06.06.2024 Aufrufe

Sanitätshaus 2024

Die Fachzeitschrift ORTHOPÄDIE TECHNIK ist die maßgebliche Publikation für das OT-Handwerk und ein wichtiger Kompass für die gesamte Hilfsmittelbranche.

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OTWorld<br />

Menkel: Zur OTWorld schaffen wir im Workshop – ähnlich<br />

wie im Beratungszimmer im <strong>Sanitätshaus</strong> – einen Raum für<br />

einen offenen Erfahrungsaustausch. Hier können und sollen<br />

die Teilnehmenden auch über Versorgungen sprechen,<br />

die nicht so optimal gelaufen sind. Insbesondere von diesen<br />

Fällen können wir am meisten lernen.<br />

OT: Ein Workshop verfolgt den Anspruch, praxisnah<br />

gestaltet zu sein. Die Teilnehmer:innen sollen in<br />

Interaktion mit den Patientinnen kommen.<br />

Wie kann das bei einem solch sen siblen Thema wie der<br />

Brustversorgung gelingen?<br />

Menkel: Für den Workshop stehen uns hoch motivierte betroffene<br />

Patientinnen als Models zur Verfügung. Unseren<br />

Models ist es ein Anliegen, über Brustkrebs und die Folgen<br />

zu informieren. Infolgedessen sind sie die Öffentlichkeit<br />

gewohnt und können mit ihnen unbekannten Menschen<br />

offen über ihre Versorgung und ihre Erkrankung sprechen.<br />

Zugleich ist unser Workshop mit einer begrenzten Anzahl<br />

von Teilnehmenden ein geschützter Raum.<br />

OT: Bis zu 20 Prozent aller Frauen entwickeln nach einer Brustkrebsbehandlung<br />

ein Arm-Lymphödem. Welche Rolle kommt<br />

hier im Speziellen der Komplexen Physikalischen Entstauungstherapie<br />

(KPE) zu?<br />

Menkel: Die komplexe Entstauungstherapie ist ein wichtiges<br />

Thema, welches leider von vielen Ärzten nicht<br />

grundsätzlich besprochen wird. Ich würde mir wünschen,<br />

dass es zur Grundberatung eines Arztbesuches gehört,<br />

auf die Möglichkeit der Entwicklung eines Lymphödems<br />

nach Brustoperationen hinzuweisen. Dieses kann<br />

auch Jahre nach der Operation noch auftreten und wird<br />

dann oftmals nicht in Zusammenhang mit der Grunderkrankung<br />

gesetzt. Die Kundinnen kommen dann zu<br />

uns und wissen gar nicht, warum der Arm plötzlich dick<br />

wird. Gemeinsam mit unseren Kollegen aus der Physiotherapie<br />

können wie den Frauen mithilfe der KPE zum<br />

Glück helfen.<br />

OT: Wird dem Thema Brustversorgung bereits in der<br />

Aus bildung genug Aufmerksamkeit geschenkt?<br />

Menkel: Hier ist in jedem Fall noch Luft nach oben. In der<br />

Ausbildung zum Orthopädietechnik-Mechaniker wird das<br />

Thema zwar behandelt, aber nicht sehr tiefgehend. Was die<br />

<strong>Sanitätshaus</strong>fachverkäufer betrifft, sieht es noch düsterer<br />

aus, in der Berufsschule wird das Thema in Berlin zumindest<br />

nur gestreift. Die gesamte fachliche Ausbildung liegt<br />

also im <strong>Sanitätshaus</strong>, und wenn eine Firma keine Brustprothetik<br />

anbietet, fehlt das Thema völlig. Auch deshalb<br />

wünsche ich mir, dass die Ausbildung zum Fachverkäufer<br />

dem Handwerk angegliedert wird – aber das bleibt wohl ein<br />

Wunsch.<br />

OT: Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Kundin, die Sie in<br />

diesem Bereich versorgt haben? Was wissen Sie heute, was Sie<br />

damals schon gern gewusst hätten?<br />

Menkel: Oh je. Meine erste Versorgung in diesem Bereich<br />

war ehrlich gesagt eine „volle Katastrophe“. Damals war<br />

ich noch sehr jung, aber mit viel Enthusiasmus ausgestattet<br />

und im festen Glauben, in meiner Ausbildung richtig<br />

viel gelernt zu haben. Gleichzeitig war meine Kundin psychisch<br />

labil. Kein Wunder, denn die Amputation war bei<br />

ihr sehr radikal mit Narbengewebe bis weit in die Achsel<br />

durchgeführt. Da trafen zwei Menschen aufeinander, die<br />

beide nicht wussten, ob das gut geht. Aber: Wir haben uns<br />

aufeinander eingelassen und die Versorgung ist gut geworden.<br />

Allerdings hätte ich mir eine bessere Vorbereitung<br />

in der Ausbildung auf die psychologischen Fallstricke einer<br />

Brustversorgung gewünscht. Ein unbedachtes Wort<br />

oder ein missverständlicher Blick hätten große emotionale<br />

Wellen schlagen können, mit denen ich damals nicht<br />

hätte umgehen konnen. Hinzu kam, dass ich nur die Epithesen<br />

kannte, die wir in unserer Firma vorrätig hatten.<br />

Wenn man sich einmal für eine Sortimentsauswahl entschieden<br />

hat, verliert man nach einer gewissen Zeit den<br />

Überblick über neue Entwicklungen. Dass jeder Hersteller<br />

aber seine Besonderheiten hat und diese auch weiterentwickelt,<br />

muss man sich immer wieder aktiv vor Augen<br />

führen. Ich kann mich auch daran erinnern, dass es mir<br />

sehr unangenehm war, anzusprechen, dass die Krankenkasse<br />

gemäß Wirtschaftlichkeitsgebot nur die Kosten für<br />

eine ausreichende und zweckmäßige Versorgung erstattet<br />

– es allerdings so viel mehr an höherwertigen Versorgungen<br />

gibt, die die Frauen allerdings aus eigener Tasche<br />

zahlen müssen. Nicht jede Frau kann sich das leisten. Das<br />

war schon schwer. Damals wie heute wäre zum Einstieg in<br />

das Thema eine Brustversorgung gemeinsam mit einer erfahrenden<br />

Kollegin toll. Dann könnten Berufseinsteiger<br />

und eine erfahrene Fachkraft gemeinsam die Versorgung<br />

besprechen. Einsteiger könnten sich etwas vom Verhalten<br />

der Kolleginnen abschauen und dennoch ihren eigenen<br />

Weg ausprobieren.<br />

OT: Zum ersten Mal verfassen die Referent:innen zu jedem<br />

Workshop auf der OTWorld eine „Take-Home-Message“.<br />

Worüber sollten sich Interessierte bereits im Vorfeld Gedanken<br />

machen, um sich proaktiv mit Fragen oder Ideen in den<br />

Workshop einzubringen?<br />

Menkel: Ich würde mich freuen, wenn die Teilnehmenden<br />

von ihren Erfahrungen berichten, schwierige Versorgungen<br />

inklusive Fotos mit in den Workshop bringen und dort<br />

unter anderem erzählen, was bei einzelnen Versorgungen<br />

nicht geklappt hat. Mich interessiert: Wie gehen sie mit<br />

den Emotionen der Kundinnen und mit den eigenen um?<br />

Was tun sie, wenn die Krankenkasse die Versorgung ablehnt?<br />

Wie kriegen sie den Spagat zwischen optimaler Versorgung<br />

und Wirtschaftlichkeit hin? Der Workshop soll<br />

für uns alle eine Chance sein, voneinander und miteinander<br />

zu lernen. Beides gilt übrigens auch für meine anderen<br />

Workshopthemen: Lymphatische Versorgungen, Abgrenzung<br />

Standard- und Maßversorgung sowie Versorgungen<br />

bei Schlaganfall.<br />

Die Fragen stellte Pia Engelbrecht.<br />

<strong>Sanitätshaus</strong> <strong>2024</strong><br />

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