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Ulrich H.J. Körtner: Vergängliche Schöpfung (Leseprobe)

Umweltschutz und Klimaschutz sind eine praktische Weise, den Glauben an Gott den Schöpfer zu bekennen. Christliche Umweltethik verliert aber ihre geistliche Ausrichtung, wenn sich der Schöpfungsglaube auf moralische Appelle beschränkt, deren theologische Substanz zunehmend diffus wird. Die umweltethischen Herausforderungen unsrer Zeit erfordern nicht nur eine theologische Klärung des Schöpfungsbegriffs, sondern auch eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Gottesfrage. Darum geht es im vorliegenden Buch. Der Einsatz für Klima- und Umweltschutz als praktischer Ausdruck christlichen Schöpfungsglaubens und christlicher Schöpfungsfrömmigkeit gilt der Welt in ihrer Vergänglichkeit. Diese Vergänglichkeit zu akzeptieren – auf Hoffnung hin und nicht etwa resignativ – entspricht dem Glauben an den Schöpfergott und seine Verheißung. Man kann es auch nennen: Mut zum fraglichen Sein.

Umweltschutz und Klimaschutz sind eine praktische Weise, den Glauben an Gott den Schöpfer zu bekennen. Christliche Umweltethik verliert aber ihre geistliche Ausrichtung, wenn sich der Schöpfungsglaube auf moralische Appelle beschränkt, deren theologische Substanz zunehmend diffus wird. Die umweltethischen Herausforderungen unsrer Zeit erfordern nicht nur eine theologische Klärung des Schöpfungsbegriffs, sondern auch eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Gottesfrage. Darum geht es im vorliegenden Buch. Der Einsatz für Klima- und Umweltschutz als praktischer Ausdruck christlichen Schöpfungsglaubens und christlicher Schöpfungsfrömmigkeit gilt der Welt in ihrer Vergänglichkeit. Diese Vergänglichkeit zu akzeptieren – auf Hoffnung hin und nicht etwa resignativ – entspricht dem Glauben an den Schöpfergott und seine Verheißung. Man kann es auch nennen: Mut zum fraglichen Sein.

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<strong>Ulrich</strong> H. J. <strong>Körtner</strong>, Dr. theol. habil., Dr.<br />

h. c. mult., Jahrgang 1957, ist seit 1992<br />

Ordinarius für Systematische Theologie<br />

(reformiert) an der Evangelisch-Theologischen<br />

Fakultät der Universität Wien.<br />

Von 2001 bis 2022 war er auch Vorstand<br />

des Instituts für Ethik und Recht in der<br />

Medizin der Universität Wien.<br />

<strong>Körtner</strong> bekam 2016 das Ehrenkreuz für<br />

Wissenschaft und Kunst I. Klasse der<br />

Republik Österreich verliehen und im<br />

selben Jahr von der Österreichischen<br />

Akademie der Wissenschaften den Wilhelm-Hartel-Preis<br />

für sein Gesamtwerk.<br />

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek<br />

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der<br />

Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten<br />

sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.<br />

© 2024 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH . Leipzig<br />

Printed in Germany<br />

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.<br />

Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist<br />

ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere<br />

für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die<br />

Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.<br />

Das Buch wurde auf alterungsbeständigem Papier gedruckt.<br />

Cover: Vogelsang Design, Aachen<br />

Coverbild: stock.adobe.com., © hankimage9<br />

Satz: ARW-Satz, Leipzig<br />

Druck und Binden: CPI books GmbH<br />

ISBN 978-3-374-07634-5 // eISBN (PDF) 978-3-374-07635-2<br />

www.eva-leipzig.de


Alles in allen muss brechen und fallen,<br />

Himmel und Erden die müssen das werden,<br />

was sie vor ihrer Erschaffung gewest.<br />

Alles vergehet, Gott aber stehet<br />

ohn alles Wanken; seine Gedanken,<br />

sein Wort und Wille hat ewigen Grund.<br />

Paul Gerhardt, 1666


Vorwort<br />

Das Anthropozän, wie die gegenwärtige erdgeschichtliche Epoche<br />

genannt wird, verdankt seinen Namen der Eingriffstiefe, mit<br />

welcher die Gattung des Homo sapiens das Gesicht der Erde verwandelt<br />

hat und weiter verändert. Die Eingriffstiefe zeigt sich<br />

nicht nur in den Sedimenten der oberen Erdschicht, sondern<br />

auch im Klimawandel, der in starkem Maße von menschlichen<br />

Faktoren verursacht wird und bedrohliche Ausmaße angenommen<br />

hat. Ihn einzubremsen und gegenzusteuern ist aller globalen<br />

Anstrengungen wert. Dass sich auch die Kirchen im Umwelt-<br />

und Klimaschutz engagieren, verdient Unterstützung.<br />

Im umweltpolitischen Engagement soll der christliche <strong>Schöpfung</strong>sglaube<br />

praktisch werden.<br />

Christliche Umweltethik verliert aber ihre geistliche Ausrichtung,<br />

wenn sich der <strong>Schöpfung</strong>sglaube auf moralische Appelle<br />

beschränkt, deren theologische Substanz zunehmend diffus<br />

wird. So kann der Eindruck entstehen, wer von <strong>Schöpfung</strong><br />

spricht, rede lediglich von der Natur in einem leicht erhöhten<br />

religiösen Ton. Der Schöpfergott, der doch im biblischen <strong>Schöpfung</strong>sglauben<br />

vorausgesetzt ist, zu dem gebetet und dem gedankt<br />

wird, verflüchtigt sich. Bestenfalls dient er als Verstärker<br />

umweltethischer Appelle, den man – wie in der Eidesformel vor<br />

Gericht oder bei der Angelobung von Regierungsmitgliedern –<br />

notfalls auch weglassen kann.<br />

Gleichzeitig lässt sich der Trend beobachten, die Natur neoromantisch<br />

zu verklären, als sei sie der Inbegriff des Guten<br />

schlechthin, obwohl die Natur selbst doch keine Moral kennt<br />

7


Vorwort<br />

und sich in ihren Prozessen aus Sicht des Menschen, der um sein<br />

Überleben besorgt ist, als hochgradig ambivalent zeigt. Die kosmische<br />

Naturentwicklung kennt Prozesse des Entstehens, aber<br />

auch der Vernichtung. Auch der Erde, auf der wir Menschen<br />

leben, steht ihre endgültige Vernichtung eines fernen Tages<br />

bevor. Das ist keine unausgewiesene religiöse Behauptung, sondern<br />

die astrophysikalische Prognose.<br />

Zerstörung ist auch in der Erdgeschichte ein wesentlicher<br />

Faktor. Die Evolution des Lebens kennt lange Perioden von Beständigkeit,<br />

aber auch globale Katastrophen, die den Untergang<br />

vieler Arten besiegelten und zugleich das Entstehen neuer Spezies<br />

ermöglichten. Die Erde und ihre Biosphäre sind vergänglich.<br />

Diese Einsicht rechtfertigt keinesfalls den zynischen Schluss,<br />

den Klimawandel und die vom Menschen verursachten Umweltschäden<br />

als erdgeschichtlichen Lauf der Dinge hinzunehmen.<br />

Als Freiheitswesen sind wir zur Verantwortung gerufen<br />

und befähigt. Unsere Endlichkeit und unsere Verantwortlichkeit<br />

gehören zusammen. Eben weil das Le ben endlich ist, ist es<br />

kostbar. Das gilt für jedes Einzelleben wie für die Biosphäre im<br />

Ganzen, und es gilt auch von der jeweiligen Gestalt, welche die<br />

Biosphäre im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende annimmt.<br />

An Gott als den Schöpfer, Erhalter und Vollender der Welt im<br />

biblischen Sinne zu glauben, bedeutet freilich nicht nur, ein Bewusstsein<br />

für die globale Verantwortung des Menschen zu entwickeln,<br />

sondern auch, auf diesen Gott sein ganzes Vertrauen zu<br />

richten. Dabei ist das Gottvertrauen nicht gegen das menschliche<br />

Tun auszuspielen, sondern im Vertrauen auf jenen Gott zu<br />

wagen, von dem Dietrich Bonhoeffer gesagt hat, dass er auf aufrichtige<br />

Gebete und verantwortliche Taten wartet – und antwortet.<br />

Solches vertrauensvolle Beten und Tun setzt aber voraus,<br />

sich über das eigenen Gottesverständnis Rechenschaft zu geben.<br />

Die umweltethischen Herausforderungen unserer Zeit erfordern<br />

8


Vorwort<br />

nicht nur eine theologische Klärung des <strong>Schöpfung</strong>sbegriffs, sondern<br />

auch eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Gottesfrage.<br />

Darum geht es im vorliegenden Buch. Ihm sei die These vorangestellt,<br />

dass eine <strong>Schöpfung</strong>slehre – die nicht mit einem eigenständigen<br />

Handeln Gottes rechnet, der einerseits nicht ohne<br />

seine <strong>Schöpfung</strong> sein will und in ihr wirkt, andererseits aber auch<br />

im Gegenüber zur <strong>Schöpfung</strong> zu denken ist –, im Vergleich zum<br />

biblischen Gesamtzeugnis defizitär bleibt. Ohne ein gewisses<br />

Maß an Theismus ist solcher <strong>Schöpfung</strong>s- und Schöpferglaube<br />

nicht zu haben. Von einer prozesstheologischen oder panentheistischen<br />

Sicht der Dinge, für die Natur und Gott in letzter<br />

Konsequenz zusam menfallen, grenzen sich die Überlegungen<br />

dieses Buches ab.<br />

Dass die Welt, der Kosmos im Ganzen wie auch die Erde und<br />

ihre Biosphäre, endlich sind, ist eine Überzeugung, die schon<br />

Paulus im Römerbrief formuliert. „Die <strong>Schöpfung</strong>“, lesen wir in<br />

Röm 8,20 „ist ja unterworfen der Vergänglichkeit“, allerdings<br />

„ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat“<br />

– also Gott. Der Satz endet aber nicht an dieser Stelle. Der Vergänglichkeit<br />

ist die <strong>Schöpfung</strong>, wie Paulus hinzufügt, auf Hoffnung<br />

hin unterworfen. Wie vom Menschen wird auch von der<br />

<strong>Schöpfung</strong> im Ganzen gesagt, dass sie von der Vergänglichkeit<br />

befreit werden soll „zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes“<br />

(Röm 8,21). Diese Hoffnung richtet sich freilich auf keinen<br />

innerweltlichen Zustand: modern gesprochen weder auf die jetzige<br />

noch auf eine künftige Entwicklungsstufe der Evolution,<br />

„denn die Gestalt dieser Welt vergeht“ (1Kor 7,31).<br />

Manche Formen des Protestes gegen den Klimawandel scheinen<br />

diese Einsicht ganz aus dem Blick zu verlieren. So wurden<br />

in jüngerer Zeit mehrere ökumenische Trauerfeiern für „sterbende“<br />

Gletscher abgehalten. In einem Fall wurde auch ein Sarg<br />

aus Eis symbolisch zu Grabe getragen. Man wolle, so hieß es in<br />

der Trauerrede bei einer dieser Aktionen, dem Gletscher auch<br />

9


Vorwort<br />

über seinen Tod hinaus ein dankbares Andenken bewahren, habe<br />

er doch für Wiesen und Flüsse, Kälte und Schnee im Winter gesorgt<br />

und Lebensraum für eine große Vielfalt an Lebewesen geschaffen,<br />

von denen nun viele bereits nicht mehr existieren.<br />

Die klimatischen und geologischen Veränderungen in den<br />

Alpen mit ihren negativen Auswirkungen auf die Biosphäre sind<br />

allerdings dramatisch. Sie geben berechtigterweise Anlass, energischere<br />

Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels zu<br />

fordern. Fragwürdig ist es aber, wenn derartige Aktionen als Requien<br />

bezeichnet werden. Der katholische Theologe Jan-Heiner<br />

Tück merkt dazu an:<br />

„Erstens werden Requien nicht für Sterbende, sondern für Verstorbene<br />

gefeiert. Zweitens gelten sie Personen, die einen Namen und eine<br />

Geschichte haben, nicht aber Naturphänomenen, deren Fortexistenz<br />

durch den Klimawandel bedroht ist. Oder will man in einem kühnen<br />

Zuschreibungsakt sogar Gletschern Personenstatus übertragen? Drittens<br />

werden in der Begräbnisliturgie die Verstorbenen der ewigen<br />

Ruhe und dem Gedächtnis Gottes anempfohlen. Das Licht der Osterkerze<br />

symbolisiert dabei die Hoffnung auf Auferstehung. Wie will<br />

man das auf sterbende Gletscher beziehen? Soll etwa das, was im Diesseits<br />

wegschmilzt, im Jenseits einen neuen Ort bekommen? Sollen<br />

Gletscher, für die man Totenmessen feiert, in eisigen Paradieslandschaften<br />

wiederauferstehen? Ein frostiger Himmel – das wäre in der<br />

Tat eine Neuigkeit im bunten Panorama menschlicher Projektionen.“<br />

Es gehört zu den Herausforderungen einer soliden <strong>Schöpfung</strong>slehre,<br />

die Vergänglichkeit der <strong>Schöpfung</strong> und die Verheißung<br />

ihrer Erlösung so zusammenzudenken, dass die Vollendung der<br />

Geschichte Gottes mit seiner <strong>Schöpfung</strong> nicht mit einem vermeintlich<br />

unbegrenzt fortdauernden Idealzustand der Welt verwechselt<br />

wird. Damit betreten wir den Bereich der Eschatologie,<br />

der Lehre von der christlichen Hoffnung, die zwischen innerweltlicher<br />

Zukunft (futurum) und Zukunft Gottes (adventus) unterscheidet.<br />

Auf paradoxe Weise stehen beide Aussagen im Neuen<br />

Testament nebeneinander: bei Paulus die Zusage der herrlichen<br />

10


Vorwort<br />

Freiheit der Kinder Gottes, die der gesamten <strong>Schöpfung</strong> gilt, und<br />

das Jesuswort, dass Himmel und Erde vergehen werden (Mt 24,35;<br />

Lk 21,33).<br />

Sich für den Erhalt der vorfindlichen Biosphäre einzusetzen,<br />

damit die Prozesse des Lebens und der Fortbestand der Menschheit<br />

so lange wie möglich fortdauern, kann doch immer nur der<br />

– wenn auch vom Glauben her gebotene – Einsatz für das Vorletzte<br />

sein, das nicht mit dem Letzten, der Erfüllung eschatologischer<br />

Hoffnung, zu verwechseln ist, die Gottes Sache allein<br />

bleibt. Der Einsatz für Klima- und Umweltschutz als praktischer<br />

Ausdruck christlichen <strong>Schöpfung</strong>sglaubens und christlicher<br />

<strong>Schöpfung</strong>sfrömmigkeit gilt der Welt in ihrer Vergänglichkeit.<br />

Diese Vergänglichkeit zu akzeptieren – auf Hoffnung hin und<br />

nicht etwa resignativ – entspricht dem Glauben an den Schöpfergott<br />

und seine Verheißung. Man kann es auch nennen: Mut<br />

zum fraglichen Sein.<br />

Herzlich danken möchte ich Samuel Bauer und Paula Neven<br />

Du Mont, die bei den Korrekturen behilflich waren, sowie Annette<br />

Weidhas, die das Entstehen des Buches in bewährter Weise<br />

als kritische Gesprächspart- nerin theologisch und verlegerisch<br />

begleitet hat.<br />

Wien, im Januar 2024 <strong>Ulrich</strong> H. J. <strong>Körtner</strong><br />

11


Inhalt<br />

I Letzte generation? .................................................................... 15<br />

1 Partnerschaften mit NGOs als Zukunftsmodell? .............. 16<br />

2 Unterschiedliche Missionsverständnisse ............................ 18<br />

3 An Missverständnis nicht ganz unschuldig ...................... 19<br />

4 Neue Gesetzlichkeit ................................................................ 20<br />

5 Jesus trat nicht als Moralprediger auf .................................. 22<br />

6 Kirche, Demokratie und Rechtsstaat ................................... 23<br />

7 Neigung zu gesinnungsethischen Positionen .................. 25<br />

II <strong>Schöpfung</strong>sglaube und Klimaschutz ........................ 27<br />

1 Tätiges Lob des Schöpfers ...................................................... 27<br />

2 <strong>Schöpfung</strong>sglaube und moderne Naturwissenschaften 32<br />

3 <strong>Schöpfung</strong> und Evolution .................................................... 34<br />

4 Bewahrung der <strong>Schöpfung</strong> ................................................... 45<br />

5 Gottesglaube in Zeiten des Klimawandels .......................... 58<br />

III Ökologische Ethik und <strong>Schöpfung</strong>sglaube ............. 71<br />

1 Ökologie und ökologische Ethik ........................................... 71<br />

2 Verantwortungsethischer Anthropozentrismus ............... 81<br />

3 Ambiguitätsprobleme beim Klimaschutz .......................... 91<br />

4 Klimawandel und Globalisierung ........................................ 98<br />

IV Bebauen und Bewahren ....................................................... 107<br />

Theologische Gesichtspunkte einer Land(nutzungs)ethik<br />

1 Landethik ................................................................................... 107<br />

2 Aldo Leopolds und J. Baird Callicots Konzeption<br />

einer Landethik ......................................................................... 110<br />

13


Inhalt<br />

3 Theologie der Erde ................................................................ 118<br />

4 Biblisch inspirierte Land(nutzungs)ethik ........................ 124<br />

Ausklang: Endliche <strong>Schöpfung</strong>sverantwortung ... 131<br />

Nachweise .................................................................................... 139<br />

14


I Letzte Generation?<br />

epd-bild/Jens Schulze<br />

Ein Bild mit Symbolkraft: zwei Vertreterinnen einer letzten Generation.<br />

Das Foto zeigt die Klimaaktivistin Aimée van Baalen<br />

gemeinsam mit der EKD-Präses, Anna-Nicole Heinrich, auf der<br />

EKD-Synode, die vom 6. bis 9. November 2022 in Magdeburg<br />

stattfand. Ihre Rede, in der Frau van Baalen um die Unterstützung<br />

der evangelischen Kirche für die Anliegen ihrer Organisation,<br />

der „Letzten Generation“ warb, wurde mit Standing Ovations<br />

bedacht.<br />

Der Applaus galt wohl nicht nur aus gesinnungsethischen<br />

Motiven – Stichwort „Bewahrung der <strong>Schöpfung</strong>“ – einer demokratiepolitisch<br />

fragwürdigen Gruppierung, die mit Straßen- und<br />

Flughafenblockaden sowie Sachbeschädigung von Kunstwerken<br />

15


I Letzte Generation?<br />

in Museen die Politik dazu zwingen will, ein Tempolimit von 100<br />

Stundenkilometern auf Deutschlands Autobahnen und ein<br />

Neun-Euro-Ticket für den Bahnverkehr einzuführen. Manche<br />

Synodale scheinen in dieser Solidarisierungsaktion auch den Aufbruch<br />

ihrer Kirche in eine lichte Zukunft gesehen zu haben.<br />

Daran erinnerte wenige Tage vor Weihnachten 2022 noch einmal<br />

das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL, der Anna-Nicole<br />

Heinrich, der jungen Synodenpräses, einen längeren unterhaltsam-interessanten<br />

Bericht widmete. Er schildert unter anderem,<br />

wie Heinrich eine Woche vor der EKD-Synode im November in<br />

einem Telefonat mit ihrem Referenten sagt: „I’m a rebel. Wir machen<br />

das jetzt so.“ Das sind neue Töne.<br />

1 Partnerschaften mit NGOs als Zukunftsmodell?<br />

Eine andere Sprache sprechen die steigenden Austrittszahlen bei<br />

der evangelischen wie der römisch-katholischen Kirche, die<br />

massiven Anzeichen fortschreitender Säkularisierung sowie die<br />

zunehmende Distanz des politischen Spitzenpersonals zu den<br />

Kirchen und ihren Repräsentanten. 1 Schon vor einigen Jahren<br />

hatte der ehemalige theologische Vizepräsident der EKD, Thies<br />

Gundlach, im Zuge der Auseinandersetzung um das von der EKD<br />

gesponserte Flüchtlingsschiff Sea-Watch 4 und um die Position<br />

der EKD in flüchtlings- und migrationspolitischen Fragen die<br />

Ansicht vertreten, strategische Partnerschaften mit säkularen<br />

NGOs seien die Missionsstrategie der Zukunft.<br />

Im Jahr 2019 wurde das Bündnis „United4Rescue“ geschmiedet,<br />

am 3. November 2022 – also unmittelbar vor Beginn der EKD-<br />

1 Vgl. auch die Ergebnisse der 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung: Wie<br />

hältst du’s mit der Kirche? Zur Bedeutung der Kirche in der Gesellschaft.<br />

Erste Ergebnisse der 6. Kirchenmitgliedschafsuntersuchung, Leipzig 2023.<br />

16


1 Partnerschaften mit NGOs als Zukunftsmodell?<br />

Synode – das Rettungsschiff Sea-Watch 5 in Hamburg getauft.<br />

Nun also die umweltpolitische Solidarisierung mit der „Letzten<br />

Generation“, die momentan mehr als die Organisation „Extinction<br />

Rebellion“ von sich reden macht, die unter anderem<br />

von Carola Rackete, die 2019 Kapitänin der Sea-Watch 3 war, unterstützt<br />

wird.<br />

Verfolgt man die kirchlichen Reformdebatten, die Umbrüche<br />

und Abbrüche, die durch die Corona-Pandemie an Dynamik<br />

gewonnen haben, kann man versucht sein, auch hier von einer<br />

letzten Generation zu sprechen. Beim Klimaschutz heißt es: „Wir<br />

alle sind die letzte Generation, die eine Klimahölle noch verhindern<br />

kann.“ Der Generationenbegriff wird also auf die jetzt Lebenden,<br />

soweit sie schon oder noch in der Lage sind, eigenständig<br />

Verantwortung zu übernehmen, angewandt und nicht etwa nur<br />

auf die Kohorte der unter Dreißigjährigen. In den Kirchen – beim<br />

katholischen Synodalen Weg wie in der evangelischen Kirche –<br />

lautet das Motto sinngemäß: „Wir alle sind die letzte Generation,<br />

die den endgültigen Niedergang der Kirche stoppen kann.“<br />

Bezeichnenderweise fühlt sich der Vorsitzende der Deutschen<br />

Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, von<br />

den Klimaaktivisten der Letzten Generation an die Urchristen erinnert,<br />

die sich als die letzte Generation vor Anbruch der Gottesherrschaft<br />

verstanden hätten – und meint seinen theologisch<br />

abwegigen Vergleich offenbar ernst, auch wenn er die Christen<br />

im Unterschied zu den Klimaaktivisten von Glaubenshoffnung<br />

statt von Zukunftsängsten geleitet sieht. 2<br />

2 Vgl. https://www.katholisch.de/artikel/42272-bischof-baetzing-verstaendnisvoll-gegenueber-letzter-generation<br />

(letzter Zugriff: 6.1.2024).<br />

17


I Letzte Generation?<br />

2 Unterschiedliche Missionsverständnisse<br />

Oft hört man die Forderung, angesichts der fortschreitenden<br />

Entkirchlichung müssten die Kirchen in Deutschland wieder<br />

missionarischer werden. Die EKD versteht unter Mission freilich<br />

etwas anderes als evangelikale oder charismatische Gruppierungen<br />

und Freikirchen. Zum Stichwort Mission liest man in<br />

den 2020 von der EKD-Synode verabschiedeten zwölf Leitsätzen<br />

„zur Zukunft einer aufgeschlossenen Kirche“ 3 , in Anbetracht<br />

schrumpfender Ressourcen werde sich kirchliches Engagement<br />

in Zukunft nicht nur verstärkt „situativ ausrichten und auf<br />

einzelne Problemlagen konzentrieren“. Es werde auch „immer<br />

wichtiger, nach geeigneten Partnern aus der Zivilgesellschaft<br />

Aus schau zu halten und Themenkoalitionen einzugehen“ 4 . Das<br />

Reformationsjubiläum 2017 habe „gezeigt, wie durch Kooperationen<br />

neue Kontaktflächen und Allianzen entstehen. Sie werden<br />

lebendig in gemeinsamen Projekten, herausragenden Events<br />

und persönlichen Begegnungen. Im Zugehen auf andere wird<br />

die evangelische Kirche nicht nur ihrer eigenen Sendung gerecht.<br />

Sie findet Gehör und leistet einen wichtigen Beitrag in der Gesellschaft.<br />

Zugleich kommen Menschen in Berührung mit<br />

Glauben und christlicher Gemeinschaft.“ 5 Das Bündnis United4Rescue<br />

und nun auch die Solidarisierung mit dem Klimaschutzorganisation<br />

Letzte Generation veranschaulichen, was<br />

konkret gemeint ist.<br />

In gewisser Hinsicht verkörpert die Studentin Anna-Nicole<br />

Heinrich an der Spitze der EKD jene „Generation 2017“, von der<br />

im Jahr des Reformationsjubiläums der damalige Ratsvorsit-<br />

3 Text unter https://www.ekd.de/zwoelf-leitsaetze-zur-zukunft-einer-aufgeschlossenen-kirche-60102.htm<br />

(letzter Zugriff: 6.1.2024).<br />

4 Ebd.<br />

5 Ebd.<br />

18


3 An Missverständnis nicht ganz unschuldig<br />

zende der EKD, der Bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-<br />

Strohm, schwärmte. Anlässlich eines Jugendtreffens schrieb er:<br />

„Die Generation 2017 baut mit an der mutigen Kirche der Zukunft.<br />

Die Reformation geht weiter.“ 6 Die Generation 2017 ist das<br />

imaginierte evangelische Seitenstück zum Synodalen Weg in der<br />

katholischen Kirche.<br />

3 An Missverständnis nicht ganz unschuldig<br />

Inzwischen ist von einer Generation 2017 freilich wenig zu hören,<br />

und statt Aufbruchstimmung herrscht eher Katerstimmung. Der<br />

bleierne Schatten sexueller Missbrauchsfälle in der katholischen,<br />

aber auch in der evangelischen Kirche, das systemische Versagen<br />

der katholischen Amtskirche bei ihrer Aufarbeitung und mangelnde<br />

Reformfähigkeit ziehen die Kirchen insgesamt in Mitleidenschaft.<br />

Dass Papst Franziskus den Synodalen Weg mit dem Hinweis<br />

ablehnt, man brauche nicht zwei evangelische Kirchen, es gebe<br />

doch schon eine gute, ist allerdings ein vergiftetes Lob. Es zeugt<br />

überdies von einem unzureichenden Verständnis des Papstes,<br />

was das Wesen der aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen<br />

im Unterschied zur römisch-katholischen Kirche ausmacht.<br />

Dem Synodalen Weg geht es im Kern nicht um eine zweite<br />

Reformation, sondern um eine katholische Reform. 7 Das evangelische<br />

Kirchenverständnis hängt unmittelbar mit dem Herzstück<br />

reformatorischer Theologie, der Lehre von der Rechtfertigung<br />

des Sünders bzw. des Gottlosen allein durch den Glauben<br />

an Jesus Christus, zusammen. In ihr gründen das evangelische<br />

6 Text unter https://landesbischof.bayern-evangelisch.de/chrismon-kolumne-jugend.php<br />

(letzter Zugriff: 6.1.2024).<br />

7 Vgl. <strong>Ulrich</strong> H. J. <strong>Körtner</strong>, „Eine katholische Nationalkirche?“, https://zeitzeichen.net/node/8776<br />

(letzter Zugriff: 4.12.2023).<br />

19


I Letzte Generation?<br />

Verständnis christlicher Freiheit wie auch das evangelische Kirchenverständnis<br />

und sein Kerngedanke vom Priestertum aller<br />

Getauften. Daher gibt es, anders als in der katholischen Kirche,<br />

keine kategoriale Unterscheidung zwischen Ordinierten und<br />

nicht ordinierten Christenmenschen, die vom Synodalen Weg<br />

unangetastet bleibt.<br />

Am päpstlichen Missverständnis sind die evangelischen Kirchen<br />

freilich nicht ganz unschuldig, wenn sie klare reformatorische<br />

Unterscheidung zwischen Evangelium von der freien<br />

Gnade Gottes und dem Gesetz, zwischen dem Zuspruch und dem<br />

Anspruch Gottes, verwischen und sich stattdessen in den Fallstricken<br />

einer neuen Gesetzlichkeit verheddern, die sich um Tempolimits<br />

für kirchliches Personal und Photovoltaik auf Kirchendächern<br />

dreht. So wird das Evangelium mit einem neuen Gesetz<br />

verwechselt, was für Luther einer der Kardinalfehler der spätmittelalterlichen<br />

Kirche war. Nichts gegen wirksame Maßnahmen<br />

zum Klimaschutz und zum Energiesparen! Um deren<br />

Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit einzusehen, braucht es aber<br />

gewiss nicht die Kirche.<br />

4 Neue Gesetzlichkeit<br />

Die theologische Dürftigkeit der vermeintlich letzten Kirchengeneration<br />

lässt sich an manchen Wortmeldungen rund um den<br />

Auftritt von Aimée van Baalen auf der letzten EKD-Synode ablesen.<br />

Diese hatte in ihrer Rede gemeint, letztlich sei doch auch<br />

Jesus „ein Widerständler“ gewesen, „der sich gesellschaftlichen<br />

Regeln und Normen entgegensetzte, wenn seine moralische<br />

Pflicht es verlangte. Er setzte sich immer für unterprivilegierte<br />

Menschen ein, und er riskierte letztendlich dafür den Tod.“ 8<br />

8 https://www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/09-TOP_IX_3-%20Impuls-Aim%c3%a9e_<br />

van_Baalen.pdf, 2 (letzter Zugriff: 4.12.2023).<br />

20


4 Neue Gesetzlichkeit<br />

Jesus als geistiger Ahnherr der „Letzten Generation“, der seiner<br />

moralischen Pflicht Folge leistete: Das ist Gesetzlichkeit pur.<br />

Die neutestamentlichen Schriften stellen Jesus als den dar, der<br />

wie kein anderer Mensch in ungebrochener Beziehung und Willenseinheit<br />

mit Gott lebt und handelt und der am Ende seines<br />

Weges betet: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“ Den<br />

Willen des Vaters tun ist aber nicht mit einer moralischen Pflicht<br />

im philosophischen Sinne zu verwechseln. Jesus verkündigt die<br />

anbrechende Gottesherrschaft, nicht Moral.<br />

Die Verteidiger von van Baalens Auftritt argumentieren, die<br />

Kirche müsse mit der „Letzten Generation“ ins Gespräch kommen.<br />

Jesus hätte bestimmt dasselbe gemacht, ist der evangelisch.de-Redakteur<br />

Frank Muchlinsky überzeugt und begründet<br />

dies mit einer abenteuerlichen Auslegung der Evangelienberichte<br />

über Jesu Umgang mit Zöllnern, die als korrupte Kollaborateure<br />

der Römer geächtet waren. 9 Die Haltung derer, die sich über die<br />

Solidarisierung der EKD mit einer Bewegung empören, die offene<br />

Rechtsbrüche begeht, um ihre politischen Ziele zu erzwingen,<br />

„sollte für jeden Menschen, der sich ernsthaft in der Nachfolge<br />

Jesu Christi sieht, ausgeschlossen sein“.<br />

Für sie ist offenbar in der Kirche der Heiligen der Letzten Generation<br />

kein Platz mehr. Wer sich von der neuen Klimareligion<br />

distanziert, trennt sich vom Heil, oder mit den Worten Muchlinskys:<br />

„Wer sich darüber aufregt, dass die Kirche mit Menschen<br />

redet, die ein wichtiges Anliegen haben, hat die christliche Gemeinschaft<br />

bereits verlassen. Das bedeutet freilich nicht, dass<br />

man nicht zurückkehren könne, aber dazu bräuchte es eben eine<br />

offene Haltung.“ 10 Die reuigen Sünder bekommen also noch eine<br />

9 Vgl. Frank Muchlinsky, Mit der „Last Generation“ sprechen?, https://www.<br />

evangelisch.de/inhalte/208020/09-11-2022/kommentar-zum-klimaprotestmit-der-last-generation-sprechen,<br />

9.11.2022 (letzter Zugriff: 4.12.2023).<br />

10 Ebd.<br />

21


II <strong>Schöpfung</strong>sglaube<br />

und Klimaschutz<br />

1 Tätiges Lob des Schöpfers<br />

Umweltschutz und Klimaschutz sind eine praktische Weise, den<br />

Glauben an Gott den Schöpfer zu bekennen. Was gern als Bewahrung<br />

der <strong>Schöpfung</strong> bezeichnet wird, ist doch nur dann ein<br />

dezidiert christliches Unterfangen, wenn sich darin das Bekenntnis<br />

zu demjenigen, welcher der Ursprung und Grund der<br />

<strong>Schöpfung</strong> ist, ausspricht. Mehr noch, wenn das umweltethische<br />

Engagement nicht nur und in erster Linie von der Sorge um den<br />

Erhalt der Natur und der natürlichen Grundlagen unseres Lebens<br />

geleitet wird, sondern wenn darin zugleich das Lob des<br />

Schöpfers Gestalt gewinnt. Die <strong>Schöpfung</strong> nicht nur um des<br />

Menschen willen, sondern auch um ihrer selbst willen zu achten,<br />

ist Ausdruck der im Glauben empfundenen Dankbarkeit für<br />

das eigene Dasein wie für die Existenz der Welt im Ganzen.<br />

Recht verstanden bedeutet christlicher Glaube, auf neue<br />

Weise zu lernen, als Geschöpfe Gottes zu leben, was nur möglich<br />

im Einklang mit der gesamten <strong>Schöpfung</strong> ist. Ich kann mich<br />

nicht als Geschöpf Gottes verstehen, wenn ich nicht zugleich die<br />

Welt als seine <strong>Schöpfung</strong> verstehe und achte, sind wir doch als<br />

leiblich-seelische Wesen vom Moment unserer Zeugung und unserer<br />

Geburt an mit der gesamten <strong>Schöpfung</strong> verwoben. Ganz<br />

elementar zeigt sich das im Stoffwechsel unseres Körpers und<br />

bei jedem Atemzug, den wir tun. Eine isolierte Betrachtungsweise<br />

unserer Subjektivität und Individualität verkennt den Umstand,<br />

dass wir in einem beständigen Austausch mit der uns<br />

27


II <strong>Schöpfung</strong>sglaube und Klimaschutz<br />

umgebenden Natur existieren und überhaupt nur so existieren<br />

können.<br />

Das Wort <strong>Schöpfung</strong> ist aber nicht etwa nur ein anderer<br />

Begriff für das, was wir Natur nennen, sondern es rückt die natürliche<br />

Welt in eine ganz neue Perspektive, nämlich in die Perspektive<br />

ihres Gottesbezuges. Dieser Gottesbezug von uns<br />

Menschen ist freilich von Haus aus grundlegend gestört, um<br />

nicht zu sagen zerstört. Der biblische Begriff hierfür ist derjenige<br />

der Sünde. Sie bedeutet, dass zwischen Gott und Mensch ein Riss<br />

entsteht, den der Mensch von sich aus nicht schließen kann. Die<br />

Abkehr des Menschen von Gott bedeutet nun aber, wie die Bibel<br />

bezeugt, nicht im Gegenzug die Abkehr Gottes von uns Menschen.<br />

Dass Gott dem Menschen die Treue hält und ihm gnädig<br />

zugewandt bleibt, zeigt sich im Fortbestand der Welt, die ihren<br />

Grund in der universalen Liebe Gottes hat, die in Jesus Christus<br />

endgültig offenbar geworden ist. Das Johannesevangelium<br />

drückt es so aus: „So sehr hat Gott die Welt (griechisch: den Kosmos)<br />

geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn sandte, auf dass<br />

alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige<br />

Leben haben“ (Joh 3,16). Ewiges Leben aber ist die Erfüllung geschöpflichen<br />

Lebens. Von Sünde und Tod errettet zu werden, bedeutet,<br />

auf neue Weise als Geschöpf Gottes zu leben. Das<br />

Johannesevangelium spricht davon, im Glauben neu geboren zu<br />

werden (Joh 3,3–8), nämlich aus dem Geist Gottes, der zugleich<br />

der Geist Christi ist.<br />

Paulus drückt es so aus: „Ist jemand in Christus, dann ist das<br />

neue <strong>Schöpfung</strong>; das Alte ist vergangen, siehe Neues ist geworden“<br />

(2Kor 5,17). Luther übersetzt: „Ist jemand in Christus, so ist<br />

er eine neue Kreatur.“ Aus Glauben leben heißt neu geboren sein,<br />

heißt ein neues Geschöpf zu sein und auf neue Weise als Geschöpf<br />

Gottes zu leben.<br />

Was das bedeutet, lässt sich an Luthers Auslegung des Apostolischen<br />

Glaubensbekenntnisses studieren. Die Aussage: „Ich<br />

28


1 Tätiges Lob des Schöpfers<br />

glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer, des<br />

Himmels und der Erde“, interpretiert Luther in seinem Kleinen<br />

Katechismus mit folgenden Worten:<br />

„Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen, mir<br />

Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne<br />

gegeben hat und noch erhält; dazu Kleider und Schuh, Essen und<br />

Trinken, Haus und Hof, Weib und Kind, Acker, Vieh und alle Güter;<br />

mit allem, was not tut für Leib und Leben, mich reichlich und täglich<br />

versorgt, in allen Gefahren beschirmt und vor allem Übel behütet<br />

und bewahrt; und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und<br />

Barmherzigkeit, ohn all mein Verdienst und Würdigkeit: für all das<br />

ich ihm zu danken und zu loben und dafür zu dienen und gehorsam<br />

zu sein schuldig bin. Das ist gewisslich wahr.“ 1<br />

Man beachte, dass sich Luther nicht in allgemeinen Spekulationen<br />

über den Ursprung des Kosmos ergeht, sondern dass er das<br />

Bekenntnis zu Gott dem Schöpfer von der eigenen Existenz und<br />

Glaubenserfahrung her auslegt. Wer sich selbst als Geschöpf Gottes<br />

begreift, der kann gar nicht anders als zugleich auch die ihn<br />

umgebende Natur und Mitwelt als <strong>Schöpfung</strong> Gottes zu sehen.<br />

Wer sagt, dass ihn Gott geschaffen hat, muss zugleich sagen:<br />

„samt allen Kreaturen“. Dass Gott die <strong>Schöpfung</strong> fortdauernd erhält,<br />

erfährt der Glaubende tagtäglich in seinem persönlichen<br />

Leben. Im Glauben geht ihm auf, dass all dies geschieht „ohn all<br />

mein Verdienst und Würdigkeit“. Mit anderen Worten: Schon<br />

das geschöpfliche Dasein verdankt sich der grundlosen Güte und<br />

Barmherzigkeit Gottes. Die Rechtfertigung des Sünders allein<br />

aus Gnade und allein durch den Glauben an Jesus Christus<br />

erschließt sich somit als neue Erfahrung der eigenen Geschöpflichkeit.<br />

Anders gesagt: Luther interpretiert den <strong>Schöpfung</strong>sglauben<br />

rechtfertigungstheologisch. Die eigene Existenz ist<br />

bedingungslose Gnade, und die angemessene Antwort auf diese<br />

1 BSLK 510,33–511,8 (Schreibweise modernisiert).<br />

29


III Ökologische Ethik<br />

und <strong>Schöpfung</strong>sglaube<br />

1 Ökologie und ökologische Ethik<br />

1866 prägte Ernst Haeckel den Begriff der Ökologie, um mit ihm<br />

einen neuen Forschungszweig in der Biologie zu bezeichnen.<br />

Unter Ökologie verstand Haeckel „die gesammte Wissenschaft<br />

von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Aussenwelt,<br />

wohin wir im weiteren Sinne alle „Existenz-Bedingungen“<br />

rechnen können. Diese sind theils organischer, theils<br />

an organischer Natur; sowohl diese als jene sind, wie wir vorher<br />

gezeigt haben, von der grössten Bedeutung für die Form der Organismen,<br />

weil sie dieselbe zwingen, sich ihnen anzupassen“ 1 .<br />

Der Mediziner, Zoologe und Naturphilosoph Haeckel trug maßgeblich<br />

zur Verbreitung der Evolutionstheorie Charles Darwins<br />

bei, die er zu einer monistischen Weltanschauung erweiterte und<br />

sogar als „monistische Religion“ bezeichnen konnte. 2 Ökologie<br />

im Sinne Haeckels hat also mit dem biblischen <strong>Schöpfung</strong>sglauben<br />

nichts zu tun, im Gegenteil. Heutzutage versteht man unter<br />

Ökologie die Wissenschaft von den Beziehungen der Organismen<br />

untereinander und zu ihrer Umwelt, die dabei im interdiszipli-<br />

1 Ernst Haeckel, Generelle Morphologie der Organismen. Allgemeine Grundzüge<br />

der organischen Formen-Wissenschaft, mechanisch begründet durch<br />

die von Charles Darwin reformirte Descendenz-Theorie, Berlin 1866, Bd. 2,<br />

286.<br />

2 Vgl. Sigurd Daecke, Art. Haeckel, Ernst, in: RGG 4 III, Tübingen 2000, 1371–<br />

1372.<br />

71


III Ökologische Ethik und <strong>Schöpfung</strong>sglaube<br />

nären Austausch mit Chemie, Physik, Geologie, Geographie,<br />

Hydrologie und Meteorologie steht. 3 Mit der Beziehung zwischen<br />

dem Menschen und seiner Umwelt befasst sich näherhin<br />

die Humanökologie. Eine monistische Weltanschauung im Sinne<br />

Haeckels ist dabei nicht unbedingt vorausgesetzt.<br />

Nun hat die Ökologie infolge der seit den 70er-Jahren des vergangenen<br />

Jahrhunderts diagnostizierten ökologischen Krise<br />

einen enormen Aufschwung erfahren. Umstritten ist allerdings<br />

ihr wissenschaftstheoretischer Status. Während manche Vertreter<br />

in der Ökologie eine Art von Leitwissenschaft oder Supertheorie<br />

sehen, 4 weisen ihr andere Wissenschaftler lediglich eine<br />

interdisziplinäre Brückenfunktion zu. Diese Ansicht vertritt<br />

z. B. der deutsche Sachverständigenrat für Umweltfragen, welcher<br />

den Querschnitts-, Koordinations- und Verbindungscharakter<br />

der Ökologie auf den Begriff der „Bündelungskompetenz“<br />

bringt. 5<br />

Es lässt sich nicht bestreiten, dass ökologische Systeme eine<br />

umfassende Ordnung bilden, in die das menschliche Leben<br />

nicht nur biologisch, sondern auch existentiell eingebunden ist,<br />

3 Vgl. Markus Vogt, Art. Ökologie, in: Lexikon der Bioethik, Bd. 2, Gütersloh<br />

2000, 798–1802.<br />

4 So z. B. Gernot Böhme (Hg.), Soziale Naturwissenschaft. Wege zu einer<br />

Erweiterung der Ökologie, Frankfurt a. M. 1985; Arne Naess, Ecology, community<br />

and lifestyle. Outline of an ecosophy, Cambridge 1989; Fritjof<br />

Capra, Lebensnetz. Ein neues Verständnis der lebendigen Welt, Bern u. a.<br />

1996. Vgl. auch Peter Cornelius Mayer-Tasch (Hg.), Natur denken. Eine<br />

Genealogie der ökologischen Idee, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1991. Kritisch gegenüber<br />

derartigen Konzeptionen äußern sich z. B. Kurt Bayertz, Ökologie<br />

als Medizin der Umwelt? Überlegungen zum Theorie-Praxis-Problem in<br />

der Ökologie, in: ders. (Hg.), Ökologische Ethik, München/Zürich 1988, 86–<br />

101; Ludwig Trepl, Ökologie als Heilslehre, Zum Naturbild der Umweltbewegung,<br />

in: Politische Ökologie 25 (1991), 39–45.<br />

5 Der Rat Von Sachverständigen, Umweltgutachten 1994: Für eine dauerhaft-umweltgerechte<br />

Entwicklung, Stuttgart 1994, 69.<br />

72


1 Ökologie und ökologische Ethik<br />

weshalb ihnen für das Selbstverständnis des Menschen eine<br />

wichtige Bedeutung zukommt. Gleichwohl: „Die oft schwer<br />

durchschaubare Mischung von hermeneutischen, systemtheoretischen<br />

und therapeutischen Elementen in der Ökologie ist ein<br />

wesentlicher Grund für ihre besondere Attraktivität, aber auch<br />

für ihre besondere Problematik.“ 6 Insbesondere ist gegenüber<br />

Konzeptionen, welche die Ökologie zur umfassenden Basiswissenschaft<br />

erklären bzw. ihre Grenzen in Richtung auf eine ökologische<br />

Weisheitslehre transzendieren wollen, größte Skepsis<br />

angebracht.<br />

Dessen ungeachtet hat sich in den zurückliegenden Jahrzehnten<br />

der Begriff einer ökologischen Ethik etabliert. 7 Häufig<br />

fungiert er als synonyme Bezeichnung für Umweltethik, d. h. für<br />

die Ethik des Umgangs mit der Natur als Ganzer und ihren Ressourcen.<br />

Während der Begriff der Bioethik vor allem den Umgang<br />

des Menschen mit nichtmenschlichen Lebewesen zum<br />

Gegenstand hat, zielt eine ökologische Ethik auf die Erhaltung<br />

der irdischen Biosphäre als Ganzer, wobei auch die unbelebte<br />

Natur in die ethische Reflexion einbezogen werden kann.<br />

Auch die Theologie und die Kirchen haben auf die Umweltkrise<br />

reagiert. Im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts<br />

6 Vogt, Ökologie (s. Anm. 3), 801.<br />

7 Vgl. Angelika Krebs/Anton Leist, Ökologische Ethik I u. II , in: Julian Nida-<br />

Rümelin (Hg.), Angewandte Ethik. Die Bereichsethiken und ihre theoretische<br />

Fundierung, Stuttgart 1996, 347–385; Dietmar Von Der Pfordten, Ökologische<br />

Ethik. Zur Rechtfertigung menschlichen Verhaltens gegenüber<br />

der Natur, Reinbek 1996; Dieter Birnbacher, Ökologie und Ethik. Bibliographisch<br />

ergänzte Ausgabe, Stuttgart 2001; Andreas Brenner, UmweltEthik.<br />

Ein Lehr- und Lesebuch, Fribourg 2008; Angelika Krebs (Hg.), Naturethik.<br />

Grundtexte der gegenwärtigen tier- und ökoethischen Diskussion, Frankfurt<br />

a. M. 5 2009. – Zur theologischen Diskussion siehe Adrian Holderegger<br />

(Hg.), Ökologische Ethik als Orientierungswissenschaft. Von der Illusion<br />

zur Realität (Ethik und politische Philosophie 1), Fribourg 1997.<br />

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