Die islamrechtliche Beurteilung der Mädchenbeschneidung
Die islamrechtliche Beurteilung der Mädchenbeschneidung
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sprechend deutsche Zeitungen die Wende im jahrzehntelangen Kampf gegen die Beschneidung.<br />
Da etwa 80 Prozent <strong>der</strong> beschnittenen Frauen sich selbst als Musliminnen und ihre Beschneidung<br />
als sunna (wörtl.: Brauch, Sitte, Gesetz), d.h. ein religiös verbindliches Ritual<br />
gemäß den Aussagen und Handlungen des Propheten MuÎammad, verstehen, ist die insbeson<strong>der</strong>e<br />
in <strong>der</strong> westlichen Welt geführte Diskussion von <strong>der</strong> häufig vereinfachenden und<br />
unsachgemäßen Behauptung geprägt, dieser Brauch entspräche einer spezifisch islamischen<br />
Tradition. 13 Tatsächlich herrscht jedoch seit <strong>der</strong> Herausbildung <strong>der</strong> vier sunnitischen Rechtsschulen<br />
(maÆhab, Pl. maÆÁhib) im 8. und 9. Jahrhun<strong>der</strong>t aufgrund des geringen religiösen<br />
Quellenmaterials zu diesem Thema ein Streit unter den ÝulamÁÞ vor, wie die bereits zur Pharaonenzeit<br />
in Ägypten praktizierte und damit <strong>der</strong> sogenannten „Zeit <strong>der</strong> Unwissenheit“<br />
(ÊÁhilÐya) entstammende <strong>Mädchenbeschneidung</strong> islamrechtlich zu bewerten sei. Alle vier<br />
Rechtsschulen waren sich bezüglich <strong>der</strong> Verankerung dieses Brauchs im islamischen Recht<br />
(šarÐÝa) einig, stritten jedoch über seinen Stellenwert im Leben einer muslimischen Gläubigen.<br />
Während die Schafiiten die <strong>Mädchenbeschneidung</strong> als verpflichtend (wÁÊib) bezeichneten,<br />
stuften die Malekiten, Hanafiten und Hanbaliten sie als empfohlen (sunna) o<strong>der</strong> freige-<br />
stellte ehrenvolle Tat (makrama) ein. 14<br />
Auch wenn <strong>der</strong> Prophet um diesen Brauch wusste und ihn anscheinend tolerierte, setzte sich<br />
die <strong>Mädchenbeschneidung</strong> keineswegs in <strong>der</strong> gesamten islamisch geprägten Welt als religiöses<br />
Ritual durch. Im östlichen Mittelmeerraum, auf <strong>der</strong> arabischen Halbinsel und in weiten<br />
Teilen Asiens wird sie nur sehr vereinzelt als islamischer Brauch wahrgenommen und praktiziert.<br />
Auf dem afrikanischen Kontinent, wo die <strong>Mädchenbeschneidung</strong> die größte Verbreitung<br />
findet, bringen die Menschen vor allem traditionelle und gesellschaftsmoralische Argumente<br />
neben den religiösen für die Fortführung dieses Brauchs vor. Somit lässt sich feststellen,<br />
dass zwar die meisten <strong>der</strong> die Beschneidung praktizierenden Ethnien islamisch geprägt<br />
sind, aber nur wenige Muslime insgesamt diesen Brauch ausüben. <strong>Die</strong> <strong>Mädchenbeschneidung</strong><br />
als Teil „volksislamischer“ und afro-kultureller Praktiken in <strong>der</strong> islamisch geprägten<br />
Welt – wir sprechen hier von einem Gebiet, dass von Marokko bis nach Indonesien<br />
reicht, wie auch muslimischen Gemeinschaften in westlichen Län<strong>der</strong>n – soll neben einer<br />
allgemeinen Überblicksdarstellung zur aktuellen Situation <strong>der</strong> <strong>Mädchenbeschneidung</strong> bezüglich<br />
ihres geographischen Ausmaßes, <strong>der</strong> Operationsumstände, ihrer Ausformungen und<br />
Folgeerscheinungen einleitend in Kapitel 2 dieser Arbeit thematisiert werden, bevor später<br />
13 Vgl. hierzu Terre des Femmes (Hg.): Schnitt in die Seele. Weibliche Genitalverstümmelung – Eine fundamentale<br />
Menschenrechtsverletzung. Frankfurt am Main 2003. S. 43.<br />
14 Vgl. zu den Positionen <strong>der</strong> Rechtsschulen insbeson<strong>der</strong>e Kapitel 4 dieser Arbeit.<br />
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