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Boltenhagen – Das Ostseebad und seine Geschichte

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Daniel Möller

Das Ostseebad und seine Geschichte


Das Ostseebad Boltenhagen – eine kleine Zeitreise

Boltenhagen ist eines der schönsten Seebäder, die

sich an Mecklenburg-Vorpommerns Ostseeküste wie

an einer Perlenschnur aneinanderreihen.

Idyllisch gelegen zwischen den Hansestädten Wismar

und Lübeck beindruckt der Ort mit dem Reiz

alter Bäderarchitektur, einem kilometerlangen, breiten

Sandstrand und ursprünglicher Natur.

Boltenhagen gehört zu den beliebtesten Badeorten in

Nordwest-Mecklenburg.

Die meisten Menschen verbinden heute mit Boltenhagen

Urlaub, Strand, Sommer, Erholung und Rauschen

des Meeres.

Bis sich Boltenhagen im Jahr 1889 offiziell Ostseebad

nennen durfte, dauerte es eine lange Zeit. Die

Orte Tarnewitz und Redewisch wurden bereits 1230

im Ratzeburger Zehntregister genannt, 1313 Wichmannsdorf

und als vierter und jüngster Ort 1325

Langenhagen, das spätere Boltenhagen, erstmals

urkundlich erwähnt. In diesen kleinen Fischer- und

Bauerndörfern führten die Bewohner über viele Jahrhunderte

ein bescheidenes Leben. Heute bilden diese

vier Orte das Ostseebad Boltenhagen.

Erst um das Jahr 1800 veränderte sich die Bedeutung

des Landstrichs. Hans Caspar Julius Victor Graf von

Bothmer (1764–1814), der auf seinem Familiensitz

im nahen Klütz wohnte, ließ 1803 seinen Badekarren

an einer geeigneten Stelle der heutigen Boltenhagen-

Bucht in das Ostseewasser fahren. Er ahnte sicherlich

nicht, dass dies die Geburtsstunde eines der ältesten

Seebäder der Ostsee werden würde.

Was wohl den Grafen bewog, ein Bad in der Ostsee

zu nehmen? Baden war zu jener Zeit nicht selbstverständlich.

Es war aber mehr als eine Modeerscheinung

der damaligen Zeit. Einen Ursprung hatte die

Badekultur in England. Dort litten Fabrikarbeiter und

ihre Angehörigen oft unter menschenunwürdigen

Lebensbedingungen und katastrophalen hygienischen

Verhältnissen. Dies führte zum Anstieg von

Krankheiten. Englische Ärzte suchten neue Heilmethoden

und setzten auch auf die heilsame Wirkung

des Badens im Meer. Schon 1750 veröffentlichte der

Arzt Richard Russell aus Lewes eine Schrift über

die gesundheitsfördernden Aspekte des Meerwassers.

Dies wurde über die Grenzen Englands hinaus

bekannt. So diskutierte in Göttingen bereits 1793

8


der Mathematiker und Physiker Georg Christoph

Lichtenberg die Frage „Warum hat Deutschland noch

kein Seebad?“ und gab damit wohl den endgültigen

Anstoß für die Gründung des Seebades Heiligendamm

durch den Großherzog Friedrich Franz I. von

Mecklenburg im gleichen Jahr.

Es darf an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben,

dass Graf Bothmer enge Verbindungen nach England

hatte. Sein Vorfahre und Gründer des Schlosses

Bothmer bei Klütz, Hans Caspar Gottfried Graf

von Bothmer (1695–1765), war als kurhannoverscher

und britischer Diplomat sowie Minister unter Georg

I., König von Großbritannien, tätig. Seinen Dienstsitz

hatte er übrigens seit 1720 in Westminster in

der Downing Street 10, wo bis heute die englischen

Premierminister residieren. Schon ihm dürften erste

Diskussionen und Aktivitäten um die Badekultur

bekannt gewesen sein.

Durch die Badelust Graf Bothmers wurde Boltenhagen

natürlich noch kein Seebad. Im 19. Jahrhundert

dürften auch die sogenannten „Büdner“ einen

erheblichen Anteil an der Entwicklung zum Seebad

gehabt haben. Der Stand des „Büdners“ wurde in

Mecklenburg 1753 durch ein Dekret von Herzog

Christian Ludwig II. eingeführt, um die zunehmende

Landflucht aus ländlichen Gebieten in Städte und

ins Ausland einzudämmen. Die „Büdner“ erhielten

kleine Privilegien: Material zum Bau ihrer Anwesen,

eine kleine Nutzfläche und Weiderecht für ihre wenigen

Haustiere. Der Name „Büdner“ wurde von ihrem

kleinen Haus, der „Bude“, abgeleitet. Die „Büdner“

waren auf Nebenerwerb angewiesen. Sie ergriffen

ihre Chance und boten seit dem Anfang des 19.

Jahrhunderts den mehr werdenden Sommerfrischlern

ihre Gastfreundschaft an. Es entstanden erste

Pensionen und Logierhäuser. Der Fremdenverkehr

entwickelte sich mehr und mehr vom Nebenerwerb

zur Haupteinnahmequelle.

Im Jahr 1834 zählte man in Boltenhagen ca. 200 Erholungssuchende.

Unter den wohlhabenden Kreisen

galt Boltenhagen aber bald als Geheimtipp; nicht nur

wegen der schönen Lage an der Bucht, sondern auch

wegen der Gastfreundlichkeit und den neuen Hotelbauten.

Das aufstrebende Ostseebad lockte immer

9


Auf der Detailaufnahme

aus dem Jahr 1910 ist eine

typische Sandburg jener Zeit

abgebildet. Ob die „Burg Tantris“

bei dem alljährlichen

Strandburgenwettbewerb

prämiert wurde, ist allerdings

nicht bekannt.

Im Hintergrund ist der 1906

errichtete Strandpavillon

erkennbar, er beherbergte

ab Mitte der 1950er Jahre die

HO-Gaststätte „Zur Düne“.

Die Strandszene aus dem

Jahr 1908 zeigt Gäste im

modischen Schick der

damaligen Zeit. Die im

Hintergrund zu sehenden

Badekarren gehörten zum

alltäglichen Bild des Ostseebads

Boltenhagen.

18


Eine Postkarte aus dem

Jahr 1902 zeigt den Blick

von der Seeseite

Richtung Strand.

Links stand das Kurhotel

Roloffs – heutiger Standort

der Kurverwaltung Boltenhagens

–, rechts das Hotel

„Zum Großherzog von

Mecklenburg“.

Auch hier stehen noch

zahlreiche Badekarren

am Strand.

19


Die Verordnung von 1920 – betreffend den Verkehr von Hunden am Seestrand von Boltenhagen:

§ 1 Das Mitbringen von Hunden an den Seestrand in Boltenhagen, soweit er mit Strandkörben bestanden ist

oder zum Lagern der Badegäste dient, ist während der Zeit vom 1. Mai bis 15. Oktober verboten.

Das Verbot erstreckt sich auf den Strand von der Redewischer bis zur Tarnewitzer Schleuse.

§ 2 Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmung des § 1 werden mit einer Geldstrafe bis zu 60 Mark

oder mit Haft bis zu 14 Tagen bestraft.

§ 3 Die Strafe kann durch polizeiliche Strafverfügung festgesetzt werden.

Streng und ohne Humor wurde sich um die Strandordnung bemüht.

24


25

Dennoch, Humor im Bade versendete

man bereits auf schön gestalteten

Ansichtskarten im Jahre 1927.


26

Das Vergnügen am Ostseestrand wurde in den

1930er Jahren professionell beworben.

1938 stieg die Anzahl der Feriengäste in

Boltenhagen auf 8.164.

Gegenüber dem Jahr 1910

verdreifachten sich

die Gästezahlen.


Die untere Aufnahme aus den

1930er Jahren zeigt links die

Promenade noch mit

freiem Blick zur Ostsee.

Zahlreiche Strandkörbe hatten

zu dieser Zeit die Badekarren

ersetzt. Im Hintergrund ist die

Seebrücke mit einem neuen

Brückenhaus gut erkennbar.

Alt und Jung fanden teils

originellen Zeitvertreib.

27


28


Propaganda wurde im jungen ostdeutschen Staat

„hübsch“ formuliert – die 1953 im Namen der Aktion Rose um

ihre Anwesen gebrachten Besitzer empfanden daran

gewiss wenig Freude.

Anders dagegen scheint eine junge Dame unbeschwert

den Ball werfen zu wollen und weitere

genießen ein paar Schritte am Meer.

Aufmerksam wird vom Rettungsturm

das Badevergnügen beobachtet.

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Das alte Boltenhagen mit seinen Villen,

Pensionen und Hotels

Die Häuser wurden hier ursprünglich im typischen

Stil der Mecklenburger Küstengebiete als „Niederdeutsche

Hallenhäuser“ gebaut. Die in Fachwerkbauweise

errichteten Häuser mit ihren markanten

und weit heruntergezogenen Dächern waren mit

Stroh oder Schilfrohr (niederdeutsch „Reet“) gedeckt.

Deren bekanntester Häuserschmuck ist ein Ziergiebel

aus zwei gekreuzten, geschnitzten Pferdeköpfen.

Die in Ständerbauweise errichteten Gebäude umfassten

Wohnung, Stallraum und Erntelager in einem

Baukörper.

Um 1810 fanden erste Sommergäste in privaten

Quartieren Unterkunft. Um den Fremden Kost und

Logis bieten zu können, tauschten die Bewohner oft

ihre gute Stube gegen ein Strohlager. Man erkannte

schnell, dass man mit Gästen auch gutes Geld verdienen

konnte – so auch Tischler Reese. Er erwarb

1838 das Grundstück Büdnerei 3 und ließ darauf das

erste Hotel Boltenhagens errichten, das „Hotel Baltique“.

Seit dem Jahr 2000 steht dort anstelle des alten

Hotels die neue Kurverwaltung von Boltenhagen. Ein

zweites großes Hotel wurde ab 1845 errichtet – das

„Hotel zum Großherzog von Mecklenburg“.

An der heutigen Mittelpromenade entstanden in den

nächsten Jahrzehnten Pensionen und Villen mit den

heute zum Teil noch klangvollen, bekannten Namen

„Seebach“, „Wagenknecht“, „Minerva“ oder „Luckmann“.

Der im Jahr 1861 gegründete Verschönerungsverein

bewirkte nach und nach Veränderungen

im Erscheinungsbild Boltenhagens.

Die Flut von 1872 hinterließ massive Spuren der Zerstörung,

nicht nur an Gebäuden. Nach dem Neuaufbau

präsentierte sich Boltenhagen um 1880 im neuen

Gewand. Dabei standen die aktuellen Bedürfnisse

der Gäste im Mittelpunkt. So wurden die Balkone mit

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nicht im Grafikbereich (links neben 51)

23 22

51

49 48 47 46 45 44 43 42 41 40 39 38 37

35 34 33 31 30 29 28 27 26 25

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36

32

21

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ihren darunter liegenden Terrassen seeseitig ausgerichtet.

Die anfangs offenen Veranden verglaste man

zweckmäßigerweise in späteren Jahren. Zu jener

Zeit war es noch selbstverständlich, dass neben den

Logierhäusern auch noch Stall und Scheune standen,

da die meisten Betreiber der Pensionen und Hotels

von den Sommergästen allein nicht leben konnten.

Die Arbeit in der Landwirtschaft, der Fischerei oder

auch im Handwerk sicherte das Auskommen außerhalb

der Saison.

Mit dem Bau der „Villa Nölle“, heute unter dem Namen

„Strandhaus“ bekannt, erfolgte 1906 der Startschuss

für die weitere Bebauung an der östlichen Strandpromenade

in Richtung Tarnewitz. Die Villa „Hubertus“,

das „Haus Waldheim“ und die „Villa Krabbe“

sind dafür Beispiele. Den vorläufigen Abschluss der

markanten Promenadenbebauung bildete in den

1930er Jahren die „Villa Butterfly“ an der Seestraße.

Das architektonische Bild des Ostseebades Boltenhagen

prägten bis Anfang der 1990er Jahre die Gebäude

dieser Bauphase.

Die politische Wende 1990 sorgte für eine neue Sicht

in Bezug auf jetzt lukrativ gewordene Immobilien,

was sich in neuen Besitzverhältnissen niederschlug.

Es setzte ein regelrechter Bauboom ein, der das Bild

von Boltenhagen bis heute in Veränderung hält.

Es bleibt zu hoffen, dass durch umsichtige Planung

der bädertypische Charakter des Ostseebades mit

möglichst viel historischer Bausubstanz erhalten

bleibt.

Beispiele markanter Gebäude der historischen Bäderarchitektur

stehen im Mittelpunkt dieses Kapitels.

X

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18

17 14

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9

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6

5

4

3

2

19

20

11

X

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11

Die 1927 eingeweihte Lesehalle diente zeitweise auch als Sitz der Gemeinde- und Bäderverwaltung. Ab 1948

wurde eine Bäderbibliothek eingerichtet. In dieser Funktion blieb das Gebäude bis 1991. Nach dem Verkauf ten an dem denkmalgeschützten Gebäude Umbaumaßnahmen, die historische Fassade blieb zum Glück

erfolgerhalten.

12

Um 1860 wird erstmals eine Post in Boltenhagen erwähnt. Ab 1911 gab es ein Post- und Telegrafenamt.

Das hier abgebildete Postamt wurde 1929 erbaut. Hier war auch die Haltestelle für die Postbusse.

Das erhaltungswürdige Gebäude musste allerdings dem Neubau des „Seehotel Großherzog von Mecklenburg“

weichen und wurde 1993 abgerissen.

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13

Das „Hotel Baltique“ war 1838 Boltenhagens erstes großes Hotel. In der Geschichte

wechselte es mehrfach seinen Namen, so zum Beispiel ab 1889 „Roloffs-Hotel“,

seit Anfang 1920 „Park-Hotel“ und um 1950 „Friedrich Ludwig Jahn“ und „Waterkant“.

Nach dem Abriss des Gebäudes 1979 diente die Brachfläche über zehn Jahre als

Parkplatz. Seit dem Jahr 2000 stehen an gleicher Stelle das neue Kurhaus Boltenhagens

und das Appartementhotel “Waterkant“.

14

Das zweite große Hotel Boltenhagens feierte 1925 sein 75-jähriges Jubiläum und

führte ab 1934 den Namen „Ostsee-Hotel“. An dessen Stelle empfängt seit 1995 das

neu errichtete „Seehotel Großherzog von Mecklenburg“ seine Gäste.

45


35

Federführend bei der Planung für die „Villa Hubertus“ war auch das Architekturbüro

Solf und Wichards, wie bei der bereits zuvor beschriebenen „Villa Strandhaus“.

Der Bauherr war der damalige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank AG,

Carl Friedrich August Klönne (1850 – 1915, siehe Abbildung). 1910 konnte die

Bankiers-Familie Klönne ihr privates exklusives Ferienhaus beziehen. Nach zwölf Jahren

wechselte die Villa den Besitzer.

Während der Dreharbeiten zu dem UFA-Film „Der Majoratsherr“ (Film-Plakat 1943)

waren die beiden Hauptdarsteller Willy Birgel und Viktoria von Ballasko im Haus Hubertus untergebracht.

Nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges 1945 kaufte der Berliner Händler Vierke die Villa. Nach der Enteignung

1961 übernahm in den 1970er Jahren die „Grenzbrigade Küste“ das Gebäude. Ab diesem Zeitpunkt wurde das

Haus als militärisches Sanitätsobjekt genutzt. Es beherbergte nun den Stabsarzt, eine Zahnarztpraxis sowie eine

Apotheke. Mit der Restituierung 1991 ging das Haus an die Kinder von Herrn Vierke zurück.

1997 kaufte Thomas Neuffer das Haus und ließ es nach Denkmalschutzrichtlinien sanieren.

Während der Dreharbeiten im Jahr 1943 hoch zu Ross,

Willy Birgel auf dem rechten unteren Foto.

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36

Das „Haus Seeblick“ steht im benachbarten

Grundstück der „Villa Hubertus“.

Das Holzhaus stand ursprünglich in Redewisch und

wurde um das Jahr 1930 auf den heutigen Platz versetzt.

Bis auf einen kleinen Anbau blieb es seither fast

unverändert.

37 Der Maurermeister Andress begann im Jahr

1908 mit dem Bau der „Villa Waldheim“.

Zwischenzeitlich wechselte das Haus seine

Besitzer. Familie Franz ist seit 1972 Eigentümer.

Auf dem Grundstück der Villa wurde das Café

Lindquist neu errichtet und 2017 eröffnet.

38 Mit der Fertigstellung des Hotels „Deutsches Haus“ im Jahr 1912 bereicherte ein weiteres Hotel die Strandpromenade

Boltenhagens. Wilhelm Köpke kaufte das Hotel 1920 und knapp 10 Jahre später konnten bereits etwa

30 Betten angeboten werden. Ab den 1950er Jahren wurde es durch den FDGB-Feriendienst genutzt.

Herr Köpke übergab 1990 das Haus an seine Kinder, die es einige Zeit später verkauften. Heute befinden sich in

dem mühevoll sanierten Gebäude Ferienwohnungen.

63


Die Seebrücke im Wandel der Zeit

Seebrücken sind keine Brücken im wörtlichen Sinne,

denn sie reichen meist nur ins Meer hinaus und enden

im Wasser. Dort, wo es in flachen Buchten keine Häfen

gab, dienten sie ursprünglich als Anlegestellen für

Schiffe und heute oft auch als Flaniermeile. Es gibt

sie nicht nur an der gesamten Ostseeküste. Bekannt

sind auch die Seebrücken Südenglands, die als große

Plattformen über dem Wasser in den Ärmelkanal

ragten und noch heute Platz für Unterhaltung und

Vergnügung bieten, wie auch in Brighton.

In Boltenhagen handelte es sich anfänglich eher um

kleine Stege, die von einheimischen Fischern zum

Anlegen ihrer Boote, aber auch schon für das Anlanden

von Gästen genutzt wurden. Ein solcher Steg

wurde in historischen Quellen bereits 1848 erwähnt.

Im Jahr 1897 entstand im Ostseebad Ahlbeck die

erste Seebrücke an der deutschen Ostseeküste, 14

Jahre später war es dann auch in Boltenhagen so weit:

1911 wurde die aus Holz gefertigte, 300 Meter lange

Landungsbrücke eingeweiht. Die Seebrücke hatte

damals ihren Ausgangspunkt am Strand vor dem

Hotel „Großherzog von Mecklenburg“. Sie diente als

Anlegeplatz für die immer zahlreicher werdenden

Dampfschiffe der Ostseebäderlinie, mit typischen

Namen wie „Möwe“, „Seemöwe“ und „Silbermöwe“.

Aber auch der „Adler“, „Seeadler“, „Insel Poel“ sowie

der Ostseedampfer „Hindenburg“ verrichteten hier

ihren Dienst.

Da Boltenhagen keinen eigenen Bahnanschluss hatte,

reisten die Erholungsuchenden erst mit dem Zug

in Städte wie Lübeck oder Wismar. Die Weiterreise

erfolgte von dort per Schiff nach Boltenhagen. Die

Schiffe legten an der Seebrücke an, und die Gäste

konnten von dort aus trockenen Fußes Quartier

beziehen. Eine durch die Gemeinde Boltenhagen verabschiedete

Brückenordnung regelte das Betreten

des Bauwerks. So musste man für die Benutzung ein

Brückengeld bezahlen. In den 1920er Jahren diente

ein kleines Holzhaus am Eingang zur Seebrücke der

Gepäckabfertigung sowie als Auskunftsstelle. Auch

der Kauf von Fahrkarten war hier möglich. Alles hat

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seine Zeit. Im Winter 1928 kam es im Bereich des

Brückenkopfes durch extreme Vereisung der Ostsee

zu den ersten größeren Beschädigungen am Bauwerk,

die aber behoben werden konnten. Mitte der 1930er

Jahre entsprach das strandseitig erbaute kleine Holzhäuschen

nicht mehr den gestiegenen Ansprüchen

und wurde durch ein großes Brückenhaus ersetzt, in

dem sich auch eine Rot-Kreuz-Station befand.

Eisgang im Winter 1941 zerstörte die Seebrücke fast

völlig. Sie konnte jedoch teilweise wiederhergestellt

werden. Im Winter 1942/43 wurde die Seebrücke

erneut zerstört und nicht wieder aufgebaut. Die

Reste der Holzbrücke dienten den Bewohnern Boltenhagens

im Winter 1945/46 als Brennmaterial.

Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand eine kleine,

schmale Behelfsbrücke aus Holz mit einem Geländer,

die regelmäßig nach Sturm und Eisgang ausgebessert

oder ersetzt werden musste. Um die Schäden

zu begrenzen, wurden im Herbst die Bohlenbretter

abgenommen und zum Saisonstart wieder aufmontiert.

Zum Jahreswechsel 1978/79 wurde auch diese

Brücke fast vollständig durch Eisgang zerstört. Nach

Rückbau der Überreste war die kleine Brücke verschwunden

und Boltenhagen hatte keine Seebrücke

mehr.

Doch 1991 fiel der „Startschuss“ für den Bau einer

neuen Seebrücke. Es entstand eine 290 Meter lange

Konstruktion aus Stahlsäulen, Beton und Lärchenholz.

Die neue Attraktion Boltenhagens konnte 1992

eingeweiht und dem Publikumsverkehr übergeben

werden. Im Jahr 2022 wurde das 30-jährige Bestehen

der Seebrücke gefeiert. Zum Jubiläum informierte

eine Bilderpräsentation im Bereich der Kurpromenade

über die Geschichte der Seebrücke von 1911 bis

2022. Heute wie vor 100 Jahren ist ein Spaziergang

über die Seebrücke ein unvergessliches Erlebnis.

Man wird mit einem beeindruckenden Panoramablick

belohnt, sieht über den Ort bis zur Redewischer

Höhe oder kann sich von einem Sonnenaufgang über

dem Meer verzaubern lassen.

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Mitte der 1930er Jahre – Das neue vergrößerte und markante Brückenhaus war fertig. Hier konnte man sein

Gepäck auf- und abgeben, Schiffs- und Eisenbahnfahrkarten kaufen und im Bedarfsfall wurde man ärztlich

versorgt. Im Obergeschoss bezog der beschäftigte Beamte der Deutschen Reichsbahn ein Quartier.

Die im Hintergrund liegende Yacht „Grille“ gehörte der Kriegsmarine und diente der damaligen politischen

Führung als Staatsyacht.

Im Winter 1941 wurden weite Teile der Seebrücke durch Eisgang zerstört.

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„Fahrt in See“ titelte der Schriftzug am kleinen Häuschen für den Bootsverleih. Diese Freude währte nicht

lange. Nach dem Mauerbau 1961 wurden Bootsverleih und Vergnügungsfahrten eingestellt.

Zu nah schien für die damaligen Machthaber die Staatsgrenze zum kapitalistischen Westen. 1978/79

verschwanden letzte Reste dieser kleinen Brücke endgültig.

Ein beinahe symbolisches Bild:

Die kleine, behelfsmäßig anmutende Brücke endet nach wenigen Metern in der See. An ihrem Ende liegt

ein Rettungsboot des Deutschen Roten Kreuzes und leuchtend triumphiert die Fahne der DDR.

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Die zu erprobende neue Waffentechnik fand bei verschiedenen Flugzeugtypen Verwendung. Dazu zählten die

Dornier (DO 217), die Messerschmitt Bf (ME 109), die Focke-Wulf (FW 190) oder die Junkers (JU 88). Das Bild zeigt

eine JU 87 – ein einmotoriger Sturzkampfbomber aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges aus deutscher Produktion.

Ab 1938 erfolgte auch die Erprobung von neuartigen Raketengeschossen. Die drallstabilisierte Bordrakete RZ 65,

mit einem Gewicht von zwei Kilogramm und einem Durchmesser von 65 mm, ist ein Beispiel.

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Mitarbeiter der Erprobungsstelle trugen Erkennungsmarken. Die Marken gaben Auskunft

über den Tätigkeitsort und persönliche Daten des Inhabers. Hier zu lesen:

Luftwaffenerprobungsstelle Tarnewitz / Willwater, geb.: 05.06.1910

Fernruf Klütz Mecklenburg 188

Blick in die Flugzeugkanzel einer Heinkel 111 (HE 111) mit

Bordbewaffnung. Die abgebildete Flugzeugautomatikkanone

vom Typ MG/FF wurde von der Schweizer Firma

Oerlikon entworfen und im Lizenzbau von den IKARIA

Werken Velten weiterentwickelt. Mit dem modell des Typs MG/FF/M konnte eine größere

Nachfolge-

Palette an Munitionsarten verschossen werden.

Das Trommelmagazin hatte ein Fassungsvermögen

von 60 bis 90 Schuss. Auch diese Waffentechnik

wurde in Tarnewitz erprobt.

117


136

Hier sehen wir die Zufahrt zum

Zeltplatz Boltenhagen, Ende der

1970er Jahre.

Die kleinen Häuschen beherbergten

sowohl die Zeltplatzleitung,

ein Einkaufslädchen, aber auch die

örtlichen Hygienebereiche.


Neben einem herkömmlichen Zelt gab es auch Alternativen wie zum Beispiel das Autozelt „Pension Sachsenruh“.

Das seit Juni 1979 in Limbach-Oberfrohna produzierte Autozelt konnte auf alle in der DDR gefertigten

Fahrzeugtypen montiert werden. Aber auch Wohnanhänger verschiedener Typen waren auf den Zeltplätzen

zu finden.

Einer der kleinsten war der Wohnanhänger

„Würdig 301“, besser bekannt als „Dübener Ei“

oder „Kuschelkugel“. Ein etwas größeres Modell

war der komfortablere und beliebte „QEK“.

Dem Kauf eines solchen Wohnwagens ging eine

Wartezeit von 10 Jahren und länger voraus.

Äußerst selten war hingegen der Anblick des

Intercamper, kurz IC-440. Ausgestattet mit

nahezu allen Annehmlichkeiten betrugen die

Kosten dafür 42.000 Ostmark – für die meisten

DDR-Bürger unerschwinglich – allerdings somit

ein Exportschlager und Devisenbringer.

137


Die Konservenfabrik ME-KO-FA GmbH verarbeitete

zunächst Weißkohl aus der Umgebung zu Sauerkraut

in Dosen.

Die Produktpalette erweiterte sich stetig.

So wurden auch Kirschen, Pflaumen, Sellerie und Rote Bete

verarbeitet und konserviert. Bekannter dürften jedoch die

hergestellten alkoholfreien Getränke und die abgefüllten

Biere gewesen sein.

Das Sortiment umfasste neben Bier auch Selterswasser

sowie 14 verschiedene Sorten von Limonaden und Brause.

Größere Getränkebetriebe verfügten über moderne Technik,

wie in unserem Bild aus dem Jahr 1969 zu sehen ist.

Von 1968 bis 1991 hieß der Betrieb „VEB Wismaria“ Wismar,

Betriebsteil II Boltenhagen.

Ab 1991 übernahm ein internationaler Getränkehersteller

den Betrieb und führte ihn bis zur Schließung 1994.

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Mit der Fertigstellung des ersten Urlauberdorfes im Norden der DDR verfügte Boltenhagen im Jahr 1961 über

eine weitere Beherbergungsstätte. Die 36 neu errichteten Bungalows waren schlicht und praktisch eingerichtet

und verfügten über 400 Betten. Diese reichten jedoch nach einiger Zeit nicht mehr aus und so entstanden

15 Jahre später vier separate Bettenhäuser. Die damaligen Automobilhersteller der DDR waren bei dem

Urlauberdorf nicht ganz uneigennützig entscheidende Geldgeber. Sie sicherten ihren Arbeitern ein Kontingent

an Ferienplätzen. Im Jahr 1996 erfolgte der Abriss des ehemaligen FDGB-Urlauberdorfes und es entstand das

neue Feriendorf „Papillon“.

Die denkmalgeschützte Schule wurde am 31.08.1956 eingeweiht. Errichtet wurde sie durch den „VEB Bau Wismar“,

aber auch zahllose Helfer brachten sich unentgeltlich in das bereits in den 1930er Jahren geplante Projekt ein.

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Das Hotel John Brinckmann wurde durch

das Wohnungsbaukombinat WBK Schwerin

errichtet und konnte 1978 der Öffentlichkeit

übergeben werden.

Namensgeber war der in Rostock geborene

Schriftsteller John Brinckmann (1814 – 1870).

An ihn erinnert heute ein kleines Denkmal nahe

dem Areal.

1991 erhielten die Erben der vorherigen Besitzer

ihr Grundstück zurück. Sie führen den Hotelbetrieb

bis zum heutigen Tag weiter.

Direkt an der Ostseeallee fanden Urlaubsgäste im damals modern gebauten Betriebsferienheim „Freundschaft“

stilvolle Unterkunft im Charme der 1970er Jahre.

143

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