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16.05.2024 Aufrufe

AN DIE ZUKU Jimmy Zurek lernte als Kind Klarinette, spielte Bach und Mozart. Irgendwann traten aber Hip Hop-Acts wie Grandmaster Flash und NWA in sein Leben und veränderten es radikal. Dem Hip Hop, »der sich weniger mit Goldketten und teuren Autos als mit der Kritik am politischen Establishemnt beschäftigt«, ist er bis heute treu geblieben. Corona habe ihn stark beeinflusst, erzählt Jimmy Zurek in seinem Atelier in der Wiener Brigittenau. Einer anfänglichen Schockstarre folgte eine beinahe schon manische Produktivität, und er begann, das omnipräsente Thema in seinen Bildern zu verarbeiten. Er habe die Malerei in dieser Phase gebraucht, um den Überblick darüber zu bewahren, was da passiert in der Welt. Eines dieser Werke zeigt eine Krankenschwester und eine Lehrerin mit zerplatzten Kaugummi-Blasen statt Masken. »Doing a Good Job« ist darüber zu lesen – ein direkter Verweis auf einen Song von Alicia Keys’, in dem sie sich bei den sogenannten »Systemerhaltern« bedankte. Die Krise, so Zurek, habe den »Wahnsinn in der Geldverteilung« sichtbarer gemacht, gezeigt, wie ungerecht etwa Lehrer und Krankenschwestern trotz ihrer wichtigen gesellschaftlichen Stellung honoriert werden. »Pfleger, die aus dem Osten hierherkommen, müssen sich die Reise selbst zahlen. Dagegen sind hunderte Millionen für die Rettung einer Airline locker drin«, wettert er. Auch wenn man das alles nicht direkt vergleichen könne, lenkt Zurek ein, über die Sinnhaftigkeit so mancher Relation könne, ja solle man sich auch heute noch Gedanken machen. Sich die Welt erklären Malerei funktioniert für Zurek wie eine Art Welterklärung. Seine Bilder sind voll von Zitaten und Querverweisen in den Pop, den Jazz, die Filmwelt, vor allem aber in den Hip Hop, denn Zurek selbst war früher Teil einer Wiener Hip-Hop-Formation, die es auch mehrfach in die Charts des führenden Alternative-Radios des Landes schaffte. Irgendwann hat sich Zurek aber schließlich auf das konzentriert, was er kann und was weniger »brotlos« ist: Die bildende Kunst. Er lernte auf der renommierten Universität für Angewandte Kunst bei Christian Ludwig Attersee und stieg zum Szene-Künstler auf. Der Hip Hop, verstanden als politische Kunst, als »Geschichtsbuch der Black Community«, hat ihn dennoch nie wieder losgelassen, was sich in seinen Bildern widerspiegelt, die sich die Technik des Samplings zu eigen gemacht haben. »Ich nehme ein Thema, eine bestimmte Komposition, oft sind es auch Farben, Farbflächen oder Hintergründe aus anderen Bildern, etwa von Basquiat oder Frankenthaler, und lege meinen eigenen Beat drüber«, sagt er. Was er darunter versteht wird deutlich, wenn man seine Mona Lisa mit jener von Basquiat vergleicht: Beide bedienen sich des Originals. Komposition und Farben sind ähnlich. Die Geschichte, die Zureks Mona Lisa erzählt, ist trotzdem eine völlig andere: Mit »Snapchat«-Augen und »Puppy Nose« wirkt sie gleichermaßen verniedlicht wie grotesk und verbindet die Zeiten Da Vincis und Basquiats mit unserer irritierenden Social-Media-Gegenwart. Leider kann er uns seine Version nur noch auf einem Handy-Foto zeigen, weil sie ein Schweizer Sammler kaufte. Der immer wieder bemühte Vergleich mit Basquiat – Zurek wurde in den Medien immer wieder als »der Basquiat von Wien« bezeichnet – störe ihn nicht, meint Zurek. Erstens sehe ohnedies jeder, dass sich die Arbeiten grundlegend voneinander unterscheiden. Zweitens hält er es für ausgeschlossen, dass eines seiner Bilder jemals einen auch nur annähernd so obszönen Preis erzielen werde, wie der letzte bei einer Auktion ersteigerte Basquiat. Keine Kunst, auch wenn sie unbestritten noch so gut ist, sei das wert. Was die beiden – Basquiat und Zurek – sichtlich eint, ist der Hang zum Kindlich-Naiven. Bei Zurek ergibt sich aus dem starken Kontrast zwischen bewusst vereinfachter und einzelnen realistischen Darstellungen – ein ganz spezieller Charme. Champagner & politische Kunst »Ich habe herausgefunden«, erzählt er, »dass ich in allem, was ich tue, Dinge miteinander verbinde.« Dinge, von denen man nicht glaube, dass sie eine Verbindung hätten, »weil sie eigentlich weit auseinanderliegen.« In der Serie »zur goldenen Kunst« etwa transferiert er bildende Künstler in Speisen. Da gibt es den »Keith-Haring-Schmaus« oder Weißwürste mit »Duchamp-Senf« und dazu ein »George Groszes Bier«. Ja, Kunst dürfe schon auch witzig sein. Und die verrückten Speisen schaffen einen neuen Zugang zur manchmal trockenen Kunstgeschichte. Als neulich ein bekannter Haubenkoch ein paar dieser Phantasie-Gerichte in der Feldbacher Kunstgalerie nachkochte, habe er an den verträumten Gesichtern der Teilnehmer das Größte ablesen können, was Kunst zu leisten imstande ist: Dass sich Erwachsene wieder wie Kinder fühlen. Wenn er malt, fühle es sich manchmal so an, als würde es von einem Ort kommen, den wir nicht kennen. Als würde man sich an die Zukunft erinnern können. Ähnlich haben das auch schon andere Künstler, etwa Anselm Kiefer, beschrieben. Zurek versteht sich als politischen Künstler, der gesellschaftlich relevante Themen nicht nur aufgreift, sondern sie verhandelt und zelebriert. Etwa den Horror Vacui. Das gleichnamige Bild ist eine gekonnte Persiflage auf unsere Überforderung mit der Leere, der wir mit dem Drang begegnen, alles mit Inhalt vollzustopfen. Oder eine Serie von zehn Bildern, die in Anlehnung an die Gesandten entstand, die den westfälischen Frieden ausverhandelten. Bei ihm haben die Gesandten keine Köpfe, sondern Prosciutto-Schinken. »Damals war es nur dem Hof erlaubt, Schinken zu essen, das normale Volk wurde schwer bestraft, wenn es dabei erwischt wurde«, erzählt der Wiener Künstler. Das habe sich zwar geändert. Nicht geändert aber habe sich, wer am Krieg profitiert: Die Reichen. Auch diese Serie kann uns Zurek leider nur am Handy zeigen. Auch sie sind mittlerweile allesamt verkauft. Neu ist auch ein eigenes Buchstabieralphabet mit prominenten Personen aus der Kunst und Kultur und eine an Max Beckmann angelehnte »Champagner-Serie«, die er als Mahnung verstanden wissen will. Die 1920er-Jahre seien eine Zeit ausgelassenen Feierns gewesen. Doch man habe damals Zeichen übersehen, die eine baldige Machtergreifung Hitlers ankündigten. Die Bilder sollen daran erinnern, wie schnell es gehen kann. 84

JIMMY ZUREK SORGT MIT SEINER BUNTEN COLLAGE-ARTIGEN KUNST ZWISCHEN POP-ART UND HIP HOP FÜR VIEL AUFHEBENS IN DER ZEITGENÖSSISCHEN KUNSTSZENE. SEINE WERKE SIND MITTLERWEILE IN DEN WICHTIGSTEN ÖSTERREICHISCHEN UND SCHWEIZER SAMMLUNGEN VERTRETEN. NEULICH WURDEN SIE AUCH IN EINE BERÜHMTE LIECHTEN- STEINER PRIVATSAMMLUNG AUFGENOMMEN. EINE BEGEGNUNG. NFT ERINNERN Text: Markus Deisenberger Fotos: C. Marvic Am überraschendsten ist vielleicht, dass Zurek neuerdings für die Landschaftsmalerei und ihre Freiheit schwärmt. »Is da wos« etwa ist eine gelungene Neuinterpretation des berühmten Gemäldes »Davos mit Kirche« von Ernst Ludwig Kirchner aus den 1920er-Jahren. In Zureks Version wurde der Hang links im Bild gerodet und der Boden des Parks für den Parkplatz eines Fastfood- Restaurants versiegelt. »Der grüne Apfel steht für den Neoliberalismus und die Vereinzelung des Menschen aufgrund der Mobiltelefone.« Selbst die Landschaftsmalerei kommt also nicht ohne Gesellschaftskritik aus. Dass er in eine große Liechtensteiner Sammlung aufgenommen wurde, finde er zwar toll, aber wichtiger sei, dass ihm die Themen nicht ausgehen. »Ein Künstler, dem es einzig darum geht, möglichst viele seiner Werke zu verkaufen, sei ein toter Künstler.« »Das hier«, Zurek zeigt auf seine Bilder, »ist keine Jackass-Kunst. Hier geht es um etwas.« 85

AN DIE ZUKU<br />

Jimmy Zurek lernte als Kind Klarinette, spielte Bach<br />

und Mozart. Irgendwann traten aber Hip Hop-Acts<br />

wie Grandmaster Flash und NWA in sein Leben und<br />

veränderten es radikal. Dem Hip Hop, »der sich<br />

weniger mit Goldketten und teuren Autos als mit der<br />

Kritik am politischen Establishemnt beschäftigt«, ist<br />

er bis heute treu geblieben.<br />

Corona habe ihn stark beeinflusst, erzählt Jimmy Zurek in seinem Atelier in der Wiener Brigittenau.<br />

Einer anfänglichen Schockstarre folgte eine beinahe schon manische Produktivität, und er<br />

begann, das omnipräsente Thema in seinen Bildern zu verarbeiten. Er habe die Malerei in dieser<br />

Phase gebraucht, um den Überblick darüber zu bewahren, was da passiert in der Welt. Eines dieser<br />

Werke zeigt eine Krankenschwester und eine Lehrerin mit zerplatzten Kaugummi-Blasen statt<br />

Masken. »Doing a Good Job« ist darüber zu lesen – ein direkter Verweis auf einen Song von Alicia<br />

Keys’, in dem sie sich bei den sogenannten »Systemerhaltern« bedankte. Die Krise, so Zurek, habe<br />

den »Wahnsinn in der Geldverteilung« sichtbarer gemacht, gezeigt, wie ungerecht etwa Lehrer und<br />

Krankenschwestern trotz ihrer wichtigen gesellschaftlichen Stellung honoriert werden. »Pfleger,<br />

die aus dem Osten hierherkommen, müssen sich die Reise selbst zahlen. Dagegen sind hunderte<br />

Millionen für die Rettung einer Airline locker drin«, wettert er. Auch wenn man das alles nicht direkt<br />

vergleichen könne, lenkt Zurek ein, über die Sinnhaftigkeit so mancher Relation könne, ja solle man<br />

sich auch heute noch Gedanken machen.<br />

Sich die Welt erklären<br />

Malerei funktioniert für Zurek wie eine Art Welterklärung. Seine Bilder sind voll von Zitaten und<br />

Querverweisen in den Pop, den Jazz, die Filmwelt, vor allem aber in den Hip Hop, denn Zurek selbst<br />

war früher Teil einer Wiener Hip-Hop-Formation, die es auch mehrfach in die Charts des führenden<br />

Alternative-Radios des Landes schaffte. Irgendwann hat sich Zurek aber schließlich auf das konzentriert,<br />

was er kann und was weniger »brotlos« ist: Die bildende Kunst. Er lernte auf der renommierten<br />

Universität für Angewandte Kunst bei Christian Ludwig Attersee und stieg zum Szene-Künstler auf.<br />

Der Hip Hop, verstanden als politische Kunst, als »Geschichtsbuch der Black Community«, hat ihn<br />

dennoch nie wieder losgelassen, was sich in seinen Bildern widerspiegelt, die sich die Technik des<br />

Samplings zu eigen gemacht haben. »Ich nehme ein Thema, eine bestimmte Komposition, oft sind es<br />

auch Farben, Farbflächen oder Hintergründe aus anderen Bildern, etwa von Basquiat oder Frankenthaler,<br />

und lege meinen eigenen Beat drüber«, sagt er. Was er darunter versteht wird deutlich, wenn man<br />

seine Mona Lisa mit jener von Basquiat vergleicht: Beide bedienen sich des Originals. Komposition und<br />

Farben sind ähnlich. Die Geschichte, die Zureks Mona Lisa erzählt, ist trotzdem eine völlig andere: Mit<br />

»Snapchat«-Augen und »Puppy Nose« wirkt sie gleichermaßen verniedlicht wie grotesk und verbindet<br />

die Zeiten Da Vincis und Basquiats mit unserer irritierenden Social-Media-Gegenwart. Leider kann er<br />

uns seine Version nur noch auf einem Handy-Foto zeigen, weil sie ein Schweizer Sammler kaufte.<br />

Der immer wieder bemühte Vergleich mit Basquiat – Zurek wurde in den Medien immer wieder als<br />

»der Basquiat von Wien« bezeichnet – störe ihn nicht, meint Zurek. Erstens sehe ohnedies jeder,<br />

dass sich die Arbeiten grundlegend voneinander unterscheiden. Zweitens hält er es für ausgeschlossen,<br />

dass eines seiner Bilder jemals einen auch nur annähernd so obszönen Preis erzielen werde,<br />

wie der letzte bei einer Auktion ersteigerte Basquiat. Keine Kunst, auch wenn sie unbestritten noch<br />

so gut ist, sei das wert. Was die beiden – Basquiat und Zurek – sichtlich eint, ist der Hang zum<br />

Kindlich-Naiven. Bei Zurek ergibt sich aus dem starken Kontrast zwischen bewusst vereinfachter und<br />

einzelnen realistischen Darstellungen – ein ganz spezieller Charme.<br />

Champagner & politische Kunst<br />

»Ich habe herausgefunden«, erzählt er, »dass ich in allem, was ich tue, Dinge miteinander verbinde.«<br />

Dinge, von denen man nicht glaube, dass sie eine Verbindung hätten, »weil sie eigentlich<br />

weit auseinanderliegen.« In der Serie »zur goldenen Kunst« etwa transferiert er bildende Künstler<br />

in Speisen. Da gibt es den »Keith-Haring-Schmaus« oder Weißwürste mit »Duchamp-Senf« und<br />

dazu ein »George Groszes Bier«. Ja, Kunst dürfe schon auch witzig sein. Und die verrückten Speisen<br />

schaffen einen neuen Zugang zur manchmal trockenen Kunstgeschichte. Als neulich ein bekannter<br />

Haubenkoch ein paar dieser Phantasie-Gerichte in der Feldbacher Kunstgalerie nachkochte, habe<br />

er an den verträumten Gesichtern der Teilnehmer das Größte ablesen können, was Kunst zu leisten<br />

imstande ist: Dass sich Erwachsene wieder wie Kinder fühlen.<br />

Wenn er malt, fühle es sich manchmal so an, als würde es von einem Ort kommen, den wir nicht<br />

kennen. Als würde man sich an die Zukunft erinnern können. Ähnlich haben das auch schon andere<br />

Künstler, etwa Anselm Kiefer, beschrieben.<br />

Zurek versteht sich als politischen Künstler, der gesellschaftlich relevante Themen nicht nur aufgreift,<br />

sondern sie verhandelt und zelebriert. Etwa den Horror Vacui. Das gleichnamige Bild ist eine<br />

gekonnte Persiflage auf unsere Überforderung mit der Leere, der wir mit dem Drang begegnen,<br />

alles mit Inhalt vollzustopfen. Oder eine Serie von zehn Bildern, die in Anlehnung an die Gesandten<br />

entstand, die den westfälischen Frieden ausverhandelten. Bei ihm haben die Gesandten keine Köpfe,<br />

sondern Prosciutto-Schinken. »Damals war es nur dem Hof erlaubt, Schinken zu essen, das normale<br />

Volk wurde schwer bestraft, wenn es dabei erwischt wurde«, erzählt der Wiener Künstler. Das habe<br />

sich zwar geändert. Nicht geändert aber habe sich, wer am Krieg profitiert: Die Reichen. Auch diese<br />

Serie kann uns Zurek leider nur am Handy zeigen. Auch sie sind mittlerweile allesamt verkauft.<br />

Neu ist auch ein eigenes Buchstabieralphabet mit prominenten Personen aus der Kunst und Kultur<br />

und eine an Max Beckmann angelehnte »Champagner-Serie«, die er als Mahnung verstanden wissen<br />

will. Die 1920er-Jahre seien eine Zeit ausgelassenen Feierns gewesen. Doch man habe damals<br />

Zeichen übersehen, die eine baldige Machtergreifung Hitlers ankündigten. Die Bilder sollen daran<br />

erinnern, wie schnell es gehen kann.<br />

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