Die islamrechtliche Beurteilung der Mädchenbeschneidung
Die islamrechtliche Beurteilung der Mädchenbeschneidung
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nen durchgeführt, um so vergleichbar mit einem „Keuschheitsgürtel aus dem eigenen Fleisch<br />
des Mädchens“ 110 die Treue <strong>der</strong> Frau zu garantieren. Auch Mütter, Schwiegermütter und<br />
Großmütter können die treibende Kraft bei einer Reinfibulation sein, wenn sie unzüchtiges<br />
Verhalten im Vornherein verhin<strong>der</strong>n wollen. 111 Peller bewertet die Reinfibulation als „Radikalisierung<br />
<strong>der</strong> Tradition“, die beson<strong>der</strong>s in Großstädten als gefährdet verstanden werde und<br />
nun mit Gewalt fortgeführt werden solle. 112 Über die Unberührbarkeit <strong>der</strong> Ehefrau formiert<br />
sich neben ihrem eigenen Ehrgefühl das ihres Mannes sowie <strong>der</strong> gesamten Familie (karÁma,<br />
šaraf). Insbeson<strong>der</strong>e die männlichen Angehörigen kontrollieren daher die Taten <strong>der</strong> Frau<br />
außerhalb des Hauses o<strong>der</strong> verstecken sie vor Besuchern, 113 um nicht einmal den Anschein<br />
unmoralischen Verhaltens aufkommen zu lassen und Schande (Ýaib) von sich abzuwenden. 114<br />
Nach Lightfoot-Klein vertreten die meisten Sudanesen die Überzeugung, je radikaler die<br />
Operation vorgenommen werde, desto geringer sei das Risiko, dass das Mädchen ihrer Familie<br />
Schande bereite. 115 Ein unbeschnittenes Mädchen werde aufgrund <strong>der</strong> Reibung <strong>der</strong> Klitoris<br />
an <strong>der</strong> Kleidung ständig sexuell stimuliert und somit unweigerlich dem außerehelichen<br />
Geschlechtsverkehr, verstanden als Prostitution, nachgehen müssen. 116 Mit dem illegitimen<br />
Geschlechtsverkehrs (zinÁÞ) ist einer <strong>der</strong> fünf Tatbestände <strong>der</strong> im Koran verankerten Îadd-<br />
Strafen erfüllt. Mit <strong>der</strong> Beschneidung soll folglich dieser „Todsünde“ vorgebeugt werden.<br />
Während <strong>der</strong> Frau nach ihrer Beschneidung zumeist ein Vergnügen an sexuellen Handlungen<br />
abgesprochen wird, gilt die Beschneidung als die sexuelle Lust des Mannes för<strong>der</strong>lich. 117<br />
Auch wenn islamische Gelehrte wie<strong>der</strong>holt darauf hingewiesen haben, dass die Frau ein<br />
Recht auf sexuelle Befriedigung habe, lässt die Bezeichnung <strong>der</strong> <strong>Mädchenbeschneidung</strong> im<br />
klassischen Arabisch aufhorchen: ÌifÁÃ bzw. ÌafÃ. Allein das klassische Arabisch kennt mit<br />
ÌitÁn und ÌifÁÃ/ÌÁfà zwei verschiedene Ausdrücke, um männliche und weibliche Beschneidung<br />
voneinan<strong>der</strong> zu unterscheiden. Während ÌitÁn in erster Linie „Beschneidung“ heißt, 118<br />
hat ÌÁfà ferner die Konnotation <strong>der</strong> „Erniedrigung“, „Herabsetzung“ o<strong>der</strong> „Verringe-<br />
110 Vgl. Lightfoot-Klein. Der Beschneidungsskandal. S. 64.<br />
111 Der Rat <strong>der</strong> Mutter, Schwiegermutter o<strong>der</strong> Großmutter wurde in El Dareers Studie als zweitgrößte Motivation<br />
für eine Wie<strong>der</strong>beschneidung genannt. El Dareer. Woman, why do you weep? S. 60. Vgl. hierzu auch Peller.<br />
Chiffrierte Körper – Disziplinierte Körper. S. 107-108.<br />
112 Ibid. S. 111-112.<br />
113 Ismail/Makki. Frauen im Sudan. S. 74. Peller. Chiffrierte Körper – Disziplinierte Körper. S. 157.<br />
114 Lightfoot-Klein. Das grausame Ritual. S. 89. Ismail/Makki. Frauen im Sudan. S. 76. Toubia. The Social and<br />
Political Implications. S. 151.<br />
115 Lightfoot-Klein. Das grausame Ritual. S. 91.<br />
116 Ibid. S. 87.<br />
117 Meinardus. Mythological, historical and sociological aspects. S. 394. Terre des Femmes. Schnitt in die Seele.<br />
S. 42.<br />
118 Seltener wird iÝÆÁr für die männliche Beschneidung verwandt. Vgl. Giladi. Normative Islam Versus Local<br />
Tradition. S. 262. Aldeeb weist daraufhin, dass <strong>der</strong> Terminus ÌitÁn mit dem des Ìatan (Schwiegersohn, Bräutigam)<br />
verwandt sei. <strong>Die</strong> sprachliche Parallele lässt ihn darauf schließen, dass die Beschneidung einst die Voraussetzung<br />
für eine Hochzeit darstellte. Weiterhin sei <strong>der</strong> Begriff den Verbkonsonanten Ìa-ta-ma sehr ähnlich, was<br />
mit „versiegeln“, „unzugänglich machen“ o<strong>der</strong> auch „vernarben“ übersetzbar ist und nach Aldeeb an die Markierung<br />
von Sklaven zwecks ihrer Identifikation erinnere. Vgl. Aldeeb. Male and Female Circumcision. S. 8-9.<br />
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