlicht zu gross. Üblicherweise<br />
dauern die Vorbereitungsarbeiten<br />
jeweils etwa zwei bis drei Jahre. Aber<br />
je älter wir werden, desto früher beginnen<br />
wir damit. Wir haben schon so viele Ideen<br />
umgesetzt und unter anderem Felsen<br />
erklommen, Autos umgebaut, Seen hergestellt<br />
und rostige Containertürme konstruiert.<br />
Vor allem bei den Bühnenkonstruktionen<br />
wird es nicht einfacher, noch<br />
unbekanntes Terrain zu bearbeiten. Die<br />
Grenzen des Machbaren zu sprengen, reizt<br />
uns aber immer wieder.<br />
Im neuen Stück standen wir vor grossen<br />
Herausforderungen, weil alles auf,<br />
unter und mit dem Wasser spielt. Die<br />
Schauspielerinnen, Showtechniker und<br />
Musikerinnen absolvierten als Vorbereitung<br />
einen Tauchkurs. Die Sicherheit für<br />
<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 3/24 43
Fokus: Plan<br />
Ideenskizze des schwimmenden Hotels für das neue Stück «Reception» von KKG.<br />
«Reception»:<br />
ein Wasserspektakel<br />
von Karl’s kühner<br />
Gassenschau<br />
Wasser überall – mittendrin ein<br />
Grandhotel und ein launischer Rezeptionist.<br />
Hier strandet eine Hochzeitsgesellschaft<br />
und will den schönsten<br />
Tag des Lebens feiern. Doch plötzlich<br />
ist nichts mehr, wie es scheint,<br />
die Grenze zwischen Traum und<br />
Wirklichkeit verwischt – und der<br />
Rezeptionist bittet zum Tanz.<br />
Magische Bilder, poetische Musik,<br />
furchtlose Stunts und Feuerspiele:<br />
Dies alles bietet das Open-Air-Spektakel<br />
«Reception», das die Theatertruppe<br />
Karl’s kühne Gassenschau ab <strong>Juni</strong> <strong>2024</strong><br />
in Dietikon (ZH) spielt.<br />
Weitere Informationen und Tickets:<br />
www.reception.ch<br />
www.karlskuehnegassenschau.ch<br />
Bis zu 1400 Zuschauende pro Abend besuchen die spektakulären Shows.<br />
Für «Akua» wurde ein künstlicher See<br />
voller Unterwassertechnik gebaut.<br />
das Team ist uns extrem wichtig. Es braucht<br />
Trocknungsräume für Kostüme und Requisiten.<br />
Das Tauchequipment wird professionell<br />
gewartet und die Wasserqualität regelmässig<br />
überprüft.<br />
Auch bauliche Projekte forderten unser<br />
technisches Team aufs Äusserste. Wie<br />
kann ein ganzes Hotel im Wasser versinken<br />
und am nächsten Tag wieder bereit<br />
sein für die nächste Vorstellung? Für all<br />
das gibt es keine Standardlösungen. Sie<br />
müssen erfunden und mit den beschränkten<br />
Mitteln gebaut werden.<br />
44<br />
3/24 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>
Fokus: Plan<br />
Im Stück «Sektor 1» fiel die riesige,<br />
im Universum entsorgte Abfallmenge<br />
wieder zurück auf die Erde.<br />
Ihre Bauarbeiten sind gewaltig und<br />
kosten teilweise siebenstellige Beträge.<br />
Dafür braucht es doch Profis, die<br />
extrem viel planen müssen – auch<br />
finanziell?<br />
Ja, wir sind stolz darauf, dass wir das meiste<br />
mit eigenen, sehr engagierten Leuten<br />
umsetzen können. Bei uns landen gut ausgebildete<br />
Handwerkerinnen und Techniker,<br />
die es lieben, in unkonventionellem<br />
Rahmen zu arbeiten. Sie sind bereit, sich<br />
auf das Abenteuer Gassenschau einzulassen,<br />
obwohl sie in Zeiten von Fachkräftemangel<br />
finanziell weit bessere Angebote<br />
annehmen könnten. Wir können die Kosten<br />
auch tief halten, weil wir alte Bühnenelemente<br />
recyceln. Und pyrotechnische<br />
Effekte sowie pneumatische und hydraulische<br />
Apparaturen kommen in mehreren<br />
Produktionen zum Einsatz.<br />
Kommen wir nochmals zum kreativen<br />
Teil: Wie definieren Sie das Thema<br />
eines neuen Stücks? Wie planen Sie es<br />
dann? Wie gehen Sie da genau vor?<br />
Vieles kommt erst durch Improvisation<br />
zustande. Wir wählen die Schauspielerinnen<br />
und Schauspieler schon aus, wenn<br />
wir noch gar nicht genau wissen, wie das<br />
Stück ablaufen wird. Da ist längst nicht<br />
alles planbar. Das macht einerseits auch<br />
den Reiz aus, weil auf diese Weise sehr<br />
authentische und unkonventionelle Momente<br />
geschaffen werden können. An dererseits<br />
steckt ein nicht geringes Risiko<br />
darin, weil immer Absturzgefahr mitschwingt.<br />
Wir sind aber überzeugt, dass<br />
sich Wagnisse auszahlen.<br />
Planung hat fast immer etwas Genaues,<br />
manchmal sogar etwas Akribisches an<br />
sich. Kann Planung auch kreativ sein?<br />
Bei uns geht Planung nur mit Kreativität.<br />
Planung ist ja an sich ein rationaler Prozess<br />
mit zielgerichtetem Denken und methodischem<br />
Vorgehen. Wir gehen aber bei<br />
vielem mit einer grossen Portion Inspiration<br />
und Intuition vor.<br />
Irgendwo habe ich mal gelesen, dass<br />
Pläne zwar wichtig sind, aber nie zum<br />
Selbstzweck werden dürfen, sodass immer<br />
die Umsetzung entscheidend bleibt. Genau<br />
so arbeiten wir: Geplant wird nur die<br />
Umsetzung. Überraschende Szenen, unkonventionelle<br />
Bilder oder witzige Dialoge<br />
kommen nicht durch Planung und<br />
rationale Prozesse zustande; dafür braucht<br />
es im Gegenteil viel unplanbare, ungefilterte<br />
Kreativität.<br />
<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 3/24 45
Fokus: Plan<br />
Wie wir den<br />
Zufall auf unsere<br />
Seite bringen<br />
Zufall und Planung scheinen Gegensätze zu sein –<br />
aber ist das wirklich so? Neueste Forschung zeigt, dass wir den Zufall<br />
in unsere Planung mit aufnehmen können.<br />
Christian Busch, Autor von «Erfolgsfaktor Zufall» und Professor an der University of Southern California<br />
Neue Ideen entstehen oft durch Zufälle. Deshalb lohnt es sich, offen zu sein für Unerwartetes.<br />
Wir streben oftmals nach<br />
Präzision, Genauigkeit<br />
und Kontrolle. Planung<br />
ist essenziell. Doch wie<br />
viel Kontrolle haben wir wirklich über unser<br />
Leben, unseren Alltag – und unseren<br />
beruflichen Erfolg? Um zu vermeiden,<br />
uns einer Kontrollillusion hinzugeben –<br />
nämlich dass immer alles nach Plan laufen<br />
wird –, müssen wir den Zufall in unsere<br />
Planung mit aufnehmen.<br />
Eine zufällige Entdeckung?<br />
Als Forschende eines führenden Pharmaunternehmens<br />
klinische Studien zu einem<br />
neuen Medikament zur Behandlung<br />
von Angina Pectoris ausführten, entdeckten<br />
sie bei männlichen Testpersonen eine<br />
überraschende Nebenwirkung: Erektionen.<br />
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler<br />
erkannten das enorme Potenzial<br />
dieser Entdeckung für die Behandlung<br />
von erektiler Dysfunktion (ED). Sie änderten<br />
ihren Fokus und begannen, das Medikament<br />
gezielt für die Behandlung von ED<br />
zu entwickeln. Das Medikament – Viagra –<br />
wurde nach seiner Zulassung schnell zu<br />
einem der bekanntesten und am häufigsten<br />
verschriebenen Medikamente weltweit.<br />
War all das reiner Zufall? Keineswegs.<br />
Zufall als Erfolgsfaktor<br />
Unsere Forschung an der University of<br />
Southern California und der New York Uni-<br />
Bild: Adobe Stock<br />
46<br />
3/24 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>
Fokus: Plan<br />
versity (NYU) zeigt, dass Serendipität («aktives<br />
Glück»), die aus dem Zusammenspiel<br />
von Zufall und menschlichem Handeln<br />
resultiert, oft entscheidend für den Erfolg<br />
ist. Sei es in der Forschung, in der Karriere<br />
oder generell im Leben: Viele der erfolgreichsten<br />
Menschen verstehen es, den<br />
Zufall aktiv für ihre Ziele zu nutzen, ob<br />
bewusst oder unbewusst. Was unterscheidet<br />
diese Menschen von anderen? Und wie<br />
können wir selbst Serendipität in unserer<br />
Karriere nutzen?<br />
Einen Teil der Antwort auf diese<br />
Fragen lieferte bereits der französische<br />
Wissenschaftler Louis Pasteur im 19. Jahrhundert:<br />
«Der Zufall begünstigt nur den<br />
vorbereiteten Geist.» Aber wie können wir<br />
uns auf den Zufall vorbereiten – und ihn<br />
für uns gewinnen?<br />
Balance zwischen Planung und<br />
Unerwartetem<br />
Wer hat nicht schon seinen Lebenslauf so<br />
dargestellt, als wäre das Leben ein durchgeplanter,<br />
rational organisierter Weg? Unsere<br />
Umgebung vermittelt uns oft das Gefühl,<br />
dass wir stets alles unter Kontrolle<br />
haben müssen, obwohl das in der Realität<br />
kaum möglich ist. Erst wenn wir diese Illusion<br />
loslassen, wird Serendipität möglich.<br />
Inspirierende Führungskräfte finden oft<br />
ein Gleichgewicht zwischen Orientierungssinn<br />
und der Fähigkeit, das Unerwartete zu<br />
schätzen.<br />
Überschneidungen finden<br />
Eine Methode, um den glücklichen Zufall<br />
zu fördern, ist es, «Serendipitätshaken» zu<br />
setzen. Diese Haken helfen dabei, zufällige<br />
Begegnungen und Überschneidungen mit<br />
anderen Menschen und Themen zu ermöglichen.<br />
Wenn beispielsweise Oli Barrett, ein<br />
Bildungsunternehmer in London, gefragt<br />
wird, was er beruflich macht, antwortet er<br />
etwas wie: «Ich liebe es, Menschen zu vernetzen,<br />
arbeite im Bildungssektor und beschäftige<br />
mich neuerdings intensiv mit<br />
Philosophie. Aber mein grösstes Hobby ist<br />
das Klavierspielen.» Diese Antwort bietet<br />
vier potenzielle Anknüpfungspunkte: eine<br />
Leidenschaft (Menschen vernetzen), eine<br />
Tätigkeit (Arbeit im Bildungswesen), ein<br />
Interesse (Philosophie) und ein Hobby<br />
(Klavierspielen). Durch das Angebot mehrerer<br />
Gesprächsthemen erhöht sich die<br />
Wahrscheinlichkeit für zufällige Überschneidungen.<br />
Würde er nur sagen: «Ich<br />
arbeite im Bildungswesen», wäre die Chance<br />
für solche Begegnungen geringer. Indem<br />
er mehrere potenzielle Haken nennt, steigert<br />
er die Wahrscheinlichkeit für Reaktionen<br />
wie: «Was für ein Zufall! Ich habe gerade<br />
überlegt, eine Plattform für den Austausch<br />
von Bildungsideen zu organisieren.<br />
Lass uns darüber sprechen!» Diese Methode<br />
funktioniert fast überall – bei Meetings,<br />
Veranstaltungen, Konferenzen und im persönlichen<br />
Umfeld.<br />
Anderen Menschen die Möglichkeit<br />
zu geben, solche Haken zu setzen, ist eine<br />
wei tere Strategie, die es wahrscheinlicher<br />
macht, (zufällige) Überschneidungen zu<br />
finden. Offene Fragen wie «Wofür interessierst<br />
du dich im Moment?» oder «Was<br />
hast du an der Präsentation gerade am<br />
interessantesten gefunden?» machen es<br />
wahrscheinlicher, dass wir «zufällige»<br />
spannende Überschneidungen finden.<br />
Verknüpfungen erkennen<br />
Wir können unser Gehirn trainieren, Verknüpfungen<br />
wahrzunehmen – beispielsweise,<br />
indem wir in Gesprächen zeitgleich<br />
reflektieren, an welcher Stelle wir eine<br />
Assoziation herstellen oder eine Idee beitragen<br />
können. Ganz im Sinne der Neuroplastizität<br />
sehen wir dann nach und nach<br />
automatisch mehr Verknüpfungen – wir<br />
können diesen «mentalen Muskel» trainieren.<br />
Bei der Serendipitätsmentalität geht<br />
es darum, offen für neue Erfahrungen und<br />
Möglichkeiten zu sein und das Potenzial in<br />
unerwarteten Ereignissen zu erkennen.<br />
«Projektbeerdigungen» sind dafür ein effektives<br />
Mittel: Projekte oder Ideen, die<br />
nicht funktioniert haben, werden zu Grabe<br />
getragen, und es wird reflektiert, was man<br />
aus dem Scheitern lernen kann. Oft öffnet<br />
das den Raum für unerwartete Verknüpfungen.<br />
Zum Beispiel, als ein Projektmanager<br />
eine Glasscheibentechnologie zu Grabe<br />
trug, aber jemand im Publikum realisierte,<br />
dass die gleiche Technologie Energie absorbieren<br />
könnte – und «zufälligerweise»<br />
ein Teil der Solarsparte des Unternehmens<br />
daraus entstand.<br />
Reframing kann Blockaden lösen<br />
Möglichkeiten für Serendipität gibt es<br />
viele – wir ergreifen oft aber nur einen<br />
Bruchteil davon. Gründe dafür sind unter<br />
anderem Angst vor Zurückweisung oder<br />
das sogenannte Imposter-(Hochstapler-)<br />
Syndrom. Die gute Nachricht: Sobald wir<br />
uns selbst besser verstehen, können wir<br />
erkennen, wann und wo wir uns selbst<br />
blockieren: Wenn man beispielsweise eine<br />
zündende Idee hat, sie aber im Meeting<br />
nicht äussert, weil man Angst hat, dass sie<br />
noch nicht «ausgereift» ist; oder wenn<br />
man auf einer Konferenz auf einen inspirierenden<br />
möglichen Kontakt stosst, ihn<br />
aber dann doch nicht anspricht – «Warum<br />
sollte diese spannende Person mich interessant<br />
finden?». Ein effektiver Weg,<br />
diese Hürde zu nehmen, ist einfaches<br />
Re framing. Anstatt sich zu fragen: «Was<br />
ist das Schlimmste, was passieren kann,<br />
wenn ich es mache?» (z. B. die Zurückweisung),<br />
fragt man sich dann: «Was ist das<br />
Schlimmste, was passieren kann, wenn<br />
ich es nicht mache?» (z. B. tagelang zu<br />
bereuen, die Situation nicht genutzt zu<br />
haben). Solch ein Reframing macht es<br />
wahrscheinlicher, dass wir Serendipität<br />
materialisieren.<br />
Überall warten Chancen<br />
Es geht also nicht um «blindes Glück» (wie<br />
beispielsweise in eine gute Familie hineingeboren<br />
zu werden – darauf basiert sehr<br />
viel soziale Ungerechtigkeit). Es geht um<br />
das «aktive Glück», den Erfolgsfaktor Zufall,<br />
der das Leben sinnstiftend machen<br />
und das Unerwartete von einer potenziellen<br />
Bedrohung in eine Quelle von Möglichkeiten<br />
verwandeln kann. Jeder verpasste<br />
Flug oder Spaziergang im Park wird zu<br />
einer Chance – für eine Freundschaft, ein<br />
neues Interesse oder sogar einen neuen<br />
Job. Sobald wir das realisieren, könnte die<br />
Antwort auf die Frage «Was mache ich<br />
mit meinem Leben und meiner Karriere?»<br />
in etwa lauten: «Ich richte mich auf den<br />
Zufall ein!»<br />
Literatur<br />
Busch, C. 2023. Erfolgsfaktor Zufall:<br />
Wie wir Unsicherheit und unerwartete<br />
Ereignisse für uns nutzen können.<br />
Hamburg: Murmann Verlag.<br />
Busch, C. 2022. Towards a theory<br />
of serendipity. <strong>Journal</strong> of Management<br />
Studies, in press.<br />
Busch, C. 2020. How to create your<br />
own career luck. Harvard Business Review.<br />
<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 3/24 47
Fokus: Plan<br />
Können<br />
Tiere<br />
planen?<br />
Die Bischof-Köhler-Hypothese besagt,<br />
dass nur Menschen aus der Perspektive der Gegenwart<br />
mit Absicht für zukünftige Bedürfnisse vorsorgen<br />
können. Eine Reihe von Versuchen legt jedoch nahe,<br />
dass auch einige Tiere dazu in der Lage sind.<br />
Markus Wild, Professor für Theoretische Philosophie, Universität Basel<br />
Stellen Sie sich vor, Sie beobachten<br />
ein Rudel Wölfe, das mit Stöckchen<br />
eine Skizze in die harte<br />
Schneedecke zeichnet, um zu veranschaulichen,<br />
wie es ein Hirschrudel zu<br />
überfallen gedenkt. So etwas können wir<br />
uns ausserhalb von Fabeln oder Fantasyromanen<br />
kaum vorstellen. Aber vielleicht<br />
können wir von Tieren prospek tives, d. h.<br />
vorausschauendes Verhalten erwarten, ein<br />
Verhalten in der Gegenwart, das auf die<br />
Zukunft ausgerichtet ist. Präziser gesagt:<br />
ein Verhalten in der Gegenwart, das durch<br />
Gedanken an die Zukunft gelenkt wird.<br />
Warum vergraben Eichhörnchen<br />
Vorräte?<br />
Wie das folgende Beispiel zeigt, ist die Präzisierung<br />
der Formulierung wichtig. Eurasische<br />
Eichhörnchen vergraben Samen<br />
und Nüsse, um in der kalten Jahreszeit<br />
etwas zu essen zu haben. Dies ist Verhalten,<br />
das auf die Zukunft ausgerichtet ist.<br />
Aber wird es durch Gedanken an die Zukunft<br />
gelenkt? Viele Menschen – oft auch<br />
Studierende in meinen Vorlesungen – antworten<br />
spontan mit «Ja» und begründen<br />
dies so: Das Eichhörnchen vergräbt einen<br />
Teil des sommerlichen Futters, um den eigenen<br />
Hunger stillen zu können, wenn<br />
keine Samen und Nüsse zur Verfügung<br />
stehen, was im Winter der Fall sein wird.<br />
Allerdings gibt es eine einfachere Erklärung:<br />
Eichhörnchen haben eine angeborene<br />
Disposition, in der warmen Jahreszeit<br />
Futter zu vergraben. Wenn alle dies<br />
tun, wird im Winter ausreichend Futter<br />
vorhanden sein, sodass die Tiere an irgendwelchen<br />
Orten graben können, um<br />
auf Nüsse zu stossen. Eichhörnchen müssen<br />
gar nicht vorausplanen, das hat die<br />
Evolution für sie übernommen. Meine<br />
Studierenden sind in der Regel enttäuscht<br />
über diese Antwort. Ich bezeichne solche<br />
Antworten deshalb als «Spielverderber-<br />
Hypothesen».<br />
Die Bischof-Köhler-Hypothese<br />
Die spontane Antwort mutet den Eichhörnchen<br />
viel zu: Sie merken sich die Verstecke,<br />
wissen über Nahrungsmangel im<br />
Winter Bescheid und planen für zukünftige<br />
Bedürfnisse. Dieser letzte Punkt ist<br />
wichtig. Zu einem Verhalten in der Gegenwart,<br />
das durch den Gedanken an die<br />
Zukunft gelenkt wird, gehört, dass ein<br />
gegenwärtiges Bedürfnis (mein aktueller<br />
Hunger) zugunsten eines zukünftigen<br />
Bedürfnisses (mein zukünftiger Hunger)<br />
ignoriert wird. Gemäss der Bischof-Köhler-<br />
Hypothese können Tiere das nicht. In der<br />
Forschung wird diese These etwa durch<br />
den Psychologen Thomas Suddendorf vertreten<br />
[1]. Gemäss dieser These ist der<br />
Mensch das einzige Lebewesen, das seine<br />
zukünftigen Bedürfnisse antizipieren<br />
kann und deshalb in der Gegenwart so<br />
handelt, dass er ihre Befriedigung zu sichern<br />
versucht.<br />
Durstige Totenkopfäffchen<br />
Ist diese Hypothese richtig? Ich glaube<br />
nicht. In den letzten 20 Jahren sind eine<br />
Reihe von Versuchen gemacht worden, die<br />
in eine andere Richtung zeigen. Ein früher<br />
Versuch wurde mit Totenkopfäffchen<br />
durchgeführt [2]. Der Versuch überliess<br />
den Affen die Entscheidung, entweder<br />
eine Dattel oder vier Datteln zu essen.<br />
Dazu muss man wissen, dass Datteln diese<br />
Tiere enorm durstig machen. Wenn die<br />
Affen nur eine Dattel nahmen, erhielten<br />
sie kurz danach Wasser. Nahmen sie aber<br />
vier, so gab es erst nach längerer Zeit etwas<br />
zu trinken. Die Tiere lernten schnell, nur<br />
eine Dattel zu nehmen. Allerdings wirft<br />
diese Versuchsanordnung ein Problem<br />
auf, denn die Tiere haben vielleicht nur<br />
gelernt, dass auf eine Dattel rasch Wasser<br />
folgt, auf vier Datteln jedoch nicht. Das<br />
bedeutet aber nicht, dass sie eine Dattel<br />
gegenüber den vieren bevorzugten, weil<br />
sie antizipierten, dass sie bald grossen<br />
Durst haben würden. Die Spielverderber-Hypothese<br />
weckt Zweifel. Wir brauchen<br />
bessere Versuche.<br />
48<br />
3/24 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>
Fokus: Plan<br />
Literatur<br />
[1] Suddendorf, Th (2014).<br />
Der Unterschied. Was den Menschen<br />
zum Menschen macht. Berlin.<br />
Bild: Adobe Stock<br />
Frei lebende männliche Orang-Utans signalisieren durch laute abendliche Rufe, in welche Richtung sie<br />
am nächsten Tag gehen wollen. So können Artgenossen ihre eigenen Reisepläne entsprechend anpassen.<br />
Rabenvögel planen für die Zukunft<br />
Häher mögen bestimmtes Futter lieber als<br />
anderes. Gibt man ihnen von beiden Sorten,<br />
fressen sie zuerst vom Futter, das sie<br />
bevorzugen, und verstecken davon, um es<br />
später auszugraben. Nun leiden Häher<br />
ebenso wie wir unter dem Effekt der relativen<br />
Sättigung. Haben sie sich am Lieblingsfutter<br />
überfressen, wollen sie lieber<br />
etwas anderes. Und ist ihnen das klar geworden,<br />
nehmen sie zuerst vom Futter,<br />
das sie lieber mögen, und verstecken das<br />
weniger beliebte Futter. Vermutlich wollen<br />
sie später nicht dem Effekt der relativen<br />
Sättigung zum Opfer fallen. Das sieht<br />
ganz so aus, als würden diese Tiere für ihre<br />
zukünftigen Bedürfnisse planen [3].<br />
Häher verstecken ihr Frühstück<br />
In einem anderen Versuch übernachten die<br />
Häher drei Tage in einem «Frühstücksraum»,<br />
in dem sie ein Frühstück erhalten,<br />
und dann weitere drei Tage in einem «Hungerraum»,<br />
in dem sie morgens nichts bekommen.<br />
An allen sechs Tagen haben sie ab<br />
elf Uhr Zugang zu Futter in einem dritten<br />
Raum, während die anderen beiden Räume<br />
geöffnet bleiben. Nun bringen die Vögel am<br />
sechsten oder siebten Tag Futter in den<br />
Hungerraum und verstecken es dort. So<br />
stellen sie sicher, dass sie in Zukunft ein<br />
Frühstück vorfinden werden. Diese Versuchsanordnung<br />
erfüllt zwei Bedingungen<br />
für echtes Planen in die Zukunft. Erstens ist<br />
das Verhalten neu oder zumindest eine<br />
neue Kombination aus alten Verhaltensweisen;<br />
damit kann assoziatives Lernen,<br />
also eine Erklärung wie bei den Totenkopfäffchen,<br />
ausgeschlossen werden. Und zweitens<br />
dient das Verhalten einem zukünftigen<br />
Bedürfnis, das sich vom aktuellen Bedürfnis<br />
unterscheidet [4].<br />
Orang-Utans planen Reiserouten<br />
Um nicht den Eindruck zu erwecken, dass es<br />
Tieren nur ums Fressen geht, will ich abschliessend<br />
auf Daten über frei lebende<br />
Orang-Utans verweisen. Die lauten abendlichen<br />
Rufe der Männchen signalisieren anderen<br />
Orang-Utans, in welche Richtung sie<br />
am kommenden Tag gehen werden. Rufe<br />
während des Tages zeigen hingegen Richtungsänderungen<br />
an. Die Artgenossen passen<br />
sich an diese Informationen an. Da diese<br />
Menschenaffen Einzelgänger sind, heisst<br />
das: Sie bleiben entweder in sicherer Nähe<br />
des Männchens oder weichen ihm aus. Sowohl<br />
die rufenden Männchen als auch ihre<br />
Artgenossen können so ihre Reiserouten für<br />
den kommenden Tag vorausplanen [5].<br />
[2] Naqshbandi, M., & Roberts,<br />
WA (2006). Anticipation of future events<br />
in squirrel monkeys (Saimiri sciureus)<br />
and rats (Rattus norvegicus): Tests of the<br />
Bischof-Kohler hypothesis. <strong>Journal</strong> of<br />
Comparative Psychology, 120(4), 345–357.<br />
[3] Correia SP, Dickinson A, Clayton<br />
NS (2007). Western scrub-jays anticipate<br />
future needs independently of their current<br />
motivational state. Curr Biol. 15;17(10),<br />
856–861. doi: 10.1016/j.cub.2007.03.063.<br />
[4] Raby CR, Clayton NS (2009).<br />
Prospective cognition in animals.<br />
Behav Processes 80(3):314-24.<br />
doi: 10.1016/j.beproc.2008.12.005.<br />
[5] van Schaik CP, Damerius L, Isler<br />
K (2013). Wild orangutan males plan and<br />
communicate their travel direction one day<br />
in advance. PLoS ONE 8(9), e74896.<br />
Eine Grundlage für neue Gesetze?<br />
Manche Tiere können also durchaus planen.<br />
Zu unseren menschlichen Plänen hingegen<br />
sollte es meines Erachtens gehören,<br />
dass die Orang-Utans weiterhin ihre Waldreisepläne<br />
schmieden können. Vielleicht<br />
sollten wir sogar überlegen, ob diese Fähigkeit,<br />
in die Zukunft zu planen, nicht eine<br />
gute Grundlage darstellt, um Menschenaffen<br />
und Rabenvögeln ein Recht auf Leben<br />
zu geben. Juristisch ist das möglich und<br />
ethisch ist es plausibel, wir müssen es politisch<br />
nur noch wollen.<br />
<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 3/24 49
Perspektiven<br />
Transmenschen haben<br />
heute einen einfacheren<br />
Zugang zu geschlechtsangleichenden<br />
medizinischen<br />
Massnahmen als<br />
noch vor zehn Jahren.<br />
Aktuelles zur Geschlechtsdysphorie: chirurgische Behandlungsoptionen<br />
Geschlechtsangleichende<br />
Operationen – was<br />
ist möglich?<br />
Chirurgische Eingriffe bei Transmenschen haben in den letzten Jahren<br />
zugenommen. Sie können die Lebensqualität der Betroffenen verbessern, sind<br />
jedoch aufgrund möglicher Komplikationen nicht zu unterschätzen.<br />
Barbara Mijuskovic, Innovationsfokus Geschlechtervarianz Universitätsspital Basel und Klinik für<br />
Plastische, Rekonstruktive, Ästhetische und Handchirurgie Universitätsspital Basel<br />
Antje Feicke, Innovationsfokus Geschlechtervarianz Universitätsspital Basel und Klinik für Urologie,<br />
Universitätsspital Basel<br />
Bild: Adobe Stock<br />
50<br />
3/24 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>
Perspektiven<br />
Grafiken: Bundesamt für Statistik<br />
Die gesellschaftliche Akzeptanz<br />
der Geschlechtsdysphorie<br />
(GD) bzw. der Geschlechtsinkongruenz<br />
(GI) ist in den<br />
letzten Jahren stark gestiegen. Obwohl<br />
Transmenschen noch immer diskriminierenden<br />
Erlebnissen ausgesetzt sind,<br />
verlaufen die Transitionen heutzutage<br />
einfacher als noch vor zehn Jahren. Der<br />
Zugang zu medizinischen Massnahmen<br />
hat sich in den letzten Jahren in der<br />
Schweiz massiv verbessert. Dies bedeutet<br />
allerdings nicht, dass Behandlungen<br />
leichtsinnig indiziert werden. Eine sorgfältige<br />
Abklärung und Begleitung durch<br />
Fachpersonen aus Psychologie und Psychiatrie<br />
sind weiterhin nötig, bevor insbesondere<br />
irreversible Behandlungen möglich<br />
sind. In der Schweiz gibt es professionelle<br />
Fachgruppen aus verschiedenen<br />
Disziplinen wie Psychiatrie, Psychologie,<br />
Endokrinologie, Chirurgie, Dermatologie,<br />
Pflege, Physiotherapie und Logopädie,<br />
die in engem Austausch stehen, um die<br />
Behandlung der Betroffenen stetig zu verbessern<br />
(www.fachgruppetrans.ch). Zudem<br />
gibt es professionelle internationale Vereinigungen<br />
wie die World Professional Association<br />
of Transgender Health (WPATH),<br />
die Guidelines zur Behandlung von Transmenschen<br />
herausgibt und regelmässig<br />
Weiterbildungen und Kongresse organisiert<br />
[1].<br />
Aufwärtstrend bei Operationen<br />
Geschlechtsangleichende chirurgische<br />
Interventionen haben in den letzten Jahren<br />
in der Schweiz deutlich zugenommen.<br />
Im September 2023 veröffentlichte das<br />
Bundesamt für Statistik (BFS) Zahlen über<br />
solche Eingriffe in der Schweiz. Gemäss<br />
Grafik 1 haben sich die Hospitalisierungen<br />
aufgrund von geschlechtsangleichenden<br />
Operationen zwischen 2019 und 2022 auf<br />
rund 500 Fälle verdoppelt.<br />
Tabelle 1 zeigt einen Überblick über<br />
mögliche chirurgische Interventionen, die<br />
zu einer Feminisierung bzw. einer Maskulinisierung<br />
beitragen. Bevor solche Interventionen<br />
indiziert werden, müssen die<br />
Betroffenen eine psychologische und/oder<br />
psychiatrische Beurteilung über ihre GD/<br />
GI vorweisen. Zudem sollte eine gegengeschlechtliche<br />
Hormontherapie bereits eingeleitet<br />
sein. Die Art und die Reihenfolge<br />
der Eingriffe werden individuell nach Bedürfnissen<br />
bzw. Ausprägung der GD durchgeführt.<br />
Chirurgische Behandlungen werden<br />
frühestens ab Volljährigkeit indiziert.<br />
Als einzige Ausnahme kann eine Mastektomie<br />
vor Erreichen der Volljährigkeit<br />
Tabelle 1. Überblick über mögliche chirurgische Interventionen, die zu einer Feminisierung<br />
bzw. Maskulinisierung beitragen.<br />
Maskulinisierend<br />
durchgeführt werden. Die meisten angleichenden<br />
Massnahmen werden durch die<br />
Grundversicherungen übernommen.<br />
Feminisierende chirurgische<br />
Interventionen<br />
Feminisierend<br />
Brust Mastektomie Brustaufbau<br />
Genital<br />
Gesicht<br />
Hysterektomie, Adnexektomie,<br />
Kolpektomie<br />
Phalloplastik<br />
Orchiektomie<br />
Vulvovaginoplastik<br />
Vulvaplastik<br />
Gesichtsfeminisierung<br />
Reduktion Adamsapfel<br />
Operation Stimmanband<br />
Hospitalisierungen aufgrund geschlechtsangleichender Operation<br />
Anzahl Fälle und hospitalisierte Personen<br />
600<br />
500<br />
400<br />
300<br />
200<br />
100<br />
0<br />
2019 2020 2021 2022<br />
Fälle<br />
hospitalisierte Personen<br />
Quelle: BFS – Medizinische Statistik der Krankenhäuser © BFS 2023<br />
Grafik 1. Hospitalisierungen aufgrund geschlechtsangleichender Operationen sind seit 2019<br />
stark angestiegen.<br />
Vulvovaginoplastik<br />
Gemäss BFS zeigen sich beim Brustaufbau<br />
relativ konstante Zahlen, während die<br />
pro Jahr durchgeführten Vulvovaginoplastiken<br />
(VVP) deutlich zugenommen<br />
haben (Grafik 2). Bei der VVP wird eine<br />
beid seitige Orchiektomie mit vollständiger<br />
Entfernung der Corpora cavernosa<br />
durch geführt. Es erfolgt die Bildung einer<br />
sensiblen Klitoris aus dem neurovaskulären<br />
Bündel und Anteilen der Glans, die<br />
Bildung eines Neomeatus urethrae externus<br />
sowie der Labia minora et majora und<br />
einer Neovagina. Es gibt verschiedene<br />
Techniken mit Verwendung von ausschliesslich<br />
lokalem Gewebe, Urethralschleimhaut,<br />
Darmanteilen oder Peritoneum<br />
[2, 3, 4]. Nach einer VVP ist eine Vaginaldilatation<br />
nötig, bis sich die Dimensionen<br />
der Neovagina stabilisiert haben.<br />
Vaginalverengungen, Neourethra-Stenosen<br />
oder schmerzhafte Narben können Revisionseingriffe<br />
nötig machen. Die Komplikationsrate<br />
und damit verbundene Revisionseingriffe<br />
liegt bei unter 10 Prozent.<br />
Seit Jahrzehnten zeigen Studien, dass diese<br />
Eingriffe die Lebensqualität der betroffenen<br />
Frauen verbessern [5], was wir auch<br />
in einer neuen Publikation über Patientenzufriedenheit<br />
bestätigen können [6].<br />
Operationen für weibliche<br />
Gesichtszüge<br />
Ein zunehmendes Feld in der Behandlung<br />
der GI/GD ist die Gesichtsfeminisierung,<br />
facial feminization surgery (FFS). Maskulin<br />
gelesene Gesichtszüge oder -merkmale<br />
<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 3/24 51
Perspektiven<br />
führen bei transfemininen Personen häufig<br />
zu GD-Symptomen und zu einem Misgendering.<br />
Chirurgisch werden durch<br />
Veränderungen der ossären Strukturen,<br />
ins besondere des Brauenwulstes, Kinns<br />
und Kieferwinkels, die Gesichtszüge an<br />
das feminine Geschlecht angepasst. Zusätzlich<br />
können Anpassungen der Weichteile<br />
wie ein Brauenlift, Heruntersetzen<br />
der Haar linie, Wangenaugmentation mit<br />
Eigenfett oder Implantaten und Philtrumverkürzungen<br />
erfolgen. Die Wirksamkeit<br />
dieser Operationen kann durch erste Studien<br />
belegt werden [7]. Die Kostenübernahme<br />
der FFS wird individuell durch<br />
Krankenkassen-Vertrauensärztinnen und<br />
-ärzte überprüft.<br />
Hospitalisierungen aufgrund geschlechtsangleichender Operation von<br />
männlich zu weiblich<br />
Anzahl Fälle nach Art der Operation<br />
Vaginoplastik<br />
(Konstruktion einer Vagina)<br />
Mammoplastik zur<br />
Brustvergrösserung<br />
Orchidektomie<br />
(Entfernung der Hoden)<br />
Penektomie<br />
(Entfernung des Penis)<br />
Maskulinisierende chirurgische<br />
Interventionen<br />
Rekonstruktion der Klitoris<br />
Mastektomie<br />
Die laut BFS am häufigsten durchgeführte<br />
Operation unter den geschlechtsangleichenden<br />
chirurgischen Interventionen ist<br />
die Mastektomie. Sie zeigte in den Jahren<br />
2019 bis 2022 den stärksten Anstieg (Grafik<br />
3). Zu berücksichtigen ist, dass die Mastektomie<br />
nicht nur für binäre Transmänner,<br />
sondern auch für non-binäre Personen eine<br />
Behandlungsoption darstellt. Wie bereits<br />
erwähnt, ist dieser Eingriff der Einzige, der<br />
vor Erreichen der Volljährigkeit unter bestimmten<br />
Umständen indiziert werden<br />
kann [1]. Der Grund dafür ist eine oft sehr<br />
ausgeprägte Belastung der jungen Transmänner,<br />
wenn das Brustwachstum einsetzt.<br />
In solchen Situationen sind sorgfältige psychologische<br />
bzw. psychiatrische Evaluationen<br />
und der Einbezug der Eltern entscheidender<br />
Bestandteil der Behandlung.<br />
Phalloplastik<br />
Die genitale Angleichung bei Transmännern<br />
stellt den komplexesten Eingriff unter<br />
den geschlechtsangleichenden Operationen<br />
dar. Die Zahlen halten sich gemäss<br />
nationaler Statistik konstant (Grafik 3).<br />
Ziel ist es, einen Phallus zu bilden, der Geschlechtsverkehr<br />
und stehende Miktion<br />
ermöglicht und ästhetisch möglichst ansprechend<br />
ist. Am häufigsten wird die sogenannte<br />
«Tube-in-Tube-Radialis-Phalloplastik»<br />
durchgeführt [8]. Haut- und Subkutangewebe<br />
werden vom Unterarm mit<br />
Nerven und Gefässen entnommen. Für<br />
die Urethra wird ein Teil der Lappenplastik<br />
mit der Haut nach innen tubularisiert,<br />
das restliche Gewebe wird mit der Haut<br />
nach aussen zur Bildung des Peniskörpers<br />
2019 2020 2021 2022<br />
0 10 20 30 40 50 60 70 80<br />
Quelle: BFS – Medizinische Statistik der Krankenhäuser © BFS 2023<br />
Grafik 2. Die pro Jahr durchgeführten Vulvovaginoplastiken haben zwischen 2019 und 2022<br />
deutlich zugenommen, während die Zahlen beim Brustaufbau relativ konstant sind.<br />
Hospitalisierungen aufgrund geschlechtsangleichender Operation von<br />
weiblich zu männlich<br />
Anzahl Fälle nach Art der Operation<br />
Mastektomie<br />
(Entfernung der Brüste)<br />
Hysterektomie<br />
(Entfernung der Gebärmutter)<br />
Salpingoovarektomie<br />
(Entfernung der Eierstöcke und Eileiter)<br />
Phalloplastik<br />
(Konstruktion eines Penis)<br />
2019 2020 2021 2022<br />
0 50 100 150 200 250<br />
Quelle: BFS – Medizinische Statistik der Krankenhäuser © BFS 2023<br />
Grafik 3. Die häufigste maskulinisierende Operation ist die Mastektomie.<br />
Die Zahl der Fälle hat sich zwischen 2019 und 2022 fast verdreifacht.<br />
52<br />
3/24 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>
Perspektiven<br />
gelegt. Der Neophallus wird frei transferiert<br />
und die Gefässe und Nerven in der<br />
Leiste mikrochirurgisch anastomosiert.<br />
Alternativ kann das Gewebe für den Neophallus<br />
vom Oberschenkel (sog. anterolateral<br />
thigh flap, ALT-Phalloplastik) entnommen<br />
werden [9]. Aufgrund der Komplexität<br />
der Operation und möglicher<br />
Komplikationen wie Fisteln und Stenosen<br />
der Harnröhre, die in 20 bis 30 Prozent der<br />
Fälle auftreten [10, 11], ist eine sorgfältige<br />
präoperative Aufklärung sehr wichtig. Die<br />
Metaidoioplastik («Klitpen»/«Minipenis»)<br />
stellt eine Alternative zur Phalloplastik<br />
dar. Durch die Testosterongabe kommt es<br />
zu einer Hypertrophie der Klitoris. Mittels<br />
gestielter Lappenplastiken aus den Labia<br />
minora wird eine Urethra bis in die Klitorisspitze<br />
gebildet. Hierdurch wird den<br />
transmaskulinen Personen eine Miktion<br />
im Stehen ermöglicht. Urethrale Komplikationen<br />
führen auch hier zu Revisionsoperationen<br />
in 20 bis 30 Prozent der Fälle<br />
[10, 12]. Glansplastik und die Implantation<br />
von Hodenprothesen und einer Erektionsprothese<br />
stellen abschliessende Schritte<br />
nach vollständig eingeheiltem Neophallus<br />
und voll funktionstüchtiger Neourethra<br />
dar [12].<br />
Ausblick: weitere Zufriedenheitsanalysen<br />
nötig<br />
Geschlechtsangleichende Operationen<br />
sind im Aufwärtstrend. Weitere patientenbasierte<br />
Zufriedenheitsanalysen werden<br />
zusätzliche Informationen zur Notwendigkeit<br />
und Wirksamkeit dieser Behandlungen<br />
liefern.<br />
Literatur<br />
[1] Coleman E, Bockting W, Botzer M,<br />
Cohen-Kettenis P, DeCuypere G, Feldman J<br />
et al. (2012) Standards of care for the health<br />
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affirmation female to male-metaidoioplasty.<br />
Die Urologie 59(11):1331–1339.<br />
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<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 3/24 53
Perspektiven<br />
Aus der «Therapeutischen Umschau»* – Übersichtsarbeit<br />
Klinik-Update<br />
Achalasie <strong>2024</strong><br />
Ulrich Klaus Fetzner 1, 2, 3 , Ioannis Dimopoulos 1 , Felix Berlth 2, 4 , Peter Grimminger 2 und Berthold Gerdes 1<br />
Definition und Klassifikation<br />
Dysmotilitäten der Speiseröhre können<br />
sowohl den tubulären Ösophagus als auch<br />
den unteren Ösophagussphinkter betreffen,<br />
meist liegt eine Kombination von beidem<br />
vor. Bei der klassischen Achalasie als<br />
häufigste Form dieser Dysmotilitäten<br />
handelt es sich um eine primäre Funktionsstörung<br />
des unteren Ösophagussphinkters<br />
(UÖS) mit sekundärer Störung<br />
des tubulären Ösophagus. Die Relaxa tion<br />
des UÖS ist dabei vermindert oder fehlt<br />
komplett (erhöhter integrierter Relaxationsdruck).<br />
Die Peristaltik des tubulären<br />
Ösophagus ist vermindert oder fehlt ebenso<br />
gänzlich. Drei Subtypen werden unterschieden<br />
(Tabelle 1).<br />
Abzugrenzen von der Achalasie (Chicago-Kategorie<br />
I) sind die weitaus selteneren<br />
Krankheitsbilder diffuser Ösophagospasmus<br />
und Nussknackerösophagus<br />
als primär tubuläre Funktionsstörungen,<br />
der hypertensive untere Ösophagussphinkter<br />
und weitere Ösophagusmotilitätsstörungen<br />
(Chicago Kategorie II bis<br />
IV) [1 – 4].<br />
1 <br />
Klinik für Allgemeinchirurgie, Viszeral-,<br />
Thorax-, Kinder- und Endokrine Chirurgie,<br />
Johannes Wesling Klinikum, Universitätsklinikum<br />
der Ruhr Universität Bochum,<br />
Minden, Deutschland<br />
2 <br />
Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie,<br />
Universitätsmedizin<br />
der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz,<br />
Deutschland<br />
3<br />
EUFH, <br />
Hochschule für Gesundheit, Soziales<br />
und Pädagogik, Köln<br />
4 <br />
Klinik für Allgemeine-, Viszeral- und Transplantationschirurgie<br />
des Universitätsklinikums<br />
Tübingen<br />
* Der Artikel wurde erstmalig in der «Therapeutischen<br />
Umschau» (2022), 79(3), 1–8, publiziert und<br />
erscheint hier in einer aktualisierten Fassung.<br />
54<br />
Tabelle 1. Drei Subkategorien der Achalasie nach Pandolfino. Typ II und III wurden früher<br />
auch als «Vigorous Achalasie» bezeichnet und sind vermutlich Frühstadien der Typ-I-Achalasie<br />
mit noch erhaltenen tubulären Kontraktionen [4]<br />
Einteilung nach Pandolfino<br />
Typ I<br />
klassische Achalasie<br />
Typ II<br />
panösophageale Kompression<br />
Typ III<br />
spastische Form<br />
Kriterien<br />
Wenig / keine Kontraktionen in der tubulären<br />
Speiseröhre<br />
Druckbildung zwischen oberem und unterem<br />
Ösophagussphinkter<br />
Spastische Kontraktionen der tubulären<br />
Speiseröhre<br />
Pathogenese /Ätiologie<br />
Der Ruhetonus des unteren Ösophagussphinkters<br />
wird durch neurale, humorale<br />
und muskuläre Faktoren bestimmt. Bei<br />
der Achalasie ist dieses komplexe Zusammenspiel<br />
multifaktoriell gestört. Auf Boden<br />
einer genetischen Disposition kommt<br />
es vermutlich durch eine autoimmune<br />
Reaktion nach externem – möglicherweise<br />
infektiologischem – Stimulus zu einer<br />
Neurodegeneration des Plexus myentericus<br />
(Auerbach).<br />
Im fortgeschrittenen Stadium zeigt<br />
sich eine Hypertrophie des unteren Ösophagussphinkters,<br />
im Spätstadium kann<br />
er hochgradig bindegewebig durchsetzt<br />
sein. Der tubuläre Ösophagus erweitert<br />
sich zunehmend bis hin zum Megaösophagus.<br />
Die Achalasie geht einher mit einem<br />
deutlich erhöhten Karzinomrisiko sowohl<br />
für das Adenokarzinom (AC) als auch das<br />
Plattenepithelkarzinom (PEC). Dies wird<br />
erklärt durch die «Malclearance» mit prolongiertem<br />
Noxen-Kontakt (PEC) und vermehrten<br />
Reflux und Barrett-Entwicklung<br />
nach Achalasiebehandlung (AC).<br />
Die Physiologie der schluckinduzierten<br />
Relaxation ist teilweise noch unverstanden,<br />
sie scheint jedoch vagusassoziiert<br />
vermittelt mit vasoaktivem Polypeptid<br />
und Stickstoffmonoxid als Transmitter<br />
(VIP / NO). Warum es zu einer Störung an<br />
dieser Schnittstelle kommt, bleibt unklar.<br />
Auch ob der beobachtete Neurotransmittermangel<br />
Ursache oder Folge der Störung<br />
ist. Infektiologische (Trypanosoma cruzi,<br />
Chagas-Krankheit), genetische, autoimmune<br />
und neurodegenerative Aspekte<br />
werden ätiologisch diskutiert. Morphologisch<br />
finden sich mikroskopisch vermehrt<br />
zytotoxische T-Zell-Lymphozyten,<br />
Eosinophile und Mastzellen im Auerbachplexus<br />
dieser Region mit Zeichen des<br />
Ganglienzelluntergangs der hemmenden<br />
Neurone und mit konsekutiven makroskopischen<br />
Zeichen der Fibrose und Muskelhypertrophie.<br />
Die sekundäre tubuläre<br />
Störung scheint vagus-cholinerg assoziiert<br />
durch Verlust der stimulierenden<br />
Neurone [5 – 16].<br />
Epidemiologie<br />
Die Achalasie kann grundsätzlich in jedem<br />
Lebensalter auftreten, bei Kindern<br />
wird sie sehr selten beobachtet. Der Altersgipfel<br />
liegt bei 30 bis 60 Jahren, eine<br />
Geschlechterprä ferenz gibt es nicht. Die<br />
Inzidenz beträgt etwa 0,5 bis 2 / 100 000<br />
Einwohnern pro Jahr. Die Prävalenz liegt<br />
3/24 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>
Patient:<br />
Pollok, Susanne<br />
6269598<br />
Gender: Weiblich Physician: Dr. Berlth<br />
DOB / Age: 17.09.1979 Operator: Allzeit<br />
Height: 157 cm Referring Physician:<br />
Procedure: Esophageal Manometry<br />
with Impedance<br />
Examination Date: 07.06.2021<br />
Perspektiven<br />
Swallow Composite (mean of 10 swallows)<br />
Resting Pressure Profile & Anatomy<br />
Basal Pressures*<br />
LES, respiratory min(mmHg) 25.9 (4.8-32.0)<br />
LES, respiratory mean(mmHg) 37.4 (13-43)<br />
UES mean(mmHg) 42.9 (34-104)<br />
Anatomy*<br />
LES proximal(cm) 40.5<br />
LES intraabdominal(cm) 1.4<br />
PIP(cm) 42.5<br />
Esophageal length(cm) 23.9<br />
Hiatal hernia<br />
No<br />
Motility*<br />
Dist. wave amplitude(mmHg) 145.9 (43-152)<br />
Wave dur. @ LES -3.0 & 7.0(s) 3.9 (2.7-5.4)<br />
Onset vel. (LES -11.0 to -3.0)(cm/s) 4.5 (2.8-6.3)<br />
Percent peristaltic(%) 100<br />
Percent simultaneous(%)<br />
0 (≤10%)<br />
Percent failed(%) 0 (0%)<br />
Distal contr. integral(mmHg-cm-s) 2728.7 (500-5000)<br />
Incomplete bolus clearance(%) 0<br />
Residual Pressures*<br />
LES (mean)(mmHg) 11.8 ( 10 Kilo 5 – 10 Kilo < 5 kg keiner<br />
3 2 1 0<br />
<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 3/24 55
Patient:<br />
Kunz, Hans-Jürgen<br />
6273053<br />
Perspektiven<br />
Gender: Male Physician: Dr. Berlth<br />
DOB / Age: Operator: Sommerfeld<br />
Height: 178 cm Referring Physician:<br />
Procedure: Esophageal Manometry<br />
with Impedance<br />
Examination Date: 28.04.2021<br />
Swallow Composite (mean of 10 swallows)<br />
Resting Pressure Profile & Anatomy<br />
Basal Pressures*<br />
LES, respiratory min(mmHg) 51.9 (4.8-32.0)<br />
LES, respiratory mean(mmHg) 65.0 (13-43)<br />
UES mean(mmHg) 62.5 (34-104)<br />
Anatomy*<br />
LES proximal(cm) 47.0<br />
LES intraabdominal(cm) 1.5<br />
PIP(cm) 48.3<br />
Esophageal length(cm) 28.1<br />
Hiatal hernia<br />
No<br />
Motility*<br />
Dist. wave amplitude(mmHg) N/A (43-152)<br />
Wave dur. @ LES -3.0 & 7.0(s) N/A (2.7-5.4)<br />
Onset vel. (LES -11.0 to -3.0)(cm/s) N/A (2.8-6.3)<br />
Percent peristaltic(%) 0<br />
Percent simultaneous(%)<br />
0 (≤10%)<br />
Percent failed(%) 100 (0%)<br />
Distal contr. integral(mmHg-cm-s) N/A (500-5000)<br />
Incomplete bolus clearance(%) 0<br />
Residual Pressures*<br />
LES (mean)(mmHg) 31.0 (
Perspektiven<br />
Therapie<br />
Zur Behandlung der Achalasie empfiehlt<br />
sich dringend ein auf die Behandlung von<br />
Speiseröhrenerkrankung spezialisiertes<br />
Zentrum, da hier die personellen und apparativen<br />
Voraussetzungen interdisziplinär<br />
sowohl diagnostisch als auch therapeutisch<br />
vorgehalten werden und insbesondere<br />
beim Auftreten von Komplikationen<br />
adäquat reagiert werden kann.<br />
Eine kurative, kausale Therapie der<br />
Achalasie ist nicht möglich, die Behandlung<br />
ist immer rein symptomatisch.<br />
Therapieziel ist die Beseitigung des Passagehindernisses<br />
im unteren Ösophagussphinkter.<br />
Dadurch kann sich die<br />
Speiseröhre entleeren und es werden die<br />
Symptome von Regurgitationen mit allen<br />
Folgen gelindert.<br />
Die Peristaltik der tubulären Speiseröhre<br />
kann therapeutisch nicht «imitiert»<br />
werden, dies ist jedoch auch<br />
bedeutend weniger relevant, da sich die<br />
Speiseröhre mit etwas Latenz auch durch<br />
die Schwerkraft entleert.<br />
Eine deutsche Leitlinie zur Behandlung<br />
der Achalasie liegt bis dato nicht vor.<br />
International legt die Society of American<br />
Gastrointestinal and Endoscopic Surgeons<br />
(SAGES) eine Leitlinie vor, welche jedoch<br />
seit über zehn Jahren nicht überarbeitet<br />
wurde [25].<br />
Medikamentöse Behandlung<br />
Die pharmakologische Behandlung der<br />
Achalasie wird hier eher aus didaktischen<br />
und Gründen der Vollständigkeit aufgeführt.<br />
Bei schlechter Wirksamkeit und hohem<br />
Nebenwirkungsprofil (Kopfschmerz,<br />
Blutdruckabfall) hat sie praktisch keinen<br />
bedeutenden Stellenwert mehr. Medikamentöse<br />
Therapieversuche umfassen<br />
die Gabe von Calciumantagonisten (zum<br />
Beispiel Nifedipin sublingual 30 min vor<br />
dem Essen), Nitraten (NO-Freisetzung),<br />
Phosphodiesterase 5-Inhibitoren, Atropin,<br />
Terbutalin oder Theophyllin.<br />
Die medikamentöse Behandlung bietet<br />
eine Option für sehr alte und komorbide<br />
Patienten, die sich nicht für eine<br />
Operation qualifizieren und von der endoskopischen<br />
Behandlung nicht zufriedenstellend<br />
profitieren.<br />
In anderen Fällen lässt sich gelegentlich<br />
bei akzeptabler Verträglichkeit der<br />
medikamentösen Behandlung die chirurgische<br />
Therapie etwas hinauszögern.<br />
Der Zeitpunkt der Operation sollte jedoch<br />
nicht zu spät gewählt werden, um strukturelle<br />
Veränderungen (zum Beispiel Dilatation)<br />
der Speiseröhre zu begrenzen.<br />
Abbildung 3. Breischluck-Ösophagogramm bei Achalasie. Dilatierter tubulärer Ösophagus<br />
mit insuffizienter Entleerung und filiformem KM-Durchtritt durch den unteren Ösophagusspinkter.<br />
Pneumatische Dilatation<br />
Die endoskopisch pneumatische Ballondilatation<br />
des un teren Sphinkters, zum<br />
Beispiel unter Durchleuchtungs kontrolle<br />
auf 30 mm, hingegen bringt unter Umständen<br />
hervorragende, jedoch meist nur<br />
temporäre Symptom linderung. Sie kann<br />
einmalig durchgeführt werden oder mehrfach<br />
wiederholt werden.<br />
Bei älteren Patienten kann die Dilatation<br />
durchaus längerfristigen Erfolg<br />
zeigen und auch primär die Behandlung<br />
der Wahl darstellen. Insbesondere bei<br />
Vorliegen von operativen Kontraindikationen<br />
ist die pneumatische Di latation eine<br />
gute Behandlungsalternative zur Operation.<br />
Das Risiko einer Perforation liegt bei<br />
2 – 15 % [27].<br />
Botulinumtoxin<br />
Die endoskopische Injektion von Botulinumtoxin<br />
in den unteren Ösophagussphinkter<br />
erbringt eine gute Linderung<br />
der Symptome für ein bis drei Monate. Die<br />
Wirkung ist Acetylcholin-getriggert und<br />
bewirkt eine Reduktion des Ruhetonus<br />
des unteren Ösophagussphinkters um<br />
bis zu 50 %. So wird in Kombination mit<br />
der Schwerkraft die Entleerung des Ösophagus<br />
begünstigt. Für die Botulinumtoxin-Behandlung<br />
sprechen die einfache<br />
Durchführbarkeit und zunächst auch geringe<br />
Komplikationsrate.<br />
Von Nachteil ist die begrenzte Wirkungsdauer,<br />
vor allem aber die in unterschiedlichem<br />
Masse auftretenden Entzündungen,<br />
welche durch resultierende<br />
Vernarbungen von Muskularis und Mukosa<br />
die spätere Standardopera tion (Myotomie,<br />
siehe unten) erschweren, komplikativer<br />
oder gar unmöglich machen können.<br />
In der Literatur wird von um 30 % erhöhten<br />
intraoperativen Perforations raten<br />
unter Heller-Myotomie (siehe unten) nach<br />
voraus gehender Botulinumtoxin-Behandlung<br />
berichtet.<br />
Für ältere Menschen, insbesondere bei<br />
Vorliegen von operativen Kontraindikationen<br />
kann die Botulinumtoxin Injektion<br />
ebenso eine gute Behandlungsalternative<br />
zur Operation darstellen, insbesondere bei<br />
wiederholter Anwendung [28].<br />
Operation<br />
Eine Operation kann bei erfolglosen konservativen<br />
beziehungsweise endoskopisch-interventionellen<br />
Massnahmen in Betracht<br />
gezogen werden. Nach aktueller Studienlage<br />
ist aber auch – bei fehlenden Kontraindikationen<br />
für eine Operation und bei<br />
nur mässig dilatierten tubulären Ösophagi<br />
unter 10 cm – insbesondere bei jungen Patienten<br />
die primäre, transabdominelle laparoskopische<br />
Heller-Myotomie (LHM) das<br />
Verfahren der Wahl in der Behandlung der<br />
Achalasie, insbesondere bei Typ I.<br />
Die Myotomie umfasst dabei eine<br />
Strecke meist über 8 – 10 cm, davon mindestens<br />
6 cm ösophageal und min destens<br />
2 – 3 cm im Bereich unterhalb der Kardia.<br />
Das viszerale Peritoneum wird eröffnet,<br />
die äussere Öso phagus-Längsmuskulatur<br />
<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 3/24 57
Perspektiven<br />
Abbildung 4. Operationsresektat eines Megaösophagus nach wiederholten<br />
konservativen und operativen Behandlungen über Jahre. Aspekt nach<br />
Resektion.<br />
Abbildung 5. Operationsresektat eines Megaösophagus nach wiederholten<br />
konservativen und operativen Behandlungen über Jahre. Aspekt nach<br />
longitudinaler Eröffnung des Präparates.<br />
wird auseinandergedrängt, die innere<br />
Ösophagus-Ringmuskulatur wird im Bereich<br />
der manometrischen Veränderungen<br />
bis auf die Mukosa gespalten. Dieses Operationsprinzip<br />
wird seit 1913 nach seinem<br />
Erstbeschreiber – dem deutschen Chirurgen<br />
Ernst Heller (Leipzig, 1877 – 1964) Kardio-Myotomie<br />
– genannt und stellt heute<br />
noch den Standard dar. Seit den 90er-Jahren<br />
in der minimalinvasiven Form der<br />
laparoskopischen Hellermyotomie (LHM).<br />
Das Verfahren ist effektiv, allerdings kreiert<br />
es methodenbedingt oft einen relevanten<br />
Reflux. Zur Refluxprophylaxe und zur<br />
Deckung der vulnerablen Ösophagusmukosa<br />
in den ersten postoperativen Tagen<br />
wird daher im zweiten Teil der Operation<br />
die operativ angelegte Spaltung anterior<br />
mit Fundus gedeckt zum Beispiel nach<br />
Dor. Nach LHM mit anteriorer Fundoplikatio<br />
nach Dor benötigen nur wenige Patienten<br />
Protonenpumpen- Inhibitoren (PPI)<br />
postoperativ.<br />
Die Lagerung des Patienten und die<br />
Zugänge erfolgen im Standard-Setting bei<br />
Oberbaucheingriffen wie zum Beispiel in<br />
der Refluxchirurgie, bariatrischen Chirurgie<br />
oder Hybridösophaguschirurgie.<br />
Die Speiseröhre wird am Hiatus freigelegt<br />
unter strenger Schonung der Vagusnerven<br />
und -äste. Unterhalb der Kardia erfolgt<br />
am Magen der Einstieg in die Myotomie<br />
unter simultaner endoskopischer und<br />
idealerweise auch manometrischer Kontrolle<br />
(Rendezvous-Verfahren). So findet<br />
man den richtigen Einstieg, kann die Vollständigkeit<br />
der Myotomie kontrollieren<br />
und eine eventuelle Perforation unmittelbar<br />
detektieren. Ist diese der Fall, kann sie<br />
unmittelbar mit resorbierbarem Nahtmaterial<br />
verschliessen. Die Mukosa sollte auf<br />
etwa ⅓ der Zirkumferenz frei liegen. Nach<br />
ausreichender Spaltung auch nach kranial<br />
erfolgt die anteriore Deckung der Mukosa<br />
mit Magenfundus. Dieser wird beidseits<br />
an die Ösophagus- und Magenlefzen mit<br />
etwa vier bis fünf resorbierbaren Einzelknöpfen<br />
fixiert.<br />
1958 wurde das gleiche Verfahren<br />
modifiziert mit transthorakalem, später<br />
thorakoskopischem Zugang beschrieben.<br />
Dies bleibt jedoch Ausnahmen wie zum<br />
Beispiel bei Re-Eingriffen oder bei schweren<br />
intraabdominalen Adhäsionen vorenthalten.<br />
Über erste robotisch-assistierte Erfahrungen<br />
in der chirurgischen Achalasiebehandlung<br />
wird berichtet. Hier gefällt<br />
zunächst die sehr geringe Rate an<br />
Schleimhautperforationen, was der exzellenten<br />
und vergrösserten Sicht und der<br />
ruhigen Kameraposition geschuldet sein<br />
dürfte. Langfristig vergleichende Studien<br />
existieren selbstredend noch nicht.<br />
Die kardinalen Komplikationen der<br />
LHM stellen die Perforation von Ösophagus<br />
und Magen dar, die Verletzung des<br />
Nervus vagus mit nachfolgend hartnäckiger<br />
Gastroparese sowie intra- und postoperative<br />
Blutungen dar. Durch zu ausgedehnte<br />
Präparation am Hiatus oesophagei kann<br />
es zur Ausbildung einer für Achalasie <br />
patienten eher untypischen Hiatushernie<br />
kommen. Diese kann zusätzlich refluxbegünstigende<br />
Auswirkungen haben [29 – 31].<br />
Bilder: Prof. Dr. U. Fetzner<br />
58<br />
3/24 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>
Perspektiven<br />
POEM<br />
Die perorale endoskopische Myotomie<br />
(POEM) basiert auf dem grundsätzlichen<br />
Operationsprinzip der Heller-Myotomie.<br />
Es handelt sich um ein von einem japanischen<br />
Thoraxchirurgen entwickeltes<br />
NOTES Verfahren (Natural Orifice Transluminal<br />
Endoscopic Surgery). Sie eignet<br />
sich ins besondere bei Typ-II- und -III-<br />
Achalasie ohne zu starke Dilatation oder<br />
sigmoidale Konfiguration des tubu lären<br />
Ösophagus.<br />
Endoskopisch wird die Schleimhaut<br />
oberhalb der kra nialen Begrenzung der<br />
angestrebten Myotomie eröffnet («Mucosaler<br />
Entry»). Es wird dann submukosal<br />
gefärbte NaCl-Lösung eingespritzt. In<br />
dieser Blase lässt sich leicht die Submucosadissektion<br />
und nachfolgend die Myotomie<br />
durchführen. Diese erfolgt antegrad<br />
nach aboral. Am Ende wird der «Mucosale<br />
Entry» mittels Clip verschlossen.<br />
Gilt die POEM als äusserst effektiv<br />
bezüglich der Behandlung des hypertrophen<br />
unteren Ösophagussphinkters, so<br />
bietet das Verfahren keinen Schutz gegen<br />
eine konse kutiv auftretendes Refluxleiden,<br />
was den entscheidenden Nachteil<br />
des Verfahrens im Gegensatz zum chirurgischen<br />
Ansatz (LHM mit Fundopexie)<br />
darstellt. Auf der anderen Seite kann<br />
durch das endoskopische Verfahren eine<br />
Operation umgangen werden. Die Perforationsrate<br />
beträgt in der POEM-Technik<br />
3 – 16 % [31].<br />
Rezidivsituation<br />
Sowohl POEM als auch LHM können als<br />
Re-Do-Eingriff bei Achalasie-Rezidiv eingesetzt<br />
werden. So kann erneut ein organerhaltender<br />
Therapieversuch unternommen<br />
werden [29].<br />
Perioperatives Management<br />
Aufgrund der insuffizienten Ösophagusentleerung<br />
hat sich bei Patienten zur LHM<br />
oder POEM eine präoperative prolongierte<br />
Nüchternheit über 48 Stunden und eine<br />
Ileus-Einleitung bewährt. Der blinde Vorschub<br />
einer Magensonde verbietet sich<br />
aufgrund der Perforationsgefahr bei jedem<br />
Achalasiepatienten.<br />
Postoperativ wird standardisiert ein<br />
Ösophagogramm mit wasserlöslichem<br />
Kontrastmittel und ein Röntgenthorax<br />
zum Ausschluss einer Perforation und vor<br />
Kostaufbau durchgeführt. Die Entlassung<br />
von POEM und LHM Patienten erfolgt in<br />
der Regel am dritten oder vierten postoperativen<br />
Tag [29].<br />
Zusammenfassung<br />
Die neurodegenerative Erkrankung Achalasie (veraltet: «Kardiaspasmus») stellt nach der<br />
Refluxerkrankung die zweithäufigste funktionelle Erkrankung des Ösophagus dar. Sie ist<br />
mit einem extrem hohen Leidensdruck für die Patienten verbunden. Pathophysiologisch<br />
handelt es sich um eine Kombination aus fehlender schluckreflektorischer Relaxation am<br />
Mageneingang und gestörter Peristaltik der tubulären Speiseröhre. Goldstandard in der<br />
Diagnostik ist die hochauflösende Manometrie. Die Erkrankung ist nicht heilbar, das<br />
therapeutische Spektrum umfasst medikamentöse, endoskopisch-interventionelle und<br />
operative Verfahren.<br />
Abstract: Achalasia Update<br />
The neurodegenerative disease achalasia (obsolete: “cardiac spasm”) is the second most<br />
common functional disease of the esophagus after reflux disease. It is associated with an<br />
extremely high level of suffering for the patient. Pathophysiologically, it is a combination<br />
of a lack of swallowing-reflex relaxation at the gastric entrance and disturbed peristalsis<br />
of the tubular esophagus. The gold standard in diagnostics is high-resolution manometry.<br />
The disease cannot be cured, the therapeutic spectrum that alleviates the disease<br />
includes pharmaceutical, endoscopic-interventional and surgical procedures.<br />
Ösophagektomie<br />
Den Endpunkt des operativen Behandlungsspektrums<br />
stellt die Ösophagektomie<br />
und die Rekonstruktion, zum Beispiel per<br />
Magenhochzug, als ultima ratio dar. Erforderlich<br />
kann sie selten werden bei schweren<br />
Komplikationen aller oben genannten Verfahren,<br />
bei höchstgradig dilatierter Speiseröhre<br />
(> 10 cm, siehe Abbildungen 4 und<br />
5), simultanem Karzinomnachweis oder bei<br />
Zustand nach wiederholtem Achalasie-Rezidiv<br />
nach LHM oder POEM.<br />
Prognose<br />
LHM und POEM bieten kurzfristig und<br />
mittelfristig exzellente Ergebnisse und bieten<br />
auch langfristig in 85 – 95 % der Fälle<br />
eine gute Symptomkontrolle. Bezüglich der<br />
POEM liegen noch keine vergleichbaren<br />
Langzeit-Erfahrungen wie mit der LHM vor.<br />
Ein weiterer verfahrensbedingter Nachteil<br />
der POEM liegt – wie erwähnt – im Fehlen<br />
der Antirefluxkomponente. Tatsächlich treten<br />
nach POEM postoperativ in bis zu ⅓ der<br />
Fälle ein saurer Reflux auf, der allerdings<br />
meist aber durch PPI-Einnahme gut kontrollierbar<br />
ist.<br />
Mass des Erfolges der Therapie ist die<br />
Schluckfunktion, die Abwesenheit von<br />
Reflux-Symptomen und insgesamt die Lebensqualität<br />
des Patienten. Zur standardisierten<br />
Erfassung der gastrointestinalen Lebensqualität<br />
empfiehlt sich der Score nach<br />
Eypasch. Auch eine Verbesserung des Eckardt<br />
Scores im prä- und postoperativen Vergleich<br />
kann als Messinstrument des Erfolges<br />
der Behandlung herangezogen werden [32].<br />
Prof. Dr. scient. med. Ulrich Klaus Fetzner<br />
Zentrum für Speiseröhrenkrebs<br />
(Deutsche Krebsgesellschaft e. V., Berlin)<br />
Klinik für Allgemeinchirurgie, Viszeral-,<br />
Thorax-, Kinder und Endokrine Chirurgie<br />
Johannes Wesling Klinikum Minden,<br />
Universitätsklinikum der Ruhr-Universität<br />
Bochum<br />
Hans-Nolte-Strasse 1<br />
32429 Minden<br />
Deutschland<br />
ulrichklaus.fetzner@muehlenkreiskliniken.de<br />
<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 3/24 59
Perspektiven<br />
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surg.2013.04.042<br />
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JI, Wood-Dauphinee S, Ure BM,<br />
Schmülling C, Neugebauer E, et al.<br />
Gastrointestinal Quality of Life Index:<br />
development, validation and<br />
application of a new instrument.<br />
Br J Surg. 1995;82(2):216 – 22.<br />
60<br />
3/24 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>
Perspektiven<br />
My Way<br />
Sunny California<br />
Bilder: zvg<br />
Wo waren wir in der<br />
letzten Ausgabe stehen<br />
geblieben? Genau, beim<br />
Brief aus Kalifornien,<br />
der tatsächlich eine Zusage enthielt.<br />
Mit grosser Freude und hohen Erwartungen<br />
nahm ich die unbezahlte Stelle als<br />
Clinical Fellow in Neuro-Ophthalmologie<br />
an der Augenklinik des University of<br />
California San Francisco Medical Center<br />
an. Mein Mann erhielt ein Stipendium<br />
als Postdoc in Chemie an der UC Berkeley,<br />
und so konnten wir Ende 1988 mit<br />
einem stattlichen Jahresbudget von<br />
USD 27 000 als vierköpfige Familie in<br />
unser kalifornisches Abenteuer starten.<br />
Wir wohnten in der Nähe von Berkeley,<br />
sodass ich jeden Tag mit dem Zug –<br />
genannt BART – auf die andere Seite<br />
der Bucht nach San Francisco pendelte.<br />
Um 7.30 Uhr stand ich – mit wenigen<br />
anderen Fellows aus der ganzen Welt –<br />
im Büro unseres Mentors Prof.<br />
William F. Hoyt, um die Fälle des<br />
Vortages anhand der über Nacht<br />
zusammengesuchten Fachliteratur<br />
zu diskutieren. Während es mir in<br />
meiner vorherigen Weiterbildung vor<br />
allem darum gegangen war, eine<br />
gute Klinikerin zu werden, begeisterte<br />
mich nun die neue akademische<br />
Atmosphäre, denn ich entdeckte die<br />
Freude an der klinischen Forschung.<br />
Klara Landau<br />
ist emeritierte Professorin<br />
für Ophthalmologie<br />
und war<br />
die erste Frau an der<br />
Spitze einer Klinik<br />
des Universitäts spitals<br />
Zürich. Sie erzählt<br />
ihren Werdegang in<br />
sechs Stationen.<br />
Einen Vorteil hatte es, dass mein<br />
berühmter Mentor keinen Lohn zahlte:<br />
Ich konnte mit gutem Gewissen um<br />
punkt 16 Uhr meine Sachen packen.<br />
Es ging so weit, dass er mich selbst mit<br />
den Worten «Cinderella, it is 4 p.m.»<br />
nach Hause schickte. Während mein<br />
Mann morgens dafür verantwortlich war,<br />
die Kinder in die Krippe und in den<br />
Kindergarten zu bringen, war es abends<br />
meine Aufgabe, sie abzuholen. Am<br />
17. Oktober 1989 um 17.04 Uhr war ich<br />
also noch im Zug, schon auf der Seite<br />
von Berkeley, als sich das grosse Erdbeben<br />
– The Big One – ereignete. Ich<br />
konnte die Kinder erst mit grosser<br />
Verspätung abholen, aber wir hatten<br />
wirklich Glück, dass unsere Familie<br />
mit dem Schrecken davonkam.<br />
Ein «Erdbeben» anderer Art ereignete<br />
sich im selben Zeitraum in Zentraleuropa:<br />
Der Fall der Berliner Mauer am<br />
9. November und die samtene Revolution<br />
in Prag Ende November führten dazu,<br />
dass ich nach über 20 Jahren endlich<br />
meine Heimatstadt wieder einmal besuchen<br />
konnte – ein sehr emotionales<br />
und schönes Erlebnis.<br />
Das zweite Jahr in Kalifornien<br />
war schon etwas leichter: Ich erhielt<br />
für meine Forschungstätigkeit an der<br />
UC Berkeley School of Optometry einen<br />
bescheidenen Lohn als Zugabe zu<br />
unserem knappen Jahresbudget, die<br />
Kinder waren bestens integriert, und<br />
wir unternahmen Reisen in die nähere<br />
Umgebung, meist mit einem Zelt.<br />
Die Zeit verging wie im Flug, und<br />
langsam mussten wir uns darum kümmern,<br />
nach Israel zurückzukehren.<br />
Es kam aber alles anders, denn einmal<br />
mehr beeinflusste die Weltpolitik unsere<br />
Zukunft nachhaltig. Diesmal war es der<br />
Golfkrieg, der uns dazu veranlasste,<br />
Anfang 1991 nicht direkt nach Israel zu<br />
ziehen, wo man wegen der Drohungen<br />
Arbeit und Freizeit in Kalifornien: Unter der<br />
Woche arbeiteten Fellows aus der ganzen Welt<br />
beim berühmten Neuro-Ophthalmologen<br />
Prof. William F. Hoyt (3. v. r.), am Wochenende<br />
war für Klara Landau und ihre Familie oft<br />
Camping angesagt.<br />
vonseiten Saddam Husseins allen<br />
Bürgerinnen und Bürgern Gasmasken<br />
anpasste.<br />
Wir beschlossen also, für ein Jahr in<br />
die Schweiz zu gehen, bis sich die Lage im<br />
Nahen Osten beruhigt hatte. Dieses Jahr<br />
dauert bis heute an, und der Nahe Osten<br />
brennt wie nie zuvor …<br />
Unsere beiden Kinder, damals achtund<br />
fünfjährig, kamen also im Frühling<br />
1991 nach Zürich, ohne ein Wort Deutsch<br />
zu sprechen. Wir Eltern konnten problemlos<br />
sehr gute Stellen bekommen,<br />
mein Mann an der ETH und ich an<br />
der Augenklinik des Universitätsspitals<br />
Zürich. Ein neuer Lebensabschnitt<br />
begann – Fortsetzung folgt!<br />
<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 3/24 61
mediservice<br />
Briefkasten<br />
Kann ich mich gegen<br />
eine Wohnungskündigung<br />
wehren?<br />
Meine Partnerin und ich<br />
erwarten ein Kind.<br />
Nun hat unser Vermieter<br />
uns deshalb die Wohnung<br />
mit einer Frist von drei Monaten<br />
gekündigt. Welche Regeln gelten<br />
bei einer Wohnungskündigung?<br />
Und können wir diese anfechten?<br />
Üblicherweise regelt der Mietvertrag<br />
die Kündigungsfristen und Termine.<br />
Die gesetzliche Mindestkündigungsfrist<br />
darf dabei jedoch nicht unterschritten<br />
werden. Diese beträgt bei Wohnräumen<br />
drei Monate.<br />
Eine ausserordentliche Kündigung<br />
ist möglich, wenn wichtige Gründe die<br />
Vertragserfüllung unzumutbar machen.<br />
In diesem Fall ist eine Kündigung unter<br />
Einhaltung der gesetzlichen Frist – bei<br />
Wohnungen mindestens drei Monate,<br />
der genaue Zeitrahmen ist im Mietvertrag<br />
einsehbar – auf einen beliebigen Zeitpunkt<br />
hin möglich. Gründe für eine<br />
ausserordentliche Kündigung können<br />
beispielsweise der Konkurs der Mieterin<br />
oder des Mieters oder der Verkauf der<br />
Mietsache sein.<br />
Eine Wohnungskündigung können<br />
Sie innerhalb von 30 Tagen ab Empfang<br />
der Kündigung bei der zuständigen<br />
Schlichtungsbehörde für Miete und Pacht<br />
anfechten. Zeitgleich können Sie eine<br />
Erstreckung des Mietverhältnisses<br />
verlangen, wenn die Beendigung der<br />
Miete für Sie eine Härte zur Folge hätte,<br />
die durch die Interessen der Vermieterin<br />
oder des Vermieters nicht zu rechtfertigen<br />
wäre. Sie können die Erstreckung<br />
innerhalb von 30 Tagen ab Erhalt der<br />
Kündigung bei der Schlichtungsbehörde<br />
für Miete und Pacht einfordern.<br />
Bei Wohnräumen beträgt die gesetzliche Mindestfrist für eine Kündigung drei Monate.<br />
Eine Kündigung ist anfechtbar,<br />
wenn sie gegen den Grundsatz von Treu<br />
und Glauben verstösst. Das bedeutet,<br />
dass sie ausgesprochen wird, weil Sie<br />
Ansprüche aus dem Mietverhältnis<br />
geltend machen, weil Ihre Vermieterin<br />
oder Ihr Vermieter eine einseitige<br />
Vertragsänderung zu Ihren Lasten oder<br />
eine Mietzinsanpassung durchsetzen<br />
will oder weil es eine Änderung in Ihrer<br />
familiären Situation gibt, die für Ihre<br />
Vermieterin oder Ihren Vermieter keine<br />
grossen Nachteile mit sich bringt.<br />
Ihre Vermieterin oder Ihr Vermieter<br />
kann Ihnen hingegen fristlos kündigen,<br />
wenn Sie der Mietwohnung vorsätzlich<br />
schweren Schaden zufügen. Grundsätzlich<br />
gilt: Bei Wohn- und Geschäftsräumen<br />
ist eine Kündigung mit einer Frist von<br />
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30 Tagen auf ein Monatsende hin<br />
möglich, wenn Sie trotz Abmahnung<br />
weiterhin Ihre Pflicht zur Sorgfalt und<br />
Rücksichtnahme verletzen. Auch bei<br />
Zahlungsverzug kann die Vermieterin<br />
oder der Vermieter Ihnen mit einer<br />
Frist von 30 Tagen aufs Monatsende hin<br />
kündigen, wenn Sie Ihre Miete bei<br />
Androhung der Kündigung innerhalb<br />
dieser Frist nicht bezahlen.<br />
Alexandra Pestalozzi,<br />
Anwältin bei der AXA-ARAG,<br />
Expertin Immobilienrecht<br />
Bilder: Adobe Stock; zvg<br />
62<br />
3/24 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>
Das <strong>Journal</strong> des Verbandes Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte<br />
<strong>Nr</strong>. 3, <strong>Juni</strong> 2021<br />
Seite 27<br />
Kardiologie<br />
Neue Therapien für die<br />
kardiale Amyloidose<br />
Seite 36<br />
Hämatologie<br />
Neoplasien ohne<br />
Chemotherapie behandeln?<br />
Seite 39<br />
Politik<br />
Arbeitszeiten müssen sinken<br />
Seite 6<br />
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mediservice<br />
Zusatzversicherungen<br />
kündigen?<br />
Bei der Zusatzversicherung gelten oft längere Kündigungsfristen<br />
als bei der Grundversicherung. Es lohnt sich, einen möglichen Wechsel<br />
frühzeitig abzuklären.<br />
Iris Pignone, Leiterin Account Management, mediservice <strong>vsao</strong>-asmac<br />
Eine Zusatzversicherung sollte nur dann gekündigt werden, wenn eine Aufnahmebestätigung eines anderen Versicherers vorliegt.<br />
Falls Sie über eine Zusatzversicherung<br />
zu Ihrer Krankenkasse<br />
verfügen (Krankenpflegeversicherung<br />
/ Spital halbprivat bzw.<br />
privat) und mit einem Wechsel liebäugeln,<br />
müssen Sie die Kündigungsfristen<br />
beachten. Im Gegensatz zur Grundversicherung<br />
gelten andere, längere Fristen. In<br />
der Regel betragen diese Fristen drei bis<br />
sechs Monate. Zunehmend werden jedoch<br />
längere Vertragsdauern (mehrjährig)<br />
vereinbart. Daher sollte man rechtzei-<br />
tig eine Überprüfung seiner Zusatzversicherung<br />
vornehmen. Eine Kündigung ist<br />
unter Einhaltung der vertraglich vereinbarten<br />
Frist jederzeit möglich.<br />
Im Gegensatz zur Grundversicherung<br />
sind die Leistungen in der Zusatzversicherung<br />
von Krankenkasse zu Krankenkasse<br />
verschieden. In der Zusatzversicherung<br />
können die Krankenkassen die Prämie risikogerecht,<br />
d. h. abgestuft nach Alter und<br />
Geschlecht, gestalten. Entsprechend dürfen<br />
Vorbehalte angebracht werden, oder<br />
es kann eine Ablehnung erfolgen. Daher<br />
sollte man auf keinen Fall die bestehende<br />
Zusatzversicherung kündigen, ohne dass<br />
eine Aufnahmebestätigung des künftigen<br />
Versicherers vorliegt.<br />
Wir arbeiten mit zahlreichen Krankenversicherern<br />
zusammen und können<br />
Ihnen dank unseren Kollektivverträgen<br />
vorteilhafte Angebote unterbreiten. Für<br />
Auskünfte wenden Sie sich bitte an mediservice<br />
<strong>vsao</strong>-asmac: Tel. 031 350 44 22,<br />
info@mediservice-<strong>vsao</strong>.ch.<br />
Bild: Adobe Stock<br />
64<br />
3/24 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>
Medpension<br />
Wir setzen den<br />
Wachstumskurs<br />
erfolgreich fort<br />
Medpension <strong>vsao</strong> blickt auf ein erfreuliches Geschäftsjahr 2023 zurück<br />
und durfte über 700 Neukundinnen und Neukunden gewinnen.<br />
Heinz Wullschläger, Geschäftsführer Medpension<br />
Bild: iStock; Tabelle: zvg<br />
Wie bereits in den Vorjahren<br />
hat Medpension ihren<br />
Wachstumskurs erfolgreich<br />
fortgesetzt. Die im<br />
Jahr 2017 getroffenen Massnahmen zur<br />
professionellen Marktbearbeitung zahlen<br />
sich weiter aus.<br />
Bester Beweis dafür ist der stetige Zuwachs:<br />
Medpension legt über 4,6 Milliarden<br />
Franken für die berufliche Vorsorge<br />
ihrer Kundinnen und Kunden an, und<br />
mehr als 11 000 Versicherte schenken der<br />
Stiftung dabei ihr Vertrauen. Das Verhältnis<br />
von Aktivversicherten zu Rentenbeziehenden<br />
ist mit 9:1 unverändert attraktiv<br />
geblieben, was sich vorteilhaft auf die<br />
künftigen Risikoprämien auswirkt.<br />
Die Kennzahlen – auch im Langzeitvergleich<br />
– sind sehr erfreulich. Medpension<br />
erwirtschaftete im Jahr 2023 eine Gesamtperformance<br />
von 4,00 Prozent. Entsprechend<br />
dem Anlageerfolg hat sich der<br />
Deckungsgrad per 31.12.2023 aufgebaut<br />
und beträgt neu 110,8 Prozent gegenüber<br />
108,2 Prozent im Vorjahr. Dank dem positiven<br />
Ergebnis profitieren unsere Versicherten<br />
– im zehnten Jahr in Folge – von<br />
einer überdurchschnittlichen Verzinsung<br />
von 2,50 Prozent (BVG-Mindestzinssatz<br />
1,00 Prozent).<br />
Nicht nur bei unseren Bestandeskundinnen<br />
und -kunden findet die neue Vorsorgeplangeneration<br />
grossen Anklang.<br />
Auch Neukundinnen und Neukunden dürfen<br />
sich über die noch grössere Individualität<br />
und Flexibilität freuen, um für sich und<br />
ihre Mitarbeitenden eine massgeschneiderte<br />
Vorsorgelösung abzuschliessen.<br />
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seit über 35 Jahren.<br />
Überdurchschnittliche Verzinsung für Ihr Vermögen<br />
2023<br />
Attraktive Performance für Ihre Vorsorge<br />
2023<br />
5-Jahres-<br />
Schnitt<br />
5-Jahres-<br />
Schnitt<br />
10-Jahres-<br />
Schnitt<br />
Medpension 2,50% 3,60% 3,10%<br />
BVG-Mindestzins 1,00% 1,00% 1,20%<br />
Ausgezeichneter Deckungsgrad für Ihre Sicherheit<br />
2023<br />
5-Jahres-<br />
Schnitt<br />
10-Jahres-<br />
Schnitt<br />
Medpension 110,8% 115,1% 114,2%<br />
Swisscanto-PK-Monitor 113,5% 115,1% 113,3%<br />
10-Jahres-<br />
Schnitt<br />
Medpension 4,00% 3,71% 4,03%<br />
UBS PK-Performance 4,95% 3,57% 3,39%<br />
Den soeben erschienenen<br />
Geschäftsbericht 2023 von<br />
Medpension finden Sie unter:<br />
www.medpension.ch/portrait<br />
Für weiterführende<br />
Informationen<br />
Medpension <strong>vsao</strong> asmac<br />
Brunnhofweg 37, Postfach 319<br />
3000 Bern 14, Tel. 031 560 77 77<br />
info@medpension.ch<br />
www.medpension.ch<br />
<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 3/24 65
Impressum<br />
Kontaktadressen der Sektionen<br />
<strong>Nr</strong>. 3 • 43. Jahrgang • <strong>Juni</strong> <strong>2024</strong><br />
Herausgeber/Verlag<br />
AG<br />
VSAO Sektion Aargau, Geschäftsstelle: lic. iur. Eric Vultier,<br />
Auf der Mauer 2, 8001 Zürich, vultier@schai-vultier.ch,<br />
Tel. 044 250 43 23, Fax 044 250 43 20<br />
mediservice <strong>vsao</strong>-asmac<br />
Bollwerk 10, Postfach, 3001 Bern<br />
Telefon 031 350 44 88<br />
journal@<strong>vsao</strong>.ch, journal@asmac.ch<br />
www.<strong>vsao</strong>.ch, www.asmac.ch<br />
Im Auftrag des <strong>vsao</strong><br />
Redaktion<br />
Regula Grünwald (Chefredaktorin),<br />
Patrick Cernoch, Maya Cosentino,<br />
Fabian Kraxner, Bianca Molnar, Patricia<br />
Palten, Léo Pavlopoulos, Lukas Staub,<br />
Tharshika Thavayogarajah, Corina Tomaschett,<br />
Anna Wang, Marc Schällebaum (Vertreter<br />
mediservice <strong>vsao</strong>-asmac), Philipp Thüler<br />
(Vertreter <strong>vsao</strong>)<br />
Druck, Herstellung und Versand<br />
Stämpfli Kommunikation,<br />
Wölflistrasse 1, 3001 Bern<br />
Tel. 031 300 66 66<br />
info@staempfli.com, www.staempfli.com<br />
Layout<br />
Oliver Graf<br />
Übersetzungen<br />
Translation Management, François Egli,<br />
3073 Gümligen<br />
Titelillustration<br />
Stephan Schmitz<br />
Inserate<br />
Zürichsee Werbe AG, Fachmedien,<br />
Markus Haas, Tiefenaustrasse 2,<br />
8640 Rapperswil, Tel. 044 928 56 53<br />
<strong>vsao</strong>@fachmedien.ch<br />
Auflagen<br />
Druckauflage: 22 950 Expl.<br />
WEMF/KS-Beglaubigung 2023: 21 648 Expl.<br />
Erscheinungshäufigkeit: 6 Ausgaben pro Jahr.<br />
Für <strong>vsao</strong>-Mitglieder im Jahresbeitrag<br />
inbegriffen.<br />
ISSN 1422-2086<br />
Ausgabe <strong>Nr</strong>. 4/<strong>2024</strong> erscheint im<br />
August <strong>2024</strong>. Thema: Blickwinkel<br />
© <strong>2024</strong> by <strong>vsao</strong>, 3001 Bern<br />
Printed in Switzerland<br />
BL/BS<br />
VSAO Sektion beider Basel, Geschäftsleiterin und Sekretariat:<br />
lic. iur. Claudia von Wartburg, Advokatin, Hauptstrasse 104,<br />
4102 Binningen, Tel. 061 421 05 95, Fax 061 421 25 60,<br />
sekretariat@<strong>vsao</strong>-basel.ch, www.<strong>vsao</strong>-basel.ch<br />
BE VSAO Sektion Bern, Schwarztorstrasse 7, 3007 Bern, Tel. 031 381 39 39,<br />
info@<strong>vsao</strong>-bern.ch, www.<strong>vsao</strong>-bern.ch<br />
FR<br />
ASMAC Sektion Freiburg, Rue du Marché 36, 1630 Bulle,<br />
presidence@asmaf.ch<br />
GE Associations des Médecins d’Institutions de Genève, Postfach 23,<br />
Rue Gabrielle-Perret-Gentil 4, 1211 Genf 14, info@amig.ch, www.amig.ch<br />
GR<br />
JU<br />
NE<br />
VSAO Sektion Graubünden, 7000 Chur, Samuel B. Nadig,<br />
lic. iur. HSG, RA Geschäftsführer/Sektionsjurist, Tel. 081 256 55 55,<br />
info@<strong>vsao</strong>-gr.ch, www.<strong>vsao</strong>-gr.ch<br />
ASMAC Sektion Jura, Bollwerk 10, 3001 Bern, sekretariat@<strong>vsao</strong>.ch<br />
Tel. 031 350 44 88<br />
ASMAC Sektion Neuenburg, Joël Vuilleumier, Jurist,<br />
Rue du Musée 6, Postfach 2247, 2001 Neuenburg,<br />
Tel. 032 725 10 11, vuilleumier@valegal.ch<br />
SG/AI/AR VSAO Sektion St. Gallen-Appenzell, Bettina Surber, Oberer Graben 44,<br />
9000 St. Gallen, Tel. 071 228 41 11, Fax 071 228 41 12,<br />
surber@anwaelte44.ch<br />
SO<br />
TI<br />
TG<br />
VD<br />
VS<br />
VSAO Sektion Solothurn, Geschäftsstelle: lic. iur. Eric Vultier,<br />
Auf der Mauer 2, 8001 Zürich, vultier@schai-vultier.ch,<br />
Tel. 044 250 43 23, Fax 044 250 43 20<br />
ASMAC Ticino, Via Cantonale 8-Stabile Qi, 6805 Mezzovico-Vira,<br />
segretariato@asmact.ch<br />
VSAO Sektion Thurgau, Geschäftsstelle: lic. iur. Eric Vultier,<br />
Auf der Mauer 2, 8001 Zürich, vultier@schai-vultier.ch,<br />
Tel. 044 250 43 23, Fax 044 250 43 20<br />
ASMAV, case postale 9, 1011 Lausanne-CHUV,<br />
asmav@asmav.ch, www.asmav.ch<br />
ASMAVal, p.a. Maître Valentine Gétaz Kunz,<br />
Ruelle du Temple 4, CP 20, 1096 Cully, contact@asmaval.ch<br />
Zentralschweiz (LU, ZG, SZ, GL, OW, NW, UR)<br />
VSAO Sektion Zentralschweiz, Geschäftsstelle: lic. iur. Eric Vultier,<br />
Schwanenplatz 7, 6004 Luzern, sekretariat@<strong>vsao</strong>-zentralschweiz.ch,<br />
vultier@schai-vultier.ch, Tel. 044 250 43 23<br />
ZH/SH<br />
VSAO ZH/SH, RA lic. iur. Susanne Hasse,<br />
Geschäftsführerin, Nordstrasse 15, 8006 Zürich, Tel. 044 941 46 78,<br />
susanne.hasse@<strong>vsao</strong>-zh.ch, www.<strong>vsao</strong>-zh.ch<br />
Publikation<strong>2024</strong><br />
FOKUSSIERT<br />
KOMPETENT<br />
TRANSPARENT<br />
Gütesiegel Q-Publikation<br />
des Verbandes Schweizer Medien<br />
66<br />
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D: Erwachsene und Kinder ab 12 Jahren: 1x täglich 1 Brausetablette oral. KI: Niereninsuffizienz, AV-Block, Exsikkose. IA: Tetracycline, Eisensalze, Cholecalciferol.<br />
UW: Gelegentlich Durchfall. P: 20 und 60 Brausetabletten. VK: Liste D. 04/2020. Kassenpflichtig. Ausführliche Informationen unter www.swissmedicinfo.ch.<br />
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