Sanitätshaus 2024
Die Fachzeitschrift ORTHOPÄDIE TECHNIK ist die maßgebliche Publikation für das OT-Handwerk und ein wichtiger Kompass für die gesamte Hilfsmittelbranche.
Die Fachzeitschrift ORTHOPÄDIE TECHNIK ist die maßgebliche Publikation für das OT-Handwerk und ein wichtiger Kompass für die gesamte Hilfsmittelbranche.
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Kompression<br />
steht oft die Crux. Patientenschulung<br />
und Selbstmanagement sind in Ländern<br />
wie beispielsweise Kanada, Italien,<br />
Spanien oder auch Mexiko besser<br />
ausgebaut als in Deutschland. In<br />
Gesprächen mit internationalen Kollegen<br />
wird immer wieder aufgezeigt,<br />
wie viel Eigeninitiative der Betroffenen<br />
nötig ist, um Therapieerfolge aufrechterhalten<br />
zu können. Laut den<br />
Kollegen spielen in frastrukturelle<br />
Probleme eine zusätzlich erschwerende<br />
Rolle; insofern ist Selbstmanagement<br />
dort von vornherein von<br />
großer Bedeutung. Die Gegebenheiten<br />
in Deutschland sind vermutlich<br />
darauf zurückzuführen, dass die Versorgungslage<br />
in den physiotherapeutischen<br />
Praxen jahrelang flächendeckend<br />
sehr gut war und dass Therapieplätze<br />
in der Lymphtherapie kein<br />
Problem waren. Dieser Aspekt hat<br />
sich in den letzten Jahren jedoch massiv<br />
verändert; der Fachkräftemangel<br />
in den physiotherapeutischen Berufen<br />
ist eklatant [14]. Umso wichtiger<br />
sollte auch hierzulande eine adäquate<br />
Patientenedukation seitens der Therapeuten<br />
sein. Jedoch herrschen in<br />
Deutschland bei Betroffenen oft eine<br />
gewisse Passivität und eine fehlende<br />
Einsicht in die Notwendigkeit der<br />
Eigeninitiative. Ein solches Problem<br />
ergibt sich im internationalen Raum<br />
nur selten, denn die Betroffenen lymphologischer<br />
Erkrankungen kommen<br />
in vielen Ländern meist vorerst selbst<br />
für die Kosten der Therapie auf – somit<br />
ist auch die Eigenverantwortung<br />
deutlicher ausgeprägt.<br />
Vermittlung von Informationen<br />
zum Selbstmanagement<br />
In diesem Zusammenhang bietet sich<br />
ein Vergleich mit Betroffenen eines<br />
Lipödemsyndroms an. Letztere verfügen<br />
mittlerweile durch öffentliche<br />
Aufklärungsarbeit über eine gewisse<br />
Lobby, die sicherlich noch vergrößert<br />
werden muss; allerdings hat sich<br />
in den letzten Jahren viel an der Bekanntheit<br />
des Lipödemsyndroms zum<br />
Positiven verändert. Viele Kompressionshersteller<br />
gehen mittlerweile speziell<br />
auf die Bedürfnisse von Lipödembetroffenen<br />
ein und versuchen ihre<br />
Produkte entsprechend anzupassen,<br />
um insbesondere bei körperlich aktiven<br />
Betroffenen eine bestmögliche<br />
Bewegungsfreiheit zu erreichen.<br />
Das Lymphödem dagegen hat in der<br />
Öffentlichkeit nur einen geringen Bekanntheitsgrad,<br />
auch wenn es für geschulte<br />
Fachkräfte verhältnismäßig<br />
leicht zu diagnostizieren ist. Die Lobby<br />
der Ödempatienten muss sich noch<br />
deutlich vergrößern. Dafür setzen sich<br />
maßgeblich Organisationen wie Lymphologicum<br />
– Deutsches Netzwerk<br />
Lymphologie e. V. oder die Deutsche<br />
Gesellschaft für Lymphologie e. V.<br />
ein. Die größte Herausforderung dabei<br />
ist die fehlende Vermittlung von<br />
Kenntnissen über das Lymphsystem<br />
an den medizinischen Fakultäten im<br />
ärztlichen Grundstudium.<br />
Andererseits finden seit einigen<br />
Jahren immer mehr Informationsveranstaltungen<br />
für Betroffene mit lymphologischen<br />
Erkrankungen und Defiziten<br />
statt. So organisieren Sanitätshäuser,<br />
lokale Lymphnetze und Organisationen<br />
wie beispielsweise der<br />
Verein Lymphselbsthilfe e. V. Veranstaltungen<br />
für und mit Betroffenen.<br />
Auch dies trägt zu deren Aufklärung<br />
und zur Schulung des Selbstmanagements<br />
bei.<br />
Die moderne Lymphtherapie sollte<br />
zudem auch auf die Schulung von<br />
Betroffenen und deren Angehörigen<br />
eingehen. Unabhängige Vereine, aber<br />
auch Hersteller von Kompressionsbestrumpfung<br />
geben ihr Wissen in ansprechenden<br />
Broschüren weiter. Mittlerweile<br />
gibt es sogar komplette Ratgeber<br />
in Buchform, die sich ausschließlich<br />
mit Selbstmanagement befassen,<br />
denn nur mit der fachlichen Aufklärung<br />
über Ödemerkrankungen kann<br />
ein sinnvolles Selbstmanagement<br />
stattfinden.<br />
Daneben hat sich durch den Generationswechsel<br />
und die höhere technische<br />
Affinität der Betroffenen mittlerweile<br />
eine ganz andere Art der Patientenaufklärung<br />
entwickelt: Viele<br />
Betroffene informieren sich heute im<br />
Internet – insbesondere auf Social-<br />
Media-Plattformen und in verschiedenen<br />
Foren – über ihre lymphologischen<br />
Erkrankungen und Symptome.<br />
So sorgen in verschiedenen Social-<br />
Media-Kanälen engagierte Menschen<br />
für Aufklärung – sei es von Betroffenen<br />
für Betroffene oder von medizinischen<br />
Fachkräften für Betroffene. Dies hat allerdings<br />
nicht nur positive Auswirkungen,<br />
denn vor allem im Social- Media-<br />
Bereich geben oft Betroffene ihre eigenen<br />
Erfahrungen ungefiltert weiter.<br />
Häufig ist die Differenzierung zwischen<br />
seriösen und unseriösen Informationsanbietern<br />
schwierig; ein Qualitätsmerkmal<br />
kann darin bestehen,<br />
dass eine Zusammenarbeit mit Herstellern<br />
von Kompressionsbestrumpfung<br />
besteht.<br />
Grundsätzlich ist es bei der Patientenedukation<br />
wichtig, nicht ausschließlich<br />
auf soziale Medien zu setzen.<br />
Etliche Fachbücher, die teilweise<br />
auch digital verfügbar sind, vermitteln<br />
wertvolle Informationen und Anwendungsempfehlungen<br />
für Betroffene<br />
und sind häufig das Mittel der Wahl<br />
bei der Schulung des Selbstmanagements.<br />
Auch bieten Patientenzeitschriften<br />
von gemeinnützigen Vereinen<br />
wie z. B. das Magazin „Lympholife“<br />
des Lymphologicum e. V. seriöse<br />
Informationen für Betroffene.<br />
Kompression als<br />
Schlüssel zum<br />
Selbstmanagement<br />
Bei einer Kompressionstherapie müssen<br />
Kontraindikationen wie Entzündungen<br />
mit pathogenen Keimen,<br />
schwere Herzerkrankungen, fortgeschrittene<br />
arterielle Verschlusskrankheiten<br />
oder auch schwere Neuropathien<br />
im Vorfeld ausgeschlossen werden<br />
[6, 15, 16].<br />
Die Hauptrolle beim Selbstmanagement<br />
spielt eine konsequente<br />
Kompression und die zusätzliche Bewegung<br />
darin. Bewegung wird in diesem<br />
Zusammenhang oft unterschätzt<br />
und vernachlässigt; jedoch hat die<br />
muskuläre Aktivität einen großen<br />
Einfluss auf das Immunsystem. Des<br />
Weiteren haben die durch Bewegung<br />
ausgelösten Myokine einen entzündungshemmenden<br />
Effekt [17]. Diesen<br />
Effekt gilt es bei Ödemerkrankungen<br />
zu nutzen, stehen interstitielle Entzündungen<br />
doch im Zusammenhang<br />
mit der Schmerz entstehung beim Lipödemsyndrom<br />
[18]. Entzündungen<br />
erzeugen auch immer eine Leistungsminderung<br />
in den Lymphgefäßen;<br />
die Lymph angiomotorik wird durch<br />
die inflammatorischen Vorgänge gehemmt<br />
[6].<br />
Ein weiterer Effekt von Bewegung<br />
in Kompression ist das Widerlager für<br />
die Muskulatur von außen – das Ödem<br />
liegt zwischen diesen beiden und wird<br />
sozusagen von zwei Seiten bearbeitet<br />
und regelrecht ausgewalzt. Übungen<br />
34<br />
Erschienen in: ORTHOPÄDIE TECHNIK 11/22