UNTERWEGS IN FRANKREICH Nouvelle-Aquitaine / Charente-Maritime 36 · Frankreich erleben · <strong>Sommer</strong> <strong>2024</strong>
« Das ist ein verborgener und absolut naturbelassener Ort. Ein kleines Paradies! » Suzanne ist 67 Jahre alt. Wir sitzen zufällig auf derselben Bank und sind spontan ins Gespräch gekommen. Sie lebte lange in Mornac-sur- Seudre, in Mornac, wie alle hier kurz und bündig sagen. Seit etwa zehn Jahren wohnt sie allerdings in der « großen Stadt nebenan », in Royan. « Es ist einfach praktischer zum Einkaufen und um meine Enkel zu sehen », sagt sie, während sie nachdenklich das kleine Boot eines Austernzüchters mit dem typisch flachen Boden beobachtet, das langsam durch die Fahrrinne fährt. « Trotzdem verspüre ich das Bedürfnis, regelmäßig hierherzukommen, mindestens ein Mal in der Woche. Ganz ohne Mornac kann ich einfach nicht leben ... » Als ich sie frage, warum sie sich von diesem alten mittelalterlichen Dorf mit den grünen, blauen und grauen Fensterläden und den für die Dörfer der Charente so charakteristischen Stockrosen so angezogen fühlt, antwortet Suzanne, ohne zu zögern: « Hören Sie doch! Die Antwort ist um uns herum. Was hören Sie? » Während sie diese Frage stellt, legt sie ihren Zeigefinger an die Lippen, um mir zu bedeuten, zu schweigen. Also beobachte ich die Umgebung und lausche den Geräuschen um mich herum. Gegenüber von uns lassen sich einige Schwäne sanft auf der Dünung des kleinen Küstenflusses Seudre wiegen. Dieser ergießt sich einige Kilometer weiter ins Meer, nachdem er die Sumpfgebiete durchquert hat. Der idyllische Anblick wird von einem leisen Plätschern untermalt. Dazu kommen das Schnattern von zwei Enten, die sich ebenfalls auf dem Wasser treiben lassen, und der Gesang Dutzender Vögel, die am Himmel zu sehen sind. Vielleicht ist auch noch das Summen einer Hummel zu hören. « Ich höre die Natur ... », sage ich schließlich zaghaft zu Suzanne, die über diese Antwort offensichtlich erfreut ist. « Genau das ist es. Und genau dieses Bedürfnis zieht mich immer wieder hierher. Glauben Sie mir, es gibt nicht mehr viele Orte, die weit weg vom Autolärm und anderen Geräuschen unserer Zivilisation sind, wo man einfach nur zuhören und genießen kann. In Mornac kann man sich noch den Luxus gönnen, der Natur zuzuhören. Und genau deshalb liebe ich das Dorf! » Hier ist der Fußgänger König! Einen besseren Einstieg in den Tag, den ich hier in Mornac verbringen will, könnte es nicht geben. Schon öfter habe ich von diesem abgelegenen Ort an der sumpfigen Mündung der Seudre gehört. Ein Ort, der abseits liegt, fern der großen Verbindungsachsen. Natürlich kann man ihn mit dem Auto erreichen, zumal die Anfahrt über hübsche kleine Departementsstraßen führt. Einmal angekommen, muss man sein Fahrzeug allerdings auf einem der Parkplätze am Ortsrand abstellen. Denn das ist eines der wesentlichen Merkmale von Mornac: Hier ist der Fußgänger König! Sofern man nicht selbst im Ort wohnt, ist es also unnötig, einen Gedanken an einen Parkplatz im Zentrum zu verschwenden. Nebenbei bemerkt wäre es auch sehr schade, denn es macht gerade den Charme des Dorfes aus, mit dem Auto gleichzeitig den Stress der Stadt hinter sich und sich einfach treiben zu lassen, gemütlich durch die engen Gassen zu bummeln, die ein beeindruckendes Labyrinth bilden, in dem man sich gerne « verirrt ». Frankreich erleben · <strong>Sommer</strong> <strong>2024</strong> · 37