Die islamrechtliche Beurteilung der Mädchenbeschneidung

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damit der internationalen Menschenrechtserklärung auf körperliche Unversehrtheit 191 wie einem der islamischen Grundsätze – „Kein Schaden und keine Schädigung“ (lÁ Ãarar wa-lÁ ÃirÁr) –widerspreche. 192 Dem kurzfristigen Erfolg reaktionärer Gelehrter war damit ein Ende gesetzt. 193 Die Ärzte, die eine Beschneidung dennoch ausführen, riskieren seitdem eine Inhaf- tierung sowie ihre Berufszulassung. 194 Während Vertreter von Menschenrechtsorganisationen das Urteil als einen ersten Schritt zur Abschaffung der Mädchenbeschneidung werteten, wurde es im islamistischen Spektrum ins- besondere von Scheich YÙsuf al-BadrÐ als illegitim angegriffen. 195 Bereits nach der CNN- Dokumentation war die Warnung vor einem negativen Einfluss des Westens auf die islami- sche Gesellschaft, der die Muslime von ihrer eigenen Religion entfremde, aufgekommen. 196 Lightoot-Klein konstatiert 2003, dass das nach ihrer Einschätzung berechtigte Verbot die Lage der Mädchen jedoch verschlimmert habe, da die Beschneidungen jetzt wieder vermehrt heimlich und damit unter schlechteren Umständen vorgenommen würden. 197 Dem entge- genzuhalten ist, dass die Mädchenbeschneidung so seit Jahren in aller Munde ist und nicht mehr verschwiegen wird. Ferner besteht die Hoffnung, dass die vermehrten Strafen gegen Eltern und Beschneiderinnen im Zusammenklang mit den vom „Nationalen Rat für Kind- heit und Mutterschaft“ durchgeführten Aufklärungskampagnen in Form von Fernsehspots, Plakataktionen und Sexualkundeunterricht in Schulen ihre Wirkung noch entfalten. 198 191 Das Recht auf körperliche Unversehrtheit findet sich in der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ von 1948 in Art. 3 und 5 wieder. Vgl. http://www.unhchr.ch/udhr/lang/ger.htm (Stand: 10.9.2007). Das Gericht benutzte in ihrer Urteilsdarlegung interessanterweise den französischen Begriff „intégrité corporelle“. Vgl. Bälz. Verbot der Geschlechtsverstümmelung an Frauen. S. 25. 192 Ibid. Vgl. auch Bälz. Human Rights, the Rule of Law and the Construction of Tradition. S. 38-41. 193 Atighetchi. Islamic Bioethics. S. 321. 194 Ibid. S. 322. 195 Bälz. Human Rights, the Rule of Law and the Construction of Tradition. S. 37. Bälz. Verbot der Geschlechtsverstümmelung an Frauen. S. 26. Atighetchi. Islamic Bioethics. S. 323. 196 Aldeeb. Male and Female Circumcision. S. 263-264. 197 Lightfoot-Klein. Der Beschneidungsskandal. S. 97. 198 Von dem großen Engagement des „Nationalen Rates für Kindheit und Mutterschaft“ konnte ich mich bei einem Informationsbesuch im Frühjahr 2004 selbst überzeugen. 41

3.2 Die internationale Verurteilung der Mädchenbeschneidung Die Aufmerksamkeit der deutschen Öffentlichkeit für das Thema Mädchenbeschneidung wurde erstmals vor rund 30 Jahren geweckt – und damit Jahrzehnte nach Beginn der Diskussionen im Sudan und in Ägypten. In ihrer dritten Ausgabe im März 1977 schilderte die Frauenzeitschrift „Emma“ unter dem Titel „Klitorisbeschneidung“ diesen afrikanischen Brauch an Millionen von Mädchen und kritisierte ihn als den „wohl extremste(n) und brutalste(n) Ausdruck einer Männergesellschaft, die Frauen das Recht auf ihren Körper und ihre Sexualität abspricht“. 199 Im selben Jahr hatte die WHO eine Arbeitsgruppe eingerichtet, um die Verbreitung sowie die Auswirkungen dieser Praxis in Afrika zu untersuchen. Im Februar 1979 hat ihr regionales Büro des östlichen Mittelmeerraums in Khartum/Sudan das Seminar über „Traditionelle Praktiken, die Auswirkungen auf die Gesundheit der Frauen und Kinder haben“, organisiert und damit erstmals das Thema auf einem internationalen Podium diskutiert – nachdem vielfach angenommen worden war, dass die Mädchenbeschneidung bereits längst abgeschafft worden sei. 200 Die amerikanische Journalistin Fran P. Hosken präsentierte hier die Ergebnisse ihrer in Afrika geführten Untersuchungen. 201 Gegen den Vorschlag der anwesenden Mediziner, eine mildere Form der Beschneidung in den afrikanischen Gesellschaften zu etablieren, empfahl insbesondere der weibliche Teil des Seminars schließlich konkrete Maßnahmen, die auf die totale Abschaffung der Beschneidung von Frauen abzielten. 202 Im Juni 1982 legte die WHO eine formale Erklärung über ihre Position zur Mädchenbeschneidung der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen vor. Sie stimmte den Empfehlungen des Seminars zu und betonte, dass die Beschneidung von Mädchen und Frauen, in welchem Zusammenhang auch immer, niemals von Gesundheitsfachleuten in Krankenhäusern oder anderen speziellen Einrichtungen praktiziert werden dürfe. 203 1984 organisierte eine Gruppe von afrikanischen Frauen eine Konferenz in Dakar/Senegal, auf der das „Inter-African Committee on traditional Practices affecting the Health of Wo- men and Children” (IAC) gegründet wurde. Vier Jahre zuvor war es auf einer UN-Konferenz in Kopenhagen zu einem Bruch mit den westlichen Frauenrechtlerinnen aufgrund deren „kulturrelativistischen Vorstellungen“ 204 gekommen. 205 Der „weiße Feminismus“ im Westen sieht sich auch heute noch dem Vorwurf des Dominanzverhaltens bezüglich anderer Kultu- 199 Caravello, Pauline: Klitorisbeschneidung. In: Emma – Zeitschrift für Frauen von Frauen (März 1977). S. 52-53. 200 Aldeeb. Male and Female Circumcision. S. 263. Aldeeb. Verstümmeln im Namen Yahwes oder Allahs. S. 88. Badry. Zur ‚Mädchenbeschneidung’ in islamischen Ländern. S. 223-224. 201 Vgl. Hosken. The Hosken Report. 202 Aldeeb. Les Musulmans face aux droits de l’homme. S. 10. 203 Aldeeb. Verstümmeln im Namen Yahwes oder Allahs. S. 88. 204 Badry. Zur ‚Mädchenbeschneidung’ in islamischen Ländern. S. 223-224. 205 Rahman/Toubia. Female Genital Mutilation. S. 10. Ismail/Makki. Frauen im Sudan. S. 81. 42

damit <strong>der</strong> internationalen Menschenrechtserklärung auf körperliche Unversehrtheit 191 wie<br />

einem <strong>der</strong> islamischen Grundsätze – „Kein Schaden und keine Schädigung“ (lÁ Ãarar wa-lÁ<br />

ÃirÁr) –wi<strong>der</strong>spreche. 192 Dem kurzfristigen Erfolg reaktionärer Gelehrter war damit ein Ende<br />

gesetzt. 193 <strong>Die</strong> Ärzte, die eine Beschneidung dennoch ausführen, riskieren seitdem eine Inhaf-<br />

tierung sowie ihre Berufszulassung. 194<br />

Während Vertreter von Menschenrechtsorganisationen das Urteil als einen ersten Schritt zur<br />

Abschaffung <strong>der</strong> <strong>Mädchenbeschneidung</strong> werteten, wurde es im islamistischen Spektrum ins-<br />

beson<strong>der</strong>e von Scheich YÙsuf al-BadrÐ als illegitim angegriffen. 195 Bereits nach <strong>der</strong> CNN-<br />

Dokumentation war die Warnung vor einem negativen Einfluss des Westens auf die islami-<br />

sche Gesellschaft, <strong>der</strong> die Muslime von ihrer eigenen Religion entfremde, aufgekommen. 196<br />

Lightoot-Klein konstatiert 2003, dass das nach ihrer Einschätzung berechtigte Verbot die<br />

Lage <strong>der</strong> Mädchen jedoch verschlimmert habe, da die Beschneidungen jetzt wie<strong>der</strong> vermehrt<br />

heimlich und damit unter schlechteren Umständen vorgenommen würden. 197 Dem entge-<br />

genzuhalten ist, dass die <strong>Mädchenbeschneidung</strong> so seit Jahren in aller Munde ist und nicht<br />

mehr verschwiegen wird. Ferner besteht die Hoffnung, dass die vermehrten Strafen gegen<br />

Eltern und Beschnei<strong>der</strong>innen im Zusammenklang mit den vom „Nationalen Rat für Kind-<br />

heit und Mutterschaft“ durchgeführten Aufklärungskampagnen in Form von Fernsehspots,<br />

Plakataktionen und Sexualkundeunterricht in Schulen ihre Wirkung noch entfalten. 198<br />

191 Das Recht auf körperliche Unversehrtheit findet sich in <strong>der</strong> „Allgemeinen Erklärung <strong>der</strong> Menschenrechte“<br />

von 1948 in Art. 3 und 5 wie<strong>der</strong>. Vgl. http://www.unhchr.ch/udhr/lang/ger.htm (Stand: 10.9.2007). Das Gericht<br />

benutzte in ihrer Urteilsdarlegung interessanterweise den französischen Begriff „intégrité corporelle“. Vgl. Bälz.<br />

Verbot <strong>der</strong> Geschlechtsverstümmelung an Frauen. S. 25.<br />

192 Ibid. Vgl. auch Bälz. Human Rights, the Rule of Law and the Construction of Tradition. S. 38-41.<br />

193 Atighetchi. Islamic Bioethics. S. 321.<br />

194 Ibid. S. 322.<br />

195 Bälz. Human Rights, the Rule of Law and the Construction of Tradition. S. 37. Bälz. Verbot <strong>der</strong> Geschlechtsverstümmelung<br />

an Frauen. S. 26. Atighetchi. Islamic Bioethics. S. 323.<br />

196 Aldeeb. Male and Female Circumcision. S. 263-264.<br />

197 Lightfoot-Klein. Der Beschneidungsskandal. S. 97.<br />

198 Von dem großen Engagement des „Nationalen Rates für Kindheit und Mutterschaft“ konnte ich mich bei<br />

einem Informationsbesuch im Frühjahr 2004 selbst überzeugen.<br />

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