Die islamrechtliche Beurteilung der Mädchenbeschneidung

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sieht sie insgesamt bei beschnittenen Frauen aufgrund der mangelnden körperlichen Voraussetzung sowie traumatischer Belastung als verringert, wobei sie jedoch auch an anderer Stelle auf Ausnahmen hinweist. 140 El Dareers Gespräche mit 3.210 Frauen, von denen die Mehrheit pharaonisch beschnitten wurde, zeigte, dass 50 Prozent der Frauen niemals sexuelles Vergnügen erlebt und den Geschlechtsverkehr einfach nur als Pflicht betrachtet. 23,3 Prozent meinten, Sexualität sei meistens oder manchmal für sie lustvoll. El Dareer betont jedoch, dass bei den meisten Frauen der Eindruck entstanden sei, dass sie ihre eigenen Gefühle als bedeutungslos empfänden, da die Lust des Ehemanns im Vordergrund stünde. 141 Marie B. Assaads Ende der 1970er Jahre in Ägypten durchgeführte Studie hingegen ergab, dass 94 Prozent der 54 von ihr interviewten Frauen berichteten, sie genössen den Verkehr und seien glücklich mit ihren Ehemännern. Unter 651 Frauen, die Mahmoud Karim und Roshdie Ammar Mitte der 1960er Jahre in Ägypten befragten, erreichten 41,1 Prozent der beschnittenen Frauen laut eigener Aussage einen Orgasmus. 142 Diese Zahlen machen eine klare Aussage über die Auswirkung der Beschneidung auf die Sexualität der Frauen unmöglich und können lediglich als kleiner Einblick in das Verständnis von Sexualität in den betroffenen Regionen gelten. Zu groß ist die Schamhaftigkeit, über dieses Tabuthema zu sprechen. Viele Frauen messen ihrem eigenen Körper keine große Bedeutung zu oder wollen ihren Mann nicht bloßstellen. Ferner sei angemerkt, dass der Orgasmus auch in Europa eine sehr wechselhafte Geschichte hinter sich gebracht hat. Nachdem über Jahrhunderte der Frau keine sexuelle Lust zugestanden wurde, herrscht heute in Europa vielmehr eine „Orgasmuspflicht“ vor. In Afrika wird Sexualität mit Sicherheit anders bewertet und zudem in Teilen stark tabuisiert, so dass Forschungsergebnisse in Prozentzahlen mit sehr großer Vorsicht zu genießen sind. 143 Neben den physischen Auswirkungen der Beschneidung spielen psychische Folgeerscheinungen eine große Rolle. Die panische Angst, der große Schmerz, das erniedrigende Gefühl der absoluten Wehrlosigkeit und Ohnmacht und die Empfindung, um die wundersamen Versprechungen betrogen worden zu sein, können so weit gehen, dass ein psychisches Trauma zurückbleibt, welches das weitere Leben des Mädchens stark beeinträchtigt. Unter anderem wird von Persönlichkeitsveränderungen, Angstzuständen, Depressionen bis hin zum 140 Lightfoot-Klein. Der Beschneidungsskandal. S. 85-86. Lightfoot-Klein. Das grausame Ritual. S. 108. Medizinische Forschungen zeigten, dass ein Zusammenhang zwischen dem Zeitpunkt der Beschneidung und der Orgasmusfähigkeit besteht. Da die Nerven in der Vagina erst nach einigen Lebensjahren voll ausgebildet sind, bedeutet dies, dass spät beschnittene Frauen besser sexuell stimulierbar sind als früh beschnittene. Vgl. Peller. Chiffrierte Körper – Disziplinierte Körper. S. 120-121. Mit der Entfernung der Klitoris ist der Wunsch nach Sexualität bei der Frau nicht reduziert, sondern allein die sexuelle Befriedigung verhindert. Vgl. Ismail/Makki. Frauen im Sudan. S. 38. 141 El Dareer. Woman, why do you weep? S. 48. Vgl. auch Lightfoot-Klein. Das grausame Ritual. S. 104-105. 142 Lightfoot-Klein. Das grausame Ritual. S. 105-106. 143 Vgl. hierzu auch ibid. S. 108. Beck-Karrer. Frauenbeschneidung in Afrika. S. 9-10. 33

Suizid berichtet. 144 Nicht selten erleben die Mädchen einen schweren Vertrauensverlust gegenüber ihren Eltern, weil diese sie zuvor völlig im Unklaren gelassen haben, während der Beschneidung nicht einschritten oder sich sogar aktiv am Geschehen beteiligten. 145 Das Trauma der Beschneidung wiederholt sich bei jedem Geschlechtsverkehr oder der Geburt. 146 Ein angstbesetzter Geschlechtsverkehr hat starke Auswirkungen auf das Liebesverhältnis eines Paares, da Frustration, Schuldgefühle und Versagensängste die Beziehung stark belasten können. 147 Die körperlichen Einschränkungen der Frau wie starke Menstruationsbeschwerden, Inkontinenz und hiermit verbundene unangenehme Gerüche nehmen ihr ein großes Stück an sozialer Integrität. 148 Die Schuld für ihr Unwohlsein geben die Frauen in der Regel sich selbst, „weil es nicht zu den schönen Auswirkungen gekommen ist, die man ihnen anläßlich der Beschneidung vorgegaukelt hatte, nämlich daß sie reiner, klüger, schöner und fruchtbarer werden“. 149 Eine besondere Erschwernis bildet die Tatsache, dass es sich um ein Tabuthema handelt, und die betroffenen Frauen nicht offen über ihre Probleme sprechen können, sondern sie allein bewältigen müssen. 150 Neben den unmittelbaren körperlichen und seelischen Folgen wurden weitere Auswirkungen der Beschneidung ausgemacht. Insbesondere in Ägypten wird seit Jahrzehnten die Gefahr des Drogenkonsums des Mannes überbetont. In dem 1962 erstmals in Frankreich publizierten Buch „Le Drame Sexuel de la Femme dans l’Orient Arabe” zeichnet Youssef el Masry anhand einer 1957 geführten Debatte in der ägyptischen Tageszeitung at-TaÎrÐr den Zusammenhang zwischen Drogenmissbrauch und sexueller Unbefriedigung in der Ehe aufgrund der Beschneidung der Frau nach. 151 Demnach rauchten ägyptische Männer vermehrt Haschisch, um ihren Orgasmus beim Geschlechtsverkehr herauszuzögern, und so auch ihren empfindungsschwachen Frauen eine Erregung zu ermöglichen bzw. sich gegenüber den Schmerzen der Frau abzustumpfen. el Masry selbst greift die Schlagzeile vom 20. August 1957 für seine eigene Argumentation gegen die Mädchenbeschneidung auf: „Kein Kampf gegen die Rauschgifte ohne Verbot der Beschneidung.“ 152 144 Die WHO fasst die psychischen Auswirkungen folgendermaßen zusammen: „Genital mutilation may leave a lasting mark on the life and mind of the woman who has undergone it. In the longer term, women may suffer feelings of incompleteness, anxiety and depression.” Unter: http://www.who.int/mediacentre/factsheets/fs241/ en/ (Stand: 15.4.2007). Vgl. auch Terre des Femmes. Schnitt in die Seele. S. 35. Lightfoot-Klein. Das grausame Ritual. S. 99. Peller. Chiffrierte Körper – Disziplinierte Körper. S. 118. 145 Terre des Femmes. Schnitt in die Seele. S. 34-35. 146 Lightfoot-Klein. Das grausame Ritual. S. 81. Lightfoot-Klein. Der Beschneidungsskandal. S. 74-75. 147 Terre des Femmes. Schnitt in die Seele. S. 38. 148 Peller. Chiffrierte Körper – Disziplinierte Körper. S. 118. Lightfoot-Klein. Das grausame Ritual. S. 77-78. 149 Spuler-Stegemann. Mädchenbeschneidung. S. 212. 150 Terre des Femmes. Schnitt in die Seele. S. 36. 151 el Masry, Youssef: Le Drame Sexuel de la Femme dans l’Orient Arabe. Paris 1962. 152 Vgl. auch Badry. Zur ‚Mädchenbeschneidung’ in islamischen Ländern. S. 222. Aldeeb. Verstümmeln im Namen Yahwes oder Allahs. S. 84. Hansen. Clitoridectomy. S. 22. Meinardus. Mythological, historical and sociological aspects. S. 394-395. 34

sieht sie insgesamt bei beschnittenen Frauen aufgrund <strong>der</strong> mangelnden körperlichen Voraussetzung<br />

sowie traumatischer Belastung als verringert, wobei sie jedoch auch an an<strong>der</strong>er Stelle<br />

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pharaonisch beschnitten wurde, zeigte, dass 50 Prozent <strong>der</strong> Frauen niemals sexuelles Vergnügen<br />

erlebt und den Geschlechtsverkehr einfach nur als Pflicht betrachtet. 23,3 Prozent meinten,<br />

Sexualität sei meistens o<strong>der</strong> manchmal für sie lustvoll. El Dareer betont jedoch, dass bei<br />

den meisten Frauen <strong>der</strong> Eindruck entstanden sei, dass sie ihre eigenen Gefühle als bedeutungslos<br />

empfänden, da die Lust des Ehemanns im Vor<strong>der</strong>grund stünde. 141 Marie B. Assaads<br />

Ende <strong>der</strong> 1970er Jahre in Ägypten durchgeführte Studie hingegen ergab, dass 94 Prozent <strong>der</strong><br />

54 von ihr interviewten Frauen berichteten, sie genössen den Verkehr und seien glücklich<br />

mit ihren Ehemännern. Unter 651 Frauen, die Mahmoud Karim und Roshdie Ammar Mitte<br />

<strong>der</strong> 1960er Jahre in Ägypten befragten, erreichten 41,1 Prozent <strong>der</strong> beschnittenen Frauen laut<br />

eigener Aussage einen Orgasmus. 142<br />

<strong>Die</strong>se Zahlen machen eine klare Aussage über die Auswirkung <strong>der</strong> Beschneidung auf die<br />

Sexualität <strong>der</strong> Frauen unmöglich und können lediglich als kleiner Einblick in das Verständnis<br />

von Sexualität in den betroffenen Regionen gelten. Zu groß ist die Schamhaftigkeit, über<br />

dieses Tabuthema zu sprechen. Viele Frauen messen ihrem eigenen Körper keine große Bedeutung<br />

zu o<strong>der</strong> wollen ihren Mann nicht bloßstellen. Ferner sei angemerkt, dass <strong>der</strong> Orgasmus<br />

auch in Europa eine sehr wechselhafte Geschichte hinter sich gebracht hat. Nachdem<br />

über Jahrhun<strong>der</strong>te <strong>der</strong> Frau keine sexuelle Lust zugestanden wurde, herrscht heute in Europa<br />

vielmehr eine „Orgasmuspflicht“ vor. In Afrika wird Sexualität mit Sicherheit an<strong>der</strong>s bewertet<br />

und zudem in Teilen stark tabuisiert, so dass Forschungsergebnisse in Prozentzahlen mit sehr<br />

großer Vorsicht zu genießen sind. 143<br />

Neben den physischen Auswirkungen <strong>der</strong> Beschneidung spielen psychische Folgeerscheinungen<br />

eine große Rolle. <strong>Die</strong> panische Angst, <strong>der</strong> große Schmerz, das erniedrigende Gefühl<br />

<strong>der</strong> absoluten Wehrlosigkeit und Ohnmacht und die Empfindung, um die wun<strong>der</strong>samen<br />

Versprechungen betrogen worden zu sein, können so weit gehen, dass ein psychisches Trauma<br />

zurückbleibt, welches das weitere Leben des Mädchens stark beeinträchtigt. Unter an<strong>der</strong>em<br />

wird von Persönlichkeitsverän<strong>der</strong>ungen, Angstzuständen, Depressionen bis hin zum<br />

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Forschungen zeigten, dass ein Zusammenhang zwischen dem Zeitpunkt <strong>der</strong> Beschneidung und <strong>der</strong><br />

Orgasmusfähigkeit besteht. Da die Nerven in <strong>der</strong> Vagina erst nach einigen Lebensjahren voll ausgebildet sind,<br />

bedeutet dies, dass spät beschnittene Frauen besser sexuell stimulierbar sind als früh beschnittene. Vgl. Peller.<br />

Chiffrierte Körper – Disziplinierte Körper. S. 120-121. Mit <strong>der</strong> Entfernung <strong>der</strong> Klitoris ist <strong>der</strong> Wunsch nach<br />

Sexualität bei <strong>der</strong> Frau nicht reduziert, son<strong>der</strong>n allein die sexuelle Befriedigung verhin<strong>der</strong>t. Vgl. Ismail/Makki.<br />

Frauen im Sudan. S. 38.<br />

141 El Dareer. Woman, why do you weep? S. 48. Vgl. auch Lightfoot-Klein. Das grausame Ritual. S. 104-105.<br />

142 Lightfoot-Klein. Das grausame Ritual. S. 105-106.<br />

143 Vgl. hierzu auch ibid. S. 108. Beck-Karrer. Frauenbeschneidung in Afrika. S. 9-10.<br />

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