06.06.2024 Aufrufe

Sanitätshaus 2024

Die Fachzeitschrift ORTHOPÄDIE TECHNIK ist die maßgebliche Publikation für das OT-Handwerk und ein wichtiger Kompass für die gesamte Hilfsmittelbranche.

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Beratung und Verkauf<br />

OT: Und wie lernt man das?<br />

Gischnewski: Bei mir sind das immer modular aufgebaute<br />

Ganztagsschulungen. Es gibt zunächst ein Basistraining,<br />

da lernen die Teilnehmer:innen wirklich von der Begrüßung<br />

bis zur Verabschiedung anhand eines Verkaufsleitfadens,<br />

den ich über die Jahre erarbeitet habe, die verschiedenen<br />

Phasen direkt mit dem Kunden gemeinsam durchzugehen.<br />

Bis hin zur Bedarfsermittlung, um festzustellen, wie<br />

sieht denn der Alltag meines Kunden aus? Was wünscht er<br />

oder sie sich denn? Wo gibt es Bedenken, was fällt im Moment<br />

schwer? Damit der Kunde überhaupt erstmal bereit<br />

ist, sich einem fremden Menschen gegenüber zu öffnen.<br />

Dafür bedarf es hochkomplexer Prozesse. Da muss ich Empathie<br />

entwickeln und brauche die innere Motivation: „Ja.<br />

Mein Job ist wichtig und ich möchte den Menschen helfen,<br />

und es geht nicht darum, den Leuten das teuerste Produkt<br />

zu verkaufen, sondern wirklich um bedarfsgerechte Beratung.“<br />

Dann findet auch automatisch ein Verkauf statt.<br />

OT: Jetzt kann ich mir vorstellen, dass man als Prellbock für<br />

Ungeduld und Ärger auch selbst in eine emotionale und<br />

defensive Haltung gerät. Was kann mir in diesem Fall helfen,<br />

selbst auf der sachlichen Ebene zu bleiben?<br />

Gischnewski: Um auf der sachlichen Ebene zu bleiben, weil<br />

man vielleicht gerade selbst sehr gereizt oder gestresst ist,<br />

kann es sehr hilfreich sein, sich mal eben selbst zu reflektieren.<br />

Da kann ein kleiner Trick sehr hilfreich sein: einfach<br />

ganz kurz die Helikopter-Position einnehmen. Das bedeutet,<br />

sich vorzustellen, man schwebt in einem Helikopter<br />

über der Situation und schaut von oben auf sich und den<br />

Kunden. Das sorgt für einen wertvollen Perspektivwechsel.<br />

Währenddessen ein-, zweimal ganz tief in den Bauch<br />

atmen und lange ausatmen, das sorgt für (Sauerstoff-)Power<br />

im Gehirn, dauert übrigens nur wenige Sekunden und<br />

wird vom Kunden nicht wirklich bemerkt.<br />

OT: Mal angenommen, das Kind ist schon in den Brunnen<br />

gefallen. Der Frust bricht sich Bahn und das Gespräch wechselt<br />

von der sachlichen auf die emotionale Ebene – wie sollte ich<br />

mich jetzt verhalten? Welche Tipps geben Sie Ihren Trainees<br />

dazu?<br />

Gischnewski: Es hört sich jetzt vielleicht etwas seltsam an,<br />

aber wenn ich es verstehe, mich gekonnt auf der emotionalen<br />

Ebene zu bewegen, dann habe ich wesentlich größere<br />

Chancen, den Kunden abzuholen und gegenseitiges<br />

Verständnis aufzubauen, als wenn ich mich ausschließlich<br />

auf der sachlichen Ebene bewege. Schließlich verlaufen<br />

rund 80 Prozent der zwischenmenschlichen Kommunikation<br />

auf der emotionalen Ebene. Mein Tipp in einer<br />

solchen Situation ist, mit „guten“ Fragen zu arbeiten. Also<br />

offene Fragen, sogenannte „W“-Fragen, stellen sowie aktiv<br />

zuhören und so das Gespräch gekonnt steuern. Eine<br />

wertvolle Regel: Reagiere auf eine Äußerung nicht mit<br />

ebenso einer Äußerung, also im Stile Argument – Gegenargument,<br />

sondern reagiere mit einer gut gestellten „W“-<br />

Frage. Das will gut gelernt sein und muss permanent trainiert<br />

werden.<br />

OT: Okay. Und gibt es eine Art „Notfallplan“, falls ich merke,<br />

dass ich trotz allem gerade ebenfalls die Geduld verliere?<br />

Das kann uns allen ja passieren, je nachdem, welche Knöpfe<br />

man bei uns drückt. Ist es in Ordnung, eine Diskussion dann<br />

auch zu verlassen oder an eine vielleicht gerade weniger<br />

involvierte Person zu übergeben?<br />

Gischnewski: Ein Gespräch kann durchaus auch mal scheitern<br />

und zum Abbruch führen. Ein solcher Gesprächsabbruch<br />

sollte aber niemals das Ende der Kundenbeziehung<br />

sein. Wenn es tatsächlich nicht anders zu lösen sein sollte,<br />

dann ist die Übergabe des Gesprächs an eine Kollegin oder<br />

einen Kollegen denkbar. Es sollte allerdings das allerletzte<br />

Mittel sein, quasi der Notausgang.<br />

OT: Sollte man sich dazu im Team abstimmen? Also vielleicht<br />

eine Art Zeichen vereinbaren, an dem die Kolleg:innen merken,<br />

okay, bei dem Tanz ist jetzt ein Partnerwechsel angesagt?<br />

Gischnewski: Eine verabredete Geste kann die Übergabe<br />

erleichtern, muss allerdings sicher kommuniziert und<br />

verlässlich umsetzbar sein. Schließlich soll der Kunde auf<br />

keinen Fall das Gefühl bekommen, „weitergeschoben“ zu<br />

werden.<br />

OT: Abschließende Frage – gibt es eine Art Faustformel, an der<br />

man sich in schwierigen Situationen orientieren kann?<br />

Gischnewski: Erstens: gut und aktiv zuhören. Dem Kunden<br />

deutlich signalisieren, dass man echtes Interesse an seinem<br />

Anliegen hat. Zweitens: mit dem Kunden mitfühlen und<br />

Verständnis zeigen. Drittens: immer davon ausgehen, dass<br />

man beobachtet wird. Andere Kunden im <strong>Sanitätshaus</strong> hören<br />

sich Konfliktgespräche sehr gerne mit an. Immer auch<br />

an die Außenwirkung denken. Viertens: langsam und mit<br />

leicht gesenkter Stimme reden. Fünftens: nur Versprechungen<br />

machen, die man auch tatsächlich einhalten kann. Das<br />

ist Ehrlichkeit. Sechstens: Beschwerden niemals persönlich<br />

nehmen. Siebtens: schwierige Kunden als potenzielle Gelegenheiten<br />

betrachten. Achtens: das Gespräch immer positiv<br />

beenden. So kann man neben dem eigenen Ausdruck<br />

für das Verständnis der Verärgerung des Kunden auch anbieten,<br />

in Zukunft persönlich für den Kunden da zu sein.<br />

Neuntens: wissen, wann es genug ist. Grenzen ziehen und<br />

wenn nötig, diese dem Kunden auch aufzeigen. Achtung:<br />

das eigene Ego beiseite lassen.<br />

OT: Vielen Dank für dieses interessante Gespräch und<br />

Ihre Zeit.<br />

Die Fragen stellte Alexandra Klein.<br />

<strong>Sanitätshaus</strong> <strong>2024</strong><br />

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