FINE - Das Weinmagazin - 65. Ausgabe - 02/2024

Hauptthema: BORDEAUX Château Lascombes: Frische Luft für einen Klassiker Weitere Themen dieser Ausgabe EDITORIAL Von Könnern und Kritikern NAPA VALLEY Cardinale Winery: Die Blackbox NAPA VALLEY Freemark Abbey: Harte Arbeit und Visionen NAPA VALLEY Lokoya Winery: Das gebirgige Quartett WEIN & SPEISEN Jürgen Dollase isst im Vendôme in Bergisch Gladbach GENIESSEN Der sanfte Berliner Blau von Urstrom Käse UMBRIEN Nibbio della Sala: Das Gipfelwerk PORTRÄT Renzo Cotarella: Der Vertraute des Marchese DIE PIGOTT-KOLUMNE Platzt gerade eine globale Weinblase? CHAMPAGNE Egly-Ouriet: Perlen ohne Allüren CHAMPAGNE Charles Heidsieck: Ein tiefes Verständnis von Zeit CHAMPAGNE Krug × Schiller: Wie man Champagner vertont DAS GROSSE DUTZEND Rosé-Champagner aus der Magnum GESPRÄCH Jeannie Cho Lee MW über den Weinmarkt in Asien SCHWEIZ Die nächste Generation übernimmt – sechs Beispiele PORTRÄT Der streitbare Schreiber und Winzer Armin Diel WEIN & ZEIT Der Weinbau im Burgenland nach dem Ersten Weltkrieg BADEN Schloss Ortenberg: Neuanfang dank Thomas Althoff ABGANG Im Zweifel für das Schweigen Hauptthema: BORDEAUX Château Lascombes: Frische Luft für einen Klassiker
Weitere Themen dieser Ausgabe
EDITORIAL Von Könnern und Kritikern
NAPA VALLEY Cardinale Winery: Die Blackbox
NAPA VALLEY Freemark Abbey: Harte Arbeit und Visionen
NAPA VALLEY Lokoya Winery: Das gebirgige Quartett
WEIN & SPEISEN Jürgen Dollase isst im Vendôme in Bergisch Gladbach
GENIESSEN Der sanfte Berliner Blau von Urstrom Käse
UMBRIEN Nibbio della Sala: Das Gipfelwerk
PORTRÄT Renzo Cotarella: Der Vertraute des Marchese
DIE PIGOTT-KOLUMNE Platzt gerade eine globale Weinblase?
CHAMPAGNE Egly-Ouriet: Perlen ohne Allüren
CHAMPAGNE Charles Heidsieck: Ein tiefes Verständnis von Zeit
CHAMPAGNE Krug × Schiller: Wie man Champagner vertont
DAS GROSSE DUTZEND Rosé-Champagner aus der Magnum
GESPRÄCH Jeannie Cho Lee MW über den Weinmarkt in Asien
SCHWEIZ Die nächste Generation übernimmt – sechs Beispiele
PORTRÄT Der streitbare Schreiber und Winzer Armin Diel
WEIN & ZEIT Der Weinbau im Burgenland nach dem Ersten Weltkrieg
BADEN Schloss Ortenberg: Neuanfang dank Thomas Althoff
ABGANG Im Zweifel für das Schweigen

29.05.2024 Aufrufe

DIE STUART PIGOTT-KOLUMNE AM ENDE DES BOOMS: PLATZT EINE GLOBALE WEINBLASE? Anfang dieses Jahres landete eine Reihe schlechter Nachrichten vom rückläufigen Weinverkauf in meinem E-Mail-Postfach. Plötzlich gab es so viele Prozentangaben im negativen Bereich, dass sie in meinem Kopf einen Brei aus deprimierenden Zahlen bildeten. Theoretisch könnte man eine nach der andere analysieren, aber ich glaube, es bringt nicht viel, die Unterschiede unter ihnen auseinanderzudröseln beziehungsweise sich die Frage zu stellen, warum das eine Gebiet bloß 15 Prozent weniger Wein verkauft und ein anderes 35 Prozent. Nur ein Punkt ist relativ klar: Diese Krise trifft teure Weine heftiger als billige Weine oder Weine mit dem Ruf, ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis zu bieten. Teuer ist plötzlich unerwünscht, wenn der Wein nicht gerade eine Legende ist. Sehr schnell fragten manche Mitglieder der Branche, ob jetzt »die Weltweinblase« geplatzt sei. Demnach hätte es – mit kurzen Unterbrechungen – seit Anfang der 1980er-Jahre einen globalen Weinboom gegeben, der in den letzten paar Jahren in eine Blase gemündet wäre, und die wäre nun verpuff. Zum ersten Teil dieser Vorstellung kann ich sagen: Ja, es gab tatsächlich einen großen Weinboom, der über Jahrzehnte angehalten hat. Das weiß ich so genau, weil der Anfang meiner Karriere als Weinjournalist mit dem Anfang dieser Hausse zusammenfiel. Ich hätte es nicht besser treffen können, aber es war nur ein glücklicher Zufall, dank dem ich diese ganze Entwicklung verfolgen und miterleben konnte. Es war faszinierend zu sehen, wie zahlreiche Anbaugebiete und Weinländer aufgestiegen sind, manche davon, beispielsweise Chile oder Neuseeland, auf spektakuläre Weise. Während der 70er- und frühen 80er-Jahre wurden dort kaum hochwertige oder ei genständige Weine erzeugt, daher war der Kontrast zwischen der rustikalen alten und der charaktervollen neuen Produktion ziemlich krass. Natürlich war es auch total spannend, Ende der 80er-Jahre die ersten genialen Pinots Noirs aus dem kalifornischen Sonoma County zu verkosten und parallel dazu die Entfaltung des neuen Geistes in der Toskana zu erleben. Selbst in längst etablierten Gebieten wie Bordeaux und Burgund fand ein großer technologischer und stilistischer Wandel statt, verbunden mit einem qualitativen Aufstieg. Persönlichkeiten wie Henri Jayer im burgundischen Vosne-Romanée und Jacques Thienpont von Le Pin im Bordelaiser Pomerol haben die Weine ihrer Regionen neu er - funden und Möglichkeiten geschaffen, die von zahlreichen Kollegen genutzt wurden. All diese Abläufe haben FINE und mir einen großen Fundus an Storys geboten, aus dem wir freudig geschöpft haben. Aber zurück zur »Weinblase«. Die Wahrheit ist, dass es keine klare Grenze gibt zwischen ein paar überdurchschnittlich ergiebigen Lesen und systematischer Überproduktion – was lange für das eine gehalten wurde, kann sich plötzlich als das andere entpuppen. Fassweinpreise sind wichtige Indikatoren für den Zustand der Branche in unterschiedlichen Gebieten und für die Wertschätzung diverser Weinkategorien. Man sollte sie im Auge behalten, wenn man wissen möchte, wie gut es den Winzern tendenziell geht. So spricht etwa die Entwicklung der Fassweinpreise in Australien Bände über den Zustand der ge - samten Industrie, und sie haben mich gerade schwer schockiert. Im Juli 2020 kostete ein Liter australischer Rotwein aus den Rebsorten Shiraz, Cabernet Sauvignon und Merlot 1,50 Australische Dollar. Im Juli 2023 lagen die Preise für diese Kernsorten der australischen Weinproduktion durchweg bei nur 60 Cent. Hauptverantwortlich für diesen fast beispiellosen Preis verfall sind die gewaltigen Importzölle, mit de - nen China vor vier Jahren australische Weine belegt hatte. Aber sie allein erklären ihn nicht, weil für die Australier auch Europa und Amerika sehr wichtige Märkte sind. Ende März dieses Jahres hob China diese Zölle auf, aber nach einer derartig langen Lücke müssen die Australier ihren Platz auf dem dortigen Weinmarkt von nahezu Null wieder aufbauen. Natürlich beziehen sich Fassweinpreise auf den Bereich der alltäglichen Weine. Bei hochwertigem Wein ist mein wichtigster Maßstab dafür, ob es ei ne Überproduktion in einer bestimmten Region oder Appellation gibt, die Häufigkeit der Sonderangebote für Endverbraucher. Obwohl momentan ziemlich viele davon auftauchen, ist die Situation nicht fundamental anders als vor ein paar Jahren. Falls es also wirklich eine riesige Weinblase gibt, ist sie aus meiner Sicht nicht erst kürzlich entstanden. Die extremen Höhenflüge in ein paar Bereichen, vor allem bei roten Burgundern und Prestige-Cuvée- Champagnern, sind Ausnahmen in diesem Bild. Da sind wohl zwischen Herbst 2020 und Ende 2022 aus geprägte Blasen entstanden und auch geplatzt. Aber wenn eine Weinkategorie zum ultimativen Statussymbol für Neureiche aufsteigt, so ist ihre Entwick lung natürlich nicht vergleichbar mit der auf dem allgemeinen Weinmarkt; der Kontrast zwischen den Märkten für Kleinwagen und teure Sportwagen ist ziemlich ähnlich. Solche Preise am oberen Rand kommen nur zustande, wenn die Nachfrage für bestimmte Weine die Produktion um Dimensio nen übersteigt und dazu eine überzogene Idealisierung dieser Weine stattfindet. Um das zu ermöglichen, muss die Realität der Erzeugung durch Träume er setzt werden, und das beschreibt exakt die Situation der anspruchsvollen burgundischen Weine der letzten Jahre. Doch die Erfahrung lehrt, dass in sol chen Fällen irgendwann das Ganze kippt – und so ist die Anbetung von Burgund dem »Burgundy bashing« gewichen, bei dem die Region blindlings niedergemacht wird. Guter Wein ist nicht schuld an der Inflation, doch sie trifft ihn hart Die Inflation der letzten paar Jahre war für fast jeden von uns irgendwann schmerzlich spürbar, aber sie könnte hoffentlich ein Ausnahmephänomen bleiben. Ihr Hauptgrund lag Lichtjahre vom guten Wein entfernt im massiven Anstieg der Energiepreise, bedingt durch den Krieg in der Ukraine und seine Folgen. Sehr viele Menschen in sehr vielen Ländern haben seitdem weniger Geld zum Ausgeben und üben sich in Vorsicht beim Einkaufen, auch beim Wein. Deutschland ist gewiss nicht das einzige Land, in dem Wein kein unantastbares Image genießt, das ihn vor den Inflationsfolgen hätte schützen können. Nein, bei uns ist der Wein empfindlich exponiert. Seit einem Jahr fällt die Inflationsrate in Deutschland beinahe jeden Monat, zuletzt lag sie bei einem Viertel ihres Spitzenwerts von 8,8 Prozent im Herbst 2022. Diese Tendenz haben die großen Industriestaa ten gemeinsam, aber in manchen anderen Ländern wie den USA und Großbritannien lagen und liegen die Werte deutlich höher als bei uns – kein Wunder, dass diese Weinmärkte die Folgen der Infla tion sehr deutlich gespürt haben. Doch an der Ostküste der USA steigt der Weinverkauf jetzt wieder, was vielleicht als Erneuerung der guten Zeiten für die Branche gedeutet werden kann. Wenn das stimmt, ist dann die Frage nach der »Weinblase« ad acta gelegt? Jein. Ich sehe Langzeittrends, die gegen eine unproblematische Rückkehr zum Boom des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts sprechen. Zum Beispiel hat sich der Rotweinkonsum in Frankreich seit 1994 fast exakt halbiert. Ein Teil davon wurde durch den Aufschwung der Rosés (besonders aus der Provence) ausgeglichen, und auch das etwas weniger auffällige Wachstum im Bereich der Crémants, vor Bei hochwertigem Wein ist mein wichtigster Maßstab dafür, ob es eine Überproduktion in einer bestimmten Region oder Appellation gibt, die Häufigkeit der Sonderangebote für Endverbraucher. Obwohl momentan ziemlich viele davon auftauchen, ist die Situation nicht fundamental anders als vor ein paar Jahren allem von der Loire, aus Burgund und dem Elsass, hat einiges aufgefangen. Jetzt aber hat die Rosé-Welle definitiv ihren Höhepunkt überschritten, so wie jede Mode erst steigt und dann wieder fällt. Die Folgen davon sind vor allem bei jenen großen französischen Anbaugebieten sichtbar, die sehr viel Rotwein im Basisbereich erzeugen. Jetzt steht in den Regalen einer französische Supermarktkette ein roter Bordeaux für 1,60 Euro – ein klares Zeichen für einen übersättigten Markt, der nur durch extreme Rabatte zu entlasten ist. Natürlich sieht die Situation für Spitzen-Bordeaux ganz anders aus, ist dort aber auch nicht nur rosig, weil die chinesische Weinblase tatsächlich geplatzt zu sein scheint: 2023 importierte China gerade mal ein Drittel des Spitzenwerts von 2018! Und seit der Markt dort vor 20 Jahren zu wachsen begann, war roter Bordeaux die wichtigste Weinkategorie des Landes. Das ist noch ein Grund, weswegen ich sicher bin, dass die Anbaufläche des Bordelais schon ziemlich bald deutlich schrumpfen wird. Viele junge Menschen wollen jede Form von Alkohol vermeiden Ich fürchte, Deutschland liegt mit dem Schrumpfungsprozess nur ein paar Jahre hinter Bordeaux, denn hier vollzieht sich gerade eine ähnlicher Konsumenten-Generationswechsel wie in Frankreich. 66 FINE 2 | 2024 DIE PIGOTT-KOLUMNE DIE PIGOTT-KOLUMNE FINE 2 | 2024 67

DIE STUART PIGOTT-KOLUMNE<br />

AM ENDE<br />

DES BOOMS:<br />

PLATZT EINE<br />

GLOBALE<br />

WEINBLASE?<br />

Anfang dieses Jahres landete eine Reihe schlechter Nachrichten vom<br />

rückläufigen Weinverkauf in meinem E-Mail-Postfach. Plötzlich gab es<br />

so viele Prozentangaben im negativen Bereich, dass sie in meinem Kopf<br />

einen Brei aus deprimierenden Zahlen bildeten. Theoretisch könnte man<br />

eine nach der andere analysieren, aber ich glaube, es bringt nicht viel, die<br />

Unterschiede unter ihnen auseinanderzudröseln beziehungsweise sich<br />

die Frage zu stellen, warum das eine Gebiet bloß 15 Prozent weniger Wein<br />

verkauft und ein anderes 35 Prozent. Nur ein Punkt ist relativ klar: Diese<br />

Krise trifft teure Weine heftiger als billige Weine oder Weine mit dem<br />

Ruf, ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis zu bieten. Teuer ist plötzlich<br />

unerwünscht, wenn der Wein nicht gerade eine Legende ist.<br />

Sehr schnell fragten manche Mitglieder der Branche,<br />

ob jetzt »die Weltweinblase« geplatzt sei. Demnach<br />

hätte es – mit kurzen Unterbrechungen – seit Anfang<br />

der 1980er-Jahre einen globalen Weinboom gegeben, der in<br />

den letzten paar Jahren in eine Blase gemündet wäre, und die<br />

wäre nun verpuff. Zum ersten Teil dieser Vorstellung kann<br />

ich sagen: Ja, es gab tatsächlich einen großen Weinboom, der<br />

über Jahrzehnte angehalten hat. <strong>Das</strong> weiß ich so genau, weil<br />

der Anfang meiner Karriere als Weinjournalist mit dem Anfang<br />

dieser Hausse zusammenfiel. Ich hätte es nicht besser treffen<br />

können, aber es war nur ein glücklicher Zufall, dank dem ich<br />

diese ganze Entwicklung verfolgen und miterleben konnte.<br />

Es war faszinierend zu sehen, wie zahlreiche Anbaugebiete<br />

und Weinländer aufgestiegen sind, manche davon, beispielsweise<br />

Chile oder Neuseeland, auf spektakuläre Weise. Während<br />

der 70er- und frühen 80er-Jahre wurden dort kaum hochwertige<br />

oder ei genständige Weine erzeugt, daher war der Kontrast<br />

zwischen der rustikalen alten und der charaktervollen neuen<br />

Produktion ziemlich krass. Natürlich war es auch total<br />

spannend, Ende der 80er-Jahre die ersten genialen<br />

Pinots Noirs aus dem kalifornischen Sonoma County<br />

zu verkosten und parallel dazu die Entfaltung des<br />

neuen Geistes in der Toskana zu erleben.<br />

Selbst in längst etablierten Gebieten wie Bordeaux<br />

und Burgund fand ein großer technologischer<br />

und stilistischer Wandel statt, verbunden mit<br />

einem qualitativen Aufstieg. Persönlichkeiten wie<br />

Henri Jayer im burgundischen Vosne-Romanée<br />

und Jacques Thienpont von Le Pin im Bordelaiser<br />

Pomerol haben die Weine ihrer Regionen neu er -<br />

funden und Möglichkeiten geschaffen, die von zahlreichen<br />

Kollegen genutzt wurden. All diese Abläufe<br />

haben <strong>FINE</strong> und mir einen großen Fundus an Storys<br />

geboten, aus dem wir freudig geschöpft haben. Aber<br />

zurück zur »Weinblase«.<br />

Die Wahrheit ist, dass es keine klare Grenze<br />

gibt zwischen ein paar überdurchschnittlich<br />

ergiebigen Lesen und systematischer Überproduktion<br />

– was lange für das eine gehalten wurde,<br />

kann sich plötzlich als das andere entpuppen. Fassweinpreise<br />

sind wichtige Indikatoren für den Zustand<br />

der Branche in unterschiedlichen Gebieten und für<br />

die Wertschätzung diverser Weinkategorien. Man<br />

sollte sie im Auge behalten, wenn man wissen möchte,<br />

wie gut es den Winzern tendenziell geht.<br />

So spricht etwa die Entwicklung der Fassweinpreise<br />

in Australien Bände über den Zustand der ge -<br />

samten Industrie, und sie haben mich gerade schwer<br />

schockiert. Im Juli 2<strong>02</strong>0 kostete ein Liter australischer<br />

Rotwein aus den Rebsorten Shiraz, Cabernet Sauvignon<br />

und Merlot 1,50 Australische Dollar. Im Juli<br />

2<strong>02</strong>3 lagen die Preise für diese Kernsorten der australischen<br />

Weinproduktion durchweg bei nur 60 Cent.<br />

Hauptverantwortlich für diesen fast beispiellosen<br />

Preis verfall sind die gewaltigen Importzölle, mit de -<br />

nen China vor vier Jahren australische Weine belegt<br />

hatte. Aber sie allein erklären ihn nicht, weil für die<br />

Australier auch Europa und Amerika sehr wichtige<br />

Märkte sind. Ende März dieses Jahres hob China<br />

diese Zölle auf, aber nach einer derartig langen Lücke<br />

müssen die Australier ihren Platz auf dem dortigen<br />

Weinmarkt von nahezu Null wieder aufbauen.<br />

Natürlich beziehen sich Fassweinpreise auf den<br />

Bereich der alltäglichen Weine. Bei hochwertigem<br />

Wein ist mein wichtigster Maßstab dafür, ob es<br />

ei ne Überproduktion in einer bestimmten Region<br />

oder Appellation gibt, die Häufigkeit der Sonderangebote<br />

für Endverbraucher. Obwohl momentan<br />

ziemlich viele davon auftauchen, ist die Situation<br />

nicht fundamental anders als vor ein paar Jahren.<br />

Falls es also wirklich eine riesige Weinblase gibt, ist<br />

sie aus meiner Sicht nicht erst kürzlich entstanden.<br />

Die extremen Höhenflüge in ein paar Bereichen,<br />

vor allem bei roten Burgundern und Prestige-Cuvée-<br />

Champagnern, sind Ausnahmen in diesem Bild. Da<br />

sind wohl zwischen Herbst 2<strong>02</strong>0 und Ende 2<strong>02</strong>2<br />

aus geprägte Blasen entstanden und auch geplatzt.<br />

Aber wenn eine Weinkategorie zum ultimativen<br />

Statussymbol für Neureiche aufsteigt, so ist ihre<br />

Entwick lung natürlich nicht vergleichbar mit der<br />

auf dem allgemeinen Weinmarkt; der Kontrast zwischen<br />

den Märkten für Kleinwagen und teure Sportwagen<br />

ist ziemlich ähnlich. Solche Preise am oberen<br />

Rand kommen nur zustande, wenn die Nachfrage<br />

für bestimmte Weine die Produktion um Dimensio<br />

nen übersteigt und dazu eine überzogene Idealisierung<br />

dieser Weine stattfindet. Um das zu ermöglichen,<br />

muss die Realität der Erzeugung durch<br />

Träume er setzt werden, und das beschreibt exakt<br />

die Situation der anspruchsvollen burgundischen<br />

Weine der letzten Jahre. Doch die Erfahrung lehrt,<br />

dass in sol chen Fällen irgendwann das Ganze kippt –<br />

und so ist die Anbetung von Burgund dem »Burgundy<br />

bashing« gewichen, bei dem die Region blindlings<br />

niedergemacht wird.<br />

Guter Wein ist nicht schuld an der<br />

Inflation, doch sie trifft ihn hart<br />

Die Inflation der letzten paar Jahre war für fast jeden<br />

von uns irgendwann schmerzlich spürbar, aber sie<br />

könnte hoffentlich ein Ausnahmephänomen bleiben.<br />

Ihr Hauptgrund lag Lichtjahre vom guten Wein entfernt<br />

im massiven Anstieg der Energiepreise, bedingt<br />

durch den Krieg in der Ukraine und seine Folgen.<br />

Sehr viele Menschen in sehr vielen Ländern haben<br />

seitdem weniger Geld zum Ausgeben und üben<br />

sich in Vorsicht beim Einkaufen, auch beim Wein.<br />

Deutschland ist gewiss nicht das einzige Land, in<br />

dem Wein kein unantastbares Image genießt, das<br />

ihn vor den Inflationsfolgen hätte schützen können.<br />

Nein, bei uns ist der Wein empfindlich exponiert.<br />

Seit einem Jahr fällt die Inflationsrate in Deutschland<br />

beinahe jeden Monat, zuletzt lag sie bei einem<br />

Viertel ihres Spitzenwerts von 8,8 Prozent im Herbst<br />

2<strong>02</strong>2. Diese Tendenz haben die großen Industriestaa<br />

ten gemeinsam, aber in manchen anderen Ländern<br />

wie den USA und Großbritannien lagen und<br />

liegen die Werte deutlich höher als bei uns – kein<br />

Wunder, dass diese Weinmärkte die Folgen der<br />

Infla tion sehr deutlich gespürt haben. Doch an der<br />

Ostküste der USA steigt der Weinverkauf jetzt wieder,<br />

was vielleicht als Erneuerung der guten Zeiten für<br />

die Branche gedeutet werden kann.<br />

Wenn das stimmt, ist dann die Frage nach<br />

der »Weinblase« ad acta gelegt? Jein.<br />

Ich sehe Langzeittrends, die gegen eine<br />

unproblematische Rückkehr zum Boom des späten<br />

20. und frühen 21. Jahrhunderts sprechen. Zum Beispiel<br />

hat sich der Rotweinkonsum in Frankreich<br />

seit 1994 fast exakt halbiert. Ein Teil davon wurde<br />

durch den Aufschwung der Rosés (besonders aus der<br />

Provence) ausgeglichen, und auch das etwas weniger<br />

auffällige Wachstum im Bereich der Crémants, vor<br />

Bei hochwertigem Wein ist mein wichtigster<br />

Maßstab dafür, ob es eine Überproduktion<br />

in einer bestimmten Region oder Appellation<br />

gibt, die Häufigkeit der Sonderangebote für<br />

Endverbraucher. Obwohl momentan ziemlich<br />

viele davon auftauchen, ist die Situation nicht<br />

fundamental anders als vor ein paar Jahren<br />

allem von der Loire, aus Burgund und dem Elsass,<br />

hat einiges aufgefangen. Jetzt aber hat die Rosé-Welle<br />

definitiv ihren Höhepunkt überschritten, so wie jede<br />

Mode erst steigt und dann wieder fällt.<br />

Die Folgen davon sind vor allem bei jenen<br />

großen französischen Anbaugebieten sichtbar, die<br />

sehr viel Rotwein im Basisbereich erzeugen. Jetzt<br />

steht in den Regalen einer französische Supermarktkette<br />

ein roter Bordeaux für 1,60 Euro – ein<br />

klares Zeichen für einen übersättigten Markt, der<br />

nur durch extreme Rabatte zu entlasten ist. Natürlich<br />

sieht die Situation für Spitzen-Bordeaux ganz<br />

anders aus, ist dort aber auch nicht nur rosig, weil<br />

die chinesische Weinblase tatsächlich geplatzt zu<br />

sein scheint: 2<strong>02</strong>3 importierte China gerade mal<br />

ein Drittel des Spitzenwerts von 2018! Und seit der<br />

Markt dort vor 20 Jahren zu wachsen begann, war<br />

roter Bordeaux die wichtigste Weinkategorie des<br />

Landes. <strong>Das</strong> ist noch ein Grund, weswegen ich sicher<br />

bin, dass die Anbaufläche des Bordelais schon ziemlich<br />

bald deutlich schrumpfen wird.<br />

Viele junge Menschen wollen<br />

jede Form von Alkohol vermeiden<br />

Ich fürchte, Deutschland liegt mit dem Schrumpfungsprozess<br />

nur ein paar Jahre hinter Bordeaux,<br />

denn hier vollzieht sich gerade eine ähnlicher Konsumenten-Generationswechsel<br />

wie in Frankreich.<br />

66 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>4 DIE PIGOTT-KOLUMNE<br />

DIE PIGOTT-KOLUMNE <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>4 67

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