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Leseprobe_Carter

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vor, als veränderten sich die Gesichtszüge der Frau vor seinen<br />

Augen. Er stocherte im Feuer. Die Flamme wurde heller.<br />

«Cosima?»<br />

Ein Ast fiel laut krachend zu Boden. Mit offenem Mund sah er,<br />

wie die Augenfarbe der Frau von Blau zu Braun wechselte, das<br />

Haar von Blond zu Hellbraun.<br />

Ist das möglich? … Er überließ sich dem blendenden Eindruck<br />

der heißen Frühlingsfarben. Was, wenn ich es nicht aufhalten kann?<br />

Die Haut der Frau wurde dunkler. Die Nasenwurzel breiter, die<br />

Wangenknochen wölbten sich leicht unter den Augen, die jetzt<br />

größer wurden, die Wimpern länger, was ihnen einen unwirklich<br />

träumerischen Ausdruck verlieh. Ihre Lippen wirkten voller in<br />

einem Gesicht, das sich nun radikal von dem des Mädchens unterschied,<br />

das eben noch dort gestanden hatte.<br />

Es hat keinen Zweck, dachte er traurig, aber nicht ohne ein<br />

klamm heimliches Gefühl von Lust, während er sich entspannte<br />

und seinen Fantasien freien Lauf ließ. Das kann nicht alles nur<br />

Einbildung sein. Aber … aber wie soll es Cosima sein? Seine Augen<br />

kämpften dar um, die nackte Haut unter dem fadenscheinigen<br />

Mieder ihres Kleides zu ignorieren.<br />

Und nun sah er, dass ihr Körper noch kleiner geworden war!<br />

Kein Zweifel!, dachte er und ließ sich entrückt vom Anblick und<br />

den Gedanken an sie mitreißen. Ihr geschmeidiger Körper huschte<br />

über den Horizont seiner schönsten Erinnerungen.<br />

Frühling 41. Die Turnhalle … North High. Die untergehende<br />

Sonne fiel durch die drei großen Fenster.<br />

Musik um vier. Chester Higgens am Schlagzeug und Daisy<br />

Logan am Klavier. Die Gesichter drängten sich vor der Bühne und<br />

hörten Tommy Wright aus Jay McShanns lokaler Band an der<br />

Trompete.<br />

Er tanzte mit Cosima! Spähte vorsichtig über ihre Schulter<br />

hinweg auf eine Seite ihres Gesichts, auf die weiche Haarsträhne,<br />

die sich im Sonnenlicht verfing: in der Drehung, am Rand der<br />

Menge.<br />

Zum Blues. Nervös auf Ballen und Zehen schlurfend. Einmal,<br />

kurz vor der Drehung, schlang er den Arm um ihre Hüfte, die<br />

Ferse kreiste auf der Stelle, ihr Körper schmiegte sich an den<br />

sei nen, die Gesichter zwangsläufig getrennt und doch angezogen<br />

von der Faszination unaussprechlichen Glücks!<br />

Gefangen im Schwung der Bewegung, sein Schenkel zwischen<br />

den ihren, drehte sich seine Ferse wie die Achse der Welt, blähte<br />

sich ihr weiter Rock wie ein Segel!<br />

Betäubt! Berauscht! Mitten auf der Tanzfläche, umgeben von<br />

tosendem Beifall, stampfenden Füßen und begeisterten Schreien.<br />

Cosima?<br />

Verloren? Verloren! Im Kielwasser des flatternden gelben Rocks,<br />

auf der Flucht durch ein Meer sonnenbeschienenen Rau schens!…<br />

Von einem Turm in der Stadt läutete die Glocke. Die Stimmen im<br />

leeren Gebäude schwollen zu einem gewaltigen Flüstern an.<br />

Cosima ist nicht da! Cosima ist nicht da! Cosima ist nicht da …<br />

In seinem Kopf pochte ein dumpfer Schmerz.<br />

Cosima!<br />

Cosima ist nicht da!<br />

«Das ist doch bloß eine Vorstellung», rief er wütend. «Sie<br />

kommt aus mir!»<br />

Er musterte das Gesicht der Frau.<br />

Sie lächelt. Wa rum lächelt sie? Wie klein ihr Mund ist! Und<br />

dann dachte er vielsagend: Sie hat schon immer so ausgesehen,<br />

wenn sie … Ihre Nase ist – ist wie meine! Er schloss die Augen und<br />

sah, wie sich ihr glattes, schwarzes Gesicht beim Sprechen belebte.<br />

Mom?<br />

Er schlug die Augen auf und sah die Frau mit seinem Gesicht<br />

auf dem Boden liegen. Sie stützte sich auf einen Ellbogen und<br />

zog das linke Bein an die Brust. Er schaute ihr flehend in die Augen.<br />

Und jetzt spürte er, wie sich ihr warmes Fleisch zärtlich um<br />

seinen nackten Körper schmiegte. Seine Fäustchen klammerten<br />

sich an ihre Brust. Er schloss die Augen und saugte, hungrig, inbrünstig.<br />

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