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Restauro 4/2024

Präventive Konservierung

Präventive Konservierung

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MAGAZIN ZUR ERHALTUNG DES KULTURERBES<br />

04/<strong>2024</strong> PRÄVENTIVE KONSERVIERUNG


EDITORIAL<br />

3<br />

Liebe Leserin, lieber Leser,<br />

die <strong>Restauro</strong> steht für die Bewahrung von Kulturgut. In unseren krisenbehafteten<br />

und leider auch von kriegerischen Konflikten durchzogenen<br />

Zeiten, vergessen weite Teile der Gesellschaft scheinbar schnell, wie<br />

aufwändig und pausenlos an anderer Front gegen den Verfall von Kultur<br />

vorgegangen wird. Deshalb dreht sich diese Ausgabe um präventive Konservierung.<br />

Wir fokussieren uns speziell auf die Trends und Neuheiten in<br />

diesem Bereich. Den Anfang machen wir bei der Wandteppichmanufaktur<br />

De Wit in Mechelen. Dort werden mithilfe eines selbst entwickelten Reinigungssystems<br />

antike Tapisserien restauriert. Außerdem können Besucher<br />

der „Kunstkammer Gegenwart“ den Restauratoren um Franziska Klinkmüller<br />

in einer offenen Werkstatt über die Schultern blicken. In der „Kunstkammer<br />

Gegenwart“ werden hauptsächlich Werke der Sammlung Hoffmann<br />

gezeigt. Spannend: die Ausstellung bewegt sich gewissermaßen zwischen<br />

Ausstellungsraum und Depot. Wir erlauben uns zudem einen Sprung in die<br />

Vergangenheit. Für Adolf Hitlers „Führermuseum“ wurden ab 1939 unzählige<br />

Gemälde bekannter Künstler geraubt, enteignet oder unter Preis angekauft.<br />

Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs waren diese Kunstwerke auf<br />

Reisen. Wir riskieren einen Blick und klären auf. Unsere Redakteurin Julia<br />

Maria Korn sprach mit Museumsrestauratoren und Fachleuten für Schädlingsbekämpfung<br />

und geht einem schwerwiegenden Vorwurf nach. Museen<br />

sollen demnach gar nicht mehr dazu in der Lage sein, dem Bewahren<br />

von Sammlungen und Kunst nachzukommen. Zu den Aufgaben von Museen<br />

gehört bekanntlich das Ausstellen, Bewahren, Forschen, Sammeln<br />

und Vermitteln. Ob und wie gefährdet unsere Kultur in Museen wirklich<br />

ist, haben wir für Sie herausgefunden.Damit nicht genug. Wir sprachen<br />

außerdem mit Enno Steindlberger, dem Direktor des Instituts für Steinkonservierung<br />

(IFS) in Mainz und tauchen abenteuerlustig im Lenbachhaus in<br />

digitale Welten ab. Für diese <strong>Restauro</strong> haben wir wieder mit einigen der<br />

spannendsten Akteuren unserer Branche gesprochen und wir freuen uns,<br />

Ihnen so viele Neuheiten und spannende Geschichten präsentieren zu<br />

dürfen.Sie wissen es ja schon: ich freue mich immer über Anregungen,<br />

Kritik, Fragen und Ihre Gedanken zu diesem Heft.<br />

Herzlichst, Tobias Hager & Team<br />

t.hager@georg-media.de<br />

instagram: @restauromagazin


4 INHALT<br />

6<br />

Dämpfe, die der Zeit trotzen<br />

12<br />

Miniaturensammlung im<br />

Kunst Museum Winterthur<br />

18<br />

News<br />

Abtauchen in digitale Welten<br />

20<br />

Ausstellungsdesign von K. Grčić:<br />

Kunstkammer der Gegenwart<br />

S.18<br />

26<br />

Museum Basel<br />

Augen auf im Depot<br />

32<br />

News<br />

Rückkehr der Göttin<br />

36<br />

„Adopt a book“<br />

Buchpaten gesucht und gefunden<br />

42<br />

Zementkrusten auf<br />

Marmor reduzieren<br />

S.6


6 PRÄVENTIVE KONSERVIERUNG<br />

1


PRÄVENTIVE KONSERVIERUNG<br />

7<br />

1<br />

Die Wandteppichmanufaktur<br />

De Wit im<br />

belgischen Mechelen<br />

ist weltberühmt. Hier<br />

werden antike Wandteppiche<br />

aus aller Welt<br />

mit größter Sorgfalt gereinigt<br />

und restauriert<br />

Dämpfe, die der<br />

Zeit trotzen<br />

TEXT: ALEXANDRA WACH


8 PRÄVENTIVE KONSERVIERUNG<br />

Licht, Staub und Insekten sind ihr Feind: In der Königlichen Wandteppichmanufaktur<br />

De Wit in Mechelen werden antike Tapisserien restauriert, dank eines selbst entwickelten<br />

und patentierten Reinigungssystems.<br />

Bereits im frühen Mittelalter wurden mit ihnen meist kirchliche<br />

Bauwerke dekoriert. Die Motive der in Klöstern angefertigten<br />

Tapisserien waren religiös, änderten sich aber im höfischen<br />

Kontext, als die Wandteppiche auch für die adelige Schicht<br />

hergestellt wurden. Bei Staatsbesuchen und zeremoniellen<br />

Feierlichkeiten hingen die kunstvollen Wandbehänge in Innenräumen<br />

und auch an den Außenfassaden. Darüber hinaus<br />

dienten sie als Raumteiler, um eine verbesserte Akustik zu gewähren<br />

und Burgmauern vor Kälte und Windzug zu isolieren.<br />

Als Auftragsarbeiten orientierten sie sich an den Maßen der<br />

jeweiligen Räume, großformatige Tapisserien konnten gar ganze<br />

Raumfolgen ausschmücken. Lange Zeit waren sie nur den<br />

Reichen und Mächtigen vorbehalten, denn ihre Herstellung<br />

konnte schon mal mehrere Jahre veranschlagen. Immerhin ließen<br />

sich Tapisserien zusammengerollt gut transportieren und<br />

an beliebigen Orten zu Repräsentationszwecken aufhängen.<br />

Ein Vertrag zwischen Auftraggeber und Tapisseriehändler, der<br />

für die Werkstatt die Konditionen festlegte, beinhaltete Angaben<br />

über die Funktion, das Material und die Größe der Tapisserie.<br />

Der Auftraggeber wählte den Maler und legte mit diesem<br />

die Bildmotive fest. Sollten Fäden aus Seide, Gold oder Silber<br />

verwendet werden, erhöhte das den Preis. Zuerst wurde ein<br />

kleiner Entwurf auf Papier angefertigt. Dieser wurde zu einer<br />

Zeichnung vergrößert. Die Werkstätten setzten danach die Vorlage<br />

ins textile Bild um. Zu den bedeutendsten Zentren der Wirkerei<br />

gehörten im späten Mittelalter die Städte Konstanz, Basel<br />

und Straßburg. Von Brüssel bis Tournai wurden die südlichen<br />

Niederlande, die aufgrund ihrer Nähe zu England den Wollhandel<br />

kontrollierten, danach zum Hauptproduktionsgebiet. Als<br />

„Gobelins“ gelten übrigens nur Wandteppiche aus der Pariser<br />

Manufacture des Gobelins.<br />

Heute bewahrt Mechelen nördlich von Brüssel die Tradition<br />

der flämischen Tapisseriekunst. In dem Backsteinbau der Abtei<br />

Tongerlo von 1484 befindet sich die Königliche Tapisseriemanufaktur<br />

De Wit. Geleitet wird sie seit 1889 in fünfter Generation<br />

von der Familie De Wit. Der Gründer Theophiel De Wit<br />

lernte als Lehrling bei der französischen Firma Braquenié in<br />

Mechelen die Kniffe des Handwerks. Seine ersten Erfolge erlangte<br />

er durch die Anpassung an den lokalen Geschmack, der<br />

lediglich Reproduktionen oder Variationen der berühmtesten<br />

Wandteppiche der Vergangenheit verlangte. Innerhalb weniger<br />

Jahre nach der Übergabe der Verantwortung an seinen Sohn<br />

Gaspard hatte sich die Zahl der Webstühle und Mitarbeiter<br />

verdreifacht. Man beauftragte zeitgenössische Künstler mit<br />

den Motiven und überstand mit staatlicher Unterstützung die<br />

Wirtschaftskrise von 1929. Anfang der 1980er-Jahre stellte man<br />

das Konzept schließlich wegen mangelnder Nachfrage um und<br />

verlegte den Fokus auf den Handel, das Sammeln und vor allem<br />

die Techniken der Konservierung und Restaurierung historischer<br />

Stücke. Die Firma erwarb zu dieser Zeit auch die Abtei<br />

Tongerlo in der Altstadt, um dort die Werkstätten einzurichten.<br />

Inzwischen ist die Manufaktur durch die einzigartige Infrastruktur,<br />

die alle Aspekte der Behandlung antiker Wandteppiche<br />

innerhalb desselben Labors konzentriert, weltführend darin,<br />

die in die Jahre gekommenen Bilder aus Wolle und Seide zu


PRÄVENTIVE KONSERVIERUNG<br />

9<br />

erhalten. Sie spielt auch eine Vorreiterrolle bei der Entwicklung<br />

neuer Techniken. Schäden entstehen zumeist durch das Wirken<br />

von Insekten, Staub, Wasser und Licht. Auch Nägel und<br />

Schrauben hinterlassen Spuren. Dazu gesellen sich unsachgemäße<br />

frühere Reparaturen und falsche Lagerung, wenn die<br />

Stoffe etwa gefaltet statt gerollt wurden.<br />

In der Vergangenheit war es üblich, Wandteppiche in provisorischen<br />

Bädern aus Polyethylen und Kunststoffrohren zu waschen.<br />

Die Reinigung erforderte große Mengen enthärtetes<br />

und entionisiertes Wasser sowie eine ausreichende Entwässerung.<br />

Der Wandteppich wurde vollständig in das Bad eingetaucht.<br />

Außerdem war eine mechanische Einwirkung in Form<br />

eines Schwamms unerlässlich. Damit die gesamte Oberfläche<br />

des Wandteppichs die gleiche Behandlung erfuhr, wurde er auf<br />

einer Rolle im Bad gerollt. Durch das wiederholte Auf- und Abrollen<br />

war das Gewebe erheblichen Belastungen ausgesetzt.<br />

Durch die mechanische Einwirkung konnten empfindliche Fäden<br />

beschädigt werden. Der Prozess war langwierig und das<br />

Trocknen konnte zwischen 12 und 24 Stunden dauern, sodass<br />

sich potenziell flüchtige Farbstoffe ausbreiten konnten.<br />

Pierre Maes, der Sohn von Yvan Maes De Wit, leitet ein Team<br />

von 15 Restauratorinnen und Kunsthistorikern an, das sich<br />

durch Räume voller bunter Wollknäuel bewegt. Frauen in weißen<br />

Kitteln beugen sich über lange Restaurationsstühle, auf<br />

denen jahrhundertealte Wandteppiche aufgespannt sind. Sie<br />

verfügen über eine Handvoll Spulen aus feiner Wolle und Seide<br />

in unzähligen Farbtönen: Ocker, Bronzegrün, Blau und Karminrot.<br />

Sie wurden so ausgewählt, dass sie farblich in die beschädigte<br />

Weberei passen. „Unsere Arbeit besteht darin, den<br />

Stoff mit einem auf der Rückseite platzierten Leinentuch zu<br />

stabilisieren, das mit diesen Seidenfäden vernäht wird. Bei größeren<br />

Lücken versuchen wir den Wandteppich nicht identisch<br />

zu überarbeiten, sondern diese Lücken durch minimalistische<br />

Eingriffe in die Komposition zu integrieren“, sagt Pierre Maes.<br />

„Wenn wir Wandteppiche restaurieren, weben wir nicht einfach<br />

Gold oder Silber unter, nur damit es besser aussieht oder hochwertiger<br />

erscheint. Jedes Stück gibt uns die große Linie seiner<br />

Komposition selbst vor – und danach richten wir uns.“<br />

Die Manufaktur färbt die verwendeten Seiden- und Baumwollfäden<br />

mitunter in ihrem Labor selbst mit Hunderten von synthetischen<br />

Pigmenten, um die Farben der Wandteppiche zu erhalten<br />

und die Qualität zu gewährleisten. Bevor sie diese Schritte<br />

einleiten können, müssen die Stücke aber erst gereinigt werden.<br />

Die hier verwendete Aerosol-Saugreinigungsmethode<br />

hat man vor über 30 Jahren patentieren lassen. Das Saugverfahren<br />

hat sich inzwischen in der gesamten Museumswelt als<br />

Benchmark-Methode für die Reinigung antiker Stoffe etabliert.<br />

Das Waschen ist ein riskanter Schritt: Im Laufe der Jahre ist die<br />

Baumwolle oft ausgefranst, die Seide wurde unter der Wirkung<br />

von Zeit und Licht nicht selten pulverisiert. Der wissenschaftliche<br />

Ansatz, bei dem jeder Schritt sorgfältig aufgezeichnet und<br />

dokumentiert wird, hat Maßstäbe gesetzt.<br />

Das System verwendet eine Kombination aus Aerosolspray<br />

und Vakuumabsaugung. Es ist mit integrierten Sensoren zur<br />

Steuerung von pH-Wert, Temperatur, Wasserdurchfluss und<br />

Druck ausgestattet. Die Anlage besteht aus einer geschlossenen<br />

Kammer mit Glasscheiben. Die Basis bildet ein großer<br />

Saugtisch 5 x 9 Meter. An der Decke sind 45 Aerosolsprays<br />

angebracht, etwa 1,75 Meter über der Plattform. Während des<br />

Reinigungsvorgangs wird der Wandteppich durch kontinuierliches<br />

Absaugen an Ort und Stelle gehalten. Wenn das Aerosol<br />

eingeschaltet wird, füllt sich die Kammer mit Wasserdampf, der


12 AUSSTELLUNG<br />

Miniaturensammlung<br />

im Kunst Museum<br />

Winterthur<br />

TEXT: MARTIN MIERSCH<br />

Die Stadt Winterthur, im Kanton Zürich gelegen und mit rund<br />

120.000 Einwohnern die sechstgrößte der Schweiz, ist mit Museen<br />

reich gesegnet. Allein drei Häuser bilden den Verbund<br />

Kunst Museum Winterthur. Einer dieser Standorte, die Villa<br />

Flora, befindet sich seit 2022 im Umbau und ist kürzlich <strong>2024</strong><br />

wiedereröffnet worden und auch die Standorte Beim Stadthaus<br />

und Reinhart am Stadtgarten, wo sich die reichhaltigen Miniaturenschätze<br />

des Museums befinden, werden derzeit umgebaut.<br />

Für das Museum sind zwei festangestellte Gemälderestauratorinnen<br />

tätig, eine externe Restauratorin wird bei Maßnahmen im<br />

Bereich Grafik herangezogen und der renommierte Miniaturen-<br />

Restaurator Bernd Pappe kommt bei anstehenden Restaurierungen<br />

in diesem Sammlungssegment zum Einsatz.<br />

Seit 2016 ist Sonja Remensberger Kuratorin der Winterthurer<br />

Miniaturensammlung. 2022 hat sie die Ausstellung „Di passaggio“<br />

über italienische Miniaturbildnisse präsentiert und<br />

unter dem Titel „Checkmate – Spiel der Könige“ Herrscherminiaturen<br />

des Frühbarock vorgestellt. Es folgte „Garderobe<br />

– Geschichten aus dem Kleiderschrank“, eine Ausstellung, die<br />

bis zum 19.11.23 in Winterthur gezeigt wurde. Hierbei drehte<br />

sich alles um die wechselnde Frauenmode zwischen 1780 und<br />

dem frühen 19. Jahrhundert, eine Zeit großer gesellschaftlicher<br />

Umwälzungen, in der auch die herrschende Mode großen Veränderungen<br />

unterworfen war. Trugen die Damen des Rokoko<br />

noch hoch aufgetürmte Frisuren zu kostbaren Roben, so bricht<br />

sich schon wenig später die Sehnsucht nach einem ländlichen<br />

Leben in einer Inszenierung einer Aristokratin als einfache<br />

Schäferin Bahn. Das Directoire mit seiner Rückbesinnung auf<br />

die Antike setzt auf Einfachheit und antikisierende Gewänder.<br />

Demnächst wird die Miniaturensammlung an einem anderen<br />

Ort, nämlich in der klassizistischen Winterthurer Villa Lindengut,<br />

die auch als Heimatmuseum fungiert, zu sehen sein. Hier<br />

geben sich auch Heiratswillige das Ja-Wort. Vom 1. Juni bis zum<br />

17. November wird der Weg zum Trauzimmer während der<br />

Ausstellung Painted Love gesäumt sein von Preziosen, die die<br />

Liebe versinnbildlichen.<br />

„Porträtminiaturen sind das Resultat von Beziehungen“, erklärt<br />

Kuratorin Remensberger, „sie stellen bisweilen selbst Verbindung<br />

her oder sind Pfand für die Abwesenheit einer geliebten<br />

Person. In der Heiratspolitik von Königshäusern und Adel<br />

wurden Porträts ausgetauscht, und nicht selten konterfeite ein<br />

Maler, an einen fremden Hof gesandt, eine in Frage kommende


AUSSTELLUNG<br />

13<br />

1<br />

1<br />

Sophie Adélaïde Louise<br />

Naville, née Boissier<br />

(1792-1820) im Profil<br />

um 1807, Aquarell und<br />

Gouache auf Elfenbein


20 KULTURGUT BEWAHREN<br />

1


KULTURGUT BEWAHREN<br />

21<br />

1<br />

Die Skulptur „Of Whales<br />

in Paint; in Teeth; in<br />

Wood; in Sheet Iron; in<br />

Stone; in Mountains; in<br />

Stars“ von Frank Stella<br />

schmückt die Englische<br />

Treppe<br />

2<br />

Umgang mit Kunst live<br />

erleben: Die SKD hat<br />

in der Kunstkammer<br />

Gegenwart auch eine<br />

Schauwerkstatt<br />

eingerichtet<br />

„Kunstkammer<br />

der Gegenwart“<br />

TEXT: DR. INGE PETT<br />

2


22 KULTURGUT BEWAHREN<br />

Modular und flexibel: Für die barocke Fürstengalerie im Dresdner Residenzschloss schuf<br />

der Designer Konstantin Grčić eine industriell anmutende Ausstellungsarchitektur. Die<br />

„Kunstkammer Gegenwart“, die überwiegend Werke der Sammlung Hoffmann zeigt, bewegt<br />

sich zwischen Ausstellungsraum und Depot. Dabei gibt sie auch Einblick in die<br />

Arbeit der Restauratoren: In einer offenen Werkstatt können die Besucher Franziska<br />

Klinkmüller und ihren Kollegen über die Schulter schauen.<br />

Als die Sammlung Hoffmann 2018 als Schenkung an die Staatlichen<br />

Kunstsammlungen Dresden (SKD) ging, war die Freude<br />

groß. Immerhin umfasst das Konvolut 1.200 Werke von den<br />

1910er-Jahren bis in die Gegenwart, darunter Namen wie Rebecca<br />

Horn, Sigmar Polke oder Jean-Michel Basquiat.<br />

Doch an die Schenkung war auch die Bedingung gebunden,<br />

auf einen zentralen Museumsneubau zu verzichten. „Erika<br />

Hoffmann wollte eine Dynamik, ein dezentrales Modell, sie<br />

wollte, dass die Menschen in Kontakt kommen mit internationaler<br />

Gegenwartskunst und darüber auch Inspiration für ihr Leben<br />

bekommen“, erklärt Marion Ackermann, Generaldirektorin<br />

der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.<br />

Im Austausch mit der Sammlerin Erika Hoffmann entstand die<br />

Idee, in der ehemaligen Fürstengalerie des Residenzschlosses<br />

eine „Kunstkammer Gegenwart“ zu errichten. Für die Ausstellungsarchitektur<br />

des 30 Meter langen, schmalen Raums konnte<br />

die Stiftung den renommierten Designer Konstantin Grčić gewinnen.<br />

Um der Sammlung einen Depotcharakter zu verleihen,<br />

setzte der Inhaber des Studio Konstantin Grcic Industrial Design<br />

auf Industrieelemente: „In einem Depot geht es nicht um<br />

Schönheit, sondern um Effizienz, das muss sich abbilden“.<br />

Flexibel und konsequent minimalistisch<br />

Dabei tastete Grcic die existierende Architektur nicht an. Vor<br />

eine mit roter Seide bespannte Wand setzte er eine vorgesetzte<br />

vertikale Zeile, die Kunstwerke unterschiedlichen Formats und<br />

Gewichts tragen kann: „Ein sehr flexibles System, aus dem man<br />

sich wie aus einem Baukasten immer wieder bedienen kann. Wir<br />

schaffen unseren eigenen Materialkreislauf, eine Art Teilelager.“<br />

Die Farbe etabliere eine „Art Default-Modus“, neutralisiere das<br />

Rot der Wand, bilde aber auch für die Kunst einen objektiven<br />

Hintergrund. Die schwarzen, „eher herrschaftlichen“ Schieferplatten<br />

der Fürstengalerie sind nun von schwarzem Industriegummiboden<br />

bedeckt. Mit sei derartigem Minimalismus sei der<br />

Entwurf „logisch, pragmatisch, kompromisslos“, so der Designer.<br />

„Ästhetisch ist es ein Bruch“, bekennt Marion Ackermann,<br />

„aber das ist erstmal gut, denn Brüche sensibilisieren die Menschen“.<br />

Konstantin Grčić, akzentuiert es auf seine Weise. Ihm<br />

gehe es weniger darum, per se den Bruch mit dem Geist des<br />

Barocks zu inszenieren, als das Konzept der Wunderkammer in<br />

die Jetztzeit zu transformieren.<br />

Update für ein barockes Konzept<br />

Die historischen Kunstkammern der Spätrenaissance und des<br />

Barocks trugen eine Vielfalt an Objekten unterschiedlicher Herkunft<br />

und Bestimmung an einem Ort zusammen. Die Kunstkammer<br />

der Gegenwart hingegen, die im Dezember vergangenen<br />

Jahres eröffnete, gleicht Grčić zufolge eher einem Schaufenster,<br />

das den Blick in eine viel größere Sammlung freigibt.


KULTURGUT BEWAHREN<br />

23<br />

3<br />

3<br />

Der Designer Konstantin<br />

Grčić hat die<br />

existierende Architektur<br />

bewusst nicht verändert<br />

Alle drei Monate werden die Werke ausgetauscht und treten in<br />

Dialog mit Arbeiten aus anderen Sammlungen der SKD. In diesem<br />

Jahr lautet das Leitthema „Speichern, Erinnern, Verwandeln“.<br />

Entsprechende Leitfragen sind zum Beispiel „Was wird in<br />

Museen gespeichert?“ oder „Wie funktionieren Kunstwerke als<br />

Gedächtnis, als Behältnisse für das Flüchtige?“.<br />

Um die Besucher für die Besonderheiten im Umgang mit den<br />

fragilen oder ephemeren Materialien zeitgenössischer Kunst<br />

zu sensibilisieren, hat die SKD in der Kunstkammer Gegenwart<br />

eine Schauwerkstatt eingerichtet.<br />

Restaurierung als Live-Erlebnis<br />

Dass Restauratoren vor den Augen des Publikums arbeiten,<br />

ist kein Novum. Internationale Beachtung erweckte die sogenannte<br />

Operation Nachtwache im Rijksmuseum in Amsterdam.<br />

Vor den Augen des Publikums startete dort 2022 die<br />

Forschung und Restaurierung von Rembrandts Werk in einer<br />

gläsernen Kammer.<br />

„Neu ist vielmehr, dass wir diese Öffentlichkeit ganz bewusst<br />

suchen und für die Vermittlung konservatorischer Aspekte


60 INTERVIEW<br />

Denkmalschutz<br />

mit Ziegen<br />

Ein Gespräch mit Enno Steindlberger, Direktor des Instituts<br />

für Steinkonservierung (IFS) in Mainz<br />

TEXT: UTA BAIER<br />

Das Institut für Steinkonservierung arbeitet<br />

seit 1990 für die Denkmalämter von<br />

Hessen, Rheinland-Pfalz, des Saarlands<br />

und seit 1993 auch für das Thüringer<br />

Denkmalamt. Was bringt die bundesländerübergreifende<br />

Zusammenarbeit?<br />

Enno Steindlberger: Es gibt in Deutschland<br />

verschiedene Modelle der naturwissenschaftlichen<br />

Beratung für die Denkmalämter.<br />

Drei Bundesländer, Bayern,<br />

Niedersachsen und Brandenburg, haben<br />

je ein eigenes Labor für wissenschaftliche<br />

Untersuchungen und Beratungen.<br />

Andere Bundesländer arbeiten eng mit<br />

den jeweiligen Hochschulen oder Materialprüfanstalten<br />

zusammen. Das Institut<br />

für Diagnostik und Konservierung (IDK)<br />

in Sachsen und Sachsen-Anhalt wird von<br />

den beiden Bundesländern teilfinanziert<br />

und muss ergänzend über Projekte oder<br />

Untersuchungsleistungen eine Gegenfinanzierung<br />

erbringen.<br />

Bei „uns“ gab es lange Jahre keine derartige<br />

wissenschaftliche Beratungsstelle,<br />

der Bedarf hierzu nahm jedoch<br />

mit der Zeit immer weiter zu, insbesondere<br />

was die Materialvielfalt an Konservierungs-<br />

und Restaurierungsstoffen<br />

anbelangte. Die Forderung nach Gründung<br />

einer derartigen wissenschaftlichen<br />

Einrichtung zwecks neutraler und<br />

unabhängiger Beratungsfunktion wurde<br />

laut. Das IFS ist als Verein mit entsprechenden<br />

vereinsrechtlichen Strukturen<br />

und Satzungen aufgestellt. Die<br />

Mitglieder und der wissenschaftliche<br />

Beirat setzen sich aus Vertretern der<br />

Universitäten, kirchlichen und öffentlichen<br />

Bauämtern, aus handwerklichen<br />

Innungen, den Ministerien und den<br />

Landesdenkmalämtern der genannten<br />

Bundesländer zusammen.<br />

Bedeutet eine weitere Stelle neben den<br />

Denkmalämtern nicht mehr Koordination<br />

und mehr Bürokratie?<br />

Wir sind ein rein wissenschaftliches<br />

Institut und verschlanken die Organisation<br />

personell, verwaltungstechnisch<br />

und auch labortechnisch durch<br />

die Bündelung und Konzentrierung auf<br />

eine Wirkungsstätte. Wir decken einen<br />

Raum von Ostthüringen bis zur französischen<br />

Grenze im Saarland ab. Aufgrund<br />

der Größe dieses Gebietes und<br />

der Vielfältigkeit der Materialien und<br />

Fragestellungen erfassen wir viele dieser<br />

Probleme und können sie bündeln<br />

und aufarbeiten und auch nach außen<br />

in die Fachkreise kommunizieren.<br />

Unsere Vereinsstruktur ist einmalig in<br />

Deutschland und funktioniert aus meiner<br />

Sicht gut. Alle Anfragen kommen<br />

über die Landesdenkmalämter – dieser<br />

Weg muss auch strikt eingehalten<br />

werden. Wir verstehen uns keineswegs<br />

als Konkurrenz zu den freien Laboren,<br />

Fachbüros und Restauratoren, die umfassende<br />

Untersuchungen an Objekten<br />

machen und Konzepte zur Restaurierung<br />

ausarbeiten. Wir arbeiten mit<br />

ausgewählten Untersuchungen zu, die<br />

Grundlagen aufzeigen, erledigen jedoch<br />

keine Auftragsarbeiten.<br />

Umweltverschmutzung und Klimawandelfolgen<br />

wirken auf Fassaden und Oberflächen<br />

von Denkmalen – mit welchen<br />

Schäden und Anfragen hat das IFS besonders<br />

zu tun?<br />

Die Luftverschmutzung hat sich durch<br />

Rauchgasentschwefelungsanlagen<br />

und andere Filteranlagen mittlerweile<br />

deutlich reduziert. Heute haben wir andere<br />

Verschmutzungstypen, die unsere<br />

Fassaden vor allem in den innerstädtischen<br />

Bereichen belasten. Dazu zählen<br />

vor allem Feinstaub und Stickstoffoxide,<br />

die sogenannten NOx-Verbindungen,<br />

die aus der Industrie und dem Individualverkehr<br />

stammen. Trotzdem muss<br />

man sagen: Die Luft ist deutlich sauberer<br />

geworden. Belastungen gibt es heute<br />

durch den Klimawandel.<br />

Welche stellen Sie besonders fest?<br />

Natürlich geht es auch bei uns um die<br />

Auswirkungen von Hochwasser, denken<br />

wir nur an die Flutkatastrophe im<br />

Ahrtal. Das ist ein sehr heikles Thema.<br />

Denkmalpfleger können vielleicht im<br />

Einzelfall historische Häuser und Brückenbauwerke<br />

schützen oder wiederaufbauen.<br />

Aber die Grundproblematik<br />

der Flächenversiegelung und das<br />

Fehlen von Überflutungsflächen muss<br />

die Politik lösen, da sind politische Entscheidungen<br />

nötig.<br />

Abgesehen von den Niederschlägen:<br />

Die steigenden Temperaturen sind<br />

doch sicher ein Problem?<br />

Ja, natürlich! Der Boden trocknet aktuell<br />

verstärkt aus. Dadurch entstehen<br />

Schrumpfungen und Risse im Untergrund.<br />

Die wiederum können zu Fundamentsetzungen<br />

bei Bauwerken führen.<br />

Das ist ein großes Problem, das uns<br />

sicher immer mehr beschäftigen wird.<br />

Dazu wird es in Zukunft auf jeden Fall<br />

auch bei uns Forschungen geben. Aber<br />

auch Stützmauern sind von der Austrocknung<br />

betroffen. Wenn der Mörtel<br />

Risse bekommt und diese Risse durch<br />

Starkregen und Frost vergrößert werden,<br />

gibt es enorme Ausbrüche. Wir<br />

stellen zunehmend mehr Risse und<br />

Mauerverstürze fest.<br />

Dem Wetter besonders ausgesetzt sind<br />

Burgruinen. Gibt es neue Herausforderungen<br />

und neue Trends bei der Erhaltung<br />

von Ruinen?<br />

Das IFS begleitete ein großes For-


INTERVIEW<br />

61<br />

1 2<br />

1<br />

Starke Rissbildung durch<br />

das Mauerwerk verlaufend,<br />

hervorgerufen durch<br />

Bodensetzung in der<br />

Synagoge Worms<br />

2<br />

Geologe und Institutsleiter<br />

Dr. Enno Steindlberger<br />

schungsprojekt an der Burg Königstein<br />

im Taunus, das 2020 endete. Dabei<br />

haben wir gesehen: Eine wesentliche<br />

Frage bei Burgruinen ist der Umgang<br />

mit dem historischen Mauerwerk insgesamt.<br />

Die Burgen sind mittlerweile<br />

verfallen, weil die Nutzung und damit<br />

verbundene Reparaturen unterblieben,<br />

schützende Dächer fehlen und die<br />

Mauerkronen verfallen. Deshalb brechen<br />

Steine aus und der Mörtel ist an<br />

vielen Stellen ausgewaschen. All das<br />

muss man bei der Erhaltung beachten,<br />

ebenso wie die Einflüsse der Natur.<br />

Wir finden in Burgruinen einerseits<br />

besonders schützenswerte Biotope<br />

und andererseits Bewuchs mit verholzenden<br />

Gewächsen, der Mauerwerk<br />

zerstört. Alles das waren Fragen, die<br />

sich in Königstein, die eine der größten<br />

Burganlagen im hessischen Raum ist,<br />

stellten.<br />

Gab es Ergebnisse des Projektes, das<br />

auch andere Burgruinenbesitzer nutzen<br />

können?<br />

Ja, die Ergebnisse sind in einem Burgpflegewerk<br />

zusammengefasst. Die<br />

Broschüre gibt Antworten auf all diese<br />

komplexen Fragen und enthält Empfehlungen.<br />

Ein Ergebnis des Projektes ist<br />

zum Beispiel, dass Ziegen zur Erhaltung<br />

der Burgruine durchaus effizient<br />

eingesetzt werden können.<br />

Ziegen?<br />

Wir haben bewusst versucht, eine sichtbare<br />

ökologische Vorgehensweise zur<br />

Reduzierung des Aufwuchses und der<br />

Verbuschung umzusetzen. Wir wollten<br />

keine Maschinen zur Pflege des Bewuchses<br />

einsetzen. Die Ziegen fressen<br />

den Bewuchs zuverlässig ab.<br />

Zwei Burgen – die Burg Nohfelden im<br />

Saarland und die Burg Freienstein im<br />

Odenwald – haben diese Idee übernommen<br />

und auch Ziegen angesiedelt.<br />

Welche neuen Trends sehen Sie nach diesem<br />

Projekt bei der Erhaltung von Burgen?<br />

Ein Trend ist sicher eine zunehmend<br />

ökologische Betrachtung. Biodiversität

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