FINE - Das Weinmagazin - 65. Ausgabe - 02/2024
Hauptthema: BORDEAUX Château Lascombes: Frische Luft für einen Klassiker Weitere Themen dieser Ausgabe EDITORIAL Von Könnern und Kritikern NAPA VALLEY Cardinale Winery: Die Blackbox NAPA VALLEY Freemark Abbey: Harte Arbeit und Visionen NAPA VALLEY Lokoya Winery: Das gebirgige Quartett WEIN & SPEISEN Jürgen Dollase isst im Vendôme in Bergisch Gladbach GENIESSEN Der sanfte Berliner Blau von Urstrom Käse UMBRIEN Nibbio della Sala: Das Gipfelwerk PORTRÄT Renzo Cotarella: Der Vertraute des Marchese DIE PIGOTT-KOLUMNE Platzt gerade eine globale Weinblase? CHAMPAGNE Egly-Ouriet: Perlen ohne Allüren CHAMPAGNE Charles Heidsieck: Ein tiefes Verständnis von Zeit CHAMPAGNE Krug × Schiller: Wie man Champagner vertont DAS GROSSE DUTZEND Rosé-Champagner aus der Magnum GESPRÄCH Jeannie Cho Lee MW über den Weinmarkt in Asien SCHWEIZ Die nächste Generation übernimmt – sechs Beispiele PORTRÄT Der streitbare Schreiber und Winzer Armin Diel WEIN & ZEIT Der Weinbau im Burgenland nach dem Ersten Weltkrieg BADEN Schloss Ortenberg: Neuanfang dank Thomas Althoff ABGANG Im Zweifel für das Schweigen
Hauptthema: BORDEAUX Château Lascombes: Frische Luft für einen Klassiker
Weitere Themen dieser Ausgabe
EDITORIAL Von Könnern und Kritikern
NAPA VALLEY Cardinale Winery: Die Blackbox
NAPA VALLEY Freemark Abbey: Harte Arbeit und Visionen
NAPA VALLEY Lokoya Winery: Das gebirgige Quartett
WEIN & SPEISEN Jürgen Dollase isst im Vendôme in Bergisch Gladbach
GENIESSEN Der sanfte Berliner Blau von Urstrom Käse
UMBRIEN Nibbio della Sala: Das Gipfelwerk
PORTRÄT Renzo Cotarella: Der Vertraute des Marchese
DIE PIGOTT-KOLUMNE Platzt gerade eine globale Weinblase?
CHAMPAGNE Egly-Ouriet: Perlen ohne Allüren
CHAMPAGNE Charles Heidsieck: Ein tiefes Verständnis von Zeit
CHAMPAGNE Krug × Schiller: Wie man Champagner vertont
DAS GROSSE DUTZEND Rosé-Champagner aus der Magnum
GESPRÄCH Jeannie Cho Lee MW über den Weinmarkt in Asien
SCHWEIZ Die nächste Generation übernimmt – sechs Beispiele
PORTRÄT Der streitbare Schreiber und Winzer Armin Diel
WEIN & ZEIT Der Weinbau im Burgenland nach dem Ersten Weltkrieg
BADEN Schloss Ortenberg: Neuanfang dank Thomas Althoff
ABGANG Im Zweifel für das Schweigen
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4 197772 520006 <strong>02</strong><br />
CHÂTEAU LASCOMBES<br />
FRISCHE LUFT FÜR EINEN KLASSIKER<br />
Baden Champagne Umbrien Schweiz Winzer-Kritiker<br />
Neuanfang auf Die Häuser Egly-Ouriet Renzo Cotarella und Jetzt sind die Armin Diel, der<br />
Schloss Ortenberg und Charles Heidsieck sein Nibbio della Sala Jungen dran! streitbare Pionier
LIEBE LESERINNEN,<br />
LIEBE LESER,<br />
gibt es in der Weinwelt einen irreführenderen Begriff als »2ème Grand Cru«? Dreist drängt<br />
sich die Ziffer in den Vordergrund, weckt Gedanken an Zweitweine, Zweitwagen, jedenfalls<br />
Zweitrangiges, und lässt einen die Hauptsache, den Grand Cru, fast übersehen. Dabei bewegen<br />
wir uns hier nicht in irgendwelchen Randgebieten der ehrwürdigen Bordeaux-Klassifikation<br />
von 1855, sondern knapp unter ihrem absoluten Gipfel. Nun zählte Château Lascombes zuletzt<br />
wirklich nicht zu den ersten Adressen, die einem zum Médoc einfielen, aber das dürfte sich<br />
dank Axel Heinz jetzt ändern. So selbstverständlich der Ornellaia-Weinmacher aus deutscher<br />
Perspektive als unser Mann in Italien gegolten hat – für den Sohn einer Französin ist der Wechsel<br />
zu Lascombes eine halbe Heimkehr. Zudem kommt er dort einer Idealbesetzung nahe, kennt er<br />
sich doch nach 18 Jahren Masseto mit Merlot aus wie kaum jemand sonst, und wer toskanische<br />
Sommer überstanden hat, den können Hitze und Trockenheit im Bordelais nicht schrecken.<br />
Ein anderer Meister seines Fachs hat sich noch weitaus sesshafter gezeigt: Seit 45 Jahren<br />
ist Renzo Cotarella als Chefönologe für die Güter von Antinori zuständig, und noch immer<br />
gönnt ihm sein Perfektionismus keine Ruhe. <strong>Das</strong> reicht von den großen Linien, wenn er etwa<br />
den Cabernet Franc zur kommenden Leit-Rebsorte erklärt, bis zur monatelangen Diskussion<br />
über das richtige Fass für einen Wein. Wenn so jemand auf eine Leistung »unglaublich stolz«<br />
ist, dann will das was heißen. Der Chardonnay Nibbio, von dem er das sagt, ist seine ureigene<br />
Schöpfung, ein wahres Lebenswerk – die besonderen anderthalb Hektar Land, die Auswahl der<br />
Rebstöcke, die Feinheiten des Ausbaus, alle Details hat Cotarella selber bestimmt.<br />
Vor Renzo Cotarella und Axel Heinz würde wohl jeder, der etwas von Wein versteht, umstandslos<br />
den Hut ziehen. Von der dritten Persönlichkeit mit Langzeitwirkung, die Sie in diesem<br />
Heft porträtiert finden, kann man das nicht behaupten. <strong>Das</strong> liegt schon an Armin Diels heikler<br />
Doppelrolle. Ein Winzer als Weinkritiker, ein Weinkritiker als Winzer: Wie man es dreht, man<br />
ahnt das Konfliktpotenzial. Es liegt aber auch daran, dass Diel diese Rolle stets, wie man so sagt,<br />
meinungsfreudig, machtbewusst und mit offensichtlicher Lust am Streit ausgefüllt hat, und längst<br />
nicht jeder seiner zahlreichen Feinde war einfach nur überempfindlich. Andererseits hat Diel als<br />
oft giftiger Rezensent wie als Mitglied im VDP-Präsidium viel für den deutschen Wein geleistet<br />
und das Bewusstsein für Qualität geschärft, sonst hätte ihm <strong>FINE</strong> gewiss keine Bühne als Autor<br />
geboten. Inzwischen geht er es ruhiger an und spielt sogar mit Helmut Dönnhoff Skat, obwohl<br />
der einst einen offenen Brief unterzeichnet hat, den Diel lieber nie gelesen hätte. Die Schlüs sel<br />
zum Schlossgut Diel hat der Senior bereits vor Jahren seiner Tochter Caroline überlassen.<br />
Gleich ein halbes Dutzend Generationswechsel hat Peter Keller in seiner Schweizer Heimat<br />
für uns in Augenschein genommen – verheißungsvolle Aussichten quer durch die eidge nössischen<br />
Anbaugebiete. Als hingegen Thomas Althoff 2<strong>02</strong>1 nach Jahrzehnten an der Spitze der deutschen<br />
Gourmet-Hotellerie das badische Schloss Ortenberg pachtete, bestand er auf Kontinuität. Also<br />
ist die bewährte Mannschaft komplett im Haus geblieben und genießt ambitioniert die neu<br />
gewonnenen Möglichkeiten. Eigentlich war die frühere Bezeichnung Versuchsweingut für<br />
Schloss Ortenberg ja anders gemeint, doch Althoffs Einstieg in die Branche war tatsächlich ein<br />
Experiment. Angesichts der ersten Ergebnisse können wir sagen: Es ist geglückt.<br />
Ihre Chefredaktion<br />
EDITORIAL <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>4 9
<strong>FINE</strong>AUTOREN<br />
KRISTINE BÄDER Als Winzertochter aus Rheinhessen freut sie sich über die positive Entwicklung ihrer<br />
Heimatregion, wo sie ein eigenes kleines Wein projekt pflegt. Eine besondere Beziehung hat die stu dierte Germanistin<br />
und ehemalige Chefredakteurin des <strong>FINE</strong> <strong>Weinmagazin</strong>s zu den Weinen aus Portugal.<br />
DANIEL DECKERS Die Lage des deutschen Weins ist sein Thema – wenn er nicht gerade als Politikredakteur<br />
der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« über Gott und die Welt zur Feder greift. An der Hochschule Geisenheim<br />
lehrt Daniel Deckers Geschichte des Weinbaus und handels. In seinem Buch »Wein. Geschichte und Genuss«<br />
beleuchtet er durch mehr als 3000 Jahre die Rolle dieses unschätzbaren Kulturguts als Spiegel der Zeitläufte.<br />
JÜRGEN DOLLASE hat sich schon als Rock musiker und Maler verdingt; als Kritiker der kulinarischen Landschaft<br />
ist er heute eine feste Instanz. Viel beachtet sind seine Bücher über die Kunst des Speisens: Bei Tre Torri<br />
erschien zuletzt seine »Geschmacksschule«; das visionäre Kochbuch »Pur, präzise, sinnlich« widmet sich der<br />
Zukunft des Essens.<br />
URSULA HEINZELMANN Die Gastronomin und gelernte Sommelière schreibt für die »Frankfurter Allgemeine<br />
Sonntagszeitung«, die Magazine »Efflee« und »Slow Food« sowie Bücher übers Essen und Trinken.<br />
Ihr Buch »China – Die Küche des Herrn Wu« (erschienen bei Tre Torri) liefert tiefe Einblicke in die vielfältige<br />
Kochkunst der Chinesen.<br />
BIRTE JANTZEN In Hamburg aufgewachsen, teilt sie heute ihre Zeit zwischen Deutschland und Frankreich.<br />
Ob in der Haute Couture oder beim Wein: Tex turen und Nuancen sind kein Geheimnis für sie. Wenn sie nicht<br />
gerade in den Weinbergen unterwegs ist, um den Winzern über die Schulter zu schauen, liebt sie es, für Wein zu<br />
begeistern. Birte Jantzen schreibt sowohl in Frankreich als auch in Deutschland und lehrt französischen Wein<br />
an der Hochschule in Geisenheim.<br />
UWE KAUSS In Weinkellern kennt er sich aus: Der Autor und Journalist schreibt seit 20 Jahren über Wein,<br />
etwa für die »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung«, das <strong>Weinmagazin</strong> »Enos«, »wein.pur«, das »Genuss<br />
Magazin« in Wien sowie das Internetportal wein.plus. Daneben hat er 16 Sach und Kindersachbücher, einen<br />
Roman und zwei Theaterstücke publiziert.<br />
PETER KELLER Ehe er 25 Jahre alt war, ging der Schweizer dem Alkohol aus dem Weg – heute schätzt er<br />
ihn als Geschmacksträger. Als Weinredakteur der »NZZ am Sonntag« pensioniert, betreut er auf der Website<br />
»NZZ Bellevue« weiterhin die Rubrik »Weinkeller«, leitet Weinreisen und seminare. Als Weinakademiker<br />
besitzt er das Diplom des Wine and Spirit Education Trust (WSET).<br />
PAUL KERN Im Campingurlaub mit dem Sohn ei nes Weinjournalisten probierte Paul Kern Große Gewächse<br />
aus dem Emaillebecher. Es folgten ein Weingutspraktikum in Südafrika, eine Kochausbildung in ei nem Zweisternerestaurant<br />
und ein Studium der Weinwirtschaft in Geisenheim. Nun schreibt er über Wein und Gastronomie<br />
für diverse Magazine und Führer.<br />
STEFAN PEGATZKY Der promovierte Germanist kam 1999 nach Berlin und erlebte hautnah, wie sich<br />
die Metropole von einer Bier zur Weinstadt wandelte. Er schreibt regelmäßig über Wein und Genuss, steuerte<br />
zur TreTorriReihe »Beef!« den Band »Raw. Meisterstücke für Männer« bei und bereicherte die »Gourmet<br />
Edition – Kochlegenden« um Titel zu Hans Haas, Harald Wohlfahrt und Marc Haeberlin.<br />
STUART PIGOTT Seit der 1960 in London geborene studierte Kunsthistoriker und Maler im Wein – dem deutschen<br />
zumal – sein Lebensthema fand, hat er sich mit seiner unkonventionellen Betrachtungsweise in den Rang<br />
der weltweit geachteten Autoren und Kritiker geschrieben. Sein Buch »Planet Riesling« erschien bei Tre Torri.<br />
RAINER SCHÄFER wuchs in Oberschwaben auf und lebt seit drei Jahrzehnten in Hamburg, wo er über die<br />
Dinge schreibt, die er am meisten liebt: Wein, gutes Essen und Fußball, stets neugierig auf schillernde Per sönlichkeiten,<br />
überraschende Erlebnisse und unbekannte Genüsse.<br />
VERLEGER UND HERAUSGEBER<br />
Ralf Frenzel<br />
r.frenzel@finemagazines.de<br />
CHEFREDAKTION<br />
info@finemagazines.de<br />
ART DIRECTOR<br />
Guido Bittner<br />
TEXTREDAKTION<br />
Boris Hohmeyer,<br />
Katharina HardeTinnefeld<br />
AUTOREN DIESER AUSGABE<br />
Kristine Bäder, Daniel Deckers,<br />
Jürgen Dollase, Ursula Heinzelmann,<br />
Birte Jantzen, Uwe Kauss, Peter Keller,<br />
Paul Kern, Stefan Pegatzky,<br />
Stuart Pigott, Rainer Schäfer<br />
FOTOGRAFEN<br />
Guido Bittner, Rui Camilo, Leif Carlsson,<br />
Johannes Grau, Marco Grundt,<br />
Alex Habermehl, Arne Landwehr<br />
GRÜNDUNGSCHEFREDAKTEUR<br />
Thomas Schröder (2008–2<strong>02</strong>0)<br />
VERLAG<br />
Tre Torri Verlag GmbH<br />
Sonnenberger Straße 43<br />
65191 Wiesbaden<br />
www.tretorri.de<br />
Geschäftsführer: Ralf Frenzel<br />
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10 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>4 IMPRESSUM<br />
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Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht<br />
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FRISCHE LUFT FÜR<br />
EINEN KLASSIKER<br />
ALS AXEL HEINZ VOR GUT EINEM JAHR VON ORNELLAIA<br />
ZU CHÂTEAU LASCOMBES WECHSELTE, WAR KLAR,<br />
DASS MAN VON DEM BORDELAISER 2ÈME GRAND CRU<br />
KÜNFTIG NOCH EINIGES HÖREN WÜRDE. EINE FRAGE IST<br />
IN MARGAUX MINDESTENS SO DRINGLICH WIE ZUVOR IN<br />
BOLGHERI: WIE LASSEN SICH TROTZ KLIMAERWÄRMUNG<br />
AUSDRUCKSSTARKE MERLOTS KELTERN?<br />
Von PAUL KERN<br />
Fotos JOHANNES GRAU<br />
12 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>4 BORDEAUX<br />
BORDEAUX <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>4 13
In Bordeaux tut sich gerade viel, überall werden die Weingüter ökologischer und<br />
grüner. Gerade im Médoc, wo die kiesreichen Böden wenig Feuchtigkeit halten,<br />
sind zwei Fragen allgegenwärtig: Wie lassen sich die Rebberge gegen den Klimawandel<br />
rüsten, und wo genau findet der divenhafte Merlot noch genug Wasser?<br />
Dazu sind die Weine selber in der jüngsten Vergangenheit wieder etwas eleganter<br />
geworden. Besonders spannend ist gegenwärtig Château Lascombes, der neue<br />
Arbeitsplatz von Axel Heinz: Wegen des Personalwechsels lassen sich die Entwicklungen<br />
des Bordelais dort wie im Zeitraffer beobachten.<br />
April 2<strong>02</strong>4 in einem Messezentrum am alten Hafen<br />
von Bordeaux. Unser Besuch bei Heinz ist noch ei nige<br />
Woche hin, doch die Semaine des Primeurs, in<br />
der die Grandes Châteaux ihren 2<strong>02</strong>3erJahrgang im Fass<br />
präsentieren, gewährt einen ersten Einblick in das Erstlingswerk<br />
des deutschfranzösischitalienischen Weinmachers. In<br />
unseren Verkostungsnotizen steht hinterher: tolle Balance,<br />
voll im Saft, nicht bitter oder schokoladig, nur dezent erdig –<br />
kein Stil, der stark in die eine oder andere Richtung geht. <strong>Das</strong><br />
passt tatsächlich ziemlich exakt zu dem, was uns Axel Heinz<br />
dann auf Château Lascombes erzählt.<br />
»Ich denke, zu einem 2ème Grand Cru Classé passt ein<br />
klassizistischer Stil viel besser als irgendwelche Extreme«, sagt<br />
der neue Kellermeister, Gutsdirektor und CEO des Traditionshauses<br />
in Margaux. <strong>Das</strong> gelte für den Wein und erkläre zugleich<br />
die Motivation, das Etikett zu ändern – weg von der dezent mo <br />
dernisierten violetten Schlossansicht hin zu historisierenden<br />
Lettern in Schwarz, Rot und Gold, die ähnlich wie vor 100 Jahren<br />
das Wappen des Hauses umrahmen. Sonst kümmert sich <strong>FINE</strong><br />
ja recht wenig darum, was auf den Flaschen klebt, aber in diesem<br />
Fall ist eine Ausnahme sinnvoll, veranschaulicht sie doch<br />
den Wandel, den Château Lascombes gerade durchläuft.<br />
Begonnen hatte dieser Umbruch schon einige Monate vor<br />
Axel Heinz’ Ankunft, als das Gut im Jahr 2<strong>02</strong>2 an die ameri <br />
kanische Familie Lawrence verkauft wurde. Gaylon Lawrence<br />
Senior hatte sein Vermögen zunächst als Farmer gemacht, spä ter<br />
als Inhaber des weltgrößten Herstellers von Ventilatoren und<br />
Klimaanlagen. Heute investieren die Erben des 2012 ve r storbe<br />
nen Milliardärs zunehmend in Weingüter. In den USA be <br />
sitzt die Familie bereits sieben Häuser, darunter seit 2018 das<br />
renommierte Gut Heitz Cellar in St. Helena im Napa Valley.<br />
Viel wurde in der Branche darüber spekuliert, warum Gaylon<br />
Lawrence Jr. für das erste Investment in Europa ausgerechnet<br />
Lascombes ausgewählt hatte. Es erschien eher als Château aus<br />
der zweiten bis dritten Reihe, das ein wenig den Glanz früherer<br />
Tage verloren hatte – und das zu einer Zeit, in der Bordeaux<br />
sei ne Preise abseits der ganz großen Namen immer schwerer<br />
halten kann. Spätestens mit der Verpflichtung von Axel Heinz<br />
wurde klar: Château Lascombes soll wieder ein ganz großer<br />
Name werden und in die erste Reihe mindestens von Margaux<br />
kommen, am besten des gesamten Bordelais.<br />
Den größten Teil seines Lebens hat<br />
Axel Heinz in Frankreich verbracht<br />
<strong>FINE</strong>Leser sind Axel Heinz in der <strong>Ausgabe</strong> 1/2<strong>02</strong>3 noch in<br />
Bolgheri begegnet: Von 2005 bis 2<strong>02</strong>3 war er das Gesicht und<br />
Gehirn hinter Ornellaia und vor allem dessen Ableger Masseto,<br />
dem wohl besten Merlot Italiens. So selbstverständlich ist Heinz<br />
als deutscher Weinmacher in der Toskana bekannt, dass oft<br />
vergessen wird, dass er als Sohn eines deutschen Vaters und<br />
einer französischen Mutter mehr Lebenszeit in Frankreich verbracht<br />
hat als in jedem anderen Land. In München geboren,<br />
ging er nach der Schule zum Studium nach Bordeaux, lernte<br />
seine Frau kennen und arbeitete für mehrere Châteaux, zuletzt<br />
bis 2005 als Gutsdirektor bei La Dominique in SaintÉmilion.<br />
Nach Bordeaux kommen, heißt für Axel Heinz ein Stück weit,<br />
nach Hause kommen.<br />
Ob er nach Masseto auch woanders hingegangen wäre? Die<br />
USA, wo Lawrence ebenfalls spannende Güter betreibt, seien<br />
aus familiären Gründen keine Option gewesen, und anderswo<br />
in Eu ropa böten nun mal nur wenige Regionen Gutsdirektoren<br />
solche Möglichkeiten: gut ausgebaute Keller, Ressourcen, um<br />
Ideen umzusetzen, und vor allem große Weinberge mit der Pers<br />
pektive, große Weine im großen Maßstab zu keltern. Ein, zwei<br />
perfekte Pièces Grand Cru in Burgund? »Ja, sicherlich schön«,<br />
findet Heinz, »aber auf Dauer auch ein bisschen langweilig.«<br />
Mit der Rückendeckung der Familie Lawrence kann er an<br />
viele Überlegungen aus MassetoZeiten anknüpfen.<br />
Eine wesentliche Herausforderung dürfte sein – so <br />
wohl damals wie heute –, mit Merlot in Zeiten des Klimawandels<br />
klarzukommen, und ein Vorteil von Axel Heinz ist mit Si <br />
cherheit, dass er Erfahrungen aus einem heißeren, trockeneren<br />
Terroir nach Margaux mitbringt. »Ich habe bestimmt ein paar<br />
andere Reflexe«, erzählt er, »und meine Alarmglocken gehen<br />
eher los als bei Kollegen, die das heißere Klima nicht gewohnt<br />
sind.« Als in den ersten beiden Septemberwochen eine Glutwelle<br />
das Médoc überrollte, ließ Heinz Trauben mit eingetrockneten<br />
Bee ren rasch separat lesen und verkürzte für solche Chargen<br />
die Mai schegärung auf gerade einmal zwei Wochen. »Der<br />
typische überreife Ton von Merlot«, erläutert er, entstehe erst<br />
nach dieser Zeitspanne.<br />
Anknüpfend an Masseto, wo 2019 erstmals Cabernet Franc<br />
verwendet wurde, will Axel Heinz den Rebsortenspiegel auf<br />
Château Lascombes allmählich ändern. Merlot soll zwar weiter<br />
Auf gut der Hälfte der Rebfläche von Lascombes<br />
wächst heute Merlot – in kühleren Zeiten war<br />
dies die sicherste Wahl. Jetzt soll sein Anteil auf<br />
etwa ein Drittel reduziert werden<br />
eine wichtige Rolle in der Cuvée spielen, doch eher ein Drittel<br />
als die Hälfte der Rebfläche füllen. »30 bis 40 Prozent unserer<br />
Böden«, meint Heinz, »sind gut für Merlot geeignet. Aber wir<br />
werden ihn in Zukunft nicht mehr auf sehr drainierten, stark<br />
kieshaltigen Böden pflanzen.« Anders als Cabernet Sauvignon<br />
und Cabernet Franc ist Merlot auf eine stetige sowie vor allem<br />
gleichmäßige Wasserversorgung angewiesen. Bestens passen<br />
zur Rebsorte deshalb tonhaltige Böden, die Wasser noch lange<br />
nach den letzten Regenfällen speichern. Solche Böden finden<br />
sich in SaintÉmilion und besonders prominent in Pomerol,<br />
aber auch in flussnahen Lagen im Médoc.<br />
Bodenanalysen haben das Wissen<br />
über die Standortfaktoren präzisiert<br />
Lascombes’ für die Region hohe MerlotQuote von 51 Prozent<br />
der Rebfläche erklärt sich aus der Geschichte des Weinguts. Mit<br />
130 Hektar ist das Château eines der größten Güter im Médoc und<br />
musste deshalb schon immer Risiken minimieren. Entspre chend<br />
konservativ wurde lange Zeit auf Château Lascombes gepflanzt –<br />
Cabernet Sauvignon nur dort, wo es besonders warm und trocken<br />
war, und überall sonst Merlot, der auch an kühleren Stellen<br />
14 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>4 BORDEAUX<br />
BORDEAUX <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>4 15
DAS GIPFELWERK<br />
WEIT OBEN IN DEN HÜGELN SEINER HEIMAT UMBRIEN HAT RENZO<br />
COTARELLA ENDLICH DEN RICHTIGEN WEINBERG FÜR DEN KÜHLEN,<br />
KLAREN CHARDONNAY GEFUNDEN, DER IHM JAHRZEHNTELANG<br />
VORSCHWEBTE. SEIN NIBBIO IST EIN SEHR PERSÖNLICHER HÖHEPUNKT<br />
IM GRANDIOSEN LEBENSWERK VON ANTINORIS CHEFÖNOLOGEN<br />
Von RAINER SCHÄFER<br />
Fotos THILO WEIMAR<br />
Manches Projekt braucht länger als gedacht, und alle Hindernisse und Komplikationen machen es erst recht<br />
zu einer Herzenssache. Renzo Cotarella ist nicht für große Sentimentalitäten bekannt, aber beim Nibbio<br />
wird mitten im energischen Redefluss seine Stimme kehliger und rauer. Jahrzehnte habe er von diesem<br />
Wein geträumt, und nun, erst seit dem Jahrgang 2019, gebe es endlich diesen einzigartigen Chardonnay aus<br />
Umbrien. »Der Nibbio ist mein Kind«, sagt der Chefönologe und Generaldirektor des Antinori-Imperiums,<br />
»ich habe fast mein ganzes Leben lang an diesen einen Wein gedacht. Seit ich vor 45 Jahren begonnen habe,<br />
Wein zu machen, wollte ich ihn schaffen, vom ersten Tag an wuchs die Idee für den Nibbio in meinem Kopf.«<br />
Um die besonders innige Beziehung von Renzo Cotarella<br />
zu seinem Ausnahme-Chardonnay zu verstehen, muss<br />
man zurückgehen in seiner glanzvollen Karriere. Seine<br />
erste Stelle als Kellermeister trat er auf Antinoris Castello della<br />
Sala in Umbrien an, wenige Kilometer von Orvieto entfernt. Die<br />
mächtige mittelalterliche Festung wacht nahe der Grenze zur<br />
Toskana über eine grüne Hügellandschaft mit längst erloschenen<br />
Vulkanen, Wäldern, Weinbergen, Wiesen und Weizenfeldern,<br />
die am Morgen nur allmählich aus dem Nebel hervortritt<br />
und Kontur annimmt. In diesem beschaulichen Naturambiente<br />
scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Die Ländereien des<br />
Kastells umfassen stolze 600 Hektar, 200 davon mit Reben<br />
bepflanzt. Die meisten Weinberge liegen neben und über<br />
der prächtigen Burganlage, einige davon sind als Terrassen<br />
angelegt; sie ziehen sich hin bis zum Monte Nibbio. 1979 hatte<br />
Piero Antinori den damals 25-Jährigen angeheuert, der sich<br />
noch keinen großen Namen in der Weinbranche hatte machen<br />
können – eine überraschende und mutige Entscheidung des<br />
gewöhnlich sehr umsichtigen Marchese.<br />
Renzo Cotarella war ganz in der Nähe in Castel Viscardo<br />
als Sohn einer Bauernfamilie aufgewachsen, die das fruchtbare<br />
Land bestellte und auch Reben anbaute. Die Ernte, erinnert<br />
er sich, wurde als schlichter Fasswein getrunken und verkauft.<br />
Hier begann seine Bilderbuchkarriere als weltweit geschätzte<br />
Weinkoryphäe, auch wenn es anfangs gar nicht danach aussah.<br />
Zunächst habe er sich für Chemie interessiert, sich dann<br />
den Agrarwissenschaften zugewandt und schließlich den Wein<br />
entdeckt, doch »in dieser Szene zu arbeiten, konnte ich mir lange<br />
Zeit nicht vorstellen«. Trotzdem fand er dort seine Bestimmung:<br />
Cotarella hat einige der besten Rotweine Italiens geformt, Super-<br />
Toskaner wie Solaia und Tignanello, daneben Maßstäbe für Stil<br />
und Qualität des zeitgemäßen Chianti Classico gesetzt. Aber<br />
Weißwein, sagt der 69-Jährige, stehe auch für seine Herkunft<br />
und seine innige Verbundenheit mit Umbrien. Seit zwei Jahrtausenden<br />
würden dort helle Trauben angebaut, schon die<br />
Etrusker hätten daran ihre Freude gehabt: »Ich bin mit Weißwein<br />
aufgewachsen, davon wurde ich geprägt, damit habe ich<br />
meine ersten Erfahrungen gemacht.« Nur sei Weißwein in Italien<br />
schwieriger zu erzeugen als Rotwein, allein schon wegen<br />
des mediterranen Klimas. Man müsse dabei mehr Parameter<br />
und Details beachten – zumindest, kann man hinzufügen, wenn<br />
man so einen gewaltigen Anspruch hat wie Renzo Cotarella.<br />
Aber der stellt sich gerne komplizierten Aufgaben. Auf<br />
Castello della Sala erfand er den Cervaro della Sala aus Chardonnay<br />
und einer Dosis der lokalen Rebsorte Grechetto, der<br />
noch immer als einer der besten Weißweine Italiens gilt. »Seine<br />
erste große Liebe« nennt ihn der Önologe, und wenn er entscheiden<br />
müsste, welche Flasche Wein er als allerletzte trinken<br />
wolle, dann fiele seine Wahl auf den Cervaro della Sala von 1986.<br />
Mit dem unerwarteten Erfolg dieses Weins begann Cotarella<br />
seine triumphale Laufbahn, und doch war er nicht ganz zufrieden,<br />
was auch in seinem Naturell liegt. In ihm wuchs das Verlangen<br />
Castello della Sala<br />
54 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>4 UMBRIEN<br />
UMBRIEN <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>4 55
DER VERTRAUTE<br />
DES MARCHESE<br />
RENZO COTARELLA HAT MEHR ZEIT MIT PIERO ANTINORI VERBRACHT<br />
ALS MIT SEINER EIGENEN FRAU. ALS CHEFÖNOLOGE UND TECHNISCHER<br />
DIREKTOR IST DER ENTWICKLER VON MEISTERSTÜCKEN WIE CERVARO<br />
DELLA SALA UND MATAROCCHIO AUCH MIT BALD 70 JAHREN NOCH DIE<br />
BESTIMMENDE KRAFT IM GLANZVOLLEN WEINGÜTER-IMPERIUM<br />
Von RAINER SCHÄFER<br />
Fotos THILO WEIMAR<br />
Man kann es drehen und wenden, wie man will, es ändert nichts: Am 16. November wird Renzo Cotarella<br />
70 Jahre alt. Leicht könnte man ihn für jünger halten, auch wenn sein Schnauzer inzwischen grau meliert<br />
ist. Schlank und drahtig, gerne im Rollkragenpullover zum Sakko, tritt Cotarella energisch auf. Ein fester<br />
Händedruck, ein kurzes Messen mit entschlossenem Blick – er steht immer noch unter Spannung, er ist<br />
ein Macher, stets auf dem Sprung. Zu lange über etwas zu sinnieren und dabei die Zeit zu vergessen, das<br />
liegt ihm nicht, zu motivieren und voranzugehen umso mehr. Wenn andere schon für kurze Strecken den<br />
Fahrstuhl nehmen, läuft er die Treppen hoch und runter, als wolle er sagen: Schaut her, ich bin noch gut<br />
in Schuss und habe mächtig Spaß an dem, was ich tue! Und Chefönologe sowie technischer Direktor bei<br />
Antinori zu sein, ist gewiss kein gewöhnlicher Job.<br />
Renzo Cotarella hat alle Hände voll zu tun. Er ist verantwortlich<br />
für Ausrichtung und Stilistik aller Weingüter,<br />
er ist die oberste Instanz, wenn es um den bestmöglichen<br />
Geschmack geht. Er legt die Koordinaten der Weine fest<br />
und entwickelt den Code, der Antinori von anderen Betrieben<br />
unterscheidet. Über verschiedene Kontinente verteilt, unterhalten<br />
die Marchesi Antinori ein beeindruckendes Ensemble an<br />
Gütern, die der 69Jährige regelmäßig besucht. Seit 650 Jahren<br />
zählt die Familie Antinori zu den größten und erfolgreichsten<br />
Weingutsbesitzern Italiens, zu ihrem Imperium gehören so be <br />
rühmte Güter wie Tenuta Tignanello, Tenuta di Pèppoli, Badia<br />
a Passignano, Guado al Tasso, Castello della Sala oder Pian delle<br />
Vigne, dazu kommen Beteiligungen in Kalifornien, Washington,<br />
Chile, Ungarn und Rumänien.<br />
Im Weingut Antinori nel Chianti Classico in Bargino, eine<br />
halbe Stunde südlich von Florenz, verkostet Renzo Cotarella<br />
fast täglich Weine der zahlreichen Güter mit den beiden Önol<br />
o ginnen Dora Pacciani und Sara Pontremolesi, die er gerne<br />
»meine rechte und meine linke Hand« nennt. Der spektakuläre<br />
Gutskomplex, im Oktober 2012 nach siebenjähriger Bauzeit<br />
eröffnet, ist ein Form und Materie gewordener architektonischer<br />
Traum aus Terrakotta, Holz, Cortenstahl und Glas. Bis ins<br />
kleinste Detail ist alles durchdacht, und obendrauf wachsen<br />
Reben für einen Rotwein mit dem passenden Namen La Vigna<br />
sul Tetto, der Weinberg auf dem Dach. Im Jahr 2<strong>02</strong>2 wurde das<br />
Gut von einer internationalen Jury als weltbeste Weinkellerei<br />
auf Platz eins der World’s Best Vineyards gewählt. Antinori<br />
nel Chianti Classico ist die Schaltzentrale des WeinGiganten:<br />
60 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>4 PORTRÄT<br />
PORTRÄT<br />
<strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>4 61
DIE STUART PIGOTT-KOLUMNE<br />
AM ENDE<br />
DES BOOMS:<br />
PLATZT EINE<br />
GLOBALE<br />
WEINBLASE?<br />
Anfang dieses Jahres landete eine Reihe schlechter Nachrichten vom<br />
rückläufigen Weinverkauf in meinem E-Mail-Postfach. Plötzlich gab es<br />
so viele Prozentangaben im negativen Bereich, dass sie in meinem Kopf<br />
einen Brei aus deprimierenden Zahlen bildeten. Theoretisch könnte man<br />
eine nach der andere analysieren, aber ich glaube, es bringt nicht viel, die<br />
Unterschiede unter ihnen auseinanderzudröseln beziehungsweise sich<br />
die Frage zu stellen, warum das eine Gebiet bloß 15 Prozent weniger Wein<br />
verkauft und ein anderes 35 Prozent. Nur ein Punkt ist relativ klar: Diese<br />
Krise trifft teure Weine heftiger als billige Weine oder Weine mit dem<br />
Ruf, ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis zu bieten. Teuer ist plötzlich<br />
unerwünscht, wenn der Wein nicht gerade eine Legende ist.<br />
Sehr schnell fragten manche Mitglieder der Branche,<br />
ob jetzt »die Weltweinblase« geplatzt sei. Demnach<br />
hätte es – mit kurzen Unterbrechungen – seit Anfang<br />
der 1980er-Jahre einen globalen Weinboom gegeben, der in<br />
den letzten paar Jahren in eine Blase gemündet wäre, und die<br />
wäre nun verpuff. Zum ersten Teil dieser Vorstellung kann<br />
ich sagen: Ja, es gab tatsächlich einen großen Weinboom, der<br />
über Jahrzehnte angehalten hat. <strong>Das</strong> weiß ich so genau, weil<br />
der Anfang meiner Karriere als Weinjournalist mit dem Anfang<br />
dieser Hausse zusammenfiel. Ich hätte es nicht besser treffen<br />
können, aber es war nur ein glücklicher Zufall, dank dem ich<br />
diese ganze Entwicklung verfolgen und miterleben konnte.<br />
Es war faszinierend zu sehen, wie zahlreiche Anbaugebiete<br />
und Weinländer aufgestiegen sind, manche davon, beispielsweise<br />
Chile oder Neuseeland, auf spektakuläre Weise. Während<br />
der 70er- und frühen 80er-Jahre wurden dort kaum hochwertige<br />
oder ei genständige Weine erzeugt, daher war der Kontrast<br />
zwischen der rustikalen alten und der charaktervollen neuen<br />
Produktion ziemlich krass. Natürlich war es auch total<br />
spannend, Ende der 80er-Jahre die ersten genialen<br />
Pinots Noirs aus dem kalifornischen Sonoma County<br />
zu verkosten und parallel dazu die Entfaltung des<br />
neuen Geistes in der Toskana zu erleben.<br />
Selbst in längst etablierten Gebieten wie Bordeaux<br />
und Burgund fand ein großer technologischer<br />
und stilistischer Wandel statt, verbunden mit<br />
einem qualitativen Aufstieg. Persönlichkeiten wie<br />
Henri Jayer im burgundischen Vosne-Romanée<br />
und Jacques Thienpont von Le Pin im Bordelaiser<br />
Pomerol haben die Weine ihrer Regionen neu er -<br />
funden und Möglichkeiten geschaffen, die von zahlreichen<br />
Kollegen genutzt wurden. All diese Abläufe<br />
haben <strong>FINE</strong> und mir einen großen Fundus an Storys<br />
geboten, aus dem wir freudig geschöpft haben. Aber<br />
zurück zur »Weinblase«.<br />
Die Wahrheit ist, dass es keine klare Grenze<br />
gibt zwischen ein paar überdurchschnittlich<br />
ergiebigen Lesen und systematischer Überproduktion<br />
– was lange für das eine gehalten wurde,<br />
kann sich plötzlich als das andere entpuppen. Fassweinpreise<br />
sind wichtige Indikatoren für den Zustand<br />
der Branche in unterschiedlichen Gebieten und für<br />
die Wertschätzung diverser Weinkategorien. Man<br />
sollte sie im Auge behalten, wenn man wissen möchte,<br />
wie gut es den Winzern tendenziell geht.<br />
So spricht etwa die Entwicklung der Fassweinpreise<br />
in Australien Bände über den Zustand der ge -<br />
samten Industrie, und sie haben mich gerade schwer<br />
schockiert. Im Juli 2<strong>02</strong>0 kostete ein Liter australischer<br />
Rotwein aus den Rebsorten Shiraz, Cabernet Sauvignon<br />
und Merlot 1,50 Australische Dollar. Im Juli<br />
2<strong>02</strong>3 lagen die Preise für diese Kernsorten der australischen<br />
Weinproduktion durchweg bei nur 60 Cent.<br />
Hauptverantwortlich für diesen fast beispiellosen<br />
Preis verfall sind die gewaltigen Importzölle, mit de -<br />
nen China vor vier Jahren australische Weine belegt<br />
hatte. Aber sie allein erklären ihn nicht, weil für die<br />
Australier auch Europa und Amerika sehr wichtige<br />
Märkte sind. Ende März dieses Jahres hob China<br />
diese Zölle auf, aber nach einer derartig langen Lücke<br />
müssen die Australier ihren Platz auf dem dortigen<br />
Weinmarkt von nahezu Null wieder aufbauen.<br />
Natürlich beziehen sich Fassweinpreise auf den<br />
Bereich der alltäglichen Weine. Bei hochwertigem<br />
Wein ist mein wichtigster Maßstab dafür, ob es<br />
ei ne Überproduktion in einer bestimmten Region<br />
oder Appellation gibt, die Häufigkeit der Sonderangebote<br />
für Endverbraucher. Obwohl momentan<br />
ziemlich viele davon auftauchen, ist die Situation<br />
nicht fundamental anders als vor ein paar Jahren.<br />
Falls es also wirklich eine riesige Weinblase gibt, ist<br />
sie aus meiner Sicht nicht erst kürzlich entstanden.<br />
Die extremen Höhenflüge in ein paar Bereichen,<br />
vor allem bei roten Burgundern und Prestige-Cuvée-<br />
Champagnern, sind Ausnahmen in diesem Bild. Da<br />
sind wohl zwischen Herbst 2<strong>02</strong>0 und Ende 2<strong>02</strong>2<br />
aus geprägte Blasen entstanden und auch geplatzt.<br />
Aber wenn eine Weinkategorie zum ultimativen<br />
Statussymbol für Neureiche aufsteigt, so ist ihre<br />
Entwick lung natürlich nicht vergleichbar mit der<br />
auf dem allgemeinen Weinmarkt; der Kontrast zwischen<br />
den Märkten für Kleinwagen und teure Sportwagen<br />
ist ziemlich ähnlich. Solche Preise am oberen<br />
Rand kommen nur zustande, wenn die Nachfrage<br />
für bestimmte Weine die Produktion um Dimensio<br />
nen übersteigt und dazu eine überzogene Idealisierung<br />
dieser Weine stattfindet. Um das zu ermöglichen,<br />
muss die Realität der Erzeugung durch<br />
Träume er setzt werden, und das beschreibt exakt<br />
die Situation der anspruchsvollen burgundischen<br />
Weine der letzten Jahre. Doch die Erfahrung lehrt,<br />
dass in sol chen Fällen irgendwann das Ganze kippt –<br />
und so ist die Anbetung von Burgund dem »Burgundy<br />
bashing« gewichen, bei dem die Region blindlings<br />
niedergemacht wird.<br />
Guter Wein ist nicht schuld an der<br />
Inflation, doch sie trifft ihn hart<br />
Die Inflation der letzten paar Jahre war für fast jeden<br />
von uns irgendwann schmerzlich spürbar, aber sie<br />
könnte hoffentlich ein Ausnahmephänomen bleiben.<br />
Ihr Hauptgrund lag Lichtjahre vom guten Wein entfernt<br />
im massiven Anstieg der Energiepreise, bedingt<br />
durch den Krieg in der Ukraine und seine Folgen.<br />
Sehr viele Menschen in sehr vielen Ländern haben<br />
seitdem weniger Geld zum Ausgeben und üben<br />
sich in Vorsicht beim Einkaufen, auch beim Wein.<br />
Deutschland ist gewiss nicht das einzige Land, in<br />
dem Wein kein unantastbares Image genießt, das<br />
ihn vor den Inflationsfolgen hätte schützen können.<br />
Nein, bei uns ist der Wein empfindlich exponiert.<br />
Seit einem Jahr fällt die Inflationsrate in Deutschland<br />
beinahe jeden Monat, zuletzt lag sie bei einem<br />
Viertel ihres Spitzenwerts von 8,8 Prozent im Herbst<br />
2<strong>02</strong>2. Diese Tendenz haben die großen Industriestaa<br />
ten gemeinsam, aber in manchen anderen Ländern<br />
wie den USA und Großbritannien lagen und<br />
liegen die Werte deutlich höher als bei uns – kein<br />
Wunder, dass diese Weinmärkte die Folgen der<br />
Infla tion sehr deutlich gespürt haben. Doch an der<br />
Ostküste der USA steigt der Weinverkauf jetzt wieder,<br />
was vielleicht als Erneuerung der guten Zeiten für<br />
die Branche gedeutet werden kann.<br />
Wenn das stimmt, ist dann die Frage nach<br />
der »Weinblase« ad acta gelegt? Jein.<br />
Ich sehe Langzeittrends, die gegen eine<br />
unproblematische Rückkehr zum Boom des späten<br />
20. und frühen 21. Jahrhunderts sprechen. Zum Beispiel<br />
hat sich der Rotweinkonsum in Frankreich<br />
seit 1994 fast exakt halbiert. Ein Teil davon wurde<br />
durch den Aufschwung der Rosés (besonders aus der<br />
Provence) ausgeglichen, und auch das etwas weniger<br />
auffällige Wachstum im Bereich der Crémants, vor<br />
Bei hochwertigem Wein ist mein wichtigster<br />
Maßstab dafür, ob es eine Überproduktion<br />
in einer bestimmten Region oder Appellation<br />
gibt, die Häufigkeit der Sonderangebote für<br />
Endverbraucher. Obwohl momentan ziemlich<br />
viele davon auftauchen, ist die Situation nicht<br />
fundamental anders als vor ein paar Jahren<br />
allem von der Loire, aus Burgund und dem Elsass,<br />
hat einiges aufgefangen. Jetzt aber hat die Rosé-Welle<br />
definitiv ihren Höhepunkt überschritten, so wie jede<br />
Mode erst steigt und dann wieder fällt.<br />
Die Folgen davon sind vor allem bei jenen<br />
großen französischen Anbaugebieten sichtbar, die<br />
sehr viel Rotwein im Basisbereich erzeugen. Jetzt<br />
steht in den Regalen einer französische Supermarktkette<br />
ein roter Bordeaux für 1,60 Euro – ein<br />
klares Zeichen für einen übersättigten Markt, der<br />
nur durch extreme Rabatte zu entlasten ist. Natürlich<br />
sieht die Situation für Spitzen-Bordeaux ganz<br />
anders aus, ist dort aber auch nicht nur rosig, weil<br />
die chinesische Weinblase tatsächlich geplatzt zu<br />
sein scheint: 2<strong>02</strong>3 importierte China gerade mal<br />
ein Drittel des Spitzenwerts von 2018! Und seit der<br />
Markt dort vor 20 Jahren zu wachsen begann, war<br />
roter Bordeaux die wichtigste Weinkategorie des<br />
Landes. <strong>Das</strong> ist noch ein Grund, weswegen ich sicher<br />
bin, dass die Anbaufläche des Bordelais schon ziemlich<br />
bald deutlich schrumpfen wird.<br />
Viele junge Menschen wollen<br />
jede Form von Alkohol vermeiden<br />
Ich fürchte, Deutschland liegt mit dem Schrumpfungsprozess<br />
nur ein paar Jahre hinter Bordeaux,<br />
denn hier vollzieht sich gerade eine ähnlicher Konsumenten-Generationswechsel<br />
wie in Frankreich.<br />
66 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>4 DIE PIGOTT-KOLUMNE<br />
DIE PIGOTT-KOLUMNE <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>4 67
EIN TIEFES<br />
VERSTÄNDNIS<br />
VON ZEIT<br />
CHAMPAGNE CHARLES HEIDSIECK WIRD SELBST NACH 173 JAHREN<br />
NOCH VON SEINEM CHARISMATISCHEN GRÜNDER GEPRÄGT: NIEMAND<br />
SPRICHT IN DIESEM BETRIEB VON HEIDSIECK ODER DER MAISON,<br />
FÜR ALLE GEHT ES NUR UM CHARLES, AUCH FÜR GENERALDIREKTOR<br />
STEPHEN LEROUX UND DIE NEUE KELLERMEISTERIN ELISE LOSFELT<br />
Von KRISTINE BÄDER<br />
Fotos RUI CAMILO<br />
Wer von Charles Heidsieck erzählen will, muss erst mal Klarheit schaffen: Die Geschichte von der Gründung<br />
dieses Champagnerhauses und seiner Verquickung mit den beiden anderen Häusern, die den Namen Heidsieck<br />
tragen, ist etwas kompliziert. Sie begann 1785, als der Deutsche Florenz-Ludwig Heidsieck in Reims die<br />
Firma Heidsieck & Co gründete und sich bald erfolgreich auf die Produktion von Champagner spezialisierte.<br />
Nach seinem Tod brach unter seinen vier Neffen der übliche Streit der Erben aus, der zunächst das Ende von<br />
Heidsieck & Co besiegelte und aus dem – stark verkürzt zusammengefasst – im Laufe der Zeit drei Champagnerhäuser<br />
unter Führung je eines Heidsieck-Nachfolgers entstanden.<br />
Charles-Camille Heidsieck war der Sohn des Neffen Charles-<br />
Henri und eben jener Charles, der 1851 zusammen mit<br />
seinem Schwager Ernest Henriot seinen eigenen Betrieb<br />
gründete, Champagne Charles<br />
Heidsieck. Er soll ein Charmeur<br />
und Geschäftsmann gewesen<br />
sein und eroberte dank diesen<br />
Qualitäten nicht nur den englischen<br />
Markt: Innerhalb kürzester<br />
Zeit brachte er mit Stil und<br />
Ausstrahlung den Amerikanern<br />
das Champagnertrinken bei,<br />
verkaufte innerhalb weniger<br />
Jahre 300 000 Flaschen in die<br />
Staaten und erwarb sich dort den liebevollen Spitznamen Champagne<br />
Charlie. Bis heute prägt diese Persönlichkeit das Haus –<br />
niemand spricht dort von Heidsieck oder der Maison, für alle<br />
geht es nur um Charles.<br />
Der 1861 in den USA ausbrechende<br />
Bür gerkrieg setzte<br />
Charles Heidsiecks Erfolg freilich<br />
ein jähes Ende – nur ein<br />
un erwartetes Erbe konnte den<br />
drohenden Bankrott abwenden.<br />
Bis 1976 blieb Charles Heidsieck<br />
ein familiengeführtes Unternehmen,<br />
danach fusionierte es mit<br />
Champagne Henriot und wurde<br />
78 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>4 CHAMPAGNE<br />
CHAMPAGNE <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>4 79
DAS GROSSE DUTZEND<br />
ROSÉ-CHAMPAGNER<br />
AUS DER MAGNUM<br />
92 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>4 DAS GROSSE DUTZEND<br />
DAS GROSSE DUTZEND <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>4 93
» ICH BIN EIN<br />
GROSSER FAN<br />
VON RIESLING«<br />
JEANNIE CHO LEE, MASTER OF WINE, SPRICHT ÜBER DIE<br />
ENTWICKLUNG DER WEINSZENE IN ASIEN, DIE AUS WIRKUNG<br />
VON ZÖLLEN AUF DIE TRINKKULTUR UND DIE LOHNENDE<br />
MÜHE, SICH AN SÄURE ZU GEWÖHNEN<br />
Von UWE KAUSS<br />
Fotos LEIF CARLSSON<br />
Jeannie Cho Lee wurde in Korea geboren, studierte in den USA und lebt seit über 30 Jahren<br />
mit ihrer Familie in Hongkong. 2008 erlangte sie als erste Asiatin den Titel Master of Wine.<br />
Die Burgund-Expertin schreibt seit vielen Jahren über Wein, unter anderem für »Decanter«,<br />
»Wine Spectator«, »La Revue du vin de France« und »China Business News«. Dazu leitet sie<br />
internationale Verkostungen und arbeitet als Beraterin etwa für Fluglinien, Hotelketten und<br />
die Auktion der Hospices de Beaune. 2<strong>02</strong>2 wurde Jeannie Cho Lee an der Polytechnischen<br />
Universität Hongkong in Philosophie promoviert, bereits seit 2012 lehrt sie dort als Professorin<br />
zum Thema Wein. Zudem verfasste die Autorin drei Bücher: 2010 erschien »Asian Palate«,<br />
2011 »Mastering Wine for the Asian Palate«, und 2019 veröffentlichte sie »The 100 Burgundy«<br />
in einer englischen und chinesischen <strong>Ausgabe</strong>.<br />
Jeannie Cho Lee, Sie leben seit drei Jahrzehnten in Hongkong. Seit wann weiß man dort Wein zu schätzen?<br />
Mitte der 1990er-Jahre zeigten die Menschen in Hongkong und China erstmals Interesse an Wein. Damals gab<br />
es viele Berichte, ein oder zwei Gläser Rotwein seien sehr gut für die Gesundheit und verringerten Herz-Kreislauf-Erkrankungen.<br />
Als diese Nachrichten kursierten, entstanden erste Grüppchen der Wein-Community in<br />
Hongkong und China, besonders aus Menschen, die im Ausland studiert hatten. Hongkong gehörte damals<br />
noch zu Großbritannien, daher lebten dort auch viele Briten, für die Wein ein wichtiger Bestandteil ihrer<br />
Kultur war. So begannen kleine Gemeinschaften von im Ausland ausgebildeten Chinesen und Expats, Wein<br />
zu genießen; innerhalb von zwei, drei Jahren stiegen die Weinimporte auf fast das Doppelte an. Die Gesamtmenge<br />
war noch klein, aber es belegte das Interesse.<br />
98 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>4 GESPRÄCH<br />
GESPRÄCH <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>4 99
NEXT SWISS<br />
GENERATION<br />
SCHWEIZER WEINE HABEN IN DEN<br />
LETZTEN 30 JAHREN MASSIV AN QUALITÄT<br />
GEWONNEN, DANK EHRGEIZIGEN WINZERN<br />
UND WINZERINNEN. JETZT ÜBERNEHMEN<br />
QUER DURCHS LAND DEREN EBENSO<br />
TALENTIERTE NACHKOMMEN DIE LEITUNG –<br />
SECHS VON IHNEN STELLEN WIR HIER VOR<br />
Von PETER KELLER<br />
Fotos ARNE LANDWEHR<br />
Von einer Palastrevolution zu sprechen, wäre wohl etwas übertrieben. Aber das Mémoire des<br />
Vins Suisses (MDVS), der renommierteste Schweizer Winzerverein, erlebte bei der jüngsten<br />
General ver sammlung im März 2<strong>02</strong>4 einen überraschenden Generationenwechsel: Alle bisherigen<br />
Vorstandsmitglieder traten zurück und machten Platz für eine komplett neue Leitung. Im MDVS<br />
sind rund 60 Spitzenbetriebe aus allen sechs Anbauregionen des Landes mit je einem ausgewählten<br />
Wein vertreten. Die Organisation hat den Anspruch, das Reifepotenzial der einheimischen<br />
Crus aufzuzeigen – aufgenommen wird nur, was mindestens zehn Jahre lang lagern kann.<br />
Jetzt sind im Mémoire die Jungen dran – das Präsidium teilen sich neu der 31-jährige Gianmarco<br />
Ofner vom Zürcher Weingut Pircher in Eglisau sowie die 37-jährige Catherine Cruchon-Griggs<br />
von der Domaine Henri Cruchon im Waadtländer Echichens. Der Stabwechsel passt zur derzei tigen<br />
Situation im Schweizer Weinbau: In zahlreichen Betrieben der einheimischen Winzerelite<br />
stehen seit Kurzem Söhne und Töchter an der Spitze, die das Erbe ihrer Eltern behutsam weiterpflegen,<br />
aber dabei innovative Wege beschreiten. Diese Aufgabe ist so reiz- wie anspruchsvoll,<br />
schließlich haben Pioniere wie Daniel und Martha Gantenbein aus der Bündner Herrschaft, Marie-<br />
Thérèse Chappaz aus dem Wallis, Christian Zündel aus dem Tessin oder Jean-Denis Perrochet<br />
aus Neuenburg, um lediglich ein paar Namen zu erwähnen, in den letzten 20, 30 Jahren eine<br />
wahre Qualitäts revolution geschafft.<br />
104 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>4 SCHWEIZ<br />
SCHWEIZ<br />
<strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>4 105
DAS MAGAZIN FÜR WEIN UND GENUSS<br />
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GROSSE DUTZEND Der Riesling Clos Sainte Hune von Trimbach im Elsass<br />
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Franca Wines im Willamette Valley WEINHANDEL Der österreichische Gastronomie-Spezialist<br />
Morandell WEINBAU Marco Simonit, der Meister des sanften<br />
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SPEISEN Jürgen Dollase isst im Gourmetrestaurant Löffelspitze des Panoramahotels<br />
Alpenstern im Bregenzerwald WEIN & ZEIT Steiermark – eine Region,<br />
zwei Länder KOLUMNEN von Ursula Heinzelmann und Stuart Pigott<br />
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144 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>4 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>4 145
<strong>FINE</strong>ABGANG<br />
IM ZWEIFEL FÜR<br />
DAS SCHWEIGEN<br />
Wine of the Year<br />
2<strong>02</strong>3<br />
100/100<br />
Es war alles ganz anders. Als im Januar 2<strong>02</strong>1 Einbrecher aus dem legendären<br />
Keller des Hattenheimer Kronenschlösschens Flaschen von sechsstelligem<br />
Wert gestohlen hatten, da wurde bald der Inhaberfamilie Ullrich und ihrem<br />
Sommelier unterstellt, sie hätten den Diebstahl nur vorgetäuscht und wollten die<br />
Versicherung betrügen. Vermeintlich mussten Insider dahinterstecken; Parallelen<br />
zu ähnlichen Einbrüchen in Spitzenlokale blieben ebenso außer Acht wie der Lockdown,<br />
in dem das Haus so leer gewesen war, dass die Täter fast beliebig Zeit<br />
gehabt hat ten. Spätestens nach einer mehrtägigen Durchsuchung des Kronenschlösschens<br />
meinten viele: »Wenn so viel Polizei da ist, muss ja was dran sein.«<br />
Muss es nicht. Längst sind die Vorwürfe als haltlos fallen gelassen worden,<br />
und gegen drei verhaftete Kriminelle liegen offenbar erdrückende Beweise aus<br />
HandyChats vor. Welche Fehler bei den Ermittlungen passiert sein mögen, will<br />
ich nicht bewerten, denn dafür fehlt mir das Wissen über die Details – so, wie es<br />
all denen fehlte, die damals Hans Burkhardt Ullrich, seine Tochter Johanna und<br />
ihr Team verdächtigt haben. <strong>Das</strong> nämlich erscheint mir noch wichtiger als die<br />
vielen Entschuldigungen, die jetzt anstandshalber fällig wären: Unsere Gesellschaft<br />
muss wegkommen vom Hang zur ständigen Anklage und sich auch im Alltag<br />
auf das kostbare Rechtsprinzip der Unschuldsvermutung besinnen. Hinter<br />
der Lust, trotz Unkenntnis zu urteilen, steckt oft der bloße Neid auf diejenigen,<br />
die etwas geschaff haben.<br />
Ihr Ralf Frenzel<br />
Verleger und Herausgeber<br />
146 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>4 ABGANG