Sanitätshaus 2024
Die Fachzeitschrift ORTHOPÄDIE TECHNIK ist die maßgebliche Publikation für das OT-Handwerk und ein wichtiger Kompass für die gesamte Hilfsmittelbranche.
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OTWorld<br />
Beratung erfordert hohes Maß an Empathie<br />
Foto: BIV-OT<br />
<strong>Sanitätshaus</strong>fachangestellte werden bei der OTWorld<br />
<strong>2024</strong> erstmals gesondert angesprochen – und zwar mit<br />
eigens für diese Zielgruppe konzipierten Workshops.<br />
Petra Menkel, Geschäftsführerin und Bandagistenmeisterin<br />
der Paul Schulze Orthopädie & Bandagen GmbH<br />
und Mitglied im Vorstand des Bundesinnungsverbandes<br />
für Orthopädie-Technik (BIV-OT), wird sich in einem dieser<br />
Workshops u. a. dem Thema Brustversorgung widmen.<br />
Im Gespräch mit der OT-Redaktion verrät sie, was<br />
die Teilnehmenden erwartet und warum dieses Thema<br />
– auch für sie persönlich – Aufmerksamkeit verdient.<br />
OT: Sie bieten bei der OTWorld einen Workshop zum Thema<br />
Brustversorgung explizit für <strong>Sanitätshaus</strong>fachangestellte an.<br />
Warum ist Ihnen das Thema ein besonderes Anliegen?<br />
Petra Menkel: Als Frau lebe ich in dem Bewusstsein, dass die<br />
Wahrscheinlichkeit, an Brustkrebs zu erkranken, bei 1 zu 8<br />
liegt. Das heißt, jede achte Frau bekommt im Laufe ihres<br />
Lebens Brustkrebs. Wenn ich nur in unsere Firma schaue,<br />
bedeutet das, dass zwei Kolleginnen erkranken. Erweitert<br />
man den Kreis auf Freunde und Bekannte, dann kennt jeder<br />
jemanden mit dieser Diagnose. Auch ich könnte dazu<br />
gehören. Deshalb betrifft mich dieses Thema selbst ganz<br />
direkt. Daher ist es mir wichtig, im Workshop die Sensibilität<br />
nicht nur für unsere Kundinnen, sondern auch für<br />
uns selbst zu entwickeln und eine Lanze für die Vorsorge<br />
zu brechen. Wird ein Brustkrebs im Stadium I entdeckt,<br />
liegt die Heilungsquote statistisch bei 100 Prozent. Das<br />
sollte doch jede Frau zur Selbstvorsorge treiben. Auf der<br />
OTWorld sprechen wir aber gezielt <strong>Sanitätshaus</strong>fachangestellte<br />
an, weil die betroffenen Frauen in der Regel für<br />
eine fachgerechte Beratung in ein <strong>Sanitätshaus</strong> gehen und<br />
dort auf die <strong>Sanitätshaus</strong>fachangestellten treffen. Die Kolleginnen<br />
aus der Werkstatt sind ja bei der Beratung nach<br />
einer Brust-Operation seltener involviert. Im Gegensatz<br />
zu den vielen Weiterbildungsmöglichkeiten einzelner<br />
Hersteller möchten wir in Leipzig firmenübergreifend informieren.<br />
So können wir uns ganz auf die Notwendigkeiten<br />
des Versorgungsalltags jenseits eines besonderen<br />
Produkts konzentrieren. Denn ein Problem hat viele Lösungswege<br />
und diese wollen wir aufzeigen. Wir wollen<br />
aber auch für mehr Aufmerksamkeit für diesen wichtigen<br />
Bereich sorgen.<br />
OT: In Deutschland erhalten jedes Jahr 69.000 Frauen die<br />
Diagnose Brustkrebs, von denen 27 Prozent eine Mastektomie<br />
benötigen. Im <strong>Sanitätshaus</strong> ist die Versorgung also Alltag – und<br />
dennoch kein alltägliches Thema, oder?<br />
Veranstaltet bei der OTWorld einen<br />
Workshop rund ums Thema Brustversorgung:<br />
Petra Menkel.<br />
Menkel: Die Mastektomie ist auf dem Rückzug. Es wird immer<br />
mehr brusterhaltend operiert. Das ist auf der einen Seite<br />
für die Betroffenen tröstlicher, weil noch ein Stück ihres<br />
eigenen Gewebes erhalten bleibt. Auf der anderen Seite<br />
birgt es viele andere Probleme: ungleich große Seiten, „verrutschtes“<br />
Dekolleté, Narben, Beulen, empfindliche Stellen<br />
– um nur einige Beispiele zu nennen. Wenn die Brust ganz<br />
entfernt wurde, ist die Versorgung einfacher. In dem Fall<br />
ermitteln wir die Größe anhand der erhaltenen Seite, suchen<br />
eine passende Form und den bestsitzenden BH sowie<br />
– wenn möglich – eine Haftepithese aus. Bei einer brusterhaltenden<br />
Versorgung ist der Beratungsaufwand hingegen<br />
deutlich höher. Hier müssen wir, wie gerade gesagt, viel<br />
mehr Faktoren beachten. In jedem Fall beinhaltet die Beratung<br />
auch die Besprechung psychologischer Probleme der<br />
Patientinnen. Auch vor diesem Hintergrund glaube ich,<br />
dass jede Fachkraft, die Brustkrebspatientinnen betreut,<br />
zwar professioneller im Umgang und in der Versorgung<br />
wird, aber Alltag wird es für sie nie.<br />
OT: Essenziell ist bei der Versorgung eine ganzheitliche Betrachtung.<br />
Was genau bedeutet für Sie ganzheitlich?<br />
Menkel: Jede Patientin ist anders und geht auch anders<br />
mit ihrer Erkrankung um. Hier ist ein hohes Maß an Empathie<br />
unserer Mitarbeitenden gefragt. Wo steht die Kundin?<br />
Ist sie schon gut über ihren Arzt informiert, oder hat<br />
Dr. Google die Beratung übernommen? Ist sie über Spätfolgen<br />
wie lymphatische Probleme in Kenntnis gesetzt, oder<br />
sollten wir hier Hinweise geben? Wir müssen zudem rausfinden,<br />
was der Bedarf der Kundin ist. Geht es um einen<br />
kosmetischen Ausgleich oder um Funktionalität? Wird die<br />
Epithese zum Sport oder zum Ausgehen genutzt? Soll die<br />
Epithese dauerhaft getragen werden oder nicht? Fragen<br />
über Fragen, die wir aber oft nicht direkt stellen können.<br />
Daher müssen wir nicht selten zwischen den Zeilen lesen,<br />
um kundenbezogen zu versorgen. Im Workshop legen wir<br />
zudem einen Fokus auf die Selbstfürsorge der Versorgenden,<br />
denn die mentalen Belastungen sind doch sehr groß.<br />
Zumal sie zwischen den Stühlen stehen. Zeit ist Geld und<br />
Regelversorgungen sind nicht immer die beste Lösung.<br />
OT: Im Umgang mit den Kundinnen ist besondere Sensibilität<br />
und Empathie gefragt. Wie spiegelt sich das in der Atmosphäre<br />
und den Inhalten des Workshops wider?<br />
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<strong>Sanitätshaus</strong> <strong>2024</strong>