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Versicherungsbote 2-2019

- Zwischen Benjamin Blümchen und abstrakter Verweisung - Werte Parteien, wie stellen Sie sich die Zukunft der Rente vor? - Wir haben ein schlechteres Bankenrating als Gastronome

- Zwischen Benjamin Blümchen und abstrakter Verweisung
- Werte Parteien, wie stellen Sie sich die Zukunft der Rente vor?
- Wir haben ein schlechteres Bankenrating als Gastronome

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Ausgabe 2/<strong>2019</strong><br />

Zwischen Benjamin<br />

Blümchen und<br />

abstrakter Verweisung<br />

Werte Parteien, wie<br />

stellen Sie sich die<br />

Zukunft der Rente vor?<br />

Wir haben ein<br />

schlechteres Banken-<br />

Rating als Gastronome!


Liebe Leserinnen und Leser,<br />

Sie halten das <strong>Versicherungsbote</strong>-Fachmagazin 2/<strong>2019</strong> in<br />

der Hand. Und ich stelle fest, dass nicht nur die Abonnenten-Zahl<br />

steigt: Auch der Umfang des Heftes wächst in einem<br />

Maße, dass er für unsere kleine Redaktion eine echte<br />

Herausforderung darstellt. Das neue Magazin ist erneut ein<br />

Ergebnis vieler Überstunden und Telefonate, von vielen<br />

Tassen Kaffee und Gesprächen. Umso mehr hoffe ich, dass<br />

Sie es mit Gewinn lesen werden.<br />

Bis 2025 wird die Rentenkommission der Bundesregierung brauchen, um Reformvorschläge<br />

zu erarbeiten, wie die Altersvorsorge in Deutschland zukunftsfest gemacht<br />

werden kann. Das ist viel Zeit. Weil die Debatten darüber nicht abebben,<br />

haben wir allen Parteien des Bundestages einen Fragenkatalog zukommen lassen,<br />

damit sie uns ihre aktuellen Konzepte für die Zukunft der Rente vorstellen: Die Interviews<br />

finden Sie in diesem Heft. Nur eine Fraktion antwortete leider wieder<br />

nicht, trotz mehrerer Anfragen: die AfD. Bereits in der Ausgabe vor der Bundestagswahl<br />

hatte sie als einzige Partei die Antwort verweigert. Wir haben das Gespräch<br />

gesucht.<br />

Darüber hinaus schaut unser Redakteur Sven Wenig darauf, wie die Rente im<br />

Nachbarland Niederlande funktioniert: ein Modell, das sowohl von der OECD wie<br />

auch den Gewerkschaften gelobt wird. Und ein denkbares Vorbild für Deutschland<br />

sein könnte?<br />

Der Maklerbranche fehlen die Nachwuchskräfte: 50 Jahre alt ist ein Makler im<br />

Schnitt. Umso mehr freue ich mich, dass wir zwei vielbeachtete junge Makler für dieses<br />

Magazin gewinnen konnten: Sebastian Kunkel ist bekannt für seinen Youtube-<br />

Kanal über Versicherungen, Patrick Hamacher für seinen Podcast. Sie stehen für<br />

eine neue Generation von Versicherungsmaklern, die viel in der Welt reisen, örtlich<br />

wenig gebunden sind – und trotzdem erfolgreich beraten. Pointiert könnte man von<br />

„Backpack-Maklern“ oder „persönlichen Digitalmaklern“ sprechen – wie sie ihre Arbeit<br />

gestalten, verraten sie uns im Interview.<br />

Apropos Nachwuchs: Den Gewinn von Fachkräften und die entsprechende Ausbildung<br />

lässt sich der Finanzdienstleister MLP einiges kosten. Denn mit der<br />

MLP Corporate University haben die Wieslocher eine eigene Bildungseinrichtung<br />

gegründet, um mehrheitlich Hochschulabsolventen aus- und eigene Berater weiterzubilden.<br />

Was die Vorteile eines solchen Schrittes sind, erklärt Vertriebsvorstand<br />

Oliver Liebermann.<br />

Können Versicherungsmakler selbst in einer derartigen Funktion aktiv werden?<br />

Aufhorchen ließ, als der Maklerpool Jung, DMS und Cie. eine gemeinsame Kooperation<br />

mit der Sparda Bank Baden-Württemberg verkündete: und zwar auch als<br />

IT-Dienstleister. Wir sprachen mit CEO Stefan Bachmann und Sparda-Vorstand<br />

Joachim Haas über das Projekt.<br />

Björn Bergfeld<br />

Geschäftsführer<br />

1


4 Banken, Versicherer und<br />

Makler sollten nicht<br />

unterschätzen, was sie selbst an<br />

Daten haben!<br />

14 Zwischen Benjamin<br />

Blümchen und<br />

abstrakter Verweisung<br />

37 Werte Parteien, wie stellen<br />

Sie sich die<br />

Zukunft der Rente vor?<br />

Vertrieb<br />

7 Es geht um die intelligente<br />

Verzahnung von digitaler und<br />

stationärer Welt<br />

9 Nachwuchskräfte zu finden,<br />

bleibt eine Herausforderung<br />

12 Betriebliche<br />

Sterbegeldversicherung: eine<br />

innovative Ergänzung zur<br />

betrieblichen Vorsorge<br />

Karriere<br />

18 Wer will, kann als<br />

Versicherungsmakler von<br />

überall aus arbeiten!<br />

Geldanlagen<br />

22 Vermögensaufbau durch<br />

fremdfinanzierten<br />

Immobilienerwerb: „Hebeleffekt“<br />

kann sich auszahlen<br />

25 Megatrend Nachhaltigkeit:<br />

Vom magischen Kapitalanlage-<br />

Dreieck zum -Viereck<br />

Altersvorsorge<br />

28 Nachhaltige Versicherung –<br />

Die Kosten liegen leicht über<br />

konventionellen Tarifen<br />

31 Niederlande: Die Rente<br />

gibt’s als Cappuccino<br />

34 Altersvorsorge<br />

planbarer machen<br />

Politik<br />

38 Die gesetzliche Rente<br />

wurde oft unterschätzt!<br />

41 Die Versicherungswirtschaft<br />

kommt mit Riester-<br />

Reformvorschlägen vielleicht<br />

etwas spät!<br />

44 Wir streben eine<br />

Bürgerversicherung in der<br />

Rentenversicherung an<br />

47 Der demografische Wandel<br />

ist gestaltbar und bewältigbar!<br />

50 Wir müssen bei<br />

Riester-Verträgen höhere<br />

Aktienquoten zulassen!<br />

53<br />

Impressum<br />

<strong>Versicherungsbote</strong> Verlag UG<br />

(haftungsbeschränkt)<br />

Reclamstraße 42<br />

04315 Leipzig<br />

Tel: 0341/24 330 450<br />

Fax: 0341/39 28 43 09<br />

www.versicherungsbote.de<br />

redaktion@versicherungsbote.de<br />

Vertretungsberechtigter<br />

Geschäftsführer:<br />

Björn Bergfeld<br />

Registergericht: Amtsgericht<br />

Leipzig<br />

Registernummer: HRB 26728<br />

Steuernummer: 231 /121 / 11727<br />

Inhaltlich Verantwortlicher gemäß<br />

§55Abs.2RstV:BjörnBergfeld<br />

<strong>Versicherungsbote</strong> Magazin 02/<strong>2019</strong><br />

Auflage: 8.000 Stück<br />

ET: Redaktionsschluss 30.08.<strong>2019</strong><br />

Direktvertrieb über<br />

<strong>Versicherungsbote</strong><br />

Redaktion: Björn Bergfeld<br />

(Chefredakteur), Mirko Wenig<br />

Der Inhalt der Beiträge obliegt der<br />

Verantwortung der jeweiligen<br />

Autoren.<br />

Deutrik GmbH<br />

Layout und Satz:<br />

Norma-Elisabeth Grohall<br />

Grafiken:<br />

Franz Pappelbaum<br />

ISSN 2625-1264<br />

Druck: Grafisches Centrum Cuno<br />

GmbH & Co. KG


54 Bestandskauf: Wir haben ein<br />

schlechteres Banken-Rating als<br />

Gastronome<br />

95 Wir haben genügend Baustellen<br />

in Sachen<br />

Verkehrssicherheit!<br />

Markt<br />

58 Deutsche Firmen –<br />

Cyberschutz mangelhaft!<br />

61 Die MVP-Studie <strong>2019</strong>:<br />

Analyse-Instrument für<br />

ein unverzichtbares<br />

Makler-Werkzeug<br />

Krankenversicherung<br />

64 Nische Private<br />

Pflegeversicherung: Der<br />

Gesetzgeber könnte über eine<br />

höhere Förderung nachdenken!<br />

Netzwelt<br />

69 Fünf nützliche Tools<br />

zum Nulltarif aus dem<br />

Social Media Werkzeugkasten<br />

72 Die überwiegende Mehrheit<br />

der InsurTechs ist kein Gegner<br />

der Vermittlerschaft<br />

76 Autonomes Fahren: Schon<br />

heute sind wir oft mit Autopilot<br />

unterwegs!<br />

Praxis<br />

80 Zurich – der neue<br />

Mitarbeiter namens Robbie<br />

82 Verfahrensdokumentation<br />

im Visier des Fiskus<br />

84 Warum es sinnvoll für<br />

Vermittler ist, sich mit<br />

Vollmachten und Verfügungen<br />

zu beschäftigen<br />

87 Erbschafts- und<br />

Schenkungssteuer: Wie die<br />

Steuergesetzgebung<br />

Schenkungen beeinflusste<br />

90 Veränderungen im<br />

Versicherungsmarkt erfordern<br />

veränderte Strategien<br />

Sparten<br />

63 Partnerschaften für<br />

personalisierte<br />

Versicherungen<br />

92 Kfz-Versicherung:<br />

Branche blickt 2018 auf<br />

erfreuliche Zahlen<br />

100 Vertriebspotenzial der<br />

Sterbegeldversicherung<br />

liegt auf der Hand<br />

102 Kfz-Versicherung:<br />

Versicherer bitten Senioren<br />

zur Kasse


Stefan Bachmann<br />

verantwortlicher Vorstand der<br />

JDC Group<br />

Banken, Versicherer<br />

und Makler sollten<br />

nicht unterschätzen,<br />

was sie selbst an<br />

Daten haben!<br />

Für Aufhorchen in der Branche sorgte es, dass die Sparda-Bank Baden-Württemberg auf einen<br />

Maklerpool setzt, um gegen potentielle Wettbewerber wie Google und Amazon konkurrenzfähig<br />

zu bleiben: Jung, DMS & Cie. Die Wiesbadener sind dabei nicht nur Maklerhaus, sondern<br />

auch IT-Dienstleister und White-Label-Anbieter. Wie die Kooperation aussieht und beide voneinander<br />

profitieren können, verrät Stefan Bachmann, verantwortlicher Vorstand der JDC<br />

Group, im <strong>Versicherungsbote</strong>-Interview. Bachmann war zuvor bereits für Finanzen und Fintechs<br />

bei Google Deutschland verantwortlich, kennt also die Digitalbranche genau.<br />

<strong>Versicherungsbote</strong>: Herr Bachmann, Sie kooperieren aktuell<br />

mit der Sparda Bank Baden-Württemberg: nicht<br />

nur als Maklerpool, sondern, wenn ich das richtig verstanden<br />

habe, als IT- und Plattform-Dienstleister. Wie<br />

sieht die Zusammenarbeit konkret aus? Und wie kann<br />

eine Bank von Ihnen profitieren?<br />

Stefan Bachmann: Richtig. Die Sparda Bank Baden-Württemberg<br />

setzt nicht nur auf unsere Leistungen als Pool für<br />

Makler, sondern nutzt auch die umfassenden Lösungen<br />

unserer IT-Plattform. Denn in den letzten beiden Jahren<br />

war es uns für unsere Entwicklung wichtig, nicht nur<br />

Frontend oder Serviceleistungen zu liefern, sondern vor allem<br />

auch Advisortech, also Technologie, die speziell für<br />

Vermittler und Berater entwickelt wird. Die Basis bildet<br />

unsere Kunden- und Vertragsverwaltungssoftware iCRM<br />

für eine effiziente Vertragsverwaltung, die zudem Schnittstellen<br />

zu allen relevanten Vergleichsrechnern und sonstigen<br />

technischen Lösungen für Berater und Vermittler hat.<br />

Somit sind sowohl Bestandsübertragungen sowie Neugeschäft<br />

für alle Arten von Intermediären einfach möglich.<br />

4<br />

Sie sprechen von einer Bancassurance-Strategie von JDC.<br />

Was ist damit konkret gemeint? Und warum ausgerechnet<br />

eine Genossenschaftsbank als Kooperationspartner?<br />

Bei der Entwicklung der Plattformstrategie war es uns<br />

wichtig, dass auch andere Partner oder Plattformen unsere<br />

Leistungen nutzen können. Eine Bank hat einen ganz<br />

besonderen Zugang zum Kunden und genießt Vertrauen<br />

bei finanziellen Entscheidungen. Sie ist sozusagen ihre eigene<br />

Plattform. Das Versicherungsgeschäft mit einer<br />

Maklertochter innerhalb der Bank abzubilden, ist hier ein<br />

smartes Modell. Als Makler steht die Bank bzw. deren<br />

Tochtergesellschaft faktisch im Lager des Kunden und<br />

muss neutral und transparent für den Kunden operieren.<br />

Das ist für alle ein Gewinn. Wir können unsere Services<br />

für alle möglichen Vertriebsmodelle aufsetzen. Online,<br />

Offline und Hybrid. Dies kommt allen Banken entgegen.<br />

Gerade Genossenschaftsbanken haben mit der engeren<br />

Kundenbeziehung und den Filialen vor Ort eine einfachere<br />

persönliche Ansprache und können gerade bei beratungsintensiven<br />

Produkten vor Ort punkten. Hier wird


jeder Partner selbst den besten Weg für sich definieren<br />

und dann auf die jeweilige Kundengruppe anpassen.<br />

Im Rahmen der Kooperation sollen über die App „allesmeins“<br />

White-Label-Lösungen angebunden werden. Welche<br />

Tarife und Produkte sind hierbei geplant? Können Sie<br />

uns einen Einblick in die Ideenschmiede geben?<br />

Der Sparda Bank stehen mit der Anbindung an die JDC<br />

Plattform all die Versicherungsgesellschaften zur Verfügung,<br />

die mit uns eine Vereinbarung haben. Das sind über<br />

200 Gesellschaften. Damit können so ziemlich alle Bestandsverträge<br />

von Kunden angezeigt und auch über die<br />

Rechner neu abgeschlossen werden. Dies kann der Kunde<br />

selbst online bei meineversicherungswelt.de machen, in<br />

der WebApp nach der Bedarfsanalyse oder zusammen mit<br />

einem Berater, der seine eigenen Beraterrechner in unserem<br />

System verwendet.<br />

Sie haben ein eigenes digitales Ökosystem geschaffen, um<br />

dem Endkunden und Kooperationspartnern mehrere Services<br />

zu bieten. Seit wann investiert JDC in die digitale<br />

Technik? Können Sie verraten, wie viel?<br />

Die JDC Group investiert seit Jahren kontinuierlich in die<br />

eigene Advisortech-Strategie, um<br />

IT-Lösungen für Berater anbieten<br />

zu können. Als JDC-Gruppe geben<br />

wir im Jahr im Schnitt rund<br />

sechs Millionen Euro für IT aus,<br />

haben also seit Beginn unserer Digitalisierungsstrategie<br />

2012 in sieben<br />

Jahren rund 40 Millionen<br />

Euro aus dem laufenden Geschäft<br />

heraus in die IT investiert. Das<br />

sind nachhaltige Entwicklungen,<br />

die viel von unseren Operationsund<br />

IT-Abteilungen abverlangen, aber gerade in einem<br />

sich transformierenden Markt sehr wichtig sind. Ohne<br />

diese hohen Investitionen hätten wir heute nicht diese allumfassende<br />

Maklerplattform für Makler, Belegschaftsmakler<br />

oder Großkunden wie Banken schaffen können.<br />

Mittlerweile setzen auch Mehrfachagenten oder Ausschließlichkeitsorganisationen<br />

auf Teile unseres iCRMs<br />

und der IT-Lösungen.<br />

Der Versicherungs- und Bankvertrieb wird stärker datengetrieben,<br />

schreiben Sie in einem Kommentar. Wie kann<br />

das aussehen? Wie werden Daten eingesetzt, um den Bedarf<br />

des Kunden zu ermitteln/ zu decken?<br />

Eine Bank hat einen<br />

ganz besonderen<br />

Zugang zum Kunden<br />

und genießt Vertrauen<br />

bei finanziellen<br />

Entscheidungen.<br />

Banken haben ja selbst sehr wertvolle Daten. In der jahrelangen<br />

Betreuung kann man als Bank sogar näher am Kunden<br />

sein als Konzerne wie Google oder Amazon: Wichtige<br />

Informationen zu Versicherungen und Haushalt laufen<br />

ohnehin über das Bankkonto. Banken bieten vermehrt<br />

auch Multi-Banking in den eigenen Apps an. Die derzeit<br />

umzusetzende EU-Richtlinie „PSD2“ wird hier weitere<br />

Möglichkeiten eröffnen. Wir als JDC stellen mit der eigens<br />

in der App entwickelten Bedarfsanalyse auf DEFINO-<br />

-Standard eine Möglichkeit, dass sich Kunden auch selbst<br />

einen Überblick zu ihrem Versicherungsstatus hinsichtlich<br />

Vorsorge und Absicherung geben können. Mit zehn einfachen<br />

Fragen zu Haushalt, Familie und Lebensplanung können<br />

wir hier ein sehr wertvolles Tool bereitstellen.<br />

Angeblich hinkt die Maklerbranche in Sachen Digitalisierung<br />

hinterher, so zumindest teilen uns viele Beratungshäuser<br />

beinahe wöchentlich mit. Unsere Erfahrungen<br />

sind andere: Viele Pools stecken enorm viel Geld in IT<br />

und digitale Technik. Wie ist aus Ihrer Sicht der Stand<br />

der Digitalisierung im Maklervertrieb?<br />

Auch hier sind die Anforderungen der Kunden und dadurch<br />

auch der Berater der entscheidende Antrieb gewesen.<br />

JDC war hier vor allem in der Entwicklung der<br />

Plattform schon immer einen<br />

Schritt voraus. Das war übrigens<br />

auch ein wichtiger Grund, warum<br />

ich nach mehr als sechs Jahren<br />

Google in Richtung JDC verlassen<br />

habe. Zusammen mit der Akquisition<br />

von GELD.de und der dort<br />

vorhandenen Digitalexpertise war<br />

dies die beste Grundlage im<br />

Markt, die Lösungen für Großkunden<br />

und Banken so zu bauen<br />

wie sie heute sind und sich weiterentwickeln<br />

können. Andere setzen auch auf ein paar<br />

Apps, wieder andere sind kein Pool, sondern versuchen<br />

mit dem Insurtech-Hype und einem tollen Frontend zu<br />

punkten. Am Ende gewinnt man Digitalisierung aber im<br />

Maschinenraum, und den hat JDC bestens in der Wertschöpfungskette<br />

für Partner gebaut.<br />

Sie haben selbst bei Google als Manager gearbeitet, sind<br />

nun für JDC tätig. Es gibt Stimmen, die warnen, ein Tech-<br />

Gigant wie Google könnte Banken, Versicherer und Maklerpools<br />

aufgrund der immensen Datenmenge überflüssig<br />

machen. Berechtigt? Oder warum werden weiterhin Makler<br />

gebraucht?<br />

5


Ein Makler, der sich mit der richtigen Technologie weiterentwickelt,<br />

wird sicher weiterhin gebraucht. Google,<br />

Amazon oder Facebook haben unglaublich viele Daten<br />

und Signale vom Kunden in der Anbahnung zum Produktkauf.<br />

Und durch immer mehr Plattformen und<br />

Endgeräte werden es natürlich auch immer mehr Daten.<br />

Auf der anderen Seite wird es aber auch immer schwieriger,<br />

Daten richtig zuzuordnen oder adäquat zu steuern.<br />

Hier kommt der Makler ins Spiel, der aus dem<br />

großen Datensee die richtigen Impulse verarbeitet, um<br />

zu einer sinnvollen Lösung zu kommen. Zudem wird<br />

das Versicherungsprodukt selbst immer in der Kategorie<br />

„muss verkauft werden“ bleiben. Denn es ist kein<br />

„haben will“-, sondern ein „haben muss“-Produkt.<br />

Den Verkaufsimpuls selbst muss also weiter ein Vermittler<br />

setzen. Und ist der Bankberater während des<br />

Gesprächs zu Baufinanzierung hier nicht näher am Kunden?<br />

Banken, Versicherer und unsere Makler sollten<br />

nicht unterschätzen, was sie selbst an Daten haben und<br />

wie nah sie selbst am Kunden sind. Bisher wurde dies im<br />

Vertrieb oft falsch gesteuert und die Vertriebstechnik<br />

fehlte dazu. Auch hier wird sich die JDC-Plattform mit<br />

dem iCRM kontinuierlich weiterentwickeln und die<br />

Daten, die aus den Verträgen vorhanden sind, für den<br />

Berater weiter veredeln.<br />

Sie kooperieren auch mit der Lufthansa-Tochter Albatros<br />

als Dienstleister. Wie sieht hier die Kooperation<br />

aus?<br />

Albatros war unser erster Großkunde, der auf das Outsouring<br />

im IT- und Plattformumfeld gesetzt hat, um sich<br />

mehr auf die Beratung seiner Kunden zu konzentrieren.<br />

Albatros nutzt auch unsere Whitelabel-Services in der<br />

WebApp sowie die Rechner und das umfassende Bestands-<br />

und Vertragsverwaltungssystem von JDC.<br />

Werden Kooperationen für Maklerpools wichtiger? Welche<br />

weiteren sind geplant?<br />

Vor wenigen Wochen haben wir einen langjährigen Kooperationsvertrag<br />

mit der Bavaria Wirtschaftsagentur<br />

geschlossen. Dies ist der Belegschaftsmakler von BMW<br />

und folgt dem Modell von Albatros. Wir sind weiterhin<br />

mit mehreren Banken kurz vor Ende der detaillierten Gespräche,<br />

sprechen aber auch mit ganz anderen Partnern,<br />

die man im ersten Moment nicht als Makler sehen würde.<br />

Sie sind aber selbst auch eine Plattform mit interessanter<br />

Kundenbindung und nutzen hier unser Modell, um selbst<br />

mit Versicherungen und Beständen neue Umsätze zu generieren.<br />

Welche Vorteile können Anbieter wie JDC gegenüber<br />

Google haben, wenn es um den Vertrieb von Versicherungs-<br />

und Altersvorsorge-Produkten geht? Und wo ist<br />

Google Ihnen noch voraus?<br />

Wie wird sich im Maklervertrieb künftig das Miteinander<br />

von persönlichem Vertrieb und High-Tech-Lösungen<br />

ergänzen? Können Sie einen „Herr Kaiser“<br />

charakterisieren, wie er in zehn Jahren tätig sein wird?<br />

Google weiß sicher schneller, wenn ein Nutzer sich im<br />

Recherche- oder Vergleichsmodus befindet. Hier ist unglaublich<br />

viel möglich und wird für adäquates Targeting<br />

auch schon genutzt. Geht es aber um den<br />

konkreten Abschluss mit relevanten Details zu den Versicherungsbedingungen,<br />

ist es von Vorteil, wenn man<br />

tatsächlich auch Schnittstellen zu den Versicherungsgesellschaften<br />

und deren Vertragsabteilungen besitzt und<br />

nicht nur Google-Links zu irgendwelchen Homepages.<br />

Viele Menschen besitzen ja auch schon eine Versicherung.<br />

Wenn ich als Vermittler auf Basis der aktuellen<br />

Police und den Daten daraus dann selbst den Markt<br />

über Schnittstellen und Tarife abgleiche, dann kann ich<br />

dem Kunden auch proaktiv einmal im Jahr eine Optimierung<br />

zu einem besseren Preis oder besserer Qualität<br />

im Gegensatz zum aktuellen Vertrag anbieten. Er muss<br />

dann gar nicht erst suchen. Er braucht nur das Vertrauen<br />

in mich als Vermittler und die Transparenz unserer<br />

Plattform.<br />

6<br />

Ich hatte dazu vor kurzem in einer Anfrage gesagt: „Herr<br />

Kaiser überlebt im Zero Moment of Truth“. Man kennt<br />

aus dem Marketing klassisch den „First Moment of<br />

Truth“, also dann der Erste zu sein, wenn es zur Kaufabsicht<br />

kommt. Ich möchte mit dem Begriff „Zero Moment“<br />

aber noch einen Schritt nach vorne gehen. Der Maklervertrieb<br />

muss Technologie und Daten so nutzen, dass er<br />

aufgrund des hybriden Modells und des vom Kunden<br />

entgegen gebrachten Vertrauens der Optimierer sein<br />

kann, der für den Kunden und den Bedarf da ist, wenn<br />

der Kunde selbst noch gar nicht genau weiß, dass er den<br />

Bedarf haben wird. Das klingt vielleicht etwas beängstigend,<br />

aber mit Antizipieren von Bedürfnissen und Lebensereignissen<br />

sowie Optimieren von Finanzen kann<br />

der Maklervertrieb gerade bei einem „haben muss“-Produkt<br />

immer punkten.<br />

Das Interview mit Stefan Bachmann<br />

führte Mirko Wenig


Es geht um die intelligente Verzahnung<br />

von digitaler und stationärer Welt<br />

Joachim Haas<br />

Vorstand der Sparda Bank Baden-<br />

Württemberg<br />

Warum kooperiert eine Genossenschafts-Bank mit einem Maklerpool? Das wollte der <strong>Versicherungsbote</strong><br />

auch von Joachim Haas wissen, Vorstand der Sparda Bank Baden-Württemberg<br />

und Geschäftsführer der Sparda Versicherungsservice GmbH.<br />

<strong>Versicherungsbote</strong>: Im Kampf gegen Tech-Giganten wie<br />

Amazon und Google setzen Sie, zumindest im Versicherungsvertrieb,<br />

auf Makler. Sie kooperieren mit dem Pool<br />

Jung, DMS und Cie. Warum ausgerechnet der Maklervertrieb<br />

– der doch von vielen schon totgesagt wird? Reanimieren<br />

Sie „Herr Kaiser“?<br />

Joachim Haas: Wir haben in den letzten Jahren ausschließlich<br />

exklusiv mit einem Versicherer gearbeitet.<br />

Von unseren Kunden erhielten<br />

wir jedoch immer wieder das<br />

Mit meineVersicherungswelt<br />

bieten wir<br />

unseren Kunden alle<br />

Zugangswege – digital,<br />

persönlich oder<br />

per Telefon.<br />

Feedback, dass sie sich zusätzliche<br />

Angebote wünschen würden<br />

bzw. unsere Angebote online vergleichen.<br />

Nichtsdestotrotz wünschen<br />

sie sich häufig, vor allem<br />

bei Finanz- und Versicherungsfragen,<br />

für tiefergehende Informationen<br />

und zum finalen<br />

Abschluss den persönlichen Ansprechpartner<br />

vor Ort. Das hat<br />

uns dazu bewogen, die SpardaVersicherungsservice<br />

GmbH zu gründen. Mit meineVersicherungswelt bieten<br />

wir unseren Kunden alle Zugangswege – digital, persönlich<br />

oder per Telefon. Und das gepaart mit der Anbindung<br />

an über 100 Versicherungsgesellschaften. Damit haben<br />

wir auf das veränderte Kundenverhalten reagiert und<br />

können auch in Zukunft der richtige Ansprechpartner<br />

für unsere Kunden bleiben.<br />

Wie sieht die Zusammenarbeit konkret aus? Wie kann<br />

eine Bank wie Ihre von einem Maklerpool profitieren?<br />

Der Maklerpool Jung, DMS & Cie. war der einzige, der<br />

uns die nötige Plattform für meine<br />

Versicherungswelt stellen<br />

konnte. Mit der entsprechenden<br />

Whitelabel-Lösung können unsere<br />

Kunden ihre Bestandsverträge<br />

online verwalten und bei Bedarf<br />

auf unserer Website direkt online<br />

überprüfen. Weiterhin bietet<br />

Jung, DMS & Cie. die<br />

bewährtesten Vergleichsrechner<br />

für unsere Berater vor Ort, die<br />

übrigens alle auf uns gelabelt<br />

werden konnten. Früher konnten wir als Sparda-Bank<br />

Baden-Württemberg nur Produkte einer Versicherungsgesellschaft<br />

anbieten und waren damit der verlängerte<br />

Arm eines Anbieters. Jetzt greifen wir auf einen<br />

7


Pool von über 100 Versicherungsgesellschaften sowie<br />

über 300 Versicherungen zurück und werden so zum<br />

verlängerten Arm des Kunden und können dem<br />

Wunsch nach einer individuellen Versicherungskonstellation<br />

noch besser nachkommen. Damit werden wir<br />

zum umfassenden Partner für unsere Kunden in Sachen<br />

Geldanlage, Vorsorge und Absicherung.<br />

Sie nutzen das Digitalprogramm „MeineVersicherungswelt“,<br />

dass es Kundinnen und Kunden erlaubt, Versicherungspolicen<br />

digital zu verwalten, aber auch Schäden zu<br />

melden. Werden dann persönliche Ansprechpartner und<br />

Filialen überhaupt noch gebraucht?<br />

Genau darin liegt der große Unterschied zu vielen Insurtechs,<br />

die mit ihren Apps rein digital unterwegs sind. Wir<br />

glauben fest daran, dass unsere Kunden auch einen persönlichen<br />

Ansprechpartner vor Ort haben möchten und<br />

ggf. brauchen. Wir haben einige erklärungsbedürftige<br />

Produkte im Angebot, die nicht rein digital gekauft werden<br />

können, sondern im persönlichen Gespräch, auf die<br />

jeweilige individuelle Situation angepasst, besprochen<br />

werden müssen. Für eine maßgeschneiderte Beratung –<br />

das ist unser Anspruch – ist nach wie vor eine Beratung<br />

von Mensch zu Mensch sinnvoll.<br />

Das Interview mit Joachim Haas<br />

führte Mirko Wenig<br />

Die Diskussion, ob eine Bank heutzutage verstärkt digitale<br />

Services anbieten oder doch lieber bei klassischen Instrumenten<br />

bleiben sollte, mündet bei uns nicht in ein<br />

‚Entweder-Oder‘, sondern in ein ‚Sowohl-als-auch‘. Es<br />

geht um die intelligente Verzahnung von digitaler und<br />

stationärer Welt.<br />

Foto: Chombosan/iStockphoto.com


Nachwuchskräfte zu finden, bleibt eine<br />

Herausforderung<br />

Oliver Liebermann<br />

Vertriebsvorstand der MLP<br />

Finanzberatung SE<br />

Die MLP Gruppe hat sich in den letzten Jahren stark auf Studenten und Uni-Absolventen als<br />

anspruchsvolle Zielgruppe konzentriert, sie berät der Wieslocher Vertrieb zu den Themen<br />

Versicherung und Geldanlage. Aber wie sieht es eigentlich mit dem Gewinn eigener Nachwuchskräfte<br />

aus – und wie werden die rund 1.900 MLP Beraterinnen und Berater weitergebildet?<br />

Der <strong>Versicherungsbote</strong> sprach mit Oliver Liebermann, Vertriebsvorstand der<br />

MLP Finanzberatung SE.<br />

<strong>Versicherungsbote</strong>: Die Vermittlerbranche hat ein Nachwuchsproblem,<br />

der Altersschnitt liegt bei fast 50 Jahren.<br />

Was macht die MLP Finanzberatung, um Nachwuchskräfte<br />

zu gewinnen?<br />

Oliver Liebermann: Um junge Berater noch gezielter anzusprechen,<br />

haben wir im Jahr 2017 unser Hochschulsegment<br />

neu ausgerichtet – mit Hochschulteams an jedem<br />

relevanten Standort und einem sehr interessanten Gesamtangebot<br />

für Einsteiger. Ihnen greifen wir vor allem<br />

mit einer Weiterbildungsprämie und intensivem Coaching<br />

unter die Arme. Auch für Branchenerfahrene haben<br />

wir ein attraktives Paket geschnürt. Ihnen bieten wir<br />

eine interessante finanzielle Komponente für den Übergangszeitraum<br />

ihres Wechsels und erkennen etwaige<br />

Vorqualifikationen im Rahmen unserer Weiterbildung<br />

an. Insgesamt haben wir bei MLP einen neuen, nie dagewesenen<br />

Fokus auf dem Thema Rekrutierung.<br />

Die „neue“ Weiterbildungspflicht – aus Ihrer Sicht ein<br />

Fluch oder Segen für die Branche?<br />

Ohne Weiterbildung geht es nicht, denn Berater müssen<br />

heute wachsenden Anforderungen gerecht werden. Im<br />

Markt sind viele nach der Vogel-Strauß-Taktik verfahren<br />

und haben ihre Weiterbildung kaum aktiv angepackt. Daher<br />

gehen hier die Anforderungen durch IDD definitiv in<br />

die richtige Richtung. Problem ist nur, dass der Fokus nur<br />

auf den Versicherungsthemen liegt. Bei MLP gehen die<br />

Anforderungen an eine professionelle Weiterbildung deshalb<br />

deutlich darüber hinaus.<br />

Können Sie uns einen Einblick erlauben, wie die Situation<br />

bei Ihnen aussieht: Finden Sie ausreichend Nachwuchskräfte?<br />

Wie ist der Altersschnitt der MLP-Berater?<br />

Wir wissen von einigen Maklern, Agenturen und auch<br />

Versicherern, dass sie bereits Probleme haben qualifizierte<br />

Mitarbeiter zu gewinnen.<br />

Nachwuchskräfte für den Beraterberuf zu finden, bleibt<br />

eine Herausforderung. Doch sehen wir, dass unsere Recruiting-Maßnahmen<br />

greifen. So konnten wir die Beraterzahl<br />

im Jahr 2018 erstmals seit 2011 steigern – und das<br />

gegen den Branchentrend. Den Zuwachs möchten wir in<br />

9


diesem Jahr in absoluten Zahlen nochmals übertreffen.<br />

Der Altersschnitt unserer Berater liegt mit rund 46 Jahren<br />

unter dem Branchenschnitt. Entscheidend ist für uns aber<br />

ohnehin nicht das Alter, sondern dass unsere Berater in<br />

der Lage sind, anspruchsvolle Kunden kompetent zu betreuen.<br />

Vor diesem Hintergrund wollen wir natürlich<br />

auch Branchenerfahrene gewinnen – und verzeichnen<br />

hier ein wachsendes Interesse an MLP im Markt.<br />

…und wo suchen Sie sonst nach geeigneten Vermittlern?<br />

Gehen Sie in die Universitäten, in die Schulen? Sind Sie<br />

auf Social-Media-Kanälen präsent etc.?<br />

MLP bietet seit jeher an Hochschulstandorten Seminare<br />

zur Finanz- und Karrierethemen<br />

an. Dies ist ein zentraler Kanal,<br />

über den wir sowohl Kunden als<br />

auch Berater gewinnen. Daneben<br />

arbeiten wir mit in der Branche<br />

erfahrenen Personalvermittlern<br />

zusammen und betreiben Active<br />

Sourcing in Online-Karrierenetzwerken,<br />

indem wir interessante<br />

Kandidaten aktiv auf Seiten wie LinkedIn oder Xing ansprechen.<br />

Interessenten bringen wir den Arbeitsalltag<br />

junger Berater außerdem mit dem Social Media-Angebot<br />

„MLP Live“ näher, das wir auf Instagram und Facebook<br />

betreiben. Ganz wichtig bleibt natürlich auch die persönliche<br />

Empfehlung über unsere Berater.<br />

Umfragen zeigen, dass Absolventen von Hochschulen<br />

das schlechte Image der Vermittler-Branche fürchten<br />

und deshalb sich nach einem anderen Arbeitgeber umsehen.<br />

Hat die Branche da auch einen Anteil daran? Und<br />

was kann gegen das Image des Vermittlers als Klinkenputzer<br />

getan werden?<br />

Das Berufsbild hat in der Tat mit vielen Vorurteilen zu<br />

kämpfen – und zum Teil sind die Probleme im Markt<br />

auch hausgemacht. Gibt es doch immer noch Vermittler,<br />

die ihre Beratung stark vom Produkt her aufbauen und<br />

nicht die individuelle Kundensituation als Ausgangspunkt<br />

haben. Ich bin überzeugt: Die Spreu trennt sich im<br />

Markt immer weiter vom Weizen. Profitieren werden<br />

Qualitätsanbieter wie MLP – und das stärkt wiederum<br />

das Berufsbild des Finanzberaters.<br />

Ich bin überzeugt:<br />

Die Spreu trennt<br />

sich im Markt immer<br />

weiter vom Weizen.<br />

Balance. Unregelmäßige Arbeitszeiten, hoher Erfolgsdruck,<br />

lange Wege zum Kunden oder zur Kundin.<br />

Begründet?<br />

Nein. Eine ausgeglichene Work-Life-Balance erreichen<br />

gerade Finanzberaterinnen und -berater – dies vor allem<br />

durch die Flexibilität, die ihnen die Selbstständigkeit bietet,<br />

und mit einem starken Partner an ihrer Seite, der sie<br />

vielfältig entlastet. Wir haben im Rahmen der Digitalisierung<br />

von MLP konsequent darauf hingearbeitet, die Tätigkeit<br />

des MLP-Beraters zunehmend unabhängig von<br />

Ort und Zeit zu machen. Unser ausgebautes Angebot für<br />

Kunden umfasst Online-Gespräche mit MLP-Beratern<br />

bei gleichzeitigem Zugriff auf vielfältige digitale Hilfsmittel<br />

in einer einzigen Anwendung.<br />

Der Beraterberuf lässt sich also<br />

auch sehr gut mit einer eigenen<br />

Familie vereinbaren. In unseren<br />

aktuellen Beraterjahrgängen liegt<br />

der Frauenanteil mit mehr als<br />

30 Prozent deutlich über den historischen<br />

Werten.<br />

Der Gesetzgeber hat die Qualifikationsanforderungen<br />

für Versicherungs- und Finanzanlagevermittler in den<br />

letzten Jahren erhöht, so dass ein klassischer Rekrutierungsansatz<br />

vakant wurde: der Quereinsteiger, der nach<br />

einer zweiten Chance im Beruf sucht. Rekrutieren Sie<br />

noch Quereinsteiger? Wenn ja: Wie garantieren Sie deren<br />

Fachkompetenz?<br />

Der Regelfall bei MLP ist, dass ein Hochschulabsolvent<br />

ohne einschlägige Branchenkenntnisse bei uns startet.<br />

Durch eine sehr umfangreiche Qualifizierung an unserer<br />

Corporate University (CU) stellen wir dann sicher, dass<br />

jeder Berater über die notwendige Kompetenz verfügt.<br />

Dabei gehen wir übrigens deutlich über die gesetzlich<br />

vorgeschriebenen Anforderungen hinaus. Kommt jemand<br />

mit Branchenerfahrung zu uns, werden Vorkenntnisse<br />

angerechnet.<br />

Sie haben mit der „MLP Corporate University“ eine eigene<br />

Bildungseinrichtung gegründet, statt auf externe Einrichtungen<br />

zu setzen. Was war die Motivation dahinter?<br />

Und ist das nicht teurer, als wenn man sich die Weiterbildung<br />

einkauft?<br />

Ein weiterer Grund, weshalb für viele junge Menschen<br />

eine Tätigkeit als Vermittler unattraktiv erscheint, speziell<br />

für Frauen: eine vermeintlich schlechte Work-Life-<br />

Auf der Kostenseite sind wir mit unserer „CU“ sehr wettbewerbsfähig.<br />

Entscheidend ist aber, dass wir unseren Beratern<br />

einen deutlichen Mehrwert bieten. Eine solche<br />

10


Breite und Tiefe in Sachen Weiterbildung bietet meines<br />

Erachtens niemand sonst im Markt. Gleichzeitig sind die<br />

Inhalte auf MLP Berater zugeschnitten und vertrieblich<br />

ausgerichtet. Deshalb setzten wir bereits seit 20 Jahre auf<br />

eine eigene „CU“. Und wenn es sinnvoll ist, kooperieren<br />

wir natürlich mit anderen Bildungsanbietern.<br />

Können über die MLP University Abschlüsse erworben<br />

werden – und wie anerkannt sind diese außerhalb des<br />

MLP-Universums?<br />

In den ersten beiden Jahren durchlaufen MLP Berater die<br />

Basisabschlüsse Financial Consultant und Senior Financial<br />

Consultant. Anschließend steht ihnen an der „CU“ eine<br />

Vielzahl von Abschlüssen offen. Neben thematischen Spezialisierungen<br />

wie Ruhestandsplaner oder Direktimmobilienvermittler<br />

können sie sogar den höchsten<br />

international anerkannten Standard für Finanzberater,<br />

den Certified Financial Planner, an der MLP Corporate<br />

University erwerben. Wichtig dabei ist, dass unsere Abschlüsse<br />

von der Foundation for International Business<br />

Administration Accreditation (FIBAA) geprüft und zertifiziert<br />

wurden. Das bedeutet, dass sie in staatlichen Studiengängen<br />

angerechnet werden können. Dies ist zum<br />

Beispiel im Bachelor- und Master-Programmen der Fall,<br />

die wir in Kooperation mit Hochschulen anbieten.<br />

Sind aus Ihrer Sicht 15 Stunden Weiterbildung im Jahr<br />

ausreichend, um den Beraterjob gut zu erledigen? Was<br />

empfehlen Sie MLP-Beratern als Umfang?<br />

Eine gute Weiterbildung sollte Methoden- sowie Formatwechsel<br />

beinhalten und auch die Gruppe nach vorne bringen.<br />

Unser Anspruch ist, dass wir nicht nur ein breites<br />

Angebot haben – sondern auch sehr innovativ unterwegs<br />

sind. Beispielsweise sind viele Schulungen auch regional<br />

für unsere Geschäftsstellen und Hochschulteams abrufbar.<br />

Aber auch offene Formate wie Barcamps gehören<br />

zum Repertoire.<br />

Wir mahnen immer an, dass Weiterbildungen speziell für<br />

Makler unabhängig sein sollten und nicht einfach Verkaufsschulungen.<br />

Wie sichern Sie Unabhängigkeit und<br />

Qualität der Bildungsangebote?<br />

Bei uns gibt es fachliche Weiterbildungen, aber natürlich<br />

auch Beratungstrainings. Die hohe Qualität stellen wir<br />

unter anderem durch speziell geschulte Dozenten und unsere<br />

Experten in der „CU“ sicher. Außerdem haben wir<br />

mehrere Zertifizierungen, bei denen wir uns einer externen<br />

Überprüfung stellen. Die FIBAA hatte ich schon erwähnt,<br />

die Akkreditierung durch das Financial Planning<br />

Standards Board für die Qualifizierung zum CFP ist ein<br />

zweites Beispiel. Und last but not least haben wir einen<br />

Wissenschaftlichen Beirat an unserer „CU“.<br />

Immer mehr Kunden schließen online ab, manche Versicherer<br />

und Vorsorgeanbieter vermitteln ihre Produkte<br />

schon über Alexa und Künstliche Intelligenz. Wird persönliche<br />

Beratung in 30 Jahren überhaupt noch gebraucht?<br />

Und wenn ja: in welchem Umfang?<br />

Der Anspruch von MLP ist, der Gesprächspartner in allen<br />

Finanzfragen zu sein. Wer in der Altersvorsorge, Praxisfinanzierung<br />

und Vermögensmanagement gleichermaßen<br />

auf dem aktuellen Stand sein will, kommt mit 15 Weiterbildungsstunden<br />

jährlich nicht hin. Bei uns ist der Anspruch,<br />

dass sich jeder Berater mindestens 30 Stunden<br />

weiterbildet. De facto waren es 2018 übrigens mehr als<br />

70 Stunden. Das zeigt den hohen Nutzen, den unsere Weiterbildung<br />

für MLP Berater hat. Dabei hat jeder Berater<br />

bei uns ein Punktekonto, mit dem er seine Weiterbildungsaktivitäten<br />

immer im Blick hält und alle rechtlichen<br />

Anforderungen erfüllt.<br />

Summercamps, CubeWeeks, Financial Planning Powertage<br />

sind die Veranstaltungen der MLP University betitelt.<br />

Das lässt vermuten, Sie setzen nicht auf Frontalunterricht,<br />

sondern Entertainment und Teambuilding sind<br />

ebenfalls wichtig.<br />

Das Gros der Verbraucher schließt gerade mal einfachere<br />

Sach-Policen online ab. Selbst die Mehrheit der Digital<br />

Natives wünscht sich bei komplexen, existenziellen Finanzthemen<br />

eine persönliche Beratung. Das erleben wir<br />

auch in unseren Beratungsgesprächen. Deshalb besteht<br />

unser Ansatz darin, die persönliche Beratung und Digitalangebote<br />

für Berater und Kunden noch stärker im Sinne<br />

eines „intelligenten Und“ zu verknüpfen. Wenn man<br />

Digitalisierung richtig versteht, profitiert der einzelne Berater<br />

davon.<br />

Das Interview mit Oliver Liebermann<br />

führte Mirko Wenig<br />

11


Betriebliche Sterbegeldversicherung:<br />

eine innovative Ergänzung zur betrieblichen<br />

Vorsorge<br />

Thorben Schwarz<br />

Direktor Vertrieb von Monuta<br />

Spezialisten in der bAV beraten ihre Kunden bereits umfänglich zu den unterschiedlichsten<br />

Themen. Als neuen Ansatz wird Vermittlern nun mit der betrieblichen Sterbegeld-Vorsorge<br />

(bSV) eine innovative Ergänzung zum Vorsorge-Paket ihrer Kunden angeboten. Ein Baustein,<br />

mit dem sie ihr Portfolio erweitern und somit ihre Produktion steigern können. Ein Gastkommentar<br />

von Thorben Schwarz, Direktor Vertrieb von Monuta.<br />

Die finanzielle Unterstützung im Todesfall durch Übernahme<br />

von Bestattungskosten ist gerade für Familien- und mittelständische<br />

Unternehmen eine zusätzliche Möglichkeit,<br />

für Mitarbeiter einen Mehrwert zu schaffen. Der Tod eines<br />

Angehörigen ist für die meisten eine große Belastung, weshalb<br />

eine Absicherung der Bestattungskosten hier ein Stück<br />

weit unterstützend wirken kann. Der Arbeitgeber bietet finanzielle<br />

Hilfe – und das auch lange nach der aktiven Zeit<br />

des Mitarbeiters im Unternehmen.<br />

Wertschätzung für den Mitarbeiter<br />

Jedes Unternehmen bemüht sich, gute Mitarbeiter langfristig<br />

zu halten. Faktoren wie zum Beispiel eine authentische<br />

Unternehmenskultur oder wertschätzende Benefits werden<br />

den Mitarbeitern angeboten, um ihr Engagement und ihre<br />

Loyalität zu fördern. Viele Unternehmen kennen und nutzen<br />

bereits die betriebliche Altersversorgung, Firmenwagen,<br />

Essenszuschüsse usw. Die emotionale Bindung eines<br />

Mitarbeiters an das Unternehmen ist dabei das stabilste<br />

Fundament.<br />

Diese Verbindung wird durch die neue bSV noch weiter gestärkt.<br />

Der Mitarbeiter erhält eine Zusatzleistung, die ihn<br />

und seine Hinterbliebenen nicht erst im Ruhestand, sondern<br />

auch schon im aktiven Arbeitsleben schützt. Die Versorgungszusagen<br />

werden von einer Unterstützungskasse<br />

kongruent rückgedeckt. Dabei trägt der Arbeitgeber die<br />

Beiträge in voller Höhe für den Arbeitnehmer.<br />

Kostenneutrale Zusatzleistung<br />

Hierbei spart der Arbeitgeber Steuern bzw. kann die Beiträge<br />

ebenfalls als Betriebsausgaben in unbegegrenzter Höhe<br />

steuerlich geltend machen. Die arbeitgeberfinanzierten Beiträge<br />

sind also lohnsteuer- und sozialabgabefrei. Ebenso<br />

sind die Verwaltungskosten für die Unterstützungskasse gering<br />

und können steuerlich abgesetzt werden. Und die in<br />

der Unterstützungskasse investierten Beiträge müssen nicht<br />

in der Unternehmensbilanz ausgewiesen werden.<br />

Der emotional geprägte Verkaufsansatz bietet Maklern ein<br />

neues Potenzial für den Einstieg in die Beratung. Alle bereits<br />

mit anderen Leistungsbausteinen der bAV ausgestatteten<br />

Firmen können mit der bSV erneut angesprochen werden.<br />

Umsatzmöglichkeiten im Neugeschäft ergeben sich hier in<br />

einem kaum bearbeiteten Segment.<br />

Die bSV kann somit für Berater in allen Firmengrößen ein<br />

interessanter Zugangsweg sein. Mit der Aufnahme dieser Innovation<br />

beweisen sie ihren Weit- und Marktüberblick. Zudem<br />

dient die Sterbegeldversicherung als guter Einstieg in<br />

viele andere Vorsorgethemen, wie die betriebliche Krankenversicherung,<br />

Pflegeleistungen und Invalidität, aber auch<br />

Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht oder Erbschaft.<br />

Ein Gastkommentar von Thorben Schwarz<br />

12


13


Zwischen Benjamin Blümchen und<br />

abstrakter Verweisung<br />

Patrick Hamacher<br />

Dozent für das<br />

Berufsbildungswerk der<br />

Versicherungswirtschaft<br />

Patrick Hamacher ist ein junger Würzburger Makler mit einer Profession: Er erklärt Versicherungsthemen<br />

mit einem vielbeachteten Podcast, also über Hörbeiträge. Zugleich ist er Dozent<br />

für das Berufsbildungswerk der Versicherungswirtschaft und berät seine Kundinnen und Kunden<br />

gern auf Reisen. Wie er das alles unter einen Hut bekommt, was sein Podcast mit Benjamin<br />

Blümchen zu tun hat und warum die Versicherungswirtschaft auch mit tätowierten BMX-Bikern<br />

als Werbeträger nicht cool wird, erklärt er im Interview mit dem <strong>Versicherungsbote</strong>n.<br />

<strong>Versicherungsbote</strong>: Hallo Herr Hamacher, Können Sie<br />

sich kurz vorstellen? Seit wann sind Sie in der Branche<br />

aktiv und was sind Ihre Schwerpunkte?<br />

Patrick Hamacher: Sehr gerne. Doch bevor ich loslege: Ich<br />

mache einiges ein kleines bisschen anders, als man es von<br />

einem Versicherungsmakler gewohnt ist. Z.B. duze ich<br />

grundsätzlich meine Kunden und Mandanten. Daher<br />

würde ich "Ihnen" auch gerne das "Du" anbieten. Ich bin<br />

der Patrick.<br />

2005 begann ich meine Ausbildung zum Versicherungskaufmann<br />

(IHK), war dann bis 2015 in der Ausschließlichkeit,<br />

habe nebenher das Studium des geprüften Versicherungsfachwirts<br />

absolviert und bin seit 2011 zudem<br />

Dozent für das BWV. 2015 übernahm ich dann das Versicherungsmaklerbüro<br />

meines Vaters und digitalisierte es.<br />

2018 wurde ich in den Prüfungsausschuss der IHK berufen<br />

und <strong>2019</strong> in die Vollversammlung gewählt.<br />

Die Schwerpunkte liegen in der Biometrie und Krankenversicherung.<br />

Meine Kernzielgruppe sind Freelancer,<br />

(ortsunabhängige) Selbstständige und sog. "Digitale<br />

Nomaden".<br />

14<br />

Sie betreiben als Makler einen Podcast über Versicherungsthemen.<br />

Warum ausgerechnet ein Podcast?<br />

Worin liegt der Reiz, auf diese Art über Versicherungen<br />

zu informieren?<br />

Ich nenne Podcast immer scherzhaft "Das YouTube für<br />

Hässliche". Selbst habe ich durch das Hören von Podcast<br />

sehr viel gelernt. Es ist einfach praktisch, dass man sich<br />

Wissen über verschiedenste Themen – quasi nebenbei – in<br />

den "toten Zeiten", wie zum Beispiel dem Autofahren,<br />

beim Sport oder Kochen, aneignen kann. Dazu ist das Medium<br />

Audio einfach klasse.<br />

Und da es 2017 so gut wie kein Wissen über Versicherungen<br />

in Audioform gab, haben Bastian Kunkel (Versicherungen<br />

mit Kopf) und ich uns gedacht, dass wir dies<br />

ändern müssen.<br />

Was sind die größten Herausforderungen, wenn es gilt,<br />

komplexe Versicherungsthemen in ein Audioformat zu<br />

übersetzen? Und was daran macht Ihnen am<br />

meisten Spaß?


Die größte Herausforderung ist es – und das wird jeder<br />

Versicherungsvermittler kennen – dass man komplexe<br />

Zusammenhänge herunterbricht und auf verständliche<br />

Art und Weise für einen Branchenfremden häppchenweise<br />

erklärt. Das ist auditiv auch nicht leichter oder schwieriger<br />

als visuell.<br />

Bei den Benjamin-Blümchen-Kassetten aus meiner Kindheit<br />

konnte ich mir immer ein schönes Kopfkino ausmalen<br />

und war voll im Geschehen. Wenn wir es schaffen, im<br />

Podcast durch unsere Geschichten auch ein solches<br />

Kopfkino zu erzeugen, dann kann man auch den Begriff<br />

"abstrakte Verweisung" anschaulich erklären.<br />

Besonders Spaß macht es, dass wir zwar die Sache an sich<br />

sehr ernst nehmen, wir uns selbst aber nicht.<br />

„Versicherungsgeflüster“ heißt Ihr Podcast. Ich finde den<br />

Namen interessant: „Geflüster“ weckt bei mir Assoziationen<br />

wie leise, subtil, sogar sinnlich. Das mag nicht ganz<br />

zu der Komplexität der Verträge und den lauten Werbebotschaften<br />

der Branche passen. Was war Ihre Idee hinter<br />

dem Namen?<br />

Wir hatten keine Zeit für großes Geschrei. ;-)<br />

Nein, der Name entstand tatsächlich durch Zufall. Da<br />

"Versicherungspodcast" schon besetzt war, suchten wir<br />

nach einer Alternative. Mit Hilfe unserer Onlinecommunity<br />

fanden wir dann das Versicherungsgeflüster.<br />

Ich bin sehr dankbar für die Frage. „Subtil“ und „sinnlich“<br />

habe ich bis dato noch nicht auf dem Schirm gehabt. Aber<br />

vielleicht ist es ja genau dieses Anderssein, als man es in<br />

unserer Branche vermutet, was den Erfolg ausmacht.<br />

Wir holen die Hörer dort ab, wo sie stehen. Zumeist nämlich<br />

noch ganz am Anfang. Und da bedarf es keiner lauten<br />

Worte und keiner Selbstbeweihräucherung mit Slogans,<br />

Signets und Sternchen. Aufklärung, Wissensvermittlung<br />

und Hilfe zur Eigenverantwortlichkeit … das ist es, was<br />

wir „flüstern“.<br />

Geben sich aus Ihrer Sicht die Versicherer ausreichend<br />

Mühe, ihre Produkte zu erklären und verständlich zu gestalten?<br />

Was kann besser werden?<br />

Bis vor einem Jahr hätte ich gesagt, dass neben dem eben<br />

angesprochenen Selbstbeweihräuchern auf den Websites<br />

der Versicherungsunternehmen nicht viel zu finden war.<br />

Inzwischen bemerkt man aber das Umdenken und sieht,<br />

dass sich einige sehr viel Mühe geben und endlich auch<br />

einmal aus Kundensicht denken.<br />

Es fehlt jedoch noch immer die Aufklärung. Häufig<br />

kommt es mir so vor, dass zwar erklärt wird, wie man<br />

Steigeisen, Klettergurt und Karabiner einsetzt – wenn der<br />

Kunde jedoch noch nie zuvor Wandern war, macht das<br />

keinen Sinn. Da sollte vielleicht erst einmal über das<br />

Schuhwerk und vernünftige Wanderkleidung gesprochen<br />

werden.<br />

Die Versicherungsbranche hat ein Nachwuchsproblem:<br />

Vermittler sind im Schnitt 50 Jahre alt, der Innendienst<br />

immerhin 48 Jahre. Was sind aus Ihrer Sicht die Ursachen<br />

dafür? Warum ist die Branche für viele junge Menschen<br />

eher uninteressant?<br />

Ich könnte jetzt gemein sein und sagen, dass es doch<br />

schön ist, dass wenigstens in der Versicherungsbranche<br />

den älteren Semestern noch ein Arbeitsplatz angeboten<br />

wird. Demografisch betrachtet liegen wir damit ja auch<br />

nur ein paar Jahre über dem Durchschnittsalter aller Personen<br />

in Deutschland.<br />

Die Versicherungsbranche hat aber in den letzten Jahrzehnten<br />

einfach verpasst, das Image, welches von wenigen<br />

zum Negativen hin geprägt wurde, wieder ins rechte Licht<br />

zu rücken. Und welcher junge Mensch möchte dann schon<br />

in einem Job arbeiten, wo die Gesellschaft bei der bloßen<br />

Erwähnung von "Versicherung" die Nase rümpft und man<br />

als Klinkenputzer abgestempelt wird?<br />

…wiesohabenSiesichentschlossen,diesenBerufzuergreifen?<br />

Vielleicht liegt darin ja schon ein Geheimnis, wie<br />

es gelingen könnte, mehr Nachwuchskräfte anzuwerben.<br />

Während meines Ingenieurstudiums habe ich gemerkt,<br />

dass Maschinenbauer nicht der Beruf ist, den ich für den<br />

Rest meines Lebens machen möchte. Darum war es die logische<br />

Konsequenz, nach meinem Vordiplom eine Ausbildung<br />

zum Versicherungskaufmann zu machen. Nichts<br />

liegt da näher. (lacht)<br />

Nein, Spaß beiseite. Da mein Vater und auch meine große<br />

Schwester in der Versicherung tätig sind, hatte ich schon<br />

immer als Kind und Jugendlicher ein positives Bild von<br />

unserer Branche. Ich helfe gerne, bin kommunikativ und<br />

setze mich ebenso gern für andere ein. Und da der Apfel<br />

nicht weit vom Stamm fällt, entschied ich mich 2005 für<br />

diesen Weg.<br />

…waskanndieVersicherungs-undVorsorgebranche<br />

tun, um mehr Menschen für die wichtige Maklertätigkeit<br />

zu gewinnen?<br />

Das über Jahrzehnte kaputtgemachte Image unserer Branche<br />

wird sich nicht von jetzt auf gleich ins Positive verän-<br />

15


dern lassen. Ich finde es bedenklich, dass noch immer viel<br />

zu häufig bei der Anwerbung von Nachwuchs mit einer<br />

vermeintlich hohen Vergütung, teuren Uhren und schnellen<br />

Autos geworben wird.<br />

Ich begreife meine Tätigkeit als eine extrem wichtige sozialpolitische<br />

Aufgabe, ohne die unser gesamtes Wirtschafts-<br />

und Sozialsystem nicht funktionieren würde.<br />

Wenn diese Werte mehr in den Vordergrund gerückt werden<br />

würden, könnte es auch klappen, dass sich die richtigen<br />

Personen für unseren Job interessieren.<br />

Sie haben sich als Versicherungsmakler selbstständig gemacht.<br />

Warum diese Entscheidung? Worin liegen die<br />

Vorteile der Selbstständigkeit?<br />

Unabhängigkeit und Freiheit. Mit diesen zwei Worten<br />

kann ich beide Fragen beantworten.<br />

Als Versicherungsmakler bin ich<br />

frei in der Wahl der Produkte und<br />

kann ungebunden beraten. Und<br />

darin sehe ich auch die Vorteile, sowohl<br />

für meine Kunden als auch für<br />

mich selbst.<br />

In der Selbstständigkeit kann ich<br />

ebenso frei und unabhängig entscheiden,<br />

wo, wie und wann ich arbeite.<br />

Die größte Freiheit dabei ist:<br />

Ich muss niemanden um Erlaubnis<br />

fragen, wenn ich meinen Urlaub<br />

plane.<br />

…habenSieauchWiderständeaufdemWegindieSelbstständigkeit<br />

erfahren? Welche Hürden gab und gibt es?<br />

Wirkliche Widerstände habe ich bisher keine erfahren.<br />

Beruflich bin ich immer lösungsorientiert unterwegs. Und<br />

wenn es Hürden geben sollte, muss ich eben wie ein Unternehmer<br />

denken und handeln, sprich: Einen Weg finden,<br />

um über die Hürde zu springen. Wobei ich den<br />

Begriff "Hürde" nicht gerne verwende. Lieber ist mir da<br />

das Wort Herausforderung. Und ohne Herausforderungen<br />

wäre es doch auch langweilig.<br />

Eine meiner größeren Herausforderungen momentan ist es,<br />

dass die Versicherer digitale Unterschriften anerkennen.<br />

Sie scheinen viel in der Welt unterwegs zu sein, wenn<br />

man Ihre Social-Media-Aktivitäten verfolgt. Wie beraten<br />

Sie und wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus? Sind Sie eine Art<br />

„Persönlicher Digitalmakler“?<br />

16<br />

Der Begriff „persönlicher Digitalmakler“ trifft es ziemlich<br />

gut. Einen sehr großen Teil meiner Beratungen führe ich<br />

mit meinen Kunden online im Videochat durch. Viele<br />

Kollegen behaupten, dass das nicht ginge und nicht persönlich<br />

genug sei, dass man keine Kundenbindung<br />

aufbauen könne.<br />

Aber der einzige Unterschied – wie ich finde – zur klassischen<br />

Offline-Beratung ist, dass man sich zur Begrüßung<br />

nicht die Hand geben kann. Ansonsten sitzt man sich<br />

dennoch – wenn auch nur virtuell – gegenüber, sieht Gestik<br />

und Mimik des anderen und unterhält sich ganz normal.<br />

Die Kundenbindung war bei mir noch nie so hoch, wie aktuell.<br />

Ich bin über Social Media, Messenger und Chat<br />

ständig mit meinen Kunden in Kontakt. Die kurzen und<br />

unkomplizierten Wege wissen meine Kunden sehr zu<br />

schätzen.<br />

Mein Arbeitsalltag unterscheidet<br />

sich wahrscheinlich auch<br />

nicht groß vom herkömmlichen<br />

Makler. Morgens geht´s ins Büro,<br />

Kaffee trinken, Newsletter lesen,<br />

mindestens 30 Minuten Weiterbildung,<br />

Papierkram (bei mir jedoch<br />

komplett digital) erledigen<br />

und ab 9 Uhr die Beratungen<br />

wahrnehmen.<br />

Ob mein Büro dabei mein „richtiges<br />

Büro“ in Würzburg ist oder<br />

ein Hotelzimmer, ist mir egal.<br />

Ich brauche nur meinen Laptop und Internet, um arbeiten<br />

zu können. Und Ruhe. Ich telefoniere nämlich äußerst<br />

ungerne in der Öffentlichkeit. Das ist aus Datenschutzgründen<br />

wahrscheinlich auch sinnvoller. Ansonsten ist<br />

mein Laptop-Blickschutzfilter mein bester Freund und<br />

hilft vor neugierigen Blicken.<br />

Das über Jahrzehnte<br />

kaputtgemachte<br />

Image unserer Branche<br />

wird sich nicht<br />

von jetzt auf gleich<br />

ins Positive verändern<br />

lassen.<br />

…undwiegehenSiealsjungerMaklermitdenRisiken<br />

der Selbstständigkeit um? Gibt es zentrale Dinge, auf die<br />

Sie in Ihrem Beruf gern verzichten würden?<br />

Vielleicht klingt das jetzt etwas naiv von mir. Aber welches<br />

wirklich große Risiko habe ich als Versicherungsmakler,<br />

der keine Waren produziert und in teuren Lagern<br />

vorhalten muss? Ich habe ein "Laptopbusiness". Von daher<br />

ist mein Einsatz an finanziellen Mitteln sehr gering. Und<br />

ich muss nicht in Vorkasse gehen, um teure Maschinen<br />

oder ähnliches zu kaufen.<br />

Bei der weiteren Risikoabschätzung frage ich mich immer:<br />

"Was kann im schlimmsten Fall passieren?"


Haftungstechnisch liefere ich saubere Arbeit. Und Kunden<br />

gibt es für jeden genug. Die Gesundheit ist das Wichtigste<br />

– und dafür gibt´s Versicherungen.<br />

Auf zu viel Bürokratie und sinnlose Rückfragen, weil z.B.<br />

meine E-Mails nur halb gelesen werden oder im Passierschein<br />

A38 der Vor- und Nachname vertauscht wurde,<br />

könnte ich verzichten. Das ist zwar zentral, aber wahrscheinlich<br />

nicht berufsspezifisch genug.<br />

Hat die Versicherungsbranche allgemein ein Problem,<br />

eine junge Zielgruppe anzusprechen? Ein MC Fitti rappt<br />

für die LVM, Sijox schickt junge BMX-Profis mit Rastas<br />

und Tattoos ins Rennen. Warum gelten Versicherungen<br />

trotzdem noch als uncool und für viele junge Menschen<br />

uninteressant, wie auch Umfragen immer wieder zeigen?<br />

Solange der vorhin angesprochene sozialpolitische Zweck<br />

einer Versicherung nicht in den Köpfen der Menschen<br />

lanciert werden kann, sind Versicherungen so uncool wie<br />

Wurzelbehandlungen oder Steuererklärungen. Da helfen<br />

leider auch kein MC Fitti (Super Lied übrigens und ein<br />

super Style mit Kappe und Vollbart!) oder BMX-Profis.<br />

Das Problem ist, glaube ich, dass man es einer Versicherung<br />

einfach nicht abnimmt, dass sie jung, fresh und lit<br />

ist. Und dann wirken die Werbebotschaften auch nicht<br />

authentisch.<br />

Ich würde mir jedoch wünschen, wenn künftig Studenten<br />

oder Auszubildende mit Ihren Freunden darüber sprechen<br />

würden, dass sie jetzt endlich auch eine super Berufsunfähigkeitsversicherung<br />

haben und bereits angefangen<br />

haben, für ihr Alter vorzusorgen. Einfach nur, weil es cool,<br />

wichtig und sogar notwendig ist.<br />

Ob wir das jedoch noch erleben werden? Sehr fragwürdig.<br />

In Ihrem Podcast verwenden Sie spielerische Momente,<br />

unter anderem ein Quiz-Battle. Man spricht in diesem<br />

Zusammenhang von „Gamefication“: Der Rezipient wird<br />

zum Mitmachen animiert, seine Aufmerksamkeit erregt,<br />

es macht Spaß. Müssten solche Momente in der Versicherungsbranche<br />

nicht häufiger genutzt werden? Und<br />

wenn ja: Warum passiert das nicht?<br />

Bei unseren "Quiz-Battles" im Podcast hatten wir uns<br />

überlegt, wie wir einen Weg finden können, um Fachbegriffe<br />

auf eine etwas andere Art zu erklären. Wenn wir<br />

nur die Begriffsdefinition von zum Beispiel abstrakter<br />

Verweisung oder Forderungsausfalldeckung herunterbeten,<br />

würde das mit Sicherheit niemanden interessieren.<br />

Durch die Quiz-Situation können die Hörer – wie Du<br />

schon richtig sagtest – selbst mitmachen und freuen sich<br />

vielleicht, wenn wir auch einmal über die Antwort nachdenken<br />

müssen und dann vom anderen aufs Korn genommen<br />

werden. Ein bisschen so wie bei "Wer wird<br />

Millionär".<br />

Die Wissensvermittlung passiert eher nebenbei, weil der<br />

Fokus darauf liegt, wer von uns die zufällig ausgewählten<br />

Fragen besser beantworten kann.<br />

Und warum es kaum "Gamification" oder "Infotainment"<br />

in der Versicherungsbranche gibt? Darauf habe ich keine<br />

konkrete Antwort. Wahrscheinlich, weil es einfach nicht<br />

seriös genug ist.<br />

Gibt es ein Produkt, das die Versicherungsbranche noch<br />

nicht bereithält und aus Ihrer Sicht eingeführt werden<br />

müsste? Mehrere Versicherer berichten uns, dass sie in<br />

der Produktentwicklung auf Ideen von Maklern zurückgreifen:<br />

Vielleicht hilft es ja ;-).<br />

Versicherungen zahlen immer dann eine Leistung, nachdem<br />

etwas passiert ist. Sie begleichen den Schaden am<br />

Auto nach einem Unfall. Sie erstatten die Arztrechnung<br />

nach der Behandlung. Sie leisten eine Rente nach Feststellung<br />

einer Depression, die zur Berufsunfähigkeit führte.<br />

Warum gibt es keine Versicherung, die bereits präventiv<br />

Maßnahmen unternimmt, damit es erst gar nicht zu den<br />

Schäden kommt?<br />

Wenn man sich die häufigsten Ursachen für eine Berufsunfähigkeit<br />

ansieht, stehen psychische Leiden inzwischen<br />

auf dem ersten Platz. Ich könnte mir zum Beispiel eine<br />

BU-Versicherung vorstellen, die 1x pro Jahr ein kostenloses<br />

Gespräch mit einem Psychologen anbietet. Dadurch<br />

könnten vielleicht einige potentielle BU-Fälle im Vorfeld<br />

erkannt, dem Kunden könnte damit auch frühzeitig geholfen<br />

und somit Geld gespart werden.<br />

Es gibt Länder, da gehört es fast schon zum guten Ton,<br />

wenn man zu einem Coach, Lebensberater oder Psychotherapeuten<br />

geht - auch, wenn man keine ICD10-F-Diagnose<br />

hat.<br />

Das Interview mit Patrick Hamacher<br />

führte Mirko Wenig<br />

17


Wer will, kann als<br />

Versicherungsmakler<br />

von überall aus<br />

arbeiten!<br />

Bastian Kunkel<br />

Versicherungsmakler<br />

und Youtuber<br />

Bastian Kunkel ist Versicherungsmakler, recht erfolgreicher Youtuber mit Videos über Versicherungsthemen,<br />

Gewinner des Jungmakler Award 2017 – und berät seine Kundinnen und<br />

Kunden von Mallorca aus. Mit anderen Worten: eine Nachwuchskraft, die am eigenen Beispiel<br />

zeigt, dass der Maklerberuf auch für jüngere Menschen attraktiv sein kann. Warum er sich<br />

dennoch nicht als Influencer sieht und wie er seine deutschen Kunden von den Balearen aus<br />

berät, verrät er im Interview mit dem <strong>Versicherungsbote</strong>n.<br />

<strong>Versicherungsbote</strong>: Sie betreiben einen Youtube-Kanal<br />

über Versicherungen, wo Sie über Versicherungsthemen<br />

aufklären und informieren, sind mittlerweile aber<br />

auch auf anderen Kanälen unterwegs. Würden Sie sich<br />

als Influencer zu Versicherungsthemen beschreiben?<br />

Und wie kam die Idee, sich als Makler über Social Media<br />

zu präsentieren?<br />

Bastian Kunkel: Influencer ist ein Wort, das ich in diesem<br />

Zusammenhang immer öfter höre, weil ich auch öfter selbst<br />

so genannte werde. Ich würde mich aber nicht als solchen<br />

bezeichnen. Natürlich beeinflusse ich meine Zuschauer<br />

oder Follower mit meinem Content und auch durch die damit<br />

verbundene Aufklärung. Aber die meisten sogenannten<br />

Influencer zeichnen sich jetzt nicht unbedingt dadurch aus,<br />

dass sie ein super Fachwissen in irgendeinem Bereich haben<br />

und dieses der Masse bereit stellen, sondern eher durch das<br />

Aufbauen einer glamourösen Scheinwelt, in der alles toll ist,<br />

obwohl die Wirklichkeit ganz anders aussieht. Damit möchte<br />

ich mich nicht identifizieren. Ich bin einfach 100% ich.<br />

Und ich teile meinen Arbeitsalltag durch die sozialen Medien.<br />

Dass dies andere inspirieren könnte, ist natürlich spitze.<br />

18<br />

Wie oft posten Sie auf Youtube? Haben Sie keine Angst,<br />

dass Ihnen irgendwann die Themen ausgehen?<br />

Diese Frage kommt witzigerweise am häufigsten. Allerdings<br />

glaube ich nicht, dass mir jemals die Themen ausgehen<br />

werden. Ich veröffentliche jede Woche montags ein<br />

neues Video auf Youtube. Und meine Themenliste ist ellenlang.<br />

Neue Gesetze, aktuelle Anlässe und Diskussionen,<br />

neue Versicherungen und auch die Komplexität von<br />

Versicherungen machen es unmöglich, dass mir die Themen<br />

ausgehen werden. Das könnte ich theoretisch machen,<br />

bis ich 100 bin (lacht).<br />

„Erst verstehen, dann versichern“, heißt Ihr Slogan bei<br />

Youtube. Wir wissen selbst, wie schwierig es ist, komplexe<br />

und trockene Themen medial ansprechend aufzubereiten.<br />

Wie schaffen Sie es, diese unterhaltsam und locker<br />

zu vermitteln?<br />

Das Wichtigste ist, dass man authentisch ist. Das klingt<br />

fast schon abgedroschen, aber so ist es. Wenn jemand irgendwie<br />

aufgesetzt wirkt, dann merkt das der Zuschauer


sofort und es baut sich kein Vertrauen auf. Und Vertrauen<br />

ist eben das Wichtigste bei Versicherungen und gleichzeitig<br />

am schwersten zu generieren, da wir ja nicht gerade den<br />

geilsten Ruf haben als Versicherungsvermittler. Außerdem<br />

noch die Sprache der Zielgruppe sprechen, ab und an mal<br />

einen Witz einbauen, aber auch mal klar Stellung beziehen<br />

zu diversen Themen – das macht dann den Rest aus.<br />

…und welchen Aufwand erfordert es eigentlich, ein solches<br />

Video zu filmen: von der Idee zum fertigen Clip?<br />

Mittlerweile geht mir das recht flüssig von der Hand. Die<br />

Videorecherche und das Schneiden/ Bearbeiten des Videos<br />

im Nachgang benötigen die meiste Zeit. Ganz am Anfang<br />

war es genau umgekehrt. Da hat das Filmen am<br />

meisten Zeit beansprucht, weil ich so unsicher und nervös<br />

war, dass ich jedes Video 15-20 mal aufnehmen musste.<br />

Aber Übung macht immer noch den Meister.<br />

Wenn ich richtig informiert bin, sind Sie soeben nach<br />

Mallorca gezogen. Nun sind es nur zwei Flugstunden bis<br />

zur Insel. Aber ich nehme mal an, dass Sie sich für das<br />

Kundengespräch selten in den Flieger setzen. Wo sitzen<br />

Ihre Kundinnen und Kunden und wie beraten Sie diese?<br />

Meine Kunden sind zu 100 Prozent in Deutschland und<br />

werden von mir online beraten. Dazu nutze ich entsprechende<br />

Tools, wie zum Beispiel Flexperto zur Online-Beratung,<br />

Terminpilot zur Online-Terminvereinbarung<br />

oder nutze auch ganz klassisch die Email. Für die Kundenbindung<br />

sind darüber hinaus Instagram und Youtube sehr<br />

wichtig. Die meisten meiner Kunden habe ich also noch<br />

nie persönlich getroffen.<br />

Sie sind ein vergleichsweise junger Makler, die Branche<br />

hat ein Nachwuchsproblem. Wie würden Sie denn anderen<br />

potentiellen Nachwuchskräften den Beruf des Maklers<br />

schmackhaft machen? Drei Gründe, warum es sich<br />

lohnt, Makler zu sein!<br />

Das Berufsbild des Versicherungsmaklers ist in meinen<br />

Augen attraktiver denn je. Man ist als junger Makler heutzutage<br />

weit entfernt vom Image des „Klinkenputzers“ und<br />

hat zig Möglichkeiten, sein Versicherungsmaklerdasein zu<br />

gestalten. Ich denke, man muss stärker aufzeigen, was alles<br />

möglich ist in diesem Beruf und dass ein junger<br />

Mensch sich hier komplett als Unternehmer entfalten<br />

kann. Er nimmt dadurch für seine Mitmenschen eine<br />

enorm wichtige Rolle ein, nämlich die Absicherung von<br />

aktuellen und zukünftigen Existenzen.<br />

Wenn man Ihren Instagram-Account anschaut, reisen Sie<br />

gern. „Mein Büro habe ich im Rucksack“, lautet einer Ihrer<br />

Slogans. Man verbindet das Maklersein mit langen<br />

Arbeitszeiten, wenig Freizeit, ständigen Fahrten zu Kundinnen<br />

und Kunden. Ein Klischee? Gehört die Zukunft<br />

dem Backpacker-Makler?<br />

Wer will, kann als Versicherungsmakler von überall aus<br />

arbeiten. Lange Fahrten im Auto sind auch nicht mehr<br />

nötig. Laptop, Internet, fertig. Mehr brauche ich heute als<br />

Versicherungsmakler nicht mehr. Meine Post kommt<br />

ebenfalls digital. Und Anträge werden auch elektronisch<br />

verschickt. Ich weiß nicht, ob dem Backpacker-Makler die<br />

Zukunft gehört. Aber Fakt ist: wenn man so arbeiten<br />

möchte als Makler, dann geht das absolut. Und meine<br />

(jungen) Kunden finden das absolut cool.<br />

Sie haben den Weg in die Selbstständigkeit gewählt – obwohl<br />

Sie auf der Webseite berichten, dass Sie als Student<br />

nebenbei als Werksstudent gearbeitet haben, um sich zu<br />

finanzieren. Wo bekommen denn angehende Makler<br />

Startkapital für ihren Beruf und Unterstützung? Haben<br />

Sie da Tipps?<br />

Das ist eine sehr gute Frage. Ich hatte keinen Bestand, den<br />

ich zu Beginn gekauft oder übernommen habe. Ich denke,<br />

dass dies auch eine der größten Hürden ist zu Beginn: Wie<br />

komme ich an meine ersten Kunden? Und zwar nachhaltig!<br />

Ich hatte mich für ein „nebenberufliches Gründen“<br />

entschieden. Dadurch ist kein Druck entstanden. Ich<br />

konnte viel ausprobieren und dann den Schritt in die volle<br />

Selbstständigkeit gehen: als ich gesehen habe, dass das,<br />

was ich als Versicherungsmakler so treibe, auch tatsächlich<br />

funktioniert. Das ist eine Option, die ich definitiv<br />

empfehlen kann. Allerdings fällt mir nicht wirklich mehr<br />

hierzu ein. Was daran liegen kann, dass ich in diesem Bereich<br />

zu wenig informiert bin oder dass es schlichtweg zu<br />

wenig „Start-Hilfe“ gibt für junge Versicherungsmakler.<br />

Tut sich die Versicherungsbranche aus Ihrer Sicht grundsätzlich<br />

schwer, eine junge Zielgruppe als Kunden sowie<br />

potentielle Arbeitskräfte anzusprechen? Und wenn ja,<br />

weshalb?<br />

Total. Sowohl die Kundenansprache als auch die Ansprache<br />

in Richtung potentieller Mitarbeiter ist mehr als nur<br />

optimierungsbedürftig. Ich habe verstärkt das Gefühl,<br />

dass eine Branche, die im Grunde uncoole Produkte vertreibt,<br />

plötzlich versucht „cool“ zu wirken. Das kann nicht<br />

klappen. Das kauft man der Versicherungsbranche auch<br />

19


nicht ab. Hier musseinkomplettandererAnsatzher.<br />

Versicherungen werden niemals cool und hip werden.<br />

Egal, wie man sie anmalt.<br />

Die Branche hat auch ein schlechtes Image: Dem Makler<br />

hängt der Ruf des Klinkenputzers an, vergleichbar<br />

mit dem Staubsauger- und Lamadeckenverkäufer. Sie<br />

selbst haben neben der Ausbildung zum Kaufmann<br />

auch studiert und stehen für den Wandel hin zu einem<br />

hochqualifizierten Beruf. Was kann bzw. muss aus Ihrer<br />

Sicht getan werden, um den Ruf des Maklerberufs zu<br />

verbessern?<br />

Man sollte alles daran setzen, auch die letzten schwarzen<br />

Schafe zu entlarven. Denn diese schaden dem Ruf<br />

enorm. Es reicht einer unter 1.000, der ordentlich Mist<br />

baut, um das Meinungsbild in der Öffentlichkeit zu verzerren.<br />

Dazu sollten auch endlich diverse „Anwerbungspraktiken“<br />

eingestellt werden, mit denen man eben auch<br />

die falschen Leute mit den falschen Motiven anlockt.<br />

Leider bekomme ich immer wieder mit, dass solche<br />

Praktiken noch weiter eingesetzt werden.<br />

Manche Versicherer verkaufen schon Policen über digitale<br />

Sprachtools wie Alexa.<br />

Meine persönliche Einstellung dazu – und die werden<br />

viele wohl nicht teilen oder verstehen – ist die, dass ich<br />

jeden Tag mit Hochdruck daran arbeite, meinen eigenen<br />

Job überflüssig zu machen. Ich teste ständig neue Prozesse<br />

oder Automatismen, die mir meinen Alltag als Versicherungsmakler<br />

noch leichter machen und einen Teil<br />

meiner Arbeit übernehmen. Das hat mit meinen Youtube-Videos<br />

angefangen, die einen Kunden schon vor der<br />

Beratung aufklären, geht weiter über automatisierte Online-Terminvereinbarungen<br />

bis hin zu einer Art virtuellem<br />

Video-Makler. Sprachassistenten sehe ich persönlich<br />

noch sehr in den Kinderschuhen. Ich teste das immer mal<br />

wieder, aber da habe ich die Daten doch immer noch<br />

schneller in einen Vergleichsrechner getippt ;).<br />

Das Interview mit Bastian Kunkel<br />

führte Mirko Wenig<br />

Nun könnte man ja sagen, dass Dienste wie Ihrer auch<br />

einen Beitrag leisten, den Makler überflüssig zu machen:<br />

Dass zum Beispiel eine Art virtueller Video-Makler den<br />

Kunden standardisiert bis zum Produktabschluss leitet.


Advertorial<br />

Swiss Life pusht erfolgreich Konsortialgeschäft<br />

Swiss Life hat die Veranstaltungsreihe<br />

„Branchenversorgungstage<br />

<strong>2019</strong>“ an elf<br />

Standorten in Deutschland<br />

erfolgreich durchgeführt, unter<br />

anderem in Hamburg,<br />

Halle und Bayreuth. Insgesamt konnten sich mehr als 300<br />

Teilnehmer von den Vorteilen und der Exklusivität der<br />

Versorgungswerke MetallRente und KlinikRente persönlich<br />

überzeugen.<br />

In mehreren Kurzvorträgen wurden Neuerungen, Chancen<br />

und exklusive Lösungen aus den Wachstumsbranchen<br />

Metall- und Elektroindustrie sowie der Gesundheitswirtschaft<br />

vorgestellt und mit Experten von Swiss Life diskutiert.<br />

Besonderen Anklang fand der neu vorgestellte<br />

Zugang ins Versorgungswerk KlinikRente ab einer Belegschaftsgröße<br />

von zehn Mitarbeitern, was den Vermittlern<br />

ein enormes Potenzial, vor allem im ambulanten Behandlungsbereich,<br />

eröffnet.<br />

Bedarfs- und zielgruppengerechte Einkommenssicherung<br />

Auf die aktuellen Marktanforderungen reagieren beide<br />

Versorgungswerke mit zeitgemäßen Produktangeboten.<br />

Für diese Zielgruppen stehen speziell zugeschnittene Einkommens-<br />

und Arbeitskraftabsicherungskonzepte zur<br />

Verfügung. Neben den mehrfach ausgezeichneten Berufsunfähigkeitslösungen<br />

umfasst das Angebot eine private<br />

Erwerbminderungsrente sowie Lösungen der Grundfähigkeitsabsicherung.<br />

Zusätzlich zum hervorragenden<br />

Bedingungswerk überzeugte die Teilnehmer die hohe<br />

Identifikation der Versicherten zu den Versorgungswerken<br />

und die damit verbundene Bestandssicherheit.<br />

Riester: Renaissance der 10a-Förderung<br />

Eine Renaissance wird das Thema Riesterförderung erleben.<br />

Gerade durch den Wegfall der Doppelverbeitragung<br />

und die deutliche Erhöhung der Grundzulage in Verbindung<br />

mit den kostengünstigen Angeboten der Versorgungswerke<br />

ist die Riester-Rente für eine sehr große<br />

Personengruppe hochattraktiv.<br />

Seit dem 15. Mai <strong>2019</strong> bietet neben dem Versorgungswerk<br />

MetallRente nun auch das Versorgungswerk KlinikRente<br />

ein Angebot zur betrieblichen Riesterförderung an, die<br />

KR.Riester.bAV. Gemeinsam mit der Förderung nach<br />

§100 EStG könnten so von den Arbeitgebern „Matching-<br />

Pläne“ angeboten werden, die immer mit der optimalen<br />

staatlichen Förderung ausgestattet sind.<br />

Digitalisierung und Vertriebsunterstützung<br />

Last but not least bieten die Berater-Portale der Versorgungswerke<br />

eine hervorragende Vertriebsunterstützung<br />

in analoger und digitaler Form. Die Personalisierung von<br />

Druckstücken für die Arbeitnehmer- und Arbeitgebergespräche<br />

sowie eine individualisierte Microsite schafft für<br />

den Berater einen optimalen Marktauftritt.<br />

Hier finden Sie weitere Informationen zu den Vorsorgelösungen<br />

von Swiss Life in Zusammenarbeit mit den Partnern<br />

MetallRente und KlinikRente.<br />

Außerdem bieten wir regelmäßig Webinare hierzu in unserem<br />

Swiss Life Online-Campus an.<br />

MetallPensionsfonds: Kapitalmarktnahe, zukunftsorientierte<br />

Altersvorsorge<br />

Begeistert aufgenommen wurde die Vorstellung des MetallPensionsfonds:<br />

Die äußerst attraktive Rendite zur Erzielung<br />

einer wirkungsvollen Altersversorgung gefiel den<br />

Teilnehmern dabei besonders gut. Auch konnten im Vortrag<br />

Vorurteile ausgeräumt werden, da der Umgang mit<br />

dem MetallPensionfonds genauso einfach ist wie der<br />

Durchführungsweg der Direktversicherung.


Vermögensaufbau durch fremdfinanzierten<br />

Immobilienerwerb: „Hebeleffekt“<br />

kann sich auszahlen<br />

Marco Mahling<br />

Versicherungsmakler und<br />

Finanzberater aus München<br />

Mit Immobilien als Kapitalanlage lassen sich hohe Renditen erzielen – wenn Sie als Anleger<br />

den Hebeleffekt nutzen. Das bedeutet: Sie finanzieren den Kaufpreis zu einem größeren Teil<br />

durch einen Bankkredit. So vervielfacht sich die Rendite immer dann, wenn die Mieteinnahmen<br />

über den Kreditkosten liegen. Aber Achtung: Kreditfinanzierte Anlagen sind immer riskant,<br />

weil sich der Zins nach Ablauf der Zinsbindung (zum Beispiel nach zehn, fünfzehn oder<br />

zwanzig Jahren) verändern kann.<br />

Hebelwirkung – was ist das?<br />

Unter der Hebelwirkung – auch bezeichnet als „Leverage-Effekt“<br />

– wird verstanden: Zur Steigerung der Eigenkapitalrendite<br />

wird Fremdkapital eingesetzt, um eine<br />

Investition zu finanzieren. Mit der Hebelwirkung aber<br />

haben wir erst dann zu tun, wenn ein Anleger Fremdkapital<br />

zu günstigeren Konditionen aufnimmt, als die Investition<br />

an Gesamtkapitalrentabilität erzielt. Es muss<br />

sich also für den Anleger rechnen.<br />

Die Berechnung der Eigenkapitalrendite<br />

Der Kaufpreis einer Wohnung beträgt 100.000 Euro.<br />

Die Finanzierungssumme beträgt 90.000 Euro.<br />

Aufgrund einer monatlichen Miete in Höhe von<br />

300 Euro werden jährlich 3.600 Euro Miete eingenommen.<br />

Jährliche Zinszahlung belaufen sich auf 1.500 Euro<br />

(=1,5 Prozent).<br />

Erzielen Sie mit Ihrem Objekt einen Jahresreinertrag<br />

von 3.600 Euro pro Jahr, ergibt sich bei einem Eigenkapitaleinsatz<br />

(ohne Kaufpreisnebenkosten) von 10.000 Euro<br />

eine Eigenkapitalrendite von 21 Prozent.<br />

Wenn Sie sich kein Geld leihen, sondern eine Immobilie<br />

zu 100 Prozent aus Eigenkapital finanzieren, sind die<br />

Objektrendite und die Eigenkapitalrendite identisch.<br />

Das ändert sich allerdings, sobald Sie Ihr Investment<br />

durch eine Immobilienfinanzierung hebeln. Die Formel<br />

für die Berechnung der Eigenkapitalrendite sieht dann<br />

wie folgt aus: (Siehe Baukasten)<br />

Veranschaulichen lässt sich diese Formel über ein Beispiel.<br />

Folgendes sei angenommen:<br />

Jährlicher Mietertrag minus jährliche<br />

Zinszahlungen = Jahresreinertrag<br />

Jahresreinertrag dividiert durch eingesetztes<br />

Kapital multipliziert mit 100 =<br />

Eigenkapitalrendite in Prozent<br />

22


Leverage-Effekt: Rendite nicht ohne Risiko<br />

Je niedriger das eingesetzte Eigenkapital ist, desto höher<br />

fällt generell die Eigenkapitalrendite aus. In der Betriebswirtschaftslehre<br />

spricht man vom sogenannten<br />

Leverage-Effekt: Indem mehr Fremdkapital aufgenommen<br />

wird, fällt die Rendite auf das Eigenkapital entsprechend<br />

höher aus. Nun mag es verlockend klingen,<br />

durch viel Fremdkapital die Eigenkapitalrendite zu hebeln.<br />

Aber auch Risiken der Fremdfinanzierung sollten<br />

für die Kalkulation berücksichtigt werden. Denn der<br />

Hebel kann ebenso ins Negative umkippen – etwa,<br />

wenn es zu Mietausfällen kommt und der Kreditzins die<br />

Rendite übersteigt.<br />

Kapitalanlagen im Renditevergleich: Absparen<br />

vs. Ansparen<br />

bedacht werden müssen. Nach einer Laufzeit von 25 Jahren<br />

ist das Darlehen getilgt und der Investor hat unter<br />

Berücksichtigung einer durchschnittlichen Wertsteigerung<br />

der Immobilie von 1,5 Prozent einen Vermögenswert<br />

von 290.189 Euro erwirtschaftet. Die monatliche<br />

Bruttomiete beträgt zu diesem Zeitpunkt 783 Euro, diese<br />

Einnahmen sind noch zu versteuern. Der Vermögenswert<br />

der Immobilie wächst jedoch nun während der<br />

Rentenphase noch weiter. Gleichzeitig stehen dem Investor<br />

steigende Mieterträge zur Verfügung. Unter diesen<br />

Bedingungen hat sich, nach weiteren 18 Jahren<br />

Laufzeit, der Vermögenswert auf 379.375 Euro<br />

und die monatlich zu erzielende Bruttomiete auf<br />

1.024 Euro erhöht.<br />

2.) Vermögensaufbau durch Ansparen<br />

1.) Vermögensaufbau durch Immobilienerwerb<br />

Trotz der Risiken kann sich der Vermögensaufbau<br />

durch fremdfinanzierten Immobilienerwerb gegenüber<br />

dem Ansparen von Vermögen lohnen. Das sei im Folgenden<br />

durch eine Modellrechnung verdeutlicht, die erzielte<br />

Vermögenswerte des „Absparens“ dem<br />

„Ansparen“ gegenüberstellt:<br />

Angenommen, die Investitionssumme von 200.000 Euro<br />

wird durch ein Bankdarlehen fremdfinanziert (Hebeleffekt)<br />

und die dadurch anfallenden Zins- und Tilgungsverpflichtungen<br />

werden im Wesentlichen durch<br />

die erwirtschafteten Mieteinnahmen der Immobilie gedeckt.<br />

Im ersten Jahr wird eine monatliche Bruttomiete<br />

von 540 Euro erzielt. Außerdem ergeben sich durch den<br />

Immobilienerwerb steuerliche Vorteile, welche die<br />

durchschnittliche monatliche Eigeninvestition noch<br />

deutlich reduzieren und ebenfalls für die Kalkulation<br />

Wie aber sieht die Bilanz des Vermögensaufbaus beim<br />

Ansparen des Vermögens aus? Trotz gleicher Eigenkapitaleinlage<br />

und gleichem monatlichem Aufwand steht<br />

dem Investor nach einer Laufzeit von 25 Jahren, unter<br />

Zugrundelegung einer Verzinsung seines Kapitals von<br />

3Prozentjährlich,lediglicheinVermögenswertvon<br />

132.092 Euro nach Abgeltungsteuer zur Verfügung. Im<br />

Gegensatz zur Immobilieninvestition erfährt der Vermögenswert<br />

jedoch keine weitere Wertsteigerung, sondern<br />

wird bei einer Kapitalentnahme, zum Beispiel in<br />

Form einer monatlichen Rente, in wenigen Jahren vollständig<br />

aufgebraucht. Im ersten Jahr der Rentenphase<br />

wird dem angesparten Kapitalwert von 132.092 Euro<br />

eine monatliche Rente von 783 Euro entnommen. Dieser<br />

Betrag entspricht der Nettomiete beim lmmobillienerwerb.<br />

Nimmt man nun bei Berechnung der<br />

Wertentwicklung an, dass die monatlichen Entnahmen<br />

konstant bleiben, wäre unter diesen Voraussetzungen<br />

der Vermögenswert des Sparvertrages innerhalb von<br />

ca. 18 Jahren vollständig verzehrt.<br />

23


Würden die monatlichen Entnahmen vielleicht sogar im<br />

gleichen Verhältnis steigen wie die Mieteinnahmen<br />

durch die Immobilie, wäre das angesparte Kapital bereits<br />

zwei Jahre früher aufgebraucht.<br />

Weitere Vorteile des Immobilienerwerbs:<br />

Aber auch weitere Faktoren sprechen dafür, den „Hebeleffekt“<br />

für einen Immobilienerwerb zu nutzen:<br />

▷ Eine Refinanzierung der Immobilie durch Mieteinnahmen<br />

und Steuervorteile wird möglich.<br />

▷ Eine Immobilieninvestition bietet echte Substanzwerte.<br />

▷ Das erwirtschaftete Vermögen sowie die zukünftigen<br />

Erträge sind vererbbar und verzehren sich<br />

nicht.<br />

▷ Die Vermietung der Immobilie sichert eine inflationsgeschützte<br />

Dauerrente.<br />

Zum Rentenbeginn können Sie aber auch zwischen<br />

zwei Möglichkeiten wählen: Entweder Sie verkaufen die<br />

Immobilie (der Gewinn ist nach 10 Jahren Haltedauer<br />

steuerfrei) oder Sie generieren aus den Mieteinnahmen<br />

eine (steuerpflichtige) Zusatzrente.<br />

Das Sachwertvermögen zum Rentenbeginn übersteigt i.<br />

d. R. das Ansparkapital.<br />

Ein Gastkommentar von Marco Mahling<br />

Foto: nzphotonz/iStockphoto.com


Megatrend Nachhaltigkeit: Vom<br />

magischen Kapitalanlage-Dreieck<br />

zum -Viereck<br />

Rudolf Geyer<br />

Sprecher der Geschäftsführung der<br />

European Bank for Financial<br />

Services GmbH (ebase®)<br />

Rudolf Geyer ist Sprecher der Geschäftsführung der European Bank for Financial Services<br />

GmbH (ebase®). Als eine der führenden B2B-Direktbanken in Deutschland verwaltet ebase<br />

ein Kundenvermögen von rund 34 Mrd. Euro. Finanzvertriebe, Versicherungen, Banken, Vermögensverwalter<br />

und andere Unternehmen nutzen für ihre Kunden die mandantenfähigen<br />

Lösungen von ebase für die Depot- und Kontoführung.<br />

Nachhaltige Geldanlagen sind auf dem<br />

Vormarsch<br />

Das Thema nachhaltige Geldanlage hat in den letzten<br />

Jahren deutlich an Relevanz gewonnen. Unter nachhaltigen<br />

Anlagen oder Social Responsible Investments (SRI)<br />

werden eine Reihe unterschiedlicher Investments subsumiert,<br />

bei denen besondere Rücksicht auf ökologische,<br />

soziale und ethische Kriterien sowie gute Unternehmensführung<br />

(Governance) genommen wird. Der Markt<br />

für nachhaltige Investments ist in den letzten Jahren<br />

stark gewachsen. Dabei wurde das Angebot ausgebaut.<br />

Und auch das Interesse auf Kundenseite ist deutlich gestiegen.<br />

Nach den Zahlen des Forums nachhaltige Geldanlage<br />

sind in Deutschland bereits knapp 220 Milliarden<br />

Euro in nachhaltige Anlagen investiert. Fast zwei Drittel<br />

davon entfallen auf Investmentfonds sowie Mandate.<br />

Das Magische Dreieck der Kapitalanlage<br />

entwickelt sich zum Viereck<br />

Infolge des wachsenden Interesses an nachhaltigen Kapitalanlagen<br />

verändert sich der Entscheidungsrahmen der<br />

Anleger zunehmend. Das „magische Dreieck“ der Kapitalanlage<br />

– Rendite, Risiko und Liquidität –, welches die<br />

Anlageentscheidungen seit langer Zeit bestimmt hat,<br />

wird zunehmend zu einem Viereck. Nachhaltigkeit ist<br />

bei zahlreichen Anlegern zur vierten Entscheidungsdimension<br />

geworden. Denn einer Vielzahl von Privatanlegern,<br />

aber auch Firmen und Stiftungen ist es wichtig,<br />

ihre Nachhaltigkeitsanforderungen auch bei der Kapitalanlage<br />

berücksichtigen zu können.<br />

Privatanleger haben großes Interesse, benötigen<br />

aber entsprechende Informationen<br />

Eine kürzlich von ebase durchgeführte repräsentative<br />

Befragung unter 1.000 Personen hat belegt, dass das Thema<br />

nachhaltige Kapitalanlage immer mehr in der Mitte<br />

der Gesellschaft ankommt. Knapp 40 Prozent der Deutschen<br />

sind der Meinung, dass nachhaltige Kapitalanlagen<br />

in den nächsten 12 Monaten weiter an Bedeutung<br />

gewinnen werden, nur deutlich weniger als zehn Prozent<br />

gehen davon aus, dass die Bedeutung eher zurückgeht.<br />

Dabei rechnen insbesondere Personen unter<br />

40 Jahren sowie solche mit hohen Einkommen mit einer<br />

25


zunehmenden Relevanz. Nachhaltigkeit gewinnt dabei<br />

nicht nur abstrakt an Bedeutung, sondern wird tatsächlich<br />

ein immer wichtigerer Faktor bei Anlageentscheidungen.<br />

Das zeigt sich daran, dass mehr als 50 Prozent<br />

der Deutschen entsprechende Kriterien bei zukünftigen<br />

Anlagen berücksichtigen wollen.<br />

Auf Basis dieser Zahlen wird das Potential nachhaltiger<br />

Geldanlagen deutlich. Damit dieses jedoch auch praktisch<br />

genutzt werden kann, müssen einige Hürden gemeistert<br />

werden. Ein wichtiger Grund, warum bisher<br />

nicht oder nur wenig in nachhaltige Anlagen investiert<br />

wurde, sind fehlende Informationen.<br />

So ist es Kunden vielfach<br />

nicht möglich, die Anlagen zu<br />

identifizieren, die ihrer Vorstellung<br />

von einem nachhaltigen Investment<br />

entsprechen. Um hier<br />

Abhilfe zu schaffen, bietet ebase<br />

die Möglichkeit, bei der Fondsauswahl<br />

unterschiedliche Nachhaltigkeitskriterien<br />

über einen<br />

speziellen Filter zu berücksichtigen.<br />

So kann gezielt nach Fonds<br />

gesucht werden, die den eigenen<br />

Nachhaltigkeitsanforderungen<br />

entsprechen, wie beispielsweise „frei von Tierversuchen“<br />

oder „frei von Atomenergie“.<br />

Entwicklung der Handelsaktivität bei nachhaltigen<br />

Fonds bestätigt großes Interesse<br />

Auch die Nachfrage nach nachhaltig anlegenden Fonds<br />

belegt die Bedeutung des Themas. So haben die ebase-<br />

Kunden in <strong>2019</strong> bisher deutlich mehr Anteile an Fonds<br />

gekauft, die unterschiedliche Nachhaltigkeitskriterien<br />

und -ansätze umsetzen, als im selben Zeitraum verkauft<br />

wurden. Dies untermauert, dass trotz der eher volatilen<br />

Marktphase zu Jahresbeginn das Interesse an nachhaltigen<br />

Kapitalanlagen sehr groß ist. Anders als noch vor einigen<br />

Jahren handelt es sich nicht mehr um ein<br />

Nischenthema, vielmehr ist es beim Großteil der Anleger<br />

in den Fokus gerückt.<br />

Auch Vermittler rechnen mit einer steigenden<br />

Nachfrage<br />

26<br />

Ein wichtiger Grund,<br />

warum bisher nicht<br />

oder nur wenig in<br />

nachhaltige Anlagen<br />

investiert wurde,<br />

sind fehlende Informationen.<br />

Die Ergebnisse einer im Juli von ebase durchgeführten<br />

Umfrage unter 129 Vermittlern bestätigen diesen Trend.<br />

Sie zeigen, dass auch seitens der Berater von einer weiter<br />

wachsenden Bedeutung des Themas Nachhaltigkeit ausgegangen<br />

wird. Mehr als 90 Prozent der Befragten gehen<br />

davon aus, dass die Bedeutung von nachhaltigen Anlagen<br />

im Privatkundengeschäft innerhalb der nächsten<br />

drei Jahre (stark) steigen wird. Nahezu niemand erwartet<br />

eine sinkende Relevanz.<br />

Zahlreiche Faktoren signalisieren weiteres<br />

Wachstum nachhaltiger Anlagen<br />

Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass<br />

eine Reihe von Gründen für eine weiterhin wachsende<br />

Bedeutung von nachhaltigen<br />

Geldanlagen spricht. Denn nicht<br />

nur das Interesse bei den Kunden<br />

nimmt stetig zu, auch seitens des<br />

Gesetzgebers wird nachhaltigen<br />

Anlagen zunehmend mehr Bedeutung<br />

eingeräumt. So haben<br />

sich beispielsweise die EU-Kommission<br />

und Experten in deren<br />

Auftrag intensiv damit befasst.<br />

Ergebnis ist, dass eine nachhaltige<br />

Unternehmenspolitik und Geschäftspraxis<br />

gefördert werden<br />

sollen. Dies wird unter anderem<br />

auch eine zunehmende Kapitalallokation in nachhaltigen<br />

Geldanlagen zur Folge haben. Speziell dem Kunden<br />

gegenüber soll zudem bei nachhaltigen Kapitalanlagen<br />

eine größere Transparenz geschaffen werden. Banken<br />

und Vermittlern kommt in diesem Zusammenhang im<br />

Rahmen der Anlageberatung eine zentrale Rolle zu. So<br />

soll in der Kundenanalyse gezielt auch auf Nachhaltigkeit<br />

eingegangen werden.<br />

Ein Gastkommentar von Rudolf Geyer


27


<strong>Versicherungsbote</strong>: „grün versichert“ ist ein Maklerhaus,<br />

das seinen Kundinnen und Kunden nachhaltige Versicherungen<br />

anbieten will. Können Sie sich kurz vorstellen?<br />

Seit wann sind Sie mit dem Schwerpunkt „grüne<br />

Versicherung“ am Markt? Und wie sind Sie aufgestellt?<br />

Andreas Maul: grün versichert wurde im Jahr 2014 als<br />

Versicherungsmakler gegründet. Und Anfang 2016 konnten<br />

wir bereits die nachhaltige Privathaftpflichtversicherung<br />

auf den Markt bringen. Mittlerweile gibt es für<br />

Privatkunden die gesamte relevante Produktpalette als<br />

„grün versichert“-Variante. Wir diskutieren nun Optionen,<br />

wie wir unseren Maklerstatus aufgeben können, um<br />

uns komplett der Entwicklung und weiteren Bekanntmachung<br />

von „grün versichert“-Tarifen zu widmen.<br />

Andreas Maul<br />

Geschäftsführer des<br />

Maklerhauses „grün versichert“<br />

Nachhaltige<br />

Versicherung –<br />

Die Kosten liegen<br />

leicht über konventionellen<br />

Tarifen<br />

Das Maklerhaus „grün versichert“ aus Hamm<br />

setzt auf nachhaltige Versicherungen: „Unsere<br />

Vision ist es, Kapitalströme aus schädlichen<br />

Industriezweigen in ökologische und<br />

nachhaltige umzuleiten“, heißt es auf der<br />

Webseite des Unternehmens. Der <strong>Versicherungsbote</strong><br />

hat mit Geschäftsführer Andreas<br />

Maul gesprochen.<br />

Wie kam es dazu, dass Sie sich auf „grün versichert“ spezialisiert<br />

haben? Und war es schwer, hierfür Kooperationspartner<br />

zu finden?<br />

Das Thema Nachhaltigkeit hat den Initiatoren von „grün<br />

versichert“ immer am Herzen gelegen. Genau aus diesem<br />

Grund kam – durch das Mangelempfinden, dass es bis<br />

dato keine nachhaltigen Sachversicherungslösungen im<br />

Markt gab – die Idee, sich diesem Thema zu widmen und<br />

für eine wachsende Zielgruppe ein transparentes Angebot<br />

zu schaffen.<br />

Aller Anfang ist schwer, dies galt natürlich auch beim<br />

ersten Schritt der Suche nach Risikoträgern für die „grün<br />

versichert“-Tarife. Heute sieht das anders aus, was uns<br />

natürlich freut – und unterstreicht, dass sich das Thema<br />

mittlerweile im Markt etabliert hat.<br />

Was bedeutet aus Ihrer Sicht „grün versichert“? Können<br />

Sie dieses „grün“ charakterisieren: Was zeichnet eine<br />

grüne Versicherung aus?<br />

Die „grün versichert“-Tarife unterscheiden sich in drei<br />

Punkten vom Großteil der anderen Tarife auf dem<br />

Markt. Erstens: Die Kunden erhalten bei Abschluss von<br />

„grün versichert“-Tarifen die Bestätigung, dass 100 Prozent<br />

des Nettobeitrags durch die Versicherer in nachhaltige<br />

Kapitalanlagen investiert werden. Zweitens: Kunden<br />

oder Geschädigte werden nach einem Schadensfall bei einem<br />

Großteil der Tarife mit einer Mehrleistung je nach<br />

Tarif von bis zu 60 Prozent belohnt, wenn auf nachhaltige<br />

Produkte oder nachhaltige Unternehmen zurückgegriffen<br />

wird. Drittens: Für jeden neuen Vertrag –<br />

unabhängig davon, wer ihn vermittelt hat – pflanzen wir<br />

über die WeForest Foundation einen Baum. So konnten


wir in relativ kurzer Zeit bereits mehr als 20.000 Bäume<br />

pflanzen.<br />

Viele Firmen geben sich einen grünen Anstrich, indem sie<br />

Greenwashing betreiben: Ein sehr kleiner Anteil der Gelder<br />

wird nachhaltig investiert oder produziert, um damit<br />

zu werben. Aber der Großteil wird noch immer mit Investments<br />

verdient, die zum Beispiel Menschenrechtsverletzungen,<br />

Kinderarbeit und Umweltzerstörung<br />

beinhalten. Können Sie dies für Ihre Produkte ausschließen<br />

bzw. welcher Anteil der Gelder fließt tatsächlich in<br />

nachhaltige Investments?<br />

Sie haben Recht: Für Kunden ist es schwierig, einzuschätzen,<br />

ob es sich wirklich um ein nachhaltiges Angebot handelt<br />

oder nicht. Bei den „grün versichert“-Tarifen haben<br />

sich die Risikoträger jedoch dazu verpflichtet, die Nettobeitragseinnahmen<br />

nachhaltig anzulegen. Und sie weisen<br />

uns dies nach.<br />

Können Sie Beispiele nennen, welche Projekte und Investments<br />

Sie mit Ihren Versicherungen unterstützen?<br />

Wohin fließt das Geld konkret?<br />

Beispielsweise in den Greenbond der DKB, mit dem der<br />

Aufbau von Windkraftanlagen finanziert wird. Oder in<br />

den grünen Pfandbrief der Berlin Hyp, mit dem die energetische<br />

Sanierung von Bestandsimmobilien finanziert<br />

wird, wodurch perspektivisch weniger CO2 in die Umwelt<br />

gelangt.<br />

…undwiekontrollierenSie,dassdieKunden-Geldertatsächlich<br />

grün investiert werden?<br />

Die Partner-Versicherer melden uns den aktuellen Vertragsstand<br />

sowie das Beitragsvolumen und weisen dann die<br />

getätigten Investitionen nach. Um Transparenz für die<br />

Kunden zu schaffen, veröffentlichen wir dann aggregiert<br />

auf unserer Webseite, wieviel Geld in welche Anlagen geflossen<br />

ist.<br />

Wirkt sich grünes Investment auf die Versicherungsprämie<br />

aus? Müssen die Versicherten etwas mehr zahlen als<br />

für „herkömmliche“ Policen?<br />

Die Kosten liegen leicht über den konventionelle Tarifen,<br />

da mehrheitlich in den Tarifen auch besondere Klauseln<br />

mit versichert sind, die im Schadenfall zu einer Mehrleistung<br />

führen.


Sie kooperieren auch mit anderen Maklern, welche grüne<br />

Versicherungen anbieten wollen. Wie sehen diese Kooperationen<br />

aus – und wie kann ein Makler mit Ihnen<br />

zusammenarbeiten?<br />

Für Makler ist es ganz einfach, „grün versichert“-Tarife<br />

an ihre Kunden zu vermitteln, ohne dass hierfür eine Kooperation<br />

mit uns erforderlich ist. Wir sind Lizenzgeber,<br />

die mit uns kooperierenden Versicherer<br />

Lizenznehmer. Und wir<br />

haben kein Vertragsverhältnis<br />

mit den Maklern. Durch dieses<br />

Konstrukt wird ein schlanker<br />

Prozess gewährleistet. Und es ist<br />

sichergestellt, dass wir keinerlei<br />

Zugang zu Kundendaten erhalten.<br />

Als Makler kann man einfach<br />

seine Direktanbindung an den jeweiligen<br />

Versicherer nutzen oder<br />

kann über einen Maklerpool die<br />

Anträge einreichen. Die „grün<br />

versichert“-Tarife sind bei allen relevanten Pools unter<br />

unserem Namen und Logo zu finden.<br />

Wer sind Ihre Kundinnen und Kunden? Lässt sich eine<br />

gewisse Zielgruppe identifizieren, die bevorzugt bei Ihnen<br />

abschließt?<br />

Da die Themen soziale Verantwortung und Nachhaltigkeit<br />

in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, sind<br />

nachhaltige Versicherungslösungen grundsätzlich für jeden<br />

Kunden interessant. Es haben sich allerdings zwei<br />

Kundengruppen herauskristallisiert, die besonders affin<br />

für dieses Thema sind: Junge Erwachsene nach der Ausbildung<br />

oder dem Studium, die ihre ersten Versicherungen<br />

benötigen. Und überdurchschnittlich gut gebildete<br />

Paare und Familien mit einem überdurchschnittlich hohen<br />

Einkommen, im Alter zwischen 30 und 45 Jahre.<br />

Langsam setzt in der Branche ein Umdenken ein: Die<br />

Allianz will bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden, ein<br />

Teil der Gelder wird nach „Environment Social Governance“-Kriterien<br />

angelegt. Allerdings ist das auch eine<br />

sehr lange Zeit. Macht aus Ihrer Sicht die Versicherungsbranche<br />

genug, um nachhaltig zu wirken?<br />

30<br />

Es ist bemerkenswert<br />

und bewundernswert,<br />

mit<br />

welcher Ausdauer<br />

die Schüler sich für<br />

das Thema Nachhaltigkeit<br />

einsetzen.<br />

Meiner Meinung nach ja. Dass sich die Allianz grundsätzlich<br />

mit dem Thema befasst, ist ein erster guter Ansatz.<br />

Der Zeithorizont bis 2050 ist allerdings zu lang – hier<br />

wird wertvolle Zeit verschenkt. Neben der Allianz befassen<br />

sich auch weitere Versicherer mit dem Thema. Allerdings<br />

gehen nur die wenigsten aus der outside-in-Perspektive<br />

wirklich konsequent hier heran. Die Versicherer<br />

könnten auf Öko-Strom setzen, Emissionen der Dienstreisen<br />

und des Geschäftsbetriebs ausgleichen oder einfach<br />

wie wir für jeden neuen Antrag einen Baum<br />

Pflanzen.<br />

„Fridays for future“ bestimmt aktuell<br />

die Debatten, eine Klimasteuer<br />

wird in Deutschland<br />

diskutiert. Wie positionieren Sie<br />

sich selbst zu den Schülerprotesten<br />

bzw. einer Besteuerung des<br />

Klimas?<br />

Es ist bemerkenswert und bewundernswert,<br />

mit welcher Ausdauer<br />

die Schüler sich für das<br />

Thema Nachhaltigkeit einsetzen.<br />

Dies ist ein weiterer Beleg dafür,<br />

dass große Teile der jüngeren Generation, die auf absehbarer<br />

Zeit für Versicherer und Makler als Kunden interessant<br />

werden, konsequent auf Nachhaltigkeit achten.<br />

Versicherungsmakler sind viel mit dem Auto unterwegs,<br />

reisen viel und sind unterwegs zu ihren Kunden. Entsprechend<br />

fällt der ökologische Fußabdruck schon berufsbedingt<br />

nicht so positiv aus. Haben Sie Tipps, wie Makler<br />

ihr Büro umweltfreundlich(er) gestalten können?<br />

Jeder hat die Möglichkeit, mit relativ wenig Aufwand<br />

seinen Arbeitsbereich und Arbeitsalltag nachhaltiger<br />

zu gestalten. Es ist beispielsweise ein Leichtes, zu einem<br />

Ökostromanbieter zu wechseln, um so CO2-Emissionen<br />

aus Kohlestrom zu vermeiden. Unvermeidliche CO2-<br />

Emissionen, die durch Fahrten zum Kunden oder durch<br />

den Geschäftsbetrieb anfallen, können ganz einfach<br />

über Anbieter wie beispielsweise Atmosfair ausgeglichen<br />

werden.<br />

Das Interview mit Andreas Maul<br />

führte Mirko Wenig


Niederlande: Die Rente gibt’s als Cappuccino<br />

Autor: Sven Wenig<br />

Die jüngste Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen<br />

Bundesamts (Destatis) machte es anschaulich: Die<br />

Alterung der Gesellschaft lässt sich nicht aufhalten. Auf 53<br />

Prozent der Gesamtbevölkerung könnte bis 2060 der Anteil<br />

der Menschen im erwerbstätigen Alter schrumpfen.<br />

Hingegen wächst der Anteil der Menschen im Rentenalter<br />

auf 30 Prozent. Für die umlagefinanzierte gesetzliche<br />

Rentenversicherung (GRV) bedeuten solche Zahlen: Beiträge<br />

werden steigen, das Rentenniveau hingegen wird<br />

sinken. Altersarmut droht großen Teilen der Bevölkerung.<br />

Eine demografische Krise.<br />

Nachbar Niederlande: Erstaunlich immun<br />

trotz alternder Gesellschaft<br />

Reformen des deutschen Rentensystems sind demnach<br />

dringend geboten. Wie aber dem einstigen Erfolgsmodell<br />

mit seinem „Generationenvertrag“ auf die Beine helfen?<br />

Für Lösungen wird immer häufiger ein Blick zu einem<br />

Nachbarland empfohlen. Dieses besitzt nicht nur ein äußerst<br />

leistungsfähiges, sondern auch nachhaltiges Rentensystem<br />

und scheint besser auf die demografische<br />

Entwicklung eingestellt. Zudem verheißt das Rentensystem,<br />

statt einer bitteren Leistungs-Entzugskur, ein<br />

„Cappuccino-Modell“. Zur Verheißung wird immer mehr<br />

das Rentensystem der Niederlande.<br />

Lob des niederländischen Rentensystems scheint mittlerweile<br />

Konsens – sowohl arbeitnehmernahe Akteure wie<br />

die Gewerkschaft Ver.di als auch die arbeitgebernahe<br />

Lobby-Organisation INSM empfehlen Reformen, die sich<br />

daran orientieren. Im Melbourne Mercer Global Pension<br />

Index, einem Ranking weltweiter Rentensysteme, steht<br />

das niederländische Rentensystem in 2018 auf Rang eins.<br />

Grund genug für den „<strong>Versicherungsbote</strong>n“, einmal genauer<br />

zum europäischen Nachbarn zu schauen.<br />

Das „Cappuccino-Modell“ der Niederlande<br />

Folgendermaßen erklären die Niederländer anhand einer<br />

beliebten Kaffee-Spezialität ihr Rentensystem: Grundlage<br />

und damit „Kaffee“ ist die obligatorische staatliche Alterssicherung<br />

AOW, die „Algemene Ouderdomswet“. Diese<br />

sichert jedem, der länger als ein Jahr in den Niederlanden<br />

wohnte, Teilansprüche einer Mindestrente. Hat ein Rentner<br />

nach 50 Jahren das volle Anrecht auf diese staatliche<br />

Alterssicherung erworben, erhält er etwa 70 Prozent des<br />

Mindestlohns als monatliche Rente ausgezahlt. Freilich<br />

aber: Im Sinne des Sprachbildes empfiehlt es sich keineswegs,<br />

den Kaffee schwarz zu trinken. Die Milch im Renten-Rezept<br />

der Niederländer entstammt den Betriebsrenten,<br />

die eine weite Verbreitung erfahren. Damit aber<br />

das Rezept endgültig gelingen darf, fehlt auf dem „Renten-Cappuccino“<br />

noch das Sahnehäubchen all jener privaten<br />

und kapitalgedeckten Vorsorgeprodukte, die nicht in<br />

den Bereich der Betriebsrenten gehören.<br />

Die staatliche Alterssicherung AOW<br />

Könnte man nach Aufzählung dieser Bestandteile – einem<br />

Mix aus staatlicher Rente, Betriebsrente und privaten<br />

Vorsorgeprodukten – noch durchaus Gemeinsamkeiten<br />

mit dem deutschen Rentensystem sehen, offenbaren sich<br />

31


auf dem zweiten Blick Unterschiede. Anders nämlich als<br />

Deutsche betrachten es die Niederlande nicht als Aufgabe<br />

des Staates, durch Rentenzahlungen ein gewisses Niveau<br />

des vorherigen Verdiensts zu sichern. Demnach wird die<br />

Rentenhöhe, anders als in Deutschland, auch nicht von einem<br />

bestimmten Prozentsatz des früheren Arbeitseinkommens<br />

sowie von eingezahlten Beiträgen abhängig<br />

gemacht, sondern von der Versicherungszeit. Grundbedingung<br />

für AOW-Ansprüche ist einzig der Wohnsitz in<br />

den Niederlanden für länger als ein Jahr.<br />

Für jedes Jahr baut man zwei Prozent des Anspruchs für<br />

den vollen Leistungsbetrag auf. Nach 50 Jahren erreicht<br />

man 100 Prozent des Renten-Anspruchs. Bei geringerer<br />

Versicherungszeit werden hingegen entsprechende Prozente<br />

abgezogen (pro Jahr fehlen dann zwei Prozent der<br />

vollen Rente). Hat jemand über seinen Wohnsitz Rentenansprüche<br />

erworben, erhält er eine AOW-Rente, sobald<br />

er das AOW-Eintrittsalter überschritten hat – sogar,<br />

wenn er im Ausland lebt. Ein früherer Bezug der Rente ist<br />

hingegen ausgeschlossen.<br />

Lange lag das AOW-Eintrittsalter bei 65 Jahren. Da jedoch<br />

auch die Niederlande den demografischen Wandel<br />

zu spüren bekommen, wird dieses Alter schrittweise angehoben.<br />

In 2018 lag es bei 66 Jahren, wird im Jahr 2023<br />

bei 67 Jahren und drei Monaten liegen.<br />

Nach Überschreiten der Altersgrenze wird die Leistung<br />

bedingungslos gezahlt, das heißt: ohne Bedürftigkeitsprüfung.<br />

Jeder erhält die gleiche Leistung. Unterschiede gibt<br />

es nur nach der Form des Zusammenlebens. Die Webseite<br />

des für die AOW-Leistung verantwortlichen Sozialversicherungsträgers<br />

– zuständig ist die Sociale Verzekeringsbank<br />

(SVB) – benennt für eine alleinstehende Person<br />

derzeit eine Bruttorente in Höhe von 1.228,22 Euro und<br />

eine Nettorente in Höhe von 1.158,22. Müssen doch auf die<br />

Bruttorente noch Krankenbeiträge nach dem niederländischen<br />

Krankenversicherungsgesetz (Zvw) gezahlt werden.<br />

Bei Paaren sinkt der Rentenbetrag. Pro Person besteht<br />

hier Anspruch auf 795,69 Euro netto, falls beide Partner<br />

schon das Rentenalter erreicht haben.<br />

Finanziert wird die AOW-Leistung einzig durch Beiträge<br />

von Arbeitnehmern und Selbstständigen. Arbeitgeber<br />

werden hingegen nicht beteiligt. Fällt die Rente zu gering<br />

aus, zum Beispiel aufgrund zu kurzer Versicherungszeiten,<br />

kann eine zusätzliche Sozialleistung beantragt werden.<br />

Sozialhilfe in den Niederlanden liegt jedoch<br />

unterhalb des AOW-Rentenniveaus, wird zudem steuerfinanziert.<br />

Sowohl Systeme der Sozialhilfe als auch die<br />

Hinterbliebenenversorgung (nach Art der deutschen<br />

Witwen- oder Waisenrente) sind in den Niederlanden<br />

strikt vom AOW-Rentensystem getrennt.<br />

32<br />

Der „Milchschaum“ aus dem Cappuccino-<br />

System: die betriebliche Altersvorsorge<br />

Betrachtet man die umlagefinanzierte AOW-Rente für<br />

sich, will das Rezept wenig munden. „Dünner Kaffee“ wäre<br />

dann wohl, im Sinne des Sprachbilds, vorgesetzt. Denn<br />

zwar wird die Rente bedingungslos gezahlt. Sie sichert jedoch<br />

nur ein geringes Versorgungsniveau, das vergleichbar<br />

ist mit der Grundsicherung in Deutschland. Das Geheimnis<br />

des niederländischen Erfolgs jedoch liegt am zweiten<br />

Bestandteil – bildlich gesprochen an einer großen Menge<br />

Milchschaum. Denn weit verbreiteter als in Deutschland<br />

ist in den Niederlanden die betriebliche Altersvorsorge.<br />

Sogar das Versorgungsniveau von Beamten und Angestellten<br />

des Öffentlichen Dienstes wird jenseits der AOW-<br />

-Leistung durch einen 1996 privatisierten Pensionsfonds<br />

abgesichert, dem „Stichting Pensioenfonds ABP“. Hingegen<br />

existiert in den Niederlanden keine den deutschen Beamtenpensionen<br />

vergleichbare Leistung durch den Staat.<br />

Zahlen und Fakten für die kapitalgedeckte betriebliche<br />

Altersvorsorge der Niederlande liefert ein Papier des<br />

Mannheimer Zentrums für europäische Sozialforschung.<br />

So schuf sich der niederländische Staat durch zwei Gesetze<br />

–das„Wetverplichtedeelnemingineenbedrijfspensioenfonds“<br />

(BPF) aus dem Jahre 1949 sowie das „Pensioen-en<br />

Spaarfondsenwet“ (PSW) aus dem Jahr 1954 – die Möglichkeit,<br />

für einzelne Branchen die Teilnahme an einem Branchenfonds<br />

allgemeinverbindlich vorzuschreiben. Auch für<br />

Unternehmenspensionsfonds als gleichfalls wichtige Akteure<br />

der betrieblichen Altersvorsorge sichert der gesetzliche<br />

Rahmen eine weite Verbreitung der Betriebsrenten.<br />

Denn Bedingungen für Betriebsrenten handeln in den<br />

Niederlanden die Tarifpartner aus, Betriebsrenten werden<br />

integraler Bestandteil der Tarifverträge. Die Tarifverträge<br />

erfassen wiederum viele Beschäftigte und Beschäftigungsgruppen.<br />

Obwohl demnach kein allgemeingültiges Gesetz<br />

existiert, das den Arbeitnehmern eine Teilnahme an der<br />

betrieblichen Altersvorsorge vorschreibt, verfügen mehr<br />

als 91 Prozent der aktiven Arbeitnehmer und 50 Prozent<br />

der Rentner über eine Zusatzrentenregelung bzw. beziehen<br />

eine Betriebsrente. Sie sind in den Niederlanden ein<br />

gängiger Bestandteil des Lohnes geworden.<br />

Die Beiträge beziehungsweise Prämien werden durch Arbeitgeber<br />

und Arbeitnehmer gemeinsam geschultert. Weil<br />

die Vorsorgeeinrichtungen nicht gewinnorientiert arbeiten,<br />

sie zudem wesentlich von Skaleneffekten profitieren,<br />

werden Kosten niedrig gehalten. Die Pensionspläne sind<br />

überwiegend leistungsorientiert und garantieren demnach<br />

einen bestimmten Prozentsatz des durchschnittlichen<br />

Lohns (z.B. 70 Prozent) als Rente.


Sowohl „Unternehmenspensionsfonds“ als auch "obligatorische<br />

Betriebs- und Branchenpensionsfonds“ dominieren<br />

als wichtigste Akteure, wie Zahlen (wenngleich mit Stand<br />

für Beginn des 21. Jahrhunderts) zeigen. Der Begriff der<br />

„Unternehmenspensionsfonds“ darf jedoch nicht falsch interpretiert<br />

werden. Handeln die Fonds doch finanziell und<br />

rechtlich von den Unternehmen getrennt. Die Statistik offenbart<br />

für die zwei wichtigsten Typen ein widersprüchliches<br />

Verhältnis: Wenngleich nämlich 88,6 Prozent der<br />

Fonds Unternehmenspensionsfonds sind, haben diese nur<br />

15,6 Prozent der Mitglieder. Hingegen<br />

stellen die obligatorischen<br />

Betriebs- und Branchenpensionsfonds<br />

nur 7,4 Prozent aller<br />

Fonds, haben jedoch<br />

78,6 Prozent aller Mitglieder. Der<br />

größte Teil der Niederländer ist<br />

demnach über „obligatorische Betriebs-<br />

und Branchenfonds“<br />

versichert.<br />

Einer der Fonds ist ein wahrer<br />

Riese: Der bis 1996 öffentlichrechtliche<br />

und nun als private<br />

Stiftung agierende Pensionsfonds<br />

ABP zählt mit einem Anlagevolumen von aktuell 431<br />

Milliarden Euro laut Private Banking Magazin zu den<br />

drei größten Pensionseinrichtungen auf dem Erdball.<br />

Das „Sahnehäubchen“ als Problem: Die geringe<br />

Bedeutung der privaten Altersvorsorge<br />

Welche Bedeutung aber spielt das Sahnehäubchen für den<br />

Renten-Cappuccino der Niederländer? Sprich: Welche<br />

Bedeutung haben zusätzliche Produkte der kapitalgedeckten<br />

privaten Vorsorge jenseits der Betriebsrenten?<br />

Den Vermittlern in Deutschland sei kundgetan: Zumindest<br />

für die Branche bietet das „Cappuccino-Modell“ alles<br />

andere als eine attraktive Alternative. Zwar sind zusätzliche<br />

Marktsegmente der privaten Altersvorsorge in den<br />

Niederlanden äußerst wichtig für Selbstständige. Jedoch:<br />

Ansonsten hat die private Altersvorsorge jenseits der Betriebsrenten<br />

„keine große Bedeutung“, wie ein Beitrag der<br />

Bundeszentrale für politische Bildung eher vorsichtig<br />

pointiert. Das hat seinen Grund. Denn niederländische<br />

Betriebsrenten beinhalten häufig auch einen Versicherungsschutz<br />

gegen die Folgen von Tod, Alter und Invalidität.<br />

Somit brechen schon aufgrund des übermächtigen<br />

Konkurrenten wichtige Marktsegmente weg. Die kapitalgedeckt<br />

finanzierte Betriebsrente lässt anderen kapitalgedeckten<br />

Vorsorgeelementen nur wenig Raum.<br />

Welche Bedeutung<br />

haben zusätzliche<br />

Produkte der kapitalgedeckten<br />

privaten<br />

Vorsorge<br />

jenseits der<br />

Betriebsrenten?<br />

Das „Cappuccino-Modell“ als richtige<br />

Medizin für Deutschland?<br />

Vielleicht erscheint es aus dieser Sicht beruhigend für die<br />

Branche, dass in Deutschland kaum eine Übernahme des<br />

niederländischen Vorsorgemodells auf kurze Frist vorstellbar<br />

ist. Denn zum einen müssten die Beamtenpensionen<br />

komplett abgeschafft werden. Ein solcher Schritt<br />

dürfte jedoch auf großen politischen Widerstand stoßen.<br />

Zum Zweiten müsste das Prinzip der Teilhabeäquivalenz<br />

komplett abgeschafft und auf eine<br />

bedingungslose Grundrente ohne<br />

Bedarfsprüfung umgestellt werden.<br />

Beides aber ist durch die<br />

deutsche Regierung derzeit nicht<br />

geplant und ließe sich auch nur<br />

über mehrere Generationen hinweg<br />

umsetzen. Selbst der Plan einer<br />

so genannten „Respekt-<br />

Rente“ von Hubertus Heil beruht<br />

wesentlich auf dem Prinzip der<br />

Teilhabeäquivalenz und belohnt<br />

mit der Lebensleistung eine lange<br />

Beitragszahlung – wenngleich mit<br />

Verzicht auf eine Bedarfsprüfung.<br />

Hinzu kommt: Der niederländische Staat kann sich auch<br />

deswegen über die Immunität seines Rentenmodells freuen,<br />

weil alle Anpassungslasten des demografischen Wandels<br />

in den Niederlanden über leistungsfähige<br />

kapitalgedeckte Vorsorgesysteme aufgefangen werden.<br />

Auf diesen Aspekt weist eine Studie des Instituts der<br />

deutschen Wirtschaft Köln (iW) hin. Die Leistungsfähigkeit<br />

verdankt sich jedoch auch einer langen Existenz unter<br />

günstigen Bedingungen – der größte niederländische<br />

Fonds ABP existiert zum Beispiel schon seit 1922 und profitierte<br />

in den Zeiten nach dem Zweiten Weltkrieg wesentlich<br />

von seiner Mitgliederstruktur. Deutschland<br />

jedoch müsste erst vergleichbare Systeme schaffen – und<br />

zwar zu Bedingungen, die sofort eine Belastung durch den<br />

demografischen Wandel mit sich bringen. Derartige Probleme<br />

lassen fragwürdig erscheinen, ob der niederländische<br />

Cappuccino tatsächlich als schnelle Medizin für<br />

Deutschland geeignet ist.<br />

Ein Kommentar von Sven Wenig<br />

33


Altersvorsorge<br />

planbarer machen<br />

Dr. Andreas Steinert,<br />

Head of 3rd Party Distributors bei<br />

Amundi Deutschland<br />

Die Unsicherheit einer immer älter werdenden Bevölkerung wächst: Rentenreformen, dauerhaft<br />

niedrige Zinsen und volatile Märkte machen es nicht leicht, für die eigene Alterssicherung<br />

zu planen. Sollen zukünftige Einnahmelücken nachhaltig geschlossen werden, müssen Asset-<br />

Manager, Berater und Anleger umdenken. Ein Gastkommentar von Dr. Andreas Steinert, Leiter<br />

des Drittvertriebs bei Amundi Deutschland.<br />

Wenn es um die Alterssicherung geht, verweisen wir in<br />

Deutschland gern auf unser System der drei Säulen: Gesetzliche<br />

Rente, Betriebsrente plus private Vorsorge.<br />

Aber der demografische Wandel lässt Säule Nummer<br />

eins schwächer werden: Die Zahl der 65-Jährigen und<br />

Älteren wird rasant ansteigen, weil nach 2020 die geburtenstarken<br />

Jahrgänge in dieses Alter kommen. Ist heute<br />

ungefähr einer von fünf Deutschen im Rentenalter, so<br />

wird im Jahr 2060 jeder Dritte mindestens 65 Jahre alt<br />

sein – und jeder Siebte sogar 80 Jahre oder älter.<br />

Die zweite Säule hat der Gesetzgeber im Januar dieses<br />

Jahres durch das Betriebsrentenstärkungsgesetz<br />

gefestigt. Hier<br />

gibt es zahlreiche Anregungen<br />

für die Verbesserung der Vorsorge,<br />

aber es fehlt bisher noch an<br />

der Umsetzung. Mehr denn je<br />

muss also die private Initiative,<br />

die Säule drei, stabil und belastbar<br />

sein. Es gilt, die Lücke, die<br />

aus der Addition der Säulen eins<br />

und zwei im Verhältnis zum Geldbedarf im Rentenalter<br />

entsteht, zu schließen. Und dann gibt es die große Zahl<br />

derer, die nicht bis zum Alter von 67 Jahren warten<br />

möchten, bevor sie dem Arbeitsmarkt Lebewohl sagen.<br />

34<br />

Rechtzeitige, zielgenaue<br />

Planung gewinnt<br />

immer stärker<br />

an Bedeutung.<br />

Auch hier entsteht, zumindest temporär, eine Lücke, die<br />

geschlossen werden muss. Welches Modell dem Einzelnen<br />

auch vorschwebt: Rechtzeitige, zielgenaue Planung<br />

gewinnt immer stärker an Bedeutung.<br />

Veränderte Bedürfnisse erfordern spezielle<br />

Investmentmodelle<br />

Bis vor zehn Jahren boten Spareinlagen und festverzinsliche<br />

Papiere Anlegern ein gewisses Gefühl von Sicherheit.<br />

Heute sind weltweit rund 13 Billionen US-Dollar<br />

in Staatsanleihen mit Minuszinsen angelegt. Und auch<br />

Investments mit geringfügiger<br />

Verzinsung bringen unter Berücksichtigung<br />

der Inflation<br />

häufig keine oder sogar negative<br />

Erträge. Wer im Rentenalter mit<br />

regelmäßigen Zuflüssen rechnen<br />

will, muss umdenken. Das heißt<br />

auch, auf vermeintliche Sicherheiten<br />

zu verzichten und Aktien<br />

sowie andere Werte in seine Anlagen<br />

zu mischen. Ziel sollte es sein, ein nachhaltiges<br />

Einkommen mit höheren Ertragsmöglichkeiten als bei<br />

Anleihen und dabei idealerweise mit weniger Volatilität<br />

als bei Aktien zu bekommen.


Aus der großen Familie der Mischfonds eignen sich einkommensorientierte<br />

Fonds mit festen Ausschüttungen,<br />

sogenannte Target Income, besonders gut dafür, dieses<br />

Ziel zu erreichen. In diesen Fonds investieren Portfoliomanager<br />

die ihnen anvertrauten<br />

Gelder auf der Aktienseite idealerweise<br />

in Unternehmen mit einer<br />

überdurchschnittlichen Dividendenrendite;<br />

bei Anleihen<br />

wählen sie ertragsstarke Titel.<br />

Für zusätzliche Erträge können<br />

beispielsweise auf Teile des Portfolios<br />

Optionsstrategien angewandt<br />

werden. Statt nur<br />

begrenzt auf Deutschland oder<br />

Europa zu blicken, eröffnet diese<br />

Anlageform durch Investments in weltweite Assets den<br />

Anlegern auch wichtige Wachstumsmärkte. Eine Risikoreduktion<br />

kann etwa durch eine Beimischung verschiedener<br />

Währungen erfolgen – ein Instrument,<br />

welches noch häufig unterschätzt wird.<br />

In einem Marktumfeld, wie wir es derzeit erleben, in<br />

dem sich Aktienmärkte höchstens leicht positiv entwickeln,<br />

aber große Hypes nicht zu erwarten sind, können<br />

die Manager innerhalb solcher Fonds auch die unterschiedlichen<br />

Phasen des Konjunkturzyklus verschiedener<br />

Länder ausnutzen. So können sie beispielsweise die<br />

Vorteile, die sich aus der Sonderkonjunktur in den USA<br />

–bedingtdurchdieSteuerreform–ergeben,nutzen,indem<br />

sie US-Aktien europäischen Engagements gegenüberstellen.<br />

Abgerundet wird die Anlagestrategie durch<br />

Absicherungsinstrumente und die genaue Abstimmung<br />

der Assets aufeinander. Unterstützt durch ein intensives<br />

Risikomanagement über das gesamte Investment erzielen<br />

einkommensorientierte Fonds ihre regelmäßigen<br />

Erträge durch Kupons, Dividenden und Optionsprämien.<br />

Wichtiger als die Erwirtschaftung von Erträgen<br />

durch Kurssteigerungen ist dabei, für die Anleger verlässlich<br />

planbare Ausschüttungen zu erwirtschaften.<br />

Lebenszyklus soll Anlagestrategie und Auszahlungsmodus<br />

bestimmen<br />

Bis vor zehn Jahren<br />

boten Spareinlagen<br />

und festverzinsliche<br />

Papiere Anlegern<br />

ein gewisses Gefühl<br />

von Sicherheit.<br />

Der Wunsch nach mehr Planungssicherheit für die private<br />

Altersvorsorge ist groß. Hier gibt es noch Handlungsbedarf,<br />

den führende Vermögensverwalter<br />

erkannt haben. Sie arbeiten daran, zukünftig passende<br />

Lösungen anbieten zu können. Denkbar ist ein Baukastenmodell<br />

mit unterschiedlichen Ausschüttungsvarianten<br />

und wechselnden Anlagestrategien. So wird es bald<br />

Fonds geben, die monatlich einen bestimmten festen<br />

Betrag ausschütten – sofort oder ab einem definierten<br />

Zeitpunkt. Auch die Risikoprofile können bald flexibel<br />

auf die unterschiedlichen Lebensphasen<br />

abgestimmt werden.<br />

Das ergibt Sinn, denn ein 40-jähriger<br />

Anleger kann stärker auf<br />

Aktien setzen, weil er bis zur<br />

Rente noch viel Zeit hat. Eine<br />

Investorin, die in fünf Jahren regelmäßig<br />

planbare Auszahlungen<br />

haben möchte, muss da<br />

konservativer sein.<br />

Ein weiteres Zukunftsthema in<br />

diesem Zusammenhang ist der<br />

geplante Vermögensverzehr, auch Entsparen genannt.<br />

Eine solche Lösung ist dann geeignet, wenn der regelmäßige<br />

Geldbedarf höher ist, als er mit der Erhaltung<br />

des Kapitals sein kann oder das Restkapital nicht vererbt<br />

werden soll.<br />

Die Herausforderung und die Verantwortung für die<br />

Asset-Manager sind groß, die dritte Säule der Alterssicherung<br />

stabiler, bedarfsorientierter und verlässlicher<br />

zu machen. Neben der Schaffung der passenden Produkte<br />

plant Amundi auch in Deutschland, Berater zukünftig<br />

intensiv für diese wichtige Aufgabe zu schulen. So ausgerüstet,<br />

können diese dabei helfen, das große Thema<br />

Vorsorge für viele Menschen planbarer zu machen.<br />

Ein Gastkommentar von Dr. Andreas Steinert<br />

35


Advertorial<br />

Altersvorsorge: Bitte Renditechancen mit etwas Garantie<br />

Bernhard Rapp<br />

Direktor Marketing und Produktmanagement,<br />

stellvertretender<br />

Niederlassungsleiter<br />

Canada Life Deutschland<br />

Bei der Rente setzen die Menschen in Deutschland immer<br />

noch gerne auf Garantien. Damit Altersvorsorge aber<br />

heute erfolgreich sein kann, braucht sie gleichzeitig Renditechancen.<br />

Gut, wenn ein Produkt beides bieten kann,<br />

wie die Generation-Tarife von Canada Life.<br />

Rendite ist grundlegend für eine erfolgreiche Altersvorsorge.<br />

Doch im heutigen Niedrigzinsumfeld ist es nicht<br />

mehr mit klassischen Sparprodukten getan, wenn man<br />

sein Geld nicht nur parken möchte. Zinsen? Fehlanzeige.<br />

Das Niedrigzinsumfeld hält voraussichtlich weiter an. Für<br />

eine vernünftige Altersvorsorge kommen aber nur Produkte<br />

in Frage, die renditeorientiert investieren. Daher<br />

zählt mehr und mehr die Investmentkompetenz, wenn es<br />

um die Altersvorsorge geht.<br />

Aktien schaffen Renditechancen<br />

Hier sind und bleiben Aktien als Anlageform die erste<br />

Wahl. Immer mehr Menschen begreifen, dass in Aktien<br />

anzulegen nicht automatisch Risiko bedeutet. Gerade<br />

über längere Zeiträume wie bei der Altersvorsorge stellen<br />

Aktien eine besonders geeignete Anlageklasse dar: Kurzfristige<br />

Verluste werden so ausgeglichen. Zudem profitieren<br />

die Kunden in Phasen schwacher Märkte sogar von<br />

günstigen Preisen am Aktienmarkt und nehmen diesen<br />

Vorteil in die nächste Hochphase mit. Wer die Renditestärke<br />

von Aktien mit den Vorteilen einer Rentenversicherung<br />

kombinieren möchte, wählt am besten eine<br />

Fondspolice.<br />

36<br />

Garantien: So viel wie nötig<br />

Wer dennoch auf Nummer sichergehen will, wählt eine<br />

Fondspolice, die Garantien bereithält. Doch Garantien<br />

kosten bares Geld. Und das wiederum schlägt sich auf die<br />

Rendite nieder. Daher sollte man bei der Produktwahl<br />

darauf achten, dass die Garantie dann greift, wenn sie benötigt<br />

wird!<br />

UWP – Renditechancen treffen Sicherheit<br />

Dass dies ein erfolgreiches Modell sein kann, beweisen die<br />

Generation-Tarife von Canada Life: Bei ihnen entscheiden<br />

sich Kunden für den UWP-Fonds, wenn sie Wert auf<br />

Garantien legen. Die Garantien sind endfällig gestaltet,<br />

das heißt, sie greifen erst zum Rentenbeginn. Genau<br />

dann, wenn Kunden Sicherheit brauchen. So müssen<br />

Kunden keine Bedenken haben, dass sie ihr Erspartes bei<br />

Kurseinbrüchen aufs Spiel setzen.<br />

Denn laufen die Börsen gut, erhalten Versicherte den tatsächlichen<br />

Wert des Mischfonds. Alternativ sichert ein<br />

jährlich deklarierter geglätteter Wertzuwachs den Kunden<br />

zum Rentenbeginn ab und lässt das Rentenvermögen<br />

gleichmäßig ansteigen – aktuell um starke 2,1 Prozent.<br />

Der geglättete Wertzuwachs beträgt zu Rentenbeginn<br />

mindestens ein Prozent, wenn die bedingungsgemäßen<br />

Garantievoraussetzungen erfüllt sind.<br />

Und die Performance des UWP-Fonds kann sich sehen<br />

lassen: Seit seiner Auflegung Ende Januar 2004 erwirtschaftete<br />

er durchschnittlich starke 5,7% p.a. tatsächliche<br />

Wertentwicklung (Stand 31.07.<strong>2019</strong>) – trotz Finanzkrise<br />

und Niedrigzins.<br />

Wer eine individuellere Anlagelösung bevorzugt, der<br />

wählt einen der anderen beiden Investmentbausteine der<br />

Lösung: Einzelfonds, wenn man seine Anlage selber gestalten<br />

möchte, oder das Automatischen Portfolio Management<br />

mit automatischem Ablaufmanagement zum<br />

Ende der Laufzeit. Bei diesem wird das angesparte Kapital<br />

zum Ende der Laufzeit schrittweise in risikoärmere Anlagen<br />

umgeschichtet. So sollen starke Schwankungen kurz<br />

vor Rentenbeginn vermieden werden.<br />

Mit beiden lässt sich auf Wunsch auch der UWP-Fonds<br />

kombinieren oder bis 12 Jahre vor Rentenbeginn ganz in<br />

den UWP-Fonds wechseln. So behalten Kunden die Möglichkeit,<br />

zunächst renditeorientiert etwa in Einzelfonds<br />

zu investieren und die Erträge dann mit den Garantien<br />

des UWP-Fonds abzusichern.


Werte Parteien, wie stellen Sie sich die<br />

Zukunft der Rente vor?<br />

Die Bundesregierung lässt sich Zeit. Bis zum Jahr 2025 soll eine Rentenkommission Reformvorschläge<br />

ausarbeiten, wie die gesetzliche Rente und allgemein das deutsche Altersvorsorge-System<br />

fit für die Zukunft gemacht werden können: auch für nachfolgende Generationen.<br />

Doch ist das Thema angesichts der demografischen Entwicklung und drohender<br />

Altersarmut nicht weit drängender? Gibt es vielleicht aktuell schon interessante Reformansätze<br />

für das Rentensystem? Wir haben an alle Bundestagsfraktionen die gleichen Fragen<br />

gerichtet, mit welchen Ideen und Konzepten sie das Rentensystem der Zukunft aktuell<br />

gestalten wollen.Alle Parteien antworteten ausführlich – mit Ausnahme der AfD, die trotz<br />

mehrerer Anfragen nicht antworten wollte. Die Fragen stellte Mirko Wenig.


Die gesetzliche<br />

Rente wurde oft<br />

unterschätzt!<br />

Für die Unionsfraktion im Deutschen Bundestag<br />

antwortet Peter Weiß (CDU). Der gebürtige<br />

Breisgauer ist seit 1998 Mitglied im Bundestag<br />

und Vorsitzender der Arbeitsgruppe<br />

Arbeit und Soziales der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.<br />

<strong>Versicherungsbote</strong>: Wie bewerten Sie die aktuelle Bedrohung<br />

durch Altersarmut in Deutschland? Müssen die<br />

Bundesbürger Altersarmut fürchten – und was kann dagegen<br />

getan werden?<br />

Peter Weiß: Aktuell sind weniger als drei Prozent der<br />

Seniorinnen und Senioren in Deutschland auf Grundsicherungsleistungen<br />

angewiesen. Die Alterssicherung ist<br />

oft abhängig vom aktiven Erwerbsleben und dem, was<br />

man in die Alterssicherung eingezahlt hat. Insofern hilft<br />

uns die robuste wirtschaftliche Entwicklung, Altersarmut<br />

zu vermeiden. Da, wo es nicht reicht, gibt es die<br />

Grundsicherung. Und wir wollen die Grundrente einführen.<br />

Schwankende und unstete Erwerbsverläufe sowie<br />

neue Erwerbsformen lassen darauf schließen, dass<br />

wir die Systeme auf den Prüfstand stellen und uns etwa<br />

die Absicherung ungesicherter Selbständiger genauer<br />

ansehen müssen. Hier hat die Koalition einen Handlungsauftrag.<br />

Und mit den Zukunftsfragen beschäftigt<br />

sich außerdem eine Kommission.<br />

Nach pessimistischen Schätzungen wird in der gesetzlichen<br />

Rentenversicherung schon Mitte dieses Jahrhunderts<br />

ein Arbeitnehmer fast alleine für einen Rentner<br />

aufkommen müssen. Wie sattelfest ist aus Ihrer Sicht<br />

die umlagefinanzierte Rente?<br />

Die gesetzliche Rentenversicherung wurde oft unterschätzt,<br />

wenn es um ihre Leistungsfähigkeit geht. Schon<br />

Ende der 80er Jahre hatte man Sorgen wegen der demographischen<br />

Entwicklung, was den damaligen Minister<br />

Norbert Blüm veranlasste zu plakatieren: Die Rente ist<br />

sicher. Nun zeigt sich: Wir haben nicht nur zuletzt die<br />

Beiträge senken, sondern auch die Leistungen wieder<br />

deutlich ausbauen können. Die Rentenlaufzeiten sind<br />

mit der Lebenserwartung schneller gestiegen als das<br />

Renteneintrittsalter. Der Grund für die positive Bilanz:<br />

Die Rente ist nicht nur abhängig von der Zahl der Beitragszahler,<br />

sondern auch vor der wirtschaftlichen Entwicklung.<br />

Natürlich aber muss man sich wappnen für<br />

schwierigere Zeiten und demografische Veränderungen.<br />

Die Rentenkommission wird hierzu für die Zeit ab 2025<br />

Wege aufzeigen und mögliche Antworten geben, was<br />

man tun sollte.<br />

Sollte die gesetzliche Rente zukünftig gestärkt werden,<br />

etwa durch Anhebung des Rentenniveaus oder mehr<br />

Einzahler? Beispiel Österreich: Hier zahlen auch<br />

Selbstständige und Beamte in die Rentenkasse, der Beitrag<br />

ist höher. Aber im Schnitt erhalten Altersruheständler<br />

über 300 Euro mehr Rente im Monat. Auch<br />

für Deutschland ein denkbares Modell?<br />

Dazu erwarten wir Vorschläge der Rentenkommission.<br />

Fakt ist aber auch: die Systeme sind nicht einfach zu<br />

vergleichen, da muss man genau hinsehen. In Deutschland<br />

bekommt man die Altersrente schon mit nur<br />

5Beitragsjahren,inÖsterreichmussmandafürmindestens<br />

15 Jahre eingezahlt haben. Beamte entlasten das<br />

System nur eine kurze Phase lang. Wenn sie Leistungen<br />

empfangen, werden sie das System eher belasten, weil<br />

auch hier weniger Neulinge einer größer werdenden<br />

Gruppe von Leistungsempfängern gegenüberstehen.<br />

Die OECD plädiert dafür, das Renteneintrittsalter an<br />

die steigende Lebenserwartung der Bundesbürger zu<br />

koppeln: auch, weil die Gesellschaft altert. Werden wir<br />

künftig länger arbeiten müssen, damit die Rente finanzierbar<br />

bleibt?<br />

38


In der Tendenz ist das sicherlich so und bis 2030 haben wir<br />

auch die Rente mit 67 schrittweise eingeführt. Momentan<br />

steigt das Renteneintrittsalter auch tatsächlich. Und ältere<br />

Fachkräfte werden dringend gesucht, ihre Erwerbsbeteiligung<br />

steigt. Die Rentenkommission beschäftigt sich<br />

auch damit, wie es dann ab 2030 weitergehen kann. Dabei<br />

muss darauf geachtet werden, dass man auch jenen gerecht<br />

wird, die im Alter nicht ohne weiteres harte oder gefährliche<br />

Arbeiten verrichten können. Bei Piloten ist das<br />

so, dass sie früher gehen können müssen, ebenso bei<br />

Handwerkern oder Pflegern. Wir brauchen insgesamt<br />

mehr Flexibilität. Und freiwilliges längeres Arbeiten muss<br />

sich in der Rente noch mehr lohnen als heute.<br />

Aktuell wird eine Altersvorsorgepflicht für Selbstständige<br />

diskutiert, weil speziell sogenannte Soloselbstständige mit<br />

kleinem Einkommen oft darauf verzichten, aber später<br />

Anspruch auf Grundsicherung haben. Wie positionieren<br />

Sie sich zu dieser Pflicht – wie könnte diese gestaltet sein?<br />

Nicht abgesicherte Selbständige haben ein hohes Armutsrisiko<br />

im Alter und bei Erwerbsminderung.<br />

Wir stehen zur<br />

Vereinbarung im Koalitionsvertrag,<br />

die für diese Selbständigen<br />

eine Versicherungspflicht vorsieht<br />

mit Opt-out-Möglichkeit.<br />

An dem Konzept wird derzeitig<br />

gefeilt. Es muss gründerfreundlich<br />

sein, den Selbständigen die notwendige<br />

soziale Sicherheit geben,<br />

aber auch genug Flexibilität für<br />

die unterschiedlichen Modelle<br />

von Selbstständigkeit. Die grundsätzliche<br />

Absicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung<br />

hat den Vorteil, dass man hier auch das Risiko der<br />

Erwerbsminderung abdeckt und z.B. eine Reha bekommen<br />

kann. Ich schlage vor, unter dem Dach der landwirtschaftlichen<br />

Sozialversicherung Kompetenzzentren für<br />

Selbständige zu schaffen, die in sämtlichen Fragen der sozialen<br />

Absicherung und der privaten Vorsorge beraten<br />

und auch entscheiden können, bei welcher eigenen Vorsorgeanstrengung<br />

man raus optieren kann. Dafür müssen<br />

wir die Rahmenbedingungen schaffen.<br />

Einige Anbieter<br />

verschleiern die anfallenden<br />

Kosten in<br />

nicht immer<br />

transparent formulierten<br />

Vertragsbedingungen.<br />

Neben der gesetzlichen und betrieblichen Rente sollen<br />

die Menschen auch privat vorsorgen: unter anderem<br />

staatlich gefördert mit der Riester-Rente. Muss Riester<br />

reformiert oder gar abgeschafft werden? Oder funktioniert<br />

das aktuelle Modell? Über 16,56 Millionen Menschen<br />

hatten zum Ende des dritten Quartals einen Riester-Vertrag<br />

abgeschlossen. Aber das Neugeschäft stagniert,<br />

jeder fünfte Vertrag liegt nach Schätzungen des<br />

Bundesarbeitsministeriums auf Eis.<br />

Wir haben die Riester-Rente durch mehrere Gesetze vereinfacht<br />

und prüfen, was hier noch erreicht werden<br />

kann. Hauptkritikpunkt ist auch das Gebaren mancher<br />

Anbieter. Oft rentieren sich die Verträge nur noch über<br />

die staatliche Förderung. Die mit Abschluss und Durchführung<br />

der Riester-Verträge verbundenen Kosten stehen<br />

seit jeher in der besonderen Kritik, denn nicht<br />

selten schmälern sie die Rendite erheblich. Einige Anbieter<br />

verschleiern die anfallenden Kosten in nicht immer<br />

transparent formulierten Vertragsbedingungen.<br />

In unserer Fraktionsarbeitsgruppe zur Begleitung der<br />

Rentenkommission beraten wir sehr intensiv, ob die<br />

Riester Rente weiter reformiert werden kann. Es geht<br />

einerseits darum, die Kriterien zu vereinfachen, die die<br />

Produkte erfüllen müssen. Andererseits sind die Anbieter<br />

aber selbst gefordert, die Produkte attraktiver, transparenter<br />

und kostengünstiger<br />

auszugestalten. Es gibt bereits<br />

zahlreiche sehr interessante Vorschläge,<br />

auch aus unseren eigenen<br />

Reihen. Wir diskutieren<br />

hierzu ergebnisoffen – sowohl<br />

was die Frage der Organisation<br />

anbelangt als auch was die Rahmenbedingungen<br />

betrifft. Sowohl<br />

die Reform der Riester-<br />

Rente als auch ein womöglich<br />

daneben stehendes Alternativprodukt<br />

werden diskutiert. Zu<br />

den Rahmenbedingungen zählen Fragen, ob künftig<br />

auch Produkte ohne Garantien, aber mit mehr Renditechancen<br />

auf den Markt kommen können. Gerade in<br />

unruhigen Zeiten wie in diesen Tagen muss man sich<br />

aber gut überlegen, ob man Garantien dann auch gänzlich<br />

abschaffen will. Altersvorsorge muss auch ein Mindestmaß<br />

an Verlässlichkeit bieten. Ganz ohne Regeln<br />

wird es also nicht gehen.<br />

Wie positionieren Sie sich zu der Idee, einen Kapitalstock<br />

bei der Deutschen Rentenversicherung aufzubauen,<br />

ähnlich dem schwedischen Staatsfonds? Dort zahlen<br />

die Bürger 2,5 Prozent ihres Gehalts in bis zu fünf Fonds<br />

ein, über 800 stehen zu Auswahl. Sie müssen Nachhaltigkeitskriterien<br />

erfüllen. Die Verwaltungskosten: 0,1<br />

Prozent. Ein Modell auch für Deutschland?<br />

39


Wir diskutieren schon seit längerem etwa das Modell der<br />

Deutschland-Rente, das von der hessischen Landesregierung<br />

in die Diskussion gebracht wurde. Ich halte das für<br />

eine Erwägung wert, so etwas auch in Deutschland einzurichten.<br />

Dabei sollte man aber auch das Risiko nicht verkennen.<br />

Die Bilanz des schwedischen Standardfonds in<br />

den ersten Jahren nach der Einführung war ernüchternd:<br />

Er verlor sieben Prozent im Jahr 2000, elf Prozent 2001<br />

und dann nochmals 27 Prozent 2002. Man hat den Fonds<br />

auch über Kredite gehebelt. Man muss sich genau überlegen,<br />

wer so viel Kapitalmasse managen soll und was die<br />

Rahmenbedingungen sind.<br />

Dank Niedrigzins-Politik werden viele populäre Geldanlagen<br />

der Deutschen vakant: Lebens- und Rentenversicherungen<br />

rentieren sich immer seltener. Müssen die<br />

Bürger umlernen und ihr Geld in andere Vorsorgeformen<br />

stecken?<br />

Wer privat vorsorgt, muss ständig die Änderungen in den<br />

Blick nehmen, die Auswirkungen auf die eigene Anlage haben<br />

können. In der Niedrigzinsphase lohnen sich riskantere<br />

Anlagen. In einer Rezension könne sie aber auch<br />

vernichtend wirken. Auf den gesunden Mix kommt es an.<br />

Man sollte Geldanlagen breit streuen und von Zeit zu Zeit<br />

über Umschichtungen nachdenken. Lebens- und Rentenversicherungen<br />

können sich weiterhin lohnen, etwa weil sie<br />

auch Hinterbliebene absichern oder langfristig gewisse Garantien<br />

geben. Wegen der geringen Rückkaufswerte lohnt<br />

sich der Ausstieg und ein Umschichten oft auch nicht.<br />

Wird der Niedrigzins aus Ihrer Sicht in den kommenden<br />

Jahren anhalten – und mit welchen Konsequenzen für<br />

deutsche Sparer?<br />

Er wird noch einige Zeit andauern. Sicherlich haben viele<br />

Anbieter die Niedrigzinsphase nicht vorausgesehen und<br />

den Sparern zu hohe Renditen in Aussicht gestellt. Viele<br />

müssen feststellen, dass sie ihr Sparziel nur mit riskanteren<br />

Anlagen oder einem höheren Einsatz erreichen können.<br />

Bisweilen werden bei sichereren Anlageformen gar keine<br />

Zinsen gezahlt oder gar Negativzinsen erhoben. Wir diskutieren<br />

gerade darüber, wie wir Sparer vor Negativzinsen<br />

schützen können.<br />

Unser Wohlfahrtssystem beruht auf der Idee, dass Wirtschaftswachstum<br />

zu mehr Wohlstand führt: dies wird<br />

auch wirtschaftspolitisch angestrebt. Nicht erst seit den<br />

„Fridays for Future“-Demonstrationen gibt es Bedenken,<br />

ob das Wachstumsideal dem Menschen auch schadet: es<br />

40<br />

bedroht die Umwelt, führt zu Stress und Burnout etc.<br />

Gibt es eine Alternative zu einer Wirtschaft, die Wachstum<br />

anpeilt – wie könnte sie aussehen?<br />

Ich glaube, alle haben erkannt, dass Wachstum auch<br />

nachhaltig sein muss und künftigen Generationen nicht<br />

die Zukunft verbauen darf. Andererseits hat die wirtschaftliche<br />

Entwicklung der vergangenen 70 Jahre auch<br />

erst jene Bedingungen geschaffen, die gut versorgten<br />

Kindern heute überhaupt die Möglichkeit gibt, ohne eigene<br />

Not oder Hunger demonstrieren zu können. Nie<br />

war die Frage von Work-Life-Balance so entspannt zu<br />

führen wie heute in Zeiten des Fachkräftemangels. Dank<br />

der wirtschaftlichen Entwicklung sind die Renten gestiegen<br />

und wir haben kaum Arbeitslose. Ich sehe keine<br />

Alternative zum Wirtschaftswachstum. Und man darf<br />

auch nicht vergessen: hier steht Deutschlands Industrie<br />

und Wirtschaft in einem harten internationalem Wettbewerb.<br />

Nachdenken und optimieren kann man hinsichtlich<br />

der Nachhaltigkeit. Für die Ausgestaltung der<br />

Arbeitsplätze und der Arbeitsbedingungen sind die Sozialpartner<br />

zuständig.<br />

Die Digitalisierung bedroht Arbeitsplätze, gerade einfache<br />

Tätigkeiten könnten wegfallen. Zugleich böte sie<br />

die Chance, Arbeit neu zu organisieren: zum Beispiel<br />

durch kürzere Arbeitszeiten. Eine Prognose: Wie arbeiten<br />

wir in 30 Jahren?<br />

Es besteht kein Zweifel daran, dass Digitalisierung die<br />

Arbeitswelt verwandelt. Man kann das sehen, dass Kunden<br />

in Supermärkten ihren Einkauf selber an Automatenkassen<br />

scannen, ihr Gepäck am Flughafen selber an<br />

Automaten einchecken, dort automatische Körperscanner<br />

durchlaufen, am Taxistand auf autonom fahrende<br />

Elektroautos warten. Die Callcenter werden durch<br />

Sprachcomputer ersetzt. Bankschalter gibt es dann keine<br />

mehr, Bargeld auch nicht, nur noch Online-Banking. Das<br />

alles deutet sich heute schon an und ist in einigen Jahren<br />

Realität. Die Frage ist: wie weit wollen wir zulassen, dass<br />

Menschlichkeit durch Technik ersetzt wird. Vielleicht haben<br />

wir das in 30 Jahren auch satt, und man möchte wieder<br />

den Service von einem echten Menschen erleben, so<br />

wie heute in der Produktion der Trend zur Manufaktur in<br />

der Mode festzustellen ist. Auch in Zeiten zunehmender<br />

Automatisierung sehen wir immer mehr Manufakturen,<br />

die sprießen gerade überall aus dem Boden, sozusagen als<br />

Gegenbewegung.<br />

Die Fragen beantwortete Peter Weiß


<strong>Versicherungsbote</strong>: Wie bewerten Sie die aktuelle Bedrohung<br />

durch Altersarmut in Deutschland? Müssen die<br />

Bundesbürger Altersarmut fürchten – und was kann dagegen<br />

getan werden?<br />

Ralf Kapschack: Es ist richtig, dass die Zahl derjenigen,<br />

die durch Altersarmut betroffen sind, steigt. Bemisst man<br />

Altersarmut allein am Bezug von Sozialleistungen – also<br />

Grundsicherung im Alter –, so liegt der Prozentsatz der<br />

von Altersarmut betroffenen Menschen bei 1,55 Prozent<br />

(bundesweit 1.078.521 Personen, die Leistungen der<br />

Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung beziehen).<br />

Aus meiner Sicht ist das allein nur ein unzureichender<br />

Hinweis auf die tatsächliche Dimension von Altersarmut.<br />

Es gibt eine sehr hohe Dunkelziffer von Menschen, die<br />

Anspruch auf eine Leistung haben, diese aber beispielsweise<br />

aufgrund von Scham, Unwissenheit oder Sorge auf<br />

Rückgriff auf Einkommen und Vermögen der Kinder<br />

nicht in Anspruch nehmen. Die Grundsicherung deckt lediglich<br />

das Existenzminimum. Armut beginnt aber deutlich<br />

früher. Armut ist relativ.<br />

Die Rente ist das Spiegelbild des Erwerbslebens. Deshalb<br />

sind gute Arbeit, gute Löhne und eine hohe Tarifbindung<br />

die Grundvoraussetzung für eine gute Rente. Mit der Stabilisierung<br />

des Rentenniveaus und des Beitragssatzes sind<br />

wir außerdem einen ersten wichtigen Schritt zur Stärkung<br />

der gesetzlichen Rente gegangen. Denn sie steht für<br />

uns im Mittelpunkt. Jedoch kann nicht mehr jede und jeder<br />

etwas am Arbeitsleben ändern und so für eine gute<br />

Rente sparen. Die Erwerbsbiografien werden immer brüchiger<br />

(Teilzeitarbeit, längere Erwerbsunterbrechungen,<br />

Befristungen, häufige Jobwechsel etc.). Mit der Grundrente,<br />

über die derzeit in der Regierung noch heftig gestritten<br />

wird, werden wir ebenfalls einen Grundstein für eine<br />

bessere Rente legen. Sie sorgt dafür, dass Menschen, die<br />

jahrzehntelang gearbeitet, Angehörige gepflegt oder Kinder<br />

erzogen haben, eine Rente oberhalb der Grundsicherung<br />

erhalten. Und das wichtigste daran: Sie erhalten eine<br />

RENTE. Ihnen wird der Gang zum Amt erspart.<br />

Nach pessimistischen Schätzungen wird in der gesetzlichen<br />

Rentenversicherung schon Mitte dieses Jahrhunderts<br />

ein Arbeitnehmer fast alleine für einen Rentner<br />

aufkommen müssen. Wie sattelfest ist aus Ihrer Sicht die<br />

umlagefinanzierte Rente?<br />

Die Deutsche Rentenversicherung zählt zu den ältesten<br />

Sozialversicherungen überhaupt. Bisher gab es nur einen<br />

Tag, an dem die Rente verspätet gezahlt wurde, das war<br />

Die Versicherungswirtschaft<br />

kommt<br />

mit Riester-Reformvorschlägen<br />

vielleicht<br />

etwas spät!<br />

Für die SPD antwortete Ralf Kapschack, Mdb<br />

sowie zuständiger Berichterstatter im Ausschuss<br />

für Arbeit und Soziales für die SPD-<br />

Bundestagsfraktion. Der Wirtschaftswissenschaftler<br />

und frühere Journalist ist seit 2013<br />

Mitglied des Bundestages.<br />

im Mai 1945. Sie hat auch die Finanzkrisen überstanden<br />

und damit gezeigt, dass sie besser als ihr Ruf ist.<br />

Wenngleich das Verhältnis von BeitragszahlerInnen und<br />

RentnerInnen immer geringer wird, sagt das nicht sehr<br />

viel aus. Denn entscheidend ist, wie sich die Produktivität<br />

der aktuell und zukünftig Beschäftigten entwickelt.<br />

Es ist aber richtig, dass wir etwas tun müssen, wenn wir<br />

weiterhin eine gute gesetzliche Rente wollen. Das ist in<br />

meinen Augen eine Frage der Prioritätensetzung. Für die<br />

SPD ist klar: Die gesetzliche Rente steht im Mittelpunkt<br />

und muss weiter gestärkt werden. Ein weiterer wichtiger<br />

Schritt dafür wäre die Erwerbstätigenversicherung [Die<br />

Einbeziehung aller Erwerbstätigen in die Rentenversicherung:<br />

auch z. B. Minijobber, Selbstständige und Beamte,<br />

Anmerk. Redaktion].<br />

Sollte die gesetzliche Rente zukünftig gestärkt werden,<br />

etwa durch Anhebung des Rentenniveaus oder mehr<br />

Einzahler? Beispiel Österreich: Hier zahlen auch Selbstständige<br />

und Beamte in die Rentenkasse, der Beitrag ist<br />

höher. Aber im Schnitt erhalten Altersruheständler über<br />

300 Euro mehr Rente im Monat. Auch für Deutschland<br />

ein denkbares Modell?<br />

41


Absolut. Eine Erwerbstätigenversicherung wie in Österreich<br />

ist für Deutschland wünschenswert. Zur Wahrheit<br />

gehört aber auch dazu, dass der Beitragssatz in Österreich<br />

deutlich höher liegt als bei uns. Außerdem gibt es<br />

in Österreich „lediglich“ einen Inflationsausgleich bei<br />

den jährlichen Rentenanpassungen. Das wiederum auf<br />

einem höheren Niveau als bei uns.<br />

Darüber hinaus werden in Österreich erst nach 15 Versicherungsjahren<br />

Renten gezahlt, in Deutschland nach<br />

fünf. Das zeigt, das österreichische<br />

System ist nicht eins zu eins<br />

übertragbar – aber es hat eine<br />

Menge Vorteile, vor allem, weil<br />

alle grundsätzlich in einer Rentenversicherung<br />

sind.<br />

Im Herbst dieses Jahres werden<br />

wir mit der Einbeziehung von<br />

Selbständigen in die gesetzliche<br />

Rentenversicherung beginnen.<br />

Wenn es nach mir geht, beziehen<br />

wir die Abgeordneten gleich mit<br />

ein. Das hat vor allem etwas mit<br />

Gerechtigkeit und Solidarität zu<br />

tun. Die Parlamentarische Linke<br />

in der SPD-Bundestagsfraktion<br />

hatte das bereits in der vergangenen<br />

Wahlperiode gefordert. Damit sollten wir endlich<br />

beginnen.<br />

Die Stabilisierung des Rentenniveaus ist aus meiner<br />

Sicht auch ein absolut richtiger Schritt gewesen, um das<br />

Vertrauen in die gesetzliche Rente und damit in den<br />

Sozialstaat zu stärken.<br />

Die OECD plädiert dafür, das Renteneintrittsalter an<br />

die steigende Lebenserwartung der Bundesbürger zu<br />

koppeln: auch, weil die Gesellschaft altert. Werden wir<br />

künftig länger arbeiten müssen, damit die Rente finanzierbar<br />

bleibt?<br />

Bevor wir wieder über die Anhebung des Renteneintrittsalters<br />

diskutieren, müssen wir dafür sorgen, dass<br />

alle Menschen gesund das aktuelle Renteneintrittsalter<br />

erreichen können. Denn das ist vielen Menschen in<br />

Deutschland derzeit nicht möglich. Erwerbsminderung<br />

ist leider nach wie vor eines der größten Armutsrisiken.<br />

Von mir aus kann man gern über zusätzliche Anreize<br />

nachdenken, um längeres Arbeiten für diejenigen, die<br />

wollen und können, attraktiver zu machen. Eine ausreichende<br />

Absicherung im Alter darf davon aber nicht abhängen.<br />

42<br />

Bevor wir wieder<br />

über die Anhebung<br />

des Renteneintrittsalters<br />

diskutieren,<br />

müssen wir dafür<br />

sorgen, dass alle<br />

Menschen gesund<br />

das aktuelle Renteneintrittsalter<br />

erreichen<br />

können.<br />

Aktuell wird eine Altersvorsorgepflicht für Selbstständige<br />

diskutiert, weil speziell sogenannte Soloselbstständige mit<br />

kleinem Einkommen oft darauf verzichten, aber später<br />

Anspruch auf Grundsicherung haben. Wie positionieren<br />

Sie sich zu dieser Pflicht – wie könnte diese gestaltet sein?<br />

Die Altersvorsorgepflicht für Selbstständige ist längst<br />

überfällig und daher absolut begrüßenswert. Im Koalitionsvertrag<br />

haben wir vereinbart, dass „wir eine gründerfreundlich<br />

ausgestaltete<br />

Altersvorsorgepflicht für alle<br />

Selbstständigen einführen [wollen],<br />

die nicht bereits anderweitig<br />

obligatorisch (zum Beispiel in<br />

berufsständischen Versorgungswerken)<br />

abgesichert sind.<br />

Grundsätzlich sollen Selbstständige<br />

zwischen der gesetzlichen<br />

Rentenversicherung und – als<br />

Opt-out-Lösung – anderen geeigneten<br />

insolvenzsicheren Vorsorgearten<br />

wählen können. Wobei<br />

diese insolvenz- und pfändungssicher<br />

sein und in der Regel zu<br />

einer Rente oberhalb des Grundsicherungsniveaus<br />

führen müssen.“<br />

Insbesondere der letzte Teil wird in der Umsetzung<br />

nicht ganz unkompliziert. Da hätte ich mir eine klarere<br />

Regelung – ohne Ausnahmen – gewünscht, nämlich die<br />

Einbeziehung in die gesetzliche Rentenversicherung.<br />

Neben der gesetzlichen und betrieblichen Rente sollen<br />

die Menschen auch privat vorsorgen: unter anderem<br />

staatlich gefördert mit der Riester-Rente. Muss Riester<br />

reformiert oder gar abgeschafft werden? Oder funktioniert<br />

das aktuelle Modell? Über 16,56 Millionen Menschen<br />

hatten zum Ende des dritten Quartals einen<br />

Riester-Vertrag abgeschlossen. Aber das Neugeschäft<br />

stagniert, jeder fünfte Vertrag liegt nach Schätzungen<br />

des Bundesarbeitsministeriums auf Eis.<br />

Jeder, der kann, sollte zusätzlich für das Alter vorsorgen.<br />

Für uns ist jedoch die betriebliche Altersversorgung die<br />

beste Ergänzung zur gesetzlichen Rente, allerdings kein<br />

Ersatz!<br />

Ich glaube, dass die private Altersvorsorge nur über ein<br />

staatlich bzw. öffentlich-rechtliches Standard-Produkt<br />

wieder an Schwung gewinnt. Die Versicherungswirtschaft<br />

befürchtet das und kommt jetzt allmählich mit eigenen<br />

Vorschlägen. Vielleicht etwas spät.


Das Vertrauen in Riester ist ramponiert, nicht zuletzt wegen<br />

der hohen Kosten, Provision und der Unübersichtlichkeit<br />

der Produkte. Aber auch wegen der Kapitalmarktentwicklung.<br />

Wie positionieren Sie sich zu der Idee, einen Kapitalstock<br />

bei der Deutschen Rentenversicherung aufzubauen, ähnlich<br />

dem schwedischen Staatsfonds? Dort zahlen die Bürger<br />

2,5 Prozent ihres Gehalts in bis zu fünf Fonds ein,<br />

über 800 stehen zu Auswahl. Sie müssen Nachhaltigkeitskriterien<br />

erfüllen. Die Verwaltungskosten: 0,1 Prozent.<br />

Ein Modell auch für Deutschland?<br />

Ich halte diese Idee für sehr interessant. Es gab ja in den<br />

vergangenen Monaten neue Vorschläge in eine ähnliche<br />

Richtung, zum Beispiel von den Verbraucherzentralen<br />

und anderen. Die Deutsche Rentenversicherung steht für<br />

Kontinuität und ist bekannt. Hier zusätzlich anzusetzen<br />

und eine Art Standardprodukt, das einfach, transparent<br />

und kostengünstig ist, anzubieten, finde ich genau richtig.<br />

Das könnte ein Angebot für private Vorsorge sein, aber<br />

auch eins für betriebliche Vorsorge, in Branchen und Betrieben,<br />

die keine anderen tarifvertraglichen Regelungen<br />

hinbekommen.<br />

Dank Niedrigzins-Politik werden viele populäre Geldanlagen<br />

der Deutschen vakant: Lebens- und Rentenversicherungen<br />

rentieren sich immer seltener. Müssen die<br />

Bürger umlernen und ihr Geld in andere Vorsorgeformen<br />

stecken?<br />

Diese langanhaltende Niedrigzinsphase zeigt deutlich,<br />

dass eine rein kapitalgedeckte Altersversorgung nicht<br />

sinnvoll und durchaus aus schwierig ist. Die gesetzliche<br />

Rente bietet eine Rendite von derzeit 3 Prozent. Wo bekommt<br />

man das sonst noch?<br />

Wir können jedoch an verschiedenen Stellschrauben drehen.<br />

Ich denke da z.B. an starke Betriebsrenten, an denen<br />

sich die Arbeitgeber beteiligen, Förderinstrumente und<br />

ein Standardprodukt für die private Vorsorge.<br />

Wird der Niedrigzins aus Ihrer Sicht in den kommenden<br />

Jahren anhalten – und mit welchen Konsequenzen für<br />

deutsche Sparer?<br />

Das kann wahrscheinlich keiner seriös sagen. Es spricht<br />

aber wenig dafür, dass sich die Zinsentwicklung schnell<br />

ändert.<br />

Wichtig ist es, dass die Sparerinnen und Sparer langfristig<br />

anlegen, wenn möglich sich nicht auf eine Vorsorgeform<br />

konzentrieren und auch ein Stück weit akzeptieren, dass<br />

sich Rahmenbedingungen ändern, die wir heute für die<br />

Zeit in 40 Jahren noch nicht voraussehen können.<br />

Unser Wohlfahrtssystem beruht auf der Idee, dass Wirtschaftswachstum<br />

zu mehr Wohlstand führt: dies wird<br />

auch wirtschaftspolitisch angestrebt. Nicht erst seit den<br />

„Fridays for Future“-Demonstrationen gibt es Bedenken,<br />

ob das Wachstumsideal dem Menschen auch schadet: es<br />

bedroht die Umwelt, führt zu Stress und Burnout etc.<br />

Gibt es eine Alternative zu einer Wirtschaft, die Wachstum<br />

anpeilt – wie könnte sie aussehen?<br />

Es sollte dabei vor allem um die Frage gehen, welche Bereiche<br />

wachsen und wie wir einen vernünftigen Ausgleich<br />

hinbekommen zwischen den Anforderungen an Mobilität,<br />

Energie, Wohnen, Arbeiten und dem Schutz von Umwelt<br />

und Natur. Und nicht zuletzt geht es darum, wie der<br />

Wohlstand gerechter verteilt wird. Das wäre beispielsweise<br />

durch eine höhere Besteuerung von Reichtum möglich<br />

und mehr Investitionen in die Infrastruktur, die allen zu<br />

Gute kommen.<br />

Die Digitalisierung bedroht Arbeitsplätze, gerade einfache<br />

Tätigkeiten könnten wegfallen. Zugleich böte sie die<br />

Chance, Arbeit neu zu organisieren: zum Beispiel durch<br />

kürzere Arbeitszeiten. Eine Prognose: Wie arbeiten wir<br />

in 30 Jahren?<br />

Wir arbeiten in 30 Jahren vermutlich kürzer, ortsunabhängiger,<br />

aber trotzdem hoffentlich mit klaren rechtlichen<br />

Schutzregelungen für Arbeitnehmerinnen und<br />

Arbeitnehmern, um einer Entgrenzung von Arbeit und<br />

Freizeit entgegen zu wirken. Lebenslanges Lernen gehört<br />

zur Normalität.<br />

Die Fragen beantwortete Ralf Kapschack<br />

43


Wir streben eine<br />

Bürgerversicherung<br />

in der Rentenversicherung<br />

an<br />

Markus Kurth: Alle Menschen müssen sich auf eine Alterssicherung<br />

verlassen können, die vor Armut schützt und<br />

den Lebensstandard sichert. Dennoch sind immer mehr<br />

Rentnerinnen und Rentner von Altersarmut betroffen.<br />

Angesichts unsteter Erwerbsbiografien, prekärer Arbeitsverhältnisse<br />

und eines sinkenden Rentenniveaus ab 2025<br />

droht diese Entwicklung stetig fortzuschreiten. Betroffen<br />

sind insbesondere Frauen, Solo-Selbständige und Personen<br />

mit gesundheitlichen Problemen. Um diesen Problemen<br />

entgegenzutreten, ist eine ganze Reihe von<br />

Maßnahmen notwendig.Die bisherige Regierungskoalition<br />

hat es versäumt, den notwendigen Richtungswechsel<br />

in der Rentenpolitik einzuleiten. Es wurden weder die<br />

Grundrente noch die Altersvorsorgepflicht für Selbstständige<br />

angepackt. Es sind insbesondere immer mehr<br />

Frauen, die durch geringe Rentenansprüche von Altersarmut<br />

betroffen sind. Die Erziehung von Kindern oder<br />

die Pflege von Angehörigen darf nicht zu niedrigeren<br />

Renten führen. Deshalb brauchen wir eine Rente, die den<br />

Schutz vor Armut für alle Menschen garantiert, die mindestens<br />

30 Jahre lang Mitglied der gesetzlichen Rentenversicherung<br />

waren und gearbeitet, Kinder erzogen oder<br />

Angehörige gepflegt haben. Konkret fordern wir eine Garantierente<br />

von 30 Entgeltpunkten - das wären im kommenden<br />

Jahr circa 1000 Euro. Diese Garantierente wächst<br />

als dynamischer Teil der Rentenversicherung bei jeder<br />

Rentenerhöhung weiter an. Damit erkennen wir die Lebensleistung<br />

aller langjährig Versicherten und insbesondere<br />

diejenige von Frauen an.<br />

Nach pessimistischen Schätzungen wird in der gesetzlichen<br />

Rentenversicherung schon Mitte dieses Jahrhunderts<br />

ein Arbeitnehmer fast alleine für einen Rentner<br />

aufkommen müssen. Wie sattelfest ist aus Ihrer Sicht die<br />

umlagefinanzierte Rente?<br />

Es antwortete Markus Kurth, rentenpolitischer<br />

Sprecher der Fraktion Bündnis 90/ die<br />

Grünen im Bundestag. Seit 2002 ist der Politikwissenschaftler<br />

Bundestags-Mitglied und<br />

aktuell auch in den Bundestags-Ausschüssen<br />

für Arbeit und Soziales sowie für Gesundheit<br />

vertreten.<br />

<strong>Versicherungsbote</strong>: Wie bewerten Sie die aktuelle Bedrohung<br />

durch Altersarmut in Deutschland? Müssen die Bundesbürger<br />

Altersarmut fürchten – und was kann dagegen<br />

getan werden?<br />

44<br />

Der demografische Wandel bedeutet für die umlagefinanzierte<br />

Rente eine große Herausforderung. Dieser<br />

führt aber nicht, wie bisweilen behauptet wird, in einer<br />

Art quasi-naturgesetzlicher Vorbestimmung zu einem<br />

Kollaps der Rentenversicherung, sondern ist politisch gestaltbar.<br />

Die jetzige, spätestens aber die kommende Bundesregierung<br />

ist aufgefordert, eine konsistente<br />

Gesamtstrategie vorzulegen, die Rentenpolitik mit Arbeitsmarkt-<br />

und Demografiepolitik verbindet und die<br />

hohe Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung<br />

auf Dauer gewährleistet. Dabei gilt es unter anderem,<br />

die Erwerbsbeteiligung von Frauen zu erhöhen und<br />

bestehende Benachteiligungen am Arbeitsmarkt abzubauen.<br />

Gerade ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer<br />

müssen die Möglichkeit erhalten, gesünder und<br />

länger zu arbeiten. Nicht nur weil diese Maßnahmen viele<br />

Menschen individuell unterstützen würden, sind mutige<br />

Schritte dringend erforderlich. Kombiniert würden sie<br />

auch die Einnahmebasis der Sozialversicherungen und<br />

besonders die der Rentenversicherung erheblich erweitern<br />

und so einen wichtigen und notwendigen Beitrag zur<br />

Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme leisten. Angesichts<br />

der demografischen Veränderungen wird es zukünftig<br />

auch über 2025 hinaus nötig sein, die<br />

Rentenfinanzen zusätzlich über einen Stabilisierungsbeitrag<br />

aus Steuermitteln zu stützen.<br />

Sollte die gesetzliche Rente zukünftig gestärkt werden,<br />

etwa durch Anhebung des Rentenniveaus oder mehr<br />

Einzahler? Beispiel Österreich: Hier zahlen auch Selbstständige<br />

und Beamte in die Rentenkasse, der Beitrag ist<br />

höher. Aber im Schnitt erhalten Altersruheständler<br />

über 300 Euro mehr Rente im Monat. Auch für Deutschland<br />

ein denkbares Modell?


Die gesetzliche Rentenversicherung ist und bleibt die<br />

zentrale Säule im Alterssicherungssystem. Das gesetzliche<br />

Rentenniveau wollen wir langfristig stabilisieren,<br />

also auch über 2025 hinaus wie im vergangenen Jahr von<br />

der Regierungskoalition beschlossen. Wir streben gleichzeitig<br />

eine Bürgerversicherung in der Rentenversicherung<br />

an, in die alle Bürgerinnen und Bürger unter der<br />

Berücksichtigung aller Einkunftsarten einbezogen werden.<br />

So sind sie gut abgesichert und können entsprechend<br />

ihrer Einkommen Rentenansprüche erwerben. In<br />

einem ersten Schritt sollen schon heute nicht anderweitig<br />

abgesicherte Selbständige, Minijobberinnen und –<br />

jobber, Langzeitarbeitslose und Abgeordnete aufgenommen<br />

werden.<br />

Die OECD plädiert dafür, das Renteneintrittsalter an die<br />

steigende Lebenserwartung der Bundesbürger zu koppeln:<br />

auch, weil die Gesellschaft altert. Werden wir künftig länger<br />

arbeiten müssen, damit die Rente finanzierbar bleibt?<br />

Die OECD macht es sich hier leider zu leicht. Wir wissen,<br />

dass es schon bei der Rente mit 67 zahlreiche Problemgruppen<br />

gibt. Vielen Menschen ist es in den vergangenen Jahren<br />

nicht gelungen, mit der Anhebung der Regelaltersgrenze<br />

Schritt zu halten. Denn nach wie vor ist der Anteil der sozialversicherungspflichtig<br />

Beschäftigten im rentennahen Alter<br />

zu niedrig. Die Zahl der MinijobberInnen über 63 Jahre<br />

und der Anteil atypisch Beschäftigter haben in den letzten<br />

Jahren erheblich zugenommen, während die Zahl der in<br />

Vollzeit arbeitenden Älteren stagniert. Und Frauen kurz<br />

vor dem Rentenalter machen besonders in Ostdeutschland<br />

einen immer größeren Teil der Arbeitslosen aus. In zahlreichen<br />

Branchen und Berufsgruppen – gerade in jenen, in denen<br />

manuelle Tätigkeiten dominieren – bleibt ein Arbeiten<br />

bis 67 oft Utopie. Für die Akzeptanz der getroffenen Entscheidung,<br />

die Regelaltersgrenze anzuheben, ist es entscheidend,<br />

Lösungen für die vielfältigen Problemgruppen zu<br />

schaffen.<br />

Wir Grüne wollen deshalb die Teilrente attraktiver machen<br />

–unteranderem,indemwirdieAbschlägefürbesondersbelastete<br />

Beschäftigte streichen. Die Möglichkeiten auch umfangreicher<br />

Weiterbildungen für Ältere sind zu erweitern.<br />

Die Erwerbsminderungsrente wollen wir stärken. Präventionsmaßnahmen<br />

müssen zum Standard werden und gemeinsam<br />

mit der Rehabilitation einen noch größeren Beitrag<br />

zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit leisten.<br />

Aktuell wird eine Altersvorsorgepflicht für Selbstständige<br />

diskutiert, weil speziell sogenannte Soloselbstständige mit<br />

kleinem Einkommen oft darauf verzichten, aber später Anspruch<br />

auf Grundsicherung haben. Wie positionieren Sie<br />

sich zu dieser Pflicht – wie könnte diese gestaltet sein?<br />

Immer mehr alte Menschen landen im Sozialhilfesystem.<br />

Insbesondere die zahlreichen Selbstständigen, die nicht für<br />

das Alter abgesichert sind und zunehmend die Grundsicherung<br />

im Alter und bei Erwerbsminderung in Anspruch nehmen<br />

müssen, brauchen in Zukunft einen besseren Schutz<br />

vor Altersarmut. Damit dies gelingt, ist es notwendig, diese<br />

Menschen in der Rentenversicherung zu versichern. Mit der<br />

Einführung einer Bürgerversicherung können sie am Solidarsystem<br />

teilhaben. Ihre Rentenansprüche sind dann im<br />

Fall einer Insolvenz pfändungssicher geschützt. Die gesetzliche<br />

Rentenversicherung ist im Gegensatz zu manchen Finanzdienstleistern<br />

sicher vor Pleiten und bietet mit der<br />

Erwerbsminderungsrente Leistungen, die private Versicherungen<br />

nicht im Angebot haben. Das schließt private Vorsorge<br />

nicht aus. Die gesetzliche Rentenversicherung sollte<br />

jedoch die Basis darstellen. Die Vereinbarung im Koalitionsvertrag<br />

- eine Versicherungspflicht mit Wahloption zwischen<br />

der Rentenversicherung und anderen effektiven und<br />

insolvenzsicheren Vorsorgearten - kommt dieser Forderung<br />

immerhin nah. Es bleibt jedoch fraglich, wie verwaltungsarm<br />

überprüft werden soll, ob eine mögliche Absicherung<br />

jenseits der Rentenversicherung zu einer Rente oberhalb<br />

des Grundsicherungsniveaus führt.<br />

Neben der gesetzlichen und betrieblichen Rente sollen die<br />

Menschen auch privat vorsorgen: unter anderem staatlich<br />

gefördert mit der Riester-Rente. Muss Riester reformiert<br />

oder gar abgeschafft werden? Oder funktioniert das aktuelle<br />

Modell? Über 16,56 Millionen Menschen hatten zum<br />

Ende des dritten Quartals einen Riester-Vertrag abgeschlossen.<br />

Aber das Neugeschäft stagniert, jeder fünfte<br />

Vertrag liegt nach Schätzungen des Bundesarbeitsministeriums<br />

auf Eis.<br />

Die Riester-Rente funktioniert in der Tat nicht so, wie es<br />

bei ihrer Einführung erwartet wurde. Nur rund sieben Millionen<br />

Menschen sorgen in vollem Umfang über die geförderte<br />

private Altersvorsorge vor. Und das mit regelmäßig zu<br />

geringen Renditen und zu hohen Verwaltungskosten. Ihrer<br />

Funktion, nämlich das Absinken des Rentenniveaus flächendeckend<br />

auszugleichen, wird die Riester-Rente daher<br />

bei weitem nicht gerecht. Das Rentenniveau muss deshalb<br />

langfristig stabilisiert werden. Wir Grüne fordern außerdem<br />

einen Neustart in der privaten Vorsorge. Neben einer<br />

besseren Förderung von Geringverdienenden braucht es<br />

endlich transparentere und günstigere Möglichkeiten der<br />

Geldanlage.<br />

45


Wie positionieren Sie sich zu der Idee, einen Kapitalstock<br />

bei der Deutschen Rentenversicherung aufzubauen, ähnlich<br />

dem schwedischen Staatsfonds? Dort zahlen die Bürger<br />

2,5 Prozent ihres Gehalts in bis zu fünf Fonds ein, über<br />

800 stehen zu Auswahl. Sie müssen Nachhaltigkeitskriterien<br />

erfüllen. Die Verwaltungskosten: 0,1 Prozent. Ein Modell<br />

auch für Deutschland?<br />

Das schwedische Modell der „Premiepension“ ist sicher<br />

nicht eins zu eins auf Deutschland übertragbar, da sie dort<br />

Teil der ersten, obligatorischen Säule der Alterssicherung<br />

ist. Die Grundidee eines von einer öffentlichen Einrichtung,<br />

wie zum Beispiel der Rentenversicherung, verwalteten<br />

Fonds zur Altersvorsorge unterstützen wir aber. Unser Ziel<br />

ist die Einführung eines Grünen Bürgerfonds. Die Verwaltung<br />

des Bürgerfonds über eine öffentliche Stelle kann gewährleisten,<br />

dass er als Non-Profit-Produkt ausgestaltet<br />

wird, die Verwaltungskosten minimiert werden und dass<br />

die zusätzliche Altersvorsorge an Vertrauen zurückgewinnt,<br />

das durch die vielen mangelhaften Altersvorsorgeprodukte<br />

in den letzten Jahren sehr gelitten hat. Ähnlich<br />

wie beim norwegischen Staatsfonds wollen wir sicherstellen,<br />

dass der Bürgerfonds soziale, ökologische und ethische<br />

Maßstäbe bei der Kapitalanlage transparent einbezieht.<br />

Dank Niedrigzins-Politik werden viele populäre Geldanlagen<br />

der Deutschen vakant: Lebens- und Rentenversicherungen<br />

rentieren sich immer seltener. Müssen die Bürger<br />

umlernen und ihr Geld in andere Vorsorgeformen stecken?<br />

Wird der Niedrigzins aus Ihrer Sicht in den kommenden<br />

Jahren anhalten – und mit welchen Konsequenzen<br />

für deutsche Sparer?<br />

Zahlreiche Ökonominnen und Ökonomen erwarten, dass<br />

die Phase niedriger Zinsen noch eine ganze Weile anhalten<br />

wird. Die Schwäche des Finanzmarktes zeigt doch eines: Die<br />

gesetzliche Rentenversicherung muss auch in Zukunft die<br />

zentrale Säule des Alterssicherungssystems bleiben. Sie<br />

muss sogar noch gestärkt werden. Alle historischen Verwerfungen<br />

hat sie letztlich unbeschadet überstanden. Und in<br />

Zeiten niedriger Zinsen erweist sie sich als stabiler als die<br />

kapitalgestützte Altersvorsorge. Eine ernsthaft zu prüfende<br />

Überlegung ist es deshalb, zusätzliche Einzahlungen in die<br />

gesetzliche Rentenversicherung deutlich zu vereinfachen,<br />

indem wir sie ausnahmslos zulassen, also auch etwa vor dem<br />

fünfzigsten Geburtstag, was durch die bisherige Rechtslage<br />

noch verhindert wird.<br />

wirtschaftspolitisch angestrebt. Nicht erst seit den „Fridays<br />

for Future“-Demonstrationen gibt es Bedenken, ob das<br />

Wachstumsideal dem Menschen auch schadet: es bedroht<br />

die Umwelt, führt zu Stress und Burnout etc. Gibt es eine<br />

Alternative zu einer Wirtschaft, die Wachstum anpeilt –<br />

wie könnte sie aussehen?<br />

Oftmals gilt wirtschaftliches Wachstum, ausgedrückt im<br />

Bruttoinlandsprodukt (BIP), als das Maß aller Dinge. Doch<br />

das BIP ist „blind“ dafür, ob unser Wirtschaften auch seine<br />

sozialen, ökologischen und gesellschaftlichen Quellen erhält<br />

oder ob es ihnen Schaden zufügt. Es ist an der Zeit, eine<br />

Trendwende einzuleiten. Mit dem Verharren im Status quo<br />

riskieren wir – ähnlich wie beim Klimawandel – Kipppunkte<br />

zu erreichen, nach denen sich negative Entwicklungen<br />

dynamisch beschleunigen. Die Ressource Zukunft wird<br />

knapp. Wir setzen uns für mehr Lebensqualität statt blindes<br />

Wachstum ein. Dies gelingt zum Beispiel durch soziale Innovationen,<br />

wie sie in manchen Bereichen der Share Economy<br />

mit dem Konzept Teilen statt Besitzen entwickelt wurden.<br />

Zusammen mit neuen Technologien führen sie einer wirksamen<br />

und sparsamen Nutzung unserer natürlichen Ressourcen.<br />

Gemeinwohlorientierten Modellen wollen wir<br />

gleichwertige Rahmen- und Förderungsbedingungen wie<br />

anderen Unternehmen zusichern. Den Wandel wollen wir<br />

mit einem neuen Wohlstandsmaß begleiten, das zum Beispiel<br />

auch den ökologischen Fußabdruck, gute Bildung und<br />

gesunde Lebensjahre abbildet.<br />

Die Digitalisierung bedroht Arbeitsplätze, gerade einfache<br />

Tätigkeiten könnten wegfallen. Zugleich böte sie die<br />

Chance, Arbeit neu zu organisieren: zum Beispiel durch<br />

kürzere Arbeitszeiten. Eine Prognose: Wie arbeiten wir in<br />

30 Jahren?<br />

Die Digitalisierung wird laut einer Studie des Instituts für<br />

Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) die Arbeitsnachfrage<br />

insgesamt kaum beeinflussen, aber die Arbeitsplätze<br />

erheblich verändern. Allein in Nordrhein-Westfalen fallen<br />

demnach bis 2035 rund 290.000 Arbeitsplätze weg. Die gleiche<br />

Zahl entsteht in diesem Zeitraum allerdings in anderen<br />

Bereichen. Bildung und Weiterbildung werden folglich in<br />

den kommenden Jahren immer wichtiger. Deshalb wollen<br />

wir die Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung<br />

weiterentwickeln und die Weiter- oder Neuqualifizierung<br />

auch von Menschen in bestehenden Beschäftigungsverhältnissen<br />

in den Mittelpunkt stellen.<br />

Unser Wohlfahrtssystem beruht auf der Idee, dass Wirtschaftswachstum<br />

zu mehr Wohlstand führt: dies wird auch<br />

Die Fragen beantwortete Markus Kurth<br />

46


<strong>Versicherungsbote</strong>: Wie bewerten Sie die aktuelle Bedrohung<br />

durch Altersarmut in Deutschland? Müssen die<br />

Bundesbürger Altersarmut fürchten – und was kann dagegen<br />

getan werden?<br />

Matthias W. Birkwald: In den Talkshows hört man immer,<br />

dass nur 2,7 Prozent der Rentnerinnen und Rentner<br />

arm seien, weil sie in der „Grundsicherung im Alter“, der<br />

Rentnersozialhilfe, sind. Das sind aber nicht die armen<br />

Rentnerinnen und Rentner, sondern das sind die sehr armen,<br />

nämlich diejenigen, die unterhalb des Existenzminimums<br />

von weniger als monatlich 808 Euro durchschnittlich<br />

leben müssen.<br />

Arm ist nach der EU-Definition aber, wer als alleinlebender<br />

Mensch in Deutschland weniger als 1096 Euro netto<br />

im Monat zur Verfügung hat. Wenn wir diese Zahl nehmen,<br />

dann sind heute bereits 17 Prozent aller über 64-jährigen<br />

Menschen, das heißt 1,2 Millionen Männer und<br />

1,6 Millionen Frauen, in unserem Land als arm zu bezeichnen.<br />

Und wenn wir die Pensionäre und Pensionärinnen<br />

rausrechnen, dann leben 19,5 Prozent aller<br />

Rentnerhaushalte in Armut. Dagegen müssen wir dringend<br />

etwas tun.<br />

Deshalb gilt jetzt umso mehr: Wir brauchen in Deutschland<br />

– wie in vielen anderen OECD-Staaten auch – eine<br />

Mindestrente, die ihren Namen verdient!<br />

Deshalb fordert DIE LINKE nach dem Vorbild Österreichs<br />

eine einkommens- und vermögensgeprüfte „Solidarische<br />

Mindestrente“, die sicherstellt, dass im Alter<br />

niemand von weniger als 1050 Euro netto leben muss.<br />

Nach pessimistischen Schätzungen wird in der gesetzlichen<br />

Rentenversicherung schon Mitte dieses Jahrhunderts<br />

ein Arbeitnehmer fast alleine für einen Rentner<br />

aufkommen müssen. Wie sattelfest ist aus Ihrer Sicht die<br />

umlagefinanzierte Rente?<br />

Nach den kürzlich vom Statistischen Bundesamt aktualisierten<br />

Daten der 14. Bevölkerungsvorausberechnung<br />

(Basis: 31.12.2018) kommen im Jahr 2050 zwei Menschen<br />

im Alter von 20 bis 65 auf einen Menschen im Alter von<br />

66 und älter. Gleichzeitig haben sich in den vergangenen<br />

zehn Jahren die Beschäftigungsquoten der Menschen im<br />

erwerbsfähigen Alter (15-65) sehr dynamisch entwickelt:<br />

Die Quote stieg insgesamt um elf Prozentpunkte auf<br />

60 Prozent, bei Frauen um plus zwölf Prozentpunkte und<br />

bei der ausländischen Bevölkerung um 18 Prozentpunkte.<br />

Das zeigt, dass der demographische Wandel gestalt- und<br />

bewältigbar ist. Da die Regelaltersgrenze – sehr zu unserem<br />

Verdruss – bis 2031 auf 67 Jahre angehoben wird,<br />

Der demografische<br />

Wandel ist gestaltbar<br />

und bewältigbar!<br />

Es antwortete Matthias W. Birkwald. Der Diplom-Sozialwissenschaftler<br />

ist seit 2009 Mitglied<br />

des Bundestages und rentenpolitischer<br />

Sprecher der Bundestagsfraktion Die Linke<br />

im Bundestag.<br />

müsste dann der Berechnungsmodus ab 2031 auch auf<br />

67 umgestellt werden. Dann wird es noch weniger dramatisch<br />

als behauptet.<br />

Im Übrigen: Trotz der Finanzkrise hat sich die gesetzliche<br />

Rente in den vergangen Jahren sehr stabil entwickelt.<br />

Aktuell ist der Beitragssatz zur gesetzlichen Rente auf<br />

dem niedrigsten Stand seit 20 Jahren. Und trotzdem ist<br />

die Rentenkasse dank steigender Beitragseinnahmen<br />

prall gefüllt. Deshalb ist die paritätisch und umlagefinanzierte<br />

Rente das im Prinzip stabilste Element der Altersvorsorge<br />

und muss wieder lebensstandardsichernd und<br />

armutsfest ausgebaut werden.<br />

Die OECD plädiert dafür, das Renteneintrittsalter an<br />

die steigende Lebenserwartung der Bundesbürger zu<br />

koppeln: auch, weil die Gesellschaft altert. Werden wir<br />

künftig länger arbeiten müssen, damit die Rente finanzierbar<br />

bleibt?<br />

Eine Rente 'erst ab 67 plus' lehnt DIE LINKE kategorisch<br />

ab. Ein längeres Leben garantiert nicht automatisch Gesundheit<br />

bis ins hohe Alter hinein – ganz zu schweigen<br />

davon, dass es gar nicht genügend gute Jobs für ältere Ar-<br />

47


eitnehmerinnen und Arbeitnehmer gibt. Vor Vollendung<br />

des 65. Lebensjahres sterben 13 Prozent der Frauen<br />

und 27 Prozent der Männer aus<br />

der niedrigsten Einkommensgruppe,<br />

in der höchsten Einkommensgruppe<br />

sind es acht Prozent<br />

der Frauen und 14 Prozent der<br />

Männer. Das zeigt, dass der Vorschlag,<br />

den Renteneintritt an die<br />

durchschnittliche Lebenserwartung<br />

zu koppeln, höchst unsozial<br />

wäre. Die beste Maßnahme für<br />

eine solide finanzierte gesetzliche Rente ist deshalb ein<br />

Mix aus besseren Löhnen, stabileren Erwerbsbiographien<br />

und einem moderat steigendem Beitragssatz sowie einer<br />

steuerfinanzierten „Solidarischen Mindestrente“.<br />

Sollte die gesetzliche Rente zukünftig gestärkt werden,<br />

etwa durch Anhebung des Rentenniveaus oder mehr<br />

Einzahler? Beispiel Österreich: Hier zahlen auch Selbstständige<br />

und Beamte in die Rentenkasse, der Beitrag ist<br />

höher. Aber im Schnitt erhalten Altersruheständler<br />

über 300 Euro mehr Rente im Monat. Auch für Deutschland<br />

ein denkbares Modell?<br />

Ja. Das österreichische Beispiel zeigt, wohin die Reise gehen<br />

muss. Männer erhalten in Österreich Durchschnittsrenten<br />

von 2.323 Euro und Frauen in Höhe von 1.321 Euro.<br />

Sie liegen damit 1.092 (Männer) bzw. 339 Euro (Frauen)<br />

über vergleichbaren Bruttorenten in Deutschland. Dies<br />

ist möglich, weil Österreich – mit einem Verzicht auf die<br />

Teilprivatisierung der Rente, einer konsequenten Einbeziehung<br />

aller Erwerbstätigen und einem seit 1988 gültigen<br />

Beitragssatz von 22,8 Prozent (Arbeitgeberinnen<br />

und Arbeitgeber 12,55 Prozent und Beschäftigte<br />

10,25 Prozent) – das Rentensystem stabil und zukunftsfähig<br />

aufgestellt hat.<br />

Aktuell wird eine Altersvorsorgepflicht für Selbstständige<br />

diskutiert, weil speziell sogenannte Soloselbstständige<br />

mit kleinem Einkommen oft darauf verzichten, aber<br />

später Anspruch auf Grundsicherung haben. Wie positionieren<br />

Sie sich zu dieser Pflicht – wie könnte diese gestaltet<br />

sein?<br />

48<br />

Aktuell ist der<br />

Beitragssatz zur gesetzlichen<br />

Rente auf<br />

dem niedrigsten<br />

Stand seit 20 Jahren.<br />

Der Vorschlag von Bundesarbeitsminister Hubertus<br />

Heil, Selbständige per Gesetz zur Altersvorsorge zu verpflichten,<br />

geht in die richtige Richtung, wiewohl die Tücke<br />

im Detail liegt und nicht zu viele Opt-out-<br />

Möglichkeiten vorgesehen werden sollten. Internetplattformen,<br />

die gewerblich Selbstständige vermitteln, und<br />

Auftraggeberinnen und Auftraggeber insgesamt müssen<br />

an der Finanzierung der sozialen<br />

Sicherung der vermittelten<br />

Selbstständigen beteiligt werden.<br />

DIE LINKE fordert, in einem ersten<br />

Schritt auf dem Weg hin zu<br />

einer Erwerbstätigenversicherung<br />

alle bisher nicht in einem<br />

obligatorischen Altersvorsorgesystem<br />

abgesicherten Selbstständigen<br />

in die gesetzliche<br />

Rentenversicherung einzubeziehen. Die Beiträge dieser<br />

Menschen sollen nach deren tatsächlichen Einkommen,<br />

also dem Gewinn vor Steuern, berechnet werden.<br />

Ich fordere die Bundesregierung auf, gleichzeitig zu prüfen,<br />

welche Möglichkeiten sich anbieten, einerseits eine<br />

Überlastung kleiner Unternehmen und Solo-Selbstständiger<br />

durch Sozialversicherungsbeiträge zu verhindern<br />

und andererseits die Auftraggeber in einem Umfang an<br />

den Sozialversicherungsbeiträgen zu beteiligen, der im<br />

Wesentlichen dem Arbeitgeberanteil entspricht.<br />

Dazu werden wir im Herbst Fachgespräche durchführen.<br />

Neben der gesetzlichen und betrieblichen Rente sollen<br />

die Menschen auch privat vorsorgen: unter anderem<br />

staatlich gefördert mit der Riester-Rente. Muss Riester<br />

reformiert oder gar abgeschafft werden? Oder funktioniert<br />

das aktuelle Modell? Über 16,56 Millionen Menschen<br />

hatten zum Ende des dritten Quartals einen<br />

Riester-Vertrag abgeschlossen. Aber das Neugeschäft<br />

stagniert, jeder fünfte Vertrag liegt nach Schätzungen<br />

des Bundesarbeitsministeriums auf Eis.<br />

Die Riester-Rente und andere Formen kapitalgedeckter<br />

Altersvorsoge sind nicht zuletzt wegen der Niedrigzinsphase<br />

gescheitert. Statt weiterhin auf die ineffiziente und<br />

intransparente Riester-Rente zu setzen, die jährlich mit<br />

mehreren Milliarden Euro subventioniert wird, fordert<br />

DIE LINKE eine Anhebung des Rentenniveaus auf lebensstandardsichernde<br />

53 Prozent. Nur die gesetzliche<br />

Rente kann auf Dauer den Lebensstandard im Alter sichern<br />

und vor Altersarmut schützen. Die Förderung der<br />

Riester-Rente wollen wir einstellen und die frei werdenden<br />

Finanzmittel sollten für Leistungsverbesserungen in<br />

der gesetzlichen Rentenversicherung ausgegeben werden.<br />

Die bereits eingezahlten Eigenbeiträge und die erhaltenen<br />

Zulagen für Riester-Sparererinnen und -sparer sollten<br />

Vertrauensschutz genießen.


Darüber hinaus sollten Riester-Sparer das Recht erhalten,<br />

das angesparte Kapital freiwillig in die umlagefinanzierte<br />

gesetzliche Rentenversicherung zu überführen, so<br />

dass Anwartschaften auf ihrem persönlichen Rentenkonto<br />

bei der Deutschen Rentenversicherung entstehen. Die<br />

Wechselkosten des Riester-Vertrags sollten auf ein Minimum<br />

begrenzt werden. Die Rentenversicherungsträger<br />

sollten keine Kosten für die Überführung erheben.<br />

Wie positionieren Sie sich zu der Idee, einen Kapitalstock<br />

bei der Deutschen Rentenversicherung aufzubauen, ähnlich<br />

dem schwedischen Staatsfonds? Dort zahlen die Bürger<br />

2,5 Prozent ihres Gehalts in bis zu fünf Fonds ein,<br />

über 800 stehen zu Auswahl. Sie müssen Nachhaltigkeitskriterien<br />

erfüllen. Die Verwaltungskosten: 0,1 Prozent.<br />

Ein Modell auch für Deutschland?<br />

Davon halte ich nicht viel. Für DIE LINKE im Bundestag<br />

gibt es bereits ein attraktives Alternativmodell der freiwilligen<br />

Zusatzvorsorge innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung,<br />

das aber noch zu wenige Menschen<br />

nutzen und das ausgebaut werden sollte: Freiwillige Zusatzbeiträge,<br />

die eigentlich zum Ausgleich von Rentenabschlägen<br />

ab dem 50. Lebensjahr geleistet werden<br />

können. Im Jahr 2017 nahmen bereits 11.620 Rentenversicherte<br />

diese Möglichkeit wahr – 2014 waren es erst 967.<br />

Die IG Metall in Niedersachsen hat hierzu Pionierarbeit<br />

geleistet. In mehreren Tarifabschlüssen hat sie vereinbart,<br />

dass Beschäftigten ab dem 50. Lebensjahr einen<br />

Rechtsanspruch auf eine monatliche Zusatzzahlung ihres<br />

Chefs oder ihrer Chefin von 50 Euro auf ihr Konto bei<br />

der Deutschen Rentenversicherung haben.<br />

Und außerdem sollte die Möglichkeit, für Zeiten der<br />

Ausbildung freiwillig zusätzlich Beiträge nachzahlen zu<br />

können, viel mehr beworben werden.<br />

Arbeitgeberfinanzierte oder eigene freiwillige Zusatzbeiträge<br />

in die umlagefinanzierte gesetzliche Rente sind die<br />

derzeit attraktivste Form der privaten Altersvorsorge.<br />

DIE LINKE wird noch in diesem Jahr detaillierte Vorschläge<br />

zum Ausbau freiwilliger Zusatzbeiträge in den<br />

Bundestag einbringen!<br />

Die Fragen beantwortete Matthias W. Birkwald


<strong>Versicherungsbote</strong>: Wie bewerten Sie die aktuelle Bedrohung<br />

durch Altersarmut in Deutschland? Müssen die<br />

Bundesbürger Altersarmut fürchten – und was kann dagegen<br />

getan werden?<br />

Johannes Vogel: „Altersarmut betrifft erfreulicherweise<br />

im Vergleich mit anderen Generationen sehr wenige Menschen,<br />

das ist eine gute Nachricht. Aber jeder Fall ist einer<br />

zu viel, und deshalb besteht politischer Handlungsbedarf.<br />

Das ist bedauerlicherweise ein Thema, welches viel zu lange<br />

von der Bundesregierung außer Acht gelassen wurde.<br />

Jetzt bearbeitet die Koalition mit der sogenannten Grundrente,<br />

nach den unfinanzierbaren Rentenpaketen des letzten<br />

Jahres, endlich das richtige Thema, aber legt ein<br />

schlechtes Modell vor. Die Grundrente würde nicht zielgenau<br />

helfen und wäre sogar teilweise äußerst unfair. Wer<br />

stolze 34 Jahre lang eingezahlt hat, wird in dem Modell<br />

überhaupt nicht berücksichtigt und bekommt für seine<br />

Einzahlungen weniger aus der Rente als jemand, der in<br />

Summe zwar weniger eingezahlt, das aber ein paar Monate<br />

länger getan hat. Ein derart willkürlicher Fallbeileffekt ist<br />

respektlos gegenüber der Lebensleistung der Menschen.<br />

Zudem wird ein Grundsatz unserer Rentenversicherung<br />

untergraben, nämlich das sogenannte Äquivalenzprinzip,<br />

50<br />

Wir müssen bei<br />

Riester-Verträgen<br />

höhere Aktienquoten<br />

zulassen!<br />

Für die FDP antwortete Johannes Vogel,<br />

Sprecher für Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik<br />

der FDP-Bundestagsfraktion und Generalsekretär<br />

der Freien Demokraten NRW.<br />

also dass die Auszahlungen von der Einzahlung abhängen.<br />

Die Grundrente ist darüber hinaus nicht zielgenau. Denn<br />

eine Bedarfsprüfung findet nach den jetzigen Plänen gar<br />

nicht statt. So würde es in einer Vielzahl von Fällen dazu<br />

kommen, dass auch sehr gut versorgte Menschen die<br />

Grundrente erhalten. Und genau das macht den Vorschlag<br />

auch so teuer. Wie es besser gehen würde, haben wir Freie<br />

Demokraten bereits vor einigen Monaten vorgelegt. Unser<br />

Modell der Basis-Rente ist im klaren Kontrast dazu fair,<br />

zielgenau und finanzierbar. Die Basis-Rente bekämpft<br />

zielgenau Altersarmut durch einen Freibetrag bei der<br />

Grundsicherung. Bei der Basis-Rente hat derjenige, der gearbeitet<br />

und vorgesorgt hat, immer mehr als die Grundsicherung.<br />

Und ebenfalls immer mehr als jemand, der das<br />

nicht getan hat. Durch einen Freibetrag in der Grundsicherung<br />

sowohl auf Einkünfte aus der Rentenversicherung<br />

als auch aus privater Vorsorge ermöglichen wir, dass nach<br />

einem langen Arbeitsleben auch bei einem zum Beispiel<br />

durchgehend geringeren Einkommen im Alter mindestens<br />

rund 1.000 Euro übrig bleiben. Gleichzeitig werden keine<br />

ordnungspolitischen Probleme wie etwa die Abkehr vom<br />

Äquivalenzprinzip in der Rentenversicherung oder der<br />

Nutzung von Beitragsgeldern für versicherungsfremde<br />

Leistungen aufgeworfen. Ebenso erhält die Basis-Rente<br />

nur, wer auch wirklich Unterstützungsbedarf hat. Dafür<br />

soll man aber im Alter nicht zum Sozialamt gehen müssen,<br />

denn Beantragung und Auszahlung laufen über die Rentenversicherung.<br />

Die Bundesregierung sollte dieses ausgereifte<br />

Konzept als Beratungsgrundlage nehmen und<br />

endlich etwas für die Menschen tun, die von Altersarmut<br />

bedroht sind.<br />

Nach pessimistischen Schätzungen wird in der gesetzlichen<br />

Rentenversicherung schon Mitte dieses Jahrhunderts<br />

ein Arbeitnehmer fast alleine für einen Rentner<br />

aufkommen müssen. Wie sattelfest ist aus Ihrer Sicht die<br />

umlagefinanzierte Rente? Und sollte das Eintrittsalter an<br />

die steigende Lebenserwartung angepasst werden?<br />

Das wichtigste wäre, die unfinanzierbaren Rentenpakete<br />

der Großen Koalition aus dem letzten Jahr zurückzunehmen,<br />

insbesondere die Manipulation der Rentenformel<br />

zu Lasten der Jungen durch Aussetzung des Nachhaltigkeitsfaktors.<br />

Dass wir darüber hinaus die Rente modernisieren<br />

müssen, ist für uns vollkommen klar. Drei<br />

grundlegende Punkte sind für uns besonders wichtig: Erstens<br />

ist es nicht mehr zeitgemäß, dass Politiker entscheiden,<br />

wann die Menschen in Rente gehen. Wir brauchen<br />

ein flexibles Renteneintrittsalter, das den unterschiedlichen<br />

und vielfältigen Lebensläufen der Bevölkerung ge-


echt wird. Schweden macht uns das beispielsweise seit<br />

Jahren erfolgreich vor. Wer früher in Rente geht, bekommt<br />

weniger Rente, wer später geht, mehr. Dort wird<br />

zudem die Lebenserwartung automatisch in die Formel<br />

einberechnet. Und flexible Teilrentenmodelle sind auch<br />

möglich. Zweitens müssen wir die private Vorsorge besser<br />

machen und das Rentensystem mehr als einen Baukasten<br />

begreifen. Wer zwischen Anstellung und Selbstständigkeit<br />

wechselt, darf zukünftig nicht mehr benachteiligt werden,<br />

sondern muss seine geförderte Altersvorsorge problemlos<br />

mitnehmen können. Zudem brauchen wir eine andere Aktienkultur.<br />

Denn bei einer langfristigen Anlage ist das eine<br />

risikoarme Investitionsmöglichkeit. Und drittens brauchen<br />

wir mehr Transparenz. Wir fordern ein Online-Vorsorgekonto,<br />

mit dem man innerhalb von Sekunden seine<br />

derzeitigen Ansprüche aus allen drei Säulen der Altersvorsorge<br />

gesammelt einsehen kann.<br />

Sollte die gesetzliche Rente zukünftig gestärkt werden,<br />

etwa durch Anhebung des Rentenniveaus oder mehr Einzahler?<br />

Beispiel Österreich: Hier zahlen auch Selbstständige<br />

und Beamte in die Rentenkasse, der Beitrag ist höher.<br />

Aber im Schnitt erhalten Altersruheständler über 300<br />

Euro mehr Rente im Monat. Auch für Deutschland ein<br />

denkbares Modell?<br />

Nein, das glaube ich nicht. Wir dürfen bei der Debatte<br />

nicht vergessen, dass jeder, der nun einzahlt, später auch<br />

Ansprüche besitzt. Somit würden also mehr Einzahler in<br />

ein paar Jahren auch mehr Empfänger bedeuten – ausgerechnet<br />

die Beamten haben dabei einen noch größeren demokratischen<br />

Babyboomer-Buckel als die Gesamtbevölkerung.<br />

Das kann also keine Lösung für die gesetzliche<br />

Rente sein. Es sollte einem zu denken geben, dass insbesondere<br />

die Linkspartei Österreichs Rentensystem als<br />

Vorbild propagiert - und Österreich in Wahrheit auf große<br />

demographische Probleme zuläuft.<br />

Aktuell wird eine Altersvorsorgepflicht für Selbstständige<br />

diskutiert, weil speziell sogenannte Soloselbstständige mit<br />

kleinem Einkommen oft darauf verzichten, aber später<br />

Anspruch auf Grundsicherung haben. Wie positionieren<br />

Sie sich zu dieser Pflicht – wie könnte diese gestaltet sein?<br />

Ich bin der Überzeugung, dass auch Selbstständige für das<br />

Alter vorsorgen müssen. Aber wie sie das tun, das sollen sie<br />

bitte selbst entscheiden können. Also: Pflicht zur Vorsorge<br />

mit echter Wahlfreiheit ja, quasi-Pflicht in die gesetzliche<br />

Rentenversicherung nein. Damit Gründungen aber nicht<br />

an einer Pflicht zur Altersvorsorge scheitern, sollten wir<br />

den Menschen zudem eine Karenzfrist in jeder Gründungsphase<br />

und weitreichende Übergangsvorschriften<br />

einräumen.<br />

Neben der gesetzlichen und betrieblichen Rente sollen<br />

die Menschen auch privat vorsorgen: unter anderem<br />

staatlich gefördert mit der Riester-Rente. Muss Riester<br />

reformiert oder gar abgeschafft werden? Oder funktioniert<br />

das aktuelle Modell? Über 16,56 Millionen Menschen<br />

hatten zum Ende des dritten Quartals einen<br />

Riester-Vertrag abgeschlossen. Aber das Neugeschäft stagniert,<br />

jeder fünfte Vertrag liegt nach Schätzungen des<br />

Bundesarbeitsministeriums auf Eis.<br />

Ich habe das Thema ja eben schon kurz angeschnitten: Wir<br />

müssen die private Vorsorge, also auch die Riester-Rente,<br />

besser machen. Etwa dadurch, dass wir die Riester-Förderung<br />

für alle öffnen. Zudem können und müssen das Zulagensystem<br />

und die sonstigen Vorschriften viel einfacher<br />

werden. Und wir sollten höhere Aktienquoten zulassen.<br />

Wie positionieren Sie sich zu der Idee, einen Kapitalstock<br />

bei der Deutschen Rentenversicherung aufzubauen, ähnlich<br />

dem schwedischen Staatsfonds? Dort zahlen die Bürger<br />

2,5 Prozent ihres Gehalts in bis zu fünf Fonds ein, über<br />

800 stehen zu Auswahl. Sie müssen Nachhaltigkeitskriterien<br />

erfüllen. Die Verwaltungskosten: 0,1 Prozent. Ein<br />

Modell auch für Deutschland?<br />

Generell freue ich mich über jede Debatte in Richtung<br />

höhere Aktienquoten. Der nächste Schritt muss aber ja<br />

offenkundig sein, erstmal höhere Aktienquoten in allen<br />

Formen der geförderten Altersvorsorge in der 1. und<br />

3. Säule zu erlauben.<br />

Dank Niedrigzins-Politik werden viele populäre Geldanlagen<br />

der Deutschen vakant: Lebens- und Rentenversicherungen<br />

rentieren sich immer seltener. Müssen die<br />

Bürger umlernen und ihr Geld in andere Vorsorgeformen<br />

stecken?<br />

Es spricht jedenfalls alles dafür, bei langfristigen Anlagen in<br />

Aktien zu investieren. Im Dax liegt das Verlustrisiko ab rund<br />

15 Jahren Anlage bei 0 und die Rendite bei 30 Jahren im<br />

Schnitt bei neun Prozent. Und wo reden wir über eine jahrzehntelange<br />

Anlage, wenn nicht bei der Altersvorsorge?<br />

Wird der Niedrigzins aus Ihrer Sicht in den kommenden<br />

Jahren anhalten – und mit welchen Konsequenzen für<br />

deutsche Sparer?<br />

51


Das kann keiner kalkulieren, aber damit ist zu rechnen.<br />

Umso wichtiger wird der vorige Punkt: eine neue Anlagekultur<br />

unter stärkerer Berücksichtigung von Aktien.<br />

Unser Wohlfahrtssystem beruht auf der Idee, dass Wirtschaftswachstum<br />

zu mehr Wohlstand führt: dies wird<br />

auch wirtschaftspolitisch angestrebt. Nicht erst seit den<br />

„Fridays for Future“-Demonstrationen gibt es Bedenken,<br />

ob das Wachstumsideal dem Menschen auch schadet: es<br />

bedroht die Umwelt, führt zu Stress und Burnout etc.<br />

Gibt es eine Alternative zu einer Wirtschaft, die Wachstum<br />

anpeilt – wie könnte sie aussehen?<br />

Wir müssen beim Klimaschutz endlich besser werden.<br />

Aber Klimaschutz und Kapitalismuskritik sind nicht dasselbe.<br />

Denn die soziale Marktwirtschaft ist ein Erfolgsprojekt<br />

und hat uns Wohlstand und Frieden gebracht. Vor<br />

200 Jahren haben von 100 Menschen auf der Erde 94 in extremer<br />

Armut gelebt – heute sind es zehn. Das sind noch<br />

immer zehn Menschen zu viel, aber es ist ein großer Erfolg<br />

des modernen Lebens. Und das lässt sich fortführen: Vor<br />

200 Jahren konnten weltweit von 100 Menschen 88 nicht<br />

lesen, heute sind es 15. Vor 200 Jahren sind von 100 Kindern<br />

43 gestorben, bevor sie fünf Jahre alt waren – heute<br />

sind es noch vier. Bei einer langfristigen Betrachtung muss<br />

also klar werden, welche gesellschaftlichen Erfolge Fortschritt,<br />

Globalisierung und damit auch Wachstum uns allen<br />

bringt. Und genau diese Wirtschaftsordnung ist es<br />

auch, die uns die entstandenen Probleme lösen lässt. Denn<br />

es gibt keinen Widerspruch zwischen Wirtschaft und Klimaschutz,<br />

im Gegenteil. Wachstum heißt ja nicht zwingend<br />

rauchende Schlote. Wir können uns gerade durch die<br />

Kräfte von Marktwirtschaft und Innovation von der Abhängigkeit<br />

von CO2 befreien – und müssen das auch. Das<br />

setzt natürlich voraus, dass wir den ordnungspolitischen<br />

Rahmen richtig setzen, etwa durch einen wirksamen Preis<br />

für CO2, am effektivsten durch einen endlich umfassenden<br />

Zertifikatehandel.<br />

Die Digitalisierung bedroht Arbeitsplätze, gerade einfache<br />

Tätigkeiten könnten wegfallen. Zugleich böte sie die<br />

Chance, Arbeit neu zu organisieren: zum Beispiel duch<br />

kürzere Arbeitszeiten. Eine Prognose: Wie arbeiten wir in<br />

30 Jahren?<br />

Die Digitalisierung ist vor allem eine Chance. Ich bin der<br />

festen Überzeugung: Die Digitalisierung vernichtet unterm<br />

Strich keine Arbeitsplätze, sondern sie verändert sie.<br />

Dafür spricht auch alle Forschung und historische Erfahrung.<br />

Und genau für diesen umfassenden Wandel muss die<br />

Politik die richtigen Antworten finden. Arbeit hat zum<br />

Beispiel immer auch mit Arbeitszeit zu tun, aber unser Arbeitszeitgesetz<br />

stammt aus dem Jahre 1994. Damals gab es<br />

noch Telefone mit Wählscheibe und kaum jemand hat<br />

E-Mails geschrieben. Das passt nicht mehr in die heutige<br />

Zeit. Wer heute das Büro eher verlassen will, um Zeit mit<br />

den Kindern zu verbringen, und am Abend um 22:00 oder<br />

23:00 Uhr noch dienstliche Mails auch nur lesen will, der<br />

darf am nächsten Morgen die Arbeit nicht vor 10 Uhr wieder<br />

aufnehmen. Wer macht denn das? Das Gesetz ist vollkommen<br />

veraltet. Wir müssen es so modernisieren, dass<br />

jede und jeder mehr Freiheiten erhält, sich die Arbeitszeit<br />

unter der Woche besser einteilen zu können.<br />

Dazu gehört aber auch, dass wir dort, wo es sinnvoll und<br />

gewollt ist, mehr Homeoffice ermöglichen. Starre Arbeitszeiten<br />

und Arbeitsorte sind aus der Zeit gefallen. Geben<br />

wir den Menschen mehr Möglichkeiten, selbst zu<br />

entscheiden, wann sie wie und von wo arbeiten! Dazu<br />

müssen wir auch alle Menschen bei der Digitalisierung<br />

mitnehmen. Wir brauchen ein Versprechen an jede und<br />

jeden, durch Weiterbildung im digitalen Wandel gut teilhaben<br />

zu können. Wir wollen allen Menschen ermöglichen,<br />

zum Piloten des eigenen Lebens zu werden. Wir<br />

brauchen ein Konzept für ein echtes zweites Bildungssystem<br />

für das ganze Leben. Dazu gehören auch neue Instrumente:<br />

Denn Weiterbildung ist zwar notwendig, kostet<br />

aber Geld. Auch Bildungsauszeiten muss man sich<br />

schlicht leisten können. Deshalb brauchen wir neue Instrumente<br />

wie einen Rechtsanspruch zur steuerfreien<br />

Entgeltumwandlung für ein Bildungssparen. Mit den<br />

Langzeitkonten für Beschäftigte gibt es schon ein Instrument,<br />

das man nur umbauen und allen Erwerbstätigen zugänglich<br />

machen müsste.<br />

Zudem müssen wir Menschen mit weniger Geld besonders<br />

fördern: Das BAföG für Studierende hat der breiten<br />

Masse der Bevölkerung die Tür zu den Universitäten geöffnet<br />

- warum sollte das mit einem Midlife-BAföG für<br />

Menschen mit geringerem Einkommen nicht auch für ein<br />

zweites Bildungssystem möglich sein? Das Instrument des<br />

Bildungssparens und das Midlife-Bafög könnten in einem<br />

Freiraumkonto zusammengeführt werden. Aber von der<br />

Bundesregierung wartet man leider bisher auf einen großen<br />

konzeptionellen Wurf, der die Chancen für mehr<br />

Selbstbestimmung betont und gestaltet.<br />

Die Fragen beantwortete Johannes Vogel<br />

52


Trotz wiederholter Anfragen hat die AfD uns nicht<br />

geantwortet.<br />

53


Bestandskauf: Wir haben ein schlechteres<br />

Banken-Rating als Gastronome<br />

Tino Scraback<br />

Versicherungsmakler<br />

und Unternehmer<br />

Wenn Versicherungsmakler Bestände aufkaufen wollen, sehen sie sich schnell damit konfrontiert,<br />

dass sie Geld von der Bank brauchen. Das ist kein kleines Problem, zumal viele ihre Bonität<br />

überschätzen. Was es zu beachten gilt, erklärt Versicherungsmakler Tino Scraback, der<br />

selbst drei Tochter-GmbHs zukaufte, in seinem Gastkommentar.<br />

In meinen Augen machen die meisten potenziellen Käufer<br />

beim Thema Kaufpreis und Finanzierung die meisten<br />

Fehler. Erst wird mit einem Verkäufer verhandelt. Dabei<br />

wird alles angeschaut, alles wird geprüft. Dann wird der<br />

Kaufpreis bis auf die 5. Nachkommastelle<br />

verhandelt. Und dann,<br />

erst dann, wird die Hausbank angefragt.<br />

Das ist einfach kein kluges<br />

Vorgehen.<br />

Die meisten Versicherungsmakler<br />

überschätzen ihre eigene Bonität<br />

und sind sich des Kaufes zu<br />

sicher. Vieles klingt ja zunächst<br />

auch super einfach. Als Beispiel<br />

kann folgende Annahme genannt<br />

werden: Ich kaufe einen Versicherungsbestand<br />

für einen Faktor<br />

2.0. 100.000 Euro laufende Einnahmen kosten also<br />

200.000 Euro. Der Bestand ist also in zwei, maximal in<br />

drei Jahren abbezahlt. Und damit etwas schief läuft,<br />

müssten die Kunden ja aktiv weggehen, das können ja gar<br />

nicht so viele machen. Was soll da schon bei der Bank<br />

schiefgehen? Soweit, so schlecht gedacht. Denn eine Bank<br />

sieht dies ganz anders!<br />

54<br />

Vielleicht lohnt es<br />

sich, auch mal einen<br />

Unternehmensberater<br />

zu engagieren<br />

um seine eigene<br />

Firma überprüfen<br />

zu lassen?<br />

Für die Bank sind die 200.000 € ein BLANKOdarlehen.<br />

Diese 200.000 € können nicht besichert werden. Eine<br />

Baumaschine zu kaufen, wäre da um ein Vielfaches leichter.<br />

Dazu kommt das generelle Rating eines Versicherungsmaklers.<br />

Da stehen wir ganz<br />

oben … aber nur in der Wahrnehmung<br />

als Risiko-Fall. Ganz im<br />

Ernst: Wir haben meist ein<br />

schlechteres Bankenrating als<br />

Gastronome.<br />

Jeder, der ernsthaft einen Bestand<br />

oder eine Firma erwerben möchte,<br />

sollte also zunächst ein ernsthaftes<br />

Gespräch mit seiner<br />

Hausbank führen. Und zwar unbedingt<br />

als ersten Schritt! Ich<br />

kann Maklern nur empfehlen: Bereitet<br />

Euch auf dieses Gespräch gut vor. Schaut, dass Ihr<br />

die Bilanzen der letzten zwei Jahre dabei habt und vor allem<br />

auch aktuelle Betriebswirtschaftliche Auswertungen<br />

(BWA).<br />

Und die Bilanzen sollten ordentlich aussehen. Wenn sie<br />

das nicht tun, dann überlegt Euch eine gute Strategie,


was ihr dem Banker erzählen wollt. Noch besser: Schickt<br />

dem Banker vorab noch eine Art Unternehmenspräsentation<br />

mit Zahlen – eine Art Businessplan light. Diese<br />

Präsentation sollte in etwa zwischen 15 und 20 Seiten umfassen.<br />

Führt in dem Schreiben aus: Wo steht Ihr jetzt,<br />

was habt Ihr vor und wo steht Ihr dann durch diese Zukäufe?<br />

Schickt außerdem die Bilanzen mit und eine aktuelle<br />

BWA. Richtig gut wäre auch, wenn Ihr dem Banker<br />

vielleicht ein Muster-Exposé eines potenziellen Maklerbestandes<br />

schickt, so dass er sich das im Vorfeld anschauen<br />

kann.<br />

Finanzierungshöhe<br />

Ein Rat zuerst: Bitte versucht nicht, eine 100-Prozent-Finanzierung<br />

zu bekommen. Ja, das geht und gibt es. Aber<br />

damit tun sich die meisten Banken mehr als schwer. Bietet<br />

stattdessen dem Banker gleich von Beginn 33-50 Prozent<br />

„Eigenkapital“ an. Das macht es eurer Hausbank viel<br />

leichter und zeigt auch, dass Ihr euch gut vorbereitet<br />

habt.<br />

Ihr müsst diese 33-50 Prozent ja nicht selbst haben. Dennoch<br />

kann ich nur zusätzlich bitten: Besitzt aber auch<br />

selbst etwas Kapital! Habt Ihr nämlich nichts auf der Seite<br />

zum Investieren, dann seid Ihr noch nicht soweit.<br />

Wenn Ihr aber nur 20 Prozent habt und wollt auf 40 Prozent<br />

kommen, dann leiht Euch doch das Geld privat.<br />

Weitere potenzielle Geldgeber könnten sein: Maklerpools,<br />

Versicherer, Verkäufer. Solche Geldgeber ließen<br />

sich mit einbinden. Wie wäre es beispielsweise mit einem<br />

verzinsten Verkäuferdarlehen? Auch das kommt in der<br />

Regel gut bei der Bank an.<br />

Thema „Wie komme ich an Versicherungsbestände/<br />

Firmen“?<br />

Meine ersten drei Firmen (zwei GmbHs und ein Bestand)<br />

waren ein Kontakt von einem Maklerbetreuer eines regionalen<br />

Pools. Mit ihm war ich befreundet. Und er bekam<br />

für die Hinweise auch immer eine kleine Tippgeberprovision<br />

von mir. Drei bis vier weitere Bestände stammten<br />

von Maklerkollegen. Durch Gespräche hatte ich herausgehört,<br />

dass sie den Beruf nicht mehr ewig ausüben wollen.<br />

Ich sagte daraufhin sehr dezent, aber auch sehr<br />

direkt: Sobald sie aufhören wollen, würde ich mich freuen,<br />

wenn sie sich bei mir melden. Mit diesen Kollegen<br />

habe ich dann natürlich auch den Kontakt gehalten. Drei<br />

bis vier weitere Bestände erhielt ich außerdem durch<br />

Kollegen, die den Kontakt zu einem Verkäufer hergestellt<br />

haben. Zwei Bestände habe ich von einem Insolvenzverwalter<br />

übernommen. Ein Kontakt kam über einen<br />

Pool und ein Kontakt über einen neuen Mitarbeiter<br />

zustande.<br />

Und ca. 10 Bestände habe ich über professionelle Bestandsvermittler<br />

gekauft. Ich bezahle sehr gerne eine<br />

Vermittlungsprovision, wenn der Kauf professionell abläuft.<br />

Das ist mir sehr viel wert. Heute kaufe ich zu<br />

60-80 Prozent der Firmen und Bestände über solche Vermittler.<br />

Positiv zu nennen sind hier Andreas Grimm und<br />

Peter Schmidt.<br />

Thema: Professionelle Bestandsvermittler<br />

Wendet euch an diese Firmen, wenn ihr Bestände sucht.<br />

Zwei Namen habe ich schon genannt, aber es gibt noch<br />

einige mehr. Geht aber auch an diese Aufgabe professionell<br />

heran! Denn auf nahezu jeden Bestand gibt es etwa<br />

fünf bis zwanzig Interessenten.<br />

Warum sollte der Bestand an Euch verkauft werden?<br />

Umso besser Ihr auf diese Frage vorbereitet seid, umso<br />

größer sind Eure Chancen; Ist zum Beispiel schon die Finanzierung<br />

geprüft?<br />

Die meisten Bestandsvermittler sind auch Unternehmensberater.<br />

Vielleicht lohnt es sich, auch mal einen Unternehmensberater<br />

zu engagieren um seine eigene Firma<br />

überprüfen zu lassen? So könnt Ihr Euch optimal auf einen<br />

Kauf vorbereiten. Und der Bestandsvermittler kennt<br />

Euch schon und kann Euch zielgenau Firmen zur Übernahme<br />

empfehlen.<br />

Fazit:<br />

Ihr müsst den Kauf wirklich wollen! Die meisten Kollegen,<br />

mit denen ich über das Thema „Bestandskäufe/ Firmenkauf“<br />

spreche, beklagen sich aber immer nur über die<br />

Schwierigkeiten. Als ob Bestände einem zufliegen würden!<br />

Ein Bestandskauf ist jedoch ein längerer Prozess, auf<br />

den man sich vorbereiten muss und an dem man dranbleiben<br />

muss. Bleibt also dran und beißt Euch fest! Es ist<br />

wie bei der Kundengewinnung: Die Aufgabe hört auch<br />

nie auf.<br />

Ein Gastkommentar von Tino Scraback<br />

55


Liechtenstein Life Assurance: mit der neuen<br />

yourlife netto in die Vertriebszukunft starten<br />

Fragen und Antworten zu dem Vergütungsmodell der Zukunft, der Situation von Maklern und<br />

zur Forderung nach mehr Kostentransparenz. Ein Interview mit Stefan Bruckner, Head of Sales<br />

der Liechtenstein Life Assurance AG<br />

“Sie bieten mit der neuen yourlife netto eine fondsgebundene<br />

Rentenversicherung als Nettopolice für den deutschen<br />

Markt. Was ist das Besondere an diesem Produkt?”<br />

Bruckner: “Das Produkt beinhaltet keine externen Abschlusskosten<br />

und somit erhält der Versicherungsmakler<br />

folglich aus dem Versicherungsprodukt auch keine Provision.”<br />

“Das bedeutet, Sie trennen Provision und Versicherung.<br />

Ist das neu?”<br />

“Nein. Aber wir sind überzeugt, dass der Versicherungsmarkt<br />

mit seinen Kunden zukünftig offen über die Vergütung<br />

von Beratungsleistungen sprechen muss. Und dieser<br />

Markt wird wachsen, daher haben wir hierfür ein neues<br />

Produkt entwickelt.”<br />

“Ist die yourlife netto somit Ihre Antwort auf die Diskussion<br />

zum Provisionsdeckel?”<br />

“Diese Diskussion fördert die Bereitschaft von Versicherungsvermittlern,<br />

sich über alternative Vergütungssysteme<br />

Gedanken zu machen. Eine faire Beratung muss auch<br />

fair vergütet werden. Und das funktioniert am besten,<br />

56<br />

wenn Vergütung und Versicherung getrennt voneinander<br />

angeboten werden.”<br />

“Wie beurteilen Sie die Bereitschaft von Endkunden für<br />

eine solche Nettopolice?”<br />

“Grundsätzlich sehr positiv. Denn heutzutage sind wir gewohnt,<br />

bei Beratungsleistungen wie beispielsweise beim<br />

Rechtsanwalt oder beim Steuerberater den Preis für eine<br />

Beratung transparent zu kennen und auch zu zahlen.<br />

Und die Trennung von dem Versicherungsprodukt und<br />

der Vergütung führt somit auch in unserem Markt zu<br />

deutlich mehr gewünschter Transparenz seitens der<br />

Endverbraucher.”<br />

“Aber ist dann eine solche Nettopolice nur für vermögende<br />

Zielgruppen geeignet, die ein etwaiges Honorar an einen<br />

Finanzberater auch sofort bezahlen können?”<br />

“Eben nicht. Wir demokratisieren den Zugang zur Altersvorsorge<br />

– auch für jüngere Zielgruppen.”<br />

“Inwiefern?”


Advertorial<br />

“Durch ein modulares Vergütungsmodell. Die vorab vereinbarte<br />

Vergütung für den Vermittler, in Form einer<br />

Upfront-Abschlussprovision und/oder in Form einer laufenden<br />

Vergütung, kann der Kunde über 5 Jahre tilgen.<br />

Diese Finanzierung der Vergütung des Maklers erfolgt<br />

über ein sogenanntes Factoring durch unser Schwesterunternehmen,<br />

die cashyou AG, zusammen mit unserem<br />

Partner, die Deutschen Handelsbank AG in München –<br />

und wird in einem separaten Vertrag zur Versicherungspolice<br />

abgebildet.”<br />

“Und was passiert mit der Vergütung für die Beratung,<br />

wenn ein Kunde seinen Versicherungsvertrag kündigen<br />

sollte?”<br />

“Das ist wie in jedem anderen Beratungsgeschäft: die Beratung<br />

wurde erbracht und in diesem Fall war sie dann wohl<br />

auch so gut, dass auch eine Police abgeschlossen wurde.<br />

Daher besteht juristisch auch ein Anrecht auf die zu leistende<br />

Vergütung der Beratungsleistung. Juristisch ist das<br />

also völlig normal. Schauen Sie sich das Leasing- oder Kreditgeschäft<br />

an. Hier gibt es beispielsweise Vorfälligkeitsentschädigungen,<br />

wenn ein Kunde aus einem Vertrag<br />

frühzeitig aussteigt. Also, nichts Unnormales.”<br />

“Nun handelt es sich bei dem neuen Produkt yourlife netto<br />

um eine fondsgebundene Rentenversicherung. Wäre<br />

man nicht besser beraten, einen Fondssparplan abzuschließen<br />

und somit diese Kosten zu umgehen?”<br />

“Nein. Bei einer langfristigen Altersvorsorge in Form einer<br />

fondsgebundenen Rentenversicherung sprechen die Steuervorteile<br />

eine ganz klare Sprache. Fondspolicen sind auf<br />

Anlegerebene abgeltungssteuerfrei, das heißt – während<br />

der gesamten Beitragszahlungsphase werden keine Steuern<br />

auf die Erträge fällig. In der Auszahlungsphase kommt<br />

es bei der Rentenauszahlung nur zu einer Ertragsanteilsbesteuerung<br />

– beachtlich dabei ist, dass kein Steuerabzug<br />

beim vorhandenen Verrentungskapital stattfindet. Bei<br />

der Wahl einer Kapitalleistung sind 50% aller Erträge gemäß<br />

dem Halbeinkünfteverfahren steuerfrei, sofern die<br />

12/62-Regel erfüllt ist. Wogegen ein nicht ausschüttender<br />

Fondssparplan bei einem Fondswechsel oder einem Verkauf<br />

mit Abgeltungssteuer, Soli und evtl. KiSt. belegt<br />

wird. Handelt es sich dagegen um einen ausschüttenden<br />

Fonds, wird der Ertrag bei Ausschüttung mit Abgeltungssteuer<br />

belegt.”<br />

“Wie bewerten Sie den Markt für Altersvorsorge und die<br />

zukünftige Funktion von Vermittlern?”<br />

“Versicherungsberater haben eine große Aufgabe und Verantwortung,<br />

denn sie schützen die Menschen vor Existenz-bedrohender<br />

Altersarmut. Denn wir sehen ja, was in<br />

Ländern wie UK beispielsweise passiert: eine bedrohliche<br />

Unterversorgung einer breiten Gesellschaftsschicht, die<br />

für Honorarberatung und -zahlung nicht offen ist. Und<br />

ich denke, wir wollen in Deutschland keine Zweiklassengesellschaft,<br />

wie wir es im Gesundheitswesen schon teilweise<br />

erleben.”


Deutsche Firmen –<br />

Cyberschutz<br />

mangelhaft!<br />

„Cyber sind wir!“ – damit wirbt der Cyberspezialist<br />

Cogitanda für die Prävention, Versicherung<br />

und Schadenbehebung von IT-Risiken.<br />

Über die zunehmenden Gefahren durch<br />

Hacker, die fehlende Absicherung deutscher<br />

Firmen sowie die Schwierigkeit, Cyberversicherungen<br />

zu kalkulieren, sprach der <strong>Versicherungsbote</strong><br />

mit Jörg Wälder, CEO der<br />

Cogitanda Group.<br />

<strong>Versicherungsbote</strong>: Cyber ist ein Hype-Thema: Viele Firmen<br />

auf dem deutschen Markt sind noch nicht abgesichert,<br />

die Marktchancen scheinbar grenzenlos, die<br />

Kosten bei Schäden groß. Ihre Einschätzung? Kann sich<br />

Cyber als Boomprodukt der Branche etablieren – unter<br />

welchen Bedingungen?<br />

Jörg Wälder: Cyber-Gefahren sind existenzbedrohend<br />

für viele Firmen, wie diverse Schadenbeispiele zeigen. Die<br />

Reederei Maersk musste zum Beispiel nach einer Hacker-<br />

Attacke zehn Tage analog arbeiten, das heißt mit Stift<br />

und Papier, erlitt durch den Angriff mehr als 100 Millionen<br />

Euro Schaden. Auch die Deutsche Telekom, die<br />

Plattform Ashley Madison usw. wurden Ziel von Angriffen<br />

mit Millionenschäden.<br />

Cyberversicherung kann unserer Meinung nach nur dann<br />

ein Hype sein, wenn die Digitalisierung ein Hype ist. Perspektivisch<br />

ist es schwer vorstellbar, dass Cyberrisken und<br />

infolgedessen Cyberschäden in der Zukunft abnehmen.<br />

Genau das Gegenteil wird der Fall sein. Die prognostizierte<br />

Entwicklung des IOT-Marktes, die Verlagerung vollständiger<br />

Geschäftsmodelle von analog zu digital sowie<br />

Phänomene wie Autonomes Fahren und Connected<br />

Home werden in den nächsten Jahren dazu führen, dass<br />

die jährlichen Cyberschäden global von heute ungefähr<br />

600 Milliarden US-Dollar bis Mitte des nächsten Jahrzehnts<br />

auf 6.000 Milliarden anwachsen werden, so zumindest<br />

eine Schätzung der Herjavec Group. Ein<br />

unfassbarer Wert, nicht wahr? Das Risiko, welches der<br />

58<br />

Cyberversicherung zugrunde liegt, wird also in den nächsten<br />

Jahren drastisch weiter ansteigen. Entsprechend gehen<br />

wir von einer stark steigenden Nachfrage nach Cyber-<br />

Dienstleistungen und -Versicherungen aus.<br />

Studien legen sogar nahe, dass die Cyberversicherung in<br />

20 Jahren höhere Prämieneinnahmen generieren könnte<br />

als die KFZ-Versicherung. Laut dem Versicherer-Dachverband<br />

GDV sollen sich die Prämieneinnahmen in den<br />

nächsten Jahren jeweils verdoppeln, das sehen wir auch so.<br />

Wie bereits zuvor angesprochen, wird der Cybermarkt, sowohl<br />

der dedizierte IT-Security Markt als auch entsprechende<br />

Versicherungslösungen, weiter sehr stark wachsen,<br />

solange die Digitalisierung auch nur ansatzweise in dem<br />

Tempo voranschreitet wie bisher.<br />

Wie schätzen Sie die aktuelle Marktsituation in Deutschland<br />

ein? Haben Firmen den Absicherungsbedarf erkannt<br />

–undwogibtesnochLücken?<br />

Schon heute haben wir in Deutschland Schäden durch Cybercrime<br />

von jährlich rund 65 Milliarden Euro, das sind<br />

immerhin rund 1,9 Prozent des Bruttoinlandsproduktes<br />

(BIP). Dem entgegen haben die Investitionen in entsprechende<br />

Risikominderungsmaßnahmen mit rund 8 Milliarden<br />

Euro jährlich und in Versicherungslösungen mit<br />

bisher lediglich 0,1 Milliarden per annum noch deutliches<br />

Entwicklungspotential.<br />

In dem Bereich der Risiko-Prävention scheint es schon<br />

eine gewisse Bereitschaft der Unternehmen zu geben, in


die SicherheitihrerSystemezuinvestieren.Dennoch:In<br />

der jüngst veröffentlichen 5. Auflage der Cybercrime Studie<br />

von KPMG (e-Crime in der deutschen Wirtschaft,<br />

<strong>2019</strong>) gaben 33 Prozent der Unternehmen mit einem Jahresumsatz<br />

von 250 Millionen Euro bis 3 Milliarden Euro<br />

an, jährlich lediglich zwischen 10.000 Euro und<br />

50.000 Euro zur Bekämpfung von Cybercrime auszugeben.<br />

Das ist in Anbetracht der möglichen und heute bereits<br />

eintretenden Schäden bei Unternehmen dieser Größenordnungen<br />

eindeutig zu wenig, der nächste substanzielle<br />

Schaden ist fast schon nur noch eine Frage der Zeit.<br />

Was sind die größten Kostentreiber, die Unternehmen<br />

bei Cyberschäden entstehen können? Können Sie Beispiele<br />

nennen?<br />

Aus Sicht der Kunden sind die Folgen aus einem erfolgreichen<br />

Angriff mit Ransomware, das Thema Cyber-Betriebsunterbrechungen<br />

und insbesondere auch Datenschutzvorfälle<br />

regelmäßig wirtschaftlich kritisch. Eine Betriebsunterbrechung<br />

kann zum Beispiel zu durchaus substanziellen<br />

Schäden führen, wenn, wie bei Mondelez<br />

(Hersteller u.a. von Toblerone), im Zuge der Ransomware-Attacke<br />

notPetya Produktionsabläufe und Lieferketten<br />

für Wochen gestört werden.<br />

Auch erleben wir zuletzt vermehrt den kombinierten Einsatz<br />

mehrerer Arten von Schadsoftware bei ein- und demselben<br />

Angriff. Software 1 spioniert das Zielobjekt in<br />

Ruhe aus, das kann über Wochen und Monate gehen. Ziel<br />

dieser Aktion ist es, den Wert des Unternehmens zu ermitteln.<br />

Also: Was ist das Unternehmen bereit und in der<br />

Lage, im Erpressungsfall zu zahlen? Eher 5.000 oder<br />

500.000 Euro? In der Praxis sind das dann natürlich<br />

0,5 bzw. 50 Bitcoins. Software 2 löscht danach alle Backups,<br />

auch jene Backups, die bei einem externen Dienstleister<br />

liegen und vermeintlich sicher sind. Sie werden jetzt<br />

sagen, das geht doch gar nicht, genau deswegen liegen<br />

Beispiel Situation Erforderliche Leistungen<br />

Reputationsschaden<br />

Ein ehemaliger Mitarbeiter kopiert das LinkedIn-Profil<br />

eines Mitarbeiters des Unternehmens und diskreditiert<br />

die Person oder das Unternehmen, indem er<br />

kriminellen und/ oder rufschädigenden Inhalt veröffentlicht.<br />

-Rechtsberatung<br />

-Kommunikations- und<br />

IT- Services<br />

-Umsatzverlust<br />

Missbrauch von Konten-/<br />

Kreditkarten-Daten<br />

Über spezielle Schadsoftware ergattern Hacker Bankoder<br />

Kreditkartendaten und nutzen diese zur Zahlung<br />

eigener Rechnungen oder um schlicht Geld vom Unternehmen<br />

zu Kriminellen umzuleiten.<br />

-Monetärer Verlust<br />

-IT-Forensik<br />

-Rechtsberatung<br />

Fake President und ähnliche<br />

Fälle<br />

Schadsoftware mit Wirkung<br />

im<br />

eigenen IT-System<br />

Weiterleitung von Schadsoftware<br />

an Dritte (unbeabsichtigt)<br />

Datenschutzvorfall<br />

Ein Mitarbeiter mit Zahlungskompetenz wird getäuscht<br />

in dem Vorliegen einer Zahlungsverpflichtung<br />

und überweist Geld an Kriminelle. Dies kommt als<br />

klassischer Fake President Fall vor, aber auch durch<br />

manipulierte Rechnungen.<br />

Ein Mitarbeiter öffnet den Anhang einer Email und<br />

lädt eine Schadsoftware in das System des Unternehmens.<br />

Die Folgen: Unbrauchbarkeit der IT-Geräte,<br />

Verlust von Daten, Betriebsunterbrechung, Vertragsstrafen,<br />

etc.<br />

Aus den eigenen Systemen wird ein Virus an Dritte<br />

weitergeleitet, der dort einen Schaden verursacht.<br />

Haftung besteht, wenn nachgewiesen werden kann,<br />

dass nicht alle gebotenen Sicherungsmaßnahmen ergriffen<br />

wurden, um diesen Fall zu verhindern.<br />

Kundendaten werden öffentlich sichtbar, da ein<br />

Dienstleister (z.B. Cloud-Anbieter) unvorsichtig war.<br />

Unabhängig von Verschulden, legt das Gesetz dem<br />

Verwender dieser Daten ausgesprochen kostspielige<br />

Benachrichtigungspflichten auf (Kosten pro Kundendatensatz<br />

liegen bei ca. 50 €).<br />

-Monetärer Verlust<br />

-Rechtsberatung<br />

-IT-Forensik<br />

-Datenwiederherstellung<br />

-Ggfs. Austausch Hardware<br />

-Umsatzverlust<br />

-Evtl. Lösegeld<br />

-Rechtsberatung<br />

-IT-Forensik<br />

-Befriedigung Schaden ersatzansprüche<br />

-AbwehrunbegründeterAnsprüche<br />

Dritte<br />

-Rechtsberatung<br />

-Benachrichtigungskosten<br />

-Befriedigung Schaden ersatzansprüche<br />

-AbwehrunbegründeterAnsprüche<br />

Dritter IT-Forensik<br />

59


meine Backups ja in der Cloud. Glauben Sie uns, das geht.<br />

Software 1 hat nicht nur den „Wert des Unternehmens“<br />

bestimmt, sie hat auch die Administratorenpasswörter im<br />

System gefunden. ... und den Rest können sie sich vorstellen.<br />

Software Nr. 3 schließlich ist ein Erpressungstrojaner<br />

klassischen Zuschnitts, der das System des Unternehmens<br />

verschlüsselt und seine „Hilfe“ beim Entschlüsseln gegen<br />

eine angemessene „Gebühr“ anbietet, deren Höhe besagte<br />

Software 1 zu bestimmen geholfen hat.<br />

Die Erfahrungen mit Cyberrisiken sind noch jung, aber<br />

klar ist: Es drohen hohe Kosten, wie etwa die Schadenssummen<br />

nach der Hackerattacke Wannacry gezeigt haben.<br />

Damals wurde eine Vielzahl von Firmen gleichzeitig<br />

geschädigt: Deutsche Bank, DB oder Renault. Naiv gefragt:<br />

Lassen sich die Kosten für solche Risiken seriös kalkulieren?<br />

Auch vor dem Hintergrund, dass solche<br />

Attacken ja in breiter Fläche und international Kosten<br />

verursachen?<br />

Das vorstellbare Kumul in Cyber ist beachtlich und deswegen<br />

sehr ernst zu nehmen. Bedingt wird dies dadurch,<br />

dass eine solche Cyberattacke vor geographischen Grenzen<br />

nicht Halt macht und bisher nur limitiert Vergangenheitsdaten<br />

vorliegen: Deshalb sind Kumule nur schwer zu<br />

modellieren.<br />

Weiterhin tut sich die Versicherungsbranche mit dem Erfassen<br />

der Gesamtexposure-Situation in Cyber schwer. Es<br />

gibt die „affirmative“ Cyber-Deckung, Add-on-Produkte<br />

zu bestehenden P&C-Produkten („property and casualty<br />

insurance“: Schaden- und Unfall-Versicherung), bei der<br />

die Abgrenzung zwischen den Deckungselementen ein<br />

Problem werden könnte, und last but not least „Silent Cyber“-Risiken,<br />

die Versicherer heute noch ganz generell in<br />

ihren Beständen haben, wenn sie neben Cyber auch andere<br />

Schaden- und Unfall-Sparten anbieten [„Silent Cyber“:<br />

Damit gemeint sind potenzielle Cyber-Schäden, die in<br />

„konventionellen“ Sach- und Haftpflichtversicherungen<br />

verborgen sind, oft unbemerkt. Der Versicherer muss auch<br />

für diese Folgeschäden zahlen, wenn der Versicherungsnehmer<br />

keine spezielle Cyberpolice abgeschlossen hat:<br />

etwa für Personenschäden, wenn die Steuerung eines autonomen<br />

Fahrzeuges manipuliert wird und es in eine Menschenmenge<br />

fährt, Anmerkung Redaktion].<br />

Lloyd’s scheint von den „unsichtbaren“ Cyber-Risken jetzt<br />

genug zu haben – In einem radikalen Schritt hat der<br />

Markt vor Kurzem angekündigt, dass alle P&C-Policen,<br />

die über Lloyds abgewickelt werden, ab spätestens 2021<br />

klar deklarieren müssen, ob und in welchem Umfang Cyber-Risiken<br />

gedeckt sind oder nicht.<br />

60<br />

Während wir eigene Modelle entwickeln, um das Cyber-<br />

Kumul einschätzbar zu machen, muss festgestellt werden,<br />

dass diese Aufgabe kaum von einem einzelnen Unternehmen<br />

bewältigt werden kann. Aus diesem Grund stehen<br />

wir im regen Austausch mit verschiedenen Stakeholdern<br />

der Cyber-Versicherungs- und Cyber-Security-Industrien,<br />

wie zum Beispiel Cyber-Risikomodellierern, Rückversicherern<br />

und IT-Security-Dienstleistern und Beratungen,<br />

Herstellern von Hard- und Software, etc. Wir müssen und<br />

werden dieses Thema gemeinsam in den Griff bekommen.<br />

Ob die aktuellen Schätzungen zu Cyber-Kumulen „seriös“<br />

sind, ist sicherlich vom Betrachtungswinkel abhängig.<br />

2030 werden die Cyber-Kumul-Modelle von heute vermutlich<br />

belächelt werden – Daten und Erkenntnisse sind<br />

heute noch recht begrenzt. Dies bedeutet für uns jedoch<br />

nicht, dass die aktuellen Modelle und Bepreisungen von<br />

Cyber unseriös sind. Jede Zeit in der Entwicklung einer<br />

neuen Sparte hat ihre eigenen Herausforderungen. Heute,<br />

wo der Cyber-Versicherungsmarkt sich noch in den Kinderschuhen<br />

befindet, gilt es, sich mit einem tendenziell<br />

vorsichtigen Pricing aufzustellen. Schritt für Schritt werden<br />

Pricing und Kumul-Einschätzung an Qualität zulegen.<br />

Cyberschäden ändern sich: Mir scheint, es besteht eine<br />

Art Wettlauf zwischen Hackern und Sicherheits-Dienstleistern.<br />

Bedeutet auch die Tarifkalkulation ein ständiges<br />

Hinzulernen?<br />

Ja, der eingeschränkte „Vorhersagewert“ von Daten zu Cyber-Schäden<br />

kommt erschwerend zu den bereits zum<br />

Thema „Cyber-Kumul“ umrissenen Modellierungs-Herausforderungen<br />

hinzu. Das beste Beispiel hierfür sind die<br />

Policen, die Cyber-Versicherer bis Ende 2016 bepreist haben,<br />

bevor die beiden Ransomware-Angriffe von NotPetya<br />

und WannaCry im Folgejahr ungeahnte Schäden<br />

verursacht haben. Das Schadenpotential von Ransomware<br />

und damit die durchschnittlichen Cyber-Schäden eines<br />

Unternehmens wurden also, wenn man sich nur nach historischen<br />

Daten vor 2016 ausgerichtet hat, stark unterschätzt<br />

und die Policen waren dementsprechend nicht<br />

adäquat bepreist.<br />

Das Interview mit Jörg Wälder führte<br />

Mirko Wenig


Die MVP-Studie <strong>2019</strong>: Analyse-Instrument<br />

für ein unverzichtbares Makler-Werkzeug<br />

Autor: Sven Wenig<br />

Für den Vermittler-Alltag gilt: Eine Vielzahl verschiedener<br />

Daten und Informationen muss aufgenommen und<br />

ausgewertet, muss gespeichert und weiterverarbeitet werden.<br />

Oft sind viele Informationen zu verschiedenen Anbietern<br />

und zu komplexen Produkten notwendig. Zudem<br />

braucht es schnelle Leistungsanalysen auf Knopfdruck,<br />

um eine optimale Beratung und Versorgung der Kunden<br />

zu sichern.<br />

In einer solchen und immer mehr auch digitalisierten<br />

Welt wird das Maklerverwaltungsprogramm zu einem unverzichtbaren<br />

Begleiter. Welche Programme aber werden<br />

durch die Makler genutzt, und unter welchen Erfahrungen?<br />

Was leisten die Programme? Und welche Kosten sind<br />

beim Einsatz zu erwarten? Schon 2014 ging der <strong>Versicherungsbote</strong><br />

dieser Frage nach. Da sich mit den technischen<br />

Möglichkeiten aber auch der Markt für Software-Lösungen<br />

rasant ändert, führten wir aktuell in <strong>2019</strong> eine neue<br />

und umfänglichere Studie zum Thema „Maklerverwaltungsprogramme“<br />

durch.<br />

Und die Resonanz kann sich sehen lassen: 590 Teilnehmer<br />

konnten für unsere MVP-Studie in <strong>2019</strong> gewonnen werden.<br />

Diese arbeiten mit 12.141 Nutzern an 9.372 Arbeitsplätzen<br />

plus Cloudlösungen. Zu 90 Prozent sind die<br />

Teilnehmenden an der Umfrage Versicherungsmakler, zudem<br />

antworteten acht Maklerpools auf unseren umfänglichen<br />

Fragenkatalog. Wenngleich also ein kompletter<br />

Überblick über alle verfügbaren Programme aufgrund der<br />

großen Produktpalette schier unmöglich scheint, kann<br />

die MVP-Studie <strong>2019</strong> von <strong>Versicherungsbote</strong> dennoch<br />

den Anspruch erheben, der Branche eine Orientierung zu<br />

bieten.<br />

Die Marktsituation: Scheinbare Vielfalt und<br />

drohendes Oligopol<br />

Was aber zeigt die aktuelle Studie in <strong>2019</strong>? Der Markt<br />

scheint auf den ersten Blick vielfältiger als in der Vergangenheit,<br />

denn Nutzer verteilen sich auf viele MVP. Sicherte<br />

sich der Sieger der vergangenen MVP-Studie von<br />

<strong>Versicherungsbote</strong>, das ams von assfinet (Acturis<br />

Deutschland), in 2014 noch einen Marktanteil von 30 Prozent,<br />

kann sich dieses Mal keines der Programme mit einem<br />

Marktanteil über 20 Prozent behaupten. Auf<br />

19 Prozent bringt es der neue Sieger, das geschlossene<br />

MVP vom Maklerpool blau direkt. Das MVP ams (ams.4 &<br />

ams.5) von assfinet hingegen – als Startkandidat aus dem<br />

„Siegerstall“ der vorangegangenen Studie – bringt es dieses<br />

Mal nur auf überraschend geringe 6 Prozent Marktanteil.<br />

Wenngleich aber mit Blick auf die verschiedenen Programme<br />

größere Vielfalt zu herrschen scheint, relativiert<br />

ein zweiter Blick die Marktsituation. Der Markt verdichtet<br />

sich u.a. durch Übernahmen immer mehr, z.B. der Ass-<br />

FiNET AG in 2015 durch die Acturis Group Limited,<br />

lutronik durch assfinet in 2017 und softfair durch die Gesellschafter<br />

von Fonds Finanz 2017. Droht trotz der Angebots-Vielfalt<br />

demnach sogar die Oligopolisierung, bei der<br />

wenige Anbieter zunehmend an Einfluss gewinnen?<br />

61


Arbeit mit MVPs/ Zusammenarbeit mit Maklerpools:<br />

Unabhängigkeit wichtig<br />

Nun ist Unabhängigkeit für den Makler als Berater des<br />

Kunden wesentlich. So fällt die Entscheidung auch oft<br />

nicht leicht, ob Daten komplett selbst verwaltet werden<br />

sollen oder ob die Verwaltung der Daten an einen Maklerpool<br />

ausgelagert werden soll. Da Maklerpools ihren Vermittlern<br />

oft eigene Softwarepakete und auch eigene MVP<br />

anbieten, besteht die Gefahr, auch hierbei in Abhängigkeit<br />

durch Drittanbieter zu geraten.<br />

Benutzerfreundlichkeit sowie Funktionalität, jedoch auch<br />

die Unabhängigkeit der Programme sowie Service und<br />

Support der Anbieter erwiesen sich in der aktuellen Umfrage<br />

als besonders wichtige Kriterien für ein MVP.<br />

Hauptaugenmerk der Vermittler sind die Automatisation<br />

ihrer Daten per GDV/BiPro Schnittstellen sowie der Import<br />

von Maklerpost, Bestandsdaten und Provisionsdaten.<br />

Für die Arbeitspraxis müssen die Programme größtmöglich<br />

flexibel sein. 71 Prozent der Befragten bezeichnen es<br />

zum Beispiel als wichtig, dass sie über ihr MVP eine Anbindung<br />

an die Cloud haben. Jedoch legen 47 Prozent der<br />

Befragten auch Wert darauf, dass ihnen das Programm<br />

Offlinearbeit unabhängig vom Internet ermöglicht. Um<br />

derartige Erfordernisse an die Programme aus Sicht der<br />

Maklerschaft konkreter zu untersuchen, hat <strong>Versicherungsbote</strong><br />

in seiner aktuellen Studie Funktionen der Programme<br />

erfragt und systematisch aufgeschlüsselt.<br />

Maklern jedoch ist die Gefahr durchaus bewusst. So geben<br />

68 Prozent der Befragten in unserer aktuellen Umfrage<br />

an, dass ihnen die Unabhängigkeit ihres MVP von<br />

Dritten wie Maklerpools, aber auch von den Versicherern,<br />

wichtig ist. Zwar ist die Zusammenarbeit mit Pools<br />

mittlerweile in der Branche gang und gäbe: 88 Prozent<br />

der Umfrageteilnehmer arbeiten mit Maklerpools zusammen.<br />

Die Gefahr der Abhängigkeit wird von 66 Prozent<br />

der Befragten aber dadurch minimiert, dass sie mit mehreren<br />

Pools zusammenarbeiten.<br />

Katalog an Funktionen Ausgangspunkt der<br />

MVP-Analyse<br />

Entstanden ist ein Katalog an Möglichkeiten heutiger<br />

MVP. Entstanden ist auch ein „Must-Have“ all jener Mindest-Funktionen,<br />

die heutzutage in keinem MVP fehlen<br />

dürfen. In einem zweiten Schritt wurde analysiert, welche<br />

MVP solide Grundfunktionen und welche zusätzliche innovative<br />

Möglichkeiten bieten.<br />

Letztendlich bietet die aktuelle MVP-Studie des <strong>Versicherungsbote</strong>n<br />

einen fundierten Überblick über die aktuelle<br />

Situation auf dem Markt. Die komplette<br />

umfangreiche Studie kann auf unserer Webseite<br />

www.<strong>Versicherungsbote</strong>.de für nur 599,00 Euro zzgl.<br />

MwSt heruntergeladen werden. Die Studie beinhaltet die<br />

kompletten Umfrageergebnisse, detaillierte Analysen sowie<br />

einen Vergleich der führenden MVP.<br />

Ein Kommentar von Sven Wenig


Partnerschaften für<br />

personalisierte<br />

Versicherungen<br />

Die Versicherer Element und Volkswagen<br />

haben zu Anfang des Jahres eine Kooperation<br />

geschlossen, um vermeintliche Versicherungslücken<br />

im Kfz-Schutz zu schließen: Gemeinsam<br />

bieten sie Versicherungen für<br />

Drittfahrer, für Probefahrten sowie für<br />

Mietwagen-Buchungen über die VW-Tochter<br />

an. Über die Hintergründe der Kooperation<br />

berichtet Dr. Christian Macht, Vorstandsvorsitzender<br />

ELEMENT Insurance AG<br />

„Das war schon immer so!“ und „Das hat‘s noch nie gegeben!“<br />

waren prägende Aussagen in den meisten Lebensaspekten<br />

deutscher Verbraucher. Unter anderem durch die<br />

Digitalisierung wird dies aber zunehmend hinterfragt.<br />

Neuerungen wie ein Bezahlen via NFC-Chip des Smartphones,<br />

ein Bestellen maßgeschneiderter Hemden für den<br />

Preis eines von der Stange oder Fernsehen-on-Demand –<br />

kuratiert nach dem persönlichen Geschmack – sind nun<br />

möglich und in der breiten Mitte angekommen. Der Kunde<br />

gewöhnt sich an Angebote, die auf ihn zugeschnitten<br />

sind.<br />

Gerade beim eigentlich sehr persönlichen Thema Versicherungen<br />

kann der Verbraucher einen derartigen Ansatz<br />

aber nicht unbedingt erwarten. So entscheidet er sich aus<br />

einer großen Anzahl zumeist ähnlicher Produkte entweder<br />

für das, welches er vom Markennamen her kennt (gut für<br />

den Anbieter) oder aber für das günstigste Angebot (nicht<br />

mehr so gut für den Anbieter). In beiden Fällen hofft er,<br />

dass der Schutz schon passen wird – und muss akzeptieren,<br />

dass einiges einfach nicht möglich ist, wie zum Beispiel das<br />

kurzfristige Erweitern der Kfz-Police für einen kleinen<br />

Zeitraum. Hierauf komme ich gleich noch zurück.<br />

Übertragen wir nun aber den vom Kunden durch andere<br />

Lebensbereiche bereits bekannten digitalen Ansatz auf<br />

Versicherungsprodukte, hätte der Kunde eine dritte Auswahlmöglichkeit<br />

– ein personalisiertes Produkt, welches<br />

auf seine Bedürfnisse zugeschnitten ist.<br />

Jedoch sind diese kundenzentrierten Versicherungen noch<br />

einmal komplexer als die ohnehin schon komplexen<br />

Standard-Policen. Zu bewerkstelligen sind sie nur mit einem<br />

voll-digitalen Ansatz, der sich durch das ganze Produkt<br />

hinweg zieht – von der Produktentwicklung über den<br />

Abschluss bis hin zu Verwaltung und Schadenbearbeitung.<br />

Dabei müssen sich die Unternehmen auf diese Bereiche<br />

konzentrieren, in denen sie wirklich gut sind. Wir wissen<br />

beispielsweise, dass wir in Bereichen wie etwa Marketing<br />

und der Expertise in den etablierten Vertriebswegen keine<br />

Spezialisten sind. Hier punkten dafür unsere Partner.<br />

In dieser Arbeitsteilung sehen wir ein großes Potential für<br />

die Versicherungsbranche: verschiedene Marktteilnehmer<br />

spezialisieren sich auf ihren Teil der Wertschöpfungskette.<br />

Nach diesem Ansatz haben wir beispielsweise zusammen<br />

mit Volkswagen Versicherungsdienst und Volkswagen Financial<br />

Services eine Produkt-Suite für Autofahrer entwickelt.<br />

Diese Produkte lösen gängige Alltagsprobleme wie<br />

zum Beispiel das oben Genannte beim kurzzeitigen Verleih<br />

des eigenen Autos an einen Drittfahrer. Die Kurzzeit-<br />

Policen können zudem einfach und schnell online – auch<br />

von unterwegs – abgeschlossen werden.<br />

Wir sind davon überzeugt, dass in solchen voll-digitalen,<br />

kundenzentrierten Produkten die Zukunft in der Versicherung<br />

liegen wird. Bald werden Kunden personalisierte<br />

Versicherungsprodukte entsprechend ihrer Bedürfnisse<br />

erhalten können – „Das war schon immer so!“ und „Das hat<br />

es noch nie gegeben!“ wird der Verbraucher auch beim<br />

Thema Assekuranz bald vergessen haben.<br />

Ein Gastkommentar von Dr. Christian Macht<br />

63


Nische Private<br />

Pflegeversicherung:<br />

Der Gesetzgeber<br />

könnte über eine<br />

höhere Förderung<br />

nachdenken!<br />

Annabritta Biederbick<br />

Hauptabteilungsleiterin<br />

der Debeka<br />

Die private Pflegezusatzversicherung bleibt eine Nische: 3,5 Millionen Verträge halten die<br />

Bundesbürger derzeit, trotz drohender Vorsorgelücken. Was sind die Gründe dafür und was<br />

kann getan werden, damit mehr Menschen vorsorgen? Der <strong>Versicherungsbote</strong> sprach mit<br />

Annabritta Biederbick, Hauptabteilungsleiterin Krankenversicherung der Debeka. Sie verriet<br />

uns auch, weshalb in der Debeka-Produktwelt kein Weg am geförderten Zusatz-Tarif<br />

vorbeigeht.<br />

<strong>Versicherungsbote</strong>: 76 Prozent aller deutschen Haushalte<br />

haben eine Hausrat-Police, aber weniger als 3,5 Millionen<br />

Bürger besitzen eine Pflegezusatz-Police: nur rund vier<br />

Prozent der Bevölkerung. Sie ist eine Nische, obwohl existentieller<br />

Schutz. Was läuft da schief?<br />

Annabritta Biederbick: Die soziale Pflegepflichtversicherung<br />

wurde vom Gesetzgeber bewusst als Teilkaskoversicherung<br />

konzipiert. Eigenvorsoge ist ausdrücklich gewollt<br />

und notwendig. Ein Großteil der Bevölkerung geht aber<br />

vermutlich davon aus, dass die Leistungen der gesetzlichen<br />

Pflegeversicherung schon ausreichen werden, wenn sie<br />

pflegebedürftig werden. Darüber hinaus werden die Kosten,<br />

die im Pflegefall selbst zu tragen sind, unterschätzt.<br />

Die staatlichen Leistungen decken jedoch lediglich einen<br />

Teil der Pflegekosten ab. Man kann zum Teil von einer riesigen<br />

Lücke zwischen der gesetzlichen Pflegeleistung und<br />

den tatsächlichen Kosten sprechen. In unserem Angebotsportfolio<br />

haben wir sowohl die privat ergänzende Pflegeabsicherung<br />

als auch die staatlich geförderte Pflegezusatzversicherung.<br />

Die Pflegeversicherung ist ein fester<br />

64<br />

Bestandteil in unserer Vorsorgeanalyse beim Kunden. Insofern<br />

kommen wir unserem gesellschaftlichen Auftrag in<br />

dieser Marktnische nach.<br />

Letztendlich bewertet und entscheidet aber der Interessent,<br />

ob er dieses existentielle Risiko abzusichern möchte.<br />

Das Thema Pflege ist oftmals auch negativ belegt bzw.<br />

wird verdrängt („Das ist noch so lange hin, ich bin doch<br />

noch jung!“…), so dass die Abschlussbereitschaft – trotz<br />

eindeutiger Gründe – auf die lange Bank geschoben wird.<br />

Seit dem 1. Januar 2013 gibt es die staatlich geförderte<br />

Pflegezusatzversicherung, auch Pflege-Bahr genannt. Sie<br />

sollte die Privatvorsorge der Bürger in Sachen Pflege stärken.<br />

Wie sieht es bei Ihnen aus? Wie hoch ist der Bestand<br />

der Debeka an Pflege-Bahr-Tarifen im Verhältnis zu „herkömmlichen“<br />

Pflegezusatzversicherungen?<br />

Seit dem 1. Januar 2013 bietet die Debeka die Tarife EPG<br />

(staatlich geförderte Pflegeergänzung) und EPC (ungeförderte<br />

Pflegeergänzung) an. In Tarif EPG sind 166.000 Personen<br />

und in EPC fast 70.000 Personen versichert. Tarif<br />

EPC kann nur zusammen mit EPG abgeschlossen werden.


In den Pflegeergänzungstarifen, die bereits vor dem 1. Januar<br />

2013 eingeführt wurden, sind weitere 184.000 Personen<br />

versichert.<br />

Kann man allen Menschen einen Pflege-Bahr-Tarif empfehlen?<br />

Oder sollten die Versicherten zunächst versuchen,<br />

eine ungeförderte Pflegezusatzversicherung zu erhalten?<br />

Kritiker warnten bei Einführung: Vor allem ältere und<br />

kranke Personen, die keinen „normalen“ Zusatztarif erhalten,<br />

könnten Pflege-Bahr bevorzugen – aufgrund der<br />

eingeschränkten Gesundheitsprüfung. Das führe zu höheren<br />

Prämien bei diesem Vorsorgemodell.<br />

Generell empfehlen wir den geförderten Debeka-Tarif<br />

EPG allen Bürgerinnen und Bürgern.<br />

Gerade jüngere Versicherte<br />

zahlen in der Regel nur den Mindestbeitrag<br />

und können auf diese<br />

Weise bereits mit einem geringen<br />

monatlichen Beitrag Vorsorge für<br />

den Pflegefall treffen. Über 50<br />

Prozent der Versicherten in Tarif<br />

EPG sind jünger als 40 Jahre. Aber<br />

auch für Ältere und Versicherte<br />

mit Vorerkrankungen ist der Tarif<br />

EPG – solange noch keine Pflegebedürftigkeit<br />

besteht – aufgrund<br />

des Kontrahierungszwangs interessant. Denn unabhängig<br />

vom Gesundheitszustand werden weder Leistungsausschlüsse<br />

noch Risikozuschläge erhoben.<br />

In diesem Zusammenhang darf aber nicht außer Acht gelassen<br />

werden, dass der Tarif EPG mit einem monatlichen<br />

Pflegegeld von 600 Euro im Pflegegrad 5 lediglich eine<br />

Grundabsicherung bietet. Eine zusätzliche – ungeförderte<br />

–VorsorgeinFormdesTarifsEPCistnichtnursinnvoll,<br />

sondern empfehlenswert. Da der Abschluss des Tarifs EPC<br />

aber eine Gesundheitsprüfung voraussetzt, ist es möglich,<br />

dass gerade für Personen mit Vorerkrankungen ein Abschluss<br />

nur zu besonderen Bedingungen oder gar nicht<br />

möglich ist. Diesen Personen bleibt daher nur der Tarif<br />

EPG, um für den Pflegefall vorzusorgen.<br />

Je höher aber der Anteil an Personen mit Vorerkrankungen,<br />

desto höher ist auch das Risiko eines Pflegefalls und<br />

umso größer ist die Wahrscheinlichkeit zunehmender Beitragssteigerungen.<br />

Um diesem Risiko infolge einer möglichen<br />

„Antiselektion“ entgegenzuwirken, haben wir uns bei<br />

Einführung entschieden, den Tarif EPG an den Tarif EPC<br />

zu koppeln. Das heißt, wer gesund ist und die umfangreicheren<br />

Leistungen des Tarifs EPC wünscht, muss auch den<br />

Vor allem fürBürger<br />

mit niedrigem<br />

Einkommen ist die<br />

ergänzende Pflegeversicherung<br />

in<br />

erster Linie eine<br />

Kostenfrage.<br />

Tarif EPG als Grundabsicherung abschließen. Auf diese<br />

Weise versuchen wir eine ausgewogene Kalkulation zu erzielen,<br />

die letzten Endes allen nach Tarif EPG Versicherten<br />

zu Gute kommt.<br />

Ein wichtiger Kritikpunkt bei Pflege-Bahr war bzw. ist,<br />

dass die Policen keine Beitragsbefreiung im Leistungsfall<br />

vorsehen. Auch wer bereits pflegebedürftig ist, muss weiter<br />

monatlich Beiträge zahlen. Wie sieht das bei Ihnen<br />

aus? Und wie wirken sich die Beiträge im Pflegefall für die<br />

Versicherten aus – können Sie ein Beispiel nennen?<br />

Eine Beitragsbefreiung imLeistungsfallhaltenwirfür<br />

problematisch: In allen Tarifen gilt, dass der zukünftige<br />

Leistungsbedarf durch das zukünftige<br />

Beitragsaufkommen finanziert<br />

wird. Werden die<br />

Beiträge nur von den noch nicht<br />

pflegebedürftigen Versicherten<br />

getragen, fallen sie daher grundsätzlich<br />

höher aus. Insbesondere<br />

für die hohen Alter, in denen der<br />

ü berwiegende Teil der Menschen<br />

pflegebedürftig ist, ergibt sich dadurch<br />

ein erheblicher zusätzlicher<br />

Finanzierungsbedarf.<br />

Der monatliche Beitrag während<br />

des Pflegefalls lässt sich durch den Abschluss eines höheren<br />

Pflegetagegeldes gleich zu Beginn der Versicherungszeit<br />

minimieren. Im Pflegefall könnten dann vom<br />

vereinbarten Pflegegeld nicht nur die monatlichen Pflegekosten,<br />

sondern darüber hinaus eine Beitragsreduzierung<br />

finanziert werden.<br />

Worauf sollten Versicherte speziell beim Abschluss von<br />

Pflege-Bahr-Policen achten? Gibt es Leistungsbausteine,<br />

die Sie für essentiell halten?<br />

Bei Einführung der geförderten Pflegezusatzversicherung<br />

hat der Gesetzgeber den Abschluss und die staatliche Förderung<br />

an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, zum Beispiel:<br />

muss eine soziale oder private Pflegepflichtversicherung<br />

bestehen und es dürfen noch keine<br />

Leistungen in Anspruch genommen worden sein, muss der<br />

Antragsteller mindestens 18 Jahre alt sein, muss das monatliche<br />

Pflegegeld mindestens 600 Euro in Pflegegrad 5 betragen<br />

und der monatliche Eigenbeitrag muss bei<br />

mindestens 10 Euro liegen.<br />

Diese Vorgaben sind sehr eng gefasst, sodass kaum Spielraum<br />

für zusätzliche Leistungsbausteine vorhanden ist.<br />

65


Wer aber über die Mindestabsicherung nach gesetzlich<br />

vorgegebenem Rahmen hinaus für den Pflegefall vorsorgen<br />

will, dem bieten wir mit unserer ungeförderten Pflegezusatzversicherung<br />

nach Tarif EPC eine umfassende und<br />

sinnvolle Ergänzung.<br />

Gibt es Reformbedarf mit Blick auf Pflege-Bahr? Wo<br />

könnte der Gesetzgeber ansetzen, um die Policen attraktiver<br />

zu machen bzw. die Nachfrage anzukurbeln?<br />

Vor allem für Bürger mit niedrigem Einkommen ist die ergänzende<br />

Pflegeversicherung in erster Linie eine Kostenfrage.<br />

Bei einem Jahresbeitrag von oft mehreren Hundert<br />

Euro für eine ausreichende ergänzende Pflegeversicherung<br />

ist die derzeitige Förderung von 60 Euro für viele nicht genug.<br />

Hier könnte der Gesetzgeber über eine höhere Förderung<br />

oder weitergehende Steuervorteile nachdenken.<br />

Könnten sich auch die Versicherer und der Vertrieb noch<br />

stärker engagieren, um für Pflegepolicen und die drohende<br />

Vorsorgelücke allgemein zu sensibilisieren?<br />

Wie zuvor erläutert, ist die ergänzende Pflegeversicherung<br />

fester Bestandteil in der Vorsorgeanalyse, die wir mit unseren<br />

Kunden durchführen – und wird regelmäßig in<br />

Kampagnen aufgegriffen. Insofern leisten wir unseren Beitrag,<br />

die Bevölkerung entsprechend zu sensibilisieren.<br />

Ob Pflegetagegeld oder Pflegerente: Wie hoch sollte eine<br />

Mindestabsicherung aus Ihrer Sicht ausfallen? Gibt es<br />

hier eine Faustregel oder lässt sich das nicht so pauschal<br />

sagen?<br />

Eine pauschale Aussage ist hier unseres Erachtens nicht<br />

möglich. Der Bedarf ist individuell bei jedem Menschen<br />

unterschiedlich und muss unter Berücksichtigung vieler<br />

Faktoren (gesetzliche und private Renten- oder Lebensversicherungen,<br />

betriebliche Versorgung, Ersparnisse, familiäre<br />

Situation, Priorisierung auf ambulante, teilstationäre<br />

oder stationäre Versorgung) individuell<br />

ermittelt werden.<br />

Pflegezusatz-Policen gelten als vergleichsweise komplex.<br />

Bieten Sie ihre Verträge auch per Direktvertrieb an?<br />

Wenn ja/nein: bitte begründen.<br />

Nein. Aus den oben genannten Gründen (Bedarfsanalyse,<br />

kein Standardangebot, komplexer Bedarfssachverhalt/<br />

Produkt) ist eine individuelle Beratung unseres<br />

Erachtens unbedingt erforderlich. Deshalb schließen wir<br />

auch die Möglichkeit aus, ein solches Produkt „online“<br />

abzuschließen.<br />

Wenn es um das Pflegerisiko geht, argumentieren wir gern<br />

mit den stationären Pflegeheimkosten. Fakt ist: Die überwiegende<br />

Mehrheit der Pflegebedürftigen wird in den eigenen<br />

vier Wänden betreut. Worauf gilt es bei<br />

Pflegezusatz-Policen mit Blick auf pflegende Angehörige<br />

zu achten?<br />

Die Leistungen von Pflegezusatz-Policen sollten grundsätzlich<br />

flexibel und vor allem nicht zweckgebunden, also<br />

ohne Vorlage von Kostennachweisen, erfolgen. Der pflegende<br />

Angehörige sollte über die zusätzliche Leistung<br />

auch, je nach vorliegender persönlicher Situation, selber<br />

entscheiden, wofür er diese in der Pflege einsetzt.<br />

Seit Inkrafttreten der Pflegestärkungsgesetze sind die<br />

Pflegekosten für Angehörige nahezu explodiert. Die<br />

durchschnittliche Last der Bundesbürger stieg von 1.772<br />

Euro im Januar 2018 auf 1.830 Euro monatlich zum Jahresanfang<br />

<strong>2019</strong>, wenn Betroffene vollstationär betreut werden<br />

müssen. Erwarten Sie einen weiteren Anstieg der<br />

Pflegekosten – oder was könnte diese senken?<br />

In der vollstationären Pflege erwarten wir jedes Jahr eine<br />

Erhöhung des Eigenanteils für den Betroffenen. Hintergrund<br />

hierzu ist die jährliche Kostenerhöhung für Unterkunft,<br />

Verpflegung und Investitionskosten durch die<br />

Pflegeheime.<br />

Die Art, Höhe und Laufzeit der einzelnen Pflegesätze<br />

werden zwischen dem Träger des Pflegeheimes und den<br />

Leistungsträgern (z. B. Pflegekassen, Sozialversicherungsträger,<br />

Träger der Sozialhilfen, Arbeitgemeinschaften<br />

usw.) vereinbart. Ob bei den Verhandlungen für die Vergütungsvereinbarung<br />

die Möglichkeit einer Kostensenkung<br />

– bei jährlich steigenden Kosten für die Träger der<br />

Pflegeheime – besteht, können wir leider nicht beantworten,<br />

da wir an diesen Verhandlungen als privates Versicherungsunternehmen<br />

nicht teilnehmen können.<br />

Deutschland läuft auf einen Pflegenotstand zu, laut dem<br />

Pflegewissenschaftler Michael Simon fehlen schon über<br />

100.000 Pflegekräfte. Zugleich klagen die Kliniken und<br />

Pflegedienstleister über steigenden Kostendruck, der es<br />

ihnen nicht erlaube, neues Fachpersonal einzustellen –<br />

auch von Seiten der Krankenversicherer. Ein Widerspruch?<br />

Was kann und muss getan werden, um den viel<br />

beschworenen PflegeGAU zu verhindern?<br />

67


Eine Beitragsbefreiung<br />

im Leistungsfall<br />

halten wir für<br />

problematisch...<br />

Zunächst einmal muss man betonen, dass die Menschen in<br />

Deutschland – auch dank unseres dualen Gesundheitssystems<br />

von PKV und GKV, das unbestreitbar<br />

zu einem der besten<br />

auf der Welt zählt – immer älter<br />

werden. Damit kommen natürlich<br />

auch erhebliche Mehrkosten auf<br />

die Pflegeversicherung zu, denn<br />

mit der steigenden Anzahl der Älteren<br />

steigt auch die Anzahl der<br />

Pflegebedürftigen. Gleichzeitig gibt es immer weniger junge<br />

Menschen, die die steigenden Kosten tragen können.<br />

Diese Kosten müssen aber finanziert werden. Wie dringend<br />

der Handlungsbedarf in der Pflegeversicherung ist,<br />

zeigen allein die in den vergangenen Jahren umgesetzten<br />

Pflegestärkungsgesetze oder das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz,<br />

das unter anderem ein Sofortprogramm zur<br />

Stärkung der pflegerischen Versorgung in stationären<br />

Pflegeeinrichtungen vorgesehen hat.<br />

Eine Ausweitung der bestehenden Umlagefinanzierung,<br />

wie es die Vertreter einiger Parteien vorschlagen – ganz<br />

gleich, ob dies als Deckelung der Eigenanteile, durch höhere<br />

Steuerzuschüsse oder in Form einer „Pflege-Bürgerversicherung“<br />

der Fall wäre –, trägt unseres Erachtens jedoch<br />

nicht zu einer Lösung des Problems bei. Nur durch eine<br />

Ausweitung des Kapitaldeckungsverfahrens<br />

werden die Beiträge<br />

der Versicherten in jüngeren Jahren<br />

verzinslich angelegt und im<br />

Alter wieder aufgelöst. Diesem<br />

Prinzip folgend, war die Einführung<br />

der geförderten Pflegezusatzversicherung<br />

bereits ein<br />

Schritt in die richtige Richtung. Denn auf diese Weise<br />

sorgt letztlich jede Generation für sich selbst vor und verlagert<br />

das Problem nicht auf zukünftige Generationen.<br />

Das Interview mit Annabritta Biederbick<br />

führte Mirko Wenig


Fünf nützliche Tools zum Nulltarif aus<br />

dem Social Media Werkzeugkasten<br />

MarKo Petersohn<br />

Gründer der Agentur<br />

As im Ärmel<br />

MarKo Petersohn ist seit 2012 das As im Ärmel der Assekuranz im #Neuland. Er schult und berät<br />

Versicherer und Vermittler für erfolgreiche Kommunikation in den neuen Medien. Außerdem<br />

ist er Gründer der Onlinemarketinggesellschaft für Versicherungsvermittler (OMGV) und<br />

Initiator des OMGV Award, welcher seit 2018 auf der DKM verliehen wird.<br />

Erfolg in Social Media ist kein Hexenwerk, sondern klassisches<br />

Handwerk. Und dafür benötigt man Werkzeuge.<br />

Ich werde Ihnen in diesem Artikel 5 Tools vorstellen.<br />

Wissen Sie, was der zweithäufigste Satz ist, den ich in<br />

Workshops und Vorträgen zu Social-Media-Marketing<br />

von Versicherungsvermittlern höre? Er lautet: „Wann soll<br />

ich denn das noch alles machen?“ Der häufigste Satz ist<br />

übrigens noch immer: „Ich glaube Ihnen ja, dass das in<br />

anderen Branchen funktioniert, aber nicht bei Versicherungen.“<br />

Wobei dieser Satz sukzessive seltener wird, da es<br />

immer mehr Erfolgsbeispiele gibt.<br />

Versicherungsvermittler erkennen zunehmend die Chancen<br />

von Social Media, welche auch den damit verbundenen<br />

Mehraufwand rechtfertigen. Denn, und das steht<br />

außer Frage, professionelles Social Media Marketing bedeutet<br />

mehr Arbeit und Ausgaben. Aber dafür lohnt es<br />

sich nachweislich. Zumindest wenn man es richtig macht.<br />

Und ein essenzieller Punkt ist hierbei, dass man die richtigen<br />

Werkzeuge zur Hand hat. Ohne diese geht nichts!<br />

Und fünf kostenlose nützliche Werkzeuge stelle ich Ihnen<br />

heute vor.<br />

Grafiken erstellen<br />

Dass Social Media äußerst bildlastig ist, muss ich Ihnen<br />

nicht sagen. Das können Sie in jedem Newsfeed sehen –<br />

und zwar wortwörtlich „sehen“. Was bedeutet, dass auch<br />

Sie ansprechende Bilder kreieren müssen, um Aufmerksamkeit<br />

zu generieren. Dabei ist es egal, ob Sie ein einfaches<br />

Posting veröffentlichen oder eine Werbeanzeige.<br />

Nur: Woher bekommen Sie solche Grafiken? Der Königsweg<br />

ist natürlich ein Grafiker, nur ist ein solcher ein entsprechender<br />

Kostenfaktor. Und wenn Sie nicht gerade<br />

Lust, Zeit und Geld haben, sich in professionelle Grafikprogramme<br />

wie Photoshop einzuarbeiten, dann brauchen<br />

Sie eine Alternative. Und hier empfehle ich Ihnen Canva<br />

(www.canva.com). Hierbei handelt es sich um ein Bildbearbeitungsprogramm<br />

für jedermann, im Prinzip um einen<br />

Klassiker. Ich empfehle dieses Tool Maklern und Vermittlern<br />

seit dem ersten Onlinemarketingseminar 2014. Es ist<br />

einfach zu bedienen, die komplette Gestaltung erfolgt per<br />

Drag & Drop. Und die Ergebnisse können sich wirklich<br />

sehen lassen.<br />

Schon in der kostenlosen Version stehen Ihnen eine Vielzahl<br />

an Vorlagen, fertigen Designs und Grafikelementen<br />

69


zur Verfügung. Zudem kann man eigene Bilddateien<br />

hochladen, die dann als Hintergrund oder Grafikelement<br />

verwendet werden können. Und als ob das nicht schon genug<br />

ist, ist Canva außerdem für<br />

Social Media optimiert. Was bedeutet,<br />

sämtliche Grafiken werden<br />

stets in der perfekten<br />

Bildgröße der jeweiligen Netzwerke<br />

erstellt.<br />

Rechtssichere und kostenlose<br />

Bilder im Internet<br />

Wo wir gerade bei Bildern sind.<br />

Man ist immer auf der Suche nach<br />

dem passenden Bildmaterial. Und hierfür empfehle ich<br />

Ihnen pixabay.com und pexels.com. Streng genommen<br />

sind diese Webseiten zwar keine Tools, aber trotzdem<br />

sind es nützliche Werkzeuge. Denn hier bekommen Sie<br />

kostenlose und, soweit wie möglich, rechtssichere Bilder<br />

unter der Lizenz „Creative Commons Zero“. Das bedeutet:<br />

Sie können die Bilder für private und kommerzielle<br />

Zwecke nutzen und müssen nicht einmal die Quelle nennen.<br />

Die 20-Prozent-Regel!<br />

Wenn ich Ihnen zuvor erklärte, dass Sie ansprechende Bilder<br />

kreieren müssen, dann meine ich das durchaus wortwörtlich.<br />

Versehen Sie ihre Bilder mit Texten. Dies führt<br />

zu messbar mehr Erfolg. Sprechen Sie die Zielgruppe direkt<br />

im Bild wortwörtlich an, dann generieren Sie messbar<br />

mehr Interaktionen. Das gilt besonders bei<br />

Werbeanzeigen. Allerdings darf es im Facebook-Kosmos<br />

nicht zuviel Text für Anzeigen sein. Genau genommen<br />

liegt die magische Grenze bei 20 Prozent. Hat Ihre Anzeige<br />

mehr Text, wird die Reichweite von Facebook aktiv<br />

eingeschränkt. Damit verbunden hat die Anzeige natürlich<br />

eine schlechtere Performance und verursacht somit<br />

höhere Kosten bei geringerem Erfolg.<br />

Damit Sie in Zukunft kein Problem mehr mit der 20-Prozent-Regel<br />

haben, bietet Facebook den Image-Text-<br />

Check (www.facebook.com/ads/tools/text_overlay). Mit<br />

ihm können Sie prüfen, ob Ihre Anzeige abgestraft wird<br />

oder nicht.<br />

IFTTT<br />

Es ist wie bei Apple<br />

vs. Android, testen<br />

Sie am besten aus,<br />

was für Sie das<br />

richtige ist. Testen<br />

kostet nichts.<br />

Kein Problem, genau dafür wurde IFTTT (If this than<br />

that) entwickelt. Die Plattform bietet Rezepte, um unterschiedlichste<br />

Maßnahmen miteinander zu verknüpfen.<br />

Darunter fallen Social Media Aktionen<br />

wie, „Wenn ich auf Instagram<br />

ein Bild poste, soll es auch<br />

auf Twitter oder Facebook gepostet<br />

werden“, aber auch völlig andere<br />

Dinge wie „Wenn mich mein<br />

Smartphone weckt, soll die<br />

Kaffeemaschine angehen“. Im<br />

Prinzip können Sie mit IFTTT<br />

(www.ifttt.com) nahezu sämtliche<br />

Funktionen verknüpfen, die in irgendeiner<br />

Art mit dem Internet<br />

verbunden sind. Es hilft also nicht nur ein nützliches Social-Media-Werkzeug,<br />

sondern ein wirklich mächtiges<br />

Onlinetool.<br />

Automatisierte Postings<br />

Ich predige bei sämtlichen Seminaren und Workshops,<br />

dass Kontinuität einer der größten Erfolgsfaktoren bei<br />

Social Media ist. Sowohl inhaltlich als auch in der Regelmäßigkeit<br />

der Postings. Aber gerade beim zweiten Punkt<br />

wird häufig berechtigterweise angemerkt, dass man nicht<br />

immer Zeit hat etwas zu posten. Und genau an dem Punkt<br />

helfen Ihnen Hootsuite (www.hootsuite.com) und Buffer<br />

(www.buffer.com).<br />

Mit beiden Programmen können Sie Social Media Plattformen<br />

von einem Ort aus verwalten und Postings erstellen,<br />

planen und zu vorgegebenen Zeitpunkten veröffentlichen.<br />

Das bedeutet, Sie müssen sich nicht mehr auf<br />

Facebook, Instagram und Twitter anmelden, sondern können<br />

alles aus einem Tool heraus steuern.<br />

Falls Sie sich fragen, warum ich Ihnen beide nenne und<br />

welches ich Ihnen empfehle, so kann ich Ihnen sagen, dass<br />

ich persönlich seit Jahren Hootsuite nutze und damit<br />

überaus zufrieden bin. Aber ich kenne genügend Personen,<br />

die das gleiche über Buffer erzählen. Es ist wie bei<br />

Apple vs. Android, testen Sie am besten aus, was für Sie<br />

das richtige ist. Testen kostet nichts.<br />

Falls Sie Beratung oder Unterstützung bei Ihren Social-<br />

Media-Aktivitäten benötigen, denken Sie immer daran,<br />

Sie haben ein As im Ärmel!<br />

Sie posten ein Bild in ihrem Instagram-Kanal, aber hätten<br />

es auch gern auf ihren anderen Social-Media-Präsenzen?<br />

Ein Gastkommentar von MarKo Petersohn<br />

70


71


Simon Nörtersheuser<br />

Gründer und Geschäftsführer der<br />

Policen Direkt Gruppe<br />

Die überwiegende Mehrheit der<br />

InsurTechs ist kein Gegner der<br />

Vermittlerschaft<br />

InsurTechs boomen? Jein, denn viele mussten in den letzten Jahren wieder aufgeben: speziell im<br />

Bereich des Versicherungsvertriebs. Über den Stand der deutschen und globalen InsurTech-<br />

Szene haben Policen Direkt und Oliver Wyman eine gemeinsame Studie initiiert: den InsurTech-<br />

Radar. Der <strong>Versicherungsbote</strong> sprach mit Simon Nörtersheuser, Gründer und Geschäftsführer<br />

der Policen Direkt Gruppe, sowie Dr. Nikolai Dördrechter, InsurTech-Experte und Mitautor der<br />

Studie, was von den „Jungen Wilden“ der Branche aktuell zu erwarten ist.<br />

<strong>Versicherungsbote</strong>: Mit dem Insurtech-Boom der letzten<br />

Jahre wuchs nicht nur die Zahl der Unternehmen, sondern<br />

auch der Wettbewerb. Welche InsurTechs konnten<br />

sich auch im letzten Jahr erfolgreich behaupten und welche<br />

Voraussetzungen bringen diese mit?<br />

72<br />

Dr. Nikolai Dördrechter: Seit 2000 gab es 183 Gründungen<br />

von InsurTechs in Deutschland. Von diesen haben<br />

mittlerweile 49 aufgegeben oder haben dem Versicherungsmarkt<br />

den Rücken zugekehrt. Allein das zeigt, dass<br />

es hier keine Erfolgsgarantie gibt. Wir haben mit der aktuellen<br />

Ausgabe des InsurTech-Radars 20 Scale-ups identifiziert,<br />

deren Geschäftsmodelle überdurchschnittlich<br />

stark wachsen. Diese InsurTechs konnten sich vom restlichen<br />

Feld absetzen, weil sie Kooperationen mit Versicherern,<br />

Vertriebsorganisationen und zunehmend auch<br />

anderen InsurTechs eingehen. Elf Scale-ups richten ihr<br />

Geschäftsmodell auf das Angebot von Versicherungen<br />

aus, vertreiben als Neocarrier eigene Produkte. Andere<br />

fokussieren sich auf digitale Vertriebsplattformen, die aus<br />

unserer Sicht auf dem Weg zur Systemrelevanz sind.<br />

Aber: Die Entwicklung bleibt dynamisch. Wir rechnen damit,<br />

dass neue InsurTechs zu Scale-ups werden – und dass<br />

manch ein Scale-up auch noch nicht über den Berg ist.<br />

Der Wettbewerb fordert zunehmend Opfer unter den<br />

InsurTechs. Seit 2017 häufen sich Geschäftsaufgaben. Der<br />

InsurTech-Radar kennt zudem „Zombies“, die zwar formal<br />

noch existieren, denen Sie aber keine Zukunftschancen<br />

einräumen. Welche InsurTechs sind besonders von<br />

Misserfolg betroffen und wodurch begründen sich deren<br />

fehlende Erfolgsaussichten?<br />

Dr. Nikolai Dördrechter: Zunächst einmal ist die Auslese<br />

Zeichen der zunehmenden Reife des Marktes und lässt<br />

sich in ähnlicher Form in anderen Industrien gleichermaßen<br />

beobachten. Wir hatten für den InsurTech-Markt in<br />

Deutschland bereits in 2017 prognostiziert, dass sich die<br />

Spreu vom Weizen trennen wird und dass das rasante<br />

Wachstum bei der Anzahl der InsurTechs nicht ewig so<br />

weitergehen wird. So zeigt sich der Reifeprozess auch daran,<br />

dass sich im vergangenen Jahr die Gründungen und<br />

Austritte die Waage hielten. Unter den „Zombies“, die<br />

quasi formal nur noch auf dem Papier existieren, sind


Dr. Nikolai Dördrechter<br />

InsurTech-Experte und Mitautor des<br />

InsurTech-Radars<br />

auch einige mit hohen Investitionen, deren Abschreibung<br />

durchaus schmerzhaft sein könnte – auch für Versicherer,<br />

die investiert sind. Betroffen sind vor allem Modelle, die<br />

im Ringen um Neukunden von den extrem hohen Marketing-<br />

und Vertriebsaufwendungen zerrieben wurden. Es<br />

gibt dann zwar einen Kundenstamm,<br />

der reicht aber nicht aus,<br />

um die Fixkosten zu decken. Die<br />

Fixkosten kann man bis zu einem<br />

gewissen Punkt runterfahren.<br />

Dann aber fehlen den Start-ups<br />

die Möglichkeiten, auf der Vertriebsseite<br />

echte Erfolge zu generieren.<br />

Einige Modelle haben sich<br />

auch Nischen ausgesucht, die<br />

wirtschaftlich einfach nicht genug Potenzial für ein<br />

Stand-alone-Geschäftsmodell mit sich bringen. Oder<br />

haben schlichtweg an den Kundenbedürfnissen vorbei<br />

entwickelt.<br />

Mittlerweile kooperieren viele Versicherer mit den jungen<br />

Marktteilnehmern oder haben sich sogar direkt an<br />

ihnen beteiligt. Welche Entwicklung erwarten sie für die<br />

Zukunft?<br />

Die Digitalisierung<br />

der Versicherungsbranche<br />

ist das<br />

Kernthema<br />

überhaupt.<br />

Kauf nehmen, um die wichtigen Kooperationen mit Versicherern<br />

oder Rückversicherern eingehen zu können.<br />

Versicherer haben aber auch erkannt, dass mehr und<br />

mehr InsurTechs an den richtigen Themen arbeiten und<br />

immer bessere Lösungen vorweisen können. Die Digitalisierung<br />

der Versicherungsbranche<br />

ist das Kernthema überhaupt. Für<br />

Versicherer ist die Investition in<br />

ein InsurTech durchaus ein guter<br />

Weg, sich Zugang zu bestimmten<br />

Technologien zu verschaffen. Insofern<br />

erwarte ich, dass die Investitionen<br />

weiter zunehmen<br />

werden. Die Investitionen werden<br />

aber mehr und mehr auf bestimmte<br />

Schlüsselthemen konzentriert werden.<br />

Fehlinvestitionen sind natürlich nicht ausgeschlossen, allerdings<br />

scheitert bei großen Versicherern auch manch<br />

eine Softwareeinführung spektakulär. Die Investitionen<br />

in InsurTechs sind verglichen damit sehr viel moderater.<br />

Sie schreiben: Versicherer müssten den Vertrieb neu erfinden,<br />

InsurTechs helfen dabei. Welche Veränderungen<br />

beim Vertrieb erwarten Sie dadurch?<br />

Simon Nörtersheuser: Aus Gründersicht dauern Annäherungsprozesse<br />

aktuell immer noch viel zu lange und sind<br />

oft mit einem asymmetrischen Know-how-Transfer an<br />

die Versicherer verbunden. Die Start-ups müssen das in<br />

Simon Nörtersheuser: Tatsächlich neue Produkte im Sinne<br />

einer Produktinnovation sehen wir aktuell auch auf<br />

InsurTech-Seite vergleichsweise wenig. Innovationen beschränken<br />

sich auf Prozesse – das ist einerseits gut und<br />

73


ichtig. Andererseits erschließt das nicht das gesamte Potenzial.<br />

Wenn wir davon sprechen, den Vertrieb neu zu<br />

erfinden, geht es darum, Versicherungen davon zu befreien,<br />

aktiv verkauft werden zu müssen, indem diese direkt<br />

am Point-of-Demand angeboten werden. Es bräuchte Angebote,<br />

bei denen Kunden einen direkten Mehrwert verspüren,<br />

bei denen die Versicherung zum Beispiel als ein<br />

Baustein in den Hintergrund<br />

tritt, der sozusagen automatisch<br />

mitvertrieben wird. Derartige Geschäftsmodelle<br />

sind allenfalls in<br />

Ansätzen zu erkennen – im Bereich<br />

Smart Home beispielsweise<br />

oder im Bereich Bancassurance, in<br />

die wir große Erwartungen setzen.<br />

InsurTechs werden hier durch<br />

Ihre hohe Flexibilität und Innovationskraft<br />

in Zukunft vermehrt<br />

aktiv werden.<br />

Betrachtet man die drei wichtigsten Segmente „Angebot“,<br />

„Betrieb“ und „Vertrieb“, erweist sich der Bereich<br />

„Vertrieb“ als Verlierer bei der Anzahl der InsurTechs.<br />

2016 waren noch fast zwei Drittel aller InsurTechs in diesem<br />

Bereich zuhause, in 2018 hingegen nur noch 33 Prozent.<br />

Was sind die Gründe für dieses veränderte<br />

Verhältnis?<br />

Dr. Nikolai Dördrechter: Was wir hier beobachten, ist in<br />

erster Linie der langsame Abbau einer Schieflage, so wie<br />

wir ihn auch in anderen InsurTech-Märkten international<br />

verzeichnen konnten. In unserer ersten Studie 2016 waren<br />

sehr viele vertriebliche Geschäftsmodelle vertreten, die<br />

sich an Erfolgsmuster aus dem E-Commerce anlehnten.<br />

Die Dynamik bei diesen Modellen hat deutlich abgenommen,<br />

man kann von einer Stagnation sprechen. Neuer Unternehmergeist<br />

fand sich jetzt erfreulicherweise in<br />

Bereichen, die mehr Wissen über Versicherungen voraussetzen.<br />

So haben die Bereiche „Angebot“ und „Betrieb“<br />

deutlich zugelegt, auch, weil mehr und mehr erfahrene<br />

Versicherungsmanager den Sprung ins Wagnis Start-up<br />

gewagt haben. Die Wachstumsstory dieser Bereiche ist somit<br />

davon getrieben, dass Gründerteams zusammenfinden,<br />

die zweierlei mitbringen: tiefes Versicherungswissen<br />

und Technologie-Know-how. Die von uns angekündigte<br />

zweite InsurTech-Welle baut sich so langsam auf, während<br />

die erste ausläuft.<br />

Sie gehen davon aus, dass Vertriebsplattformen zunehmend<br />

an Marktmacht gewinnen werden und auf dem<br />

74<br />

Die mit Abstand<br />

größte Gefahr für<br />

die Vermittlerschaft<br />

ist es, sich nicht aktiv<br />

mit dem Thema<br />

Digitalisierung auseinanderzusetzen<br />

...<br />

Weg zur Systemrelevanz seien. Auch sehen Sie eine latente<br />

Oligopolisierung des Marktes. Wie verändern sich<br />

Bedingungen durch diese Entwicklung? Müssen Vermittler<br />

eine solche Marktmacht fürchten?<br />

Simon Nörtersheuser: Vertriebsplattformen bringen unterschiedliche<br />

Akteure im Vertriebsprozess zusammen<br />

und müssen nicht unbedingt auf<br />

Endkunden ausgerichtet sein.<br />

Deswegen sind Sie in der Regel<br />

keine Gefahr für Makler, im Gegenteil:<br />

sie erleichtern ihnen die<br />

Arbeit, ohne dass die auf ihre Unabhängigkeit<br />

verzichten müssen.<br />

Digitale Vertriebsplattformen<br />

setzen hier an und sind auf einem<br />

sehr guten Weg. Das führt im Erfolgsfall<br />

auch immer zu einer Bündelung<br />

von Marktmacht. Die<br />

InsurTechs mit diesem Geschäftsmodell<br />

sind aber nicht alleine und konkurrieren mit etablierten<br />

Anbietern von Maklersoftware. Wer am Ende die<br />

Nase vorne haben wird, ist aktuell noch nicht abzusehen.<br />

Eine Konsolidierung im Maklermarkt schreitet allerdings<br />

ohnehin voran. Vor allem Einzelmakler suchen angesichts<br />

der Herausforderungen der Digitalisierung und zunehmender<br />

regulatorischer Vorschriften starke Kooperationen.<br />

Auf zahlreiche Anfragen aus unserem Netzwerk<br />

haben wir so unlängst reagiert und die Maklerpartnerschaft<br />

ins Leben gerufen. So muss kein Makler die technischen,<br />

juristischen und bürokratischen Herausforderungen<br />

fürchten und kann sich ganz auf sein<br />

Kerngeschäft, die unabhängige Beratung des Kunden,<br />

konzentrieren und das sogar noch ausbauen.<br />

In welchen Bereichen ist die Gefahr für die Vermittlerschaft<br />

am größten, dass digitale Absatzkanäle der Insurtechs<br />

in Konkurrenz zu herkömmlichen Vertriebswegen<br />

treten?<br />

Dr. Nikolai Dördrechter: Die mit Abstand größte Gefahr<br />

für die Vermittlerschaft ist es, sich nicht aktiv mit dem<br />

Thema Digitalisierung auseinanderzusetzen und zu wenig<br />

Geld für Investitionen in Technologie in die Hand zu nehmen.<br />

Viele Makler haben – wenn überhaupt – nur leidlich<br />

gepflegte Maklerverwaltungsprogramme, eine veraltete<br />

IT-Infrastruktur und damit einhergehend stark „papierlastige“<br />

Prozesse. So aufgestellte Makler und Vermittler<br />

werden es zukünftig immer schwerer haben, für ihre jüngeren<br />

Kunden attraktiv zu bleiben. Zudem gehen ihnen


wertvolle vertriebliche Chancen durch die Lappen, die<br />

unsichtbar im Bestand schlummern. InsurTechs sehe ich<br />

hier in erster Linie als Lösungsanbieter und nicht primär<br />

als Konkurrenz. Ein Großteil der InsurTechs, die ursprünglich<br />

mal als reiner Online-Makler im Privat- oder<br />

Gewerbekundengeschäft aufgetreten sind, haben sich zu<br />

Technologieanbietern weiterentwickelt, die sich als Partner<br />

der etablierten Vertriebskanäle sehen. Auf der anderen<br />

Seite sehen wir aber durchaus ernstzunehmende<br />

Konkurrenz für die etablierten Vermittler durch digitale-<br />

B2C-Makler, die große Vertriebspartnerschaften z. B. mit<br />

Banken eingegangen sind. Diesen stehen, nicht zuletzt gestärkt<br />

durch massive Finanzierungsrunden, ganz andere<br />

Wachstumsmöglichkeiten offen als einem traditionell aufgestellten<br />

Vermittler oder Makler.<br />

In welchen Bereichen könnten Vermittler aus Ihrer Sicht<br />

von der aktuellen Entwicklung profitieren?<br />

Simon Nörtersheuser: Nur 14 von 134 InsurTech sind<br />

überhaupt vertrieblich im Endkundengeschäft tätig. Damit<br />

sind fast 90 Prozent der Versicherungs-Start-ups keine<br />

direkten Gegner der klassischen Vermittlerschaft. Im<br />

Gegenteil: Gerade wer als Einzelmakler die Herausforderungen<br />

der Digitalisierung bewältigen und gleichzeitig<br />

mit den schärferen Regulierungsvorschriften klarkommen<br />

will, sucht sich Unterstützung. InsurTechs bieten<br />

hier mitunter Lösungen, die etwa bei der Optimierung<br />

der Organisation helfen oder das Beratungsgespräch beim<br />

Kunden digital unterstützen. Dennoch ist die Maklerschaft<br />

weitgehend skeptisch: Laut aktueller Umfragen begegnen<br />

mehr als 75 Prozent den „Neuen“ mit<br />

Zurückhaltung. Wer aber auch in Zukunft erfolgreich vermitteln<br />

will, wirft entweder selbst einen genaueren Blick<br />

auf die InsurTech-Szene oder sucht sich starke Partner,<br />

die die Angebote längst nutzen. Denn gerade für die Bereiche,<br />

die den Kunden im persönlichen Kontakt mit dem<br />

Vermittler am wichtigsten sind – Beratung und Bedarfsanalyse,<br />

Vertragsanpassungen, Hilfe im Schadenfall, Kombinationsmöglichkeiten<br />

verschiedener Tarife und Details<br />

der Versicherungsbedingungen – , bieten auch InsurTechs<br />

sinnvolle und kostengünstige Unterstützung an.<br />

Die Fragen stellte Sven Wenig


<strong>Versicherungsbote</strong>: Die R+V hat einen autonomen<br />

Kleinbus für den öffentlichen Straßenverkehr zugelassen,<br />

der aus Ihrem „Innovation Lab“ kommt. Sind Sie<br />

bereits mitgefahren? Und saß ein Fahrer hinter dem<br />

Steuer, oder fährt das Fahrzeug komplett autonom?<br />

Verena Reuber<br />

Projektleiterin autonomes Fahren<br />

im R+V Innovation Lab<br />

Autonomes Fahren:<br />

Schon heute sind<br />

wir oft mit Autopilot<br />

unterwegs!<br />

Die R+V Versicherung testet seit dem April<br />

2018 autonom fahrende Kleinbusse im<br />

Straßenverkehr. Denn Fahrzeuge, die theoretisch<br />

ohne menschliche Hilfe lenken,<br />

bremsen und Gas geben können, sind<br />

längst keine Zukunftsmusik mehr. Warum<br />

der Versicherer sich in diesem Bereich engagiert<br />

und wie die aktuellen Erfahrungen<br />

sind, darüber sprach der <strong>Versicherungsbote</strong><br />

mit Verena Reuber. Sie ist Projektleiterin<br />

autonomes Fahren im R+V Innovation<br />

Lab.<br />

Verena Reuber: Die Zulassung haben wir im April 2018<br />

erhalten. Und seitdem bin ich bereits mehrfach mitgefahren,<br />

sowohl während der Testfelder in Frankfurt,<br />

Marburg und Mainz als auch mit vielen Kollegen bei<br />

uns, am Hauptsitz in Wiesbaden. Eine Begleitperson<br />

muss aus rechtlichen Gründen immer mit an Bord sein,<br />

damit die Technik bei Bedarf stets vom Menschen übernommen<br />

werden kann. Allerdings sitzt dieser Operator<br />

nicht klassisch am Steuer – es gibt weder Lenkrad, noch<br />

Pedalerie. Gesteuert wird – wenn notwendig – über einen<br />

Controller.<br />

Ganz naiv gefragt: Wieso unterstützt ein Versicherer die<br />

Entwicklung autonomer Fahrzeuge? Sie erhoffen sich ja<br />

sicher auch Erkenntnisse für Ihr Kerngeschäft.<br />

Wir fokussieren uns mit unserem Forschungsprojekt<br />

nicht auf die Entwicklung autonomer Fahrzeuge, sondern<br />

auf deren Funktionsweise und Einsatzmöglichkeiten.<br />

In den nächsten Jahren werden wir eine<br />

zunehmende Automatisierung unserer Fahrzeuge erleben.<br />

Das wird neue Chancen und Risiken hervorbringen.<br />

Und auf diese wollen wir vorbereitet sein. Mit dem Betrieb<br />

der hochautomatisierten Kleinbusse sammeln wir<br />

jetzt bereits Erfahrungen und können uns so auf die<br />

Kundenansprüche der Zukunft einstellen.<br />

…mit wem kooperieren Sie beim Entwickeln und Testen<br />

des Fahrzeuges?<br />

Wir haben die Fahrzeuge vom französischen Hersteller<br />

Navya gekauft. Mit Navya befinden wir uns im regelmäßigen<br />

Austausch, da für den Betrieb – sowohl für die Inbetriebnahme<br />

als auch das Fahren – auf die Technik und<br />

Expertise des Herstellers zurückgegriffen werden muss.<br />

Die Testfelder haben wir mit diversen Partnern umgesetzt.<br />

Prominent zu nennen sind hierbei der Frankfurter<br />

Flughafenbetreiber Fraport, der Industriepark-Manager<br />

Pharmaserv aus Marburg sowie die Mainzer Mobilität.<br />

Was das automatisierte Fahren betrifft, hatte jeder von<br />

ihnen eigene Zielsetzungen und Fragestellungen, so dass<br />

die Anwendungsfälle divers waren und wir gemeinsam<br />

einiges untersuchen konnten.


Ich nehme an, Sie testen das Fahrzeug bereits im öffentlichen<br />

Verkehr. Wo und wie ist das Fahrzeug bzw. sind<br />

die Fahrzeuge unterwegs? Wie sind die bisherigen Erfahrungen?<br />

Die Fahrzeuge haben bisher vier<br />

Testfelder absolviert, zwei davon<br />

fanden im öffentlichen Raum<br />

von Wiesbaden und Mainz statt.<br />

Wir haben die Shuttle zuvor auf<br />

Privatgeländen, am Frankfurter<br />

Flughafen und an den Behringwerken<br />

in Marburg eingesetzt.<br />

Die Erfahrungen sind durchweg<br />

positiv. Die Shuttle werden sehr<br />

gut angenommen. Wissenschaftliche Begleitungen der<br />

Testfelder durch die Universitäten von Marburg und<br />

Mainz zeigen hohe Akzeptanzwerte, auch Menschen mit<br />

anfänglichen Berührungsängsten sind nach der Fahrt begeistert<br />

und fühlen sich sicher. Die Shuttle haben sich<br />

auch recht problemlos in den trubeligen Verkehr am<br />

Frankfurter Flughafen integriert. In Mainz war es vor allem<br />

der Querverkehr, der uns interessiert hat. Da haben<br />

wir dann aber auch einige Schwachstellen der aktuellen<br />

Technik ausmachen können.<br />

Wie wird sich autonomes Fahren auf die Unfallhäufigkeit<br />

auswirken?<br />

Nachweislich ist der Mensch Unfallursache Nummer 1<br />

auf den Straßen, vor allem die Ablenkung macht uns gefährlich.<br />

Da beim vollkommen autonomen Fahren der<br />

Mensch aus der Gleichung genommen wird, kann man<br />

davon ausgehen, dass die Unfallhäufigkeit sinken wird.<br />

Aktuell muss immer<br />

noch ein Mensch an<br />

Bord sein, um gegebenenfalls<br />

eingreifen<br />

zu können.<br />

Autonomes Fahren wird nur möglich sein, wenn die<br />

Fahrzeuge permanent Daten senden. Gerade bei privater<br />

Nutzung nicht unproblematisch. Wie kann verhindert<br />

werden, dass ein Spion ständig im Auto mitfährt und Daten<br />

missbraucht werden?<br />

Dafür müssen technische Lösungen<br />

der Hersteller und Zulieferer<br />

Sorge tragen.<br />

Müssen mit Blick auf den Kfzund<br />

Kaskoschutz Gesetze geändert<br />

und angepasst werden, um<br />

autonomes Fahren zu ermöglichen?<br />

Oder reichen die bisherigen<br />

Regeln zur Kfz-Versicherung<br />

bereits aus, um dies auf unseren Straßen zu ermöglichen?<br />

Um autonomes Fahren zu ermöglichen, bedarf es diverser<br />

Gesetzesanpassungen. Aktuell muss immer noch ein<br />

Mensch an Bord sein, um gegebenenfalls eingreifen zu<br />

können. Derzeit ist der Versicherungsschutz absolut<br />

ausreichend. Unser Forschungsprojekt mit den autonomen<br />

Kleinbussen hilft uns, Erfahrungen für künftige<br />

Versicherungsmodelle zu sammeln.<br />

Ich versuche mir eine Welt vorzustellen, in der ein Teil<br />

der Autos autonom fährt, ein anderer Teil ganz „klassisch“<br />

mit einem aktiven Fahrer. Die Vorstellung, mehrere<br />

autonome Fahrzeuge stehen neben oder hinter mir an<br />

der Kreuzung, macht mir schon ein bisschen Angst.<br />

Noch eher ängstigt die Vorstellung, ich sitze in einem<br />

Bus ohne Fahrer. Vielleicht können Sie mir helfen: Warum<br />

sollte man der Technik vertrauen? Und was sind<br />

mögliche Fehlerfaktoren, dass es doch mal „kracht“?<br />

Autonomes Fahren bedeutet, dass es weit stärker von<br />

der Fahrzeugtechnik abhängt, wenn es zu einem Unfall<br />

kommt und Menschen verletzt oder gar getötet werden.<br />

Wer haftet dann in der Kfz-Versicherung? Ein Fahrer?<br />

Oder kann die Haftung auch auf die Fahrzeughersteller<br />

übergehen?<br />

Aktuell ist es so, dass aus Rechtsgründen immer noch ein<br />

Mensch die Systeme überwachen muss. Ein Mensch ist<br />

demnach weiterhin haftbar. Die Verschiebung hin zu einer<br />

Produkthaftpflicht wird immer wieder diskutiert.<br />

Bevor das jedoch zum Standard wird, müssen sowohl<br />

Gesetze als auch Technik umfassend weiterentwickelt<br />

werden.<br />

Ich persönlich finde die Vorstellung, dass die Technik<br />

mein Fahrzeug lenkt, nicht beunruhigend. Wir steigen<br />

heute schon in Flugzeuge und U-Bahnen und wissen, dass<br />

die größtenteils im Autopilot unterwegs sind. Technik<br />

ist nicht abgelenkt, ist nicht müde, ist nicht in Gedanken<br />

oder alkoholisiert. Technik ist immer da. Während der<br />

Fahrer bspw. im Moment des Schulterblicks nur nach<br />

rechts hinten schauen kann, hat die Technik die gesamte<br />

Kreuzung im Blick und kann optimal reagieren. Das ist<br />

ein Sicherheitsgewinn für alle Verkehrsteilnehmer.<br />

In diesem Mischverkehr können autonome Fahrzeuge<br />

aber nicht ihr gesamtes Potenzial ausspielen. Richtig sicher<br />

ist es erst, wenn die unberechenbare menschliche<br />

77


Komponente ersetzt ist. In diversen Zukunftsszenarien<br />

wird dafür plädiert, dass es getrennte Areale geben soll,<br />

um so den Mischverkehr, den es vermutlich noch viele<br />

Jahre geben wird, zu umgehen.<br />

Autonomes Fahren könnte auch das Schadenmanagement<br />

revolutionieren: Sehr wahrscheinlich wird das<br />

Auto in der Lage sein, Unfalldaten live aufzunehmen und<br />

an den Versicherer quasi in Echtzeit zu übermitteln. Wie<br />

wirkt sich das auf den Prozess der Schadenbearbeitung<br />

aus? Ist der Beruf des Schadengutachters in Gefahr?<br />

Schon jetzt werden über eCall und den Unfallmeldedienst<br />

des GDV Unfälle automatisiert gemeldet und<br />

teilweise erfasst — trotzdem ist der Gutachter weiterhin<br />

vonnöten. Die Schadenbearbeitung ist ein komplexes<br />

Gebiet. Da bedarf es im Bereich der künstlichen Intelligenz<br />

noch einiges an Weiterentwicklung. Den Beruf des<br />

Schadengutachters wird es also noch lange geben.<br />

von der Programmierung des Fahrzeuges. Ein Beispiel:<br />

Ein Fahrzeug hat nur die Option, in den Graben zu steuern<br />

und damit die Fahrzeuginsassen zu gefährden, oder<br />

aber in eine Gruppe Radfahrer hineinzusteuern. Beschäftigen<br />

Sie sich auch mit solchen Fragen?<br />

Für diese Dilemma-Diskussion hat die Ethik-Kommission<br />

im Sommer 2017 Leitlinien für die Entwicklung automatisierter<br />

Fahrsysteme vorgestellt.<br />

Das Interview mit Verena Reuber<br />

führte Mirko Wenig<br />

Autonomes Fahren wirft auch moralische Fragen auf. Situationen<br />

sind denkbar, in denen „entschieden“ werden<br />

muss, welche von zwei Parteien geschädigt wird: abhängig


Advertorial<br />

Die DOCURA hat Ihre Hausrattarife vollständig<br />

überarbeitet, um Ihnen weiterhin zukunftsorientierte<br />

Deckungskonzepte anbieten zu können<br />

Der bereits umfassende Versicherungsschutz in den Tarifen<br />

PROTECT & SMART wurde in der Tarifgeneration<br />

PROTECT & SMART 2020 in mehr als<br />

15 Leistungspunkten erweitert.<br />

▷Der perfekte Schutz für das digitale Zuhause - DOCU-<br />

RA PROTECT- HOME 2020<br />

Neben den umfangreichen Leistungselementen des Tarifs<br />

PROTECT 2020 bietet PROTECT-HOME 2020<br />

eine Absicherung von „Smart-Home“ Komponenten.<br />

Der ebenfalls integrierte Cyberschutz rundet das umfassende<br />

Leistungsspektrum ab.<br />

▷Mit dem Einsteigertarif TWEN 2020 – zielgerichtet für<br />

junge Versicherungsnehmer konzipiert – steht ein<br />

grundsolider Versicherungsschutz zu einem günstigen<br />

Beitrag zur Verfügung.<br />

Eine erste Übersicht zu den einzelnen Tarifen finden Sie<br />

nachstehend.<br />

Einen umfassenden Versicherungsschutz mit einem sehr<br />

hohen Leistungsniveau bietet Ihnen der neue Tarif<br />

PROTECT 2020:<br />

▷Wertsachen bis 50% der Versicherungssumme<br />

▷ Grobe Fahrlässigkeit<br />

▷ beruflich bedingter Zweitwohnsitz<br />

▷ Räuberische Erpressung<br />

▷ Überschwemmung durch Starkregen<br />

▷ Musterkollektionen und Handelsware<br />

▷ Diebstahl am Arbeitsplatz<br />

▷ Fahrraddiebstahlschäden rund um die Uhr - optional -<br />

▷ Elementarschäden - optional -<br />

▷ Glasversicherung (inkl.Ceranfeld) - optional -<br />

Service nicht nur gesprochen, sondern gelebt!<br />

Besonders zu erwähnen ist noch der mögliche optionale<br />

Einschluss der Leistungsgarantie. Welchen Schutz bietet<br />

die Leistungsgarantie?<br />

Bietet zum Zeitpunkt des Schadeneintritts ein Versicherer<br />

einen Leistungsstärkeren Tarif an wird im Schadenfall<br />

▷der Versicherungsschutz im Rahmen der versicherten<br />

Gefahren und Schäden erweitert<br />

▷eine ggf. vorhandene Entschädigungsgrenze entsprechend<br />

erhöht<br />

▷eine ggf. vorhandene Selbstbeteiligung reduziert bzw.<br />

gestrichen<br />

Die DOCURA hat Ihren Markenauftritt und die Präsenz<br />

im Internet vollständig überarbeitet. Das neue Design<br />

stellt eine Weiterentwicklung des Unternehmens, sowohl<br />

in der Außendarstellung, als auch in der Gestaltung aller<br />

relevanten Produktunterlagen dar.<br />

Der DOCURA Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit<br />

besteht seit über 100 Jahren und genießt das Vertrauen von<br />

mehr als 100.000 Versicherungsnehmern. Die Mitglieder<br />

und Vermittler vertrauen uns die Absicherung gegen<br />

Hausrat-, Glasbruch- und private Haftpflichtschäden an.<br />

Besuchen Sie uns auch im web unter www.docura.de<br />

79


Zurich – der neue<br />

Mitarbeiter namens<br />

Robbie<br />

Alexander Bernert<br />

Head of Proposition &<br />

Innovation Zurich Gruppe<br />

Deutschland<br />

Die Zurich hat einen neuen Mitarbeiter in<br />

der Schadenregulierung: Robbie ist sein<br />

Name. Doch was kann er – und was kann er<br />

nicht? Müssen die anderen Mitarbeiter gar<br />

Angst vor ihm haben? Diese Fragen richtete<br />

der <strong>Versicherungsbote</strong> an Alexander<br />

Bernert, Head of Proposition & Innovation<br />

Zurich Gruppe Deutschland. Denn Robbie<br />

ist kein gewöhnlicher Mitarbeiter. Er ist ein<br />

Roboter bzw. ein Computerprogramm –<br />

Stichwort „Künstliche Intelligenz“.<br />

<strong>Versicherungsbote</strong>: Bei Ihnen kommt ein neuer Sachbearbeiter<br />

zum Einsatz, so las ich auf der Webseite des<br />

GDV: Robbie. Nur ist das kein Mitarbeiter aus Fleisch<br />

und Blut, sondern, wie der Name schon verrät, ein Roboter.<br />

Können Sie Ihn kurz vorstellen? Was kann Robbie<br />

– und was kann er besser als „andere“ Mitarbeiter?<br />

Alexander Bernert: Er arbeitet insbesondere monotone<br />

und wenig anspruchsvolle Standardaufgaben<br />

sehr zuverlässig ab,<br />

wenn alles so ist, wie er es erwartet.<br />

Dies kann zum Beispiel die<br />

Übertragung von Daten aus einer<br />

Applikation in eine andere sein,<br />

wo die meisten Mitarbeitenden<br />

sich nach einer Stunde langweilen<br />

und die Aufmerksamkeit verlieren.<br />

Man muss ihm die Arbeit<br />

ganz genau beschreiben können, dann ist er super.<br />

…und wo ist Robbie einem Mitarbeiter aus Fleisch und<br />

Blut noch unterlegen? Kann er einen Mitarbeiter tatsächlich<br />

„ganz“ ersetzen?<br />

Mitdenken darf man nicht erwarten. Und insofern kann<br />

er manche, gerade ungeliebte monotone, Tätigkeiten<br />

von Mitarbeitern ersetzen, aber eben nie ganz. Wenn<br />

zum Beispiel ein Kunde bei seinem Geburtsjahr versehentlich<br />

1950 statt 1960 schreiben würde, dann kann es<br />

80<br />

Echte „Fehler“<br />

macht Robbie<br />

eigentlich nie – er<br />

tut, was man ihm<br />

beigebracht hat.<br />

passieren, dass Robbie das einfach übernimmt. Je nachdem,<br />

ob man ihm beigebracht hat, worauf er zu achten<br />

hat.<br />

Wer haftet, wenn Robbie mal Fehler macht? Und können<br />

Sie einen Einblick erlauben, wie oft es noch zu Fehlern<br />

kommt?<br />

Zunächst einmal sind wir gegenüber<br />

dem Kunden in der Pflicht.<br />

Ob wir uns dann gegebenenfalls<br />

an die Lieferanten von Robbie<br />

halten, wird vom Fehler abhängen.<br />

Echte „Fehler“ macht Robbie<br />

eigentlich nie – er tut, was<br />

man ihm beigebracht hat. Die<br />

Frage ist, ob wir beim Beibringen<br />

an alles denken.<br />

Sie nutzen Robotics-Technik auch im Kundenservice<br />

der Lebensversicherung. Wie reagieren Ihre Kundinnen<br />

und Kunden darauf? Wir wissen aus Umfragen, dass<br />

persönliche Ansprechpartner den Versicherungsnehmerinnen<br />

und -nehmern noch immer wichtig sind.<br />

Bislang nutzen wir solche Technologie nur an Stellen,<br />

die für den Kunden unsichtbar sind, gerade aus dem von<br />

Ihnen genannten Grund. Wir testen derzeit, an welchen<br />

Stellen Chatbots für den Kunden hilfreich sein können.


Wir erhalten viele Pressemeldungen von Beratungshäusern,<br />

häufig mit Eigeninteresse, in denen behauptet<br />

wird, die deutschen Versicherer hinken in Sachen Digitalisierung<br />

hinterher und drohen abgehängt zu werden.<br />

Wie ist Ihre Einschätzung: Macht<br />

die Branche genug mit Blick auf<br />

die Digitalisierung?<br />

Die Branche macht viel, konzentriert<br />

sich aber derzeit oft darauf,<br />

die bestehenden Systeme zu ertüchtigen<br />

bzw. in die Zukunft zu<br />

führen. Das ist auch nötig, denn<br />

ein vor 20 Jahren geschlossener<br />

Lebensversicherungsvertrag<br />

kann mit Rentenphase noch viele<br />

Jahrzehnte laufen. Insofern sieht es gegenüber neuen<br />

Spielern, vor allem Startups, manchmal so aus, als hinke<br />

die Branche hinterher. Das ist so aber nicht der Fall.<br />

Bei vielen Sparten ist die Prüfung des Schadensfalles<br />

noch sehr zeitaufwendig und intensiv, Beispiel BU und<br />

biometrische Risiken. Wird die Berufsunfähigkeit geprüft,<br />

dauert es oft mehrere Monate, viele Unterlagen<br />

müssen eingeholt werden. Kann KI hier auch unterstützend<br />

wirken, oder sind dem Grenzen gesetzt?<br />

KI kann unterstützend wirken. Aber schon gesetzlich ist<br />

vorgeschrieben, dass eine Ablehnung nie nur durch<br />

„Entscheidung“ einer Maschine erfolgen kann. Insofern<br />

gibt es klare Grenzen.<br />

Die Branche hat ein Nachwuchsproblem, das Alter der<br />

Mitarbeiter nähert sich den 50 Jahren. Viele Versicherer<br />

klagen bereits, sie finden zu wenige Fachkräfte.<br />

Zugleich berichten wir immer häufiger von Jobabbau<br />

bei den Versichern, weil die KI viele Aufgaben im Innendienst<br />

übernimmt. Ein Widerspruch? Wie passt das<br />

zusammen?<br />

KI übernimmt – eher potenziell als schon tatsächlich –<br />

bestimmte Aufgaben. Aber Domäne des Menschen werden<br />

absehbar solche Themen bleiben, bei denen mit<br />

Menschen interagiert wird oder Entscheidungen unter<br />

Unsicherheit getroffen werden. Das bedeutet aber auch,<br />

dass der Charakter der Jobs sich wandelt. Früher gab es<br />

Mitarbeiter, die auf Anforderung von Sachbearbeitern<br />

Akten aus den Kellern geholt haben – das braucht man<br />

mit elektronischen Akten nicht mehr. Wie in der gesamten<br />

Wirtschaft fallen einfache Tätigkeiten eher weg<br />

Also gut darüber<br />

nachdenken, welche<br />

Tätigkeiten denn in<br />

10 oder 20 Jahren<br />

wohl noch in<br />

Menschenhand sein<br />

werden.<br />

durch die Digitalisierung, während es einen steigenden<br />

Bedarf an Mitarbeitern gibt, die die neue Welt gestalten<br />

können.<br />

Daran anknüpfend: Droht bei<br />

den Versicherern ein radikaler<br />

Jobabbau? Sollte man überhaupt<br />

noch bei einem Versicherer als<br />

Sachbearbeiter lernen oder seine<br />

Ausbildung machen, wenn doch<br />

Robbie ganz einfach im Werk<br />

hergestellt werden kann?<br />

Eine Ausbildung bei einem Versicherer<br />

lohnt sich ganz sicher,<br />

denn Versicherung ist eines der<br />

ältesten Gewerbe der Welt – erste Versicherungsthemen<br />

waren schon im Codex Hammurabi zu finden – die<br />

Branche wird es auch noch in 100 Jahren geben. Aber sie<br />

wird sich in der Art, wie Versicherung „hergestellt“<br />

wird, ändern – und darauf sollte man sich als junger<br />

Mensch einstellen. Also gut darüber nachdenken, welche<br />

Tätigkeiten denn in 10 oder 20 Jahren wohl noch in Menschenhand<br />

sein werden. Aber das gilt für jede Branche.<br />

Welche Rolle kann Künstliche Intelligenz im Vertrieb<br />

übernehmen? Wo und wie unterstützt/ergänzt oder<br />

verdrängt Robbie Herrn Kaiser?<br />

Heute kann künstliche Intelligenz für Vermittler beispielsweise<br />

Routineaufgaben in deren Backoffice übernehmen<br />

und diese dadurch entlasten und Zeit für die<br />

Beratung der Kunden schaffen. Für einfache Produkte<br />

kann KI auch nützlich sein, damit Kunden sich im Self<br />

Service erste Informationen beschaffen können. Darüber<br />

hinaus ist es auch möglich, mit KI die Vermittler oder<br />

auch den Online-Vertrieb zu unterstützen, damit Sie<br />

den Kunden passgenauer weitere Produkte und Services<br />

vorschlagen oder Indikatoren für Unzufriedenheit früher<br />

erkennen können.<br />

Das Interview mit Alexander Bernert<br />

führte Mirko Wenig<br />

81


Verfahrensdokumentation<br />

im Visier<br />

des Fiskus<br />

Dirk Pappelbaum<br />

Geschäftsführer der Leipziger<br />

Inveda.net GmbH<br />

Waren die Grundsätze zur ordnungsmäßigen<br />

Buchführung (heute: GoBD) in der Vergangenheit<br />

eher ein Thema für Buchhalter und Steuerberater,<br />

so hat sich in den letzten Jahren die<br />

Verantwortung deutlich auf die vorgelagerten<br />

Datenverarbeitungssysteme verlagert. Die Finanzämter<br />

schulen mittlerweile ihre Steuerprüfer<br />

auf Themen wie Verfahrensdokumentation<br />

und die Prüfung der computergestützten<br />

Datenverarbeitungsprozesse. Auf diese Entwicklung<br />

sollte jeder vorbereitet sein, denn<br />

selbst Unternehmen, die nur eine Einnahmenüberschussrechnung<br />

erstellen müssen, sind<br />

angehalten die GoBD umzusetzen.<br />

Das Bundesministerium für Finanzen hatte in diesem Jahr<br />

den Versuch unternommen, die GoBD in Einklang mit<br />

dem Stand der Technik neu zu definieren, zog dieses<br />

Schreiben jedoch ohne weitere Angaben wieder zurück.<br />

Somit gilt weiterhin das BMF-Schreiben vom 14.11.2014 als<br />

Maß der Dinge. Hier werden die Grundsätze zur ordnungsmäßigen<br />

Führung und Aufbewahrung von Büchern,<br />

Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form<br />

sowie zum Datenzugriff bestimmt.<br />

Wird man bei der Buchführung in der Regel durch einen<br />

Steuerberater ausreichend unterstützt, bleibt die Verantwortung,<br />

der Einhaltung der Regeln, bei den vorgelagerten<br />

DV-Systemen, wie zum Beispiel den Systemen zur Bestandsverwaltung<br />

oder zur Provisionsabrechnung, beim<br />

Unternehmer selbst. Die Komplexität dieser Systeme wird<br />

dabei gerne unterschätzt, wer jedoch schon einmal versucht<br />

hat, alle seine Prozesse und Regeln zu Papier zu<br />

bringen, der weiss, dass dies sehr schnell umfangreich werden<br />

kann. Deshalb haben die Finanzämter seit einigen Jahren<br />

ihr besonderes Augenmerk auf die Frage nach einer<br />

Dokumentation der Prozesse im Unternehmen verlagert.<br />

Das Zauberwort heisst: Verfahrensdokumentation, und<br />

diese muss vorhanden sein, bevor das Finanzamt danach<br />

fragt. Es ist zwar jedem freigestellt, die eigenen Prozesse<br />

mündlich zu erörtern, jedoch gilt dies nur für einfach zu<br />

verstehende Vorgänge. In der Praxis steht dem die Komplexität<br />

der eigenen Abläufe entgegen.<br />

Die GoBD sind von allen Buchführungs- bzw. Aufzeichnungspflichtigen<br />

zu beachten. Die GoBD findet nicht nur<br />

82<br />

auf Systeme der doppelten Buchführung Anwendung. Zusätzlich<br />

sind die steuerlichen Aufzeichnungspflichten eingeschlossen.<br />

Im Einzelnen ist die Aufbewahrung von<br />

steuerlichen und außersteuerlichen Büchern und Aufzeichnungen,<br />

die Aufbewahrung von Unterlagen zu Geschäftsvorfällen,<br />

der Aufzeichnung der Geschäftsvorfälle,<br />

dem internen Kontrollsystem (IKS), der Datensicherheit,<br />

der elektronischen Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen,<br />

dem Datenzugriff und der Verfahrensdokumentation<br />

zur Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit sowie Fragen<br />

der Zertifizierung und Software-Testate vorgegeben.<br />

Auf die Frage, welche Hard- und Software GoBD-konform<br />

ist, gibt die GoBD keine Antwort. Das ist nicht zuletzt der<br />

Vielzahl und der unterschiedlichen Ausgestaltung und der<br />

Kombination der Datenverarbeitungssysteme geschuldet.<br />

Hatten sich die Betriebsprüfungen in der Vergangenheit<br />

auf den Jahresabschluss und die damit verbundenen Buchungen<br />

und Belege konzentriert, so findet aktuell eine<br />

Verschiebung dieser Prüfung in die vorgelagerten DV-Systeme<br />

statt.<br />

Vorgelagerte DV-Systeme sind zum Beispiel: Warenwirtschaftssysteme<br />

oder im Versicherungsbereich die Systeme<br />

zur Bestandsverwaltung und zur Provisionsabrechnungsogenannte<br />

Vorbuchhaltungssysteme. Die DV-Verfahren<br />

müssen sicherstellen: dass die einmal in den Verarbeitungsprozess<br />

eingeführten Belege (Grundaufzeichnungen,<br />

Buchungen) nach diesem Zeitpunkt nicht mehr unterdrückt<br />

oder ohne Kenntlichmachung überschrieben, gelöscht,<br />

geändert oder verfälscht werden können. Eine


entsprechende Beschreibung hat in der Verfahrensdokumentation<br />

zu erfolgen.<br />

Wann ist die Revisionssicherheit notwendig?<br />

Die Daten in einem System zur Bestandsverwaltung und<br />

zur Provisionsabrechnung sind sehr heterogen und es stellt<br />

sich die Frage, ob wirklich alle Daten den Anforderungen<br />

der ordnungsgemäßen Buchhaltung genügen müssen.<br />

So werden hier neben Kontaktdaten auch Termine und E-<br />

Mails verwaltet und zu einzelnen Vorgängen werden Notizen<br />

erfasst. Viele dieser Daten sind oft flüchtig und sollen<br />

nur vorübergehend zur Erledigung der anstehenden Aufgaben<br />

dienen. Im Prinzip hat man damit Briefen, Notizzettel<br />

und Terminkalender digitalisiert.<br />

Grundsätzlich sind alle Daten, die mit dem Geschäftsprozess<br />

in Verbindung stehen und diesen beeinflussen oder<br />

verändern, gemeint- dies traf wohlgemerkt bislang auch in<br />

Papierform zu.<br />

In Vorbuchhaltungssystemen muss also genau definiert<br />

werden- welche Datenströme bis zu welchem Zeitpunkt<br />

bearbeitet werden dürfen. Bei DV- Systemen sollte angestrebt<br />

werden, jede Änderung eines Geschäftsprozesses intern<br />

zu protokollieren- dies geschieht ohne den Nutzer zu<br />

überfordern im Hintergrund, und kann bei Bedarf ausgelesen<br />

werden.<br />

Insbesondere gilt dies bei Belegen, die in Form von Rechnungen<br />

oder Quittungen in digitaler oder in digitalisierter<br />

Form in das System eingespielt werden. Hier steht die geforderte<br />

Revisionssicherheit außer Frage.<br />

Muss eine E-Mail, eine Notiz oder ein Termin,<br />

der sich auf den Inhalt einer Abrechnung bezieht<br />

wirklich revisionssicher gespeichert<br />

werden?<br />

Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, wenn die besagte<br />

E-Mail nur das Transportmittel für einen Beleg im<br />

Anhang ist- muss nur dieser Beleg revisionssicher gespeichert<br />

werden. Anders verhält es sich, wenn in der E-Mail<br />

zusätzlich Informationen zum Beleg stehen, dann ist die<br />

gesamte E-Mail unverändert zu speichern.<br />

Eigen- und Fremdbelege<br />

In Provisionsabrechnungssystemen werden auf der einen<br />

Seite Fremdbelege eingelesen, diese sind revisionssicher zu<br />

speichern. Auf der anderen Seite werden Eigenbuchungen<br />

erzeugt.<br />

Fremdbelege müssen im empfangenen Format gesichert<br />

werden außerdem müssen Fremdbelege in Papierform<br />

nach ihrer Digitalisierung in einem vom Unternehmen<br />

festgelegten Format gesichert werden, dieses muss auch für<br />

den Zeitraum der Aufbewahrungspflicht so bleiben, bei einer<br />

Konvertierung in ein anderes Format, sind beide Versionen<br />

zu sichern. Wenn das BMF-Schreiben <strong>2019</strong> in Kraft<br />

tritt, ist es nicht mehr nötig, die Belege, die erzeugt werden,<br />

als PDF-Dokumente zu speichern - wenn jederzeit auf<br />

Anforderung ein entsprechendes Doppel der Ausgangsrechnung<br />

erstellt werden kann.<br />

Nachvollziehbarkeit der Provisionszahlungen<br />

Die Basis der Verteilung auf die Vertriebsmitarbeiter sind<br />

die Provisionsvereinbarungen. Für den Fiskus ist dabei<br />

nicht relevant, ob die verteilten Provisionen den Vereinbarungen<br />

entsprechen. Es muss jedoch nachvollziehbar sein,<br />

wo der Geldzufluss seinen Ursprung hat.<br />

Da alle Geschäftsvorfälle für die Dauer der Aufbewahrungsfrist<br />

retrograd, also von der Buchung zum Beleg, und<br />

progressiv, also vom Beleg zur Buchung, prüfbar bleiben<br />

müssen, ist es wichtig, dass alle mit dem Geschäftsvorfall<br />

(erzeugter Beleg) in Verbindung stehenden Daten unveränderbar<br />

gesichert werden.<br />

Diesen Daten muss insbesondere zu entnehmen sein, auf<br />

welchen Vertrag und welche Gutschrift der Versicherungsgesellschaft<br />

sie sich beziehen und auf welchen Vermittler<br />

die Auszahlung erfolgte. Um den Vermittler<br />

eindeutig zu identifizieren, sollten Name und Adresse<br />

ebenfalls mit der Transaktion unveränderlich gespeichert<br />

werden.<br />

Keine Angst vor Fehlern<br />

Mit dem Grundsatz einer ordnungsgemäßen Buchführung<br />

ergibt sich somit die Notwendigkeit, einen Teil der<br />

Daten im Vorbuchhaltungssystem revisionssicher zu speichern,<br />

es betrifft jedoch nicht alle Daten des Systems. Die<br />

GoBD lassen dabei in Einzelfällen Interpretationsspielräume.<br />

Bei der Dokumentation der unternehmensrelevanten<br />

Prozesse im Rahmen einer Verfahrensdokumentation sollte<br />

man sich deshalb nicht scheuen, Unzulänglichkeiten zu<br />

dokumentieren. Entscheidend ist, dass diese festgestellt<br />

werden und Maßnahmen definiert werden, sie zukünftig<br />

vermieden werden können.<br />

Ein Gastkommentar von Dirk Pappelbaum<br />

83


Warum es sinnvoll für Vermittler ist, sich<br />

mit Vollmachten und Verfügungen zu beschäftigen<br />

Falk Leibenzeder<br />

Finanz- und<br />

Versicherungsmakler<br />

Falk Leibenzeder ist Finanz- und Versicherungsmakler mit den Spezialthemen Vollmachten,<br />

Pflege und Kapitalanlage. Er ist bundesweit als Referent und Trainer unterwegs und hält regelmäßig<br />

Vorträge zu den genannten Themen. Sein Firmensitz ist in Emmendingen bei Freiburg.<br />

Seit Monaten ist in den Medien immer wieder von Horrorszenarien<br />

zu hören, wenn es um die Betreuung von geschäftsunfähigen<br />

Menschen geht. Angespartes Vermögen<br />

und Immobilien werden aufgebraucht und verwertet, die<br />

Kinder in die Haftung genommen und die Familie hat weder<br />

Mitspracherecht noch Zugriff auf Konten und Vermögen.<br />

Warum es aus Vermittlersicht sinnvoll ist, sich<br />

mit dem Thema auseinander zu setzen und welche Möglichkeiten<br />

sich daraus ergeben können, möchten wir in<br />

diesem Beitrag klären.<br />

Es sei darauf hingewiesen, dass der Makler keine Rechtsberatung<br />

in diesem Umfeld vornehmen darf. Es gibt mehrere<br />

gute Anbieter am Markt, die den Makler bei der<br />

Erstellung begleiten und die Haftung sicherstellen.<br />

Ist nichts geregelt, wird der Patient geregelt<br />

Derzeit werden ca. 1.4 Millionen Menschen betreut. Wer<br />

selbst nicht mehr in der Lage ist, Entscheidungen zu<br />

treffen, benötigt eine Vertretung. Diese kann aus dem familiären<br />

Umfeld kommen oder wird vom Gericht bestellt.<br />

Im Falle einer Betreuung ist es zielführend, wenn schon<br />

im Vorfeld entsprechende Regelungen getroffen wurden,<br />

wie das Leben dann verlaufen soll und wer sich um die<br />

Angelegenheiten des zu Betreuenden kümmert. Ist nichts<br />

84<br />

geregelt, wird der Patient „geregelt“. Das heißt: Dritte entscheiden<br />

über ihn, im Zweifel ein durch das Gericht bestellter<br />

Betreuer.<br />

Betreuung bedeutet nicht, dass Betreute waagerecht im<br />

Bett liegen und vor sich hinvegetieren. Betreuung bedeutet<br />

hingegen eine kurzfristige Vertretung bei Unfall,<br />

Krankheit, Koma oder geistiger Umnachtung. Die Betroffenen<br />

können in diesen Situationen keine eigenen<br />

Entscheidungen mehr treffen. Sie sind nicht mehr einwilligungsfähig.<br />

Wer entscheidet über Vermögen, medizinische<br />

Behandlungen oder bei Selbstständigen über das<br />

Unternehmen?<br />

Versicherungsmakler sollten auch für sich selbst entsprechende<br />

Vollmachten erstellen, um einen fortlaufenden<br />

Geschäftsbetrieb gewährleisten zu können. Denn wenn<br />

das Geschäft im Betreuungsfall nicht geregelt ist, steht der<br />

Betrieb unter Umständen still.<br />

In Deutschland herrschen primär drei große<br />

Irrtümer zu Vollmachten und Verfügungen:<br />

Irrtum 1: „Nur Ältere sind betroffen.“ Laut Statistik ist<br />

das falsch. Mehr als 70 Prozent der unter Betreuung stehenden<br />

Menschen bewegt sich im besten arbeitsfähigen


Alter zwischen 18 und 69 Jahren. Über ein Viertel ist zwischen<br />

18 und 39 Jahre jung.<br />

Irrtum 2: Die meisten Menschen denken immer noch,<br />

dass eine automatische Vertretungsberechtigung für den<br />

Ehe- oder Lebenspartner besteht. Dem ist nicht so. Auch<br />

Eltern sind nicht legitimiert, ihre volljährigen Kinder automatisch<br />

zu vertreten. Liegen keine Vollmachten vor, benennt<br />

das Betreuungsgericht einen Betreuer. Das kann<br />

jemand aus der Familie sein, muss aber nicht.<br />

Irrtum 3: „Bestimmt das Gericht meinen Partner als Betreuer,<br />

dann ist alles gut.“ Auch das ist leider ein Irrglaube.<br />

Der Bundesrat hat zwar in einer Initiative 2017<br />

angestoßen, dass Ehepartner für einen bestimmten Zeitraum<br />

Betroffene vertreten dürfen. Das kam aber nie zur<br />

Abstimmung und verlief schlussendlich im Sand. Benennt<br />

das Gericht also den Partner, hat dieser vielfältige Aufgaben<br />

und Pflichten. Zuerst muss ein Vermögensverzeichnis<br />

erstellt werden. Die Familie wird also quasi „nackt“ gemacht<br />

und kann keine Vermögensgüter verheimlichen.<br />

Darüber hinaus muss der Betreuer Ausgaben detailliert<br />

erfassen und genehmigen lassen. Ein jährlicher Bericht ist<br />

abzuliefern. Treten Ungereimtheiten auf, kann die Vermögensfürsorge<br />

auch wieder entzogen werden. Der Betreuer<br />

muss ebenso Entscheidungen zu medizinischen<br />

Behandlungen, Aufenthalt und Unterbringung und vieles<br />

mehr treffen. Der Betreuer ist verpflichtet, dem Gericht<br />

gegenüber Rechenschaft abzulegen. Er verliert somit seine<br />

Selbständigkeit.<br />

Haftungsfragen und Vertriebspotential<br />

Der Versicherungsmakler sollte dieses Thema auf jeden<br />

Fall mit Nachdruck ansprechen und dokumentieren. Einerseits<br />

der Sicherheit wegen, Stichwort Haftung. Andererseits,<br />

weil sich daraus zusätzlich Einnahmequellen über<br />

Cross-Selling und vor allem Neukunden ergeben.<br />

Es bietet sich idealerweise an, das Thema Vollmachten in<br />

Verbindung mit dem für viele Makler „leidigen“ Thema<br />

Pflege anzusprechen. Hier rennen Sie offene Türen ein.<br />

Durch die vorangegangene Sensibilisierung ist die Gesprächsbereitschaft<br />

der Kunden deutlich größer.<br />

Aus der eigenen Beratungs-Erfahrung weiß ich: Es kann<br />

durchaus vorkommen, dass Mandanten darauf vertrauen,<br />

gesund zu bleiben. Sie treffen dann keine Vorsorge. Wer


aber kann von sich behaupten, ein Leben lang gesund zu<br />

sein? Ist bei Krankheit nichts geregelt und der Partner<br />

wird bestellt, gehen die Sorgen schon los. In dieser Situation<br />

sei die Erstellung eines Notfallordners durch den<br />

Versicherungsmakler ans Herz gelegt. Da dies nicht zu<br />

den Kardinalspflichten eines Maklers gehört, kann für die<br />

Erstellung ein Honorar verlangt werden. Mit der Erstellung<br />

erhält der Makler gleichzeitig Namen der Familienmitglieder,<br />

um diese als Neukunden gewinnen zu können.<br />

Es kommt durchaus auch vor, dass im Zuge der Begleitung<br />

für die Vollmachten größere Vermögenssummen ins Spiel<br />

gebracht werden, die sinnvoll angelegt werden wollen –<br />

entweder für die Einmalzahlung in eine Pflegerente, ein<br />

Depot oder eine anderweitige Versicherung. Hier ist das<br />

Fachwissen des Maklers gefragt.<br />

Im Falle einer Betreuung durch einen gerichtlich bestellten<br />

Betreuer kann es vorkommen, dass dieser renditestarke<br />

Verträge oder Fonds auflöst, ohne zu wissen, was<br />

überhaupt dahintersteckt. Gleiches gilt für Immobilien,<br />

die eventuell unter Wert verkauft werden.<br />

Es liegt also in den Händen des Maklers, hier für die Sicherheit<br />

des Mandanten und vor allem die Sicherheit der<br />

eigenen Verträge zu sorgen.<br />

Welche Vollmachten und Verfügungen werden<br />

für den Betreuungsfall benötigt?<br />

Patientenverfügung: Sie regelt die Wünsche<br />

zur Apparatemedizin, zu Behandlungen und<br />

zu würdevollem Sterben. Seit 2009 ist die<br />

Patientenverfügung rechtlich bindend.<br />

Betreuungsverfügung: Sie regelt Ihre<br />

Vorgaben zum Thema Pflege, Betreuung und<br />

Kontrollbetreuung, zu Ort und Art der<br />

Versorgung und der Lebensumstände und<br />

Ausschluss von Personen.<br />

Vorsorgevollmacht: Vollmacht für die<br />

Bereiche Finanzen, Post und Behörden, zum<br />

Aufenthaltsrecht und zur rechtlichen<br />

Stellvertretung im gesundheitlichen Bereich.<br />

Sie ist erweiterbar um das Gewerbe.<br />

Sorgerechtsverfügung: Über sie wird die<br />

Vormundschaft für minderjährige Kinder<br />

geregelt.<br />

Ein Gastkommentar von Falk Leibenzeder<br />

Foto: AndreyPopov/iStockphoto


Erbschafts- und Schenkungssteuer: Wie die<br />

Steuergesetzgebung Schenkungen beeinflusste<br />

Autor: Sven Wenig<br />

So genannte Vermögensübergänge „von Todes wegen“,<br />

aber auch Schenkungen fließen ab einer bestimmten<br />

Höhe in die amtliche Erbschaft- und Schenkungssteuerstatistik<br />

ein. Demnach ist die Statistik eine wahre Fundgrube<br />

zum einen, um steuerpolitische Maßnahmen zu<br />

beurteilen. Zum anderen aber offenbart die Statistik<br />

auch, wie Steuerpflichtige auf drohende Änderungen<br />

der Steuerpolitik reagieren durch Zeitpunkt und Art einer<br />

Schenkung. Aufschlussreiche Zahlen zu dieser Frage<br />

stellte das Statistische Bundesamt im August <strong>2019</strong> vor.<br />

Die Statistik folgt den Maßgaben durch das Erbschaftsteuer-<br />

und Schenkungsteuergesetz (ErbStG) und untergliedert<br />

Erbschaften und Schenkungen in<br />

Vermögensarten: Land- und forstwirtschaftliches Vermögen,<br />

Grundvermögen, Betriebsvermögen und Übriges<br />

Vermögen. Um Zahlen zu deuten, müssen jedoch<br />

zunächst einige Dinge vorausgeschickt werden.<br />

Keineswegs liefert die Statistik einen vollständigen<br />

Überblick über alle Vermögensübergänge in Deutschland,<br />

stattdessen wird ein großer Teil der Erbschaften<br />

und Schenkungen nicht erfasst. Das liegt daran, dass ein<br />

Großteil der Vermögensübertragungen durch Verschonungsregelungen<br />

wie hohe Freibeträge innerhalb der<br />

Kernfamilie oder sachliche Steuerbefreiungen steuerfrei<br />

bleibt. Für kleinere Vermögen werden keine Vorgänge<br />

bei den Finanzämtern angelegt. Diese Erbschaften<br />

und Schenkungen erscheinen gar nicht in der<br />

Statistik. Andererseits jedoch werden Daten dann in<br />

die Statistik übernommen, wenn zwar ein Vorgang bei<br />

den Finanzämtern angelegt, die Steuerfestsetzung aber<br />

mit null Euro beschieden wird.<br />

Destatis weist Daten sowohl nach Festsetzungsjahren<br />

als auch nach dem Jahr der Steuerentstehung aus. Will<br />

man beurteilen, welches Vermögen in einem Jahr vererbt<br />

oder verschenkt wurde, sind Zahlen nach dem Jahr<br />

der Steuerentstehung maßgebend. Diese Zahlen beziehen<br />

sich auf den Stichtag der Schenkung oder – im Falle<br />

einer Erbschaft – auf den Todestag des Erblassers. Da<br />

die Steuerfestsetzung für mehr als die Hälfte der<br />

Vermögensübergänge aber zwei Jahre oder sogar länger<br />

beansprucht, sind für die unmittelbar zurückliegenden<br />

Jahre 2017 und 2018 viele Erbschaften und Schenkungen<br />

noch nicht in die Statistik eingeflossen.<br />

Gesetzgebung zur Erbschaftssteuer: Die<br />

Krux mit dem Grundgesetz<br />

Im Folgenden soll es darum gehen, ausgewählte Daten<br />

nach dem Jahr der Steuerentstehung vorzustellen. Das<br />

hat seinen Grund: An diesen Daten lässt sich veranschaulichen,<br />

wie Gesetzesänderungen die Vermögensübergänge<br />

beeinflussen. Eine Selbstverständlichkeit<br />

freilich muss für dieses Thema vorausgeschickt werden:<br />

Die Beobachtungen sind nur für Schenkungen, nicht<br />

87


aber für Erbschaften (und damit für so genannte<br />

Vermögensübergänge von Todes wegen“) relevant.<br />

Denn nur bei Schenkungen besteht Einfluss auf den<br />

Stichtag, zu dem der Vermögensübergang vollzogen<br />

wird.<br />

Dass die Politik mit der Ausgestaltung der Erbschaftund<br />

Schenkungssteuer ihre Probleme<br />

hat, zeigt die Steuergesetzgebung<br />

der letzten Jahre. So<br />

machte ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts<br />

vom 7. November<br />

2006 (Az. 1 BvL 10/02)<br />

eine neue Gesetzgebung notwendig,<br />

da die Ermittlung bei wesentlichen<br />

Gruppen von<br />

Vermögensgegenständen den<br />

Anforderungen des Gleichheitssatzes<br />

aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz<br />

nicht genüge. Die damalige<br />

große Koalition reagierte mit<br />

dem Erbschaftsteuerreformgesetz, das zum 1. Januar<br />

2009 in Kraft trat. Jedoch beinhaltete das neue Gesetz<br />

äußerst großzügige Verschonungsregelungen für Betriebsvermögen.<br />

So konnte unter bestimmten Umständen<br />

sogar das nicht betriebsnotwendige Vermögen – das<br />

so genannte Verwaltungsvermögen – in unbegrenzter<br />

Höhe ohne Steuerbelastung erworben werden.<br />

Der Bundesfinanzhof zweifelte jedoch an der Verfassungsmäßigkeit<br />

dieser Praxis und rief mit Vorlagebeschluss<br />

vom 27. September 2012 das Bundesverfassungsgericht<br />

an. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts<br />

erfolgte am 17. Dezember 2014<br />

(Az. 1 BvL 21/12). Das Gericht beschied: Die Verschonung<br />

von Erbschaftsteuer beim Übergang betrieblichen<br />

Vermögens in §§ 13a und 13b ErbStG ist angesichts ihres<br />

Ausmaßes mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz unvereinbar<br />

und damit verfassungswidrig. Jedoch: Dem Gesetzgeber<br />

wurde Zeit gegeben bis zum 30. Juni 2016 für eine<br />

Neuregelung.<br />

Der Gesetzgeber reagierte mit dem Gesetz zur Anpassung<br />

des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes<br />

an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts<br />

vom 4. November 2016 (BGBl. I S. 2464). Dieses trat<br />

rückwirkend zum 1. Juli 2016 in Kraft. Jedoch: Bis Ende<br />

2017 wurden von den Finanzverwaltungen noch keine<br />

Steuerbescheide nach dem neuen Rechtsstand festgesetzt.<br />

Demnach findet auch in den aktuellen Daten der<br />

alte Rechtsstand noch immer seinen Widerhall.<br />

88<br />

Für kleinere Vermögen<br />

werden keine<br />

Vorgänge bei den<br />

Finanzämtern angelegt.<br />

Diese Erbschaften<br />

und Schenkungen<br />

erscheinen gar<br />

nicht in der Statistik.<br />

Vorzieh-Effekte der Steuerzahler: Man<br />

schenke zum richtigen Zeitpunkt<br />

Wie wirken sich jedoch drohende Verschlechterungen<br />

bei der Steuerlast auf den Zeitpunkt der Schenkungen<br />

aus? Hierfür ist eine Tabelle aussagekräftig, die nach<br />

dem Jahr der Steuerentstehung geschenktes Vermögen<br />

über die Jahre hinweg vergleicht<br />

–angefangenmitdemStandvor<br />

2009 bis zum Stand 2018.<br />

Bedacht werden aber muss: Zahlen<br />

für 2017 bis 2018 sind noch<br />

unvollständig.<br />

Aussagekraft aber besitzen die<br />

Zahlen für die Jahre der Gesetzreform.<br />

So verändert sich ab<br />

2010 auffallend die Zusammensetzung<br />

des vererbten und des<br />

geschenkten Vermögens. Dominiert<br />

bei Erbschaften über all die<br />

Jahre die Vermögensart Übriges Vermögen die Übergänge,<br />

zeigt sich bei Schenkungen ab 2010 eine auffallende<br />

Dominanz des Betriebsvermögens. Ein hoher<br />

Wert von 39,0 Milliarden Euro lässt sich für 2010 konstatieren.<br />

Dem stehen ein Grundvermögen in Höhe von<br />

2,8 Milliarden Euro, ein Land- und forstwirtschaftliches<br />

Vermögen in Höhe von 0,3 Milliarden Euro und Übriges<br />

Vermögen in Höhe von 8,4 Milliarden Euro gegenüber.<br />

Weil Betriebsvermögen ab 2009 steuerlich<br />

besonders begünstigt wurde, wurde mehr Betriebsvermögen<br />

verschenkt.<br />

In 2012 jedoch schnellt der Wert erneut in die Höhe:<br />

55,9 Milliarden Euro werden nun für Schenkungen bei<br />

der Vermögensgruppe Betriebsvermögen erfasst. Kann<br />

dieser Anstieg auf die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts<br />

zurückzuführen sein, obwohl dieser Schritt erst<br />

im September durch den Bundesfinanzhof erfolgte?<br />

Wurden nun also Schenkungen von Betriebsvermögen<br />

vorgezogen, um noch schnell von eventuell verfassungswidrigen<br />

Regelungen zu profitieren? Eine Destatis-Studie<br />

bestätigt den Verdacht. Demnach wären, wenngleich<br />

für alle Vermögensgruppen, allein im Oktober 2012 sagenhafte<br />

39,6 Milliarden Euro Vermögen durch Schenkungen<br />

übertragen worden. Auch in den nun folgenden<br />

Jahren liegen Zahlen der Vermögensgruppe Betriebsvermögen<br />

bei Schenkungen auffallend hoch. Eine Normalisierung<br />

setzt 2015 ein.Und damit nicht genug: Weitere<br />

Destatis-Zahlen bestätigen den Befund, dass plötzlich


Schenkungen von Betriebsvermögen schnell vorgezogen<br />

wurden. So verringerte sich der Anteil des steuerpflichtigen<br />

Erwerbs an diesem Vermögen vom Oktober 2012 bis<br />

Dezember 2014 – und das, obwohl in diesem Zeitraum<br />

wesentlich mehr Vermögen verschenkt wurde. Anders<br />

ausgedrückt: Mehr als in anderen Jahren wurde von 2012<br />

bis Dezember 2014 vor allem jenes Betriebsvermögen verschenkt,<br />

das steuerlich besonders begünstigt war.<br />

alten Regelungen Bestand hatten. So stieg der Anteil<br />

des steuerpflichtigen Erwerbs am geschenkten Vermögen<br />

wieder auf 22,5 Prozent. Eine solche Normalisierung<br />

könnte sich daraus erklären, dass nun Vorzieh-Effekte<br />

nachließen, weil bereits ab 2012 viel von dem begünstigten<br />

Betriebsvermögen übertragen wurde.<br />

Ein Kommentar von Sven Wenig<br />

Der Anteil des steuerpflichtigen Erwerbs am geschenkten<br />

Vermögen lag zwischen 2009 und 2012 bei 22 Prozent<br />

– schon dieser Wert spiegelt großzügige<br />

Verschonungsregelungen ab 2009. Weil aber ein Wegfallen<br />

der Regelungen drohte, nahmen ab 2012 Schenkungen<br />

zu, die noch vom alten Gesetzstand profitierten.<br />

Demnach sank der Anteil des steuerpflichtigen Erwerbs<br />

am geschenkten Vermögen zwischen Oktober 2012 und<br />

Dezember 2014 auf 14,9 Prozent. Ab Januar 2015 jedoch<br />

normalisierte sich der Effekt, obwohl noch immer die<br />

QUELLE: BUNDESAMT FÜR STATISTIK<br />

https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/<strong>2019</strong>/08/PD19_309_736.html


Veränderungen im Versicherungsmarkt<br />

erfordern veränderte Strategien<br />

Stephen Voss<br />

Vorstand des digitalen<br />

Versicherers Neodigital<br />

Wie ein Versicherer auf digitale Herausforderungen und damit einhergehende Schwierigkeiten<br />

in seinem Produkt-Portfolio reagieren kann, erklärt Stephen Voss, Vorstand des digitalen<br />

Versicherers Neodigital, in seinem Gastbeitrag für den <strong>Versicherungsbote</strong>n.<br />

Die Treiber der Konsolidierung<br />

Viel verändert sich gerade im Versicherungsmarkt, weil<br />

sich auch das Konsumentenverhalten ändert. Der Vertrieb<br />

ist schon lange kein reiner physischer Vertrieb<br />

mehr durch einen Vermittler, der den Kunden vor Ort<br />

zur Risikobeurteilung besucht und berät. Das bedeutet<br />

allerdings nicht den viel beschworenen Tod des Versicherungsvermittlers,<br />

aber sehr<br />

wohl eine Veränderung in den<br />

Vertriebsstrukturen und der damit<br />

verbundenen Vertriebstechnologie.<br />

Und hier beginnt die<br />

Arbeit für Versicherungsunternehmen.<br />

Denn sie müssen nun<br />

dafür sorgen, dass die Versicherungsprodukte<br />

in viel kürzeren<br />

Zyklen dem Vertrieb in einer für<br />

ihn und den Kunden optimalen technischen Konstellation<br />

zur Verfügung gestellt werden. Und zwar so, dass der<br />

Vertrieb, der Vermittler oder die Vertriebsform – zum<br />

Beispiel eine Vergleichsplattform – das Versicherungsprodukt<br />

bestmöglich dem Kunden präsentieren kann.<br />

Das bedeutet eine hohe technische Herausforderung,<br />

90<br />

denn für das Versicherungsunternehmen ändert sich<br />

jede Menge.<br />

Der steinige Weg zum Gipfel<br />

Es reicht auf einmal<br />

nicht mehr aus, ein<br />

gutes Produkt zu<br />

entwickeln.<br />

Es reicht auf einmal nicht mehr aus, ein gutes Produkt zu<br />

entwickeln. Was früher einmal das Hauptaugenmerk<br />

war, ist heute ein Hygiene-Faktor. Es ist heute viel wichtiger,<br />

alle Produkt- und Servicedienstleistungen<br />

und Technologie<br />

und Schnelligkeit innerhalb<br />

eines Ökosystems in einem optimalen<br />

Verhältnis auszutarieren<br />

sowie für den Vertrieb und den<br />

Kunde eine angenehme, bequeme<br />

und auch erwartete Balance zu<br />

schaffen. Dass dieser Drahtseilakt<br />

nicht jedem Versicherungsunternehmen<br />

gelingen wird, liegt auf der Hand. Und einige<br />

haben den Weg zum Gipfel dieses Berges erst gar nicht<br />

angetreten: Das lässt sich aus den Daten des GDV (Gesamtverband<br />

der Deutschen Versicherungswirtschaft)<br />

herauslesen. Denn die Statistik zeigt, dass die Gesamtzahl<br />

der Versicherer im deutschen Markt in den letzten


zehn Jahren um gut 100 Versicherungsunternehmen abgenommen<br />

hat. Das bedeutet jedoch nicht, dass alle Versicherungsunternehmen<br />

Opfer der Digitalisierung<br />

geworden sind. Einige waren schlicht zu klein, andere<br />

wurden übernommen, wieder andere haben fusioniert.<br />

Es gibt viele Gründe für den Schwund. Aber natürlich<br />

sind auch einige Unternehmen an der Transformation<br />

ihrer IT- und Betriebsmodelle schlichtweg gescheitert.<br />

„Digital“ bedeutet nicht immer „schnelle<br />

Lösung“<br />

Es liegt nicht alles alleine an digitalen Produkten für den<br />

Vertrieb. Vielerorts bereitete auch mangelnde Transparenz<br />

in den eigenen Management Information Systems,<br />

kurz MIS, Probleme. Denn das beste Produkt nützt dem<br />

Vorstand eines Versicherungsunternehmens gar nichts,<br />

wenn er betriebswirtschaftliche sowie risikorelevante<br />

Daten nicht zeitnah abrufen kann. Wenn das eigene System<br />

aus Risiko-Management, Aktuariat und Controlling<br />

drei bis sechs Monate braucht, um auf ein Produkt eine<br />

Combined Ratio, also die kombinierte Kosten-Schadenquote,<br />

zu errechnen, dann ist in Zeiten größeren Margendrucks<br />

aufgrund von Preiswettbewerb und<br />

transparentem Vergleich der Zug ganz schnell abgefahren.<br />

Derartige Reaktionszeiten mochten früher, in Zeiten<br />

des Flächenvertriebes, gerade noch okay gewesen<br />

sein. Man konnte sich die Zeit nehmen, solche Fehler zu<br />

beheben. Aber in Zeiten schneller Abschlüsse über<br />

Onlineplattformen und -aggregatoren wird ein kleiner<br />

Fehler im Deckungsumfang, eine Lücke oder eine zu<br />

großzügige Schadenleistung gnadenlos aufgedeckt und<br />

führt, wenn der Markt es schneller merkt als man selbst,<br />

zur Katastrophe. Dies ist keine Fiktion, es haben sich<br />

schon etliche Versicherungsunternehmen mit „alten“ Tarifen,<br />

die günstig auf Plattformen eingestellt wurden,<br />

blutige Nasen geholt. Einfache Regel: Ein Tarif, der im<br />

Flächenvertrieb funktioniert, funktioniert nicht uneingeschränkt<br />

online.<br />

Um solche Schwierigkeiten auszugleichen, fehlen einigen<br />

kleineren und mittleren Versicherungen die Ressourcen<br />

und finanziellen Mittel. Wenige werden es daher<br />

aus eigener Kraft schaffen. Für die anderen kann es dazu<br />

führen, dass sie sich von Teilen bzw. von Versicherungssparten<br />

trennen werden, weil sie diese nicht mehr adäquat<br />

managen können. Es werden also Teilbereiche, die<br />

nicht mehr zum Kerngeschäft gehören, an andere Unternehmen<br />

veräußert. Klingt kompliziert. Ist aber einfach.<br />

Ein großer Lebensversicherer mit einem kleinen Bestand<br />

an Sachversicherungen – weil er sich ggfs. nicht früher<br />

gegen das Geschäft gewehrt hat – steht zum Beispiel vor<br />

folgender Aufgabe: Entweder gestaltet er das Management<br />

des Sachbereichs effizienter und digitaler, was<br />

mehr Investitionen erfordern würde. Oder er trennt sich<br />

von diesem Bestand und gibt ihn an einen Versicherer<br />

ab, der im Kern Sachgeschäft betreibt. Die umgekehrte<br />

Variante gibt es natürlich auch: Vielerorts werden kleine<br />

Leben Bestände auch in den Run-Off geschickt.<br />

Auslagern als Alternative<br />

Es gibt aber noch eine weitere Lösung, die zwar noch<br />

nicht lange am Markt praktiziert wird, aber durchaus<br />

eine Alternative zum Verkauf oder dem Run-Off der<br />

Sparte ist: Das Outsourcen der Sparte. In diesem Fall<br />

verbleibt das Portfolio der Sparte risikotechnisch (gegenüber<br />

dem Kunden und dem Regulator der BaFin)<br />

beim Versicherungsunternehmen. Das Management dieser<br />

Sparte und die Führung des Bestandes wird aber<br />

komplett ausgelagert. Im Idealfall kostet die Auslagerung<br />

inklusive eines transparenten digitalen Managements<br />

deutlich weniger als bisher. Freiwerdende<br />

Ressourcen können effizienter in den Kernsparten eingesetzt<br />

werden. Und für die ausgelagerte Sparte entfällt<br />

das technologische Risiko, das trägt ja nun der Dienstleister.<br />

Ein weiterer Vorteil kommt hinzu: Es muss keinem<br />

Kunden erklärt werden, warum beispielsweise seine<br />

Lebensversicherung beim Versicherer verbleibt, aber seine<br />

Haftpflicht oder Hausrat nun zu einem ihm fremden<br />

Versicherer wechselt. Die Integrität der Marke bleibt somit<br />

erhalten. Alle Potentiale aus dem Kundenstamm, inklusive<br />

Cross-Selling und Up-Selling, können weiterhin<br />

gehoben werden. Und die Erfahrung zeigt, dass mehr<br />

Produktdurchdringung beim Kunden die Treue erhöht<br />

und dass die Kündigungswahrscheinlichkeit abnimmt.<br />

Das Management eines Versicherers mit nicht profitabel<br />

zu führenden Portfolien ist daher gut beraten, vor einer<br />

unumkehrbaren Entscheidung der Trennung des Bestandes<br />

über die Auslagerung des Managements an einen<br />

Dritten nachzudenken. Und wenn die Auslagerung gut<br />

funktioniert, warum nicht vom Dienstleister sogar neue<br />

Produkte entwickeln und verarbeiten lassen? Dieses<br />

Konzept gibt es bereits zuhauf in der Automobilindustrie<br />

– und es läuft sehr erfolgreich.<br />

Ein Gastkommentar von Stephen Voss<br />

91


Kfz-Versicherung: Branche blickt 2018<br />

auf erfreuliche Zahlen<br />

Autor: Sven Wenig<br />

Foto: RichVintage/iStockphoto<br />

Höhere Einnahmen und in der Summe verbesserte Quoten: Dies hielt das Geschäftsjahr 2018<br />

für die deutschen Kfz-Versicherer bereit. Aber ein Blick auf die einzelnen Anbieter zeigt deutliche<br />

Unterschiede: Nicht alle Versicherer konnten ihre Kosten decken. Das zeigt die Auswertung<br />

des Branchenmonitor Kraftfahrtversicherung der V.E.R.S. Leipzig GmbH.<br />

Der Vergleich von Kennzahlen ist für kaum einen Versicherungsbereich<br />

so spannend wie für die Kfz-Branche.<br />

Denn hart umkämpft ist der Markt – insbesondere in der<br />

sogenannten „Wechselsaison“ des Herbstes bis zum 30. November<br />

tobt ein jährlicher Preiskampf, bei dem sich Anbieter<br />

mit günstigen Tarifen gegenseitig unterbieten.<br />

Gleichzeitig klagen die Anbieter über immer höhere Schadenaufwendungen.<br />

Zwar hilft eine zunehmende Automatisierung der Fahrzeuge,<br />

menschliche Fahrfehler auszugleichen und dadurch<br />

Unfälle und Schaden zu reduzieren. Kommt es jedoch zum<br />

Schaden, führt die neue Technik oft zu hohen Reparaturkosten.<br />

Dass unter solchen Bedingungen eine „Phase stagnierender<br />

Durchschnittsbeiträge bei strukturell weiter<br />

steigenden Schadenbedarfen“ droht, gestand mit Klaus-<br />

Jürgen Heitmann der Vorstandssprecher des Marktführers<br />

HUK-Coburg gegenüber der Börsenzeitung ein.<br />

Wie aber bewährte sich die Branche in 2018 unter solchen<br />

Bedingungen? Der <strong>Versicherungsbote</strong> wollte es genau wissen<br />

und ließ sich von der V.E.R.S. Leipzig GmbH ein Exemplar<br />

des „Branchenmonitor Kraftfahrtversicherung<br />

2013-2018“ als Analyse-Instrument zuschicken.<br />

Kennzahlen für 2018: Die Aussicht klart auf<br />

Aus dem vorliegenden Branchenmonitor gibt es zunächst<br />

Positives zu vermelden: Trotz widriger Bedingungen gibt<br />

die Branche in 2018 ein doch gutes Bild ab, wenn man<br />

Durchschnittswerte über alle 50 untersuchten Versicherungsunternehmen<br />

hinweg betrachtet. So stiegen zum einen,<br />

wie schon in den Vorjahren, die gebuchten<br />

Bruttoprämien im Zweig Kraftfahrt gesamt im Durchschnitt<br />

aller Versicherer – in 2017 lagen sie noch bei<br />

478,41 Millionen Euro und kletterten nun in 2018 auf<br />

495,99 Millionen Euro.<br />

Auch stieg die Zahl der Versicherungsverträge im Zweig<br />

Kraftfahrt gesamt für alle untersuchten Versicherer von<br />

2.038.917 in 2017 auf 2.075.579 in 2018. Erfreulich jedoch ist<br />

besonders eine Verbesserung gegenüber dem Vorjahr: Die<br />

Schaden-Kosten-Quote und damit der wichtigste Geschäftsindikator<br />

im Schaden- und Unfallgeschäft konnte –<br />

anders als noch 2017 – unter die kritische 100-Prozent-<br />

Marke gedrückt werden. Schadenzahlungen und Verwaltungskosten<br />

waren für den überwiegenden Teil der Branche<br />

demnach durch Prämieneinnahmen gedeckt. Denn<br />

das schwierige Geschäftsjahr 2017 machte sich mit einer<br />

92


durchschnittlichen Combined Ratio (CR) von 100,21 Prozent<br />

–überdenDurchschnittaller50Unternehmen<br />

hinweg – für den Zweig „Kraftfahrt Gesamt“ bemerkbar.<br />

Nun aber verbesserte sich der Wert auf 97,08 Prozent<br />

in 2018. Das positive Gesamtergebnis spiegelt sich<br />

auch an den Einzelergebnissen der Versicherer wider:<br />

Nur 13 Unternehmen müssen in 2018 mit einer Combined<br />

Ratio über 100 Prozent leben. Das bedeutet: 37 Unternehmen<br />

wirtschafteten im zurückliegenden Geschäftsjahr<br />

auskömmlich.<br />

Die verbesserte Schaden-Kosten-Quote ist auch durch<br />

eine bessere Schadenquote bedingt. Zwar wuchsen die<br />

durchschnittlichen Schadenaufwendungen je Versicherer<br />

in 2018 erneut an: 2017 lagen sie bei 385,84 Millionen Euro<br />

und kletterten nun auf 390,24 Millionen Euro. Auswirkungen<br />

auf die Quoten jedoch halten sich in Grenzen. Lag<br />

nämlich die Schadenquote im Zweig Kraftfahrt Gesamt in<br />

2017 über alle Versicherer hinweg bei 82,99 Prozent, durften<br />

sich die Versicherer in 2018 über den besseren Wert<br />

von 79,64 Prozent freuen. Durchschnittlich 186,51 Euro<br />

brutto pro Versicherungsvertrag gaben die Versicherer in<br />

2018 an Schadenaufwendungen aus.<br />

Schaden-Kosten-Quote: „Sieger“ und „Verlierer“<br />

in 2018<br />

Für welche Unternehmen aber lief das Geschäft in 2018 besonders<br />

gut, für welche hingegen weniger? Zu dieser Frage<br />

dient der Vergleich der Schaden-Kosten-Quoten für die<br />

einzelnen Unternehmen. Bedacht werden aber muss hierbei,<br />

dass verschiedene Töchter der großen Versicherer<br />

nach Rechtsform getrennt ausgewiesen werden. So treten<br />

zum Beispiel die drei HUK-Töchter HUK-Coburg Allgemeine,<br />

HUK-Coburg VVAG und HUK24 getrennt für die<br />

Analyse an.<br />

Unter diesen Bedingungen erweist der uns vorliegende<br />

Monitor folgende Unternehmen als „Schaden-Kosten-Sieger“<br />

in 2018 für den Zweig „Kraftfahrt Gesamt“ aus:<br />

arbeitete sich das Unternehmen auf das Siegertreppchen<br />

hoch. Laut Geschäftsbericht ist der Grund hierfür eine<br />

Normalisierung der Großschadensituation.<br />

Ebenfalls auf dem CR-Siegertreppchen landet in 2018 die<br />

Provinzial Nord Brandkasse mit 87,92 Prozent – Rang drei<br />

aller Versicherer im Schaden-Kosten-Ranking.<br />

Es folgen, mit ebenfalls guten Werten:<br />

Garanta mit 88,23 Prozent (Rang 4), die Huk-Tochter<br />

HUK24 mit 88,43 Prozent (Rang 5) sowie Volkswagen<br />

Auto mit 89,98 Prozent (Rang 6).<br />

Wer aber sind die unglücklichen Schaden-Kosten-Verlierer<br />

des Geschäftsjahres 2018 im Zweig „Kraftfahrt Gesamt“?<br />

Recht nahe beieinander mit ihren ungünstigen CR-Quoten<br />

liegen die Versicherer auf den Rängen 43 bis 46:<br />

Die R+V Direkt nimmt für das Kfz-Gesamtgeschäft eine<br />

CR von 104,23 Prozent in Kauf (=Rang 43).<br />

Die Alte Leipziger muss 104,37 Prozent beklagen (Rang 44).<br />

Der Bayerische VersVerband verbucht eine Quote von<br />

104,54 Prozent (Rang 45).<br />

Die Nürnberger Allgemeine verbucht zudem schlechte<br />

104,76 Prozent (Rang 46).<br />

Auf Rang 47 der Tabelle folgt die Helvetia Direktion für<br />

Deutschland mit 106,01 Prozent.<br />

Die drei Schaden-Kosten-Schlusslichter des Jahres 2018 jedoch<br />

sind:<br />

Die BGV-Versicherung mit einer CR von 107,72 Prozent<br />

für das Kfz-Gesamtgeschäft (Rang 48);<br />

die Barmenia Allgemeine mit der zweitschlechtesten CR<br />

aller Versicherer von 108,97 Prozent (Rang 49)<br />

sowie, als schlechtestes Ergebnis in 2018, die Ergo mit<br />

111,29 Prozent (Rang 50 und damit Schlusslicht).<br />

Den besten Wert hat die VHV mit einer Combined Ratio<br />

von 85,17 Prozent: Rang eins und damit Sieger im<br />

CR-Ranking.<br />

Rang zwei des Schaden-Kosten-Rankings sichert sich die<br />

Basler Sachversicherung mit einer Combined Ratio von<br />

86,42 Prozent. Ein erstaunliches Ergebnis: In 2017 musste<br />

das Unternehmen noch eine CR von 120,19 hinnehmen<br />

und beklagte mit diesem Wert das schlechteste Ergebnis<br />

aller Versicherer des Vorjahres. Vom letzten Platz also<br />

Die aufgeführten Zahlen beruhen auf dem vorläufigen<br />

Branchenmonitor Kraftfahrtversicherung. Für endgültige<br />

Ergebnisse sei auf die finalen Monitore – die zum Redaktionsschluss<br />

noch nicht vorlagen – verwiesen, die bei V.E.R.S. Leipzig<br />

GmbH zu bestellen sind.<br />

Ein Kommentar von Sven Wenig<br />

93


Advertorial<br />

Mobilitätsschutz von rhion.digital: Das ist ONdrive!<br />

Mit der vor einem Jahr erfolgten systematischen Ausweitung<br />

des Produktangebots auf Kfz-Versicherungen, stößt<br />

rhion.digital im Markt auf großes Interesse. Dass die Entscheidung<br />

richtig war, sich trotz des intensiven Wettbewerbs<br />

als neuer Kfz-Versicherer zu etablieren, zeigt das<br />

Vertrauen, das Makler in die Produktkompetenz von<br />

rhion.digital setzen.<br />

Grundlage dieses Erfolgs ist das innovative Deckungskonzept<br />

ONdrive: Es steht für unkompliziertes, zeitsparendes<br />

Handling auf weitgehend digitaler Basis. In 60 Sekunden<br />

ein Angebot berechnen? Nichts leichter als das! ONdrive<br />

steht beispielhaft für die innerhalb der RheinLand Versicherungsgruppe,<br />

zu deren Markenfamilie rhion.digital gehört,<br />

seit bald 100 Jahren bestehende Erfahrung rund um<br />

das Thema Mobilitätsversicherungen.<br />

Der Online-Tarifrechner von ONdrive begeistert optisch<br />

und inhaltlich durch seine Konzentration<br />

auf das Wesentliche.<br />

Abgefragt wird nur, was wirklich<br />

wichtig ist. Und das mit innovativem<br />

Ansatz. Denn als erster Kfz-<br />

Versicherer am deutschen Markt<br />

nutzt rhion.digital den Informationspool<br />

hinter der Fahrzeug-<br />

Identifizierungsnummer (FIN),<br />

um die Angebotserstellung zu vereinfachen:<br />

Bei Eingabe der FIN<br />

werden die relevanten Fahrzeugdaten<br />

hochgeladen und die dafür<br />

vorgesehenen Felder belegt.<br />

Die für ONdrive ausgewählten<br />

und über die FIN erkannten Fahrerassistenzsysteme<br />

wirken sich<br />

bei der Berechnung der Prämie<br />

automatisch vergünstigend aus.<br />

Und das ohne jeden Mehraufwand!<br />

Mit der Gewährung von<br />

Nachlässen für objektiv nachvollziehbare<br />

Kriterien wird zudem das sicherheitsbewusste<br />

Handeln der Kunden langfristig honoriert. Die berücksichtigten<br />

Systeme werden nach Einschätzung vieler Experten<br />

in der Zukunft die Unfallhäufigkeit und die<br />

Unfallfolgen im Straßenverkehr spürbar reduzieren<br />

Bedarf passgenau abgebildet werden kann. Hinzu kommen<br />

erstklassige Extras. Hier drei Beispiele:<br />

Fahrerschutz<br />

Bei selbstverschuldeten Unfällen mit Verletzung des Fahrers<br />

oder dann, wenn der Unfallgegner nicht ermittelt<br />

werden kann, erhält der Fahrer in der Regel keine Leistung.<br />

Der Rhion Fahrerschutz schließt diese Lücke, und<br />

kommt beispielsweise für Verdienstausfall, Schmerzensgeld<br />

oder die Kosten einer Haushaltshilfe auf.<br />

Schnelle Schadenregulierung<br />

Servicestärke und Verlässlichkeit sind im<br />

Schadenfall besonders gefordert. Das Schadenmanagement<br />

bei rhion.digital folgt drei<br />

Grundsätzen: Service, Transparenz und Schnelligkeit.<br />

Vermittler und Versicherte profitieren<br />

von hochautomatisierten Prozessen, die eine<br />

Regulierung vieler Schäden on the fly möglich<br />

machen. Bei Kfz-Schäden hilft EasyONclaim.<br />

Nach einem Unfall liegt innerhalb von zwei<br />

Stunden eine Kalkulation vor, auf deren Basis<br />

sich Versicherte/Geschädigte zwischen Geldleistung<br />

oder Werkstattservice entscheiden<br />

kann. Wie das funktioniert? Unter konsequenter<br />

Nutzung der Möglichkeiten des Smartphones!<br />

EasyONclaim vereinfacht und beschleunigt die<br />

Abwicklung einfacher Blechschäden<br />

dramatisch.<br />

„Hund an Bord“<br />

Mit „Hund an Bord“ ist der geliebte Vierbeiner im Falle<br />

eines Unfalls des versicherten Fahrzeugs rundum abgesichert.<br />

Für Operations- und Behandlungskosten des verletzten<br />

Hundes werden bis zu 5.000 Euro übernommen.<br />

Das gilt auch für physikalische<br />

Therapien wie Wärme und<br />

Massage sowie für homöopathische<br />

Behandlungen durch einen<br />

Tierarzt. Zudem werden<br />

Kosten für die Tierpension für<br />

bis zu sieben Tage (max. 50<br />

Euro pro Tag) ersetzt. Das<br />

lohnt sich: Auch bei mehreren<br />

Hunden fällt Versicherungsbeitrag<br />

nur einmal an. Die maximalen<br />

Leistungen gelten<br />

dann für die Kosten aller Hunde<br />

zusammen. Versicherbar<br />

sind alle Rassen.<br />

Mehrwertdeckung<br />

Bei Totalschaden oder Totaldiebstahl:<br />

Erstattet wird in den<br />

ersten zwei Jahren, in denen<br />

das Fahrzeug bei der Rhion<br />

versichert ist, der volle Differenzbetrag<br />

zwischen dem gezahlten<br />

und nachgewiesenen Kaufpreis und dem Wiederbeschaffungswert<br />

des Fahrzeugs am Tag des Schadens. Ab<br />

dem dritten Versicherungsjahr werden 30% des Wiederbeschaffungswerts<br />

erstattet. Die maximale Leistung beträgt<br />

7000 Euro.<br />

ONdrive bietet mit den Tarifvarianten Standard, Plus und<br />

Premium ein modernes Drei-Linien-Modell, mit dem der<br />

Erfahren Sie mehr auf: www.rhion.digital<br />

94


<strong>Versicherungsbote</strong>: Herr Brockmann, unser Thema ist<br />

die Sicherheit auf deutschen Straßen. Ich habe gelesen,<br />

Sie sind selbst passionierter Motorradfahrer.<br />

Siegfried Brockmann: Das stimmt, ja. Ich weiß gar nicht,<br />

ob ich das sagen darf.<br />

Ganz banal gefragt: Fühlen Sie sich auf deutschen Straßen<br />

sicher?<br />

Nein, natürlich nicht (lacht). Aber man sollte auch nicht<br />

glauben, sich ohne Risiko auf die Straße begeben zu können.<br />

Wir haben ein sehr komplexes Verkehrsgeschehen.<br />

Das stellen Sie spätestens fest, wenn Sie versuchen den<br />

Verkehr zu automatisieren, also schauen, ob ein Auto<br />

mittels eines Computers autonom durch die Stadt fahren<br />

kann. Dann beobachten Sie, aus wie vielen Richtungen<br />

und mit wie vielen Geschwindigkeiten sehr verschiedene<br />

Verkehrsteilnehmer kommen – teils, ohne dass man voraussehen<br />

kann, was sie als nächstes machen. Das alles in<br />

ein System zu gießen, das Unfälle vollständig ausschließt,<br />

halte ich gar nicht für möglich.<br />

Dann frage ich anders: Wird in Deutschland genug getan,<br />

um Unfälle zu vermeiden? Einerseits ist die Zahl der Unfälle<br />

im internationalen Vergleich niedrig. Andererseits<br />

sterben immer noch mehr als neun Menschen pro Tag<br />

auf deutschen Straßen.<br />

Wir haben in den letzten Jahren bereits viel verbessert.<br />

Noch Anfang der 70er Jahre verloren in der Bundesrepublik<br />

rund 21.000 Menschen pro Jahr bei Verkehrsunfällen<br />

ihr Leben, bei deutlich geringerer Verkehrsdichte. Heute<br />

sind es in ganz Deutschland rund 3.300.<br />

Aber: Viele Sicherheitsgewinne stammen aus der Automobiltechnik.<br />

Allein die Einführung des Sicherheitsgurts<br />

hat uns dramatisch viele Unfallopfer im Auto erspart.<br />

Hinzu kamen der Airbag und weitere Innovationen – wie<br />

die sichere Fahrgastzelle oder Fahrassistenzsysteme.<br />

Heute stellen wir fest, dass diese Entwicklung zum Erliegen<br />

gekommen ist. Die nächsthöhere Entwicklungsstufe<br />

„Automatisation von Fahrzeugen“ steckt noch in den<br />

Kinderschuhen und wird länger brauchen. Umso wichtiger<br />

ist es, dass wir weitere Fortschritte im Bereich der Infrastruktur<br />

und des Verkehrsverhaltens erzielen. Das ist<br />

noch schwieriger als technisch etwas zu bauen, weil die<br />

empfohlenen Maßnahmen aufwendige Eingriffe in das<br />

Verkehrsnetz erfordern. Also: Die Aufgabe stirbt nicht<br />

aus, Unfallzahlen und -folgen zu reduzieren. Wir haben genügend<br />

Baustellen, an denen wir etwas verbessern müssen.<br />

Siegfried Brockmann<br />

Leiter Unfallforschung der<br />

Versicherer (UDV)<br />

Wir haben genügend<br />

Baustellen in Sachen<br />

Verkehrssicherheit!<br />

Im Jahr2018starbeninDeutschland3.275<br />

Menschen bei Unfällen im Straßenverkehr<br />

und 396.000 Personen wurden verletzt: Damit<br />

ist die Zahl der Unfalltoten erstmals seit<br />

langer Zeit wieder gestiegen. Wie sicher sind<br />

deutsche Straßen – und was kann getan werden,<br />

um Unfälle zu verhindern? Der <strong>Versicherungsbote</strong><br />

hat sich mit Siegfried Brockmann<br />

unterhalten, Leiter Unfallforschung der<br />

Versicherer (UDV).


Ein Thema, das in den letzten Monaten kontrovers diskutiert<br />

wurde, ist ein Tempolimit auf Autobahnen. Zwar<br />

starben hier 2018 mit 424 Menschen vergleichsweise wenige<br />

Menschen, diese aber mehrheitlich aufgrund hohen<br />

Tempos. Auch waren mehr als 5.900 Schwerverletzte zu<br />

beklagen. Halten Sie ein solches Limit für sinnvoll?<br />

Ein weiterer Grund, weshalb wir viele Unfälle zu beklagen<br />

haben, ist das Unfallgeschehen in Großstädten.<br />

Wenn ich richtig informiert bin, bleiben hier die Unfälle<br />

auf recht hohem Niveau oder nehmen sogar wieder zu –<br />

auch wegen des immer dichter werdenden Verkehrs und<br />

vieler Pendler.<br />

Es sprechen Indizien dafür, dass geringere Geschwindigkeiten<br />

auch weniger Unfälle und vor allem auch weniger<br />

schwerere Unfälle nach sich ziehen. Weil: Zum Ersten<br />

senke ich die kinetische Energie, falls es doch zum Unfall<br />

kommt. Zweitens senke ich die Wahrscheinlichkeit, dass<br />

es überhaupt zum Unfall kommt, weil die Anhaltewege<br />

kürzer werden bei geringeren Geschwindigkeiten. Ich<br />

schaffe außerdem deutlich weniger Stress für Fahrer, weil<br />

ich die Differenzgeschwindigkeiten zwischen den Spuren<br />

minimiere – was zum Beispiel für ältere Fahrer ein wichtiger<br />

Vorteil ist.<br />

Die hohen Unfallzahlen in den Städten resultieren unter<br />

anderem daraus, dass wir mit den Radfahrern eine neue<br />

Verkehrsteilnehmer-Gruppe haben. Radfahrer gab es<br />

zwar schon immer. Aber nicht in dieser Art wie heute –<br />

als sehr schnelle Verkehrsteilnehmer und auch als schnell<br />

wachsende Gruppe. Hier lässt sich zum Beispiel beobachten,<br />

dass Unfälle mit E-Bikes aufgrund des hohen Tempos<br />

oft mit schweren Verletzungen oder gar tödlich enden –<br />

auch vor dem Hintergrund, dass sie überproportional von<br />

Senioren genutzt werden. Von den 445 getöteten Radfahrern<br />

im letzten Jahr starben viele in den Städten.<br />

Das ist eine ideologisch sehr aufgeladene Debatte.<br />

Ulf Poschardt, Chedredakteur der WELT, sieht durch<br />

ein Tempolimit die Freiheit der Bürger in Gefahr. In einem<br />

Twitter-Tweet von Dezember 2018 schreibt er: “Rasen<br />

richtig gemacht ist die höchste Verantwortung und<br />

das schönste und wunderbarste und poetischste!“<br />

Auweia! Aber das ist der Haken daran: Wir bräuchten<br />

eine klare gesellschaftliche Mehrheit für ein Tempolimit.<br />

Ein Verbot, das ständig und massiv übertreten wird,<br />

nützt wenig.<br />

Zu dieser Debatte fehlen in Deutschland schlicht wissenschaftliche<br />

Studien, die den Nutzen eines Limits beweisen.<br />

Deswegen bin ich dafür, dass wir, was wir alle ahnen,<br />

auch mal als Großversuch unter die Lupe nehmen. Das bedeutet:<br />

Man müsste ein ziemlich aufwendiges Versuchsdesign<br />

machen, das einen „Vorher- Nachher“-Vergleich<br />

zwischen verschiedenen Strecken mit und ohne Tempogrenze<br />

erlaubt.<br />

Ein solcher Feldversuch ist nicht trivial. Aber man könnte<br />

über einen längeren Zeitraum die Unfallentwicklung<br />

messen und hätte harte Zahlen zu der Frage, ob ein Tempolimit<br />

was bringt – und bei welchen Geschwindigkeiten.<br />

Denn das oft vorgeschlagene Limit „130 km/h“ ist sehr<br />

willkürlich gewählt. Sicherheitsvorteile treffen auch bei<br />

Tempo 150 noch zu. Mit den gewonnenen Zahlen könnte<br />

man ganz anders diskutieren: „Hier sehen wir jetzt<br />

schwarz auf weiß: so und so viele Tote und Schwerverletzte<br />

könnten vermieden werden, wenn…“.<br />

96<br />

Für die Stadt werden mögliche Verbesserungen der Infrastruktur<br />

diskutiert, um Unfälle zu reduzieren. Hier<br />

haben wir eine verkniffene Situation: Es fehlt schlicht<br />

Raum, die Städte wurden nicht für eine solche Masse an<br />

Verkehr geplant. Für mehr Radwege müssten zum Beispiel<br />

die Autofahrer zurückstecken. Gibt es da Möglichkeiten,<br />

den Verkehr zu entzerren und so sicherer zu<br />

machen?<br />

Ehrlich gesagt, ich bin da pessimistisch. Es gibt Experten,<br />

die viel Hoffnung daran setzen, den Verkehr mit digitaler<br />

Technik besser zu steuern und dadurch mehr Sicherheit<br />

zu erzielen: zum Beispiel durch grüne Wellen auf den<br />

Hauptstraßen. Doch selbst wenn wir es im Zuge der Digitalisierung<br />

hinbekommen würden, solche Prozesse zu optimieren<br />

– ich kann den Verkehrsfluss besser gestalten,<br />

ich kann freie Parkplätze anzeigen, zu denen man sofort<br />

geleitet wird, ohne dreimal um den Block zu müssen –<br />

könnten positive Effekte schnell verpuffen. Das beobachten<br />

wir zum Beispiel bei vermeintlich intelligenten Navigationssystemen.<br />

Wenn wegen eines Staus Umleitungen<br />

empfohlen werden, dann sind die Nebenstraßen auch<br />

schnell verstopft, weil alle Fahrer der Empfehlung ihres<br />

Navis folgen. Insofern glaube ich nicht, dass wir durch digitale<br />

Infrastruktur große Profite bei der Verkehrssicherheit<br />

erreichen.<br />

Das Kernproblem bleibt: Verkehrsraum ist nicht beliebig<br />

vermehrbar. Zumal die Ansprüche von vielen Seiten steigen.<br />

Wir führen in Berlin in mehreren Bezirken die Debatte,<br />

dass Bereiche, wo sich viele Fußgänger bewegen,


auch fußgängerfreundlich gestaltet werden sollen … also<br />

der Autoverkehr ganz herausgenommen wird oder so eingeschränkt,<br />

dass man da nur noch mit Schrittgeschwindigkeit<br />

fahren darf. Die Probleme zeigen sich schnell: Der<br />

Fußverkehr verlangt viel mehr<br />

Fläche für sich, der Radverkehr<br />

auch. Und alle schauen drauf, wie<br />

viel Fläche dem Auto bleibt.<br />

Man muss kein Experte sein, um<br />

zu sagen, dass die Masse der<br />

öffentlichen Fläche vom Autoverkehr<br />

besetzt wird – und zwar<br />

nicht nur im fließenden Verkehr,<br />

sondern auch im ruhenden. Wir<br />

haben kaum eine Straße, die nicht<br />

zugeparkt ist. Wenn wir für Fußgänger<br />

und Radfahrer in den<br />

Städten tatsächlich mehr Sicherheit<br />

schaffen wollen, indem sie mehr Raum erhalten – was<br />

im Moment in fast allen Kommunen politischer Wille ist,<br />

dann hat das unweigerlich Folgen für den Autoverkehr.<br />

Nun gibt es radikale Konzepte, wo gesagt wird: Autos<br />

möglichst raus aus der Innenstadt oder der Autoverkehr<br />

soll stark einschränkt werden, so dass man nur mit gewissen<br />

Befugnissen reinfahren darf. Glauben Sie, dass das<br />

die Unfallzahlen senken könnte?<br />

Man muss bedenken: Konzepte für freie Innenstädte hängen<br />

erstens davon ab, ob ich überhaupt einen identifizierbaren<br />

Innenstadtkern habe. Es gibt viele Städte, die<br />

polyzentrisch sind. Das heißt: Sie haben mehrere Unterzentren,<br />

in und zwischen denen sich die Menschen bewegen.<br />

Dann muss ich mir was für die Anwohner überlegen,<br />

die dort leben. Ihnen werde ich nicht zumuten wollen,<br />

dass sie mehrere Kilometer zu ihrer Haustür laufen, vielleicht<br />

mit einem Kasten Wasser in der Hand. Und drittens<br />

muss ich mir für den Lieferverkehr Konzepte<br />

überlegen. Aber das sind Themen, die der Unfallforscher<br />

nicht prioritär bearbeitet. Die möchte ich gern anderen<br />

überlassen.<br />

In Deutschland gibt es den Trend zu großen Autos, vor<br />

allem SUV. Mittlerweile ist jedes vierte zugelassene Auto<br />

so eine große „Kiste“. Trägt das zu schwereren Unfällen<br />

bei? Paradox: Wenn ich mich so im Bekanntenkreis umhöre,<br />

wird das oft mit Sicherheitsaspekten begründet.<br />

Meine Freunde sagen dann, sie fühlen sich in dem Auto<br />

sicher. Aber das Problem scheint mir: Sobald ich aussteige,<br />

sind SUV ein größeres Risiko.<br />

98<br />

Es sprechen Indizien<br />

dafür, dass geringere<br />

Geschwindigkeiten<br />

auch weniger Unfälle<br />

und vor allem<br />

auch weniger<br />

schwerere Unfälle<br />

nach sich ziehen.<br />

Sobald Sie ein kleineres Fahrzeug haben, ist der SUV für<br />

Sie ein größeres Risiko – durch die größere Masse und<br />

durch den höheren Aufschlagpunkt, wie Crashtests beweisen.<br />

Das heißt: Der SUV ist für alle sicherer, die drinnen<br />

sind. Der Sicherheitsaspekt,<br />

natürlich, wird aber immer kleiner,<br />

je mehr wir diese Fahrzeuge<br />

haben – für Fußgänger und Zweiradfahrer<br />

bedeuten sie ohnehin<br />

schwerere Unfallschäden, das ist<br />

leider so.<br />

Allerdings muss man hier relativieren:<br />

Vom SUV geht nach unserer<br />

Forschungslage nicht a priori<br />

ein höheres Risiko aus. Das heißt:<br />

Da sind nicht besondere Rambos<br />

am Steuer, sondern es sind sehr<br />

oft Mütter oder auch Senioren,<br />

die aus anderen Gründen diese Autos fahren: etwa, weil<br />

Sie eine bessere Übersicht haben und weil man leichter<br />

ein- und aussteigen kann.<br />

Mehr Verkehr, weniger Raum, der Trend zu größeren<br />

Fahrzeugen – das stimmt mich jetzt nicht optimistisch,<br />

ob unter derzeitigen Umständen die Großstädte sicherer<br />

für den Verkehr werden können …<br />

Als weiteres Problem mit Blick auf den Innenstädte<br />

könnten sich Lieferwagen entpuppen: diese ganzen<br />

Sprinter-Klassen. Da sieht man eine deutliche Zunahme<br />

durch Versandhändler und Paketdienste: Stichwort<br />

„Just-in-Time-Belieferung“. Es gibt allerdings keine neue<br />

Studie im Moment, die aufzeigt, in welchem Verhältnis<br />

diese Zunahme zum Unfallgeschehen in den Städten steht.<br />

Ich beobachte mögliche Risiken auch selbst, wenn ich auf<br />

Arbeit fahre. Da stehen manchmal zwei Lieferwagen<br />

gleichzeitig auf der unübersichtlichen Kreuzung oder<br />

blockieren Straßen an gefährlichen Stellen. Die können<br />

anders auch gar nicht stehen, es fehlt schlicht an Raum …<br />

Ja, genau. Zugespitzt formuliert: Früher kam ein Postwagen,<br />

einmal am Tag. Heute kommen vier verschiedene<br />

Dienste zwei Mal täglich. Dieses Problem beobachte ich<br />

auch in meiner Wohnstraße. An den Kaufgewohnheiten –<br />

auch daran, dass man zu Hause sehr schnell über Internet<br />

bestellt – werden wir alle wenig ändern. Die Frage ist, ob<br />

wir diesen Händlern den öffentlichen Raum einfach mal<br />

gratis so zur Verfügung stellen: oder sie sich an den Kosten,<br />

auch für mehr Sicherheit, künftig beteiligen sollen.


Ich habe den Eindruck, es wird über Sicherheit auf den<br />

Autobahnen und auch über die Innenstädte diskutiert,<br />

aber einer der wichtigsten Unfallschwerpunkte bleibt<br />

außen vor. Nach wie vor sind auf den Landstraßen die<br />

meisten Unfalltoden und Schwerverletzte zu beklagen:<br />

im letzten Jahr starben hier 57 Prozent aller fast 3.300<br />

Unfalltoden. Was wird aktuell diskutiert, um die Landstraßen<br />

sicherer zu machen?<br />

Zunächst muss man sagen: Dass die Landstraßen der Unfallschwerpunkt<br />

sind, ist gar kein Wunder. Denn Sie haben,<br />

im Gegensatz zu Autobahnen, massenhaft Konfliktpunkte.<br />

Jede Kreuzung, jede Einmündung, jeder Feldweg,<br />

der da rauf geht, ist konfliktbeladen. Sie haben die Möglichkeit,<br />

zu überholen – was ja auch reichlich wahrgenommen<br />

wird. Auch da, wo Sie vielleicht gar nichts<br />

sehen. Und es werden sehr viel höhere Geschwindigkeiten<br />

gefahren als in der Stadt. Dass deswegen auf der<br />

Landstraße viel passiert, ist klar. Wir haben ja auch ein<br />

sehr großes Landstraßennetz.<br />

Auch hier sind sicher Eingriffe möglich: zum Beispiel, dass<br />

ich die erlaubte Höchstgeschwindigkeit öfter mal von 100<br />

auf 80 km/h reduziere und das dann auch kontrolliere.<br />

Aber so lange das nicht gemacht wird, bleiben für die<br />

Landstraße nur Kleinkorrekturen – dass man Kreuzungen<br />

noch sicherer macht, dass man die Übersichtlichkeiten<br />

verbessert. Dass man da, wo ich viele Geschwindigkeitsunfälle<br />

habe, auch mal einen Starenkasten hinstellt.<br />

Und dann bleiben noch zwei Gründe für die Landstraßen<br />

als Unfallschwerpunkt übrig. Das eine haben Sie gleich<br />

zum Eingang angesprochen: Das sind die vielen Motorradunfälle,<br />

die überwiegend auf der Landstraße passieren.<br />

Und das andere ist das Thema „Bäume an der Straße“ – die<br />

bedauerlicherweise immer dann, wenn jemand von der<br />

Straße abkommt, auch gleich zum Tod oder zu schweren<br />

Verletzungen führen.<br />

Das Interview mit Siegfried Brockmann<br />

führte Mirko Wenig


Vertriebspotenzial der Sterbegeldversicherung<br />

liegt auf der Hand<br />

Walter Capellmann<br />

Hauptbevollmächtigter der<br />

DELA Lebensversicherungen<br />

in Deutschland<br />

Mit Blick auf die demografische Entwicklung in Deutschland ist es nur schwer verständlich,<br />

dass die Sterbegeldversicherung immer noch als Nischenprodukt gilt. Die finanzielle und organisatorische<br />

Vorsorge für den Trauerfall beinhaltet gleich mehrere Ansätze für eine ganzheitliche<br />

Vorsorgeberatung. Makler und Vermittler können sich das Beratungs- und Vertriebspotenzial<br />

der Sterbegeldversicherung erschließen, indem sie sich mit der individuellen<br />

Lebenssituation ihrer Kunden auseinandersetzen, Lücken in der Vorsorge aufdecken und aktiv<br />

dazu beraten.<br />

100<br />

Nur 17,5 Prozent<br />

der Deutschen empfinden<br />

den eigenen<br />

vorzeitigen Tod als<br />

Risiko ...<br />

Mit den Themen Sterben und Tod berührt die Vorsorge<br />

für den Trauerfall wichtige gesellschaftliche Themen, die<br />

jedoch in Partnerschaft und Familie nur selten offen miteinander<br />

besprochen und frühzeitig geklärt werden. Ein<br />

Grund dafür dürfte sein, dass vielen<br />

Menschen die finanziellen Belastungen<br />

eines Todesfalls nicht<br />

bewusst sind. Das zeigt auch eine<br />

von Assekurata Solutions im<br />

Auftrag der DELA durchgeführte<br />

Studie: Nur 17,5 Prozent der<br />

Deutschen empfinden den eigenen<br />

vorzeitigen Tod als Risiko<br />

und nur 15 Prozent das vorzeitige<br />

Ableben des Ehepartners oder Lebensgefährten.<br />

Dabei sollte sich jeder Mensch Gedanken darüber machen,<br />

wie er einmal bestattet werden möchte und wer einmal<br />

die Bestattungskosten von heute durchschnittlich<br />

7.300 Euro aufbringen muss. Das ist eine Summe, die für<br />

nicht wenige Angehörige eine hohe Belastung darstellen<br />

dürfte. Eine Sterbegeldversicherung sorgt genau für diesen<br />

Fall vor. Trotzdem haben laut besagter Studie bisher<br />

nur knapp elf Prozent der Deutschen mit einer solchen<br />

vorgesorgt. Makler und Vermittler sollten diese Lücke in<br />

der privaten Vorsorge aktiv ansprechen und ihre Kunden<br />

daraufhin beraten.<br />

Kinder können die eigenen<br />

Eltern absichern<br />

Die Sterbegeldversicherung bietet<br />

Maklern und Vermittlern eine<br />

größere Zielgruppe, als gemeinhin<br />

bekannt. Die finanzielle und auch<br />

organisatorische Absicherung der<br />

Angehörigen vor den Folgen eines Trauerfalls ist ein Thema<br />

für Menschen jeden Alters. Wer sich bereits frühzeitig<br />

dafür entscheidet, kann von den in jüngeren Jahren günstigeren<br />

Beiträgen profitieren.<br />

Ein wichtiger Aspekt für die Beratung: Vielen Menschen<br />

ist nicht bewusst, dass sie bei einigen Anbietern eine<br />

Sterbegeldversicherung für einen Dritten abschließen


können. Diese Variante mit Wartezeit und ohne Gesundheitsprüfung<br />

eignet sich beispielsweise für Kinder, die<br />

für ihre Eltern eine Sterbegeldversicherung abschließen<br />

möchten, denen es jedoch schwer fällt, dieses Thema in<br />

der Familie miteinander zu besprechen und zu klären.<br />

Mit Vorsorgewissen in der Beratung punkten<br />

Ergänzend zur finanziellen Absicherung sollten Makler<br />

und Vermittler ihre Kunden auf die Service- und Zusatzleistungen<br />

einer Sterbegeldversicherung aufmerksam machen.<br />

Je nach Anbieter kann auch die organisatorische<br />

Vorsorge für den Trauerfall eingeschlossen werden, um<br />

Angehörige in einer oft schwierigen emotionalen Situation<br />

zu entlasten. Diese Leistung reicht von Bestattung,<br />

Trauerfeier und Trauerredner bis hin zur Nachlassregelung<br />

und Haushaltsauflösung. Einige Versicherungen sorgen<br />

zudem für die kostenfreie Überführung aus dem<br />

Ausland, zahlen bei Unfalltod die doppelte Versicherungssumme<br />

aus oder stehen den Angehörigen des Verstorbenen<br />

auf Wunsch mit einer psychologischen<br />

Betreuung zur Seite.<br />

Weitere Ansatzpunkte für die Beratung liefern wichtige<br />

Vorsorgedokumente wie Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung<br />

und Leitfäden für Angehörige im Todesfall.<br />

Diese Dokumente sollten Kunden für sich und für die<br />

ganze Familie erstellen. Im Fall eines schweren Unfalls<br />

beispielsweise kann der Arzt zwar davon ausgehen, dass<br />

der Patient seine Angehörigen informiert wissen möchte.<br />

Ein Recht auf Entbindung von der Schweigepflicht ohne<br />

entsprechende Verfügungen haben jedoch nicht einmal<br />

Ehepartner.<br />

Wenn der Betroffene nicht mehr selbst entscheiden kann,<br />

wie er behandelt werden möchte, ist es von Vorteil, wenn<br />

der Arzt auf eine Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht<br />

zugreifen kann.<br />

Die finanzielle und organisatorische Vorsorge für den<br />

Trauerfall und damit verbundene Themen bieten zahlreiche<br />

Ansatzpunkte für eine aktive und ganzheitliche Vorsorgeberatung.<br />

Makler und Vermittler können sich mit<br />

ihrem Wissen und Rat zu diesen Themen ihren Kunden<br />

gegenüber als umsichtiger Vorsorgeexperte empfehlen.<br />

Ein Gastkommentar von Walter Capellmann<br />

Foto: S_Bachstroem/iStockphoto


Kfz-Versicherung: Versicherer bitten<br />

Senioren zur Kasse<br />

Autor: Sven Wenig<br />

Foto: Seidesign/iStockphoto<br />

Senioren müssen für den Neuabschluss einer Kfz-Versicherung deutlich mehr zahlen als jüngere<br />

Fahrzeughalter. Das ergab eine Auswertung des <strong>Versicherungsbote</strong>n über 25 Tarife hinweg.<br />

Es geschah im Mai 2016, in der beschaulichen Kurstadt Bad<br />

Säckingen: Ein 84-Jähriger fährt in die Innenstadt, möchte<br />

mit seiner Enkelin dort ein Restaurant besuchen. Die<br />

Fahrt jedoch endet in einer Katastrophe: Weil der hochbetagte<br />

Mann Gas und Bremse verwechselt, rast er in die<br />

Fußgängerzone, kommt mit seinem Skoda erst in einer<br />

Menschenmenge vor einem Café zum Halten. Zwei Menschen<br />

verlieren durch diese fatale Irrfahrt ihr Leben. In einem<br />

Gerichtsprozess, der dem Unglück folgt, bescheinigt<br />

eine Gutachterin dem Mann eine „generelle, altersbedingte<br />

Leistungsminderung“ und spricht von einem „außergewöhnlichen<br />

Fall der Selbstüberschätzung“.<br />

Die Auseinandersetzung um die Fahrkompetenz älterer<br />

Menschen wird durch Unfälle wie diesen zu einem emotionalen<br />

Thema. Das zeigen auch wütende Kommentare,<br />

die sich unter einem Artikel der Welt zu diesem Vorfall<br />

sammeln. Ein Kommentierender befindet sogar, es sei ein<br />

durch die Auto-Lobby verursachter „Skandal“, dass derart<br />

„alte Leute“ überhaupt fahren dürfen. Zwar wird eine<br />

solch pauschalisierende Verurteilung fahrender Senioren<br />

kaum breite Zustimmung erfahren. Dennoch aber scheint<br />

sich die öffentliche Meinung zumindest in einem Punkt<br />

einig: Wer im Alter fahren will, soll immer neu seine<br />

Fahrtauglichkeit beweisen müssen. So sprechen sich in einer<br />

Umfrage von Auto-BILD auch 70 Prozent der Befragten<br />

für so genannte „Fahrtauglichkeitstests“ aus. Mehr<br />

Senioren am Steuer bedeuten auch für diese Menschen ein<br />

höheres Risiko.<br />

102<br />

Senioren: Seltener in Unfälle verwickelt<br />

Die Forderung jedoch hält einem prüfenden Blick kaum<br />

Stand. Das zeigen wissenschaftliche Arbeiten der Unfallforschung<br />

der Versicherer (UDV) aus dem Jahre 2015. So<br />

ergab eine Auswertung internationaler Studien zu Ländern,<br />

in denen Fahrtauglichkeitstests verpflichtend sind:<br />

Die Tests haben „keine positiven Auswirkungen auf die<br />

allgemeine Verkehrssicherheit.“ Eine Analyse des Fahrverhaltens<br />

Älterer zeigt außerdem: Das Lebensalter eines<br />

PKW-Fahrers rechtfertige „keinen Zweifel an dessen<br />

Fahreignung“ – zumal viele Ältere zwar tatsächlich Einschränkungen<br />

beim Seh- oder Reaktionsvermögen zeigten,<br />

die Defizite jedoch durch Anpassung der Fahrweise<br />

ausgleichen.<br />

Die Unfallstatistik gibt sich zu dieser Frage widersprüchlich.<br />

Denn zwar steigt ab etwa 75 Jahren tatsächlich die<br />

Wahrscheinlichkeit, einen Unfall selbst zu verursachen.<br />

Dennoch aber sind Senioren laut Statistischem Bundesamt<br />

im Vergleich zu ihrem Bevölkerungsanteil seltener in Verkehrsunfälle<br />

verwickelt. Dass Senioren den Verkehr überproportional<br />

gefährden, erweist sich demnach als<br />

Trugschluss aufsehenerregender, aber weniger Verkehrsunfälle.<br />

Erstaunlich ist jedoch vor diesem Hintergrund,<br />

dass Versicherer ganz im Sinne des Vorurteils handeln und<br />

KFZ-Tarife mit satten Aufschlägen versehen, sobald Senioren<br />

eine Versicherung neu abschließen wollen. Um Auswirkungen<br />

des Alters auf die Kfz-Prämienhöhe zu


ergründen, führte der <strong>Versicherungsbote</strong> nun eine eigene<br />

Studie durch.<br />

Seniorentarif-Studie des <strong>Versicherungsbote</strong>n:<br />

Was wurde gemacht?<br />

Instrument des Tarifvergleichs für den <strong>Versicherungsbote</strong><br />

war der Inveda-Makler-Assistent (IMA) – ein Maklertool<br />

der Leipziger Inveda.net GmbH, mit dem sich verschiedene<br />

Tarife nach 21 Leistungskategorien bewerten lassen.<br />

Anders aber als bei herkömmlichen Leistungs-Rankings<br />

ging es uns nicht um einen Vergleich der Leistungsinhalte,<br />

sondern um eine Erhebung der Prämienunterschiede nach<br />

Alter. Hierzu wurden exemplarisch 25 Vollkasko-Tarife<br />

von 13 Anbietern untersucht. Wichtig war für das Studiendesign:<br />

Einzig das Alter sollte für die eingeholten Angebote<br />

relevant sein, alle anderen Angaben zur Person sollten<br />

übereinstimmen. Folgende Annahmen wurden für die Studie<br />

zugrunde gelegt: Versichert werden sollte ein Hamburger<br />

als Fahrer eines Volkswagen Sharan mit 150 PS. Der<br />

Hamburger absolvierte vor der Berufstätigkeit eine kaufmännische<br />

Ausbildung und war (im Falle der Senioren)<br />

beziehungsweise ist noch aktuell im Handel tätig. Prämien<br />

wurden eingeholt für eine Kfz-Vollkasko-Versicherung<br />

mit Schutzbrief. Die Selbstbeteiligung lag bei 500 Euro.<br />

Als jährliche Fahrleistung wurden 12.000 Kilometer angegeben.<br />

Versicherungsgrund war der Versicherungswechsel.<br />

Weitere Angaben zu dem Musterkunden – angefangen bei<br />

der Schadenfreiheitsklasse 15 über die Wohnstraße bis hin<br />

zur Fahrzeugsidentifikationsnummer – waren ebenfalls<br />

gleich. Variiert hingegen wurden einzig drei Parameter:<br />

Das Alter des Versicherungsnehmers, der Fahrerkreis sowie<br />

die Länge des Führerschein-Besitzes. Dass bei gleicher<br />

Schadenfreiheitsklasse die Länge des Führerscheinbesitzes<br />

jedoch kaum Einfluss auf die Prämienhöhe nimmt, zeigten<br />

Modellrechnungen zum Studiendesign: Nur bei einem Anbieter<br />

variierten die Tarife bei Veränderung dieses Parameters<br />

überhaupt. Versichert werden sollte, bei zwei<br />

Fahrerkreis-Varianten, letztendlich jeweils ein 35-Jähriger<br />

(mit Führerschein seit 2010), ein 67-Jähriger (mit Führerschein<br />

seit 1982) sowie ein 85-Jähriger (mit Führerschein<br />

seit 1964). In der ersten Variante sollte ein lediger Versicherungsnehmer<br />

versichert werden. Weitere Personen<br />

wurden nicht in den Fahrerkreis aufgenommen. Die zweite<br />

Variante galt einem verheirateten Versicherungsnehmer,<br />

der seine Ehefrau in den Fahrerkreis aufnehmen<br />

möchte. In dieser Variante galt es, für den 35-Jährigen die<br />

33-jährige Ehefrau aufzunehmen, für den 67-Jährigen die<br />

63-jährige Ehefrau aufzunehmen und für den 85-Jährigen<br />

die 79-jährige Ehefrau in den Fahrerkreis aufzunehmen.<br />

Studie zeigt: Ältere werden kräftig zur Kasse<br />

gebeten<br />

Was aber zeigen die Ergebnisse? Deutlich wird: Ältere Autofahrerinnen<br />

und Autofahrer werden durch die Versicherungen<br />

aufgrund ihrer Alters kräftig zur Kasse gebeten.<br />

Und mit zunehmendem Alter nehmen die Zuschläge zu:<br />

So beträgt die Differenz, die der 67-jährige Ledige für den<br />

Durchschnitt aller Tarife gegenüber dem 35-Jährigen in<br />

Kauf nehmen muss, satte 196,96 Euro Euro jährlich.<br />

Das Bild für den 67-jährigen Ehemann und seine Frau gegenüber<br />

dem 35-jährigen Ehemann wirkt nur wenig milder:<br />

191,93 Euro Verteuerung gibt es hier mit zunehmendem<br />

Alter aufgrund des Tarif-Schnitts für die<br />

Jahresprämie zu beklagen. Für den 85-jährigen ledigen<br />

Versicherungsnehmer weist dieser Durchschnittswert sogar<br />

eine Differenz von 1.232,27 Euro aus. Und das hochbetagte<br />

Paar muss eine Verteuerung von 1.222,50 Euro<br />

jährlich bei der Durchschnittsprämie hinnehmen.<br />

35-jährig, ledig<br />

67-jährig, ledig<br />

Günstigster Tarif/ Jahr 614,72 € 758,20 €<br />

Teuerster Tarif/ Jahr 1.012,56 € 1.200,80 €<br />

ØallerTarife 830,51 € 1.027,47 €<br />

35-jährig, ledig<br />

35-jährig/<br />

33-jähriger Ehepartner<br />

im Fahrerkreis<br />

35-jährig/<br />

33-jähriger Ehepartner<br />

im Fahrerkreis<br />

85-jährig, ledig<br />

Günstigster Tarif/ Jahr 614,72 € 1.505,26 €<br />

Teuerster Tarif/ Jahr 1.012,56 € 2.729,85 €<br />

ØallerTarife 830,51 € 2.062,78 €<br />

67-jährig/<br />

63-jähriger Ehepartner<br />

im Fahrerkreis<br />

Günstigster Tarif/ Jahr 597,24 € 736,54 €<br />

Teuerster Tarif/ Jahr 1.012,56 € 340,80 €<br />

ØallerTarife 831,36 € 191,93 €<br />

85-jährig/<br />

79-jähriger Ehepartner<br />

im Fahrerkreis<br />

Günstigster Tarif/ Jahr 597,24 € 1.505,26 €<br />

Teuerster Tarif/ Jahr 1.012,56 € 2.888,05 €<br />

ØallerTarife 831,36 € 2.053,86 €


Das „Worst Of“: Tarife mit besonders hohen<br />

Zuschlägen<br />

Was mit Blick auf Durchschnittswerte noch abstrakt<br />

wirkt, wird greifbarer mit Blick auf die konkreten Tarife.<br />

Denn wünscht ein Versicherungsnehmer die Leistungen<br />

eines bestimmten Tarifs, muss er bei einigen<br />

Versicherern besonders hohe Zuschläge hinnehmen.<br />

Folgende Tarife bitten Ältere besonders zur Kasse und<br />

stellen damit das „Worst Of“ unserer Studie zu den Alterszuschlägen<br />

dar (zu beachten ist freilich die nur exemplarische<br />

Auswahl von 25 Tarifen):<br />

Für den Vergleich des 35-jährigen und 67-jährigen<br />

Ledigen:<br />

Alte Leipziger Classic 10/2018: 238,95 Euro Verteuerung<br />

für die Jahresprämie<br />

Alte Leipziger Comfort 10/2018: 250,02 Euro Verteuerung<br />

für die Jahresprämie<br />

Verti Pro Klassik: 294,40 Euro Verteuerung für die<br />

Jahresprämie<br />

Verti Pro Premium: 337,20 Euro Verteuerung für die<br />

Jahresprämie<br />

Barmenia Adcuri Premium-Schutz: 348,48 Euro Verteuerung<br />

für die Jahresprämie<br />

Für den Vergleich des 35-jährigen und des 67-jährigen<br />

Ehemanns mit Ehefrau im Fahrerkreis:<br />

Alte Leipziger Classic 10/2018: 233,96 Euro Verteuerung<br />

für die Jahresprämie<br />

Alte Leipziger Comfort 10/2018: 244,66 Euro Verteuerung<br />

für die Jahresprämie<br />

Verti Pro Klassik: 297,20 Euro Verteuerung für die<br />

Jahresprämie<br />

Verti Pro Premium: 340,80 Euro Verteuerung für die<br />

Jahresprämie<br />

Für den Vergleich des 35-jährigen und 85-jährigen<br />

Ledigen:<br />

R+V Police Plus 07/<strong>2019</strong>: 1.442,91 Euro Euro Verteuerung<br />

für die Jahresprämie<br />

Axa Komfort: 1.444,14 Euro Verteuerung für die<br />

Jahresprämie<br />

Zurich Optimal: 1.563,42 Euro Verteuerung für die<br />

Jahresprämie<br />

Allianz Smart 2018: 1.641,60 Euro Verteuerung für die<br />

Jahresprämie<br />

Allianz Komfort 2018: 1.786,61 Euro Verteuerung für<br />

die Jahresprämie<br />

Für den Barmenia Adcuri Premium-Schutz gibt es sogar<br />

gar kein Tarifangebot für 85-Jährige: Diesen Tarif kann<br />

man nur bis zum Ende des 70. Lebensjahrs abschließen.<br />

Für den Vergleich des 35-jährigen und des 85-jährigen<br />

Ehemanns mit Ehefrau im Fahrerkreis:<br />

R+V Police Plus: 1.439,17 Euro Verteuerung für die<br />

Jahresprämie<br />

Axa Komfort: 1.444,14 Euro Verteuerung für die<br />

Jahresprämie<br />

Allianz Smart 2018: 1.555,64 Euro Verteuerung für die<br />

Jahresprämie<br />

Zurich Optimal: 1.563,42 Euro Verteuerung für die<br />

Jahresprämie<br />

Allianz Komfort 2018: 1.896,64 Euro Verteuerung für<br />

die Jahresprämie<br />

Für den Barmenia Adcuri Premium-Schutz gibt es erneut<br />

kein Tarifangebot für 85-Jährige: Diesen Tarif kann man<br />

nur bis zum Ende des 70. Lebensjahrs abschließen.<br />

Ein Kommentar von Sven Wenig<br />

Barmenia Adcuri Premium-Schutz: 348,48 Euro Verteuerung<br />

für die Jahresprämie<br />

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Foto: aldomurillo/iStockphoto

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