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75 Jahre Grundgesetz | Großes Spezial auf 12 Seiten

Sonderbeilage zum 75. Jubiläum des Grundgesetzes

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<strong>75</strong> <strong>Jahre</strong><br />

<strong>Grundgesetz</strong><br />

Eine Beilage von<br />

und<br />

<strong>Großes</strong><br />

<strong>Spezial</strong> <strong>auf</strong><br />

<strong>12</strong> <strong>Seiten</strong><br />

Interview<br />

mit Theo<br />

Waigel<br />

<strong>Seiten</strong> 2 & 3<br />

Frauen<br />

schreiben<br />

Geschichte<br />

Seite 5<br />

AfD-Verbot<br />

Historiker<br />

will prüfen<br />

Seite 6


2<br />

<strong>75</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Grundgesetz</strong><br />

Eine Veröffentlichung von<br />

Münchner Merkur/tz<br />

Freitag, 17. Mai 2024<br />

8. Mai 1945 28. Mai 1945 August 1945 2. August 1945 28. Sept. 1945<br />

Die deutsche Wehrmacht<br />

kapituliert gegenüber<br />

den Alliierten<br />

bedingungslos.<br />

Damit ist der 2.<br />

Weltkrieg in Europa<br />

beendet. Japan kapituliert nach den<br />

Atombombenabwürfen über<br />

Hiroshima (6. August) und Nagasaki<br />

(9. August.) am 2. September.<br />

Die US-Militärregierung ernennt den<br />

früheren Vorsitzenden der Bayerischen<br />

Volkspartei, Fritz<br />

Schäffer, zum ersten<br />

bayerischen Ministerpräsidenten<br />

in der<br />

Nachkriegszeit. Es<br />

gibt aber Differenzen<br />

wegen der Entnazifizierung.<br />

Ein Großteil<br />

Bayerns<br />

wird der<br />

US-Besatzungszone<br />

zugeschlagen.<br />

Ausnahme:<br />

Lindau kommt wie auch die Rheinpfalz<br />

zur französischen Zone.<br />

Das Potsdamer Abkommen wird <strong>auf</strong><br />

Schloss Cecilienhof unterzeichnet:<br />

Deutschland verliert Gebiete an Polen<br />

und die Sowjetunion. Der „Rest“ wird<br />

in vier Besatzungszonen unterteilt, die<br />

die USA, Großbritannien,<br />

Frankreich und<br />

die Sowjetunion<br />

verwalten.<br />

Fritz Schäfer wird als Ministerpräsident<br />

von der US-Militärbehörde entlassen,<br />

weil er den öffentlichen Dienst<br />

zu wenig von ehemaligen Nazis säubert.<br />

Für ihn wird der SPD-Politiker<br />

Wilhelm Hoegner eingesetzt. Dieser<br />

ist scharfer Nazi-Gegner, er war 1933<br />

in die Schweiz geflüchtet und hatte<br />

sich schon im Exil mit dem demokratischen<br />

Neuanfang beschäftigt.<br />

„Mister Euro“ Theo Waigel zur Weitsicht der Verfassungsväter<br />

T<br />

heo Waigel kommt mit<br />

dem <strong>Grundgesetz</strong> unterm<br />

Arm in die Redaktion.<br />

Erstausgabe, natürlich ein<br />

Faksimile, das Original wird ja im<br />

Bundestag sicher verwahrt. Aber<br />

man merkt schon: Der ehemalige<br />

Bundesfinanzminister und CSU-Vorsitzende,<br />

heute 85 <strong>Jahre</strong> alt, legt<br />

Wert <strong>auf</strong> die Urschrift. Die Verfassung<br />

durch immer neue Ideen zu<br />

verwässern, ist nicht Waigels Sache,<br />

wie in dem zweieinhalb-stündigen<br />

Gespräch deutlich wird.<br />

Als das <strong>Grundgesetz</strong> verabschiedet<br />

wurde, waren Sie zehn <strong>Jahre</strong> alt. Was<br />

sind Ihre Erinnerungen?<br />

Wir hatten ein Radio, eines von wenigen<br />

in Oberrohr, heute Usberg. Mein Vater<br />

hat während der Nazizeit verbotenerweise<br />

Radio Beromünster gehört, einen<br />

Schweizer Sender, der bis zu uns durchdrang,<br />

und wusste über die politische<br />

Situation Bescheid. Im Radio wurde 1949<br />

die Verabschiedung des <strong>Grundgesetz</strong> esverkündet.<br />

Das war wichtig, das merkte<br />

ich wohl.<br />

Wie war die Einstellung dazu im Hause<br />

Waigel. Euphorisch?<br />

Eher skeptisch. Mein Vater war politisch<br />

interessiert, aber er war auch verbittert.<br />

Wie so viele in seiner Generation hatte<br />

er Kaiserzeit, Weimarer Republik, Nazidiktatur<br />

und Nachkriegszeit erlebt. Vier<br />

politische Systeme, in zwei Kriegen Soldat,<br />

im zweiten Weltkrieg den älteren<br />

Sohn verloren – da wusste man 1949<br />

noch nicht, ob das gutgehen würde. Es<br />

ging gut, zum Glück. Das waren Gedanken,<br />

die man als Zehnjähriger nicht hatte.<br />

Aber ich las sehr früh Zeitungen. Und<br />

was ich mitbekam, waren die neuen Politiker,<br />

die jetzt kamen.<br />

„Die Würde<br />

des Menschen<br />

ist unantastbar“<br />

(Artikel 1, 1)<br />

„Das <strong>Grundgesetz</strong> ist<br />

kein Wünsch-dir-Was“<br />

Heuss und Adenauer, im September 1949<br />

zum Bundespräsidenten und Bundeskanzler<br />

gewählt. Kurt Schumacher der<br />

sozialdemokratische Gegenpart. Ein<br />

Bundespräsident, der Theodor heißt, das<br />

war für mich etwas Besonderes. Ich bin<br />

allen Bundeskanzlern persönlich begegnet.<br />

Zu einem der Verfassungsväter, Carlo<br />

Schmid von der SPD, habe ich eine<br />

besondere Beziehung.<br />

Erzählen Sie!<br />

Im Zweiten Juristischen Staatsexamen<br />

musste ich über einen seiner legendären<br />

Sätze einen Aufsatz fertigen: Jede Nation<br />

braucht, um bestehen zu können, eine<br />

junge Elite, die sich ihr tätig und leidend<br />

verbunden weiß.<br />

Ein schöner Satz.<br />

Er zeigt, von welchem Arbeitsethos die<br />

Politikergeneration nach dem Nationalsozialismus<br />

geprägt, ja beseelt war. Das<br />

hat mich fasziniert. Ich bestand die Klausur<br />

mit sehr gut und konnte eine schlechte<br />

Note im Erbrecht ausgleichen. Das hat<br />

meiner Gesamtnote gut getan.<br />

Ist das <strong>Grundgesetz</strong> heute revisionsbedürftig?<br />

Nein. Das <strong>Grundgesetz</strong> ist ein großartiges<br />

Werk.<br />

Welcher Artikel ist Ihnen besonders<br />

wichtig?<br />

Bei einem ehemaligen Bundesfinanzminister<br />

vermutet man die Schuldenbremse?<br />

Aber nein! Es gibt noch wichtigere<br />

Aufgaben. Der Artikel 1, die Unverletzbarkeit<br />

der Würde des Menschen. Großartig.<br />

Und die Präambel. Dass es damals<br />

gelungen ist, mit Sozialdemokraten und<br />

Liberalen die Achtung vor Gott im<br />

<strong>Grundgesetz</strong> zu verankern, ist bemerkenswert.<br />

Auch der Hinweis <strong>auf</strong> die deutsche<br />

Einheit. Das zeugt von Weitsicht.<br />

Die Erfahrungen aus der Nazizeit haben<br />

Sozialisten, Agnostiker und Christen damals<br />

verbunden. Ein ähnliches Zusammenwirken<br />

über Parteien hinweg<br />

bräuchten wir heute wieder.<br />

Was meinen Sie?<br />

Es gab 1990 eine erbitterte Diskussion<br />

darüber, wie die Wiedervereinigung<br />

Mit der Urschrift<br />

des <strong>Grundgesetz</strong>es<br />

unterm Arm:<br />

„Mister Euro“<br />

Theo Waigel<br />

vollzogen werden sollte. Entweder über<br />

Artikel 23 – ein Beitritt Ostdeutschlands<br />

in die bestehende Bundesrepublik. Oder<br />

über Artikel 146, nach dem das <strong>Grundgesetz</strong><br />

seine Gültigkeit verloren hätte und<br />

eine neue Verfassung vom deutschen<br />

Volk in freier Entscheidung beschlossen<br />

worden wäre.<br />

Angewendet wurde Artikel 23: der<br />

Beitritt.<br />

So ist es. Viele in Ostdeutschland, auch<br />

in der SPD der Bundesrepublik, hätten<br />

gerne eine komplett neue Verfassung<br />

gehabt, manche wohl auch mit Elementen<br />

aus der alten DDR-Verfassung und<br />

Teilen ihrer Hymne. Um die Ostdeutschen<br />

zu versöhnen, sie nicht als Unterlegene<br />

der Geschichte zu werten. Bundeskanzler<br />

Kohl war eine Zeit lang unsicher.<br />

Wolfgang Bötsch (damals Vorsitzender<br />

der CSU-Landesgruppe im Bundestag)<br />

und ich stimmten ihn um. Die<br />

CSU wollte das <strong>Grundgesetz</strong> als deutsche<br />

Verfassung<br />

Wie haben Sie das damals begründet?<br />

Es war und ist die beste Verfassung, die<br />

es geben kann. Eine Verbindung zwischen<br />

einer demokratischen Verfassung<br />

und einer Diktatur-Verfassung trägt<br />

nicht. Die zuvor frei gewählte Volkskammer<br />

der DDR beschloss dann auch im<br />

August 1990 den Beitritt der DDR zur<br />

Bundesrepublik (der dann zum 3. Oktober<br />

1990 in Kraft trat). Und das <strong>Grundgesetz</strong><br />

galt, mit einigen notwendigen Zeitanpassungen<br />

weiter.<br />

Wäre es nicht richtig gewesen, damals<br />

Volksentscheide <strong>auf</strong> Bundesebene<br />

einzuführen?<br />

Nein. Die Idee ist offenbar nicht totzukriegen.<br />

Wir hätten die großen Entscheidungen<br />

nach dem Krieg alle nicht durchgebracht.<br />

Westorientierung, Nato-Beitritt,<br />

Euro – unvorstellbar.<br />

Und die Direktwahl des Bundespräsidenten?<br />

So wie es ist, ist es gut. Die Bundesversammlung<br />

ist repräsentativ für Bund<br />

und Länder. Das <strong>Grundgesetz</strong> ist kein<br />

politisches Wunschkonzert. Je mehr<br />

Programmsätze <strong>auf</strong>genommen werden,<br />

desto unklarer wird es. Die Forderung<br />

nach expliziter Erwähnung von Kindesschutz<br />

und Kinderrechten ist durch Artikel<br />

1, 2 und 6 erfüllt. Ich zitiere: „Die<br />

Menschenwürde ist unantastbar“,<br />

„Recht <strong>auf</strong> freie Entfaltung der Persönlichkeit“<br />

sowie „Elternrecht und Elternpflicht“.<br />

An einer <strong>Grundgesetz</strong>-Änderung waren<br />

Sie indes selbst beteiligt.<br />

So ist es. Wir haben in Artikel 88 die<br />

Ermächtigung eingebaut, dass die Währungshoheit<br />

von der Bundesbank <strong>auf</strong><br />

eine Europäische Zentralbank übertragen<br />

wird. Damit wurde dem Euro der<br />

Weg geebnet. Ich versuche immer wieder,<br />

auch bayerischen Politikern klarzumachen:<br />

Stellt doch gegenüber der AfD,<br />

und auch gegenüber Aiwanger, viel stärker<br />

die Vorteile des Euros für die bayerische<br />

Wirtschaft, aber auch die Landwirtschaft<br />

heraus.<br />

Was meinen Sie?<br />

Bayerns Industrie exportiert Waren im<br />

Wert von über 200 Milliarden Euro jährlich.<br />

Allein die bayerische Landwirtschaft<br />

exportiert jedes Jahr Waren im<br />

Wert von über zehn Milliarden Euro in<br />

andere EU-Länder. Wenn wir den Euro<br />

nicht hätten, gäbe es mindestens eine<br />

Aufwertung um 15 bis 20 Prozent. Das<br />

wäre ein Verlust für die bayerische Landwirtschaft<br />

in Höhe von 1,5 bis 2 Milliarden<br />

jährlich. Das sollte von der CSU viel<br />

stärker herausgestellt werden.<br />

Stattdessen werden Sie immer noch<br />

beschimpft für die Euro-Einführung.<br />

Es lässt nach. Es gibt noch einige Unverbesserliche.<br />

Es gibt aber mehr Leute, die<br />

mir zustimmen. Zugegeben: Das kommt<br />

ein bisschen spät. Vor 30 <strong>Jahre</strong>n wäre<br />

mir das lieber gewesen.<br />

Der Euro hat uns die Schuldenkrise<br />

Griechenlands eingebrockt, heißt es.<br />

Das ärgert mich. Wenn wir uns die implizite<br />

Staatsverschuldung Deutschlands<br />

ansehen, also die Verschuldung unter<br />

Berücksichtigung von Pensionen und<br />

Renten, dann liegt Deutschland bei über<br />

350 Prozent der Wirtschaftsleistung. Reformländer<br />

wie Griechenland liegen unter<br />

100 Prozent. Griechenland zahlt mittlerweile<br />

alle Kredite zurück, die es in der<br />

Finanzkrise seit 2010 <strong>auf</strong>nehmen musste.<br />

Letztlich kostet die Rettung Griechenlands<br />

den deutschen Steuerzahler nicht<br />

einen Euro. Warum wird das den Bürgern<br />

denn nicht vermittelt?<br />

Was ist mit der Schuldenbremse?<br />

Wir dürfen sie nicht <strong>auf</strong>weichen. Das<br />

würde auch dem Stabilitäts- und Wachstumsvertrag<br />

von 1997 widersprechen.<br />

Kein Staatsdefizit über drei Prozent, mittelfristig<br />

Ausgleich, langfristig Überschuss<br />

um der Demographie Rechnung<br />

zu tragen – das waren damals die Leitlinien.<br />

Sie gelten nach wie vor. Wir sollten<br />

uns in diesen Zeiten <strong>auf</strong> das Wesentliche<br />

konzentrieren und den Leuten auch unbequeme<br />

Wahrheiten sagen.<br />

Sie spielen <strong>auf</strong> das Bürgergeld an.<br />

Ja. 5000 neue Stellen allein für die Verwaltung<br />

sind geplant. Unvorstellbar. Es<br />

werden Prioritäten falsch gesetzt. In den<br />

1950er-<strong>Jahre</strong>n betrug der Anteil des Verteidigungsetats<br />

am Gesamthaushalt<br />

zeitweise ein Drittel! Ein Drittel! Heute<br />

sind es zehn Prozent. Und damals waren<br />

die sozialen Probleme mit Sicherheit<br />

größer als heute.


Eine Veröffentlichung von<br />

Münchner Merkur/tz<br />

Freitag, 17. Mai 2024<br />

<strong>75</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Grundgesetz</strong><br />

3<br />

28. Sept. 1945 25. Januar 1946 1. Dezember 1946 2. Dezember 1946 Winter 1947/48<br />

Der US-Militärgouverneur<br />

(und spätere<br />

US-Präsident)<br />

Dwight „Ike“ Eisenhower<br />

entlässt<br />

den (ultrakonservativen)<br />

Militärbefehlshaber<br />

in Bayern, General George<br />

S. Patton (Foto), der die Entnazifizierung<br />

verzögert hatte.<br />

Erste Vertriebenenzüge aus Sammellagern<br />

der Tschechoslowakei kommen<br />

über Hof und Furth i. Wald in Bayern<br />

an. Insgesamt siedeln sich etwa zwei<br />

Millionen Heimatvertriebene in Bayern<br />

an, gut die Hälfte Sudetendeutsche,<br />

ein Viertel Schlesier. Die Sudetendeutschen<br />

gelten fortan als Bayerns „4.<br />

Stamm“. Einige sind auch politisch aktiv,<br />

etwa T. Oberländer (BHE)..<br />

Erste Landtagswahl in Bayern. Die<br />

CSU gewinnt mit 52,3 %, dahinter<br />

rangiert die SPD mit 28,6%., die WAV<br />

mit 7,4%, gefolgt von KPD (6,1%)(<br />

und FDP (5,7%). Hans Ehard (CSU)<br />

wird am 21. Dezember<br />

Ministerpräsident. Bereits<br />

am 27. Januar 1946<br />

hatte es die ersten Kommunalwahlen<br />

gegeben.<br />

Wilhelm Hoegner unterzeichnet<br />

die Bayerische<br />

Verfassung,<br />

über die seit Februar<br />

1946 in Ausschüssen<br />

beraten worden war.<br />

Sie umfasst 188 Artikel.<br />

Auf die Installierung<br />

eines Staatspräsidenten wird verzichtet.<br />

Nach einer Missernte<br />

folgt eine Kältewelle<br />

im Winter. Es<br />

gibt Brennstoff- und<br />

Nahrungsmittelmangel.<br />

„Deutschland,<br />

Deutschland ohne alles. Ohne<br />

Butter, ohne Speck. Und das bisschen<br />

Marmelade frisst uns die Besatzung<br />

weg“, dichtet der Volksmund.<br />

Im <strong>Grundgesetz</strong> gibt es eine Gewaltenverschränkung.<br />

Bundestag und<br />

Bundesrat blockieren sich gelegentlich<br />

gegenseitig.<br />

Da bin ich gelassen. Wir haben das letztlich<br />

immer überwunden. Es gibt einen<br />

Vermittlungsausschuss, der die Dinge<br />

zusammenführt. Bei allen Gegensätzen.<br />

Ob nun Finanzpolitik, Verteidigungspolitik<br />

oder Außenpolitik – immer gab es<br />

eine Verständigung. Ich kann mich in<br />

meiner Amtszeit nur an eine Situation<br />

erinnern, wo das nicht gelang. Das war<br />

Theo Waigel beim Besuch in unserer<br />

Redaktion. Das Interview<br />

mit ihm führten (v.l.) Chefredakteur<br />

Georg Anastasiadis, Verleger<br />

Dirk Ippen (2.v.l.) und Redakteur<br />

Dirk Walter (r.).<br />

Fotos: Martin Hangen<br />

die Große Steuerreform 1997, an Lafontaine<br />

gescheitert, trotz dreimaliger Vermittlungsversuche.<br />

Welche Gefahren geht von radikalen<br />

Parteien wie der AfD fürs <strong>Grundgesetz</strong><br />

aus?<br />

Die Gefahr besteht. Alle demokratischen<br />

Parteien sind in diesem Jubiläumsjahr<br />

des <strong>Grundgesetz</strong>es zu einem<br />

Demokratieprojekt <strong>auf</strong>gerufen. Wir<br />

müssen die Demokratie verteidigen –<br />

übrigens nicht nur gegen rechts, sondern<br />

auch gegen links. Wenn Demokraten<br />

entschieden sagen: Bis hierher und<br />

nicht weiter, hat das Wirkung. Ich habe<br />

Hoffnung, dass man einen Teil der AfD-<br />

Wähler zurückholen kann. Die Verteidigung<br />

der Demokratie ist nicht nur ein<br />

Thema der Grünen und der SPD. Es ist<br />

ein Thema der Mitte, und die Mitte ist<br />

die Union. Wir müssen aus Krisen lernen.<br />

Karl Barth hat 1922 beklagt, wie<br />

rücksichtslos Institutionen und Traditionen<br />

zwischen den Zeiten in Frage gestellt<br />

werden und Joseph Bernhart verlangt<br />

im Gründungsjahr der Bundesrepublik<br />

1949 ein hohes Maß an bürgerlicher<br />

Gesinnung, sittlichem Denken und<br />

Handeln, um die Demokratie zu bewahren.<br />

Es gibt innenpolitische Feinde. Und<br />

es gibt außenpolitische Herausforderungen.<br />

Ihr Parteifreund zu Guttenberg<br />

hat 2011 die Wehrpflicht abgeschafft.<br />

Ausgesetzt.<br />

Ausgesetzt. War das nicht ein Fehler?<br />

Ich kann die Aussetzung nachvollziehen.<br />

Es gab ein Gerechtigkeitsproblem,<br />

da nur ein geringer Teil der Wehrpflichtigen<br />

auch eingezogen wurde. Würde<br />

man das rückgängig machen, ginge das<br />

nur über eine allgemeine Pflichtzeit mit<br />

einer Einbeziehung auch der Frauen. Das<br />

wäre ein überlegenswerter Punkt.<br />

Machen Sie sich angesichts des<br />

Kriegs in der Ukraine sorgen auch für<br />

Deutschland?<br />

Ich mache mir große Sorgen, gar keine<br />

Frage. Weil Putin falsch eingeschätzt<br />

wurde. Ich habe zu denen gehört, die<br />

2001 im Bundestag geklatscht haben und<br />

<strong>auf</strong>gestanden sind, als er seine Rede gehalten<br />

hat – <strong>auf</strong> Deutsch. Als er den großen<br />

Bogen schlug, Deutsche Literatur,<br />

Europa, Überwindung des Kommunismus<br />

– das war schon eindrucksvoll. Im<br />

Nachhinein muss ich sagen: Er war auch<br />

damals der kommunistische Agent wie<br />

in seiner Zeit in Dresden, der der Sowjetunion<br />

nachtrauerte und sie wiederherstellen<br />

wollte. Putin und seine Vordenker<br />

kalkulieren damit, dass die USA<br />

nicht einschreiten würden, wenn der<br />

Krieg nach Europa weiter ausgreift und<br />

drohen mit der Atombombe. Das kann<br />

man nur mit größter Sorge betrachten.<br />

Bayern stand dem <strong>Grundgesetz</strong> bei<br />

der Abstimmung 1949 skeptisch gegenüber.<br />

Es wurde von der CSU im<br />

Bayerischen Landtag abgelehnt.<br />

Das ist umso unverständlicher, da Bayern<br />

ja maßgeblich an der Entstehung des<br />

<strong>Grundgesetz</strong>es beteiligt waren. Zum Beispiel<br />

der damalige Leiter der Staatskanzlei,<br />

Anton Pfeiffer. Der spätere Bundesratsminister<br />

Franz Heubl führte Protokoll.<br />

Sie sind alle viel zu wenig bekannt.<br />

Nicht zu vergessen der Verfassungskonvent<br />

<strong>auf</strong> Herrenchiemsee.<br />

Dort entstanden wesentliche Vorarbeiten.<br />

Im <strong>Grundgesetz</strong> ist viel Bayerisches<br />

enthalten, viel Föderalismus. Da war das<br />

Nein unglücklich. Die Ablehnung kann<br />

man nur aus dem damaligen historischen<br />

Kontext nachvollziehen. Es gab,<br />

getrieben von der damaligen Bayernpartei,<br />

starke separatistische Kräfte. Und<br />

Bayern hatte ja schon seit Ende 1946 eine<br />

eigene Bayerische Verfassung.<br />

Wäre es im Jahr des Jubiläums nicht<br />

Zeit, Bayerns Nein von 1949 zu korrigieren?<br />

Es gibt Fehler, die kann man nicht korrigieren.<br />

Sicher ist: Die Bayern sind heute<br />

starke Anhänger des <strong>Grundgesetz</strong>es<br />

und die Bayerische Staatsregierung hat<br />

mit ihrer Klage in Karlsruhe die Deutsche<br />

Einheit als unabdingbares Staatsziel<br />

politischen Handelns durchgesetzt.<br />

Heute würden wir zustimmen (lacht).<br />

Liebe Bürgerinnen und Bürger,<br />

das <strong>Grundgesetz</strong> war und ist der Gegenentwurf zur nationalsozialistischen<br />

Diktatur, ihrer Unterdrückung und Unmenschlichkeit. Ganz vorne steht die<br />

Würde des Menschen – sie ist unantastbar. Unsere freiheitlich-demokra tische<br />

Grundordnung ist das Fundament, <strong>auf</strong> dem Generationen <strong>auf</strong>gebaut haben:<br />

Wir leben in Freiheit, sind verbündet zu unserer Sicherheit und haben es<br />

zu Wohlstand gebracht.<br />

Heute sind politische Kräfte <strong>auf</strong> dem Vormarsch, die mit dem Presslufthammer<br />

an dieses Fundament gehen. Sie machen Stimmung, streuen Falsch -<br />

informationen und schüren Angst, Wut und Hass. Kein Kompromiss ist ihnen<br />

gut genug. Kein Problem wird von ihnen gelöst. Stattdessen kommen sie<br />

mit Hohn und Spott und Verschwörungstheorien. Der Zusammenhalt in der<br />

breiten Mitte der Gesellschaft soll <strong>auf</strong>gebrochen werden.<br />

Das <strong>Grundgesetz</strong> hat uns <strong>75</strong> <strong>Jahre</strong> gut geschützt. Jetzt müssen wir den Geist<br />

des <strong>Grundgesetz</strong>es schützen: in einem starken Miteinander gegen Natio nalismus,<br />

Intoleranz und Menschenverachtung. Unsere freiheitliche Verfassung<br />

lebt durch starke Parlamente, freie Wahlen, freie Medien, freie Wissenschaft,<br />

Kunst und Kultur. Unser Gemeinwesen bleibt nur offen und vielfältig und<br />

stark, wenn wir zusammenhalten. Dem dient eine Politik, die der Wahrheit<br />

ver pflichtet ist, die unsere Werte verteidigt und die damit echt patriotisch ist.<br />

Das <strong>Grundgesetz</strong> ist nur so gut, wie wir es jeden Tag mit Leben füllen:<br />

Wer Freiheit will, muss sich für die Demokratie entscheiden!<br />

Ihre,<br />

Ilse Aigner<br />

Präsidentin des Bayerischen Landtags<br />

www.bayern.landtag.de


4<br />

<strong>75</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Grundgesetz</strong><br />

Eine Veröffentlichung von<br />

Münchner Merkur/tz<br />

Freitag, 17. Mai 2024<br />

20. Juni 1948 10.-23. Aug. 1948 1. Sept. 1948 8./23. Mai 1949 14. August 1949<br />

Währungsreform:<br />

In den drei westlichen<br />

Besatzungszonen<br />

wird die D-<br />

Mark als Währung<br />

eingeführt. Im Juli<br />

folgt die Ostzone mit einer eigenen<br />

Währung, der „Deutschen Mark“. Die<br />

beiden Währungen sind auch Vorzeichen<br />

für die deutsche Teilung.<br />

Der Verfassungskonvent<br />

(30 Experten,<br />

darunter für<br />

Bayern Anton<br />

Pfeiffer, Hans<br />

Nawiasky und<br />

Josef Schwalber) tagt im Alten Schloss<br />

Herrenchiemsee und bereitet einen<br />

Entwurf für das <strong>Grundgesetz</strong> vor.<br />

Die Ministerpräsidenten der westdeutschen<br />

Länder übergeben den Verfassungsentwurf<br />

des Chiemseer Konvents<br />

(148 Artikel) an den Parlamentarischen<br />

Rat in Bonn. Dieser besteht<br />

aus 65 Mitgliedern, die zuvor von den<br />

Landtagen gewählt worden waren. 13<br />

Mitglieder kommen aus Bayern, u.a.<br />

A. Roßhaupter (SPD), T. Dehler (FDP)<br />

und A. Pfeiffer (CSU).<br />

Zum 4. <strong>Jahre</strong>stag der deutschen Kapitulation<br />

am 8. Mai 1949 um 23.55 Uhr<br />

verabschiedet der Parlamentarische<br />

Rat das <strong>Grundgesetz</strong>. Der Rat hatte<br />

nach seiner feierlichen Eröffnung im<br />

Lichthof des Zoologischen Museums<br />

Alexander Koenig Bonn am 1. September<br />

1948 fast in Permanenz getagt.<br />

Am 23. Mai 1949 tritt das <strong>Grundgesetz</strong><br />

in Kraft.<br />

Wahl zum ersten<br />

Deutschen<br />

Bundestag. Die<br />

Union erreicht<br />

31%, dahinter<br />

folgen SPD mit<br />

29,2%, FDP mit 11,9%, Bayernpartei<br />

mit 4,2% und Deutsche Partei mit<br />

4,0%. Am 15. September 1949 wird<br />

Adenauer zum Kanzler gewählt.<br />

Wie der „Münchner Merkur“ 1949 übers <strong>Grundgesetz</strong> berichtete<br />

Symbolträchtig: Am 23.<br />

Mai 1949 unterzeichnet<br />

der spätere Bundeskanzler<br />

Konrad Adenauer<br />

das <strong>Grundgesetz</strong>.<br />

Foto: PA/dpa<br />

Beschluss ohne<br />

Pomp und Pathos<br />

D<br />

amit „erlangt das <strong>Grundgesetz</strong> heute<br />

Rechtskraft“ – betont nüchtern, jedenfalls<br />

ohne Pomp und Pathos, verabschiedete<br />

der Parlamentarische Rat in Bonn<br />

am 23. Mai 1949 das <strong>Grundgesetz</strong>. Das wurde damals<br />

auch eher registriert denn gefeiert. Im<br />

„Münchner Merkur“ landete der (relativ kurze) Artikel,<br />

den wir hier zusammen mit dem Bericht über<br />

die vorangegangene Diskussion im Landtag im Original<br />

zeigen, nur <strong>auf</strong> Seite 2.<br />

Der Bedeutung des <strong>Grundgesetz</strong>es war man sich<br />

aber durchaus bewusst, wie der von einem anonymen<br />

Autor verfasste Leitartikel in derselben Ausgabe<br />

zeigt: „In Bonn wurde ein Grundstein für das<br />

neue Deutschland gelegt“, hieß es da. „In diesem<br />

Deutschland soll jeder Mensch vor dem Gesetz<br />

gleich, soll die Würde des Menschen unantastbar<br />

sein.“ Für die „Verwirklichung dieser Grundrechte“<br />

lohne sich „ein Wettstreit unter allen Parteien“.<br />

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Ablehnung<br />

im Landtag<br />

Die Worte Konrad Adenauers<br />

Konrad Adenauer (1876-1967) war eigentlich schon ein<br />

Politikveteran, als er am 23. Mai 1949 das <strong>Grundgesetz</strong><br />

unterschrieb. Er war 1917 und dann in der gesamten Weimarer<br />

Republik bis zur gewaltsamen Absetzung durch die<br />

Nationalsozialisten Kölner Oberbürgermeister gewesen<br />

und auch mehrmals als Reichskanzler im Gespräch. Unvergessen<br />

war auch ein Auftritt in München 1922, als<br />

Adenauer als Präsident des Katholikentags antidemokratische<br />

Ausfälle des Münchner Erzbischofs Michael von Faulhaber<br />

scharf zurückwies.<br />

In der NS-Zeit weitgehend in der „inneren Emigration“,<br />

erlebte er nach 1945 eine späte zweite Karriere. Als CDU-<br />

S o leidenschaftlich diskutiert der Bayerische<br />

Landtag selten: Am 19. Mai 1949 gegen 2.30 Uhr<br />

in der Früh stimmten 164 Abgeordnete über das<br />

<strong>Grundgesetz</strong> ab – nach einer über 14-stündigen<br />

Redeschlacht. Mehrmals stand die Debatte am<br />

Rand des Abbruchs, selbst Ministerpräsident<br />

Hans Ehard (CSU) schaffte es wegen fortgesetzter<br />

Zwischenrufe nicht, seinen Redebeitrag zu Ende<br />

zu bringen.<br />

Das Ergebnis war aber eindeutig: Als einziges<br />

westdeutsches Parlament lehnte eine Mehrheit<br />

(101:63 Stimmen bei neun Enthaltungen) das<br />

<strong>Grundgesetz</strong> ab. Die CSU stimmte mit wenigen<br />

Ausnahmen (sieben Enthaltungen, zwei Ja-Stimmen)<br />

gegen das <strong>Grundgesetz</strong>. Nur SPD und FDP<br />

waren für die Annahme.<br />

Bayern gegen das <strong>Grundgesetz</strong>, wie kann das<br />

sein? Zu erklären ist die Ablehnung nur, wenn<br />

man die damalige Stimmungslage ansieht. In der<br />

CSU standen viele dem Zentralismus Bonner Prägung<br />

ablehnend gegenüber. Sie drangen <strong>auf</strong><br />

mehr Föderalismus, vor allem mehr Steuerrechte<br />

für das Land. Und: Waren nicht einst, 1933, auch<br />

die Nazis aus Berlin gekommen und hatten im<br />

Freistaat die Macht ergriffen? So sahen das viele<br />

damals (die allerdings vergaßen, dass Hitler bis<br />

1923 in München groß geworden war).<br />

Allerdings war es ein Nein mit doppeltem Bo-<br />

den. In einer zweiten Abstimmung direkt nach<br />

der Ablehnung votierten die Abgeordneten für<br />

einen Antrag, nach dem das <strong>Grundgesetz</strong> für Bayern<br />

trotz des Neins gelten solle, wenn es nur von<br />

zwei Dritteln der deutschen Bundesländer angenommen<br />

werde. So kam es dann auch – deswegen<br />

gilt das <strong>Grundgesetz</strong> auch in Bayern! DW<br />

Fraktionschef im Landtag von NRW wurde er Präsident<br />

des Parlamentarischen Rats. Er war maßgeblich daran<br />

beteiligt, dass Bonn und nicht das favorisierte Frankfurt<br />

Bundeshauptstadt wurde. Bei der Verabschiedung des<br />

<strong>Grundgesetz</strong>es hielt er eine kurze Ansprache: „Das <strong>Grundgesetz</strong>,<br />

das wir beschlossen haben, beruht <strong>auf</strong> dem freien<br />

Willen und <strong>auf</strong> der freien Entscheidung des deutschen<br />

Volkes.“ Einziger Makel sei, dass noch nicht „das ganze<br />

Deutschland“ zu einem Staat zusammengefasst sei.<br />

Adenauer wurde im August 1949 Bundestagsabgeordneter<br />

und am 15. September 1949 zum Bundeskanzler gewählt.<br />

Er blieb es bis 1963.<br />

DW


Eine Veröffentlichung von<br />

Münchner Merkur/tz<br />

Freitag, 17. Mai 2024<br />

<strong>75</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Grundgesetz</strong><br />

5<br />

17. Juni 1953 4. Juli 1954 14. Dez. 1954 6. Mai 1955 13. August 1961<br />

DDR-Volks<strong>auf</strong>stand in 440 Städten<br />

und Gemeinden. Er richtet sich gegen<br />

die Erhöhung von Arbeitsnormen, später<br />

gibt es auch politische Forderungen,<br />

etwa nach freien Wahlen. Der<br />

Aufstand wird mit<br />

Hilfe sowjetischer<br />

Truppen niedergeschlagen.<br />

Es sterben<br />

etwa 50 Menschen.<br />

Das „Wunder von<br />

Bern“: Die westdeutsche<br />

Fußballnationalmannschaft<br />

mit Trainer<br />

Sepp Herberger<br />

wird in der<br />

Schweiz mit einem 3:2 gegen die favorisierten<br />

Ungarn überraschend Fußballweltmeister.<br />

SPD, Bayernpartei, GB/BHE und FDP<br />

schmieden die bayerische Viererkoalition,<br />

die erste und bis heute einzige<br />

Landesregierung ohne Beteiligung der<br />

CSU. Ministerpräsident wird Wilhelm<br />

Hoegner (SPD). Weil der konservative<br />

„Gesamtdeutsche Block/Bund der Heimatvertriebenen<br />

und Entrechteten“<br />

die Koalition <strong>auf</strong>kündigt, scheitert die<br />

Viererkoalition im Oktober 1957.<br />

Die Bundesrepublik<br />

tritt<br />

der (1949 gegründeten)<br />

Nato bei, am<br />

<strong>12</strong>. November<br />

erhalten<br />

die ersten 101 Freiwilligen als Bundeswehr-Soldaten<br />

in einer Bonner Kaserne<br />

ihre Ernennungsurkunden.<br />

Niemand hat die Absicht, eine Mauer<br />

zu errichten, so der DDR-Staatsratsvorsitzende<br />

Ulbricht.<br />

Doch: Am<br />

13. August<br />

1961 beginnt<br />

der<br />

Bau der Berliner<br />

Mauer.<br />

Nur vier von 65<br />

Neben Vätern hatte das <strong>Grundgesetz</strong> auch einige Mütter<br />

von dirk walter<br />

Männer machen Geschichte, so<br />

sagt man gern. Auch bei der Gestaltung<br />

des <strong>Grundgesetz</strong>es fällt <strong>auf</strong>: Es<br />

dominierten die Herren. Unter den<br />

30 Experten, die im August 1948 im<br />

Alten Schloss <strong>auf</strong> Herrenchiemsee<br />

in einem „Verfassungskonvent“<br />

einen ersten Entwurf für<br />

das spätere <strong>Grundgesetz</strong> ausarbeiteten,<br />

gab es keine einzige<br />

Frau.<br />

Als sich dann ab 1. Septemer<br />

1948 in Bonn der Parlamenarische<br />

Rat bildete, um dem<br />

rundgesetz den letzten<br />

chliff zu verleihen, befanden<br />

ich unter den 65 Abgeordneen,<br />

die die einzelnen Bundesänder<br />

entsandt hatten, gerade<br />

inmal vier Frauen: Ihre Namen:<br />

Dr. Elisabeth Selbert (SPD) aus<br />

Kassel, Friederike Nadig (SPD, Helene<br />

Weber (CDU) und Helene Wessel<br />

(Zentrum später SPD), alle drei aus<br />

Nordrhein-Westfalen. Nur zwei<br />

Bundesländer also nominierten<br />

Frauen, Bayern hingegen benannte<br />

unter den 13 Abgesandten keine<br />

„Männer und<br />

Frauen sind<br />

gleichberechtigt“<br />

(Artikel 3, 2)<br />

einzige Abgeordnete!<br />

Die Rolle der vier Frauen ist bisher<br />

nicht in allen Facetten ausgeleuchtet<br />

worden. Sie waren vor<br />

1945 entschiedene Gegner des nationalsozialismus<br />

gewesen – Frieda<br />

Nadig und Helene Weber waren<br />

1933 von den Nazis sogar aus dem<br />

öffentlichen Dienst entfernt<br />

worden. Im Parlamentarischen<br />

Rat konzentrierten sie<br />

sich vor allem „<strong>auf</strong> frauenund<br />

familienpolitische Themen“,<br />

wie der Leiter des<br />

Münchner Instituts für Zeitgeschichte,<br />

Andreas Wirsching,<br />

sagt (siehe Interview<br />

S.6). Leicht war das nicht. Auf<br />

Initiative Selberte soll es eine<br />

Welle von empörten Briefen<br />

gegeben haben, die Frauen an<br />

die männlichen Mitglieder<br />

des Parlamentarischen Rates<br />

schrieben, um den Forderungen<br />

Nachdruck zu verleihen. Das wirkte<br />

wohl. Auf den Einsatz der vier<br />

Frauen (die Initialzündung ging<br />

von Elisabeth Selbert aus) geht die<br />

Formulierung in Artikel 3, Absatz<br />

2 zurück: „Männer und Frauen sind<br />

gleichberechtigt“ – ein Grundsatz,<br />

der in den folgenden Jahrzehnten<br />

eine Welle von Gesetzesänderungen<br />

etwa im Ehe- und Familienrecht<br />

auslöste.<br />

Das brauchte Zeit: 1950 wurde<br />

dazu ein Frauenreferat im Bundesinnenministerium<br />

eingerichtet.<br />

„Erst 1957 fiel das familienrechtlich<br />

verbriefte Letztentscheidungsrecht<br />

des Ehemannes in ehelichen<br />

und familiären Angelegenheiten“,<br />

schreibt das Bundesfamilienministerium<br />

in einer Broschüre.<br />

» Helene Wessel<br />

» Helene Weber<br />

Fotos: dpa<br />

» Elisabeth Selbert<br />

» Friederike Nadig<br />

<strong>75</strong><br />

Seit<br />

Die<br />

Seit <strong>75</strong> <strong>Jahre</strong>n ist das deutsche <strong>Grundgesetz</strong> die Grundlage unseres Zusammenlebens<br />

in Deutschland. Freiheit, Frieden und Demokratie sind für uns Gründe zum Feiern und<br />

gleichzeitig Anlass, uns bei allen Menschen und Institutionen zu bedanken, die das<br />

<strong>Grundgesetz</strong> verteidigen und sich für dessen Einhaltung einsetzen.<br />

Nur wenige <strong>Jahre</strong> nach Ende der verheerenden NS-Zeit<br />

formulierten die Schöpfer * innen des deutschen <strong>Grundgesetz</strong>es<br />

mit Weitsicht und Klugheit 17 Artikel, die bis<br />

heute Bestand haben. Gemeinsam mit der Sozialen<br />

Marktwirtschaft ist es bis heute die Basis unserer Erfolgsgeschichte<br />

– als wirtschaftlich starker Partner in<br />

der Mitte Europas und als verlässliches demokratisches<br />

Mitglied der internationalen Staatengemeinschaft.<br />

vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V.<br />

bekennt sich mit ihren Mitgliedern – über 200 Wirtschaftsverbände<br />

und Fördermitglieder – zu Demokratie,<br />

Diversität und Dialog, den Grundsätzen der Sozialen<br />

Marktwirtschaft, zum Staat und seiner Rechtsordnung<br />

mit den Grundwerten unserer Demokratie, zu den<br />

Grundsätzen guter Arbeit, zur Nachhaltigkeit sowie zur<br />

gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen.<br />

www.vbw-bayern.de/wertekanon<br />

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6<br />

<strong>75</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Grundgesetz</strong><br />

Eine Veröffentlichung von<br />

Münchner Merkur/tz<br />

Freitag, 17. Mai 2024<br />

16. Oktober 1963 2. Juni 1967 25. August 1967 21. Okt. 1969 25. Nov. 1973<br />

Als Nachfolger von<br />

Konrad Adenauer<br />

wählt der Deutsche<br />

Bundestag mit 279<br />

zu 180 Stimmen<br />

Ludwig Erhard (CDU)<br />

zum neuen Bundeskanzler.<br />

Er gilt als<br />

Erfinder der sozialen Marktwirtschaft.<br />

Im Amt ist er bis 1966.<br />

Der 26-jährige Student Benno Ohnesorg<br />

wird <strong>auf</strong> einer Demonstration<br />

gegen den Besuch des Schahs von<br />

Persien (Iran) von dem Polizisten Karl-<br />

Heinz Kurras erschossen. Das ist Auftakt<br />

der Studentenbewegung, auch<br />

die terroristische „Bewegung 2. Juni“<br />

beruft sich <strong>auf</strong> Ohnesorg. Der später<br />

als DDR-Spion enttarnte Todesschütze<br />

wird freigesprochen.<br />

Auf der Berliner<br />

Funkausstellung<br />

fällt der Startschuss<br />

für das Farbfernsehen.<br />

Eines der ersten<br />

Ereignisse, das<br />

voll in Farbe übertragen wird, sind die<br />

Olympischen Sommerspiele 1972 in<br />

München. Möglich macht das auch<br />

die Funkstation Radom in Raisting.<br />

Willy Brandt wird als erster SPD-Politiker<br />

zum Bundeskanzler gewählt. Er<br />

bildet entgegen dem Rat des SPD-<br />

Fraktionsführers Herbert Wehner eine<br />

Koalition aus SPD und FDP, die Union<br />

ist 20 <strong>Jahre</strong> nach<br />

Gründung der BRD<br />

erstmals nicht<br />

mehr an der Regierung<br />

beteiligt.<br />

Auf dem Höhepunkt<br />

der Ölkrise<br />

beschließt die<br />

Bundesregierung<br />

ein Fahrverbot<br />

für Pkw und Lkw<br />

an vier Sonntagen<br />

im November und Dezember. Außerdem<br />

gibt es ein Tempolimit von<br />

100 km/h <strong>auf</strong> den Autobahnen.<br />

IfZ-Direktor Wirsching über die Geschichte der Bundesrepublik<br />

D<br />

er Historiker Andreas Wirsching (64) wurde nach Professuren<br />

in Tübingen und Augsburg, Missouri-St.Louis/<br />

USA sowie Montreal/Kanada im Jahr 2011 zum Direktor<br />

des Münchner Instituts für Zeitgeschichte ernannt.<br />

Er ist einer der besten Kenner der Geschichte der Bundesrepublik,<br />

die er vor allem in den <strong>Jahre</strong>n seit dem Mauerfall und der Wiedervereinigung<br />

nicht mehr als Erfolgsgeschichte. auch nicht grosso<br />

modo, interpretiert. Im Interview warnt er davor, den aktuellen<br />

Rechtsextremismus zu unterschätzen und betont, sein Institut sei<br />

auch zu einem Gutachten über die verfassungsfeindlichen Bestrebungen<br />

in der AfD bereit. Das Interview führte Dirk Walter.<br />

Andreas Wirsching<br />

in der Bibliothek<br />

des Instituts für<br />

Zeitgeschichte in<br />

München.<br />

Foto: Marcus Schlaf<br />

AfD-Verbot? „Muss man<br />

ernsthaft prüfen“<br />

War die Bundesrepublik eine<br />

Erfolgsgeschichte?<br />

Die Akteure der Bundesrepublik<br />

in Politik und Publizistik haben<br />

sich vor allem selber als Erfolgsgeschichte<br />

betrachtet. Das war<br />

spätestens seit den 1980er-<strong>Jahre</strong>n<br />

so, als klar wurde, dass sie kein<br />

reines Provisorium mehr war<br />

und gut funktionierte. Daran<br />

war ja objektiv sehr viel richtig.<br />

1949 konnte man aber noch keinesfalls<br />

sicher sein, dass sich die<br />

Bundesrepublik so harmonisch<br />

und friedlich entwickeln würde.<br />

Der Beitritt der ostdeutschen<br />

Länder 1989/90 ist dann sozusagen<br />

der Höhepunkt dieser Entwicklung.<br />

Aber natürlich kann<br />

ein Historiker die alte Bundesrepublik<br />

nicht als reine Harmoniegeschichte<br />

betrachten, dazu gab<br />

es zu viele Konflikte.<br />

Zum Beispiel?<br />

Die Wiederbewaffnung unter<br />

Adenauer war einer dieser Streitpunkte.<br />

Dazu die Ostpolitik Willy<br />

Brandts. Oder die Nachrüstungsdebatte<br />

mit ihren Massendemonstrationen,<br />

schätzungsweise<br />

300 000 Leute im Bonner<br />

Hofgarten 1981.<br />

Und nach 1990?<br />

Es ist schwierig, die Entwicklung<br />

seit 1990 noch als Erfolgsgeschichte<br />

zu werten. Die Nähe zu<br />

Putin, die Ausrichtung der Energieversorgung<br />

gegen den Rat vieler<br />

Verbündeter, zeigen doch Ansätze<br />

einer problematischen<br />

Schaukelpolitik. Innenpolitisch<br />

sind sozial- und bildungspolitische<br />

Fragen, aber auch die zunehmende<br />

soziale Ungleichheit nicht<br />

unbedingt tolle Erfolgsthemen<br />

für das vereinte Deutschland.<br />

An solche Entwicklungen<br />

hatten die Verfassungsväter<br />

1949 sicher nicht gedacht.<br />

Wie betrachten Sie die Anfänge<br />

1948 im Verfassungskonvent<br />

<strong>auf</strong> Herrenchiemsee.<br />

Mit einigen Ausnahmen entsteht<br />

hier mit staunenswerter Geschwindigkeit<br />

und Präzision innerhalb<br />

weniger Wochen die<br />

Blaupause für ein <strong>Grundgesetz</strong>.<br />

Das ist schon beeindruckend. Offen<br />

bleiben nur einige Themen,<br />

etwa ob es einen Senat geben soll<br />

oder einen Bundesrat, oder auch,<br />

ob das <strong>Grundgesetz</strong> durch eine<br />

Volksabstimmung, eine plebiszitäre<br />

Weihe gleichsam, legitimiert<br />

werden sollte – was der<br />

Parlamentarische Rat auch mit<br />

Blick <strong>auf</strong> die deutsche Teilung<br />

dann ablehnt. Es ist ja auch keine<br />

Verfassung, sondern „nur“ ein<br />

<strong>Grundgesetz</strong>.<br />

Wie viel Adenauer steckte im<br />

<strong>Grundgesetz</strong>?<br />

Adenauer hatte als Vorsitzender<br />

des Parlamentarischen Rates eine<br />

wichtige moderierende Funktion.<br />

Es fließt auch ein Stück Erfahrung<br />

aus der Weimarer Republik<br />

ein – nicht allein Adenauer<br />

ist hier zu nennen, auch Thomas<br />

Dehler von der FDP oder Carlo<br />

Schmid von der SPD. Man macht<br />

es jetzt anders als zur Weimarer<br />

Zeit.<br />

Ist das ein Beispiel für eine<br />

erfolgreiche Große Koalition?<br />

Der Parlamentarische Rat sicherlich.<br />

In den großen Fragen, etwa<br />

bei der Finanzverfassung, gab es<br />

weitgehenden Konsens, um sicherzustellen,<br />

dass der neue Staat<br />

auch handlungsfähig war und<br />

einen großen Teil der Steuerhoheit<br />

hatte. Bayern und übrigens<br />

auch die Alliierten hätten es anfangs<br />

lieber gesehen, wenn der<br />

Bund Kostgänger der Länder gewesen<br />

wäre. Dagegen gab es auch<br />

beim „Geist des <strong>Grundgesetz</strong>es“,<br />

den Menschenrechtsartikeln, einen<br />

Konsens.<br />

Meist ist von Verfassungsvätern<br />

die Rede. Es gab aber<br />

auch vier Frauen im Parlamentarischen<br />

Rat. Wie sehen<br />

Sie deren Rolle?<br />

Die vier „Mütter des <strong>Grundgesetz</strong>es“–<br />

es handelte sich um Friederike<br />

Nadig, Elisabeth Selbert,<br />

Helene Weber und Helene Wessel<br />

– konzentrierten sich <strong>auf</strong> frauenund<br />

familienpolitische Themen.<br />

Vor allem Elisabeth Selbert trug<br />

maßgeblich dazu bei, die Gleichberechtigung<br />

der Frauen durchzusetzen.<br />

Der <strong>Grundgesetz</strong>artikel<br />

„Männer und Frauen sind<br />

gleichberechtigt“ ist ein Quantensprung<br />

gegenüber der Weimarer<br />

Reichsverfassung, wo es<br />

noch hieß: „Männer und Frauen<br />

haben grundsätzlich die gleichen<br />

staatsbürgerlichen Rechte und<br />

Pflichten“. Also eine empfindliche<br />

Einschränkung. Dem Einsatz<br />

der vier Frauen ist es zu verdanken,<br />

dass dieses „grundsätzlich“<br />

verschwand.<br />

Auch NS-belastete Personen<br />

arbeiteten am <strong>Grundgesetz</strong><br />

mit. Wie das?<br />

Im Parlamentarischen Rat findet<br />

man sie eigentlich nicht. Wohl<br />

aber im Verfassungskonvent von<br />

Herrenchiemsee. Über die Vergangenheit<br />

von Theodor Maunz,<br />

der als Jurist in der NS-Zeit das<br />

Führerprinzip verteidigt hatte,<br />

wusste man wahrscheinlich nur<br />

begrenzt Bescheid. Nach seinem<br />

Tod kam ja heraus, dass er in den<br />

1960er <strong>Jahre</strong>n regelmäßig für die<br />

rechtsextreme Deutsche Nationalzeitung<br />

geschrieben hat. Der<br />

niedersächsische Delegierte Justus<br />

Danckwerts nahm als Wehrmachtsvertreter<br />

an Sitzungen<br />

teil, in der die Massenerschießung<br />

von Juden in der Ukraine<br />

erörtert wurde. Solche Leute saßen<br />

an einem Tisch mit dem ehemaligen<br />

KZ-Häftling von Buchenwald,<br />

Hermann Brill, oder dem<br />

ins Exil geflohenen jüdischen Juristen<br />

Hans Nawiasky.<br />

Warum wurde das nicht thematisiert?<br />

Darüber kann man nur spekulieren.<br />

Entscheidend war aber der<br />

Blick in die Zukunft. Man r<strong>auf</strong>te<br />

sich zusammen, blickte nach vorne,<br />

ließ die Vergangenheit ruhen.<br />

Völlig unbeantwortet ist freilich<br />

die Frage, wie der persönliche<br />

Umgang war. Ich würde mal annehmen,<br />

dass in informellen<br />

Treffen <strong>auf</strong> Herrenchiemsee, bei<br />

Spaziergängen etwa, nicht jeder<br />

mit jedem geredet hat.<br />

Wie kann man das <strong>Grundgesetz</strong><br />

besser verk<strong>auf</strong>en?<br />

Ihre Frage setzt voraus, dass das<br />

<strong>Grundgesetz</strong> schlecht dasteht. Es<br />

hat aber nach meiner Wahrnehmung<br />

keine so schlechte Presse.<br />

Statt von <strong>Grundgesetz</strong> spricht<br />

man jetzt von der deutschen und<br />

endgültigen Nachkriegsverfassung.<br />

Es ist kein Provisorium<br />

mehr, und das ist keine schlechte<br />

Entwicklung.<br />

Aber man kann für das<br />

<strong>Grundgesetz</strong> immer wieder<br />

werben.<br />

Da würde ich <strong>auf</strong> Kontinuitäten<br />

der deutschen Demokratiegeschichte<br />

hinweisen. Das <strong>Grundgesetz</strong><br />

ist eben nicht von den Alliierten<br />

den Deutschen oktroyiert<br />

worden, sondern es ist letztlich<br />

eine Weiterentwicklung<br />

früherer Verfassungsentwürfe<br />

seit 1848. Im Grunde bekommen<br />

hier die Demokraten der Weimarer<br />

Republik ihre zweite Chance.<br />

Brauchen wir ein Denkmal<br />

für das <strong>Grundgesetz</strong>?<br />

Ich glaube nicht. Die positive Entwicklung<br />

der deutschen Nachkriegsdemokratie<br />

und ihre demokratischen<br />

Traditionen kommen<br />

in Einrichtungen wie zum<br />

Beispiel den Politiker-Gedenkstätten,<br />

aber auch in zahlreichen<br />

Erinnerungsorten und öffentlichen<br />

Veranstaltungen gut zum<br />

Ausdruck. Ich habe eher Sorge,<br />

dass der Nationalsozialismus nur<br />

noch als Symbol, als Chiffre, allgemein<br />

für Unmenschlichkeit<br />

wahrgenommen wird und wir<br />

uns zu wenig mit den konkreten<br />

Ursachen der NS-Zeit beschäftigen.<br />

Wobei wir fast schon bei der<br />

AfD wären. Wie rechtsextrem<br />

ist diese Partei?<br />

Viele ihrer Parteifunktionäre<br />

weisen stark rechtsextreme Züge<br />

<strong>auf</strong>. Ein Indiz dafür ist, wenn diese<br />

<strong>auf</strong> völkischer Grundlage argumentieren,<br />

sich ein harmonisches<br />

und in sich einheitliches<br />

Staatsvolk konstruieren, das zum<br />

Opfer einer herrschenden kosmopolitischen<br />

Elite geworden sei<br />

– eine klassische rechtsextreme<br />

„Politisch Verfolgte<br />

genießen Asylrecht“<br />

(Artikel 16a,1)<br />

Denkfigur mit antisemitischen<br />

Anschlussmöglichkeiten.<br />

Plädieren Sie für ein Verbot?<br />

Das muss man ernsthaft prüfen,<br />

obwohl es natürlich alles andere<br />

als einfach ist, ein Fünftel der<br />

Wähler zu Verfassungsfeinden<br />

zu stempeln. Ich würde da aber<br />

keine Tabus kennen wollen. Unser<br />

Institut hat für das zweite<br />

NPD-Verbotsverfahren unter<br />

Verwendung von Material, das<br />

wir von den Sicherheitsbehörden<br />

erhalten hatten, ein Gutachten<br />

über die Wesensverwandtschaft<br />

der NPD zum Nationalsozialismus<br />

verfasst, mit dem Ergebnis,<br />

dass diese eindeutig besteht.<br />

Trotzdem wurde die NPD<br />

nicht verboten.<br />

An unserem Gutachten lag das<br />

nicht. Befremdlich war, dass das<br />

Gericht damals unser Gutachten<br />

inhaltlich akzeptiert hat, aber<br />

argumentierte, die zwei Prozent,<br />

die die NPD damals bei Wahlen<br />

erzielte, seien nicht markant genug.<br />

Das war keine juristische<br />

Argumentation, sondern eine politische<br />

Bewertung. Das halte ich<br />

bis heute für einen verheerenden<br />

Fehler. Einmal ist eine Partei zu<br />

klein, dann wiederum wie jetzt<br />

bei der AfD zu groß – so kann<br />

man doch nicht argumentieren.<br />

Möglicherweise muss man jetzt<br />

auch kreativer vorgehen, es gäbe<br />

ja auch die Möglichkeit, einzelne<br />

Landesverbände der AfD zu verbieten.<br />

Ich sag mal so: Als die<br />

NSDAP nach dem Hitlerputsch<br />

1923 eine Zeit lang verboten war,<br />

hat das der Weimarer Demokratie<br />

temporär gutgetan.<br />

Wäre das IfZ bereit, ein Gutachten<br />

über die Wesensverwandtschaft<br />

von AfD und Nationalsozialismus<br />

zu verfassen?<br />

Ja, selbstverständlich, dazu wären<br />

wir bereit.


Eine Veröffentlichung von<br />

Münchner Merkur/tz<br />

Freitag, 17. Mai 2024<br />

<strong>75</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Grundgesetz</strong><br />

7<br />

4. Dez. 1971 1. Juni 1972 5. Sept. 1972 7. Mai 1974 7. Juli 1974<br />

In München eröffnet McDonald‘s am<br />

Wettersteinplatz seine erste deutsche<br />

Filiale – es ist der Beginn des Fast-<br />

Food-Zeitalters.<br />

Stand<br />

Ende 2023<br />

gab es weltweit<br />

41 000<br />

Filialen, Ziel<br />

sind 50 000.<br />

Die Polizei nimmt im<br />

Frankfurter Nordend<br />

drei Mitglieder aus<br />

dem harten Kern der<br />

„Roten Armee Fraktion“<br />

fest: Andreas<br />

Baader (Foto), Holger<br />

Meins und Jan-Carl<br />

Raspe. Am 15. Juni wird auch Ulrike<br />

Meinhof festgenommen.<br />

Mitglieder einer palästinensischen<br />

Terrorgruppe<br />

stürmen<br />

während der Olympischen<br />

Spiele das<br />

Quartier der israelischen<br />

Mannschaft<br />

im Olympischen Dorf<br />

in München. Zwölf Geiseln und fünf<br />

Terroristen sterben.<br />

Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) tritt<br />

infolge der Spionageaffäre um Günter<br />

Guillaume zurück. Der hauptamtliche<br />

Spion des DDR-Geheimdienstes war<br />

1956 in die Bundesrepublik eingeschleust<br />

worden und hatte sich bis<br />

zum persönlichen Referenten von<br />

Brandt hochgearbeitet. Brandts Nachfolger<br />

wird am 16. Mai Helmut<br />

Schmidt (SPD).<br />

Deutschland<br />

wird durch einen<br />

2:1-Sieg<br />

gegen die Niederlande<br />

im<br />

Münchner<br />

Olympiastadion Fußballweltmeister.<br />

Für Deutschland treffen Paul Breitner<br />

und der „Bomber der Nation“, Gerd<br />

Müller.<br />

Das <strong>Grundgesetz</strong><br />

gibt‘s kostenlos<br />

Was ist für Euch in der<br />

Demokratie wichtig?<br />

Wahlen, Demos & mehr – Schüler über Werte der Verfassung<br />

Das <strong>Grundgesetz</strong> dürfte<br />

eines der wenigen Bücher<br />

sein, die man kostenlos<br />

beziehen kann –<br />

und zwar über die Bundeszentrale<br />

für politische<br />

Bildung.<br />

Adresse: Bundeszentrale<br />

für politische Bildung<br />

Bundeskanzlerplatz 2<br />

53113 Bonn. Oder per E-Mail über die<br />

Homepage: www.bpb.de – dort kann<br />

man das <strong>Grundgesetz</strong> auch kostenfrei<br />

herunterladen. Es gibt das <strong>Grundgesetz</strong><br />

dort auch in mehreren Sprachen, sogar<br />

Russisch und Arabisch.<br />

Auch über die Landeszentrale www.blz.<br />

bayern.de ist das <strong>Grundgesetz</strong> zu erhalten<br />

– in diesem Fall inklusive der Bayerischen<br />

Verfassung. Zuletzt hatte die Landeszentrale<br />

jedoch „<strong>auf</strong>grund der hohen<br />

Nachfrage“ Lieferschwierigkeiten.<br />

N<br />

ach einer repräsentativen Studie des Mercator Forums Migration und<br />

Demokratie (Midem) der Universität Dresden erfährt das <strong>Grundgesetz</strong><br />

„hohe Zustimmung“. 81 Prozent der Bürger sind der Meinung, das<br />

<strong>Grundgesetz</strong> habe sich bewährt, nur sechs Prozent verneinen das.<br />

Aber was verbinden junge Leute mit dem <strong>Grundgesetz</strong>? Das fragten wir Schüler<br />

und Schülerinnen am Oskar-Maria-Graf-Gymnasium Neufahrn (Kreis Freising).<br />

MÜNCHENS NEUE<br />

DESIGNER DESTINATION<br />

UMFRAGE: MIRIAM KOHR FOTOS: RAINER LEHMANN<br />

Alisa Sperlich (18)<br />

„Ich finde die Meinungsfreiheit sehr<br />

wichtig. Ich habe das Gefühl, dass wir<br />

ohne sie wieder in Zeiten kommen<br />

würden, die wir schon einmal hatten.<br />

Es wäre fatal, wenn nur noch rechtes<br />

Gedankengut verbreitet werden würde.“<br />

Philipp Wolf (17)<br />

„Für mich ist es wichtig, dass ich an<br />

der Demokratie teilnehme. Es ist<br />

schön, dass alle mitmachen können, z.<br />

B. in der kommunalen Ebene Ideen<br />

miteinbringen zu können. Und es ist<br />

gut, dass verfassungswidrige Parteien<br />

verboten werden können.“<br />

Luis Heitmann (17)<br />

„Ich finde es wichtig, dass wir Bürger<br />

in die Politik miteinbezogen werden.<br />

Deshalb finde ich es auch gut, dass<br />

wir Schüler jetzt ab 16 <strong>Jahre</strong>n zur EU-<br />

Wahl gehen dürfen und wir so die<br />

Möglichkeit bekommen, uns ebenfalls<br />

einzubringen.“<br />

AMI PARIS<br />

JIL SANDER<br />

LUISA CERANO<br />

MAX MARA<br />

RIANI<br />

ZIMMERMANN<br />

U. V. M.<br />

Nilsu Elma (16)<br />

„Es ist gut, dass es keine Wahlmanipulation<br />

geben darf und dass wir für<br />

das einstehen können, für was die Demokratie<br />

steht. Ich finde es toll, dass<br />

man für den Klimaschutz und gegen<br />

Rassismus <strong>auf</strong> die Straße gehen<br />

kann.“<br />

ENTDECKEN SIE DIE NEUEN DESIGNER KOLLEKTIONEN<br />

FLAGSHIP MÜNCHEN, SENDLINGER STR. 3


8<br />

<strong>75</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Grundgesetz</strong><br />

Eine Veröffentlichung von<br />

Münchner Merkur/tz<br />

Freitag, 17. Mai 2024<br />

1. Januar 1976 14. Dez. 1976 5. Sept. 1977 13. Oktober 1977 6. Nov. 1978<br />

In der Bundesrepublik<br />

tritt eine Verordnung<br />

in Kraft,<br />

die zum Anlegen<br />

des Sicherheitsgurtes<br />

verpflichtet.<br />

Außerdem wird als<br />

Richtgeschwindigkeit<br />

<strong>auf</strong> Autobahnen Tempo 130 km/h<br />

empfohlen.<br />

Der Industriellensohn<br />

Richard Oetker<br />

wird in Freising-Weihenstephan<br />

entführt.<br />

Nach Zahlung<br />

von 21 Millionen DM<br />

kommt er am 16.<br />

Dezember schwer verletzt frei. Sein<br />

Entführer Dieter Zlof wird später verurteilt.<br />

Der „Deutsche Herbst“ beginnt: Nach<br />

der Ermordung von Siegfried Buback<br />

und Jürgen Ponto entführen Terroristen<br />

der RAF in Köln den Arbeitgeberpräsidenten<br />

Hanns-Martin Schleyer.<br />

Sie fordern die Freilassung mehrerer<br />

Gesinnungsgenossen, unter anderem<br />

die in Stuttgart-Stammheim inhaftierten<br />

Terroristen Andreas Baader und<br />

Gudrun Ensslin.<br />

Zur Unterstützung der Schleyer-Entführer<br />

wird die Lufthansa-Maschine<br />

„Landshut“ gekidnappt. Am 18. Oktober<br />

wird die Maschine durch die GSG9<br />

gestürmt. Alle Insassen<br />

blieben unverletzt.<br />

Als Reaktion<br />

dar<strong>auf</strong> ermordet<br />

die RAF jedoch<br />

Schleyer.<br />

Der CSU-Vorsitzende<br />

Franz Josef<br />

Strauß wird als<br />

Nachfolger von Alfons<br />

Goppel zum<br />

bayerischen Ministerpräsidenten<br />

gewählt.<br />

Sein Bundestagsmandat<br />

legt er nieder.<br />

„Ehe und Familie<br />

stehen unter dem<br />

besonderen Schutz<br />

der staatlichen<br />

Ordnung“<br />

Im ehemaligen Speisezimmer<br />

des Bayernkönigs Ludwig II. im<br />

alten Schloss Herrenchiemsee<br />

eröffnet der damalige bayerische<br />

Staatsminister Anton<br />

Pfeiffer die Tagung. Foto: dpa<br />

(Artikel 6, 1)<br />

Wir stehen Voller dazu!<br />

Überzeugung:<br />

GRUNDGESETZ<br />

Art 1. (1) Die Würde des<br />

Menschen ist unantastbar.<br />

Sie zu achten und<br />

zu schützen ist Verpflichtung<br />

aller<br />

staatlichen Gewalt.<br />

(2) Das Deutsche Volk<br />

bekennt sich darum zu<br />

Art.<br />

„Vielen Dank,<br />

dass Sie mir in dieser<br />

schweren Zeit geholfen haben.“<br />

Ein Trauerfall stellt Hinterbliebene<br />

vor schwere Aufgaben.<br />

Wir gehen gern gemeinsam mit Ihnen<br />

unverletzlichen und<br />

unveräußerlichen<br />

Menschenrechten<br />

als Grundlage jeder<br />

menschlichen Gemeinschaft,<br />

des Friedens<br />

und der Gerechtigkeit<br />

in der Welt.<br />

die ersten Schritte in dieser schwersten Zeit.<br />

Wir helfen Ihnen weiter.<br />

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www.lra-ffb.de<br />

Die Wurzeln<br />

liegen im Freistaat<br />

1948 tagte der Verfassungskonvent <strong>auf</strong> Herrenchiemsee<br />

VON DIRK WALTER<br />

Es ist ein immerwährendes Ruhmesblatt<br />

der Geschichte: Die Wurzeln des<br />

<strong>Grundgesetz</strong>es sind bayerisch.<br />

Rückblick: Es ist der 10. August 1948:<br />

Abgeschieden von der Welt, quasi einkaserniert,<br />

brüten mehr als 30 Juristen im<br />

ehemaligen Speisezimmer Ludwig II. <strong>auf</strong><br />

der Herreninsel über einer neuen Verfassung<br />

für Deutschland. Für das historische<br />

Gepräge ihres Tagungsortes haben<br />

sie nicht viel übrig, sie schreiben lieber<br />

selbst Geschichte.<br />

Pathos ist ihnen nicht fremd: „Aber<br />

nicht rückwärts, sondern vorwärts müssen<br />

wir blicken, wenn wir daran gehen<br />

wollen, eine neue deutsche staatliche<br />

Ordnung zu begründen“, notierte der<br />

hessische Abgesandte Hermann Louis Brill, ein<br />

Sozialdemokrat, ins Tagebuch. In nur 13 Tagen entsteht<br />

so etwas wie eine Blaupause für das <strong>Grundgesetz</strong><br />

– 149 Artikel für einen „Bund deutscher<br />

Länder“ – von einer Bundesrepublik war da noch<br />

nicht die Rede. Initiiert hatte die Zusammenkunft<br />

der bayerische Ministerpräsident Hans Ehard<br />

(1887-1980). Kein großer Rhetoriker wie Franz Josef<br />

Strauß, der ihm bald den Rang ablief, auch kein<br />

oberbayerischer Poltergeist wie der klerikale Alois<br />

Hundhammer. Ehard war Jurist, politisch groß<br />

geworden in der Weimarer Republik. Er schöpfte<br />

aus der Erfahrung der untergegangenen ersten<br />

deutschen Demokratie. Ein Erlebnis war besonders<br />

markant: Als Staatsanwalt verhörte er Hitler<br />

nach dessen Putsch 1923, im anschließenden Prozess<br />

erlebte Ehard live mit, wie seine Vorgesetzten<br />

vor dem späteren Diktator einknickten.<br />

Eine Erkenntnis gewann Ehard und seine engsten<br />

Mitstreiter, darunter der Leiter der Staatskanzlei,<br />

Anton Pfeiffer, daraus: Die Weimarer Republik<br />

war für sie am Zentralismus gescheitert. Einmal<br />

an der Macht, konnte Hitler mühelos auch die<br />

Länder ausschalten., ohne dass ihm jemand in den<br />

Arm gefallen wäre. Richtig daran war immerhin,<br />

dass es in der Weimarer Republik nur eine einflusslose<br />

Länderkammer, den Reichsrat, gegeben<br />

hatte – ohne Vetorecht bei Gesetzgebungsverfahren.<br />

Hier künftig ein Gegengewicht zu etablieren,<br />

also eine Länderkammer als zweiten Pfeiler von<br />

Die Herreninsel im Chiemsee. Hier tagte 1948 das Gremium, das<br />

einen ersten Verfassungsentwurf fertigte.<br />

Foto: mauritius images<br />

„Bundesrecht<br />

bricht<br />

Landesrecht“<br />

(Artikel 31)<br />

Regierungshandeln im Bund zu etablieren, war<br />

das Ziel von Ehard. Er hat einen mächtigen Verbündeten,<br />

den amerikanischen Militärgouverneur<br />

Lucius D. Clay, ein überzeugter Föderalist,<br />

mit dem sich Ehard eng abstimmt.<br />

Und es gelingt: Der Bundesrat (<strong>auf</strong> der Chiemsee-Insel<br />

ist alternativ vom „Senat“ die Rede) erhält<br />

weitreichende Gesetzgebungskompetenzen<br />

– ausgedrückt im nüchternen Satz des Artikels 50:<br />

„Durch den Bundesrat wirken die Länder bei der<br />

Gesetzgebung, der Regierung und der Verwaltung<br />

des Bundes mit.“<br />

Anders ausgedrückt: Die Mitwirkung der Länder<br />

im Bund steht jetzt im Vordergrund, nicht das<br />

Sichern von Reservatsrechten, Post, Eisenbahn<br />

und anderes, worum es Bayern noch 1919 gegangen<br />

war. Das Organ der Landesregierungen<br />

wirkt auch bei der Wahl des<br />

Bundespräsidenten mit, und mehr<br />

noch: Der Föderalismus prägte das<br />

<strong>Grundgesetz</strong> und kann in seiner Kraft<br />

kaum überschätzt werden. Als zum<br />

Beispiel bei der Koreakrise 1950 die<br />

Gründung einer starken Bundespolizei<br />

à la FBI diskutiert wird, scheitert<br />

dies. Es bleibt bei starken Länderpolizeien.<br />

Das <strong>Grundgesetz</strong> im Vergleich zur<br />

Vorgängerverfassung von Weimar<br />

viele weitere Unterschiede. Etwa das<br />

politische System: Es ist anders kon–<br />

struiert als in „Weimar“. Vor allem ist<br />

der Bundespräsident (im Vergleich<br />

zum Reichspräsidenten) entmachtet.<br />

Er hat keine gesetzgeberische Kraft<br />

und kann erst recht nicht per Notverordnung<br />

durchregieren, wie das Weimars Totengräber Paul<br />

von Hindenburg tat.<br />

Essentiell ist natürlich vor allem der Artikel 1:<br />

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ (Im<br />

Chiemseer Entwurf hieß die exakte Formulierung:<br />

„Die Würde der menschlichen Persönlichkeit<br />

ist unantastbar“). So banal das klingt, in der<br />

Weimarer Verfassung gab es diesen Satz nicht – sie<br />

begann mit dem Bekenntnis „Das Deutsche Reich<br />

ist eine Republik“. 1949 wurde die strenge Staatsphilosophie<br />

ersetzt durch die Definition eines freiheitlichen<br />

Menschenbildes.<br />

Das <strong>Grundgesetz</strong> atmet also Freiheit, das vergisst<br />

man leicht. Der Unterschied zwischen 1919<br />

und 1949 ist so gesehen fundamental, urteilt der<br />

Publizist Christian Bommarius („Das <strong>Grundgesetz</strong>.<br />

Eine Biographie“). Die Würde des Menschen<br />

als Fundament von Staat und Gesellschaft – „das<br />

war fremd und in Deutschland unerhört“.<br />

Eine gewissermaßen revolutionäre Verfassung<br />

ist es also, die die Juristen da am Chiemsee entwerfen.<br />

Das Papier wird sogleich an den Parlamentarischen<br />

Rat weitergeleitet, ein Gremium von 65<br />

Parlamentariern und fünf Berliner Abgesandten,<br />

die nur Gast-Status hatten. Unzählige Konferenzen<br />

folgen, am 23. Mai unterzeichnet es der damalige<br />

Präsident des Parlamentarischen Rates (und<br />

spätere Bundeskanzler), Konrad Adenauer. Am 24.<br />

Mai 1949, 0 Uhr, tritt es in Kraft.


Eine Veröffentlichung von<br />

Münchner Merkur/tz<br />

Freitag, 17. Mai 2024<br />

In der Frankfurter Paulskirche (hier eine Veranstaltung 2023) diskutierten liberal gesinnte Professoren<br />

schon 1848 über Grundrechte. Einiges fand Eingang ins <strong>Grundgesetz</strong>.<br />

Foto: afp<br />

<strong>75</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Grundgesetz</strong><br />

9<br />

22. Januar 1979 17. März 1979 5. Oktober 1980 5. Februar 1983 6. März 1983<br />

Die Ausstrahlung der<br />

US-Fernsehserie<br />

„Holocaust“ beginnt<br />

– unter anderem mit<br />

Meryl Streep (Foto).<br />

Die Reihe löst bundesweit<br />

Betroffenheit<br />

aus und führt zu<br />

einer neuen Diskussion über die NS-<br />

Vergangenheit.<br />

In Frankfurt treffen sich Bürgerinitiativen<br />

und Umweltschutzorganisationen.<br />

Als Folge entstehen als politische Vereinigung<br />

„Die Grünen“. Eine ihrer frühen<br />

Galionsfiguren<br />

ist Petra<br />

Kelly (Foto), die<br />

der Neugründung<br />

1980 beitritt.<br />

Bei der Bundestagswahl<br />

tritt<br />

Franz Josef Strauß<br />

als Kandidat der<br />

Unionsparteien<br />

gegen Helmut<br />

Schmidt (SPD) an, scheitert jedoch.<br />

Schmidt wird als Bundeskanzler wiedergewählt,<br />

da die SPD die FDP als<br />

Koalitionspartner halten kann.<br />

Der ehemalige SS-Hauptsturmführer<br />

und Gestapo-Chef von Lyon, Klaus<br />

Barbie, geboren in Bad Godesberg<br />

und SS-Mitglied seit 1935, wird nach<br />

seiner Ausweisung aus Bolivien in<br />

Frankreich verhaftet. Wegen Verbrechens<br />

gegen die Menschlichkeit in 177<br />

Fällen verurteilt ihn das Gericht 1987<br />

zu lebenslanger Haft. Er stirbt 1991 im<br />

Gefängnis von Lyon.<br />

Nach der sogenannten<br />

Wende der FDP<br />

im Oktober 1982<br />

findet eine vorgezogene<br />

Bundestagswahl<br />

statt. Dar<strong>auf</strong>hin<br />

wird Helmut<br />

Kohl (CDU) zum<br />

Bundeskanzler gewählt.<br />

Viele<br />

Vorläufer<br />

Erste Entwürfe gab es schon 1817<br />

VON Nils saNdrisser (epd)<br />

Fertig wird es wohl nie: Das <strong>Grundgesetz</strong><br />

atte mannigfache Vorläufer – beim Blick in<br />

ie Geschichte kommt man bis ins Jahr 1817<br />

urück.<br />

„Heute, am 23. Mai 1949, beginnt ein neuer<br />

bschnitt in der wechselvollen Geschichte<br />

nseres Volkes“, sagt Konrad Adenauer (CDU)<br />

n Bonn: „Heute wird nach der Unterzeichung<br />

und Verkündung des <strong>Grundgesetz</strong>es<br />

ie Bundesrepublik Deutschland in die Gechichte<br />

eintreten.“ Die Unterzeichnung des<br />

rundgesetzes vor <strong>75</strong> <strong>Jahre</strong>n markiert in der<br />

at einen neuen Abschnitt in der deutschen<br />

eschichte. Aber es<br />

ar kein radikaler<br />

eubeginn. Zum ersen<br />

Mal hatten deutche<br />

Bürger vor mehr<br />

ls 200 <strong>Jahre</strong>n Freieit<br />

und demokratiche<br />

Grundrechte<br />

efordert, als sich<br />

uf dem Wartburgest<br />

am 18. Oktober<br />

817 Studenten und<br />

rofessoren gegen<br />

ie Herrschaft der<br />

ürsten versammelen.<br />

„Das erste und heiligste Menschenrecht,<br />

nverlierbar und unveräußerlich, ist die Freieit<br />

der Person“, so notierte der Jenaer Profesor<br />

Heinrich Luden eine ihrer Forderungen.<br />

An die Grundrechte-Forderungen <strong>auf</strong> der<br />

artburg erinnerten sich die Parlamentarir<br />

der Frankfurter Paulskirche in der letztich<br />

gescheiterten Revolution 1848. In der<br />

aulskirchenverfassung las es sich so: „Die<br />

reiheit der Person ist unverletzlich.“ Exakt<br />

o sollte es ein Jahrhundert später auch im<br />

rundgesetz stehen.<br />

Überhaupt fanden sich viele Passagen des<br />

rankfurter Dokuments von 1848 nahezu<br />

ortgleich im <strong>Grundgesetz</strong> der neu gegrüneten<br />

Bundesrepublik Deutschland: Die Unerletzlichkeit<br />

der Wohnung beispielsweise,<br />

ie Freiheit von Kunst und Wissenschaft oder<br />

uch das Recht, „sich friedlich und ohne Wafen<br />

zu versammeln“.<br />

Eine schnurgerade Linie zwischen der<br />

artburg und Bonn sieht Louis Pahlow, Proessor<br />

für Rechtsgeschichte an der Frankfurer<br />

Goethe-Universität, allerdings nicht. „Die<br />

„Die Wohnung ist<br />

unverletzlich“<br />

(Artikel 13, 1)<br />

Kontinuitätslinien sind zwar offensichtlich“,<br />

sagt er. Aber die meisten hehren Prinzipien<br />

seien die längste Zeit nicht umgesetzt worden.<br />

In der Weimarer Republik etwa spielten<br />

Grundrechte eine untergeordnete Rolle. Sie<br />

waren für die drei Gewalten Exekutive, Legislative<br />

und Judikative nicht bindend und<br />

waren nicht die Richtschnur, an die sich die<br />

Gesetzgebung zu halten hatte. Ohnehin durfte<br />

der Reichspräsident Grundrechte außer<br />

Kraft setzen.<br />

Seine starke Stellung galt als eines der<br />

Hauptprobleme der Weimarer Verfassung.<br />

Am problematischsten war der Artikel 48.<br />

Ihm zufolge konnte<br />

der Reichskanzler<br />

per Notverordnungen<br />

des Reichspräsidenten<br />

am Parlament<br />

vorbei regieren,<br />

was seit 1930<br />

immer häufiger geschah.<br />

Das <strong>Grundgesetz</strong><br />

hingegen räumt<br />

Bundestag und mitunter<br />

auch dem Bundesrat<br />

das letzte<br />

Wort ein. Der Frankfurter<br />

Jurist Pahlow erklärt: „Am Parlament<br />

vorbeizuregieren lässt das <strong>Grundgesetz</strong> nicht<br />

zu. Da hat man schon etwas aus Weimar gelernt.“<br />

„Der spätere Erfolg der Bundesrepublik<br />

Deutschland ist aus verfassungsgeschichtlicher<br />

Perspektive auch den Erfahrungen in<br />

der Weimarer Republik zu verdanken“,<br />

schreibt Michael Feldkamp für die Bundeszentrale<br />

für politische Bildung. Bei der Einigung<br />

über strittige Punkte habe der Umstand<br />

geholfen, dass das <strong>Grundgesetz</strong> ja nur ein<br />

Provisorium für die Westhälfte Deutschlands<br />

sein sollte, bis eine gesamtdeutsche<br />

Verfassung möglich wäre, erklärt der Jurist<br />

Pahlow. Erst am 3. Oktober 1990, nach der<br />

friedlichen Revolution in der DDR, wurde das<br />

<strong>Grundgesetz</strong> zur Verfassung des wiedervereinigten<br />

Deutschlands.<br />

Fertig ist es wohl nie. Im Jubiläumsjahr<br />

etwa plädiert Bundespräsident Frank-Walter<br />

Steinmeier für eine <strong>Grundgesetz</strong>änderung<br />

zur Stärkung des Bundesverfassungsgerichts<br />

– die Diskussion darüber dauert an.<br />

Die Urfassung des <strong>Grundgesetz</strong>es mit den Unterschriften<br />

von Konrad Adenauer (CDU, Präsident<br />

des Parlamentarischen Rates), Adolph Schönfelder<br />

(SPD, Vizepräsident des Parlamentarischen<br />

Rates) und Hermann Schäfer (FDP, Vizepräsident<br />

des Parlamentarischen Rates).<br />

Foto: epd


10<br />

<strong>75</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Grundgesetz</strong><br />

Eine Veröffentlichung von<br />

Münchner Merkur/tz<br />

Freitag, 17. Mai 2024<br />

26. April 1986 16. Februar 1987 30. April 1987 8. November 1989 3. Oktober 1990<br />

Die Nuklearkatastrophe<br />

von Tschernobl<br />

<strong>auf</strong> dem Gebiet der<br />

heutingen Ukraine<br />

löst eine heftige<br />

Diskussion über Gefahren<br />

durch Atomkraftwerke aus. In<br />

Bayern landen 92 Waggons verstrahlter<br />

Molke, die entsorgft werden müssen.<br />

In der Flick-Parteispendenaffäre verurteilt<br />

das Bonner Landgericht den ehemaligen<br />

Wirtschaftsminister Otto Graf<br />

Lambsdorff (FDP) wegen Steuerhinterziehung<br />

zu einer hohen Geldstrafe.<br />

Verurteilt werden auch der ehemalige<br />

Minister Hans Friderichs und der Flick-<br />

Manager Eberhard von Brauchitsch.<br />

Der Vorwurf der Bestechung lässt sich<br />

nicht beweisen.<br />

Papst Johannes<br />

Paul II. kommt zu<br />

einem fünftägigen<br />

Deutschlandbesuch.<br />

Auch in<br />

München macht<br />

er Station und feiert<br />

am 3. Mai eine<br />

Messe im Olympiastadion.<br />

Der Sekretär für<br />

Information im<br />

SED-Zentralkomitee,<br />

Günter Schabowski,<br />

verkündet<br />

am Abend des 8.<br />

November, es gebe „sofort, unverzüglich“<br />

Reisefreiheit. Dar<strong>auf</strong>hin werden<br />

noch am Abend die Grenzen der DDR<br />

geöffnet, die Mauer fällt.<br />

Der 3. Oktober wird<br />

als Tag der Deutschen<br />

Einheit im Einigungsvertrag<br />

1990<br />

zum gesetzlichen<br />

Feiertag in Deutschland<br />

bestimmt. Symbolträchtig<br />

wird an<br />

diesem Tag auch die Ständige Vertretung<br />

in Ost-Berlin geschlossen.<br />

Jedes Jahr ein Stück Zeitgeschichte: In der Biografie von Manfred<br />

Er ist so alt wie die Verfassung<br />

Manfred Häusler mit<br />

seinem Exemplar des<br />

<strong>Grundgesetz</strong>es.<br />

Foto: Arndt Pröhl<br />

VON CARINA ZIMNIOK<br />

Manfred Häusler hat in seinem<br />

Regal ein kleines Büchlein stehen,<br />

es ist abgegriffen, weil er es<br />

schon so oft in der Hand gehalten<br />

hat. Er hat es 1964 bekommen, als<br />

er mit der Volksschule fertig war,<br />

als Geschenk zum Abschluss. Die<br />

bayerische Verfassung samt<br />

<strong>Grundgesetz</strong>. Manfred Häusler ist<br />

<strong>75</strong> <strong>Jahre</strong> alt, genauso alt wie der<br />

Text in dem Büchlein, genauso alt<br />

wie die Bundesrepublik. In seiner<br />

Biografie spiegeln sich auch <strong>75</strong><br />

<strong>Jahre</strong> Deutschland wider.<br />

Manfred Häusler wird geboren<br />

am 30. Oktober 1949, die Bundesrepublik<br />

ist damals erst wenige<br />

Monate alt. Der Zweite Weltkrieg<br />

ist schon ein paar <strong>Jahre</strong> vorbei,<br />

aber die Spuren sind in seiner Heimatstadt<br />

München noch überall<br />

sichtbar. Das Krankenhaus in<br />

Schwabing, in dem ihn seine Mutter<br />

zur Welt bringt, war bis vor<br />

kurzem noch ein Haus für Kriegsverletzte,<br />

wird dann ein Konsulat.<br />

Als Kind kraxelt Häusler <strong>auf</strong> zerstörten<br />

Wohnblocks herum, er erinnert<br />

sich heute noch an die Zäune<br />

um Trümmerfelder und Warnungen<br />

vor Blindgängern. In der<br />

Schule unterrichten ihn Lehrer,<br />

die an den Folgen des Krieges leiden,<br />

körperlich und seelisch. Sie<br />

Alle Deutschen<br />

haben das Recht,<br />

Vereine und<br />

Gesellschaften<br />

zu bilden<br />

(Artikel 9, 1)<br />

stottern, haben nur einen Arm<br />

oder nur einen Fuß. Daheim betrachtet<br />

er oft die Narbe <strong>auf</strong> dem<br />

Rücken seines Vaters, ein Granatsplitter<br />

hatte den Soldaten in Russland<br />

erwischt. „Aber reden wollte<br />

mein Vater nie über den Krieg“, erinnert<br />

sich Häusler.<br />

Er erlebt aber auch heitere Momente:<br />

Am heutigen Wedekindplatz<br />

kommt er oft an einer Bar<br />

vorbei, in der sich amerikanische<br />

Soldaten treffen. Häusler steht davor<br />

und lauscht der Musik: Elvis<br />

Presley, Bill Haley, solche Sachen.<br />

„Das hat mich geprägt“, sagt er.<br />

Später lernt er Gitarre.<br />

Mitte der 50er verändert sich<br />

die Stimmung in der Stadt: Die<br />

Bundesrepublik etabliert sich,<br />

jetzt setzt in München ein Bauboom<br />

ein. „Überall waren Bagger<br />

und Kräne“, sagt Häusler.<br />

Gastarbeiter aus Italien und Jugoslawien<br />

schuften <strong>auf</strong> den<br />

Baustellen, in Fabriken. Manfred<br />

Häusler ist fasziniert von<br />

der Fröhlichkeit, vom Fleiß,<br />

wird aber auch gewarnt vor<br />

den Fremden. Das kleine Mehrfamilienhaus,<br />

in dem er mit<br />

seiner Familie lebt, wird abgerissen<br />

– ein großer Wohnblock<br />

gebaut. Er zieht mit seinen Eltern,<br />

Bruder und Schwester ins<br />

Hasenbergl. Und dort spürt er<br />

die Weltpolitik, in der sein junger<br />

Heimatstaat mitmischt. 1957 werden<br />

die Römischen Verträge unterzeichnet,<br />

der erste Schritt hin zu<br />

einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.<br />

Und Manfred Häusler<br />

erinnert sich daran, dass es plötzlich<br />

öfter mal Bananen gibt daheim,<br />

dass auch Äpfel, Birnen,<br />

Zwetschgen billiger werden. „Der<br />

Zusammenhang wurde uns in der<br />

Schule schon beigebracht“, sagt<br />

er.<br />

Begeistert liest er Ende der 50er<br />

in der Jugendzeitschrift „Rasselbande“<br />

vom russischen Satelliten<br />

Sputnik, er verfolgt den<br />

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Geburtstage<br />

Nicht nur das <strong>Grundgesetz</strong> wird 2024<br />

<strong>75</strong> <strong>Jahre</strong> alt. Diese Prominenten haben<br />

ebenfalls Geburtstag.<br />

» Patrick Süskind<br />

(26. März), Schriftsteller<br />

» Billy Joel<br />

(9. Mai), Musiker<br />

» Antònio Guterres<br />

(30. April), UN-Generalsekretär<br />

» Ken Follett<br />

(5. Juni), Schriftsteller<br />

» Meryl Streep<br />

(22. Juni), Schauspielerin<br />

» Horst Seehofer<br />

(4. Juli), Ex-Ministerpräsident<br />

» Peter Maffay<br />

(30. August), Rocksänger<br />

» Gerd Dudenhöffer<br />

(13. Oktober), Kabarettist<br />

» Ottmar Hitzfeld<br />

(<strong>12</strong>. Januar 1949),<br />

Ex-Bayern-Trainer<br />

» Kurt Beck<br />

(5. Februar), Ex-SPD-Vorsitzender<br />

» Wolfgang Reitzle<br />

(7. März), Ex-Vorstandschef<br />

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Eine Veröffentlichung von<br />

Münchner Merkur/tz<br />

Freitag, 17. Mai 2024<br />

<strong>75</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Grundgesetz</strong><br />

11<br />

1. April 1991 27. Sept. 1998 Januar 2002 22. Nov. 2005 4. Sept. 2015<br />

Detlev Karsten<br />

Rohwedder, Vorsitzender<br />

der Treuhandanstalt,<br />

die<br />

das staatloiche<br />

Vermögen der DDR<br />

neu ordnet und<br />

verk<strong>auf</strong>t, wird von<br />

der RAF ermordet.<br />

Seine Nachfolgerin wird Birgit Breuel.<br />

Nach 16 <strong>Jahre</strong>n Helmut Kohl gibt es<br />

einen neuen Bundeskanzler: Gerhard<br />

Schröder (SPD) setzt sich bei der Bundestagswahl<br />

durch. In der neuen Bundesregierung<br />

übernimmt<br />

Joschka Fischer<br />

das Amt<br />

des Außenministers.<br />

Der Personalvorstand von VW, Peter<br />

Hartz, wird von der Bundesregierung<br />

be<strong>auf</strong>tragt, arbeitsmarktbezogene Sozialgesetze<br />

für die damalige Bundesanstalt<br />

für Arbeit zu entwickeln. Nach<br />

ihm ist „Hartz IV“ benannt. Sie sind<br />

Kern der von Kanzler Schröder ausgerufenen<br />

„Agenda 2010“. Die Reformen<br />

werden vom linken Flügel der<br />

SPD abgelehnt.<br />

Nach Gerhard<br />

Schröder wird<br />

Angela Merkel<br />

(CDU)<br />

Bundeskanzlerin,<br />

als erste<br />

in der DDR<br />

sozialisierte<br />

Politikerin. Sie übt das Amt 16 <strong>Jahre</strong><br />

lang bis zum 8. Dezember 2021 aus.<br />

Bundeskanzlerin<br />

Angela Merkel<br />

verfügt, in<br />

Ungarn verharrenden<br />

Flüchtlingen<br />

die Einreise<br />

nach Deutschland zu erlauben.<br />

Die „Flüchtlingskrise“ beginnt. Merkels<br />

Antwort „Wir schaffen das“ wird<br />

zum geflügelten Wort.<br />

Häusler spiegeln sich die <strong>75</strong> <strong>Jahre</strong> der Bundesrepublik<br />

Ereignisse für die<br />

Geschichtsbücher:<br />

Am 21. Oktober<br />

1969 wird Willy<br />

Brandt (unten)<br />

Kanzler. Am 16.<br />

August 1977 stirbt<br />

Elvis. Am 9. November<br />

1989 fiel<br />

die Berliner Mauer.<br />

Wettl<strong>auf</strong> der Großmächte USA<br />

und Russland im Weltraum. Im<br />

Fernsehen sieht er Ludwig Erhard,<br />

den „wirklich dicken Mann mit<br />

Zigarre“, hört ihn über soziale<br />

Marktwirtschaft reden. Deutschland<br />

hat nach den langen <strong>Jahre</strong>n<br />

mit Konrad Adenauer einen neuen<br />

Bundeskanzler.<br />

Als Anfang der 60er-<strong>Jahre</strong> das<br />

Wirtschaftswunder einsetzt, geht<br />

es auch mit dem Fuhrbetrieb seines<br />

Vaters berg<strong>auf</strong> – erst ist der nur<br />

mit einem Taxi unterwegs, dann<br />

stellt er einen Fahrer ein für ein<br />

zweites Fahrzeug. Doch als der Vater<br />

will, dass Häusler nach der Schule Kfz-<br />

Mechaniker wird, entscheidet sich<br />

Manfred Häusler für eine Lehre als<br />

Elektriker. So frei sind die Jugendlichen<br />

damals schon, auch wenn die Auszubildenden<br />

damals wenig zu melden<br />

haben. „Zu einem Lehrling hat man<br />

bloß abfällig Stift gesagt“, erinnert er<br />

sich.<br />

Der Lehrling Häusler entdeckt seine<br />

große Leidenschaft: die Musik. Er gründet<br />

eine Band, die „Gallows“, die Abkürzung<br />

für „Galgenvögel“ hat er von US-<br />

Soldaten <strong>auf</strong>geschnappt, die immer<br />

noch das Leben in der Stadt mitprägen.<br />

Die vier Burschen spielen alles, was populär<br />

ist. Rattles, Beatles, Presley,<br />

Stones. Und überall entstehen Angebote<br />

für die Jugend, etwas ganz Neues<br />

nach den langen Kriegsjahren. Beim<br />

Kreisjugendring kommt er mit Kabarett<br />

in Verbindung, er tritt bald selbst<br />

1990: Deutschland wird Fußball-Weltmeister.<br />

Bundeskanzler<br />

Helmut Kohl gratuliert Trainer<br />

Franz Beckenbauer. Foto: PA/Perenyi<br />

Der Bund stellt<br />

Streitkräfte zur<br />

Verteidigung <strong>auf</strong><br />

(Artikel 87a, 1)<br />

<strong>auf</strong> – und schnell hat er auch sein erstes<br />

großes Thema: das Wahlalter.<br />

Damals darf man mit 18 den Führerschein<br />

machen, in einer Bar Alkohol<br />

trinken. Aber wählen darf man erst mit<br />

21. Das fuchst ihn, auch, weil er im<br />

<strong>Grundgesetz</strong> <strong>auf</strong>merksam die Artikel<br />

zur Gleichheit gelesen hat, zum Beispiel<br />

Artikel 3: „Alle Menschen sind vor<br />

dem Gesetz gleich.“ 1969 gibt Kanzler<br />

Willy Brandt nach, 1972 beschließen<br />

Union, SPD und FDP im Bundestag ohne<br />

Gegenstimmen endlich das Wahlalter<br />

18. Häusler ist da schon volljährig,<br />

aber er freut sich trotzdem.<br />

Als junger Mann nutzt er alle Möglichkeiten,<br />

die ihm das Land bietet. Er<br />

bildet sich weiter, studiert, wird Automatisierungstechniker.<br />

Er lernt seine<br />

erste Frau kennen, k<strong>auf</strong>t mit ihr ein<br />

Haus in Ingolstadt. Beruflich ist er in<br />

vielen Ländern unterwegs, Südamerika,<br />

Skandinavien, USA, seine Frau<br />

kommt mit ihrer Tochter oft monatelang<br />

mit. Wenn er im Ausland in politische<br />

Debatten verwickelt wird,<br />

zieht er seine abgegriffene Verfassung<br />

raus und erklärt, was Artikel 4<br />

im <strong>Grundgesetz</strong> bedeutet: Religionsfreiheit.<br />

Dass die Freiheit und auch der junge<br />

Staat Deutschland verwundbar<br />

sind, merkt Manfred Häusler, als Terroristen<br />

1972 das Olympiaattentat<br />

verüben. Seine damalige Firma ist<br />

nur einen Kilometer vom Tatort entfernt,<br />

er beobachtet mit Schrecken<br />

die Hundertschaften der Polizei, die<br />

mit Blaulicht vorbeijagen. Während<br />

der Ölkrise spaziert er über die leere<br />

Autobahn zwischen Garching und<br />

Eching.<br />

Was aber auch passiert: Deutschland<br />

fügt sich immer mehr in das politische<br />

Europa ein. Zwei Tage bevor 1985 mit<br />

dem Schengener Abkommen die Grenzkontrollen<br />

abgeschafft werden, reist er<br />

von Luxemburg nach Deutschland ein.<br />

Er amüsiert sich über die strengen Kontrollen<br />

und fährt 48 Stunden später<br />

zurück – die Grenzer stehen da schon<br />

gar nicht mehr <strong>auf</strong> ihrem Posten. „Das,<br />

das geeinte Europa, hat uns so viel Freiheit<br />

gebracht“, sagt er. Als die Mauer<br />

fällt und Deutschland wiedervereint<br />

wird, interessiert ihn das besonders –<br />

seine Frau hat er in Berlin kennengelernt,<br />

„eine ganz andere Welt“, sagt er.<br />

Er freut sich, als Deutschland 1990 zum<br />

dritten Mal Weltmeister wird. Als die<br />

Anschläge vom 11. September 2001 die<br />

Welt erschüttern, sitzt auch Häusler vor<br />

dem Fernseher und hat Angst.<br />

Inzwischen ist er Witwer, seine erste<br />

Frau war Mitte der 90er an einer schweren<br />

Krankheit gestorben. 2013 heiratet<br />

er zum zweiten Mal, mit seiner Frau<br />

lebt er jetzt in Benediktbeuern im Kreis<br />

Bad Tölz-Wolfratshausen. Auch diese<br />

Ehe erzählt etwas über die Entwicklung<br />

der Gesellschaft: Seit 1991 dürfen<br />

Ehepartner ihre Namen behalten, „diese<br />

Freiheit haben wir genutzt“, sagt er.<br />

Das <strong>Grundgesetz</strong> ist für Manfred<br />

Häusler mehr als dröger Text, es bedeutet<br />

für ihn Freiheit. Freiheit, die sein<br />

Leben gelenkt hat. Ab und zu holt er<br />

noch immer das kleine Büchlein heraus<br />

und blättert darin. Den ersten Satz<br />

kann er auswendig, selbstverständlich.<br />

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“<br />

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Achtung,<br />

Gerhard Mester<br />

Foto: privat<br />

Unser Karikaturist Gerhard Mester,<br />

Jahrgang 1956, studierte Grafikdesign<br />

und lebt seit 1984 als freischaffender<br />

Karikaturist in Kassel. Er<br />

wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem<br />

20<strong>12</strong> mit dem Karikaturenpreis des Bundesverbandes<br />

Digitalpublisher und Zeitungsverleger.<br />

Mester sagt: Karikaturen sind ein<br />

gutes und wirksames didaktisches Mittel,<br />

Satire!<br />

um Interesse an Themen zu wecken, die <strong>auf</strong><br />

den ersten Blick trocken und sperrig erscheinen.<br />

Die Karikaturen entstanden als Lehrmaterial<br />

für Schüler in Baden-Württemberg, die sie in<br />

Schul<strong>auf</strong>gaben interpretieren sollen.<br />

Aber so weit muss man hier nicht gehen.<br />

Vielleicht locken Ihnen die Karikaturen auch<br />

einfach ein Schmunzeln ins Gesicht!<br />

Jeder hat das<br />

Recht, seine Meinung<br />

zu äußern,<br />

heißt es in Artikel<br />

5. Das sollten gerade<br />

auch die<br />

wissen, die das<br />

bestreiten.<br />

Männer und<br />

Frauen sind<br />

gleichberechtigt,<br />

heißt es in<br />

Artikel 3 des<br />

<strong>Grundgesetz</strong>es.<br />

Doch Theorie<br />

und Alltag sind<br />

mitunter zwei<br />

Paar Stiefel ...<br />

Alle Deutschen<br />

haben<br />

das Recht, Beruf,<br />

Arbeitsplatz<br />

und Ausbildungsstätte<br />

frei zu wählen,<br />

sagt Artikel<br />

<strong>12</strong>. Aber gilt<br />

das auch für<br />

Schüler?<br />

IMPRESSUM<br />

DIE VERÖFFENTLICHUNG IST EINE<br />

GEMEINSCHAFTSPRODUKTION VON<br />

MÜNCHNER MERKUR UND TZ.<br />

HERAUSGEBER: DIRK IPPEN<br />

GESCHÄFTSFÜHRER: DANIEL SCHÖNINGH<br />

VERANTWORTLICH IM SINNE<br />

DES PRESSERECHTS: GEORG ANASTASIADIS<br />

CHEF VOM DIENST: MATTHIAS HOLZAPFEL<br />

GRAFIK/LAYOUT: SEBASTIAN RAAB,<br />

SUSANNE KREIDENWEIS<br />

REDAKTION: DIRK WALTER<br />

VERANTWORTLICH FÜR ANZEIGEN:<br />

STEFAN HAMPEL<br />

VERLAG: MERKUR TZ REDAKTIONS GMBH,<br />

PAUL-HEYSE-STRASSE 2 – 4,<br />

80336 MÜNCHEN<br />

DRUCK: DRUCKHAUS DESSAUERSTRASSE<br />

GMBH & CO.<br />

BETRIEBS KG, DESSAUER STRASSE 10,<br />

80992 MÜNCHEN<br />

ERFÜLLUNGSORT UND GERICHTSSTAND FÜR<br />

DAS MAHNVERFAHREN IST MÜNCHEN. AN-<br />

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