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Denkmäler der Musik in Salzburg<br />

Band 22


Denkmäler der Musik in Salzburg<br />

begründet von Gerhard Croll<br />

In Verbindung mit der Universität Salzburg, der Universität Mozarteum Salzburg,<br />

der Internationalen Stiftung Mozarteum, der Erzdiözese Salzburg<br />

und der Erzabtei St. Peter Salzburg<br />

herausgegeben von der<br />

Johann-Michael-Haydn-Gesellschaft Salzburg<br />

Band 22<br />

Antonio <strong>Caldara</strong><br />

Oratorio S. Giovanni Nepomuceno<br />

Salzburg 1726


ANTONIO CALDARA<br />

1670 – 1736<br />

SAN GIOVANNI NEPOMUCENO<br />

ORATORIO MELODRAMMATICO SACRO<br />

Salzburg 1726<br />

Nach der autographen Partitur im Archiv der Gesellschaft<br />

der Musikfreunde in Wien und dem in der Österreichischen Nationalbibliothek<br />

in Wien überlieferten gedruckten Textbuch zur Aufführung anlässlich<br />

der Weihe der Schlosskapelle zu Mirabell<br />

vorgelegt von<br />

Alexandra Nigito<br />

mit Beiträgen von Adolf Hahnl und Ernst Hintermaier


Herausgebergremium:<br />

P. Petrus Eder OSB, Nils Grosch, Ernst Hintermaier,<br />

Thomas Hochradner, Ulrich Leisinger, Andrea Lindmayr-Brandl,<br />

Eva Neumayr und Gerhard Walterskirchen<br />

Die Drucklegung wurde<br />

von Stadt und Land Salzburg, der Universität Salzburg und der Erzdiözese Salzburg<br />

gefördert.<br />

Alle Rechte vorbehalten.<br />

Vervielfältigung jeder Art, auch durch elektronische Medien,<br />

nur mit Erlaubnis des Verlages.<br />

© Hollitzer Verlag 2024<br />

www.hollitzer.at<br />

Redaktion: Ernst Hintermaier und Eva Neumayr<br />

Notensatz: Antonio Frigé (Mailand)<br />

Layout: Martin Dopsch<br />

Hergestellt in der EU<br />

ISBN 978-3-99094-212-3<br />

ISMN 979-0-50270-029-4<br />

ISSN 2960-5865


INHALTSVERZEICHNIS<br />

VORWORT . .......................................................................... VII<br />

Legende und Entstehung des Librettos (Alexandra Nigito) ......................................... VII<br />

Zur musikalischen Konzeption und Stellung des Werkes im Schaffen <strong>Caldara</strong>s samt<br />

Bemerkungen zur Besetzung und Aufführungspraxis (Alexandra Nigito) .............................. IX<br />

Antonio <strong>Caldara</strong>s Beziehungen zum Salzburger Fürsterzbischof Franz Anton Fürst Harrach und<br />

der Anlass der Widmungskomposition (Ernst Hintermaier) ....................................... XIV<br />

Die Verehrung des hl. Johannes von Nepomuk in der Erzdiözese Salzburg (Adolf Hahnl) ................ XVI<br />

Abbildungen .......................................................................... XXIV<br />

SAN GIOVANNI NEPOMUCENO. ORATORIO MELODRAMATICO SACRO . ............... 1<br />

Personen und Besetzung . .................................................................... 2<br />

Verzeichnis der Musiknummern ............................................................... 3<br />

KRITISCHER BERICHT .............................................................. 141<br />

Abkürzungsverzeichnis .................................................................... 142<br />

Quellen ............................................................................... 143<br />

Hinweise zur Notenausgabe ................................................................ 144<br />

Lesartenverzeichnis ...................................................................... 144<br />

Edition und Übersetzung des Librettos (Alexandra Nigito und Regula Hohl Trillini) .................... 149<br />

Kritische Anmerkungen zum italienischen Text (Alexandra Nigito) .................................. 158<br />

Faksimile des gedruckten Librettos . .......................................................... 159


PRÄLAT DR. JOHANNES NEPOMUK NEUHARDT,<br />

dem Apostolischem Protonotar und em. Domdechanten<br />

des Salzburger Metropolitankapitels,<br />

gewidmet von der Johann-Michael-Haydn-Gesellschaft<br />

für seine Unterstützung großer Projekte zur Musikgeschichte<br />

des Erzstiftes und Erzbistums Salzburg,<br />

wie die Wiedererrichtung der Orgeln des Salzburger Doms durch<br />

den Neubau des Orgelwerkes auf der Westempore 1988,<br />

der neuen Orgeln samt Emporen an den östlichen Kuppelpfeilern 1991<br />

und den westlichen Kuppelpfeilern 1995<br />

sowie die Restaurierung des von Erzbischof Wolf Dietrich von Raitenau<br />

erworbenen Claviorganums des Josua Pock (Innsbruck 1592)<br />

für das Salzburger Dommuseum im Jahre 1974.


VORWORT<br />

Legende und Entstehung des Librettos<br />

(Alexandra Nigito)<br />

Johannes Nepomuk oder Johannes von Pomuk (lat.: Joannes<br />

de Pomuk, tschech.: Jan Nepomucký oder Jan z Pomuka)<br />

wurde um 1350 in Pomuk bei Pilsen geboren und starb<br />

am 20. März 1393 in Prag. In Erinnerung an sein Wirken<br />

und an das damit verbundene Martyrium wird er als<br />

Schutzheiliger der Beichtväter der katholischen Kirche, insbesondere<br />

Böh mens, Österreichs und Bayerns verehrt. Als<br />

sogenannter »Brückenheiliger« wird er außerdem zum Schutz<br />

vor Überschwemmungen und vor dem Ertrinkungstod angerufen<br />

und in kunstvollen Statuen und Gemälden sowie<br />

Devotionalien innig verehrt.<br />

Seine Verehrung war besonders in Böhmen weit verbreitet,<br />

wo er als Protonotar, Sekretär (ab 1374) und Vikar (1393)<br />

des Erzbischofs von Prag wirkte. Er war Kanoniker an St.<br />

Gallus, an St. Ägidius, am Veitsdom und später Erzdiakon<br />

von Sasz. Im Jahre 1393 erlitt Johannes von Nepomuk den<br />

Märtyrertod unter König Wenzel IV. von Böhmen.1 Laut<br />

früher historischer Quellen hatte seine Ermordung politische<br />

Hintergründe, da er 1393 die Wahl des Mönches Odelenus<br />

zum Abt des Benediktinerklosters von Kladruby (Kladrau)<br />

bestätigt hatte. Dies geschah gegen den Willen des Königs,<br />

der einen Günstling an dessen Stelle einsetzen wollte.<br />

Der Konflikt steht außerdem im Zusammenhang mit<br />

Streitigkeiten zwischen dem König und der Kirche, die ihre<br />

Unabhängigkeit von der weltlichen Autorität beanspruchte.<br />

Um die Macht des Prager Erzbischofs Johann von Jenstein<br />

zu schwächen, beschloss der König, innerhalb der großen<br />

Diözese von Prag ein zweites Bistum zu schaffen. Dafür<br />

wählte er das Benediktinerkloster von Kladruby aus und ordnete<br />

an, dass nach dem Tod des greisen Abtes Racek kein<br />

Nachfolger mehr gewählt werden dürfe. Stattdessen sollte<br />

die Abtei in eine Bischofskirche umgewandelt werden.<br />

Als Abt Racek starb, wählte das Kloster jedoch Odelenus<br />

zum Nachfolger und verlangte vom Prager Erzbischof eine<br />

1 Zum Leben und zur Verehrung des Johannes Nepomuk siehe Johann<br />

Peter Kirsch, »St. John Nepomucene«, in: The Catholic Encyclopedia,<br />

hrsg. v. Charles G. Herbermann et al., 16 Bde., New York: Encyclopedia<br />

Press 1907–14, Bd. 8. (1913), S. 467–68, mit einem Querschnitt<br />

durch die hagiographischen Quellen und zusätzlicher Bibliographie.<br />

Zur Geschichte der Legende siehe Vit Vlnas, Jan Nepomucký: Česká<br />

legenda, Praha, 2. erw. Aufl., Praha, 2013 (= Historická paměť: velká<br />

řada, 23).<br />

Bestätigung, die durch dessen Vikar, Johannes Nepomuk,<br />

auch bald darauf erfolgte. König Wenzel, erzürnt über den<br />

Ungehorsam, ließ den Erzbischof und Johannes samt anderen<br />

Mitgliedern der Kirche verhaften. Der Erzbischof selbst<br />

entkam dem Tod, während Johannes mit Feuer gefoltert in<br />

der Moldau ertränkt wurde: »Schliesslich befahl der König<br />

[...] den zu Tode gequälten ehrwürdigen Doktor und Vikar<br />

Johannes, gebunden an Händen und Füßen, ein Holz in den<br />

Mund gesteckt, [...] nächtlicherweise zum Stadtfluß, Moldau<br />

genannt, zu schleppen, von der Brücke des Flusses zu stürzen<br />

und in den Fluten zu ertränken«.2 Dies sind Worte des<br />

Erzbischofs Jenstein, der sich daraufhin nach Rom begab,<br />

um die Ereignisse Papst Bonifaz IX. zu berichten. Er bat um<br />

Gerechtigkeit, blieb jedoch mit seinem Anliegen ungehört.<br />

Jensteins Bericht ist die erste Quelle, die von Johannes<br />

Nepomuks Tod berichtet. Als Ursache der Auseinandersetzungen<br />

wird der König genannt, der »wie gewohnt« die<br />

Kirche von Prag und den Erzbischof »bedrückte«. Erzbischof<br />

Jenstein wollte den Papst deshalb darum bitten, dass dieser den<br />

König zurechtweise und auffordere »von den Belästigungen,<br />

Quälereien, Beunruhigungen und dem Verschiedenen anderen<br />

Unrecht, die er aufgrund verleumderischer Hetze der<br />

Kirche von Prag zugefügt hatte [...], ablasse und daß er die<br />

Schäden und Beleidigungen wiedergutmachen lasse«.3<br />

Eine spätere Überlieferung, die um 1451 mit der Chronica<br />

regum Romanorum des Thomas Ebendorfer (1388–1464) einsetzte,<br />

begründet das Martyrium des Heiligen mit seiner<br />

Weigerung, dem König die Beichtgeheimnisse der Königin<br />

zu verraten.4 Im Jahr 1483 gab der Dekan der Kathedrale von<br />

Prag, Johannes von Krumlov, das Todesdatum mit 1383 an.<br />

Dieser Irrtum lässt sich wahrscheinlich durch eine fehlerhafte<br />

2 Johannes de Jenzenstein [von Jenstein], »Acta in curia Romana«,<br />

in: Paul de Vooght, Hussiana, hrsg. v. Publications Universitaires,<br />

Louvain, 1960 (Bibliothèque de la Revue d’Histoire Ecclésiastique,<br />

35), S. 422–41; deutsche Übersetzung in: 250 Jahre Hl. Johannes von<br />

Nepomuk. Katalog der IV. Sonderschau des Dommuseums zu Salzburg.<br />

Mai bis Oktober 1979, hrsg. v. Dommuseum, Salzburg, 1979, S. 5–8.<br />

3 Ebda., S. 5.<br />

4 Thomas Ebendorfer, Chronica Regum Romanorum, hrsg. v. Harald<br />

Zimmermann, Hahnsche Buchhandlung, Hannover, 2003 (=Monumenta<br />

Germaniae Historica: Scriptores rerum Germanicarum, N.S.,<br />

18,1), Bd. 1., S. 550: »Confessorem eciam uxoris sue Johannem in theologia<br />

magistrum, et quia dixit, hunc dignum regio nomine, qui bene<br />

regit et, ut fertur, quia sigillum confessionis violare detrectat, ipsum in<br />

Moldauia suffocari precepit«.<br />

VII


Transkription der Jahreszahl in römischen Ziffern5 erklären,<br />

könnte sich aber auch auf die letzten Regierungsjahre von<br />

Johanna von Bayern (1362–1386), Wenzels erste Gemahlin,<br />

beziehen, deren Name in den ältesten Quellen nicht erwähnt<br />

wird.6<br />

<strong>Caldara</strong>s Oratorium entstand 1726, fünf Jahre nach der<br />

Seligsprechung von Johannes Nepomuk im Jahr 1721, der<br />

1729 die Heiligsprechung folgte.7 Die Quelle, auf die sich<br />

das anonyme Libretto beruft,8 basiert auf der Legende von<br />

Johann Nepomuks Weigerung, das Beichtgeheimnis zu verletzen.<br />

Ebenso legendenhaft wird das Ende des Königs geschildert.<br />

Bedroht vom Volk, soll König Wenzel weder von<br />

seiner zweiten Frau, Sophia von Bayern (1376–1428), noch<br />

vom damaligen erzbischöflichen Kanzler Hilfe erhalten haben,<br />

und gefesselt lebendig begraben worden sein, denn<br />

»questo è il nobile fin d’ogni crudele« (Textbuch V. 411).9<br />

Der Irrtum mit den Todesjahren von Johannes Nepomuk<br />

(1383/1393) führte auch dazu, dass im Libretto die Königin mit<br />

der ersten Gemahlin König Wenzels Johanna von Bayern,<br />

anstatt mit Sophia von Bayern, identifiziert wurde.<br />

Die hagiographischen Quellen des Oratoriums werden<br />

ausführlich im Libretto von Il segreto incontaminato,<br />

aufgeführt am 20. Mai 1710 in der Kirche von Santa Maria<br />

5 Vgl. František Pubička, Unusne, an duo Ecclesiae metropolitanae Pragensis<br />

canonici Ioannes de Pomuk nomine, Wenceslai IV. Bohemiae regis<br />

iussu, de ponte Pragensi in subiectum Moldavae fluvium proturbati fuere?,<br />

hrsg. v. Hraba, Praha, 1791, S. 6.<br />

6 Ausgehend von Václav Hájek, Kronika česká (1541) verbreitete sich die<br />

Auffassung, es habe zwei verschiedene Personen gegeben, die beide Jan<br />

von Nepomuk hießen und durch Ertrinken starben: der Beichtvater<br />

1383 und der Kanonikus 1393. Es handelt sich aber sehr wahrscheinlich<br />

um dieselbe Person.<br />

7 Vom gedruckten Libretto (Johann Baptist Mayr, Salzburg, 1726),<br />

das bis vor kurzem als verschollen galt, ist ein Exemplar in der<br />

Österreichischen Nationalbibliothek erhalten geblieben. Vgl. S. 143.<br />

8 Zu weiteren Details in den Oratorien, die Johannes Nepomuk zum<br />

Thema haben, sei auf Jana Spáčilovás Artikel verwiesen: »Das Oratorio<br />

S. Giovanni Nepomoceno« von Antonio <strong>Caldara</strong> im Kontext<br />

der Nepomuk-Oratorien in den 20er Jahren des 18. Jahrhunderts«, in:<br />

Musicologica Austriaca 28 (2009), S. 145–60. Zu <strong>Caldara</strong>s Wirken in<br />

Salzburg siehe Antonio <strong>Caldara</strong> und Salzburg. Beiträge zur Musik- und<br />

Kulturgeschichte des Spätbarock, hrsg. v. Karl Harb und Albert F. Hartinger,<br />

Salzburg, 1981. Ebenso Thomas Hochradner, »Zwischen Höhepunkten«.<br />

Die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Salzburger Musikgeschichte.<br />

Vom Mittelalter bis ins 21. Jahrhundert, hrsg. v. Jürg Stenzl,<br />

Ernst Hintermaier und Gerhard Walterskirchen, Pustet, Salzburg und<br />

München, 2005, S. 228–54: 238–42; Werner Rainer, »<strong>Caldara</strong> und<br />

Salzburg«, in: Klang-Quellen. Festschrift für Ernst Hintermaier zum 65.<br />

Geburtstag. Symposionsbericht, hrsg. v. Lars E. Laubhold und Gerhard<br />

Walterskirchen, Strube Verlag, München, 2010 (=Veröffentlichungen<br />

zur Salzburger Musikgeschichte, 9), S. 52–79.<br />

9 »Das ist das edle Ende jedes Grausamen«.<br />

del Giardino in Mailand mit Musik von Antonio Negri<br />

(Negrinetto), genannt:<br />

IL SEGRETO / INCONTAMINATO / sotto il<br />

sacrosanto sigillo / della confessione, / sostenuto<br />

con la sua morte / dal venerabile servo di dio<br />

/ GIOVANNI NEPOMVCENO / canonico della<br />

catedrale di praga, / predicatore insigne, confessore,<br />

/ ed elemosiniere regio / Sotto l’Impero di<br />

wenceslao Rè della Boemia / cognominato il pigro /<br />

nell’anno 1383. / ORATORIO / melo-dramatico sacro<br />

/ Da recitarsi nella Chiesa de RR. PP. Reformati<br />

/ del Giardino / Il Giorno 20. Maggio 1710 / Posto in<br />

Musica dal Sig. Antonio Negrini, / dedicato / allo<br />

stesso / venerabile servo di dio / dalla pia intenzione<br />

/ de zelanti, e devoti alemani. / in milano,<br />

Nella Stampa di Federico Bianchi. / Con licenza de<br />

Superiori.10<br />

»Das unbefleckte Geheimnis unter dem hochheiligen<br />

Siegel der Beichte abgelegt 1383 mit seinem Tod<br />

vom ehrwürdigen Diener Gottes Johannes Nepomuk,<br />

Kanonikus der Kathedrale zu Prag, berühmter<br />

Prediger, Beichtvater und königlicher Almosenpfleger<br />

unter dem Reich von Wenzel, König von Böhmen,<br />

genannt der Faulenzer. Melodramatisch-geistliches<br />

Oratorium aufzuführen am 20. Mai 1710 in der<br />

Kirche der hochwürdigen reformierten Patres von<br />

Santa Maria del Giardino, vertont von Herrn Antonio<br />

Negrini, gewidmet dem ehrwürdigen Diener Gottes<br />

in der frommen Absicht von den eifrigen und ergebenen<br />

Alemannen. In Mailand, gedruckt von Federico<br />

Bianchi. Mit Erlaubnis der Vorgesetzten.«<br />

Im Argomento (S. 5) des Librettos zur Mailänder Aufführung<br />

von 1710 wird darauf hingewiesen, dass die Legende des<br />

hl. Johannes Nepomuk auf Jean Bolland (1596–1665) und<br />

Godefroid Henschen (1600–1665), den Verfassern der Acta<br />

Sanctorum,11 sowie auf Girolamo Bascapè mit Bezug auf seine<br />

10 Konsultiertes Exemplar: I-Vnm, Dramm. 829.48 (Sartori deest).<br />

Das Libretto enthält das Madrigal »Queste di grate rime humil tributo«<br />

(S. 4), gewidmet dem »hochwürdigen Diener Gottes St. Johannes<br />

Nepomuk« (»Al Venerabile Servo di Dio Giovanni Nepomuceno«)<br />

von den »Offizieren der kaiserlichen Majestät und der Deutschen<br />

Nation« (»Gl’Officiali di S. M. Cesarea, & la Nazione Alemanna«).<br />

11 Vgl. Bohuslav Balbín, »De B. Joanne Nepomuceno Ecclesiae Metropol.<br />

Pragensis« S. Viti Canonico Presb. Martyre Pragae et Nepomuceni in<br />

Bohemia, in: Acta Sanctorum Maii, hrsg. v. Godefroid Henschen und<br />

VIII


Efemeridi sacre,12 zurückgeht: »Delle sue gesta, vita, e miracoli,<br />

ne discorrono molti Autori, il Bolando, con molt’altri,<br />

quali descrive il medesimo, il P. Godifredo Henschenio della<br />

Compagnia di Giesù, et il P. Girolamo Bascapè; onde da sudette<br />

premesse, se n’è dedotto il presente Oratorio, che servirà<br />

d’esemplare à Confessori«.13 Ein Vergleich der Libretti<br />

zu Negris und <strong>Caldara</strong>s Kompositionen, zeigt, dass die Texte<br />

praktisch identisch sind, abgesehen von den ersetzten bzw.<br />

ausgeschiedenen Arien und kleinen textlichen Varianten (vgl.<br />

folgende Seite).<br />

Zur musikalischen Konzeption und Stellung des<br />

Werkes im Schaffen <strong>Caldara</strong>s samt Bemerkungen<br />

zur Besetzung und Aufführungspraxis<br />

(Alexandra Nigito)<br />

»Den 23. Maÿ [1726] als in der Octav hat der Bischof in<br />

Chiemsee sowohl das Hochamt als die Letanei gesungen und<br />

mit einen gesungen Oratorio zu Ehren dieses Heil.[igen] solche<br />

Octav beschlossen worden.«14<br />

Mit diesen Worten erwähnt der Fürsterzbischof von<br />

Salzburg, Franz Anton von Harrach (1665–1727), in seinem<br />

Tagebuch die Aufführung des Oratorio S. Giovanni<br />

Nepomuceno und gibt darin das Datum an, an dem es aufgeführt<br />

wurde, und zwar am Mittwoch den 23. Mai 1726, einige<br />

Tage nach der Weihe der Kapelle im Schloss Mirabell, die<br />

am 12. Mai vollzogen worden war.15 Die Oktav, also die acht<br />

Daniel Papebroch, Michael Knobbaert, Antwerpen, 1680, Bd. 3,<br />

S. 667–680; reprograph. Nachdruck: Culture et Civilisation, Bruxelles,<br />

1968.<br />

12 Vgl. »Vita del B. GIOVANNI Canonico nella metropoli di Praga, e<br />

Mart.« in: Girolamo Bascapè, Efemeridi Sacre Di Maggio. In cui giorno<br />

per giorno si registrano Le attioni de’ Santi, le Vite, de’ quali non sono state<br />

scritte Dalli Surio, Fiamma, Lipomano, Vigliega, Ribadenera, nè da altri<br />

tali Collettori. Cavate Da gli Atti de’ Santi, che si stanno unendo dal Bollando,<br />

Euschenio, Paperbrochio, e da altri della Compagnia di Giesù. Per<br />

Girolamo Bascape [sic] Milanese Prete della Congregatione dell’Oratorio<br />

di Napoli. Presentate All’Eminentiss. e Reverendiss. Sign. Card. Giacomo<br />

Cantelmi Arcivescovo di Napoli. Da offerirsi A Giesu Cristo Santo de’<br />

Santi, hrsg. v. De Bonis, Napoli, 1691, Bd. [5], S. 339–343.<br />

13 »Von seinem Leben, seinen Taten und Wundern berichten viele Autoren,<br />

darunter Boland und viele andere, wie er selber beschreibt, und<br />

zwar der Jesuitenpater Godefridus Henschenius, und Pater Girolamo<br />

Bascapè; von den obenerwähnten Voraussetzungen wurde also das<br />

vorliegende Oratorium entnommen, das den Beichtväter als Vorbild<br />

dienen wird«.<br />

14 Zitiert nach Christoph Brandhuber und Werner Rainer, »Ein Fürst<br />

führt Tagebuch. Die »Notata« des Salzburger Fürsterzbischofs Franz<br />

Anton Fürsten von Harrach (1665–1727)«, in: Salzburg Archiv 34, Salzburg,<br />

2010, S. 205–262: 237.<br />

15 Das vorgeschlagene Datum 16. Mai 1726 für die Aufführung, in: Ursula<br />

Kirkendale, Antonio <strong>Caldara</strong>: Life and Venetian-Roman Oratorios, rev.<br />

Tage nach dem eigentlichen Festtag des Heiligen Johannes<br />

von Nepomuk, die am 16. Mai begonnen hatte, wurde, gemäß<br />

dieser Notiz, feierlich mit dem Oratorium abgeschlossen.<br />

Dass der Ort der Aufführung die dem hl. Johannes von<br />

Nepomuk geweihte Schlosskapelle war, dafür sprechen das<br />

Libretto und das Tagebuch des Fürsterzbischofs, in dem er<br />

über »die von mir neu gebaute Hofkapellen in Mirabell« berichtet.<br />

Die Partitur hatte <strong>Caldara</strong> ein paar Monate davor beendet,<br />

wie man den letzten Seiten seines Manuskripts entnimmt:<br />

»Fine adì 17 Marzo 1726«.<br />

<strong>Caldara</strong>s Geburtsort Venedig und danach vor allem Rom,<br />

wo er sich zwischen 1708 und 1716 aufhielt, prägten seine<br />

Musik. In Venedig hatte er bis 1699 als Altus und Cellist an<br />

San Marco gewirkt. Damals befand sich die Musik an San<br />

Marco mit mehr als vierzig angestellten Instrumentalisten auf<br />

einem Höhepunkt. <strong>Caldara</strong> erlebte aber auch den Niedergang<br />

des Orchesters nach dem Tod von Giovanni Legrenzi<br />

(1690) und der Abschaffung der Stelle des maestro di concerti<br />

(1696).16 Als <strong>Caldara</strong> 1699 von Herzog Ferdinando Carlo<br />

Gonzaga als Hofkapellmeister nach Mantua berufen wurde,<br />

stand in seinem Anstellungsvertrag, dass er »sehr talentiert im<br />

Kontrapunkt, Singen und Tastenspiel auf unterschiedlichen<br />

Instrumenten, vor allem dem Cembalo« sei.17 Im Jahr 1708<br />

v. Warren Kirkendale, Olschki, Florenz, 2007, S. 171, basiert auf dem<br />

Festtag des Heiligen, der eben auf den 16. Mai fällt. An diesem Tag<br />

berichtet aber Fürst Harrach nur von gesungenen Litaneien: »Den 16.<br />

Maÿ umb 9 Uhr durch den Pater Vice-Rektor Cälestin Mair zu Ehren<br />

des Heiligen die Predig gehalten worden, nach dieser der H. Bischof<br />

in Chiemsee das Hochamt solenniter gesungen und nachmittag auch<br />

die Letanei verrichtet«. Vgl. Brandhuber-Rainer, Ein Fürst (wie Anm.<br />

14), S. 237. In der ersten deutschen Ausgabe von Ursula Kirkendale,<br />

Antonio <strong>Caldara</strong>. Sein Leben und seine Venezianisch-Römischen Oratorien,<br />

hrsg. v. Böhlau, Graz-Köln, 1966 (=Wiener musikwissenschaftliche<br />

Beiträge, 6), S. 130, ist nur das Datum des Kompositionsendes und<br />

der Ort Salzburg angegeben. Eine ebenda mit Fragezeichen vermutete<br />

Aufführung in Wien ist nicht nachgewiesen.<br />

16 Vgl. Eleanor Selfridge-Field, »The Viennese court orchestra in the<br />

time of <strong>Caldara</strong>«, in: Antonio <strong>Caldara</strong>: Essays on his Life and Times,<br />

hrsg. v. Brian W. Pritchard, Scolar Press, Aldershot, 1987, S. 117–151:<br />

118–119. Siehe auch Selfridge-Field, Venetian Instrumental Music from<br />

Gabrieli to Vivaldi, 3. rev. Ausg., Dover, New York, 1994, S. 19–20;<br />

San Marco. Vitalità di una tradizione. Il fondo musicale e la cappella<br />

dal Settecento ad oggi, hrsg. v. Francesco Passadore und Franco Rossi,<br />

4 Bde., Fondazione Levi, Venedig, 1994–1996 (=Edizioni Fondazione<br />

Levi, III/C/2).<br />

17 Vgl. Ursula Kirkendale, »Antonio <strong>Caldara</strong>. La vita«, in: Chigiana,<br />

26–27, N.F. 6–7 (1971), S. 223−346: 244: »Riesce così singolare in nostro<br />

concetto la molta virtù di Antonio <strong>Caldara</strong>, nella professione del<br />

contrappunto, cantar di musica e tasteggiare, oltre il cembalo diverse<br />

sorti d’istrumenti delle quali in diverse pure funzioni di camera, di<br />

chiesa e di teatro ci ha dato con piena sua lode [...]« (Archivio di Stato<br />

di Mantova, Archivio Gonzaga: Libri dei Mandati, 61). Vgl. auch Paola<br />

Besutti, La corte musicale di Ferdinando Carlo Gonzaga ultimo duca di<br />

IX


Vergleich der Libretti<br />

Mailand, 1710 Salzburg, 1726<br />

Recitativo (Ministro) »Perfida Gelosia« Recitativo (Ministro) »Perfida Gelosia«<br />

Aria (Ministro) »Rio tormento è di due cori« Aria (Ministro) »Tenga il Ciel lontan dal seno«<br />

Recitativo (Venceslao) »Mio fido, e che rapporti?« Recitativo (Wenceslao) »Mio fido, e che rapporti?«<br />

Duetto (Ministro/Venceslao) »Sfortunato?« Aria (Wenceslao »Allo splendor del Soglio«<br />

Recitativo (Giovanni) »Dal Ciel benigno, o Sire« Recitativo (Giovanni) »Dal Ciel benigno, o Sire«<br />

Aria (Venceslao)<br />

»Se per te trovar potessi«<br />

Recitativo (Giovanni) »Oh Dio! che sento mai!«<br />

Aria (Giovanni) »Godi in pace« Aria (Giovanni) »Godi in pace«<br />

Recitativo (Regina) »O quanto l’esser vostro« Recitativo (Regina) »O quanto l’esser vostro«<br />

Aria (Regina) »Da sorsi di morte« Aria (Regina) »Da fieri timori«<br />

Recitativo (Ministro) »Madamma? in apparenza« Recitativo (Ministro) »Regina? in apparenza«<br />

Aria (Ministro) »Rallegrati, che adorno« Aria (Ministro) »Rallegrati, che adorno«<br />

Recitativo (Regina) »A Divini decreti« Recitativo (Regina) »A Divini decreti«<br />

Aria (Regina) »Risento a palpiti« Aria (Regina) »Come fronda palpitante«<br />

Recitativo (Regina) »(Ma qui giunge opportuno.)« Recitativo (Regina) »(Ma qui giunge opportuno.)«<br />

Aria (Giovanni) »È la vita de’ mortali« Aria (Giovanni) »È la vita de’ mortali«<br />

Recitativo (Regina) »Viver nostro infelice«<br />

Aria (Regina)<br />

»All’invito di suono guerriero«<br />

Recitativo (Venceslao) »A un Re, che non dipende« Recitativo (Wenceslao) »A un Re, che non dipende«<br />

Aria (Venceslao) »Non vi è un no« Aria (Wenceslao) »Esangue, sì, cadrà«<br />

Recitativo (Angelo) »Giovanni, mentre al sonno« Recitativo (Angelo) »Giovanni, mentre al sonno«<br />

Aria (Angelo) »Caleran dal firmamento« Aria (Angelo) »Caleran dal firmamento«<br />

Recitativo (Giovanni) »Paraninfo Celeste…?« Recitativo (Giovanni) »Paraninfo Celeste…?«<br />

Aria (Giovanni) »Per un atomo di Cielo« Aria (Giovanni) »Chi al dolce ardente foco«<br />

Recitativo (Ministro) »Padre, t’aspetta in corte« Recitativo (Ministro) »Padre, t’aspetta in corte«<br />

Duetto (Venceslao/Giovanni) »Presto presto | Parla, di’« Duetto (Wenceslao/Giovanni) »Presto presto | Parla, di’«<br />

Recitativo (Venceslao) »Olà costui si leghi e de la spoglia« Recitativo (Wenceslao) »Olà, costui si leghi e de la spoglia«<br />

Aria (Angelo) »Rimira come vago« Aria (Angelo) »Rimira come vago«<br />

Recitativo (Giovanni) »T’inganni, o Re, se credi« Recitativo (Giovanni) »T’inganni, o Re, se credi«<br />

Aria (Venceslao) »Sì, ridi e giubila« Aria (Wenceslao) »Vedrò, crudel, vedrò«<br />

Recitativo (Venceslao) »Né ti quereli ancora…?« Recitativo (Wenceslao) »Né ti quereli ancora…?«<br />

Aria (Giovanni) »T’offro, o Dio, le pene mie« Aria (Giovanni) »T’offro, o Dio, le pene mie«<br />

Recitativo (Ministro) »Regina, v’è di male.« Recitativo (Ministro) »Regina, v’è di male.«<br />

Duetto (Regina/Ministro) »Questo è il nobile fin d’ogni crudele« Aria (Regina) »Per te non v’è più scampo«<br />

[Coro Popolo] »Pera, mora« Recitativo (Ministro) »Fuggire in van pretendi!«<br />

Recitativo (Ministro) »Fermatevi, non lice« Recitativo (Ministro) »Fermatevi! non lice«<br />

[Coro Popolo] »Pur che resti vendicato« Coro (Popolo) »Viva sì, ma viva in pene«<br />

X


gelangte <strong>Caldara</strong> nach Rom, wo er die damals noch existierenden<br />

glanzvollen Musikensembles der päpstlichen Stadt kennenlernen<br />

und Kontakte zu den besten Musikern der Zeit,<br />

wie Corelli, Pasquini, die Scarlattis, Cesarini und Händel<br />

knüpfen konnte. War in Venedig der Anziehungspunkt für<br />

das öffentliche Leben und die Aristokratie die Oper, so stand<br />

in Rom das Oratorium im Mittelpunkt und Vordergrund.<br />

Als <strong>Caldara</strong> im Jahr 1717 als Vizekapellmeister in die<br />

Dienste des kaiserlichen Hofes in Wien trat, hatte er schon<br />

eine bedeutende Karriere als Komponist vorzuweisen, hatte<br />

er sich doch mit allen damals aktuellen Gattungen auseinandergesetzt:<br />

mit Kirchen- und Instrumentalmusik, Oper und<br />

Oratorium. Für seine Tätigkeit erhielt er am Wiener Kaiserhof<br />

ein Gehalt, das sogar das des amtierenden Kapellmeisters<br />

Johann Joseph Fux übertraf. Er genoss außerdem das Privileg,<br />

nicht nur kaiserliche Aufträge zu erfüllen, sondern auch von<br />

außen an ihn herangetragenen Einladungen nachkommen zu<br />

dürfen. Unter diesen spielen für das Salzburger Musikleben<br />

jene Werke, die <strong>Caldara</strong> zwischen 1716 und 1727 für den<br />

Salzburger Fürsterzbischof Franz Anton Fürst Harrach komponierte,<br />

eine wichtige Rolle. Dazu sind auch das Oratorio S.<br />

Giovanni Nepomuceno zur Weihe der Schlosskapelle und das<br />

Oratorio Il morto redivivo, over S. Antonio, das vermutlich am<br />

Namenstag Franz Antons, dem 13. Juni 1726 aufgeführt wurde,18<br />

zu zählen.<br />

Beide Oratorien sind als autographe Partituren in einer<br />

Sammlung von insgesamt 21 autographen Partituren und<br />

neun Kopien von Oratorien <strong>Caldara</strong>s in der Bibliothek der<br />

Gesellschaft der Musikfreunde in Wien erhalten. Von den<br />

Kopien ersetzen sechs verschollene Autographe; man darf daher<br />

annehmen, dass die Kopien für Aufführungen in Salzburg<br />

dienten.19 Indizien dafür sind die Oratorien La ribellione<br />

di Assalonne (Rom 1715), Assalonne (Wien 1720), Morte e<br />

sepoltura di Christo (Wien 1724), von denen sich undatierte<br />

Libretti für Salzburg erhalten haben.20<br />

Ungewöhnlich ist die einteilige Struktur des Oratorio S.<br />

Giovanni Nepomuceno,21 indes die zweiteilige Struktur noch<br />

erkennbar ist: Im Libretto nämlich sind sieben Punkte als<br />

Trennzeichen in der Mitte des Rezitativs »Padre, t’aspetta<br />

in corte« gesetzt, und zwar vor dem Vers 269 »Giovanni?<br />

Eccomi, o Sire«. Dieselbe Struktur hat auch das Libretto von<br />

Antonio Negrinis gleichnamigem Oratorium für Mailand<br />

(1710), wo am selben Ort mehrere Punkte zwischen den zwei<br />

Rezitativ-Versen stehen. <strong>Caldara</strong> aber komponiert dieses<br />

Rezitativ durch (Nr. 23). Weder Libretti noch die Partitur<br />

weisen die Bezeichnung »Parte prima« und »Parte seconda«<br />

auf, außerdem gibt es keine zwei Chöre, die normalerweise<br />

die beiden Teile abschließen, sondern nur einen Schlusschor.<br />

Man darf also vermuten, dass das Oratorium in der Mirabell-<br />

Kapelle als eine Einheit und ohne Unterbrechung aufgeführt<br />

wurde.<br />

Die Komposition setzt sich aus fünfzehn Arien zusammen,<br />

alternierend mit Rezitativen, einer instrumentalen<br />

Introduzione, einem Duett (Nr. 21) und einem kurzen<br />

Schlusschor (Nr. 34). Die Rezitative sind alle semplici und<br />

ohne Arioso-Teile, so dass die Trennung zwischen Rezitativ<br />

und Arie sehr abrupt und klar wirkt. Nur zwei Rezitative sind<br />

anders geartet: das erste wird vom zweitaktigen Choreinsatz<br />

»Mora il tiranno, mora!« (Nr. 31) und das zweite vom etwa<br />

gleich langem Duett von Regina und Ministro und wieder<br />

vom selben Choreinsatz (Nr. 33, T. 8−12) unterbrochen.<br />

Die in Italien aufgeführten Oratorien <strong>Caldara</strong>s weisen<br />

gewöhnlich zwischen fünfzehn und siebzehn Arien in zwei<br />

Teilen auf − im längstem Oratorium Maddalena ai piedi di<br />

Cristo (Venedig 1698? und Mantua 1699) neun und im kürzesten<br />

Le gelosie d’un amore utilmente crudele (Venedig oder<br />

Mantua, ca. 1700) acht Arien.22 Die Oratorien <strong>Caldara</strong>s<br />

um 1720 hingegen enthalten meistens etwa acht Arien im<br />

ersten und sieben Arien im zweiten Teil. Das Oratorio S.<br />

Giovanni Nepomuceno mit seinen fünfzehn Arien gehört zu<br />

jenen Oratorien, die sich strukturell kaum von den Wiener<br />

Mantova: musici, cantanti e teatro d’opera tra il 1665 e il 1707, Mantua,<br />

Arcari, 1989, S. 83–84, Nr. 91.<br />

18 Vgl. Kirkendale, Antonio <strong>Caldara</strong>, S. 130–132. Die ersten Kontakte<br />

mit Fürsterzbischof Harrach reichen in das Jahr 1712 zurück, als<br />

<strong>Caldara</strong> für ihn die Kantate Quegli occhi vezzosi (D–B, Mus. ms.<br />

autogr. <strong>Caldara</strong>, A. 11), die die Anmerkung »Fine adì 23 Luglio 1712 in<br />

Salsburg« trägt, komponierte. Zahlreiche liturgische Kompositionen<br />

von <strong>Caldara</strong> sind auch im Dommusikarchiv (Archiv der Erzdiözese<br />

Salzburg) erhalten geblieben.<br />

19 Vgl. Kirkendale, Antonio <strong>Caldara</strong>, S. 110.<br />

20 Ebd. S. 121, 124; Claudio Sartori, I libretti italiani a stampa dalle origini<br />

al 1800, 7 Bde., Bertola & Locatelli, Cuneo, 1990–1994, Nr. 16095.<br />

21 Die Strukturierung in zwei Teile, die ursprünglich für vor und nach<br />

der Predigt gedacht war, wurde auch in den Palästen aufgeführten<br />

Oratorien übernommen, aber dazwischen genoss man »rinfreschi« mit<br />

erfrischenden Getränken und Süßigkeiten.<br />

22 Vgl. Kirkendale, Antonio <strong>Caldara</strong>, S. 152.<br />

XI


Oratorien um 1720 unterscheiden, außer, dass es aus einem<br />

Teil besteht.<br />

Das Instrumentarium, das im Oratorio S. Giovanni<br />

Nepomuceno verlangt wird, ist das übliche Streicherensemble<br />

mit Continuo: Violinen, Viola, Cello, Orgel oder Cembalo,<br />

sehr wahrscheinlich Kontrabass und einem Zupfinstrument,<br />

bereichert von einer Clarin-Trompete, die nur in der Arie<br />

»All'invito di suono guerrero« (Nr. 16) mitwirkt.<br />

Das Vokalensemble setzt sich aus fünf Sängern zusammen:<br />

Regina (Sopran), Angelo (Sopran), S. Giovanni (Alt),<br />

Ministro (Tenor) und Venceslao (Bass). Da der Rolle des<br />

Engels nur eine Arie zugeteilt ist, könnte diese eventuell von<br />

der Königin Regina übernommen worden sein. Der kurze,<br />

vierstimmige Coro di Popolo wurde sehr wahrscheinlich von<br />

den Akteuren selbst oder einem kleinen Vokalensemble gesungen.<br />

Das Vorwort zu <strong>Caldara</strong>s Cantata a 3 »Vo piagendo<br />

e sospirando« (Rom, 1713)23 lässt auf diese Praxis schließen:<br />

»Oltre le tre voci principali vi furono 16 altri musici per cantare<br />

il coro ultimo« (»Ausser den drei Hauptstimmen, haben<br />

andere 16 Sänger im Schlusschor mitgesungen«). Auch wenn<br />

die Hauptakteure diesen Schlusschor alleine singen könnten,<br />

würde dies in der gesamten Szene merkwürdig erscheinen,<br />

da dem »Volk« auch kleine Einsätze in den Rezitativen 31<br />

und 33 zugeteilt sind (»Tod dem Tyrannen, Tod!«) und diese<br />

sich kaum mit den gesungenen Texten der Königin und<br />

Venceslao kombinieren lassen.24<br />

Bedauerlicherweise sind keine schriftlichen Zeugnisse<br />

überliefert, die Einzelheiten über die Aufführung in der<br />

Schlosskapelle zu Mirabell berichten, so dass wir über die<br />

Anzahl der Musiker nur Vermutungen anstellen können. Die<br />

Schlosskapelle zu Mirabell ist eher klein dimensioniert und<br />

konnte dadurch keiner größeren Musikergruppe Platz bieten<br />

(vgl. Abb. 6, S. XXXVI). <strong>Caldara</strong>, dem in Rom, Venedig und<br />

Wien große Kirchenräume zur Verfügung standen, musste<br />

sich in Salzburg auf kleinere Instrumentalgruppe beschränken.<br />

Die Besetzung selbst unterschied sich allerdings kaum<br />

von den Oratorien für Wien, wenn auch die Anzahl der<br />

Musiker in der kaiserlichen Hofkapelle sicher höher war.25<br />

23 GB-Lam, Ms. 46.<br />

24 Siehe Partitur S. 130 und 136.<br />

25 Über die Wiener Hofkapelle und die angestellten Musiker vgl. u. a.<br />

Ludwig von Köchel, Die Kaiserliche Hof-Musikkappelle in Wien von<br />

1543 bis 1867. Nach urkundlichen Forschungen, Beck, Wien, 1869;<br />

Herbert Seifert, »Die Bläser der kaiserlichen Hofkapelle zur Zeit von<br />

Johann Joseph Fux«, in: Alta musica, 9 (1987), S. 9–23; ders., »Die<br />

kaiserliche Hofkapelle im 17. und 18. Jahrhundert«, in: Österreichische<br />

Musikzeitschrift 53/2 (1998), S. 17–26; Musica imperialis. 500 Jahre Hofmusikkapelle<br />

in Wien 1498–1998. Ausstellung der Musiksammlung der<br />

So zum Beispiel verwendet <strong>Caldara</strong> im Oratorium Il Batista<br />

(Wien, 1727) dieselben Instrumente, allerdings ohne Tromba.<br />

Alle Arien im Oratorio S. Giovanni Nepomuceno sind in<br />

Da-capo-Form komponiert: neun von fünfzehn Arien mit<br />

Unisoni-Violinen, Viola und Continuo (Nr. 2, 4, 6, 8, 10,<br />

14, 22, 26, 32), vier mit zwei Violinen, Viola und Continuo<br />

(Nr. 10, 20, 28, 30) und lediglich eine Arie wird von allen<br />

zur Verfügung stehenden Instrumenten samt Tromba (Nr.<br />

16) und eine weitere von Violinen und Violette unisono, die<br />

den Bass spielen und die Bassstimme begleiten (Nr. 18). Das<br />

Duett (Nr. 24) wird, wie oft in der älteren Tradition, nur<br />

von den begleitenden Continuo-Instrumenten gestützt. Den<br />

Abschluss des Oratoriums bildet ein kurzer vierstimmiger<br />

Chor von 18 Taken mit allen Streichern (Nr. 34).<br />

In diesem hier erstmals im Druck vorgelegten Oratorium<br />

für den Salzburger Hof sucht <strong>Caldara</strong> die »barocke«<br />

Vielfalt eher durch Tempowechsel, Begleitformen (wie<br />

Gesangstimmen und Violinen unisono alleine oder Gesang<br />

mit Continuo) und verschiedene Figurationen, die die Arien-<br />

Themen charakterisieren, als durch abwechslungsreiche<br />

Instrumentalfarben, die man häufig in seiner liturgischen<br />

Musik findet.26 Was auffällt ist, dass alle Arien im Oratorio S.<br />

Giovanni Nepomuceno in einem schnellen Tempo gesungen<br />

werden (Allegro, Allegro moderato, Allegretto oder Risoluto).<br />

Nur eine Arie ist im ruhigen 3/2 Takt (Nr. 30) komponiert.<br />

Der Tempo-Kontrast ergibt sich durch das alternierende<br />

Wechselspiel von freien Rezitativen und melodisch geprägten<br />

Arien.<br />

Vergleicht man dieses Oratorium mit <strong>Caldara</strong>s zwei<br />

Monate zuvor in Wien am Kaiserhof präsentiertes Oratorio<br />

Gioseffo che interpreta i sogni, so fallen einige interessante<br />

Details auf: Letzteres beginnt mit einer zweiteiligen Sinfonia<br />

(mit einem kurzen sechstaktigen Adagio-Mittelteil) und weist<br />

neun plus sieben Arien, zwei Chöre und ein Duett auf, disponiert<br />

in zwei Teile. Auch hier wie im Oratorio S. Giovanni<br />

Österreichischen Nationalbibliothek, Tutzing, Schneider 1998, Dagmar<br />

Glüxam, »Zur instrumentalen Virtuosität in der Wiener Hofkapelle<br />

zwischen 1705 und 1740«, in: Österreichische Musikzeitschrift, 56/7<br />

(2001), S. 29–39; dies., »Das Instrumentarium und der Instrumentalstil<br />

in den Wiener Opern Antonio <strong>Caldara</strong>s (1716–1736)«, in: Studien<br />

zur Musikwissenschaft, 49 (2002), S. 139–164; Die Wiener Hofmusikkapelle,<br />

hrsg. v. Hartmut Krones, Theophil Antonicek und Elisabeth<br />

Theresia Fritz-Hilscher, 3 Bde., Böhlau, Wien etc., 1998–2011. Zur<br />

Salzburger Hofkapelle vgl. Ernst Hintermaier, Die Salzburger Hofkapelle<br />

vom 1700 bis 1806. Organisation und Personal, Dissertation,<br />

Universität Salzburg 1972.<br />

26 Vgl. Eleanor Selfridge-Field, »The Viennese court orchestra in the time<br />

of <strong>Caldara</strong>«, in: Antonio <strong>Caldara</strong>: Essays on His Life and Times, hrsg. v.<br />

Brian W. Pritchard, Scolar Press, Aldershot, 1987, S. 117–151: 134.<br />

XII


Nepomuceno verwendet <strong>Caldara</strong> keine Recitiativi accompagnati,<br />

die er in diesen Jahren noch selten, meist im zweiten<br />

Teil der Komposition einsetzt. Continuo-Begleitung oder<br />

intrumentale Ritornelli treten nur als Teile von Arien auf.<br />

Gelegentlich, z. B. in der Arie »Perché l’anima si consigli« für<br />

Tenor und Continuo findet sich davor und danach ein kurzes<br />

instrumentales Ritornell, das einer älteren Schreibweise folgt.<br />

Überdies standen <strong>Caldara</strong> in Wien Instrumente wie »Scialmò«<br />

und »Salterio« zur Verfügung, die mehr Klangfarben im<br />

Oratorio Gioseffo erzeugen. In Rom waren Oratorien in<br />

der Regel mit zwei Cembali besetzt, von denen eines vom<br />

Komponisten gespielt wurde. Auch im Oratorio Gioseffo<br />

wurden sehr wahrscheinlich zwei Cembali verwendet: in der<br />

Largo-Arie »E quando mai potrò cessar« mit Chalumeaux,<br />

Streichinstrumenten und Continuo wechseln mehrmals im<br />

Continuo Angaben wie »Cembali soli«, »Tutti«, »Cemb. e<br />

Violonc. solo piano« und »Cemb., Violonc. e Contrab.«, letzteres<br />

beim Solo der Altstimme. Auch im Oratorio Il Batista<br />

wird das Cembalo erwähnt: im Recitativo accompagnato vor<br />

dem Schlusschor steht »senza Cemb.«. Im Oratorio di morte e<br />

sepoltura di Christo wird die Orgel als Begleitinstrument bevorzugt:<br />

im Continuo der Arie »Lasciami eterno amante« stehen<br />

Anmerkungen wie »Sen. fagot. e senz. Organ. li bassi suonano<br />

piano« (»ohne Fagott und ohne Orgel, die Bässe spielen<br />

piano«) und im B-Teil der Arie »Organo« oder »piano senza<br />

Organo«. Im Oratorio S. Giovanni Nepomuceno gibt es nur<br />

eine einzige Angabe zum Continuo, »Violoncelli soli piano«<br />

in der Arie »Godi in pace«, (Nr. 6, T. 23) sodass wir nicht informiert<br />

sind, ob Orgel oder Cembalo verwendet wurde.<br />

In der einteiligen Introduzione für Streicher und Continuo<br />

im Oratorio S. Giovanni Nepomuceno, sowie in anderen Arien<br />

wechseln Piano und Forte, was nicht nur dynamisch, sondern<br />

auch als Abwechslung von Solo und Tutti zu verstehen<br />

ist. Diese Tradition, die in den Partituren des 17. und<br />

18. Jahrhunderts deutlich in Erscheinung tritt, wenn an derselben<br />

Stelle eine Stimme mit »solo« und die andere »piano«<br />

bezeichnet ist, ist schon bei Giovanni Ghizzolo (nach 1580–<br />

1624) bekannt. Er schreibt im Vorwort zur Sammlung Messa,<br />

Salmi, Litanie, Op. 15 (Venedig, 1619), dass bei den Forte-<br />

Stellen der zweite Chor, der auch aus Instrumenten bestehen<br />

kann, hinzutreten soll und, wo »piano« angemerkt ist,<br />

nur der erste Chor singen soll.27 Gegen 1715 kommt dieser<br />

27 »Quarto è che li Organisti, per haver più facilità nel mettere o levare li<br />

registri, secondo il bisogno, potranno riguardare all’infrascritti segni,<br />

e primieramente dove troveranno questa parola FORTE tutta distesa,<br />

sarà inditio che entri il Secondo Choro e si facci ripieno. Ma quando<br />

troveranno la sola lettera F. sarà segno che entri il Secondo Choro, ma<br />

Stil in Wien allerdings aus der Mode, sodass in der Folge der<br />

Unterschied zwischen virtuosen Soli und einfachen Tutti immer<br />

geringer wird.28 Wie üblich, kann das Piano auch ein<br />

Echo andeuten oder dort stehen, wo der Komponist ein<br />

Piano ohne Bassfundament wünscht, in diesem Fall übernimmt<br />

dann die Viola die Bassfunktion; oder dort, wo die<br />

Instrumente die Stimme begleiten und einen Kontrast zum<br />

Forte der instrumentalen Ritornelli bilden.<br />

An Verzierungen verwendet <strong>Caldara</strong> in der autographen<br />

Partitur des Oratorio S. Giovanni Nepomuceno Triller<br />

(t) und Appoggiaturen, daneben Bogenstriche, Keile oder<br />

Punkte. Die Schreibweise ist deutlich einfacher als in seinen<br />

Opernkompositionen, wo man zum Beispiel »Wellenlinien«<br />

erst in der Semiramide in Ascalona, 1725, findet, Pizzicato-<br />

Arien im Don Chisciotte, 1727, mit der Angabe: »Stromenti<br />

pizzicati« und Arpeggiato-Stellen.29<br />

Nach 1720 reduziert <strong>Caldara</strong> generell in der Besetzung seiner<br />

Werke die Instrumentalfarben, sodass die Begleitung der<br />

Gesangsstimmen meist aus Streichern besteht, hie und da bereichert<br />

von einer Tromba oder einem Fagott. Einleitungen<br />

und Zwischenspiele werden tendenziell länger, Fugen und<br />

fugierte Einsätze machen einer melodischen und homophonen<br />

Führung der Stimmen Platz und lassen den galanten Stil<br />

erahnen.30<br />

All das findet man auch im Oratorio S. Giovanni<br />

Nepomuceno, in der Anmerkung der instrumentalen Besetzung,<br />

in den vielen Verzierungen (Appoggiaturen, Triller und<br />

Trillerketten), in den Bindebögen, rhythmischen Rückungen<br />

und punktierten Noten; moderne »Pinselstriche« die die ausklingenden<br />

barocken Stilelemente begleiten.<br />

Oratorien-Kompositionen waren in Wien ein eher konservatives<br />

Feld, in dem Kapellmeister Johann Joseph Fux<br />

seine Meisterschaft im Kontrapunkt nicht nur in seiner<br />

Instrumentalmusik, sondern auch in seinen Oratorien und<br />

Opern, in Sinfonien, Arien und Chören, gespickt mit Fugen<br />

und sogar Doppel-Fugen, raffiniert zur Geltung brachte. Als<br />

<strong>Caldara</strong>s Oratorio di Santa Ferma, das 1715 erstmal in Rom<br />

aufgeführt worden war, 1717 in Wien auf dem Spielplan stand,<br />

senza ripieno, e quando si troverà la parola PIANO sarà segno che cessi<br />

il Secondo Choro e canti solo il Primo«. in Messa, Salmi, Lettanie B. V.,<br />

Falsibordoni et Gloria Patri, concertati a cinque o nove voci, servendosi<br />

del Secondo Choro a beneplacito [...]. Il Secondo Choro può esser sonato<br />

solo con istromenti e con miglior effetto, Vincenti, Venedig, 1619. Siehe<br />

dazu Selfridge-Fields, Venetian Instrumental Music, S. 208 (Anm. 16).<br />

28 Vgl. Glüxam, Zur instrumentalen Virtuosität, S. 32–35.<br />

29 Über <strong>Caldara</strong>s Schreibweise in den Opern vgl. Glüxam, Das Instrumentarium.<br />

30 Vgl. Glüxam, Zur instrumentalen Virtuosität, S. 32–35.<br />

XIII


wurde es vom Komponisten mit Imitationen und fugierten<br />

Sätzen für dieses neue kompositorische Umfeld adaptiert.<br />

Dass <strong>Caldara</strong> neun von fünfzehn Arien in seinem<br />

Oratorio S. Giovanni Nepomuceno mit Begleitung von<br />

Unisono-Violinen besetzte, deutet weniger darauf hin, dass<br />

<strong>Caldara</strong> glaubte, keine virtuosen Soloinstrumentalisten in<br />

Salzburg zu finden31 oder die Kompositionszeit reduzieren<br />

zu können, sondern vielmehr darauf, dass er sich an das neue<br />

Stilempfinden anpasste.<br />

In den Wiener Oratorien San Gioseffo, La sepoltura di<br />

Christo und Il Batista gibt es Arien mit Unisono-Violinen,<br />

aber es hat auch der Kontrapunkt eine wichtige Stellung. Das<br />

Interesse Fürsterzbischofs Franz Anton Fürst Harrach an diesem<br />

Stil, der ihm seit seiner Wiener Zeit vertraut war, mag<br />

geschwunden sein, sodass er <strong>Caldara</strong> am Salzburger Hof die<br />

Möglichkeit bot, etwas freier zu komponieren, sich mehr dem<br />

neuen, galanten Stil zuzuwenden. Damit antwortete <strong>Caldara</strong><br />

mit der Leichtigkeit des neuen Stils auf Pietro Metastasios<br />

Vorwurf, er sei ein »insigne maestro di contrappunto ma eccessivamente<br />

trascurato nell’espressione e nella cura del dilettevole«<br />

(»berühmter Meister im Kontrapunkt, der aber zu<br />

sehr den Ausdruck und die Pflege des Vergnügens vernachlässigt<br />

hat«).32<br />

Antonio <strong>Caldara</strong>s Beziehungen zum Salzburger<br />

Fürsterzbischof Franz Anton Fürst Harrach<br />

und zum Anlass der Widmungskomposition<br />

(Ernst Hintermaier)<br />

Venedigs Niedergang und Wiens Aufstieg in der Musik, an dem<br />

auch der Salzburger Fürstenhof unter Fürsterzbischof Franz Anton<br />

Fürst Harrach in Kunst, Architektur und Musik Anteil hatte.<br />

Zwei in Venedig geborene Komponisten suchten wie<br />

viele andere italienische Musiker im 17. und Anfang des 18.<br />

Jahrhunderts ihr Glück am Kaiserhof zu Wien, wo sie sich am<br />

Hof Kaiser Karls VI. (1711–1740), dem Vater Maria Theresias,<br />

Anstellung, Gunst und Ruhm erhofften.<br />

Antonio <strong>Caldara</strong> (*1670 in Venedig; † 1736 in Wien),<br />

gelangte als Vizekapellmeister am Wiener Kaiserhof zu<br />

Ruhm und fand in der kaiserlichen Hofmusikkapelle die<br />

Krönung seiner künstlerischen Laufbahn. Antonio Vivaldi<br />

(*1678 in Venedig; † 1741 in Wien) suchte sein Glück wenige<br />

31 Vgl. ebd., S. 36.<br />

32 Vgl. Brief an Antonio Eximeno (Wien, 22. August 1776) in: Pietro<br />

Metastasio, Tutte le opere, hrsg. v. Bruno Brunelli, Mondadori,<br />

Milano, 1947–1954, Bd. 5, S. 402, Brief Nr. 2254.<br />

Jahre nach dem Tod <strong>Caldara</strong>s ebenfalls am Wiener Hof.<br />

Dieses blieb letzterem allerdings versagt, da er bereits ein Jahr<br />

nach dem Tod des Kaisers und nach seiner eigenen Ankunft<br />

in Wien verstarb und sein Grab rechts der Karlskirche, in<br />

einem ehemaligen Friedhof fand, woran heute mit einer<br />

Gedenktafel an der Technischen Universität am Karlsplatz<br />

erinnert wird.<br />

Im Gegensatz zu Vivaldi ist <strong>Caldara</strong> im Bewusstsein der<br />

Musikwelt weitgehend in Vergessenheit geraten – sowohl in<br />

Italien als auch nördlich der Alpen. Erst im 20. Jahrhundert<br />

und in letzter Zeit finden junge Ensembles von Musikern<br />

Zugang zu seiner Musik.<br />

Von seinem Vater, Kaiser Leopold I., der mit Hilfe seines<br />

militärisch überaus erfolgreichen, aber auch kunstsinnigen<br />

Feldherrn Prinz Eugen das osmanische Reich zurückgedrängt<br />

und dessen Anspruch auf Europa Einhalt geboten hatte, erbte<br />

Karl VI. seine große Liebe und Begeisterung für die musische<br />

Kunst, von seiner Mutter, Eleonore Magdalene von der<br />

Pfalz-Neuburg, eine tiefe Frömmigkeit. Karl VI. zählte zu<br />

den »komponierenden« Habsburger Herrschern und schuf,<br />

wie sein Vater und sein Bruder Joseph, Voraussetzungen für<br />

eine Hochblüte von Kunst und Wissenschaft, die zu einer<br />

nachwirkenden Weiterentwicklung unter der Regentschaft<br />

seiner Tochter führte, die im so genannten »imperialen<br />

Stil« in Architektur, darstellender Kunst und Musik zum<br />

Ausdruck kam. Zu den bedeutendsten Bauten, mit denen<br />

Karl VI. seinen Hofarchitekten Johann Bernhard Fischer<br />

von Erlach beauftragte, zählen die Hofbibliothek, deren<br />

»Prunksaal« zu den schönsten historischen Bibliotheken gehört,<br />

sowie die Karlskirche, eine kaiserliche Patronatskirche,<br />

deren Entstehung auf ein Gelöbnis zurückgeht, das Kaiser<br />

Karl VI. während der letzten großen Pestepidemie in Wien<br />

im Stephansdom am 22. Oktober 1713 geleistet hatte.<br />

Der Wiener Kaiserhof und zahlreiche diesen nachahmende<br />

und nacheifernde österreichische Adelshäuser und<br />

Klöster waren bis zur Auflösung des Römischen Reichs<br />

Deutscher Nation Drehscheibe und Träger der europäischen<br />

Musikkultur. Wien entwickelte sich neben London und Paris<br />

zu einem der wichtigsten Zentren des Kulturaustausches zwischen<br />

Nord-, Mittel-, Ost- und Südeuropa. Vor allem italienische<br />

Einflüsse führten dazu, dass italienische Musiker an<br />

mitteleuropäischen Höfen begehrt waren und bevorzugt lukrative<br />

Angebote erhielten.<br />

Antonio <strong>Caldara</strong> gehörte als Chorknabe den »Cantori« der<br />

Cappella Ducale an San Marco an und erhielt unter Giovanni<br />

Legrenzi (1626–1690), dem Vizekapellmeister und späteren<br />

Kapellmeister an San Marco, den ersten Musikunterricht.<br />

XIV


Legrenzi galt im strengen kontrapunktischen Satz als<br />

Autorität.33<br />

Seine weitere musikalische Ausbildung fand <strong>Caldara</strong><br />

bei Domenico Gabrielli (1651–1690), einem ausgezeichneten<br />

Cellisten, der selbst mit Opern und Oratorien an die<br />

Öffentlichkeit getreten ist. Er dürfte <strong>Caldara</strong> angeregt haben,<br />

sich in erster Linie der dramatischen Musik zuzuwenden.<br />

Tatsächlich entfernte sich <strong>Caldara</strong> bereits in seinen frühen<br />

Werken von Legrenzis Stil und suchte seine Vorbilder<br />

bei den »Modernen«, die, mit Claudio Monteverdi an der<br />

Spitze, Venedig neben Rom zu einem Zentrum der Musik<br />

emporsteigen ließen. In den letzten beiden Jahrzehnten<br />

des 17. Jahrhunderts lassen sich mehr als 20 Namen von<br />

Komponisten nennen, deren Werke die Spielpläne der venezianischen<br />

Opernhäuser füllten.<br />

In der Accademia ai Saloni brachte <strong>Caldara</strong> im Jahre 1689<br />

sein erstes dramatisches Werk, L`Argene (Libretto von P. E.<br />

Badi) auf die Bühne, dem zahlreiche weitere folgen sollten: in<br />

Mantua als Hofkapellmeister und anschließend in Rom, wo er<br />

bei Kardinal Pietro Ottoboni und Francesco Maria Ruspoli,<br />

Principe di Cerveteri, Anstellung fand. Beide Kunstmäzene<br />

legten in ihren aufwendigen Hofhaltungen großen Wert auf<br />

eine ausgewählte Musikpflege. Ottobonis Akademien waren<br />

Zentren und Ausgangspunkte hochbarocker Musikkultur,<br />

die sich über ganz Europa auszubreiteten begann. Sicherlich<br />

hat <strong>Caldara</strong> in den Palästen Ottobonis und Ruspolis auch<br />

Georg Friedrich Händel kennen gelernt, der sich während<br />

seines vierjährigen Italienaufenthaltes in den Jahren 1707 und<br />

1708 in Rom aufhielt.<br />

Eine Einladung nach Barcelona, wo König Karl III. von<br />

Spanien, der spätere Kaiser Karl VI., Elisabeth Christine<br />

von Braunschweig-Wolfenbüttel (1690–1750) am 7. August<br />

1708 heiratete, ist unumstritten. Ob <strong>Caldara</strong> dazu mit einer<br />

Festoper beigetragen hat, bleibt allerdings fraglich. Dennoch<br />

ist die verbürgte Anwesenheit <strong>Caldara</strong>s in Barcelona ein<br />

Zeichen von hohem Ansehen und Wertschätzung unter den<br />

Komponisten seiner Zeit.<br />

Als König Karl III. nach dem Tod seines Bruders Kaiser<br />

Joseph I. im Jahre 1711 zum Kaiser gekrönt wurde und als<br />

Karl VI. in Wien das österreichische Habsburger Erbe in<br />

Besitz nahm, sah <strong>Caldara</strong> eine Chance, zu noch größerem<br />

Ruhm zu gelangen. Über Mailand folgte <strong>Caldara</strong> dem Kaiser<br />

nach Wien. Obwohl er sich bei der Taufe einer Tochter<br />

in St. Stephan bereits als »Magister Capellae Augustissimi<br />

33 Zum Beispiel verwendete Bach für eine Fuge in c-Moll BWV 574 ein<br />

Thema Legrenzis.<br />

Imperatoris« beurkunden ließ, wurde Marc’Antonio Ziani<br />

im Januar 1712 Hofkapellmeister. Er war ebenso wie <strong>Caldara</strong><br />

erfolgreicher Opernkomponist in Venedig und Mantua und<br />

war bereits im Jahre 1700 als Vizekapellmeister unter Kaiser<br />

Leopold I. an den Wiener Hof gelangt. Ob <strong>Caldara</strong>s vorzeitige<br />

Rückreise nach Rom die Aussicht auf die Vergabe des<br />

Vizekapellmeisteramtes zunichte machte, die ein Jahr später<br />

Johann Joseph Fux übertragen wurde, muss dahingestellt<br />

bleiben. Erst durch den Tod Zianis im Jänner 1715 eröffnete<br />

sich für <strong>Caldara</strong> schließlich erneut der Weg nach Wien. Die<br />

Nachfolge Zianis blieb ihm allerdings verwehrt, da Fux bereits<br />

am 16. Februar 1715 zum Hofkapellmeister aufgerückt<br />

war. Dessen freigewordene Vizekapellmeisterstelle erhielt jedoch<br />

<strong>Caldara</strong> im Mai 1716 aufgrund eines Gutachtens, aus<br />

dem hervorgeht, das der Kaiser selbst sich über <strong>Caldara</strong> »vollständige<br />

Wissenschaft« in der Musik verschaffen konnte – sicherlich<br />

anhand der von <strong>Caldara</strong> zwischen 1713 und 1715 von<br />

Rom nach Wien übersandten Kompositionen. Obwohl »nur«<br />

Vizekapellmeister, war er der eigentliche Favorit des Kaisers<br />

in Sachen Musik. Dank der umsichtigen Administration<br />

der Hofmusikkapelle durch Fux konnte sich <strong>Caldara</strong> in erster<br />

Linie dem Komponieren widmen. Zahlreiche Festopern,<br />

kleinere Kantaten, aber auch liturgische Werke – komponiert<br />

für den engsten kaiserlichen Familienkreis und die<br />

Erfordernisse des Hofes – bestätigen, welches Ansehen<br />

<strong>Caldara</strong> am Kaiserhof besaß. Ausdruck dieser Wertschätzung<br />

sind Gehaltszahlungen in »astronomischer« Höhe – Bezüge<br />

von denen der aus der Steiermark stammende Johann Joseph<br />

Fux nur träumen konnte.<br />

<strong>Caldara</strong>s Rückreise nach Rom von seinem ersten erfolglos<br />

gebliebenen Aufenthalt in Wien führte ihn im Sommer 1712<br />

über Salzburg, wo er Fürsterzbischof Franz Anton Fürst<br />

Harrach (1709–1727) seine Aufwartung machte. Die kleine<br />

Solokantate »Quegl’occhi vezzosi«, die im Sommer 1712 in<br />

Salzburg entstanden und deren autographe Partitur datiert<br />

ist, deutet auf diesen Aufenthalt in Salzburg hin.34<br />

In den Jahren bis 1727 kam es zu weiteren Kon takten zwischen<br />

dem Salzburger Fürsterzbischof und dem Vizekapellmeister<br />

des Kaisers. Zahlreiche Kompositionsaufträge für<br />

34 D-B, Mus. ms. autogr. <strong>Caldara</strong>, A.11. Autographe Partitur, datiert<br />

23. Juli 1712. Als <strong>Caldara</strong> schließlich im Mai 1716 endgültig Rom verließ,<br />

um in Wien als Vizekapellmeister in die Dienste des Kaisers zu<br />

treten (1716/1717), dürfte seine Reise offensichtlich erneut über Salzburg<br />

geführt haben. Ein Indiz dafür könnte die Namenstagsfeier des<br />

Fürsterzbischofs am 4. Oktober 1716 gewesen sein, bei der <strong>Caldara</strong>s<br />

leider verloren gegangenes Festspiel Il Giubilo della Salza aufgeführt<br />

wurde.<br />

XV


Salzburg lassen sich durch gedruckte Libretti und autographe<br />

Partituren nachweisen.35<br />

Ein Oratorium, mit dessen Kompositionsauftrag der<br />

Salzburger Fürsterzbischof <strong>Caldara</strong> ein Jahr vor seinem Tod<br />

beauftragte, war das Oratorio S. Giovanni Nepmuceno anlässlich<br />

der Weihefeierlichkeiten der Schlosskapelle zu Mirabell<br />

(vgl. Beitrag von Adolf Hahnl), deren Weihe der Salzburger<br />

Weihbischof am 12. Mai 1726 vornahm.<br />

<strong>Caldara</strong> vollendete die Niederschrift der Komposition<br />

am 17. März 1726. Vom gedruckten Libretto konnten inzwischen<br />

zwei Exemplare nachgewiesen werden: ein erhalten gebliebenes<br />

in der Österreichischen Nationalbibliothek (Sign.<br />

29.311 - B) und ein verschollenes Libretto in der Bayerischen<br />

Staatsbibliothek München (Vgl. dazu den Krit. Bericht).<br />

Die autographe Partitur Antonio <strong>Caldara</strong>s und ein<br />

handschriftliches Libretto verwahrt heute das Archiv der<br />

Gesellschaft der Musikfreunde in Wien; sie gelangten wahrscheinlich<br />

gemeinsam aus dem Besitz des Erzbischofs von<br />

Olmütz und Kardinals Erzherzog Rudolph von Österreich<br />

(1788–1831) in den Jahren 1831 und 1835 in die Sammlungen<br />

der Gesellschaft.36<br />

In Salzburger Archiven und Bibliotheken haben sich<br />

keine musikdramatischen Werke <strong>Caldara</strong>s erhalten, weder<br />

Widmungspartituren noch Stimmenhandschriften. Hingegen<br />

blieben liturgische Werke im Bestand der Dommusik (im<br />

Archiv der Erzdiözese Salzburg) erhalten.37 Unter diesen<br />

verdient eine Vesperkomposition größere Aufmerksamkeit:<br />

Eine Vesper38, deren Magnifikat sich Johann Sebastian Bach<br />

35 In seinem Beitrag »<strong>Caldara</strong> und Salzburg«, in: Klangquellen. Festschrift<br />

für Ernst Hintermaier zum 65. Geburtstag, hrsg. v. Lars Laubhold und<br />

Gerhard Walterskirchen, Strube, München, 2010 (=Veröffentlichungen<br />

zur Salzburger Musikgeschichte, 9), S. 52–79: 68–73, hat Werner Rainer<br />

die Verbindung <strong>Caldara</strong>s mit Salzburg dokumentiert und in einem<br />

Quellenverzeichnis mit minuziösen Nachweisen jene bisher nachweisbaren<br />

vierzehn Opern und sieben Oratorien aufgelistet, die <strong>Caldara</strong><br />

für Salzburg komponierte bzw. für Aufführungen zur Verfügung<br />

gestellt hat. Damit wurde erstmals Klarheit in den oft wiedersprüchlichen<br />

Forschungen geschaffen.<br />

36 Erzherzog Rudolph von Österreich war der jüngste Sohn Kaiser<br />

Leopolds II., Schüler und großzügiger Mäzen Beethovens und Widmungsträger<br />

vieler seiner Werke, vor allem von Spätwerken.<br />

37 Vgl. Dommusikarchiv Salzburg (A–Sd) Thematischer Katalog der musikalischen<br />

Quellen der Reihe A, vorgelegt von E. Neumayr u. Lars Laubhold,<br />

Wien, Hollitzer, 2018 (=Schriftenreihe des Archivs der Erzdiözese<br />

Salzburg, 18). Neben handschriftlichen Kopien von <strong>Caldara</strong>s liturgischen<br />

bzw. geistlichen Kompositionen im Repertoire der Dommusik<br />

hat sich nur eine Stimme aus <strong>Caldara</strong>s Opus quarta, den Motetti a due,<br />

e tre voci erhalten, die in Bologna 1715 mit der Widmung an Kardinal<br />

Pietro Ottoboni dem einflussreichsten Musikmäzen seiner Zeit in<br />

Rom, erschienen sind. (RISM A-C55)<br />

38 A-Sd, A218.<br />

kopierte und daraus das »Suscepit« bearbeitete, indem er zu<br />

<strong>Caldara</strong>s a-cappella-Satz zwei obligate Violinen hinzufügte;<br />

ob nur zu Studien- oder auch zu Aufführungszwecken,<br />

ist fraglich. Da Magnifikat-Kompositionen auch in der protestantischen<br />

Liturgie einen festen Platz einnahmen, darf<br />

man auch Letzeres vermuten. Ob Bach auch andere Werke<br />

<strong>Caldara</strong>s gekannt hat, kann nur vermutet werden.<br />

Die früheste Abschrift des von Bach bearbeiteten<br />

Magnifikats samt dem zu einer Kurzvesper gehörigen Psalm<br />

»Dixit Dominus« verwahrt das Salzburger Dommusikarchiv.<br />

Beide gehören zu einem Bestand an liturgischer Musik, den<br />

<strong>Caldara</strong> der Salzburger Hofmusik in Stimmenabschriften zur<br />

Verfügung gestellt haben dürfte.39<br />

Eine Würdigung und wissenschaftliche Erfassung von<br />

<strong>Caldara</strong>s Gesamtwerk für den Salzburger Hof steht immer<br />

noch aus, sollte aber dringend in Angriff genommen werden.<br />

Die Verehrung des hl. Johannes von Nepomuk in<br />

der Erzdiözese Salzburg im 18. Jahrhundert*<br />

(Adolf Hahnl)<br />

An der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert, als sich die<br />

Verehrung des hl. Johannes von Nepomuk auch im Erzbistum<br />

Salzburg auszubreiten begann, umfasste dieses in etwa die<br />

Länder der Ostalpen. Neben den vier Suffraganbistümern<br />

(Freising, Regensburg, Passau und Brixen) gehörten die vier<br />

»Eigenbistümer« Gurk (Kärnten), Chiemsee (Oberbayern,<br />

Tirol), Seckau (Steiermark) und Lavant (Kärnten) zum<br />

Erzbistum, wobei die Bischöfe als Generalvikare des<br />

Erzbischofs große Teile des Salzburger Diözesangebietes<br />

zu verwalten hatten. Neben dem Territorium des Erzstiftes<br />

Salzburg40 mit seinen Enklaven waren dies die unter kurfürstlich-bayerischer<br />

Landeshoheit stehenden Archidiakonate<br />

Baumburg, Chiemsee, Gars/Inn und die unter kaiserlich-österreichischer<br />

Landeshoheit stehenden Archidiakonate<br />

Gmünd für Osttirol, Admont, Pöls-Judenburg, Bruck/Mur,<br />

Graz und Straßgang (alle Steiermark), Wiener Neustadt<br />

39 Eine Ausgabe in den Denkmälern der Musik in Salzburg wird vorbereitet.<br />

* Der Beitrag wurde vom Autor in redigierter Form freigegeben und erschien<br />

erstmals unter dem gleichen Titel in: 250 Jahre hl. Johannes von<br />

Nepomuk. Katalog der W. Sonderschau des Dommuseums zu Salzburg<br />

Mai bis Oktober 1979. Domkapitel, Salzburg 1979, S. 90–109.<br />

40 Das Erzstift Salzburg war jenes Territorium des Heiligen Römischen<br />

Reiches Deutscher Nation, in dem bis 1803 der jeweilige Erzbischof<br />

auch als Landesfürst regierte. Es umfasste außer dem heutigen österreichischen<br />

Bundesland Salzburg den heute obbayerischen Rupertiwinkel<br />

mit der Enklave Mühldorf/Inn sowie Gmünd und Friesach in<br />

Kärnten.<br />

XVI


(Niederösterreich) sowie Gmünd, Friesach und Tainach<br />

(Kärnten).41<br />

Das Salzburger Konsistorium, an dessen Spitze Anfang des<br />

18. Jh. Dompropst Max Ernst Graf Scherffenberg (1673 aufgeschworen,<br />

Dompropst des Salzburger Domkapitels von 1689<br />

bis 1713) stand, wurde erstmals am 25. Januar 1702, noch unter<br />

der Regierung des Fürsterzbischofs Johann Ernst Graf Thun,<br />

offiziell mit Johannes von Pomuk (Johannes Nepomuk) befasst.<br />

Der Baumburger Propst und Archidiakon42 leitete eine<br />

Bitte des Burghausener Pfarrers vom 9. November 1703 mit<br />

folgendem Inhalt an das Salzburger Konsistorium weiter:<br />

»wegen der vom allhiesigen Herrn Vicedomb [Baron Weichs]<br />

vorhabender Aufrichtung eines Altars bey der inneren Schloss<br />

Capellen allhier in honorem S. Joannis Nepomucensis [...]<br />

berichte also, dass vorbenannter Altar zwar ohne sondere difficultät<br />

[...] gesetzt werden khunnte, allein weillen hochgedachter<br />

Heyllige [...] a sede apostolica noch nit canoniziert<br />

und dieser Orthen [...] wenig bekhant gewest [erfolgt die<br />

Rückfrage]. Sonsten aber dieser Heylige in den österreichischen<br />

Landen, bevorab im Königreich Behamb [Böhmen]<br />

[...] in großer Veneration [steht], dabey ser vill Miraceln [...]<br />

erzehlt werden, deretwegen dann auch bey [...] vornehmen<br />

und schlechten43 leüthen eine große Verehrung zu beobachten<br />

ist.«44, 45 Das Salzburger Konsistorium wandte sich mit<br />

Schreiben vom 25. Januar 170246 nach Prag, und, als dieses<br />

unbeantwortet blieb, mit weiteren Briefen vom 23. September<br />

170247 und vom 1. Oktober 170348 erneut an das Prager<br />

Konsistorium. Während dieses zuständige Konsistorium der<br />

Erzdiözese Prag in Schweigen verharrte, beantwortete der<br />

Prager Erzbischof Johann Josef Graf Breuner den Salzburger<br />

41 Christian Greinz, Die fürsterzbischöfliche Kurie und das Stadtdekanat<br />

Salzburg. Salzburg, 1929, S. 10 f.; Franz Ortner, Salzburger Kirchengeschichte.<br />

Salzburg, 1988, Kartenbeilage: Die Salzburger Kirchenprovinz.<br />

42 Ebd., S. 25.<br />

43 Im Sinne von schlicht.<br />

44 Propst von Baumburg: 1703 Propst Michael Decker (Can. reg. 1688–<br />

1706), vgl. Baumburg an der Alz. Das ehemalige Augustinerchorherrnstift,<br />

hrsg. v. Walter Brugger, Anton Landersdorfer u. Christian Soika,<br />

Regensburg, Schnell und Steiner, 2007, S. 533.<br />

45 Ich folge bei meinem Zitat dem Akt 22/56 des AES und danke Frau<br />

Elisabeth Engelmann für die Beratung. Vgl. auch Philipp Harnoncourt,<br />

»Johannes Nepomuk, Patron der Diözese Seckau«, in: Hl.<br />

Dienst.-Salzburg 1962, H.1/2; Fritz Posch, »Die Anfänge der Johannes-Nepomuk-Verehrung<br />

in den Ostalpen«, in: Zur Kulturgeschichte<br />

Innerösterreichs, Selbstverlag d. hist. Vereins f. Steiermark Graz 1966,<br />

S. 62–76.<br />

46 AES, Akte 22/56, Acta Veneratio D[ivi] Joannis Nepomuceni Canonici<br />

quondam Pragensis, super Canonizatione Eiusdem â Consistorio Pragensi<br />

et Agente Romano petita informatio, S. 14.<br />

47 Ebd., S. 16.<br />

48 Ebd., S. 18.<br />

Brief am 23. November 170349 und entschuldigte sich mit der<br />

Begründung dass Salzburg einen Formfehler im Schreiben begangen<br />

hätte, und dass das Konsistorium in Prag bereits alles<br />

zur Kanonisation, Beatifikation und öffentlichen Verehrung<br />

Johannes von Nepomuk in die Wege geleitet habe. Der<br />

»Österreicher« Graf Breuner (1641–1710) hätte sich wohl nur<br />

dann zu einer sachlichen Auskunft herbeigelassen, wenn der<br />

Salzburger Erzbischof ihn persönlich unter Wahrung der<br />

unerlässlichen Formalitäten dazu gebeten hätte. Ein neuerlicher<br />

Brief des Salzburger Konsistoriums an das Prager<br />

Konsistorium vom 27. Januar 170550 wurde spät beantwortet.<br />

Er enthält im Zusammenhang mit einer kurzen Darstellung<br />

des Martyriums in der Nacht vom 20. zum 21. März 1393, das<br />

Johannes wegen des unverletzten Beichtsiegels erlitten hat,<br />

die Mitteilung, dass die Verehrung des »Divus« zunehme,<br />

dass ihm bereits Statuen (z. B. auf der Prager Karlsbrücke,<br />

1683), Altäre und Kapellen (z. B. auf dem Hradschin von<br />

Kilian Ignaz Dietzenhofer, ab 1720) errichtet werden und<br />

dass an seinem Grab und Altar im Veitsdom viele Tafeln und<br />

Votivopfer seine Verehrungswürdigkeit bezeugen.<br />

Salzburg versuchte nun über einen Mittelsmann, Georg<br />

von Firmian,51 einen positiven Bescheid zu erlangen, was<br />

vorerst misslang. Es blieb deshalb dem Konsistorium nichts<br />

anderes übrig, als den beiden Antragsstellern in Baumburg<br />

und Friesach mitzuteilen, dass aufgrund des römischen<br />

Schreibens der »Cultus Beati Joanni Nepomuceni [...] keineswegs<br />

extendiert [sei], infolglich zu dessen Ehren, außer<br />

[in] dem Königreich Böheimb und [in] anderen Kayserlichen<br />

Erbländern [...] Altaria und Statuas zu erigieren sine speciali<br />

Apostolicae Sedis Indulto nit gestattet werden kann.«52 Doch<br />

das Verbot einer Verehrung kam zu spät. Inzwischen war, so<br />

berichtete der Pfarrer von Burghausen, Baron Weichs, in einer<br />

Münchner Klosterkirche nach Bewilligung des Freisinger<br />

Fürstbischofs ein Johannes-von-Nepomuk-Altar errichtet<br />

worden und auch in Burghausen gäbe es seit kurzer Zeit<br />

Gemälde dieses Heiligen, und zwar in der Pfarrkirche, bei den<br />

Kapuzinern und in der Schlosskapelle.53 Als Beweis beigelegt<br />

ist ein »Officium de Sancto Joanne Nepomuceno« von 1704,<br />

das nach dem Wiener und dem Prager Exemplar in München<br />

49 Ebd., S. 21.<br />

50 Ebd., S 27.<br />

51 Philipp Harnoncourt vermutet einen Theologen am römischen Collegium<br />

Germanicum. Eine Verwandtschaft zum späteren Salzburger<br />

Erzbischof Leopold Eleutherius Freiherr von Firmian ist gegeben. Vgl.<br />

Anm. 45.<br />

52 AES, Akte 22/56, S. 51.<br />

53 Ebd., S. 55.<br />

XVII


nachgedruckt wurde. Es enthält Hymnus und Oration zu den<br />

kanonischen Tageszeiten (Brevier).54 Während der Pfarrer<br />

von Burghausen zugibt, er habe die Anbringung der Bilder<br />

an heiligen Orten nur erlaubt, wenn dies höheren Orts bewilligt<br />

werde, formuliert der Propst von Baumburg, dass diese<br />

Bilder »absque scandalo bey dem gemeinen Volckh nit khönten<br />

abgeschafft [...] werden.«55<br />

Am 29. Mai 1705 wurde unter dem Druck vollzogener<br />

Tatsachen vom Salzburger Konsistorium beschlossen,<br />

dass die Anbringung von Tafeln zu Ehren des Johannes<br />

von Nepomuk, nicht aber die Errichtung von Altären, toleriert<br />

werde.56 Damit wurden der Verbreitung des Kultes<br />

seitens der geistlichen Behörde dem gläubigen Volk keine<br />

Schwierigkeiten und Verbote mehr in den Weg gelegt: Das<br />

Volk wollte seinen neuen Heiligen – das Volk möge zeigen,<br />

was es zustande bringe!<br />

Dem fast blinden Fürsterzbischof Johann Ernst Graf<br />

Thun wurde unter kaiserlichem Nachdruck57 am 19. Oktober<br />

1705 – unter Umgehung des Wahlrechtes des Salzburger<br />

Domkapitels – der bisherige Bischof von Wien, Franz Anton<br />

Fürst von Harrach58 als Koadjutor des Fürsterzbischofs mit<br />

dem Recht der Nachfolge zugeteilt.<br />

Im Jahre 1710 wurde der bisherige Bischof von Laibach,<br />

Franz Ferdinand Graf Kuenburg (1710–1731) neuer Erzbischof<br />

von Prag.59<br />

Beide Kirchenfürsten waren miteinander verschwägert<br />

und kannten sich, ein Umstand, der den »Eifer« Harrachs<br />

in diesem Anliegen begreiflich macht. Das heißt, dass sich<br />

die neue Verehrung des Johannes von Nepomuk – er wurde<br />

auch als Anti-Hus tituliert – durch das Volk Böhmens und<br />

Mährens positiv für die Casa d’Austria ausgewirkt habe und<br />

daher von Wien gefördert wurde.<br />

Der Heilige galt nicht nur als Patron der Beichtenden,<br />

sondern ab 1704 auch als Standespatron der »fama periclitantium«<br />

(Ehrabschneider) an Höfen, bei Adel und Bürgertum;<br />

54 Ebd., S. 57a, vgl. Harnoncourt, Johannes Nepomuk.<br />

55 Ebd., S. 58.<br />

56 Ebd., S. 60.<br />

57 Kaiser Leopold I. starb am 1. Mai 1704. Sein Nachfolger Joseph I. (reg.<br />

1704–1711) befand sich im spanischen Erbfolge-Krieg.<br />

58 Seit 1687 Domherr von Salzburg, seit 1702 Bischof von Wien und ad<br />

personam Reichsfürst, damit ranghöchstes Mitglied des Salzburger<br />

Domkapitels. Vgl. Johannes Graf Moy, »Die Hintergründe der Fürstungen<br />

im Salzburger Domkapitel«. In: Mitteilungen der Gesellschaft<br />

für Salzburger Landeskunde 1991, S.231–259.<br />

59 Er stammte aus einer in Salzburg sesshaften Grafenfamilie. Er war<br />

Domherr von Salzburg, 1696 Domscholastikus. Sein Bruder war mit<br />

einer Gräfin Harrach vermählt. Er wird Fürsterzbischof Firmian eine<br />

kostbare Reliquie des Heiligen aus Prag übermitteln.<br />

erst später wurde er als Wasserschutzpatron verehrt, was ihn<br />

in Bayern und Österreich zum legendären »Brucken-Schani«<br />

aufsteigen ließ.<br />

In der Erzdiözese Salzburg wurden erstmals 1694 durch<br />

eine Gräfin Herberstein in Graz Statuen und Bilder des<br />

Johannes von Nepomuk angeschafft. Nach dem Tod von<br />

Fürsterzbischof Johann Ernst Graf Thun (am 21. April 1709)<br />

trat Fürsterzbischof Franz Anton Fürst Harrach die Regierung<br />

an.<br />

Erst nach der Seligsprechung von Johannes von<br />

Nepomuk, am 12. Januar 1715, gelangten zwei offizielle<br />

Schreiben an den Salzburger Bevollmächtigten am Heiligen<br />

Stuhl, Johann Baptist Wenzl, nach Salzburg, die am 16.<br />

Mai 1715 im Konsistorium behandelt wurden.60 Nach dieser<br />

Information wandte sich das Prager Metropolitankapitel<br />

am 3. Juli 1715 mit der Bitte an das Salzburger Domkapitel,<br />

es möge ihm zur Beförderung des Seligsprechungsprozesses<br />

Salzburger Unterlagen über die Verehrung des Johannes von<br />

Nepomuk zur Verfügung stellen.61<br />

Daraufhin erging am 12. Juli 1715 ein Generale unter<br />

anderen an die Bischöfe von Seckau und Lavant: »Ihre<br />

Hochfürstlichen Gnaden [...] haben auf Eines Hochwürdigen<br />

Dombkapitls zu Prag geziemendes Anlangen [...] anbefohlen,<br />

von [den jeweiligen Adressaten] wohlbegründete<br />

Information[en] [zu erhalten], ob und was für eine Andacht<br />

[...] dem Seeligen Johanni von Nepomuc erwiesen werde.62<br />

Die aufgrund dieser statistischen Erhebung für den Zeitraum<br />

von etwa drei Monaten eingelangten Antwortschreiben umfassen<br />

mehr als 200 Seiten Text.63<br />

Die ersten, die das Generale beantworteten, waren die<br />

Stadtkapläne. Sie berichten, »dass seit 5 bis 6 Jahren die<br />

Bildnus [...] fast in allen Kürchen [...] in der Statt allhier angetroffen<br />

und unter dem Schein der Heiligkeit [d. h. mit<br />

dem Heiligenkranz geziert] verehret werden, absonderlich<br />

findet man bey der vor einem Jahr [1714] [...] von weissem<br />

Märmel[stein] in lebensgresse aufgerichteten Bildnus [...]<br />

negst der Stadt Bruggen nebst zu Tag und Nacht brinnenden<br />

Oel liecht(er) [von] ungemainer Zahl [Votive] [...] unter<br />

welichen wissend ist, [...] dass einem Khindt, welches an<br />

einem Kherschen Khern ersticken wollen, wunderthetig sey<br />

60 AES, Akte 22/56., S. 72 f.<br />

61 Ebd., S. 68 f. Hier wird die für Kaiser Leopold angesprochene Pietas<br />

Austriaca zitiert.<br />

62 AES, Akte 22/56, S. 62–67.<br />

63 Ebd., S. 72 f.<br />

XVIII


geholffen worden durch anruefung und andechtige verehrung<br />

dieß Seligen [...]«64<br />

Der Salzburger Gesamtbericht65 umfasst 184 Seiten; er<br />

wurde am 6. Oktober 1719 mit Begleitschreiben66 an das<br />

Prager Konsistorium gesandt. Die Approbation des Johannesvon-Nepomuk-Festes<br />

durch die römische Ritenkongregation<br />

erfolgte am 7. Juni 1721.<br />

Dies teilte am 12. Juli der Salzburger »Minister« am Heiligen<br />

Stuhl, Johann Baptist Wenzl, dem Salzburger Ordinariat<br />

mit. Nach Aufnahme des neuen Festes ins Direktorium der<br />

Erzdiözese Salzburg forderte das Salzburger Konsistorium<br />

in einem Dekret vom 12. September 1721 alle Archidiakone<br />

auf, das Fest des seligen Johannes von Nepomuk jährlich am<br />

16. Mai »sub ritu semiduplici« zu begehen.67<br />

Nach Erreichung der römischen Anerkennung des<br />

Festes zu Ehren des selig gesprochenen Märtyrers Johannes<br />

von Nepomuk galt es nun, in seiner Erzdiözese selbst dem<br />

Ereignis adäquate und nachwirkende Impulse zu geben.<br />

Da der Fürsterzbischof seit 1713 sein Lieblingsprojekt, den<br />

Umbau des Schlosses Altenau/Mirabell zu einer standesgemäßen<br />

Sommerresidenz durch Johann Lucas von Hildebrandt<br />

(1668 – 1745) planen und durchführen ließ, lag es nahe, darin<br />

eine Stätte der Verehrung dieses Seligen zu schaffen.68 Am<br />

8. Mai 1722 war der Baufortschritt soweit gediehen, dass erstmals<br />

von einer Schlosskapelle die Rede ist, die an Stelle einer<br />

Gärtnerwohnung im platzseitigen Trakt eingerichtet werden<br />

sollte.69 Am 9. August 1725 vereinbarte man mit den damals<br />

führenden Barockmalern Bartolomeo Altomonte und Gaetano<br />

Fanti Verträge für die Freskierung des Kapellengewölbes.70<br />

Ob das Johannes-von-Nepomuk-Patrozinium für die<br />

Schlosskapelle schon von Anfang an feststand, ist fraglich;<br />

in der umfangreichen, die Arbeiten im Schloss begleitende<br />

Korrespondenz zwischen dem Bauamtsleiter Friedrich Koch<br />

und dem Architekten Hildebrandt ist keine Rede davon.<br />

64 Das erwähnte Marmorstandbild von Josef Anton Pfaffinger wurde<br />

1876 Salzach abwärts an die Gartenmauer des Mutterhauses der Barmherzigen<br />

Schwestern versetzt; zu seiner alten Lage vgl. Franz Fuhrmann:<br />

Salzburg in alten Ansichten. Die Stadt, Residenz Verlag, Salzburg,<br />

1963, Taf. 90.<br />

65 AES, Akte 22/56, S. 375–541.<br />

66 Ebd., S. 543.<br />

67 Ebd., S. 556; zur Frage der liturgischen Umsetzung siehe Harnoncourt,<br />

Johannes Nepomuk.<br />

68 Vgl. dazu den Beitrag von Adolf Hahnl, »Die Schlosskapelle zu<br />

Ehren des hl. Johannes von Nepomuk im Schloss Mirabell. Ihre Baugeschichte<br />

bis 1818«, in der vorliegenden Ausgabe S. XX.<br />

69 Vgl. Die profanen Denkmale der Stadt Salzburg, bearb. von Hans Titze.<br />

Mit archivalischen Beiträgen von Franz Martin (Österreichische Kunsttopographie<br />

Bd. XIII), S. 159–211: 171.<br />

70 Ebd., S. 185.<br />

Bei Kirchenneubauten wählte man nach damaligem Brauch<br />

gerne die Namenspatrone der Stifter: in diesem Fall die hll.<br />

Franz von Assisi und Antonius von Padua. Kaum fertig gestellt,<br />

wurde die Schlosskapelle Mirabell vom Fürsterzbischof<br />

Harrach am 12. Mai 1726 geweiht. Im »Verkündzettel« des<br />

Ordinariats wurde am 3. Sonntag nach Ostern von den<br />

Kan zeln verkündet, dass am 16. Mai »in der neugeweichten<br />

Hochfürstlichen Capellen zu Mirabell zu Ehren dieses<br />

glorwürdigen Bluetzeugen Christi Vormittags umb 9 Uhr<br />

Predig[t], alsdann ein hl. Lobamt, wie auch alle Tag durch<br />

die gantze Octav und zwar an denen Wercktägen jedesmahl<br />

umb 10 Uhr Vormittag, am Sonntag aber, welicher in diese<br />

Octav einfahlet, nach dem [...] Gottesdienst [im Dom] gegen<br />

halbe 11 Uhr ebenfals ein hl. Lobamt [gefeiert werden soll].<br />

Dann am Vorabendt und Festtag, ingleichen alle Tage durch<br />

die ganze Octav. Nachmittags jedesmahl um 5 Uhr eine Hl.<br />

Litaney mit vor und nach[her] gegebenen Seegen [...]« Auch<br />

ein vollkommener Ablass konnte bei diesem Fest unter den<br />

üblichen Bedingungen erworben werden.71<br />

Die Fertigstellung der Schlosskirche zu Mirabell dürfte<br />

so überraschend erfolgt sein, dass dieses neue Fest im<br />

Hochfürstlich Salzburgischen Kirchen- und Hof-Kalender auf<br />

das Jahr 1726 noch nicht berücksichtigt werden konnte, erst<br />

dann im folgenden Jahr 1727.<br />

Das Fest am 16. Mai 1727 war des Fürsten letzte liturgische<br />

Feier – er starb unerwartet in seinem von ihm neu<br />

gestalteten Schloss zu Mirabell am 18. Juli 1727 im Alter<br />

von 62 Jahren in den Armen seines vertrauten Hof- und<br />

Kammerzwerges Franz von Meichelböck (1695–1746). Der<br />

Leichnam wurde traditionsgemäß im Dom, sein Herz jedoch<br />

in der Schlosskapelle zu Mirabell beigesetzt. Der Vizerektor<br />

der Benediktineruniversität, P. Cölestin Mayr OSB, wies in<br />

seiner Trauerrede auf des Fürsterzbischofs Verehrung für den<br />

seligen Johannes von Nepomuk hin: »Was solle ich sagen von<br />

denen Andachts-Übungen? Ich melde [...] nichts von dem<br />

Eyfer für die Verehrung für Johannes von Nepomuk, zu welchem<br />

Ende [er] auch eine herrlich und kostbare Hof-Capellen<br />

in dem Mirabel haben erbauen lassen [...], wie eine sinnreiche<br />

Feder [...] hat angemercket: »SiLens NepoMVCenVs pro<br />

fVnDatore LoqVetVr« (Johann Nepomuk, der schweigend<br />

für den Bauherrn spricht.)72<br />

Der nächste Anlass für Feierlichkeiten war die Kanonisation<br />

des Heiligen am 19. März 1729 durch Papst Benedikt<br />

XIII. Wieder waren es die bayerischen und österreichischen<br />

71 AES, Akte 22/56, S. 569 f.<br />

72 AES, Akte 22/56, S. 574–583.<br />

XIX


Gebiete der Erzdiözese Salzburg, die den Anstoß gaben.<br />

Die Pfarren von Pöls (Steiermark) und Zeillern (Oberbayern)<br />

wandten sich ans Salzburger Konsistorium um Bewilligung<br />

von Solemnitäten und Gewährung eines Ablasses, den<br />

Rom auch am 27. Juli 1729 gewährte.73 Wie die Seligsprechung<br />

wurde auch die Heiligsprechung in der ganzen Erzdiözese<br />

mit kirchlichen Festlichkeiten begangen, der Kult des<br />

böhmischen Heiligen war nun auch im Gottesvolk der Erzdiözese<br />

Salzburg angekommen.74<br />

Zusammenfassend ist festzuhalten: Das Erzstift und Erzbistum<br />

Salzburg wurde am Ende des 17. und Anfang des 18.<br />

Jh. mit einer Johannes-von-Nepomuk-Verehrung konfrontiert,<br />

die vom gläubigen Volk getragen, im Erzstift Salzburg<br />

Fuß fassen konnte. Da die hier sesshaften Orden (Benediktiner,<br />

Franziskaner, Kapuziner, Augustiner-Eremiten und Theatiner)<br />

keine Eigeninitiative – im Gegensatz zu den bayerischen<br />

und österreichischen Jesuiten – entwickelten, kam dem<br />

erzbischöflichen Konsistorium maßgebliche Bedeutung zu.<br />

Es lag in dessen Natur eher zu reagieren als zu agieren. Während<br />

man in Prag auf der Karlsbrücke schon 1683 dem Märtyrer<br />

ein Standbild errichtete, kamen an das fürsterzbischöfliche<br />

Konsistorium erst im Jahr 1701 erste diesbezügliche Anfragen.<br />

Einen entscheidenden Impuls gab schließlich die Berufung<br />

des Wiener Bischofs und Salzburger erzbischöflichen<br />

Administrators, Franz Anton Fürst Harrach, auf den fürsterzbischöflichen<br />

Stuhl, der Lukas von Hildebrand beauftragte,<br />

in die Neugestaltung des Schlosses zu Mirabell eine Kapelle<br />

zu Ehren des hl. Johannes von Nepomuk mit einzubeziehen.<br />

Der Heilige aus Böhmen wurde 1736 zum zweiten Salzburger<br />

Diözesanpatron erhoben. In einer Salzburger Gebetsbuchhandschrift<br />

findet sich ein anonymes Gedicht, das mit<br />

innigen Worten den Grund aufzeigt, warum ihn die Salzburger<br />

verehrten:<br />

»Johannes, Du heiliger Mann, / Dich ruf ich vom Herzen<br />

an. / Ich komme zu Dir, / Erlaube mir, / Dich inniglich zu<br />

grüßen, / Dein Lob und Ehr, o mein Schutzherr, / mit Andacht<br />

aufzugießen. / Heiliger Johann, Du mein Patron, / in<br />

letzter Not mich nit verlaß. / Bitte, dass [ER] meiner schon<br />

/ und zu Gnaden kommen laß / wann die Höll [wider] mich<br />

wird wüten. / Laß Dein Beistand mich erbitten, / Daß in<br />

Gnad ich werd entseelt.75<br />

73 Ebd., S. 574–583.<br />

74 Siehe Adolf Hahnl, »Die Verehrung des hl. Johannes von Nepomuk<br />

in der Salzburger Erzdiözese im 18. Jahrhundert«, in: 250 Jahre hl.<br />

Johannes von Nepomuk. Katalog der IV. Sonderschau des Dommuseums<br />

zu Salzburg, Dommuseum, Salzburg, 1979 S. 90–109: 101–107.<br />

75 Bibliothek St. Peter, Cod. a VI 19, S. 176–178.<br />

Die Schlosskapelle zu Ehren des hl. Johannes<br />

von Nepomuk im Schloss Mirabell<br />

Ihre Baugeschichte bis 1818<br />

(Adolf Hahnl)<br />

Alle Residenzen und Schlösser der Fürsterzbischöfe von<br />

Salzburg, so auch Schloss Altenau/Mirabell in der Stadt,<br />

besaßen sakrale Räume, selbst wenn diese in ihrer ältesten<br />

Gestalt nicht erhalten blieben, sondern immer wieder umgebaut<br />

wurden. So war auch in das Schloss Altenau/Mirabell<br />

eine Kapelle integriert.<br />

Die älteste Erwähnung des Schlosses Altenau überliefert<br />

der Chronist Johann Stainhauser:76 »Umb dise Zeit [1606]<br />

auch hat der hochwürdigst(e) Fürst und Herr Herr Wolf<br />

Dietrich [von Raitenau], Erzbischove von Salzburg, Legat des<br />

Stuels zu Rhom, ain schön(e)s, groß(es), geviert(es), herrliches<br />

Gepeü, wie ain Schloß oder Vestung, mit ainem wolgezierten,<br />

von Plech gedeckten, gla(e)nzeten Thurn, und<br />

innwendig, auch aussen herumb, mit schönen Gärten von allerlai<br />

Kreutlwerch, Paumbgewächs und Früchten geziert und<br />

versehen, pauen und aufrichten lassen, – auch solchen Pau<br />

Altenauen genen(n)t77; jetzt aber ist ihme bey seinem Sucessor<br />

[Fürsterzbischof Markus Sittikus Graf Hohenems] der Name<br />

geendert worden und haißet jetztmalen Mirabella. In solchem<br />

schönnen Gepeü hat der Erzbischoff und die Seinigen<br />

&c. sich oftmallen belustiget und vilmals, sowol morgens als<br />

abents die Mahlzeiten daselbst genossen und allerlai ehrliche<br />

Freudenspill und Kurzweil darinnen getriben. Dieses herrliche,<br />

schöne Gepeu, gleich einem fürstlichen Hof, hat abermal<br />

vil tausend Gulden gestanten! Aber die Wahrheit zu bekennen,<br />

ist es ein herrlich schön fürstliches Werk und gibt<br />

gleichsamb der Statt ain sonderlichen Wolstand und Zier,<br />

stehet vor dem Pergstraßenthor.«78<br />

Während auf der Salzburger Stadtansicht von 1553 die<br />

Gegend vor dem Bergstraßentor dem heutigen sich als<br />

agra risch genutztes Gartenland, mit wenigen Häusern bebaut,<br />

darstellt,79 führt uns der Kupferstich des Philipp<br />

Harpff von 1643 das Mirabellschloss bereits gegen W, N<br />

und O eingezwängt in die Basteien und Ravelins der dritten<br />

76 Johann Stainhauser (1570–1625).<br />

77 Benannt nach seiner klandestinen Ehefrau Salome Alt von Altenau<br />

(1569–1633). Die Ehe Wolf Dietrichs mit Salome Alt war eine sogenannte<br />

»Heimliche Ehe« (lat. matrimonium clandestinum).<br />

78 Zitiert nach P. Willibald Hauthaler OSB, »Das Leben, Regierung und<br />

Wandel [...] Wolff Dietrichen[...]« In: Mitteilungen der Gesellschaft für<br />

Salzburger Landeskunde 13, Salzburg, 1873, S. 93, Nr. 168.<br />

79 Franz Fuhrmann: Salzburg in alten Ansichten. Die Stadt. 3. Aufl. Salzburg<br />

1981, Tafel 3.<br />

XX


Stadtbefestigung unter Erzbischof Paris Lodron vor Augen.80<br />

Auf dem Stich erkennt man einen viergeschossigen Bau mit<br />

fünf bzw. drei Fensterachsen, dessen ebenerdiges Vestibul<br />

von S nach N führt. Wo genau die Hauskapelle – nach kirchlicher<br />

Vorschrift sollte der Altar gegen O gerichtet sein – situiert<br />

war, ob im Piano nobile oder im Erdgeschoß, lässt sich<br />

daraus nicht erkennen. Auch jüngere Stiche, wie der von<br />

Matthäus Merian von 164481 oder das vierteilige Blatt von<br />

Philipp Harpff82 lassen keine Rückschlüsse auf eine Kapelle83<br />

zu. Die große Stadtvedute von Johann Friedrich Probst (um<br />

1705)84 zeigt die Baugestalt des Mirabellschlosses knapp vor<br />

der Umgestaltung durch Johann Lucas von Hildebrandt.85<br />

Dem um einen kleinen Lichthof entwickelten Kernbau wurde<br />

unter Fürsterzbischof Paris Graf Lodron gegen den heutigen<br />

Mirabellplatz ein größerer Hof mit Flügelbauten angefügt,<br />

dessen mittlere Toreinfahrt mit Turm und Zwiebelkuppel<br />

ausgestattet war. Die zum Platz gerichtete Fassade zeigt im<br />

Piano nobile 9 + 2 + 9 Fensterachsen, während das Erdgeschoß<br />

nur wenige Fenster aufweist und unter dem Dach ein niedriges<br />

Geschoß vorgesehen ist. Vor der Einfahrt befand sich der<br />

vom Kapitelplatz hierher transferierte Pegasusbrunnen samt<br />

Pferdeschwemme.86<br />

Der Umbau von Schloss Mirabell unter Fürsterzbischof<br />

Franz Anton Fürst Harrach durch Johann Lucas von<br />

Hildebrandt erfolgte in den Jahren von 1721 bis 1727. Da<br />

Hildebrandt damals vor allem in Wien beschäftigt war<br />

(Schloss Belvedere u. a.), kam es zum folgendem Prozedere:<br />

Das Salzburger Hofbauamt stellte nach Baufortschritt<br />

über Vermittlung des Bruders des Fürsterzbischofs,<br />

Feldmarschall Johann Josef Graf Harrach, »Erinnerungs- und<br />

80 Fürsterzbischof Paris Graf Lodron regierte nach dem Tode von<br />

Fürsterzbischof Markus Sittikus von 1619 bis 1653. Er weihte 1628 den<br />

Dom, errichtete die nach ihm benannte Universität 1622 und befestigte<br />

die Stadt mit einer umschließenden Maueranlage. Vgl. Geschichte<br />

Salzburgs, hrsg. v. Heinz Dopsch u. Hans Spatzenegger. Bd.II/1, Haas,<br />

Salzburg, 1988, S. 196–219.<br />

81 Lieselotte von Eltz-Hoffmann, Salzburger Brunnen, in: Schriftenreihe<br />

des Stadtvereines Salzburg 9, Salzburg, 1979, S. 70. Der Pegasusbrunnen<br />

befindet sich heute im Mirabellgarten.<br />

82 Die profanen Denkmale der Stadt Salzburg, bearb. v. Hans Tietze, mit<br />

archivalischen Beiträgen von Franz Martin, Österreichische Kunsttopographie<br />

(ÖKT), Bd. XIII, Schroll, Wien, 1914, S.159-211. (Hier auch<br />

eine Beschreibung der Kapelle S. 196–199 mit Abb.)<br />

83 Ebd., S. 171.<br />

84 Fuhrmann, Salzburg in alten Ansichten, Taf. 28.<br />

85 Johann Lucas von Hildebrandt, genannt Jean Luc, geb. Genua 1668,<br />

gest. Wien 1745. Seit 1700 kaiserlicher Hofingenieur, in Salzburg im<br />

Dienste des Fürsterzbischofs Franz Anton Fürst Harrach, für den er<br />

die »alte Residenz« bzw. ab 1722 das Schloss Mirabell umgestaltete.<br />

86 Eltz-Hoffmann, Salzburger Brunnen. S. 70. Der Pegasusbrunnen befindet<br />

sich heute im Mirabellgarten.<br />

Auftragspunkte« an den Architekten Johann Lucas von<br />

Hildebrandt, der sie postalisch beantwortete. Als Bauleiter<br />

fungierte Friedrich Koch, ein Beamter des Salzburger<br />

Hofbauamtes. Aus dem publizierten umfangreichen<br />

Briefverkehr87 seien hier nur jene Punkte zitiert, die die heutige<br />

Schlosskapelle zu Ehren des hl. Johannes von Nepomuk<br />

betreffen. Am 8. Mai 1722 ist erstmals vom Plan die Rede,<br />

in das Schloss eine Kapelle zu integrieren: »[...] und diweillen<br />

nun zu beobachten ist, dass des Garttners Wohnung / so<br />

man schon auf dem ersten Project gesechen / zu der Capellen<br />

genommen werdte, alß ist man der Mainung, dass gedachte<br />

Wohnung gar leicht hinter der fürstl. Gallerie, allwo auch die<br />

Einhaitz in das Pomeranzenhauß seyn mueß, gericht werden<br />

khonte […] 2ndo Anlangent den Stuccator ist [...] wegen des<br />

H: Santini [Bussi] Meldung geschechen, dieweillen aber des<br />

H: [Alberto] Camesini, sein bester Gesöll, sich auch umb dise<br />

Arbeith anmeldet [...], [man will wissen], was er [... als Lohn]<br />

begehre [...]«88<br />

Aus dieser Zeit blieb ein Riss des Architekten erhalten,<br />

der den (später vergrößerten) Laienraum der Kapelle (ohne<br />

Presbyterium) im Längsschnitt zeigt:89 Der zweigeschossige,<br />

dreifenstrige Innenraum weist korinthische Pilaster<br />

auf; die sechsteiligen hohen Fenster sind mit Fatschen eingefasst<br />

und mit einem gedrückt bogigen Giebelfeld bekrönt.<br />

Zwischen einer Wandtür und einem Fenster zwängt<br />

sich ein kleiner Seitenaltar mit hochovalem Bild über einem<br />

schmalen Blockaltar, dessen Gesprenge mit Putti<br />

besetzten Volutenbändern Tür und Fenster zu einer<br />

Gesamtkomposition umschließen. Als Dekor sind Treillagen<br />

und »Bandelwerk« dominierend, wie sie uns im Marmorsaal<br />

des Schlosses erhalten geblieben sind.<br />

Erst 1724 begann man im Ostflügel des Schlosses mit der<br />

Ausgestaltung der Kapelle, wofür der Wiener Marmorierer<br />

Balthasar Haggenmüller90 einen Vertrag am 9. August 1725<br />

mit der Hofbaumeisterei über die Marmorierung der Kapelle,<br />

samt zwei Seitenaltären abschloss. Weitere Verträge<br />

mit dem Wiener Maler Gaetano Fanti91 für die<br />

Scheinarchitekturmalerei des Gewölbes sowie mit dem Maler<br />

87 Die profanen Denkmale der Stadt Salzburg, S. 159–211. (Hier auch eine<br />

Beschreibung der Kapelle S. 196–199).<br />

88 Ebd., S. 171.<br />

89 Ebd., S. 162, Abb. 239; vgl. Bruno Grimschitz, Johann Lucas von<br />

Hildebrandt, [u.a.]: Herold, Wien, 1959, S. 108–110, Abb. 164 und 165.<br />

90 Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart,<br />

hrsg. v. Ulrich Thieme und Felix Becker, Bd. 1–37, (Nachdruck<br />

der Originalausgabe Leipzig 1907, München 1992) Bd. 15, S. 472.<br />

91 Thieme/Becker, Allgemeines Lexikon, Bd. 2, S. 255.<br />

XXI


Bartolomeo Altomonte92 über »die Koppl und das gewölb in<br />

der neu erpauten Khürchen in der hochf. Residenz Mirabell<br />

der gethanen Undterrödtung [Unterredung] gemeß, auch innerhalb<br />

[von] drey Monathen aigenhändig in fresco zu malen.«<br />

folgten.93<br />

Am 12. Mai 1726 weihte schließlich Fürsterzbischof Franz<br />

Anton die vollendete Schlosskapelle zu Ehren des seligen<br />

Johannes von Nepomuk, der 1721 selig und am 19. März 1729<br />

heiliggesprochen wurde; sein Festtag am 16. Mai wird noch<br />

heute in der Erzdiözese gefeiert.94<br />

Zwar nicht aus der Entstehungszeit des Umbaus, aber<br />

noch aus dem späten 18. Jh. vermittelt Lorenz Hübner95<br />

eine authentische Beschreibung der Kapelle, wie diese vor<br />

dem großen Stadtbrand von 1818 aussah: »Die Kapelle im<br />

Pavillon des vorderen Frontispices zur rechten Seite [vom<br />

heutigen »Marmor«-Festsaal aus gesehen] erbaute Erzbischof<br />

Franz Anton zu Ehren des heil. Johann von Nepomuk, dessen<br />

Genickbein er eigens aus Prag hieher verschrieb [...] Diese<br />

Kapelle hat eine gewölbte Decke, welche ganz mit Fresco bemahlt<br />

ist, das in der Mitte einen offenen Himmel mit Gott<br />

und allen Heiligen vorstellet. Die Decke wird von römischen<br />

Wandpilastern aus Gypsmarmor mit vergoldeten Capitälen<br />

getragen. Der Hauptaltar steht in einem Gewölbe, dessen<br />

Decke ebenfalls mit Fresco bemahlt ist, und von römischen<br />

gekuppelten Wandpilastern aus Gypsmarmor zwischen mehreren<br />

Vergoldungen und Stukkzierathen getragen wird. Das<br />

Altarblatt stellt die Gottesmutter vor, zu deren Füßen der h[eilige]<br />

Johann von Nepomuk kniet, von [Jakob] Zanusi96. Die<br />

Bauart des ganz marmornen Altargestelles ist vortrefflich; der<br />

obere Aufsatz wird von 2 freystehenden corynthischen Säulen<br />

getragen. Vier Statuen in Lebensgröße, der h[eiligen] h[erren]<br />

Bischöfe Rupert, Virgil, Amand und Martin von vergoldeter<br />

92 Brigitte Heinzl, Bartolomeo Altomonte, Herold, Wien 1964, S. 24, 57,<br />

75.<br />

93 Die profanen Denkmale der Stadt Salzburg, S.185.<br />

94 Lexikon Christlicher Ikonographie (LCI), hrsg. v. Wolfgang v. Braunfels,<br />

Bd. 7, Spalten 153-154.<br />

95 Geboren in Donauwörth 1751, gestorben München 1807. In Salzburg<br />

als Redakteur der von ihm unter Fürsterzbischof Colloredo 1784 gegründeten<br />

Salzburger Zeitung (mit Intelligenzblatt) und als Autor der<br />

Beschreibungen von Stadt und Erzstift Salzburg bekannt geworden. Vgl.<br />

Salzburger Kulturlexikon, 2. Aufl., Salzburg S. 223.<br />

96 Johann Kronbichler, Der Salzburger Hofmaler Jacob Zanusi. Ausstellungskatalog,<br />

Dommuseum. Salzburg 2001. Unter Kat. Nr. 47, S. 151,<br />

wird ein Andachtsbild dieser Thematik erwähnt (heute Besitz Mutterhaus<br />

der Barmherzigen Schwestern, Mülln), möglicherweise eine<br />

Replik des 1818 verlorenen gegangenen Hochaltarbildes. Das heutige<br />

Altarbild, den Heiligen in der Glorie darstellend, stammt von Michael<br />

Hess, einem Maler im Nazarener-Stil. (Wien 1830).<br />

Bildhauerarbeit97 stehen auf beyden Seiten des Altars. Auf<br />

den Seitenwänden der Kapelle sind 2 kleinere Altäre,98 ebenfalls<br />

von Marmor angebracht, deren Altarbilder den gekreuzigten<br />

Heiland, vor dem der heil[ige] Franziskus kniet, von<br />

Ebner,99 und den heil[igen] Joseph von Martin Altomonte100<br />

vorstellen. Auf der Seitenwand zur linken führen 2 Thüren,<br />

eine in die Sakristey, die andere in ein kleines Corridor, nach<br />

dem inneren [Schloss-]Hofe. In der Höhe sind 3 Fenster<br />

mit Oratorien. Gegenüber sind in 2 Reihen übereinander<br />

jedes Mal 3 hohe Fenster nach der Mirabellstraße [heute:<br />

-platz]. Rückwärts in der Mitte ist das prächtige Oratorium<br />

des Fürsten, mit 3 Abtheilungen und zierlichen Gittern, unter<br />

denen man das erzbischöfliche Harrachsche Wappen erblickt.<br />

Dieses Oratorium wird von 2 freistehenden römischen<br />

Säulen auf Plinthen, und 2 solchen Wandpilastern von weißem<br />

Marmor getragen. Unmittelbar unter dem fürstlichen<br />

Oratorium befindet sich ein etwas zurücktretender kleiner<br />

Musickchor, welcher sich außer dem eisernen Gitter101 befindet,<br />

womit der innere Theil der Kapelle außer der Zeit des<br />

Gottesdienstes gesperrt wird. Das [Boden-]Pflaster besteht<br />

aus roth- und weißmarmornen Rauten. Man sieht in dessen<br />

Mitte eine runde Platte mit der Aufschrift »HIC QUIESCIT<br />

PRAECLARUM COR FRANCISCI ANTONII &c102 und<br />

eine andere mit der Namensinschrift des Fürsterzbischofs<br />

Johann Ernst Graf Thun, deren beyder Herzen hier zur Ruhe<br />

gebracht sind.«103<br />

Der Wiener Kunsthistoriker Bruno Grimschitz widmet<br />

der Kapelle eine markante Beschreibung, die die Bedeutung<br />

der Schlosskapelle dokumentieren möge: »Am Beginn des<br />

Jahres 1724 begann der Ausbau der neben dem Turmvestibül<br />

liegenden Kapelle. Hildebrandt verbreiterte und verlängerte<br />

97 Stilistisch betrachtet dürften diese vom Bildhauer Joseph Anton Pfaffinger<br />

aus Laufen/Salzach, stammen, der seit 1718 in der Stadt tätig war<br />

und in Salzburg 1758 gestorben ist.<br />

98 Bei der Wiederherstellung nach 1818 entfernt; in: Die profanen Denkmale<br />

der Stadt Salzburg nicht mehr beschrieben.<br />

99 Franz Anton Ebner, geb. um 1698, gest. Salzburg 1756, Mitarbeiter<br />

von Martin Altomonte, unter Fürsterzbischof Firmian Hofmaler. Vgl.<br />

Salzburger Kulturlexikon, 2. Aufl., S. 122. Das Bild ist leider verschollen.<br />

100 Hans Aurenhammer, Martino Altomonte. Wien 1965, Abb. 42. Die<br />

Verehrung des hl. Joseph von Nazareth war im 18. Jh. im süddeutschösterreichischen<br />

Raum weit verbreitet; man sah in ihm einen Patron<br />

einer guten Sterbestunde.<br />

101 Von Hofschlosser Jakob Rumpl, Thieme/Becker, Allgemeines Lexikon,<br />

Bd. 29, S. 205.<br />

102 Hier ruht das vorzügliche Herz des Franz Anton &c.<br />

103 Lorenz Hübner, Beschreibung der hochfürsterzbischöflichen Haupt- und<br />

Residenzstadt Salzburg und ihren Gegenden [...], Bd. 1, Oberer, Salzburg,<br />

S. 391–392.<br />

XXII


im Laufe der Bauarbeiten die ursprünglich von ihm konzipierten<br />

Maße. Am 7. Dezember 1726 beendeten Bartolomeo<br />

Altomonte und Gaetano Fanti die malerische Dekoration<br />

des von einer Kuppel überdeckten Raumes [...] Nach dem<br />

Tode des Erzbischofs Franz Anton von Harrach stellte sein<br />

Nachfolger Erzbischof Leopold Anton Freiherr von Firmian<br />

am 11. November 1727 die Bauarbeiten in Mirabell ein.<br />

Das Schloß war in seiner Außenerscheinung und in seiner<br />

Innenausstattung gerade zur Vollendung gelangt; die geplanten<br />

Gärten hatten [...] nicht mehr zum Abschluß gebracht<br />

werden können.« »Eine verheerende Feuersbrunst [vom feb.<br />

Priesterseminar ausgehend] vernichtete am 30. April 1818 alle<br />

Dächer des Schlosses. Die Freskendecken des Stiegenhauses<br />

und des Marmorsaales stürzten ein, und die Kapelle wurde<br />

zerstört. [Bei der Wiederherstellung durch den klassizistischen<br />

Architekten Peter de Nobile104] [...] wurde das<br />

Mirabellschloß um einen wesentlichen Teil seiner ursprünglichen<br />

Wirkung gebracht. Die Fronten [...] erscheinen gegenwärtig<br />

nüchtern und kühl. Und auch die Innenräume: Das<br />

Stiegenhaus, der Marmorsaal und die Kapelle sind durch die<br />

Zerstörung ihrer Decken empfindlich in ihrer künstlerischen<br />

Wirkung geschädigt worden.«105<br />

Der heutige Zustand des Kapelleninnenraumes steht in<br />

Nachfolge der klassizistischen Restaurierung unter Peter de<br />

Nobile, der den stuckierten Bandelwerkdekor durch gemalten<br />

klassizistischen ersetzte. Dieser fehlt heute jedoch, sodass<br />

die Wandflächen geweißt erscheinen.106 Die jüngere<br />

Geschichte bis zur Gegenwart als altkatholische Pfarre der<br />

Stadt Salzburg wird im neuen Führer »Mirabell. Schloss- und<br />

Kapellenführer«107 ausführlich behandelt.<br />

Der heutige Zustand als altkatholischer gottesdienstlicher<br />

Raum wird von Guido Müller in seiner Arbeit über das<br />

Schloß Mirabell vermittelt.108<br />

***<br />

Unser Dank gilt der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien,<br />

in deren Sammlungen die autographe Partitur Antonio<br />

<strong>Caldara</strong>s und das handschriftliche Textbuch aus der Zeit der<br />

Entstehung des Werkes verwahrt werden.<br />

Dr. Otto Biba, dem ehemaligen Leiter der Sammlungen,<br />

und dessen Mitarbeitern, möchten wir für die Kooperation<br />

herzlich danken.<br />

Antonio Frigé für den Notensatz und Alessandro Lattanzi<br />

für die Textkorrekturen sowie Regula Hohl Trillini für die<br />

Übersetzung des gedruckten Textbuches und des italienischen<br />

Vorwortes der Bandbearbeiterin gilt unser besonderer<br />

Dank. Auch Anja Morgenstern und Iacopo Cividini gilt<br />

dieser. Bedanken möchten wir uns auch bei Lorenzo Ghielmi<br />

und Albert Hartinger, die anlässlich der Aufführung des<br />

Werkes im Cäcilien-Konzert der Salzburger Bachgesellschaft<br />

am 22. November 2014 die Anregung gaben, das vorliegende<br />

Auftragswerk <strong>Caldara</strong>s für den Salzburger Hof aus dem Jahre<br />

1726 mit einer wissenschaftlich-kritischen Erstausgabe bekannt<br />

und Musikern zugänglich zu machen.<br />

Der ehemalige Salzburger Bürgermeister Heinz Schaden,<br />

dessen Amtsräume über der Schlosskapelle lagen, hat vorliegende<br />

Edition als Erster großzügig gefördert. Ihm gilt ebenfalls<br />

unser Dank.<br />

Basel, Salzburg im Februar 2024<br />

Alexandra Nigito und Ernst Hintermaier<br />

104 Geb. 1774 in Campestro/Tessin, gest. 1854 in Wien, Klassizist, seit 1818<br />

Direktor der Architekturabt. d. Wr. Akademie, entwarf das Äußere<br />

Burgtor, Wien 1821. Vgl. Thieme-Becker, Künstlerlexikon 25, S. 493.<br />

105 Grimschitz, Hildebrandt, S. 108–110.<br />

106 Wilfried Schaber, »Peter Nobile und die Wiederherstellung von<br />

Schloß Mirabell in Salzburg«, in: Archeografo Triestino, Serie IV, Volumine<br />

LIX. Trieste, 1999, S. 195–218; dt. Fassung noch nicht erschienen.<br />

107 Mit Texten von Peter Tischler, Josef Kral und Martin Eisenbraun.<br />

Salzburg: Altkatholische Pfarrgemeinde o.J.<br />

108 Guido Müller, Mirabell in Salzburg. Ein Name in Geschichte und<br />

Gegenwart. Salzburg Studien 16. Salzburg 2017. S. 30–32.<br />

XXIII


XXIV<br />

Faksimile Seite 5 des im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien verwahrten Autographs: Titelseite mit Angabe der Personen und Stimmlagen.<br />

Vgl. Krit. Bericht, S.143.


Faksimile Seite 6 des im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien verwahrten Autographs: Introduzione, Takt 1 bis 10/1. Vgl. Krit. Bericht, S.143.<br />

XXV


XXVI<br />

Faksimile Seite 25 des im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien verwahrten Autographs: Recitativo 5 (S. Giovanni / Venceslao), T. 1 bis 17.<br />

Vgl. Krit. Bericht, S. 143.


Faksimile Seite 44 des im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien verwahrten Autographs: Aria 12 (Regina), T. 1 bis 20. Vgl. Krit. Bericht, S. 143.<br />

XXVII


XXVIII<br />

Faksimile Seite 58 des im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien verwahrten Autographs: Aria 16 (Regina), T. 1 bis 13). Vgl. Krit. Bericht, S. 143.


Faksimile Seite 1 und 2 des handschriftlichen Librettos im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien.<br />

Vgl. Krit. Bericht, S. 143.<br />

XXIX


Faksimile der Titelseite des gedruckten Librettos (Salzburg: Johann Baptist Mayr) in der Österreichischen Nationalbibliothek in<br />

Wien. Vgl. Krit. Bericht, S. 143.<br />

XXX


Abb. 1: Porträt des kaiserlichen Hofkonzertmeisters Antonio <strong>Caldara</strong> (Anonym, 18. Jh.), Bologna, Museo internazionale e<br />

biblioteca della musica<br />

XXXI


Abb. 2: Porträt des Fürsterzbischofs Franz Anton Fürst Harrach (Anonym, 18. Jh.), Archiv der Erzdiözese Salzburg,<br />

Nachlass Franz Martin<br />

XXXII


Abb. 3: Hauptfassade des Schlosses Mirabell (Églomisé, um 1735, nach dem Stich von Franz Anton Danreiter (1695–1760), Priesterhaus Salzburg, Fotografie<br />

J. Kral<br />

XXXIII


Abb. 4: Hochaltar der Schlosskapelle im Schloss Mirabell mit dem Altarbild von Johann Michael Hess (1768–1830), das nach dem<br />

Brand 1818 im Jahre 1830 das ursprüngliche Altarbild von Jakob Zanusi (1679–1742) ersetzte. Archiv der Erzdiözese Salzburg,<br />

Fotografie J. Kral<br />

XXXIV

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