Versicherungsbote 2-2019
- Zwischen Benjamin Blümchen und abstrakter Verweisung - Werte Parteien, wie stellen Sie sich die Zukunft der Rente vor? - Wir haben ein schlechteres Bankenrating als Gastronome
- Zwischen Benjamin Blümchen und abstrakter Verweisung
- Werte Parteien, wie stellen Sie sich die Zukunft der Rente vor?
- Wir haben ein schlechteres Bankenrating als Gastronome
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Ausgabe 2/<strong>2019</strong><br />
Zwischen Benjamin<br />
Blümchen und<br />
abstrakter Verweisung<br />
Werte Parteien, wie<br />
stellen Sie sich die<br />
Zukunft der Rente vor?<br />
Wir haben ein<br />
schlechteres Banken-<br />
Rating als Gastronome!
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
Sie halten das <strong>Versicherungsbote</strong>-Fachmagazin 2/<strong>2019</strong> in<br />
der Hand. Und ich stelle fest, dass nicht nur die Abonnenten-Zahl<br />
steigt: Auch der Umfang des Heftes wächst in einem<br />
Maße, dass er für unsere kleine Redaktion eine echte<br />
Herausforderung darstellt. Das neue Magazin ist erneut ein<br />
Ergebnis vieler Überstunden und Telefonate, von vielen<br />
Tassen Kaffee und Gesprächen. Umso mehr hoffe ich, dass<br />
Sie es mit Gewinn lesen werden.<br />
Bis 2025 wird die Rentenkommission der Bundesregierung brauchen, um Reformvorschläge<br />
zu erarbeiten, wie die Altersvorsorge in Deutschland zukunftsfest gemacht<br />
werden kann. Das ist viel Zeit. Weil die Debatten darüber nicht abebben,<br />
haben wir allen Parteien des Bundestages einen Fragenkatalog zukommen lassen,<br />
damit sie uns ihre aktuellen Konzepte für die Zukunft der Rente vorstellen: Die Interviews<br />
finden Sie in diesem Heft. Nur eine Fraktion antwortete leider wieder<br />
nicht, trotz mehrerer Anfragen: die AfD. Bereits in der Ausgabe vor der Bundestagswahl<br />
hatte sie als einzige Partei die Antwort verweigert. Wir haben das Gespräch<br />
gesucht.<br />
Darüber hinaus schaut unser Redakteur Sven Wenig darauf, wie die Rente im<br />
Nachbarland Niederlande funktioniert: ein Modell, das sowohl von der OECD wie<br />
auch den Gewerkschaften gelobt wird. Und ein denkbares Vorbild für Deutschland<br />
sein könnte?<br />
Der Maklerbranche fehlen die Nachwuchskräfte: 50 Jahre alt ist ein Makler im<br />
Schnitt. Umso mehr freue ich mich, dass wir zwei vielbeachtete junge Makler für dieses<br />
Magazin gewinnen konnten: Sebastian Kunkel ist bekannt für seinen Youtube-<br />
Kanal über Versicherungen, Patrick Hamacher für seinen Podcast. Sie stehen für<br />
eine neue Generation von Versicherungsmaklern, die viel in der Welt reisen, örtlich<br />
wenig gebunden sind – und trotzdem erfolgreich beraten. Pointiert könnte man von<br />
„Backpack-Maklern“ oder „persönlichen Digitalmaklern“ sprechen – wie sie ihre Arbeit<br />
gestalten, verraten sie uns im Interview.<br />
Apropos Nachwuchs: Den Gewinn von Fachkräften und die entsprechende Ausbildung<br />
lässt sich der Finanzdienstleister MLP einiges kosten. Denn mit der<br />
MLP Corporate University haben die Wieslocher eine eigene Bildungseinrichtung<br />
gegründet, um mehrheitlich Hochschulabsolventen aus- und eigene Berater weiterzubilden.<br />
Was die Vorteile eines solchen Schrittes sind, erklärt Vertriebsvorstand<br />
Oliver Liebermann.<br />
Können Versicherungsmakler selbst in einer derartigen Funktion aktiv werden?<br />
Aufhorchen ließ, als der Maklerpool Jung, DMS und Cie. eine gemeinsame Kooperation<br />
mit der Sparda Bank Baden-Württemberg verkündete: und zwar auch als<br />
IT-Dienstleister. Wir sprachen mit CEO Stefan Bachmann und Sparda-Vorstand<br />
Joachim Haas über das Projekt.<br />
Björn Bergfeld<br />
Geschäftsführer<br />
1
4 Banken, Versicherer und<br />
Makler sollten nicht<br />
unterschätzen, was sie selbst an<br />
Daten haben!<br />
14 Zwischen Benjamin<br />
Blümchen und<br />
abstrakter Verweisung<br />
37 Werte Parteien, wie stellen<br />
Sie sich die<br />
Zukunft der Rente vor?<br />
Vertrieb<br />
7 Es geht um die intelligente<br />
Verzahnung von digitaler und<br />
stationärer Welt<br />
9 Nachwuchskräfte zu finden,<br />
bleibt eine Herausforderung<br />
12 Betriebliche<br />
Sterbegeldversicherung: eine<br />
innovative Ergänzung zur<br />
betrieblichen Vorsorge<br />
Karriere<br />
18 Wer will, kann als<br />
Versicherungsmakler von<br />
überall aus arbeiten!<br />
Geldanlagen<br />
22 Vermögensaufbau durch<br />
fremdfinanzierten<br />
Immobilienerwerb: „Hebeleffekt“<br />
kann sich auszahlen<br />
25 Megatrend Nachhaltigkeit:<br />
Vom magischen Kapitalanlage-<br />
Dreieck zum -Viereck<br />
Altersvorsorge<br />
28 Nachhaltige Versicherung –<br />
Die Kosten liegen leicht über<br />
konventionellen Tarifen<br />
31 Niederlande: Die Rente<br />
gibt’s als Cappuccino<br />
34 Altersvorsorge<br />
planbarer machen<br />
Politik<br />
38 Die gesetzliche Rente<br />
wurde oft unterschätzt!<br />
41 Die Versicherungswirtschaft<br />
kommt mit Riester-<br />
Reformvorschlägen vielleicht<br />
etwas spät!<br />
44 Wir streben eine<br />
Bürgerversicherung in der<br />
Rentenversicherung an<br />
47 Der demografische Wandel<br />
ist gestaltbar und bewältigbar!<br />
50 Wir müssen bei<br />
Riester-Verträgen höhere<br />
Aktienquoten zulassen!<br />
53<br />
Impressum<br />
<strong>Versicherungsbote</strong> Verlag UG<br />
(haftungsbeschränkt)<br />
Reclamstraße 42<br />
04315 Leipzig<br />
Tel: 0341/24 330 450<br />
Fax: 0341/39 28 43 09<br />
www.versicherungsbote.de<br />
redaktion@versicherungsbote.de<br />
Vertretungsberechtigter<br />
Geschäftsführer:<br />
Björn Bergfeld<br />
Registergericht: Amtsgericht<br />
Leipzig<br />
Registernummer: HRB 26728<br />
Steuernummer: 231 /121 / 11727<br />
Inhaltlich Verantwortlicher gemäß<br />
§55Abs.2RstV:BjörnBergfeld<br />
<strong>Versicherungsbote</strong> Magazin 02/<strong>2019</strong><br />
Auflage: 8.000 Stück<br />
ET: Redaktionsschluss 30.08.<strong>2019</strong><br />
Direktvertrieb über<br />
<strong>Versicherungsbote</strong><br />
Redaktion: Björn Bergfeld<br />
(Chefredakteur), Mirko Wenig<br />
Der Inhalt der Beiträge obliegt der<br />
Verantwortung der jeweiligen<br />
Autoren.<br />
Deutrik GmbH<br />
Layout und Satz:<br />
Norma-Elisabeth Grohall<br />
Grafiken:<br />
Franz Pappelbaum<br />
ISSN 2625-1264<br />
Druck: Grafisches Centrum Cuno<br />
GmbH & Co. KG
54 Bestandskauf: Wir haben ein<br />
schlechteres Banken-Rating als<br />
Gastronome<br />
95 Wir haben genügend Baustellen<br />
in Sachen<br />
Verkehrssicherheit!<br />
Markt<br />
58 Deutsche Firmen –<br />
Cyberschutz mangelhaft!<br />
61 Die MVP-Studie <strong>2019</strong>:<br />
Analyse-Instrument für<br />
ein unverzichtbares<br />
Makler-Werkzeug<br />
Krankenversicherung<br />
64 Nische Private<br />
Pflegeversicherung: Der<br />
Gesetzgeber könnte über eine<br />
höhere Förderung nachdenken!<br />
Netzwelt<br />
69 Fünf nützliche Tools<br />
zum Nulltarif aus dem<br />
Social Media Werkzeugkasten<br />
72 Die überwiegende Mehrheit<br />
der InsurTechs ist kein Gegner<br />
der Vermittlerschaft<br />
76 Autonomes Fahren: Schon<br />
heute sind wir oft mit Autopilot<br />
unterwegs!<br />
Praxis<br />
80 Zurich – der neue<br />
Mitarbeiter namens Robbie<br />
82 Verfahrensdokumentation<br />
im Visier des Fiskus<br />
84 Warum es sinnvoll für<br />
Vermittler ist, sich mit<br />
Vollmachten und Verfügungen<br />
zu beschäftigen<br />
87 Erbschafts- und<br />
Schenkungssteuer: Wie die<br />
Steuergesetzgebung<br />
Schenkungen beeinflusste<br />
90 Veränderungen im<br />
Versicherungsmarkt erfordern<br />
veränderte Strategien<br />
Sparten<br />
63 Partnerschaften für<br />
personalisierte<br />
Versicherungen<br />
92 Kfz-Versicherung:<br />
Branche blickt 2018 auf<br />
erfreuliche Zahlen<br />
100 Vertriebspotenzial der<br />
Sterbegeldversicherung<br />
liegt auf der Hand<br />
102 Kfz-Versicherung:<br />
Versicherer bitten Senioren<br />
zur Kasse
Stefan Bachmann<br />
verantwortlicher Vorstand der<br />
JDC Group<br />
Banken, Versicherer<br />
und Makler sollten<br />
nicht unterschätzen,<br />
was sie selbst an<br />
Daten haben!<br />
Für Aufhorchen in der Branche sorgte es, dass die Sparda-Bank Baden-Württemberg auf einen<br />
Maklerpool setzt, um gegen potentielle Wettbewerber wie Google und Amazon konkurrenzfähig<br />
zu bleiben: Jung, DMS & Cie. Die Wiesbadener sind dabei nicht nur Maklerhaus, sondern<br />
auch IT-Dienstleister und White-Label-Anbieter. Wie die Kooperation aussieht und beide voneinander<br />
profitieren können, verrät Stefan Bachmann, verantwortlicher Vorstand der JDC<br />
Group, im <strong>Versicherungsbote</strong>-Interview. Bachmann war zuvor bereits für Finanzen und Fintechs<br />
bei Google Deutschland verantwortlich, kennt also die Digitalbranche genau.<br />
<strong>Versicherungsbote</strong>: Herr Bachmann, Sie kooperieren aktuell<br />
mit der Sparda Bank Baden-Württemberg: nicht<br />
nur als Maklerpool, sondern, wenn ich das richtig verstanden<br />
habe, als IT- und Plattform-Dienstleister. Wie<br />
sieht die Zusammenarbeit konkret aus? Und wie kann<br />
eine Bank von Ihnen profitieren?<br />
Stefan Bachmann: Richtig. Die Sparda Bank Baden-Württemberg<br />
setzt nicht nur auf unsere Leistungen als Pool für<br />
Makler, sondern nutzt auch die umfassenden Lösungen<br />
unserer IT-Plattform. Denn in den letzten beiden Jahren<br />
war es uns für unsere Entwicklung wichtig, nicht nur<br />
Frontend oder Serviceleistungen zu liefern, sondern vor allem<br />
auch Advisortech, also Technologie, die speziell für<br />
Vermittler und Berater entwickelt wird. Die Basis bildet<br />
unsere Kunden- und Vertragsverwaltungssoftware iCRM<br />
für eine effiziente Vertragsverwaltung, die zudem Schnittstellen<br />
zu allen relevanten Vergleichsrechnern und sonstigen<br />
technischen Lösungen für Berater und Vermittler hat.<br />
Somit sind sowohl Bestandsübertragungen sowie Neugeschäft<br />
für alle Arten von Intermediären einfach möglich.<br />
4<br />
Sie sprechen von einer Bancassurance-Strategie von JDC.<br />
Was ist damit konkret gemeint? Und warum ausgerechnet<br />
eine Genossenschaftsbank als Kooperationspartner?<br />
Bei der Entwicklung der Plattformstrategie war es uns<br />
wichtig, dass auch andere Partner oder Plattformen unsere<br />
Leistungen nutzen können. Eine Bank hat einen ganz<br />
besonderen Zugang zum Kunden und genießt Vertrauen<br />
bei finanziellen Entscheidungen. Sie ist sozusagen ihre eigene<br />
Plattform. Das Versicherungsgeschäft mit einer<br />
Maklertochter innerhalb der Bank abzubilden, ist hier ein<br />
smartes Modell. Als Makler steht die Bank bzw. deren<br />
Tochtergesellschaft faktisch im Lager des Kunden und<br />
muss neutral und transparent für den Kunden operieren.<br />
Das ist für alle ein Gewinn. Wir können unsere Services<br />
für alle möglichen Vertriebsmodelle aufsetzen. Online,<br />
Offline und Hybrid. Dies kommt allen Banken entgegen.<br />
Gerade Genossenschaftsbanken haben mit der engeren<br />
Kundenbeziehung und den Filialen vor Ort eine einfachere<br />
persönliche Ansprache und können gerade bei beratungsintensiven<br />
Produkten vor Ort punkten. Hier wird
jeder Partner selbst den besten Weg für sich definieren<br />
und dann auf die jeweilige Kundengruppe anpassen.<br />
Im Rahmen der Kooperation sollen über die App „allesmeins“<br />
White-Label-Lösungen angebunden werden. Welche<br />
Tarife und Produkte sind hierbei geplant? Können Sie<br />
uns einen Einblick in die Ideenschmiede geben?<br />
Der Sparda Bank stehen mit der Anbindung an die JDC<br />
Plattform all die Versicherungsgesellschaften zur Verfügung,<br />
die mit uns eine Vereinbarung haben. Das sind über<br />
200 Gesellschaften. Damit können so ziemlich alle Bestandsverträge<br />
von Kunden angezeigt und auch über die<br />
Rechner neu abgeschlossen werden. Dies kann der Kunde<br />
selbst online bei meineversicherungswelt.de machen, in<br />
der WebApp nach der Bedarfsanalyse oder zusammen mit<br />
einem Berater, der seine eigenen Beraterrechner in unserem<br />
System verwendet.<br />
Sie haben ein eigenes digitales Ökosystem geschaffen, um<br />
dem Endkunden und Kooperationspartnern mehrere Services<br />
zu bieten. Seit wann investiert JDC in die digitale<br />
Technik? Können Sie verraten, wie viel?<br />
Die JDC Group investiert seit Jahren kontinuierlich in die<br />
eigene Advisortech-Strategie, um<br />
IT-Lösungen für Berater anbieten<br />
zu können. Als JDC-Gruppe geben<br />
wir im Jahr im Schnitt rund<br />
sechs Millionen Euro für IT aus,<br />
haben also seit Beginn unserer Digitalisierungsstrategie<br />
2012 in sieben<br />
Jahren rund 40 Millionen<br />
Euro aus dem laufenden Geschäft<br />
heraus in die IT investiert. Das<br />
sind nachhaltige Entwicklungen,<br />
die viel von unseren Operationsund<br />
IT-Abteilungen abverlangen, aber gerade in einem<br />
sich transformierenden Markt sehr wichtig sind. Ohne<br />
diese hohen Investitionen hätten wir heute nicht diese allumfassende<br />
Maklerplattform für Makler, Belegschaftsmakler<br />
oder Großkunden wie Banken schaffen können.<br />
Mittlerweile setzen auch Mehrfachagenten oder Ausschließlichkeitsorganisationen<br />
auf Teile unseres iCRMs<br />
und der IT-Lösungen.<br />
Der Versicherungs- und Bankvertrieb wird stärker datengetrieben,<br />
schreiben Sie in einem Kommentar. Wie kann<br />
das aussehen? Wie werden Daten eingesetzt, um den Bedarf<br />
des Kunden zu ermitteln/ zu decken?<br />
Eine Bank hat einen<br />
ganz besonderen<br />
Zugang zum Kunden<br />
und genießt Vertrauen<br />
bei finanziellen<br />
Entscheidungen.<br />
Banken haben ja selbst sehr wertvolle Daten. In der jahrelangen<br />
Betreuung kann man als Bank sogar näher am Kunden<br />
sein als Konzerne wie Google oder Amazon: Wichtige<br />
Informationen zu Versicherungen und Haushalt laufen<br />
ohnehin über das Bankkonto. Banken bieten vermehrt<br />
auch Multi-Banking in den eigenen Apps an. Die derzeit<br />
umzusetzende EU-Richtlinie „PSD2“ wird hier weitere<br />
Möglichkeiten eröffnen. Wir als JDC stellen mit der eigens<br />
in der App entwickelten Bedarfsanalyse auf DEFINO-<br />
-Standard eine Möglichkeit, dass sich Kunden auch selbst<br />
einen Überblick zu ihrem Versicherungsstatus hinsichtlich<br />
Vorsorge und Absicherung geben können. Mit zehn einfachen<br />
Fragen zu Haushalt, Familie und Lebensplanung können<br />
wir hier ein sehr wertvolles Tool bereitstellen.<br />
Angeblich hinkt die Maklerbranche in Sachen Digitalisierung<br />
hinterher, so zumindest teilen uns viele Beratungshäuser<br />
beinahe wöchentlich mit. Unsere Erfahrungen<br />
sind andere: Viele Pools stecken enorm viel Geld in IT<br />
und digitale Technik. Wie ist aus Ihrer Sicht der Stand<br />
der Digitalisierung im Maklervertrieb?<br />
Auch hier sind die Anforderungen der Kunden und dadurch<br />
auch der Berater der entscheidende Antrieb gewesen.<br />
JDC war hier vor allem in der Entwicklung der<br />
Plattform schon immer einen<br />
Schritt voraus. Das war übrigens<br />
auch ein wichtiger Grund, warum<br />
ich nach mehr als sechs Jahren<br />
Google in Richtung JDC verlassen<br />
habe. Zusammen mit der Akquisition<br />
von GELD.de und der dort<br />
vorhandenen Digitalexpertise war<br />
dies die beste Grundlage im<br />
Markt, die Lösungen für Großkunden<br />
und Banken so zu bauen<br />
wie sie heute sind und sich weiterentwickeln<br />
können. Andere setzen auch auf ein paar<br />
Apps, wieder andere sind kein Pool, sondern versuchen<br />
mit dem Insurtech-Hype und einem tollen Frontend zu<br />
punkten. Am Ende gewinnt man Digitalisierung aber im<br />
Maschinenraum, und den hat JDC bestens in der Wertschöpfungskette<br />
für Partner gebaut.<br />
Sie haben selbst bei Google als Manager gearbeitet, sind<br />
nun für JDC tätig. Es gibt Stimmen, die warnen, ein Tech-<br />
Gigant wie Google könnte Banken, Versicherer und Maklerpools<br />
aufgrund der immensen Datenmenge überflüssig<br />
machen. Berechtigt? Oder warum werden weiterhin Makler<br />
gebraucht?<br />
5
Ein Makler, der sich mit der richtigen Technologie weiterentwickelt,<br />
wird sicher weiterhin gebraucht. Google,<br />
Amazon oder Facebook haben unglaublich viele Daten<br />
und Signale vom Kunden in der Anbahnung zum Produktkauf.<br />
Und durch immer mehr Plattformen und<br />
Endgeräte werden es natürlich auch immer mehr Daten.<br />
Auf der anderen Seite wird es aber auch immer schwieriger,<br />
Daten richtig zuzuordnen oder adäquat zu steuern.<br />
Hier kommt der Makler ins Spiel, der aus dem<br />
großen Datensee die richtigen Impulse verarbeitet, um<br />
zu einer sinnvollen Lösung zu kommen. Zudem wird<br />
das Versicherungsprodukt selbst immer in der Kategorie<br />
„muss verkauft werden“ bleiben. Denn es ist kein<br />
„haben will“-, sondern ein „haben muss“-Produkt.<br />
Den Verkaufsimpuls selbst muss also weiter ein Vermittler<br />
setzen. Und ist der Bankberater während des<br />
Gesprächs zu Baufinanzierung hier nicht näher am Kunden?<br />
Banken, Versicherer und unsere Makler sollten<br />
nicht unterschätzen, was sie selbst an Daten haben und<br />
wie nah sie selbst am Kunden sind. Bisher wurde dies im<br />
Vertrieb oft falsch gesteuert und die Vertriebstechnik<br />
fehlte dazu. Auch hier wird sich die JDC-Plattform mit<br />
dem iCRM kontinuierlich weiterentwickeln und die<br />
Daten, die aus den Verträgen vorhanden sind, für den<br />
Berater weiter veredeln.<br />
Sie kooperieren auch mit der Lufthansa-Tochter Albatros<br />
als Dienstleister. Wie sieht hier die Kooperation<br />
aus?<br />
Albatros war unser erster Großkunde, der auf das Outsouring<br />
im IT- und Plattformumfeld gesetzt hat, um sich<br />
mehr auf die Beratung seiner Kunden zu konzentrieren.<br />
Albatros nutzt auch unsere Whitelabel-Services in der<br />
WebApp sowie die Rechner und das umfassende Bestands-<br />
und Vertragsverwaltungssystem von JDC.<br />
Werden Kooperationen für Maklerpools wichtiger? Welche<br />
weiteren sind geplant?<br />
Vor wenigen Wochen haben wir einen langjährigen Kooperationsvertrag<br />
mit der Bavaria Wirtschaftsagentur<br />
geschlossen. Dies ist der Belegschaftsmakler von BMW<br />
und folgt dem Modell von Albatros. Wir sind weiterhin<br />
mit mehreren Banken kurz vor Ende der detaillierten Gespräche,<br />
sprechen aber auch mit ganz anderen Partnern,<br />
die man im ersten Moment nicht als Makler sehen würde.<br />
Sie sind aber selbst auch eine Plattform mit interessanter<br />
Kundenbindung und nutzen hier unser Modell, um selbst<br />
mit Versicherungen und Beständen neue Umsätze zu generieren.<br />
Welche Vorteile können Anbieter wie JDC gegenüber<br />
Google haben, wenn es um den Vertrieb von Versicherungs-<br />
und Altersvorsorge-Produkten geht? Und wo ist<br />
Google Ihnen noch voraus?<br />
Wie wird sich im Maklervertrieb künftig das Miteinander<br />
von persönlichem Vertrieb und High-Tech-Lösungen<br />
ergänzen? Können Sie einen „Herr Kaiser“<br />
charakterisieren, wie er in zehn Jahren tätig sein wird?<br />
Google weiß sicher schneller, wenn ein Nutzer sich im<br />
Recherche- oder Vergleichsmodus befindet. Hier ist unglaublich<br />
viel möglich und wird für adäquates Targeting<br />
auch schon genutzt. Geht es aber um den<br />
konkreten Abschluss mit relevanten Details zu den Versicherungsbedingungen,<br />
ist es von Vorteil, wenn man<br />
tatsächlich auch Schnittstellen zu den Versicherungsgesellschaften<br />
und deren Vertragsabteilungen besitzt und<br />
nicht nur Google-Links zu irgendwelchen Homepages.<br />
Viele Menschen besitzen ja auch schon eine Versicherung.<br />
Wenn ich als Vermittler auf Basis der aktuellen<br />
Police und den Daten daraus dann selbst den Markt<br />
über Schnittstellen und Tarife abgleiche, dann kann ich<br />
dem Kunden auch proaktiv einmal im Jahr eine Optimierung<br />
zu einem besseren Preis oder besserer Qualität<br />
im Gegensatz zum aktuellen Vertrag anbieten. Er muss<br />
dann gar nicht erst suchen. Er braucht nur das Vertrauen<br />
in mich als Vermittler und die Transparenz unserer<br />
Plattform.<br />
6<br />
Ich hatte dazu vor kurzem in einer Anfrage gesagt: „Herr<br />
Kaiser überlebt im Zero Moment of Truth“. Man kennt<br />
aus dem Marketing klassisch den „First Moment of<br />
Truth“, also dann der Erste zu sein, wenn es zur Kaufabsicht<br />
kommt. Ich möchte mit dem Begriff „Zero Moment“<br />
aber noch einen Schritt nach vorne gehen. Der Maklervertrieb<br />
muss Technologie und Daten so nutzen, dass er<br />
aufgrund des hybriden Modells und des vom Kunden<br />
entgegen gebrachten Vertrauens der Optimierer sein<br />
kann, der für den Kunden und den Bedarf da ist, wenn<br />
der Kunde selbst noch gar nicht genau weiß, dass er den<br />
Bedarf haben wird. Das klingt vielleicht etwas beängstigend,<br />
aber mit Antizipieren von Bedürfnissen und Lebensereignissen<br />
sowie Optimieren von Finanzen kann<br />
der Maklervertrieb gerade bei einem „haben muss“-Produkt<br />
immer punkten.<br />
Das Interview mit Stefan Bachmann<br />
führte Mirko Wenig
Es geht um die intelligente Verzahnung<br />
von digitaler und stationärer Welt<br />
Joachim Haas<br />
Vorstand der Sparda Bank Baden-<br />
Württemberg<br />
Warum kooperiert eine Genossenschafts-Bank mit einem Maklerpool? Das wollte der <strong>Versicherungsbote</strong><br />
auch von Joachim Haas wissen, Vorstand der Sparda Bank Baden-Württemberg<br />
und Geschäftsführer der Sparda Versicherungsservice GmbH.<br />
<strong>Versicherungsbote</strong>: Im Kampf gegen Tech-Giganten wie<br />
Amazon und Google setzen Sie, zumindest im Versicherungsvertrieb,<br />
auf Makler. Sie kooperieren mit dem Pool<br />
Jung, DMS und Cie. Warum ausgerechnet der Maklervertrieb<br />
– der doch von vielen schon totgesagt wird? Reanimieren<br />
Sie „Herr Kaiser“?<br />
Joachim Haas: Wir haben in den letzten Jahren ausschließlich<br />
exklusiv mit einem Versicherer gearbeitet.<br />
Von unseren Kunden erhielten<br />
wir jedoch immer wieder das<br />
Mit meineVersicherungswelt<br />
bieten wir<br />
unseren Kunden alle<br />
Zugangswege – digital,<br />
persönlich oder<br />
per Telefon.<br />
Feedback, dass sie sich zusätzliche<br />
Angebote wünschen würden<br />
bzw. unsere Angebote online vergleichen.<br />
Nichtsdestotrotz wünschen<br />
sie sich häufig, vor allem<br />
bei Finanz- und Versicherungsfragen,<br />
für tiefergehende Informationen<br />
und zum finalen<br />
Abschluss den persönlichen Ansprechpartner<br />
vor Ort. Das hat<br />
uns dazu bewogen, die SpardaVersicherungsservice<br />
GmbH zu gründen. Mit meineVersicherungswelt bieten<br />
wir unseren Kunden alle Zugangswege – digital, persönlich<br />
oder per Telefon. Und das gepaart mit der Anbindung<br />
an über 100 Versicherungsgesellschaften. Damit haben<br />
wir auf das veränderte Kundenverhalten reagiert und<br />
können auch in Zukunft der richtige Ansprechpartner<br />
für unsere Kunden bleiben.<br />
Wie sieht die Zusammenarbeit konkret aus? Wie kann<br />
eine Bank wie Ihre von einem Maklerpool profitieren?<br />
Der Maklerpool Jung, DMS & Cie. war der einzige, der<br />
uns die nötige Plattform für meine<br />
Versicherungswelt stellen<br />
konnte. Mit der entsprechenden<br />
Whitelabel-Lösung können unsere<br />
Kunden ihre Bestandsverträge<br />
online verwalten und bei Bedarf<br />
auf unserer Website direkt online<br />
überprüfen. Weiterhin bietet<br />
Jung, DMS & Cie. die<br />
bewährtesten Vergleichsrechner<br />
für unsere Berater vor Ort, die<br />
übrigens alle auf uns gelabelt<br />
werden konnten. Früher konnten wir als Sparda-Bank<br />
Baden-Württemberg nur Produkte einer Versicherungsgesellschaft<br />
anbieten und waren damit der verlängerte<br />
Arm eines Anbieters. Jetzt greifen wir auf einen<br />
7
Pool von über 100 Versicherungsgesellschaften sowie<br />
über 300 Versicherungen zurück und werden so zum<br />
verlängerten Arm des Kunden und können dem<br />
Wunsch nach einer individuellen Versicherungskonstellation<br />
noch besser nachkommen. Damit werden wir<br />
zum umfassenden Partner für unsere Kunden in Sachen<br />
Geldanlage, Vorsorge und Absicherung.<br />
Sie nutzen das Digitalprogramm „MeineVersicherungswelt“,<br />
dass es Kundinnen und Kunden erlaubt, Versicherungspolicen<br />
digital zu verwalten, aber auch Schäden zu<br />
melden. Werden dann persönliche Ansprechpartner und<br />
Filialen überhaupt noch gebraucht?<br />
Genau darin liegt der große Unterschied zu vielen Insurtechs,<br />
die mit ihren Apps rein digital unterwegs sind. Wir<br />
glauben fest daran, dass unsere Kunden auch einen persönlichen<br />
Ansprechpartner vor Ort haben möchten und<br />
ggf. brauchen. Wir haben einige erklärungsbedürftige<br />
Produkte im Angebot, die nicht rein digital gekauft werden<br />
können, sondern im persönlichen Gespräch, auf die<br />
jeweilige individuelle Situation angepasst, besprochen<br />
werden müssen. Für eine maßgeschneiderte Beratung –<br />
das ist unser Anspruch – ist nach wie vor eine Beratung<br />
von Mensch zu Mensch sinnvoll.<br />
Das Interview mit Joachim Haas<br />
führte Mirko Wenig<br />
Die Diskussion, ob eine Bank heutzutage verstärkt digitale<br />
Services anbieten oder doch lieber bei klassischen Instrumenten<br />
bleiben sollte, mündet bei uns nicht in ein<br />
‚Entweder-Oder‘, sondern in ein ‚Sowohl-als-auch‘. Es<br />
geht um die intelligente Verzahnung von digitaler und<br />
stationärer Welt.<br />
Foto: Chombosan/iStockphoto.com
Nachwuchskräfte zu finden, bleibt eine<br />
Herausforderung<br />
Oliver Liebermann<br />
Vertriebsvorstand der MLP<br />
Finanzberatung SE<br />
Die MLP Gruppe hat sich in den letzten Jahren stark auf Studenten und Uni-Absolventen als<br />
anspruchsvolle Zielgruppe konzentriert, sie berät der Wieslocher Vertrieb zu den Themen<br />
Versicherung und Geldanlage. Aber wie sieht es eigentlich mit dem Gewinn eigener Nachwuchskräfte<br />
aus – und wie werden die rund 1.900 MLP Beraterinnen und Berater weitergebildet?<br />
Der <strong>Versicherungsbote</strong> sprach mit Oliver Liebermann, Vertriebsvorstand der<br />
MLP Finanzberatung SE.<br />
<strong>Versicherungsbote</strong>: Die Vermittlerbranche hat ein Nachwuchsproblem,<br />
der Altersschnitt liegt bei fast 50 Jahren.<br />
Was macht die MLP Finanzberatung, um Nachwuchskräfte<br />
zu gewinnen?<br />
Oliver Liebermann: Um junge Berater noch gezielter anzusprechen,<br />
haben wir im Jahr 2017 unser Hochschulsegment<br />
neu ausgerichtet – mit Hochschulteams an jedem<br />
relevanten Standort und einem sehr interessanten Gesamtangebot<br />
für Einsteiger. Ihnen greifen wir vor allem<br />
mit einer Weiterbildungsprämie und intensivem Coaching<br />
unter die Arme. Auch für Branchenerfahrene haben<br />
wir ein attraktives Paket geschnürt. Ihnen bieten wir<br />
eine interessante finanzielle Komponente für den Übergangszeitraum<br />
ihres Wechsels und erkennen etwaige<br />
Vorqualifikationen im Rahmen unserer Weiterbildung<br />
an. Insgesamt haben wir bei MLP einen neuen, nie dagewesenen<br />
Fokus auf dem Thema Rekrutierung.<br />
Die „neue“ Weiterbildungspflicht – aus Ihrer Sicht ein<br />
Fluch oder Segen für die Branche?<br />
Ohne Weiterbildung geht es nicht, denn Berater müssen<br />
heute wachsenden Anforderungen gerecht werden. Im<br />
Markt sind viele nach der Vogel-Strauß-Taktik verfahren<br />
und haben ihre Weiterbildung kaum aktiv angepackt. Daher<br />
gehen hier die Anforderungen durch IDD definitiv in<br />
die richtige Richtung. Problem ist nur, dass der Fokus nur<br />
auf den Versicherungsthemen liegt. Bei MLP gehen die<br />
Anforderungen an eine professionelle Weiterbildung deshalb<br />
deutlich darüber hinaus.<br />
Können Sie uns einen Einblick erlauben, wie die Situation<br />
bei Ihnen aussieht: Finden Sie ausreichend Nachwuchskräfte?<br />
Wie ist der Altersschnitt der MLP-Berater?<br />
Wir wissen von einigen Maklern, Agenturen und auch<br />
Versicherern, dass sie bereits Probleme haben qualifizierte<br />
Mitarbeiter zu gewinnen.<br />
Nachwuchskräfte für den Beraterberuf zu finden, bleibt<br />
eine Herausforderung. Doch sehen wir, dass unsere Recruiting-Maßnahmen<br />
greifen. So konnten wir die Beraterzahl<br />
im Jahr 2018 erstmals seit 2011 steigern – und das<br />
gegen den Branchentrend. Den Zuwachs möchten wir in<br />
9
diesem Jahr in absoluten Zahlen nochmals übertreffen.<br />
Der Altersschnitt unserer Berater liegt mit rund 46 Jahren<br />
unter dem Branchenschnitt. Entscheidend ist für uns aber<br />
ohnehin nicht das Alter, sondern dass unsere Berater in<br />
der Lage sind, anspruchsvolle Kunden kompetent zu betreuen.<br />
Vor diesem Hintergrund wollen wir natürlich<br />
auch Branchenerfahrene gewinnen – und verzeichnen<br />
hier ein wachsendes Interesse an MLP im Markt.<br />
…und wo suchen Sie sonst nach geeigneten Vermittlern?<br />
Gehen Sie in die Universitäten, in die Schulen? Sind Sie<br />
auf Social-Media-Kanälen präsent etc.?<br />
MLP bietet seit jeher an Hochschulstandorten Seminare<br />
zur Finanz- und Karrierethemen<br />
an. Dies ist ein zentraler Kanal,<br />
über den wir sowohl Kunden als<br />
auch Berater gewinnen. Daneben<br />
arbeiten wir mit in der Branche<br />
erfahrenen Personalvermittlern<br />
zusammen und betreiben Active<br />
Sourcing in Online-Karrierenetzwerken,<br />
indem wir interessante<br />
Kandidaten aktiv auf Seiten wie LinkedIn oder Xing ansprechen.<br />
Interessenten bringen wir den Arbeitsalltag<br />
junger Berater außerdem mit dem Social Media-Angebot<br />
„MLP Live“ näher, das wir auf Instagram und Facebook<br />
betreiben. Ganz wichtig bleibt natürlich auch die persönliche<br />
Empfehlung über unsere Berater.<br />
Umfragen zeigen, dass Absolventen von Hochschulen<br />
das schlechte Image der Vermittler-Branche fürchten<br />
und deshalb sich nach einem anderen Arbeitgeber umsehen.<br />
Hat die Branche da auch einen Anteil daran? Und<br />
was kann gegen das Image des Vermittlers als Klinkenputzer<br />
getan werden?<br />
Das Berufsbild hat in der Tat mit vielen Vorurteilen zu<br />
kämpfen – und zum Teil sind die Probleme im Markt<br />
auch hausgemacht. Gibt es doch immer noch Vermittler,<br />
die ihre Beratung stark vom Produkt her aufbauen und<br />
nicht die individuelle Kundensituation als Ausgangspunkt<br />
haben. Ich bin überzeugt: Die Spreu trennt sich im<br />
Markt immer weiter vom Weizen. Profitieren werden<br />
Qualitätsanbieter wie MLP – und das stärkt wiederum<br />
das Berufsbild des Finanzberaters.<br />
Ich bin überzeugt:<br />
Die Spreu trennt<br />
sich im Markt immer<br />
weiter vom Weizen.<br />
Balance. Unregelmäßige Arbeitszeiten, hoher Erfolgsdruck,<br />
lange Wege zum Kunden oder zur Kundin.<br />
Begründet?<br />
Nein. Eine ausgeglichene Work-Life-Balance erreichen<br />
gerade Finanzberaterinnen und -berater – dies vor allem<br />
durch die Flexibilität, die ihnen die Selbstständigkeit bietet,<br />
und mit einem starken Partner an ihrer Seite, der sie<br />
vielfältig entlastet. Wir haben im Rahmen der Digitalisierung<br />
von MLP konsequent darauf hingearbeitet, die Tätigkeit<br />
des MLP-Beraters zunehmend unabhängig von<br />
Ort und Zeit zu machen. Unser ausgebautes Angebot für<br />
Kunden umfasst Online-Gespräche mit MLP-Beratern<br />
bei gleichzeitigem Zugriff auf vielfältige digitale Hilfsmittel<br />
in einer einzigen Anwendung.<br />
Der Beraterberuf lässt sich also<br />
auch sehr gut mit einer eigenen<br />
Familie vereinbaren. In unseren<br />
aktuellen Beraterjahrgängen liegt<br />
der Frauenanteil mit mehr als<br />
30 Prozent deutlich über den historischen<br />
Werten.<br />
Der Gesetzgeber hat die Qualifikationsanforderungen<br />
für Versicherungs- und Finanzanlagevermittler in den<br />
letzten Jahren erhöht, so dass ein klassischer Rekrutierungsansatz<br />
vakant wurde: der Quereinsteiger, der nach<br />
einer zweiten Chance im Beruf sucht. Rekrutieren Sie<br />
noch Quereinsteiger? Wenn ja: Wie garantieren Sie deren<br />
Fachkompetenz?<br />
Der Regelfall bei MLP ist, dass ein Hochschulabsolvent<br />
ohne einschlägige Branchenkenntnisse bei uns startet.<br />
Durch eine sehr umfangreiche Qualifizierung an unserer<br />
Corporate University (CU) stellen wir dann sicher, dass<br />
jeder Berater über die notwendige Kompetenz verfügt.<br />
Dabei gehen wir übrigens deutlich über die gesetzlich<br />
vorgeschriebenen Anforderungen hinaus. Kommt jemand<br />
mit Branchenerfahrung zu uns, werden Vorkenntnisse<br />
angerechnet.<br />
Sie haben mit der „MLP Corporate University“ eine eigene<br />
Bildungseinrichtung gegründet, statt auf externe Einrichtungen<br />
zu setzen. Was war die Motivation dahinter?<br />
Und ist das nicht teurer, als wenn man sich die Weiterbildung<br />
einkauft?<br />
Ein weiterer Grund, weshalb für viele junge Menschen<br />
eine Tätigkeit als Vermittler unattraktiv erscheint, speziell<br />
für Frauen: eine vermeintlich schlechte Work-Life-<br />
Auf der Kostenseite sind wir mit unserer „CU“ sehr wettbewerbsfähig.<br />
Entscheidend ist aber, dass wir unseren Beratern<br />
einen deutlichen Mehrwert bieten. Eine solche<br />
10
Breite und Tiefe in Sachen Weiterbildung bietet meines<br />
Erachtens niemand sonst im Markt. Gleichzeitig sind die<br />
Inhalte auf MLP Berater zugeschnitten und vertrieblich<br />
ausgerichtet. Deshalb setzten wir bereits seit 20 Jahre auf<br />
eine eigene „CU“. Und wenn es sinnvoll ist, kooperieren<br />
wir natürlich mit anderen Bildungsanbietern.<br />
Können über die MLP University Abschlüsse erworben<br />
werden – und wie anerkannt sind diese außerhalb des<br />
MLP-Universums?<br />
In den ersten beiden Jahren durchlaufen MLP Berater die<br />
Basisabschlüsse Financial Consultant und Senior Financial<br />
Consultant. Anschließend steht ihnen an der „CU“ eine<br />
Vielzahl von Abschlüssen offen. Neben thematischen Spezialisierungen<br />
wie Ruhestandsplaner oder Direktimmobilienvermittler<br />
können sie sogar den höchsten<br />
international anerkannten Standard für Finanzberater,<br />
den Certified Financial Planner, an der MLP Corporate<br />
University erwerben. Wichtig dabei ist, dass unsere Abschlüsse<br />
von der Foundation for International Business<br />
Administration Accreditation (FIBAA) geprüft und zertifiziert<br />
wurden. Das bedeutet, dass sie in staatlichen Studiengängen<br />
angerechnet werden können. Dies ist zum<br />
Beispiel im Bachelor- und Master-Programmen der Fall,<br />
die wir in Kooperation mit Hochschulen anbieten.<br />
Sind aus Ihrer Sicht 15 Stunden Weiterbildung im Jahr<br />
ausreichend, um den Beraterjob gut zu erledigen? Was<br />
empfehlen Sie MLP-Beratern als Umfang?<br />
Eine gute Weiterbildung sollte Methoden- sowie Formatwechsel<br />
beinhalten und auch die Gruppe nach vorne bringen.<br />
Unser Anspruch ist, dass wir nicht nur ein breites<br />
Angebot haben – sondern auch sehr innovativ unterwegs<br />
sind. Beispielsweise sind viele Schulungen auch regional<br />
für unsere Geschäftsstellen und Hochschulteams abrufbar.<br />
Aber auch offene Formate wie Barcamps gehören<br />
zum Repertoire.<br />
Wir mahnen immer an, dass Weiterbildungen speziell für<br />
Makler unabhängig sein sollten und nicht einfach Verkaufsschulungen.<br />
Wie sichern Sie Unabhängigkeit und<br />
Qualität der Bildungsangebote?<br />
Bei uns gibt es fachliche Weiterbildungen, aber natürlich<br />
auch Beratungstrainings. Die hohe Qualität stellen wir<br />
unter anderem durch speziell geschulte Dozenten und unsere<br />
Experten in der „CU“ sicher. Außerdem haben wir<br />
mehrere Zertifizierungen, bei denen wir uns einer externen<br />
Überprüfung stellen. Die FIBAA hatte ich schon erwähnt,<br />
die Akkreditierung durch das Financial Planning<br />
Standards Board für die Qualifizierung zum CFP ist ein<br />
zweites Beispiel. Und last but not least haben wir einen<br />
Wissenschaftlichen Beirat an unserer „CU“.<br />
Immer mehr Kunden schließen online ab, manche Versicherer<br />
und Vorsorgeanbieter vermitteln ihre Produkte<br />
schon über Alexa und Künstliche Intelligenz. Wird persönliche<br />
Beratung in 30 Jahren überhaupt noch gebraucht?<br />
Und wenn ja: in welchem Umfang?<br />
Der Anspruch von MLP ist, der Gesprächspartner in allen<br />
Finanzfragen zu sein. Wer in der Altersvorsorge, Praxisfinanzierung<br />
und Vermögensmanagement gleichermaßen<br />
auf dem aktuellen Stand sein will, kommt mit 15 Weiterbildungsstunden<br />
jährlich nicht hin. Bei uns ist der Anspruch,<br />
dass sich jeder Berater mindestens 30 Stunden<br />
weiterbildet. De facto waren es 2018 übrigens mehr als<br />
70 Stunden. Das zeigt den hohen Nutzen, den unsere Weiterbildung<br />
für MLP Berater hat. Dabei hat jeder Berater<br />
bei uns ein Punktekonto, mit dem er seine Weiterbildungsaktivitäten<br />
immer im Blick hält und alle rechtlichen<br />
Anforderungen erfüllt.<br />
Summercamps, CubeWeeks, Financial Planning Powertage<br />
sind die Veranstaltungen der MLP University betitelt.<br />
Das lässt vermuten, Sie setzen nicht auf Frontalunterricht,<br />
sondern Entertainment und Teambuilding sind<br />
ebenfalls wichtig.<br />
Das Gros der Verbraucher schließt gerade mal einfachere<br />
Sach-Policen online ab. Selbst die Mehrheit der Digital<br />
Natives wünscht sich bei komplexen, existenziellen Finanzthemen<br />
eine persönliche Beratung. Das erleben wir<br />
auch in unseren Beratungsgesprächen. Deshalb besteht<br />
unser Ansatz darin, die persönliche Beratung und Digitalangebote<br />
für Berater und Kunden noch stärker im Sinne<br />
eines „intelligenten Und“ zu verknüpfen. Wenn man<br />
Digitalisierung richtig versteht, profitiert der einzelne Berater<br />
davon.<br />
Das Interview mit Oliver Liebermann<br />
führte Mirko Wenig<br />
11
Betriebliche Sterbegeldversicherung:<br />
eine innovative Ergänzung zur betrieblichen<br />
Vorsorge<br />
Thorben Schwarz<br />
Direktor Vertrieb von Monuta<br />
Spezialisten in der bAV beraten ihre Kunden bereits umfänglich zu den unterschiedlichsten<br />
Themen. Als neuen Ansatz wird Vermittlern nun mit der betrieblichen Sterbegeld-Vorsorge<br />
(bSV) eine innovative Ergänzung zum Vorsorge-Paket ihrer Kunden angeboten. Ein Baustein,<br />
mit dem sie ihr Portfolio erweitern und somit ihre Produktion steigern können. Ein Gastkommentar<br />
von Thorben Schwarz, Direktor Vertrieb von Monuta.<br />
Die finanzielle Unterstützung im Todesfall durch Übernahme<br />
von Bestattungskosten ist gerade für Familien- und mittelständische<br />
Unternehmen eine zusätzliche Möglichkeit,<br />
für Mitarbeiter einen Mehrwert zu schaffen. Der Tod eines<br />
Angehörigen ist für die meisten eine große Belastung, weshalb<br />
eine Absicherung der Bestattungskosten hier ein Stück<br />
weit unterstützend wirken kann. Der Arbeitgeber bietet finanzielle<br />
Hilfe – und das auch lange nach der aktiven Zeit<br />
des Mitarbeiters im Unternehmen.<br />
Wertschätzung für den Mitarbeiter<br />
Jedes Unternehmen bemüht sich, gute Mitarbeiter langfristig<br />
zu halten. Faktoren wie zum Beispiel eine authentische<br />
Unternehmenskultur oder wertschätzende Benefits werden<br />
den Mitarbeitern angeboten, um ihr Engagement und ihre<br />
Loyalität zu fördern. Viele Unternehmen kennen und nutzen<br />
bereits die betriebliche Altersversorgung, Firmenwagen,<br />
Essenszuschüsse usw. Die emotionale Bindung eines<br />
Mitarbeiters an das Unternehmen ist dabei das stabilste<br />
Fundament.<br />
Diese Verbindung wird durch die neue bSV noch weiter gestärkt.<br />
Der Mitarbeiter erhält eine Zusatzleistung, die ihn<br />
und seine Hinterbliebenen nicht erst im Ruhestand, sondern<br />
auch schon im aktiven Arbeitsleben schützt. Die Versorgungszusagen<br />
werden von einer Unterstützungskasse<br />
kongruent rückgedeckt. Dabei trägt der Arbeitgeber die<br />
Beiträge in voller Höhe für den Arbeitnehmer.<br />
Kostenneutrale Zusatzleistung<br />
Hierbei spart der Arbeitgeber Steuern bzw. kann die Beiträge<br />
ebenfalls als Betriebsausgaben in unbegegrenzter Höhe<br />
steuerlich geltend machen. Die arbeitgeberfinanzierten Beiträge<br />
sind also lohnsteuer- und sozialabgabefrei. Ebenso<br />
sind die Verwaltungskosten für die Unterstützungskasse gering<br />
und können steuerlich abgesetzt werden. Und die in<br />
der Unterstützungskasse investierten Beiträge müssen nicht<br />
in der Unternehmensbilanz ausgewiesen werden.<br />
Der emotional geprägte Verkaufsansatz bietet Maklern ein<br />
neues Potenzial für den Einstieg in die Beratung. Alle bereits<br />
mit anderen Leistungsbausteinen der bAV ausgestatteten<br />
Firmen können mit der bSV erneut angesprochen werden.<br />
Umsatzmöglichkeiten im Neugeschäft ergeben sich hier in<br />
einem kaum bearbeiteten Segment.<br />
Die bSV kann somit für Berater in allen Firmengrößen ein<br />
interessanter Zugangsweg sein. Mit der Aufnahme dieser Innovation<br />
beweisen sie ihren Weit- und Marktüberblick. Zudem<br />
dient die Sterbegeldversicherung als guter Einstieg in<br />
viele andere Vorsorgethemen, wie die betriebliche Krankenversicherung,<br />
Pflegeleistungen und Invalidität, aber auch<br />
Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht oder Erbschaft.<br />
Ein Gastkommentar von Thorben Schwarz<br />
12
13
Zwischen Benjamin Blümchen und<br />
abstrakter Verweisung<br />
Patrick Hamacher<br />
Dozent für das<br />
Berufsbildungswerk der<br />
Versicherungswirtschaft<br />
Patrick Hamacher ist ein junger Würzburger Makler mit einer Profession: Er erklärt Versicherungsthemen<br />
mit einem vielbeachteten Podcast, also über Hörbeiträge. Zugleich ist er Dozent<br />
für das Berufsbildungswerk der Versicherungswirtschaft und berät seine Kundinnen und Kunden<br />
gern auf Reisen. Wie er das alles unter einen Hut bekommt, was sein Podcast mit Benjamin<br />
Blümchen zu tun hat und warum die Versicherungswirtschaft auch mit tätowierten BMX-Bikern<br />
als Werbeträger nicht cool wird, erklärt er im Interview mit dem <strong>Versicherungsbote</strong>n.<br />
<strong>Versicherungsbote</strong>: Hallo Herr Hamacher, Können Sie<br />
sich kurz vorstellen? Seit wann sind Sie in der Branche<br />
aktiv und was sind Ihre Schwerpunkte?<br />
Patrick Hamacher: Sehr gerne. Doch bevor ich loslege: Ich<br />
mache einiges ein kleines bisschen anders, als man es von<br />
einem Versicherungsmakler gewohnt ist. Z.B. duze ich<br />
grundsätzlich meine Kunden und Mandanten. Daher<br />
würde ich "Ihnen" auch gerne das "Du" anbieten. Ich bin<br />
der Patrick.<br />
2005 begann ich meine Ausbildung zum Versicherungskaufmann<br />
(IHK), war dann bis 2015 in der Ausschließlichkeit,<br />
habe nebenher das Studium des geprüften Versicherungsfachwirts<br />
absolviert und bin seit 2011 zudem<br />
Dozent für das BWV. 2015 übernahm ich dann das Versicherungsmaklerbüro<br />
meines Vaters und digitalisierte es.<br />
2018 wurde ich in den Prüfungsausschuss der IHK berufen<br />
und <strong>2019</strong> in die Vollversammlung gewählt.<br />
Die Schwerpunkte liegen in der Biometrie und Krankenversicherung.<br />
Meine Kernzielgruppe sind Freelancer,<br />
(ortsunabhängige) Selbstständige und sog. "Digitale<br />
Nomaden".<br />
14<br />
Sie betreiben als Makler einen Podcast über Versicherungsthemen.<br />
Warum ausgerechnet ein Podcast?<br />
Worin liegt der Reiz, auf diese Art über Versicherungen<br />
zu informieren?<br />
Ich nenne Podcast immer scherzhaft "Das YouTube für<br />
Hässliche". Selbst habe ich durch das Hören von Podcast<br />
sehr viel gelernt. Es ist einfach praktisch, dass man sich<br />
Wissen über verschiedenste Themen – quasi nebenbei – in<br />
den "toten Zeiten", wie zum Beispiel dem Autofahren,<br />
beim Sport oder Kochen, aneignen kann. Dazu ist das Medium<br />
Audio einfach klasse.<br />
Und da es 2017 so gut wie kein Wissen über Versicherungen<br />
in Audioform gab, haben Bastian Kunkel (Versicherungen<br />
mit Kopf) und ich uns gedacht, dass wir dies<br />
ändern müssen.<br />
Was sind die größten Herausforderungen, wenn es gilt,<br />
komplexe Versicherungsthemen in ein Audioformat zu<br />
übersetzen? Und was daran macht Ihnen am<br />
meisten Spaß?
Die größte Herausforderung ist es – und das wird jeder<br />
Versicherungsvermittler kennen – dass man komplexe<br />
Zusammenhänge herunterbricht und auf verständliche<br />
Art und Weise für einen Branchenfremden häppchenweise<br />
erklärt. Das ist auditiv auch nicht leichter oder schwieriger<br />
als visuell.<br />
Bei den Benjamin-Blümchen-Kassetten aus meiner Kindheit<br />
konnte ich mir immer ein schönes Kopfkino ausmalen<br />
und war voll im Geschehen. Wenn wir es schaffen, im<br />
Podcast durch unsere Geschichten auch ein solches<br />
Kopfkino zu erzeugen, dann kann man auch den Begriff<br />
"abstrakte Verweisung" anschaulich erklären.<br />
Besonders Spaß macht es, dass wir zwar die Sache an sich<br />
sehr ernst nehmen, wir uns selbst aber nicht.<br />
„Versicherungsgeflüster“ heißt Ihr Podcast. Ich finde den<br />
Namen interessant: „Geflüster“ weckt bei mir Assoziationen<br />
wie leise, subtil, sogar sinnlich. Das mag nicht ganz<br />
zu der Komplexität der Verträge und den lauten Werbebotschaften<br />
der Branche passen. Was war Ihre Idee hinter<br />
dem Namen?<br />
Wir hatten keine Zeit für großes Geschrei. ;-)<br />
Nein, der Name entstand tatsächlich durch Zufall. Da<br />
"Versicherungspodcast" schon besetzt war, suchten wir<br />
nach einer Alternative. Mit Hilfe unserer Onlinecommunity<br />
fanden wir dann das Versicherungsgeflüster.<br />
Ich bin sehr dankbar für die Frage. „Subtil“ und „sinnlich“<br />
habe ich bis dato noch nicht auf dem Schirm gehabt. Aber<br />
vielleicht ist es ja genau dieses Anderssein, als man es in<br />
unserer Branche vermutet, was den Erfolg ausmacht.<br />
Wir holen die Hörer dort ab, wo sie stehen. Zumeist nämlich<br />
noch ganz am Anfang. Und da bedarf es keiner lauten<br />
Worte und keiner Selbstbeweihräucherung mit Slogans,<br />
Signets und Sternchen. Aufklärung, Wissensvermittlung<br />
und Hilfe zur Eigenverantwortlichkeit … das ist es, was<br />
wir „flüstern“.<br />
Geben sich aus Ihrer Sicht die Versicherer ausreichend<br />
Mühe, ihre Produkte zu erklären und verständlich zu gestalten?<br />
Was kann besser werden?<br />
Bis vor einem Jahr hätte ich gesagt, dass neben dem eben<br />
angesprochenen Selbstbeweihräuchern auf den Websites<br />
der Versicherungsunternehmen nicht viel zu finden war.<br />
Inzwischen bemerkt man aber das Umdenken und sieht,<br />
dass sich einige sehr viel Mühe geben und endlich auch<br />
einmal aus Kundensicht denken.<br />
Es fehlt jedoch noch immer die Aufklärung. Häufig<br />
kommt es mir so vor, dass zwar erklärt wird, wie man<br />
Steigeisen, Klettergurt und Karabiner einsetzt – wenn der<br />
Kunde jedoch noch nie zuvor Wandern war, macht das<br />
keinen Sinn. Da sollte vielleicht erst einmal über das<br />
Schuhwerk und vernünftige Wanderkleidung gesprochen<br />
werden.<br />
Die Versicherungsbranche hat ein Nachwuchsproblem:<br />
Vermittler sind im Schnitt 50 Jahre alt, der Innendienst<br />
immerhin 48 Jahre. Was sind aus Ihrer Sicht die Ursachen<br />
dafür? Warum ist die Branche für viele junge Menschen<br />
eher uninteressant?<br />
Ich könnte jetzt gemein sein und sagen, dass es doch<br />
schön ist, dass wenigstens in der Versicherungsbranche<br />
den älteren Semestern noch ein Arbeitsplatz angeboten<br />
wird. Demografisch betrachtet liegen wir damit ja auch<br />
nur ein paar Jahre über dem Durchschnittsalter aller Personen<br />
in Deutschland.<br />
Die Versicherungsbranche hat aber in den letzten Jahrzehnten<br />
einfach verpasst, das Image, welches von wenigen<br />
zum Negativen hin geprägt wurde, wieder ins rechte Licht<br />
zu rücken. Und welcher junge Mensch möchte dann schon<br />
in einem Job arbeiten, wo die Gesellschaft bei der bloßen<br />
Erwähnung von "Versicherung" die Nase rümpft und man<br />
als Klinkenputzer abgestempelt wird?<br />
…wiesohabenSiesichentschlossen,diesenBerufzuergreifen?<br />
Vielleicht liegt darin ja schon ein Geheimnis, wie<br />
es gelingen könnte, mehr Nachwuchskräfte anzuwerben.<br />
Während meines Ingenieurstudiums habe ich gemerkt,<br />
dass Maschinenbauer nicht der Beruf ist, den ich für den<br />
Rest meines Lebens machen möchte. Darum war es die logische<br />
Konsequenz, nach meinem Vordiplom eine Ausbildung<br />
zum Versicherungskaufmann zu machen. Nichts<br />
liegt da näher. (lacht)<br />
Nein, Spaß beiseite. Da mein Vater und auch meine große<br />
Schwester in der Versicherung tätig sind, hatte ich schon<br />
immer als Kind und Jugendlicher ein positives Bild von<br />
unserer Branche. Ich helfe gerne, bin kommunikativ und<br />
setze mich ebenso gern für andere ein. Und da der Apfel<br />
nicht weit vom Stamm fällt, entschied ich mich 2005 für<br />
diesen Weg.<br />
…waskanndieVersicherungs-undVorsorgebranche<br />
tun, um mehr Menschen für die wichtige Maklertätigkeit<br />
zu gewinnen?<br />
Das über Jahrzehnte kaputtgemachte Image unserer Branche<br />
wird sich nicht von jetzt auf gleich ins Positive verän-<br />
15
dern lassen. Ich finde es bedenklich, dass noch immer viel<br />
zu häufig bei der Anwerbung von Nachwuchs mit einer<br />
vermeintlich hohen Vergütung, teuren Uhren und schnellen<br />
Autos geworben wird.<br />
Ich begreife meine Tätigkeit als eine extrem wichtige sozialpolitische<br />
Aufgabe, ohne die unser gesamtes Wirtschafts-<br />
und Sozialsystem nicht funktionieren würde.<br />
Wenn diese Werte mehr in den Vordergrund gerückt werden<br />
würden, könnte es auch klappen, dass sich die richtigen<br />
Personen für unseren Job interessieren.<br />
Sie haben sich als Versicherungsmakler selbstständig gemacht.<br />
Warum diese Entscheidung? Worin liegen die<br />
Vorteile der Selbstständigkeit?<br />
Unabhängigkeit und Freiheit. Mit diesen zwei Worten<br />
kann ich beide Fragen beantworten.<br />
Als Versicherungsmakler bin ich<br />
frei in der Wahl der Produkte und<br />
kann ungebunden beraten. Und<br />
darin sehe ich auch die Vorteile, sowohl<br />
für meine Kunden als auch für<br />
mich selbst.<br />
In der Selbstständigkeit kann ich<br />
ebenso frei und unabhängig entscheiden,<br />
wo, wie und wann ich arbeite.<br />
Die größte Freiheit dabei ist:<br />
Ich muss niemanden um Erlaubnis<br />
fragen, wenn ich meinen Urlaub<br />
plane.<br />
…habenSieauchWiderständeaufdemWegindieSelbstständigkeit<br />
erfahren? Welche Hürden gab und gibt es?<br />
Wirkliche Widerstände habe ich bisher keine erfahren.<br />
Beruflich bin ich immer lösungsorientiert unterwegs. Und<br />
wenn es Hürden geben sollte, muss ich eben wie ein Unternehmer<br />
denken und handeln, sprich: Einen Weg finden,<br />
um über die Hürde zu springen. Wobei ich den<br />
Begriff "Hürde" nicht gerne verwende. Lieber ist mir da<br />
das Wort Herausforderung. Und ohne Herausforderungen<br />
wäre es doch auch langweilig.<br />
Eine meiner größeren Herausforderungen momentan ist es,<br />
dass die Versicherer digitale Unterschriften anerkennen.<br />
Sie scheinen viel in der Welt unterwegs zu sein, wenn<br />
man Ihre Social-Media-Aktivitäten verfolgt. Wie beraten<br />
Sie und wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus? Sind Sie eine Art<br />
„Persönlicher Digitalmakler“?<br />
16<br />
Der Begriff „persönlicher Digitalmakler“ trifft es ziemlich<br />
gut. Einen sehr großen Teil meiner Beratungen führe ich<br />
mit meinen Kunden online im Videochat durch. Viele<br />
Kollegen behaupten, dass das nicht ginge und nicht persönlich<br />
genug sei, dass man keine Kundenbindung<br />
aufbauen könne.<br />
Aber der einzige Unterschied – wie ich finde – zur klassischen<br />
Offline-Beratung ist, dass man sich zur Begrüßung<br />
nicht die Hand geben kann. Ansonsten sitzt man sich<br />
dennoch – wenn auch nur virtuell – gegenüber, sieht Gestik<br />
und Mimik des anderen und unterhält sich ganz normal.<br />
Die Kundenbindung war bei mir noch nie so hoch, wie aktuell.<br />
Ich bin über Social Media, Messenger und Chat<br />
ständig mit meinen Kunden in Kontakt. Die kurzen und<br />
unkomplizierten Wege wissen meine Kunden sehr zu<br />
schätzen.<br />
Mein Arbeitsalltag unterscheidet<br />
sich wahrscheinlich auch<br />
nicht groß vom herkömmlichen<br />
Makler. Morgens geht´s ins Büro,<br />
Kaffee trinken, Newsletter lesen,<br />
mindestens 30 Minuten Weiterbildung,<br />
Papierkram (bei mir jedoch<br />
komplett digital) erledigen<br />
und ab 9 Uhr die Beratungen<br />
wahrnehmen.<br />
Ob mein Büro dabei mein „richtiges<br />
Büro“ in Würzburg ist oder<br />
ein Hotelzimmer, ist mir egal.<br />
Ich brauche nur meinen Laptop und Internet, um arbeiten<br />
zu können. Und Ruhe. Ich telefoniere nämlich äußerst<br />
ungerne in der Öffentlichkeit. Das ist aus Datenschutzgründen<br />
wahrscheinlich auch sinnvoller. Ansonsten ist<br />
mein Laptop-Blickschutzfilter mein bester Freund und<br />
hilft vor neugierigen Blicken.<br />
Das über Jahrzehnte<br />
kaputtgemachte<br />
Image unserer Branche<br />
wird sich nicht<br />
von jetzt auf gleich<br />
ins Positive verändern<br />
lassen.<br />
…undwiegehenSiealsjungerMaklermitdenRisiken<br />
der Selbstständigkeit um? Gibt es zentrale Dinge, auf die<br />
Sie in Ihrem Beruf gern verzichten würden?<br />
Vielleicht klingt das jetzt etwas naiv von mir. Aber welches<br />
wirklich große Risiko habe ich als Versicherungsmakler,<br />
der keine Waren produziert und in teuren Lagern<br />
vorhalten muss? Ich habe ein "Laptopbusiness". Von daher<br />
ist mein Einsatz an finanziellen Mitteln sehr gering. Und<br />
ich muss nicht in Vorkasse gehen, um teure Maschinen<br />
oder ähnliches zu kaufen.<br />
Bei der weiteren Risikoabschätzung frage ich mich immer:<br />
"Was kann im schlimmsten Fall passieren?"
Haftungstechnisch liefere ich saubere Arbeit. Und Kunden<br />
gibt es für jeden genug. Die Gesundheit ist das Wichtigste<br />
– und dafür gibt´s Versicherungen.<br />
Auf zu viel Bürokratie und sinnlose Rückfragen, weil z.B.<br />
meine E-Mails nur halb gelesen werden oder im Passierschein<br />
A38 der Vor- und Nachname vertauscht wurde,<br />
könnte ich verzichten. Das ist zwar zentral, aber wahrscheinlich<br />
nicht berufsspezifisch genug.<br />
Hat die Versicherungsbranche allgemein ein Problem,<br />
eine junge Zielgruppe anzusprechen? Ein MC Fitti rappt<br />
für die LVM, Sijox schickt junge BMX-Profis mit Rastas<br />
und Tattoos ins Rennen. Warum gelten Versicherungen<br />
trotzdem noch als uncool und für viele junge Menschen<br />
uninteressant, wie auch Umfragen immer wieder zeigen?<br />
Solange der vorhin angesprochene sozialpolitische Zweck<br />
einer Versicherung nicht in den Köpfen der Menschen<br />
lanciert werden kann, sind Versicherungen so uncool wie<br />
Wurzelbehandlungen oder Steuererklärungen. Da helfen<br />
leider auch kein MC Fitti (Super Lied übrigens und ein<br />
super Style mit Kappe und Vollbart!) oder BMX-Profis.<br />
Das Problem ist, glaube ich, dass man es einer Versicherung<br />
einfach nicht abnimmt, dass sie jung, fresh und lit<br />
ist. Und dann wirken die Werbebotschaften auch nicht<br />
authentisch.<br />
Ich würde mir jedoch wünschen, wenn künftig Studenten<br />
oder Auszubildende mit Ihren Freunden darüber sprechen<br />
würden, dass sie jetzt endlich auch eine super Berufsunfähigkeitsversicherung<br />
haben und bereits angefangen<br />
haben, für ihr Alter vorzusorgen. Einfach nur, weil es cool,<br />
wichtig und sogar notwendig ist.<br />
Ob wir das jedoch noch erleben werden? Sehr fragwürdig.<br />
In Ihrem Podcast verwenden Sie spielerische Momente,<br />
unter anderem ein Quiz-Battle. Man spricht in diesem<br />
Zusammenhang von „Gamefication“: Der Rezipient wird<br />
zum Mitmachen animiert, seine Aufmerksamkeit erregt,<br />
es macht Spaß. Müssten solche Momente in der Versicherungsbranche<br />
nicht häufiger genutzt werden? Und<br />
wenn ja: Warum passiert das nicht?<br />
Bei unseren "Quiz-Battles" im Podcast hatten wir uns<br />
überlegt, wie wir einen Weg finden können, um Fachbegriffe<br />
auf eine etwas andere Art zu erklären. Wenn wir<br />
nur die Begriffsdefinition von zum Beispiel abstrakter<br />
Verweisung oder Forderungsausfalldeckung herunterbeten,<br />
würde das mit Sicherheit niemanden interessieren.<br />
Durch die Quiz-Situation können die Hörer – wie Du<br />
schon richtig sagtest – selbst mitmachen und freuen sich<br />
vielleicht, wenn wir auch einmal über die Antwort nachdenken<br />
müssen und dann vom anderen aufs Korn genommen<br />
werden. Ein bisschen so wie bei "Wer wird<br />
Millionär".<br />
Die Wissensvermittlung passiert eher nebenbei, weil der<br />
Fokus darauf liegt, wer von uns die zufällig ausgewählten<br />
Fragen besser beantworten kann.<br />
Und warum es kaum "Gamification" oder "Infotainment"<br />
in der Versicherungsbranche gibt? Darauf habe ich keine<br />
konkrete Antwort. Wahrscheinlich, weil es einfach nicht<br />
seriös genug ist.<br />
Gibt es ein Produkt, das die Versicherungsbranche noch<br />
nicht bereithält und aus Ihrer Sicht eingeführt werden<br />
müsste? Mehrere Versicherer berichten uns, dass sie in<br />
der Produktentwicklung auf Ideen von Maklern zurückgreifen:<br />
Vielleicht hilft es ja ;-).<br />
Versicherungen zahlen immer dann eine Leistung, nachdem<br />
etwas passiert ist. Sie begleichen den Schaden am<br />
Auto nach einem Unfall. Sie erstatten die Arztrechnung<br />
nach der Behandlung. Sie leisten eine Rente nach Feststellung<br />
einer Depression, die zur Berufsunfähigkeit führte.<br />
Warum gibt es keine Versicherung, die bereits präventiv<br />
Maßnahmen unternimmt, damit es erst gar nicht zu den<br />
Schäden kommt?<br />
Wenn man sich die häufigsten Ursachen für eine Berufsunfähigkeit<br />
ansieht, stehen psychische Leiden inzwischen<br />
auf dem ersten Platz. Ich könnte mir zum Beispiel eine<br />
BU-Versicherung vorstellen, die 1x pro Jahr ein kostenloses<br />
Gespräch mit einem Psychologen anbietet. Dadurch<br />
könnten vielleicht einige potentielle BU-Fälle im Vorfeld<br />
erkannt, dem Kunden könnte damit auch frühzeitig geholfen<br />
und somit Geld gespart werden.<br />
Es gibt Länder, da gehört es fast schon zum guten Ton,<br />
wenn man zu einem Coach, Lebensberater oder Psychotherapeuten<br />
geht - auch, wenn man keine ICD10-F-Diagnose<br />
hat.<br />
Das Interview mit Patrick Hamacher<br />
führte Mirko Wenig<br />
17
Wer will, kann als<br />
Versicherungsmakler<br />
von überall aus<br />
arbeiten!<br />
Bastian Kunkel<br />
Versicherungsmakler<br />
und Youtuber<br />
Bastian Kunkel ist Versicherungsmakler, recht erfolgreicher Youtuber mit Videos über Versicherungsthemen,<br />
Gewinner des Jungmakler Award 2017 – und berät seine Kundinnen und<br />
Kunden von Mallorca aus. Mit anderen Worten: eine Nachwuchskraft, die am eigenen Beispiel<br />
zeigt, dass der Maklerberuf auch für jüngere Menschen attraktiv sein kann. Warum er sich<br />
dennoch nicht als Influencer sieht und wie er seine deutschen Kunden von den Balearen aus<br />
berät, verrät er im Interview mit dem <strong>Versicherungsbote</strong>n.<br />
<strong>Versicherungsbote</strong>: Sie betreiben einen Youtube-Kanal<br />
über Versicherungen, wo Sie über Versicherungsthemen<br />
aufklären und informieren, sind mittlerweile aber<br />
auch auf anderen Kanälen unterwegs. Würden Sie sich<br />
als Influencer zu Versicherungsthemen beschreiben?<br />
Und wie kam die Idee, sich als Makler über Social Media<br />
zu präsentieren?<br />
Bastian Kunkel: Influencer ist ein Wort, das ich in diesem<br />
Zusammenhang immer öfter höre, weil ich auch öfter selbst<br />
so genannte werde. Ich würde mich aber nicht als solchen<br />
bezeichnen. Natürlich beeinflusse ich meine Zuschauer<br />
oder Follower mit meinem Content und auch durch die damit<br />
verbundene Aufklärung. Aber die meisten sogenannten<br />
Influencer zeichnen sich jetzt nicht unbedingt dadurch aus,<br />
dass sie ein super Fachwissen in irgendeinem Bereich haben<br />
und dieses der Masse bereit stellen, sondern eher durch das<br />
Aufbauen einer glamourösen Scheinwelt, in der alles toll ist,<br />
obwohl die Wirklichkeit ganz anders aussieht. Damit möchte<br />
ich mich nicht identifizieren. Ich bin einfach 100% ich.<br />
Und ich teile meinen Arbeitsalltag durch die sozialen Medien.<br />
Dass dies andere inspirieren könnte, ist natürlich spitze.<br />
18<br />
Wie oft posten Sie auf Youtube? Haben Sie keine Angst,<br />
dass Ihnen irgendwann die Themen ausgehen?<br />
Diese Frage kommt witzigerweise am häufigsten. Allerdings<br />
glaube ich nicht, dass mir jemals die Themen ausgehen<br />
werden. Ich veröffentliche jede Woche montags ein<br />
neues Video auf Youtube. Und meine Themenliste ist ellenlang.<br />
Neue Gesetze, aktuelle Anlässe und Diskussionen,<br />
neue Versicherungen und auch die Komplexität von<br />
Versicherungen machen es unmöglich, dass mir die Themen<br />
ausgehen werden. Das könnte ich theoretisch machen,<br />
bis ich 100 bin (lacht).<br />
„Erst verstehen, dann versichern“, heißt Ihr Slogan bei<br />
Youtube. Wir wissen selbst, wie schwierig es ist, komplexe<br />
und trockene Themen medial ansprechend aufzubereiten.<br />
Wie schaffen Sie es, diese unterhaltsam und locker<br />
zu vermitteln?<br />
Das Wichtigste ist, dass man authentisch ist. Das klingt<br />
fast schon abgedroschen, aber so ist es. Wenn jemand irgendwie<br />
aufgesetzt wirkt, dann merkt das der Zuschauer
sofort und es baut sich kein Vertrauen auf. Und Vertrauen<br />
ist eben das Wichtigste bei Versicherungen und gleichzeitig<br />
am schwersten zu generieren, da wir ja nicht gerade den<br />
geilsten Ruf haben als Versicherungsvermittler. Außerdem<br />
noch die Sprache der Zielgruppe sprechen, ab und an mal<br />
einen Witz einbauen, aber auch mal klar Stellung beziehen<br />
zu diversen Themen – das macht dann den Rest aus.<br />
…und welchen Aufwand erfordert es eigentlich, ein solches<br />
Video zu filmen: von der Idee zum fertigen Clip?<br />
Mittlerweile geht mir das recht flüssig von der Hand. Die<br />
Videorecherche und das Schneiden/ Bearbeiten des Videos<br />
im Nachgang benötigen die meiste Zeit. Ganz am Anfang<br />
war es genau umgekehrt. Da hat das Filmen am<br />
meisten Zeit beansprucht, weil ich so unsicher und nervös<br />
war, dass ich jedes Video 15-20 mal aufnehmen musste.<br />
Aber Übung macht immer noch den Meister.<br />
Wenn ich richtig informiert bin, sind Sie soeben nach<br />
Mallorca gezogen. Nun sind es nur zwei Flugstunden bis<br />
zur Insel. Aber ich nehme mal an, dass Sie sich für das<br />
Kundengespräch selten in den Flieger setzen. Wo sitzen<br />
Ihre Kundinnen und Kunden und wie beraten Sie diese?<br />
Meine Kunden sind zu 100 Prozent in Deutschland und<br />
werden von mir online beraten. Dazu nutze ich entsprechende<br />
Tools, wie zum Beispiel Flexperto zur Online-Beratung,<br />
Terminpilot zur Online-Terminvereinbarung<br />
oder nutze auch ganz klassisch die Email. Für die Kundenbindung<br />
sind darüber hinaus Instagram und Youtube sehr<br />
wichtig. Die meisten meiner Kunden habe ich also noch<br />
nie persönlich getroffen.<br />
Sie sind ein vergleichsweise junger Makler, die Branche<br />
hat ein Nachwuchsproblem. Wie würden Sie denn anderen<br />
potentiellen Nachwuchskräften den Beruf des Maklers<br />
schmackhaft machen? Drei Gründe, warum es sich<br />
lohnt, Makler zu sein!<br />
Das Berufsbild des Versicherungsmaklers ist in meinen<br />
Augen attraktiver denn je. Man ist als junger Makler heutzutage<br />
weit entfernt vom Image des „Klinkenputzers“ und<br />
hat zig Möglichkeiten, sein Versicherungsmaklerdasein zu<br />
gestalten. Ich denke, man muss stärker aufzeigen, was alles<br />
möglich ist in diesem Beruf und dass ein junger<br />
Mensch sich hier komplett als Unternehmer entfalten<br />
kann. Er nimmt dadurch für seine Mitmenschen eine<br />
enorm wichtige Rolle ein, nämlich die Absicherung von<br />
aktuellen und zukünftigen Existenzen.<br />
Wenn man Ihren Instagram-Account anschaut, reisen Sie<br />
gern. „Mein Büro habe ich im Rucksack“, lautet einer Ihrer<br />
Slogans. Man verbindet das Maklersein mit langen<br />
Arbeitszeiten, wenig Freizeit, ständigen Fahrten zu Kundinnen<br />
und Kunden. Ein Klischee? Gehört die Zukunft<br />
dem Backpacker-Makler?<br />
Wer will, kann als Versicherungsmakler von überall aus<br />
arbeiten. Lange Fahrten im Auto sind auch nicht mehr<br />
nötig. Laptop, Internet, fertig. Mehr brauche ich heute als<br />
Versicherungsmakler nicht mehr. Meine Post kommt<br />
ebenfalls digital. Und Anträge werden auch elektronisch<br />
verschickt. Ich weiß nicht, ob dem Backpacker-Makler die<br />
Zukunft gehört. Aber Fakt ist: wenn man so arbeiten<br />
möchte als Makler, dann geht das absolut. Und meine<br />
(jungen) Kunden finden das absolut cool.<br />
Sie haben den Weg in die Selbstständigkeit gewählt – obwohl<br />
Sie auf der Webseite berichten, dass Sie als Student<br />
nebenbei als Werksstudent gearbeitet haben, um sich zu<br />
finanzieren. Wo bekommen denn angehende Makler<br />
Startkapital für ihren Beruf und Unterstützung? Haben<br />
Sie da Tipps?<br />
Das ist eine sehr gute Frage. Ich hatte keinen Bestand, den<br />
ich zu Beginn gekauft oder übernommen habe. Ich denke,<br />
dass dies auch eine der größten Hürden ist zu Beginn: Wie<br />
komme ich an meine ersten Kunden? Und zwar nachhaltig!<br />
Ich hatte mich für ein „nebenberufliches Gründen“<br />
entschieden. Dadurch ist kein Druck entstanden. Ich<br />
konnte viel ausprobieren und dann den Schritt in die volle<br />
Selbstständigkeit gehen: als ich gesehen habe, dass das,<br />
was ich als Versicherungsmakler so treibe, auch tatsächlich<br />
funktioniert. Das ist eine Option, die ich definitiv<br />
empfehlen kann. Allerdings fällt mir nicht wirklich mehr<br />
hierzu ein. Was daran liegen kann, dass ich in diesem Bereich<br />
zu wenig informiert bin oder dass es schlichtweg zu<br />
wenig „Start-Hilfe“ gibt für junge Versicherungsmakler.<br />
Tut sich die Versicherungsbranche aus Ihrer Sicht grundsätzlich<br />
schwer, eine junge Zielgruppe als Kunden sowie<br />
potentielle Arbeitskräfte anzusprechen? Und wenn ja,<br />
weshalb?<br />
Total. Sowohl die Kundenansprache als auch die Ansprache<br />
in Richtung potentieller Mitarbeiter ist mehr als nur<br />
optimierungsbedürftig. Ich habe verstärkt das Gefühl,<br />
dass eine Branche, die im Grunde uncoole Produkte vertreibt,<br />
plötzlich versucht „cool“ zu wirken. Das kann nicht<br />
klappen. Das kauft man der Versicherungsbranche auch<br />
19
nicht ab. Hier musseinkomplettandererAnsatzher.<br />
Versicherungen werden niemals cool und hip werden.<br />
Egal, wie man sie anmalt.<br />
Die Branche hat auch ein schlechtes Image: Dem Makler<br />
hängt der Ruf des Klinkenputzers an, vergleichbar<br />
mit dem Staubsauger- und Lamadeckenverkäufer. Sie<br />
selbst haben neben der Ausbildung zum Kaufmann<br />
auch studiert und stehen für den Wandel hin zu einem<br />
hochqualifizierten Beruf. Was kann bzw. muss aus Ihrer<br />
Sicht getan werden, um den Ruf des Maklerberufs zu<br />
verbessern?<br />
Man sollte alles daran setzen, auch die letzten schwarzen<br />
Schafe zu entlarven. Denn diese schaden dem Ruf<br />
enorm. Es reicht einer unter 1.000, der ordentlich Mist<br />
baut, um das Meinungsbild in der Öffentlichkeit zu verzerren.<br />
Dazu sollten auch endlich diverse „Anwerbungspraktiken“<br />
eingestellt werden, mit denen man eben auch<br />
die falschen Leute mit den falschen Motiven anlockt.<br />
Leider bekomme ich immer wieder mit, dass solche<br />
Praktiken noch weiter eingesetzt werden.<br />
Manche Versicherer verkaufen schon Policen über digitale<br />
Sprachtools wie Alexa.<br />
Meine persönliche Einstellung dazu – und die werden<br />
viele wohl nicht teilen oder verstehen – ist die, dass ich<br />
jeden Tag mit Hochdruck daran arbeite, meinen eigenen<br />
Job überflüssig zu machen. Ich teste ständig neue Prozesse<br />
oder Automatismen, die mir meinen Alltag als Versicherungsmakler<br />
noch leichter machen und einen Teil<br />
meiner Arbeit übernehmen. Das hat mit meinen Youtube-Videos<br />
angefangen, die einen Kunden schon vor der<br />
Beratung aufklären, geht weiter über automatisierte Online-Terminvereinbarungen<br />
bis hin zu einer Art virtuellem<br />
Video-Makler. Sprachassistenten sehe ich persönlich<br />
noch sehr in den Kinderschuhen. Ich teste das immer mal<br />
wieder, aber da habe ich die Daten doch immer noch<br />
schneller in einen Vergleichsrechner getippt ;).<br />
Das Interview mit Bastian Kunkel<br />
führte Mirko Wenig<br />
Nun könnte man ja sagen, dass Dienste wie Ihrer auch<br />
einen Beitrag leisten, den Makler überflüssig zu machen:<br />
Dass zum Beispiel eine Art virtueller Video-Makler den<br />
Kunden standardisiert bis zum Produktabschluss leitet.
Advertorial<br />
Swiss Life pusht erfolgreich Konsortialgeschäft<br />
Swiss Life hat die Veranstaltungsreihe<br />
„Branchenversorgungstage<br />
<strong>2019</strong>“ an elf<br />
Standorten in Deutschland<br />
erfolgreich durchgeführt, unter<br />
anderem in Hamburg,<br />
Halle und Bayreuth. Insgesamt konnten sich mehr als 300<br />
Teilnehmer von den Vorteilen und der Exklusivität der<br />
Versorgungswerke MetallRente und KlinikRente persönlich<br />
überzeugen.<br />
In mehreren Kurzvorträgen wurden Neuerungen, Chancen<br />
und exklusive Lösungen aus den Wachstumsbranchen<br />
Metall- und Elektroindustrie sowie der Gesundheitswirtschaft<br />
vorgestellt und mit Experten von Swiss Life diskutiert.<br />
Besonderen Anklang fand der neu vorgestellte<br />
Zugang ins Versorgungswerk KlinikRente ab einer Belegschaftsgröße<br />
von zehn Mitarbeitern, was den Vermittlern<br />
ein enormes Potenzial, vor allem im ambulanten Behandlungsbereich,<br />
eröffnet.<br />
Bedarfs- und zielgruppengerechte Einkommenssicherung<br />
Auf die aktuellen Marktanforderungen reagieren beide<br />
Versorgungswerke mit zeitgemäßen Produktangeboten.<br />
Für diese Zielgruppen stehen speziell zugeschnittene Einkommens-<br />
und Arbeitskraftabsicherungskonzepte zur<br />
Verfügung. Neben den mehrfach ausgezeichneten Berufsunfähigkeitslösungen<br />
umfasst das Angebot eine private<br />
Erwerbminderungsrente sowie Lösungen der Grundfähigkeitsabsicherung.<br />
Zusätzlich zum hervorragenden<br />
Bedingungswerk überzeugte die Teilnehmer die hohe<br />
Identifikation der Versicherten zu den Versorgungswerken<br />
und die damit verbundene Bestandssicherheit.<br />
Riester: Renaissance der 10a-Förderung<br />
Eine Renaissance wird das Thema Riesterförderung erleben.<br />
Gerade durch den Wegfall der Doppelverbeitragung<br />
und die deutliche Erhöhung der Grundzulage in Verbindung<br />
mit den kostengünstigen Angeboten der Versorgungswerke<br />
ist die Riester-Rente für eine sehr große<br />
Personengruppe hochattraktiv.<br />
Seit dem 15. Mai <strong>2019</strong> bietet neben dem Versorgungswerk<br />
MetallRente nun auch das Versorgungswerk KlinikRente<br />
ein Angebot zur betrieblichen Riesterförderung an, die<br />
KR.Riester.bAV. Gemeinsam mit der Förderung nach<br />
§100 EStG könnten so von den Arbeitgebern „Matching-<br />
Pläne“ angeboten werden, die immer mit der optimalen<br />
staatlichen Förderung ausgestattet sind.<br />
Digitalisierung und Vertriebsunterstützung<br />
Last but not least bieten die Berater-Portale der Versorgungswerke<br />
eine hervorragende Vertriebsunterstützung<br />
in analoger und digitaler Form. Die Personalisierung von<br />
Druckstücken für die Arbeitnehmer- und Arbeitgebergespräche<br />
sowie eine individualisierte Microsite schafft für<br />
den Berater einen optimalen Marktauftritt.<br />
Hier finden Sie weitere Informationen zu den Vorsorgelösungen<br />
von Swiss Life in Zusammenarbeit mit den Partnern<br />
MetallRente und KlinikRente.<br />
Außerdem bieten wir regelmäßig Webinare hierzu in unserem<br />
Swiss Life Online-Campus an.<br />
MetallPensionsfonds: Kapitalmarktnahe, zukunftsorientierte<br />
Altersvorsorge<br />
Begeistert aufgenommen wurde die Vorstellung des MetallPensionsfonds:<br />
Die äußerst attraktive Rendite zur Erzielung<br />
einer wirkungsvollen Altersversorgung gefiel den<br />
Teilnehmern dabei besonders gut. Auch konnten im Vortrag<br />
Vorurteile ausgeräumt werden, da der Umgang mit<br />
dem MetallPensionfonds genauso einfach ist wie der<br />
Durchführungsweg der Direktversicherung.
Vermögensaufbau durch fremdfinanzierten<br />
Immobilienerwerb: „Hebeleffekt“<br />
kann sich auszahlen<br />
Marco Mahling<br />
Versicherungsmakler und<br />
Finanzberater aus München<br />
Mit Immobilien als Kapitalanlage lassen sich hohe Renditen erzielen – wenn Sie als Anleger<br />
den Hebeleffekt nutzen. Das bedeutet: Sie finanzieren den Kaufpreis zu einem größeren Teil<br />
durch einen Bankkredit. So vervielfacht sich die Rendite immer dann, wenn die Mieteinnahmen<br />
über den Kreditkosten liegen. Aber Achtung: Kreditfinanzierte Anlagen sind immer riskant,<br />
weil sich der Zins nach Ablauf der Zinsbindung (zum Beispiel nach zehn, fünfzehn oder<br />
zwanzig Jahren) verändern kann.<br />
Hebelwirkung – was ist das?<br />
Unter der Hebelwirkung – auch bezeichnet als „Leverage-Effekt“<br />
– wird verstanden: Zur Steigerung der Eigenkapitalrendite<br />
wird Fremdkapital eingesetzt, um eine<br />
Investition zu finanzieren. Mit der Hebelwirkung aber<br />
haben wir erst dann zu tun, wenn ein Anleger Fremdkapital<br />
zu günstigeren Konditionen aufnimmt, als die Investition<br />
an Gesamtkapitalrentabilität erzielt. Es muss<br />
sich also für den Anleger rechnen.<br />
Die Berechnung der Eigenkapitalrendite<br />
Der Kaufpreis einer Wohnung beträgt 100.000 Euro.<br />
Die Finanzierungssumme beträgt 90.000 Euro.<br />
Aufgrund einer monatlichen Miete in Höhe von<br />
300 Euro werden jährlich 3.600 Euro Miete eingenommen.<br />
Jährliche Zinszahlung belaufen sich auf 1.500 Euro<br />
(=1,5 Prozent).<br />
Erzielen Sie mit Ihrem Objekt einen Jahresreinertrag<br />
von 3.600 Euro pro Jahr, ergibt sich bei einem Eigenkapitaleinsatz<br />
(ohne Kaufpreisnebenkosten) von 10.000 Euro<br />
eine Eigenkapitalrendite von 21 Prozent.<br />
Wenn Sie sich kein Geld leihen, sondern eine Immobilie<br />
zu 100 Prozent aus Eigenkapital finanzieren, sind die<br />
Objektrendite und die Eigenkapitalrendite identisch.<br />
Das ändert sich allerdings, sobald Sie Ihr Investment<br />
durch eine Immobilienfinanzierung hebeln. Die Formel<br />
für die Berechnung der Eigenkapitalrendite sieht dann<br />
wie folgt aus: (Siehe Baukasten)<br />
Veranschaulichen lässt sich diese Formel über ein Beispiel.<br />
Folgendes sei angenommen:<br />
Jährlicher Mietertrag minus jährliche<br />
Zinszahlungen = Jahresreinertrag<br />
Jahresreinertrag dividiert durch eingesetztes<br />
Kapital multipliziert mit 100 =<br />
Eigenkapitalrendite in Prozent<br />
22
Leverage-Effekt: Rendite nicht ohne Risiko<br />
Je niedriger das eingesetzte Eigenkapital ist, desto höher<br />
fällt generell die Eigenkapitalrendite aus. In der Betriebswirtschaftslehre<br />
spricht man vom sogenannten<br />
Leverage-Effekt: Indem mehr Fremdkapital aufgenommen<br />
wird, fällt die Rendite auf das Eigenkapital entsprechend<br />
höher aus. Nun mag es verlockend klingen,<br />
durch viel Fremdkapital die Eigenkapitalrendite zu hebeln.<br />
Aber auch Risiken der Fremdfinanzierung sollten<br />
für die Kalkulation berücksichtigt werden. Denn der<br />
Hebel kann ebenso ins Negative umkippen – etwa,<br />
wenn es zu Mietausfällen kommt und der Kreditzins die<br />
Rendite übersteigt.<br />
Kapitalanlagen im Renditevergleich: Absparen<br />
vs. Ansparen<br />
bedacht werden müssen. Nach einer Laufzeit von 25 Jahren<br />
ist das Darlehen getilgt und der Investor hat unter<br />
Berücksichtigung einer durchschnittlichen Wertsteigerung<br />
der Immobilie von 1,5 Prozent einen Vermögenswert<br />
von 290.189 Euro erwirtschaftet. Die monatliche<br />
Bruttomiete beträgt zu diesem Zeitpunkt 783 Euro, diese<br />
Einnahmen sind noch zu versteuern. Der Vermögenswert<br />
der Immobilie wächst jedoch nun während der<br />
Rentenphase noch weiter. Gleichzeitig stehen dem Investor<br />
steigende Mieterträge zur Verfügung. Unter diesen<br />
Bedingungen hat sich, nach weiteren 18 Jahren<br />
Laufzeit, der Vermögenswert auf 379.375 Euro<br />
und die monatlich zu erzielende Bruttomiete auf<br />
1.024 Euro erhöht.<br />
2.) Vermögensaufbau durch Ansparen<br />
1.) Vermögensaufbau durch Immobilienerwerb<br />
Trotz der Risiken kann sich der Vermögensaufbau<br />
durch fremdfinanzierten Immobilienerwerb gegenüber<br />
dem Ansparen von Vermögen lohnen. Das sei im Folgenden<br />
durch eine Modellrechnung verdeutlicht, die erzielte<br />
Vermögenswerte des „Absparens“ dem<br />
„Ansparen“ gegenüberstellt:<br />
Angenommen, die Investitionssumme von 200.000 Euro<br />
wird durch ein Bankdarlehen fremdfinanziert (Hebeleffekt)<br />
und die dadurch anfallenden Zins- und Tilgungsverpflichtungen<br />
werden im Wesentlichen durch<br />
die erwirtschafteten Mieteinnahmen der Immobilie gedeckt.<br />
Im ersten Jahr wird eine monatliche Bruttomiete<br />
von 540 Euro erzielt. Außerdem ergeben sich durch den<br />
Immobilienerwerb steuerliche Vorteile, welche die<br />
durchschnittliche monatliche Eigeninvestition noch<br />
deutlich reduzieren und ebenfalls für die Kalkulation<br />
Wie aber sieht die Bilanz des Vermögensaufbaus beim<br />
Ansparen des Vermögens aus? Trotz gleicher Eigenkapitaleinlage<br />
und gleichem monatlichem Aufwand steht<br />
dem Investor nach einer Laufzeit von 25 Jahren, unter<br />
Zugrundelegung einer Verzinsung seines Kapitals von<br />
3Prozentjährlich,lediglicheinVermögenswertvon<br />
132.092 Euro nach Abgeltungsteuer zur Verfügung. Im<br />
Gegensatz zur Immobilieninvestition erfährt der Vermögenswert<br />
jedoch keine weitere Wertsteigerung, sondern<br />
wird bei einer Kapitalentnahme, zum Beispiel in<br />
Form einer monatlichen Rente, in wenigen Jahren vollständig<br />
aufgebraucht. Im ersten Jahr der Rentenphase<br />
wird dem angesparten Kapitalwert von 132.092 Euro<br />
eine monatliche Rente von 783 Euro entnommen. Dieser<br />
Betrag entspricht der Nettomiete beim lmmobillienerwerb.<br />
Nimmt man nun bei Berechnung der<br />
Wertentwicklung an, dass die monatlichen Entnahmen<br />
konstant bleiben, wäre unter diesen Voraussetzungen<br />
der Vermögenswert des Sparvertrages innerhalb von<br />
ca. 18 Jahren vollständig verzehrt.<br />
23
Würden die monatlichen Entnahmen vielleicht sogar im<br />
gleichen Verhältnis steigen wie die Mieteinnahmen<br />
durch die Immobilie, wäre das angesparte Kapital bereits<br />
zwei Jahre früher aufgebraucht.<br />
Weitere Vorteile des Immobilienerwerbs:<br />
Aber auch weitere Faktoren sprechen dafür, den „Hebeleffekt“<br />
für einen Immobilienerwerb zu nutzen:<br />
▷ Eine Refinanzierung der Immobilie durch Mieteinnahmen<br />
und Steuervorteile wird möglich.<br />
▷ Eine Immobilieninvestition bietet echte Substanzwerte.<br />
▷ Das erwirtschaftete Vermögen sowie die zukünftigen<br />
Erträge sind vererbbar und verzehren sich<br />
nicht.<br />
▷ Die Vermietung der Immobilie sichert eine inflationsgeschützte<br />
Dauerrente.<br />
Zum Rentenbeginn können Sie aber auch zwischen<br />
zwei Möglichkeiten wählen: Entweder Sie verkaufen die<br />
Immobilie (der Gewinn ist nach 10 Jahren Haltedauer<br />
steuerfrei) oder Sie generieren aus den Mieteinnahmen<br />
eine (steuerpflichtige) Zusatzrente.<br />
Das Sachwertvermögen zum Rentenbeginn übersteigt i.<br />
d. R. das Ansparkapital.<br />
Ein Gastkommentar von Marco Mahling<br />
Foto: nzphotonz/iStockphoto.com
Megatrend Nachhaltigkeit: Vom<br />
magischen Kapitalanlage-Dreieck<br />
zum -Viereck<br />
Rudolf Geyer<br />
Sprecher der Geschäftsführung der<br />
European Bank for Financial<br />
Services GmbH (ebase®)<br />
Rudolf Geyer ist Sprecher der Geschäftsführung der European Bank for Financial Services<br />
GmbH (ebase®). Als eine der führenden B2B-Direktbanken in Deutschland verwaltet ebase<br />
ein Kundenvermögen von rund 34 Mrd. Euro. Finanzvertriebe, Versicherungen, Banken, Vermögensverwalter<br />
und andere Unternehmen nutzen für ihre Kunden die mandantenfähigen<br />
Lösungen von ebase für die Depot- und Kontoführung.<br />
Nachhaltige Geldanlagen sind auf dem<br />
Vormarsch<br />
Das Thema nachhaltige Geldanlage hat in den letzten<br />
Jahren deutlich an Relevanz gewonnen. Unter nachhaltigen<br />
Anlagen oder Social Responsible Investments (SRI)<br />
werden eine Reihe unterschiedlicher Investments subsumiert,<br />
bei denen besondere Rücksicht auf ökologische,<br />
soziale und ethische Kriterien sowie gute Unternehmensführung<br />
(Governance) genommen wird. Der Markt<br />
für nachhaltige Investments ist in den letzten Jahren<br />
stark gewachsen. Dabei wurde das Angebot ausgebaut.<br />
Und auch das Interesse auf Kundenseite ist deutlich gestiegen.<br />
Nach den Zahlen des Forums nachhaltige Geldanlage<br />
sind in Deutschland bereits knapp 220 Milliarden<br />
Euro in nachhaltige Anlagen investiert. Fast zwei Drittel<br />
davon entfallen auf Investmentfonds sowie Mandate.<br />
Das Magische Dreieck der Kapitalanlage<br />
entwickelt sich zum Viereck<br />
Infolge des wachsenden Interesses an nachhaltigen Kapitalanlagen<br />
verändert sich der Entscheidungsrahmen der<br />
Anleger zunehmend. Das „magische Dreieck“ der Kapitalanlage<br />
– Rendite, Risiko und Liquidität –, welches die<br />
Anlageentscheidungen seit langer Zeit bestimmt hat,<br />
wird zunehmend zu einem Viereck. Nachhaltigkeit ist<br />
bei zahlreichen Anlegern zur vierten Entscheidungsdimension<br />
geworden. Denn einer Vielzahl von Privatanlegern,<br />
aber auch Firmen und Stiftungen ist es wichtig,<br />
ihre Nachhaltigkeitsanforderungen auch bei der Kapitalanlage<br />
berücksichtigen zu können.<br />
Privatanleger haben großes Interesse, benötigen<br />
aber entsprechende Informationen<br />
Eine kürzlich von ebase durchgeführte repräsentative<br />
Befragung unter 1.000 Personen hat belegt, dass das Thema<br />
nachhaltige Kapitalanlage immer mehr in der Mitte<br />
der Gesellschaft ankommt. Knapp 40 Prozent der Deutschen<br />
sind der Meinung, dass nachhaltige Kapitalanlagen<br />
in den nächsten 12 Monaten weiter an Bedeutung<br />
gewinnen werden, nur deutlich weniger als zehn Prozent<br />
gehen davon aus, dass die Bedeutung eher zurückgeht.<br />
Dabei rechnen insbesondere Personen unter<br />
40 Jahren sowie solche mit hohen Einkommen mit einer<br />
25
zunehmenden Relevanz. Nachhaltigkeit gewinnt dabei<br />
nicht nur abstrakt an Bedeutung, sondern wird tatsächlich<br />
ein immer wichtigerer Faktor bei Anlageentscheidungen.<br />
Das zeigt sich daran, dass mehr als 50 Prozent<br />
der Deutschen entsprechende Kriterien bei zukünftigen<br />
Anlagen berücksichtigen wollen.<br />
Auf Basis dieser Zahlen wird das Potential nachhaltiger<br />
Geldanlagen deutlich. Damit dieses jedoch auch praktisch<br />
genutzt werden kann, müssen einige Hürden gemeistert<br />
werden. Ein wichtiger Grund, warum bisher<br />
nicht oder nur wenig in nachhaltige Anlagen investiert<br />
wurde, sind fehlende Informationen.<br />
So ist es Kunden vielfach<br />
nicht möglich, die Anlagen zu<br />
identifizieren, die ihrer Vorstellung<br />
von einem nachhaltigen Investment<br />
entsprechen. Um hier<br />
Abhilfe zu schaffen, bietet ebase<br />
die Möglichkeit, bei der Fondsauswahl<br />
unterschiedliche Nachhaltigkeitskriterien<br />
über einen<br />
speziellen Filter zu berücksichtigen.<br />
So kann gezielt nach Fonds<br />
gesucht werden, die den eigenen<br />
Nachhaltigkeitsanforderungen<br />
entsprechen, wie beispielsweise „frei von Tierversuchen“<br />
oder „frei von Atomenergie“.<br />
Entwicklung der Handelsaktivität bei nachhaltigen<br />
Fonds bestätigt großes Interesse<br />
Auch die Nachfrage nach nachhaltig anlegenden Fonds<br />
belegt die Bedeutung des Themas. So haben die ebase-<br />
Kunden in <strong>2019</strong> bisher deutlich mehr Anteile an Fonds<br />
gekauft, die unterschiedliche Nachhaltigkeitskriterien<br />
und -ansätze umsetzen, als im selben Zeitraum verkauft<br />
wurden. Dies untermauert, dass trotz der eher volatilen<br />
Marktphase zu Jahresbeginn das Interesse an nachhaltigen<br />
Kapitalanlagen sehr groß ist. Anders als noch vor einigen<br />
Jahren handelt es sich nicht mehr um ein<br />
Nischenthema, vielmehr ist es beim Großteil der Anleger<br />
in den Fokus gerückt.<br />
Auch Vermittler rechnen mit einer steigenden<br />
Nachfrage<br />
26<br />
Ein wichtiger Grund,<br />
warum bisher nicht<br />
oder nur wenig in<br />
nachhaltige Anlagen<br />
investiert wurde,<br />
sind fehlende Informationen.<br />
Die Ergebnisse einer im Juli von ebase durchgeführten<br />
Umfrage unter 129 Vermittlern bestätigen diesen Trend.<br />
Sie zeigen, dass auch seitens der Berater von einer weiter<br />
wachsenden Bedeutung des Themas Nachhaltigkeit ausgegangen<br />
wird. Mehr als 90 Prozent der Befragten gehen<br />
davon aus, dass die Bedeutung von nachhaltigen Anlagen<br />
im Privatkundengeschäft innerhalb der nächsten<br />
drei Jahre (stark) steigen wird. Nahezu niemand erwartet<br />
eine sinkende Relevanz.<br />
Zahlreiche Faktoren signalisieren weiteres<br />
Wachstum nachhaltiger Anlagen<br />
Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass<br />
eine Reihe von Gründen für eine weiterhin wachsende<br />
Bedeutung von nachhaltigen<br />
Geldanlagen spricht. Denn nicht<br />
nur das Interesse bei den Kunden<br />
nimmt stetig zu, auch seitens des<br />
Gesetzgebers wird nachhaltigen<br />
Anlagen zunehmend mehr Bedeutung<br />
eingeräumt. So haben<br />
sich beispielsweise die EU-Kommission<br />
und Experten in deren<br />
Auftrag intensiv damit befasst.<br />
Ergebnis ist, dass eine nachhaltige<br />
Unternehmenspolitik und Geschäftspraxis<br />
gefördert werden<br />
sollen. Dies wird unter anderem<br />
auch eine zunehmende Kapitalallokation in nachhaltigen<br />
Geldanlagen zur Folge haben. Speziell dem Kunden<br />
gegenüber soll zudem bei nachhaltigen Kapitalanlagen<br />
eine größere Transparenz geschaffen werden. Banken<br />
und Vermittlern kommt in diesem Zusammenhang im<br />
Rahmen der Anlageberatung eine zentrale Rolle zu. So<br />
soll in der Kundenanalyse gezielt auch auf Nachhaltigkeit<br />
eingegangen werden.<br />
Ein Gastkommentar von Rudolf Geyer
27
<strong>Versicherungsbote</strong>: „grün versichert“ ist ein Maklerhaus,<br />
das seinen Kundinnen und Kunden nachhaltige Versicherungen<br />
anbieten will. Können Sie sich kurz vorstellen?<br />
Seit wann sind Sie mit dem Schwerpunkt „grüne<br />
Versicherung“ am Markt? Und wie sind Sie aufgestellt?<br />
Andreas Maul: grün versichert wurde im Jahr 2014 als<br />
Versicherungsmakler gegründet. Und Anfang 2016 konnten<br />
wir bereits die nachhaltige Privathaftpflichtversicherung<br />
auf den Markt bringen. Mittlerweile gibt es für<br />
Privatkunden die gesamte relevante Produktpalette als<br />
„grün versichert“-Variante. Wir diskutieren nun Optionen,<br />
wie wir unseren Maklerstatus aufgeben können, um<br />
uns komplett der Entwicklung und weiteren Bekanntmachung<br />
von „grün versichert“-Tarifen zu widmen.<br />
Andreas Maul<br />
Geschäftsführer des<br />
Maklerhauses „grün versichert“<br />
Nachhaltige<br />
Versicherung –<br />
Die Kosten liegen<br />
leicht über konventionellen<br />
Tarifen<br />
Das Maklerhaus „grün versichert“ aus Hamm<br />
setzt auf nachhaltige Versicherungen: „Unsere<br />
Vision ist es, Kapitalströme aus schädlichen<br />
Industriezweigen in ökologische und<br />
nachhaltige umzuleiten“, heißt es auf der<br />
Webseite des Unternehmens. Der <strong>Versicherungsbote</strong><br />
hat mit Geschäftsführer Andreas<br />
Maul gesprochen.<br />
Wie kam es dazu, dass Sie sich auf „grün versichert“ spezialisiert<br />
haben? Und war es schwer, hierfür Kooperationspartner<br />
zu finden?<br />
Das Thema Nachhaltigkeit hat den Initiatoren von „grün<br />
versichert“ immer am Herzen gelegen. Genau aus diesem<br />
Grund kam – durch das Mangelempfinden, dass es bis<br />
dato keine nachhaltigen Sachversicherungslösungen im<br />
Markt gab – die Idee, sich diesem Thema zu widmen und<br />
für eine wachsende Zielgruppe ein transparentes Angebot<br />
zu schaffen.<br />
Aller Anfang ist schwer, dies galt natürlich auch beim<br />
ersten Schritt der Suche nach Risikoträgern für die „grün<br />
versichert“-Tarife. Heute sieht das anders aus, was uns<br />
natürlich freut – und unterstreicht, dass sich das Thema<br />
mittlerweile im Markt etabliert hat.<br />
Was bedeutet aus Ihrer Sicht „grün versichert“? Können<br />
Sie dieses „grün“ charakterisieren: Was zeichnet eine<br />
grüne Versicherung aus?<br />
Die „grün versichert“-Tarife unterscheiden sich in drei<br />
Punkten vom Großteil der anderen Tarife auf dem<br />
Markt. Erstens: Die Kunden erhalten bei Abschluss von<br />
„grün versichert“-Tarifen die Bestätigung, dass 100 Prozent<br />
des Nettobeitrags durch die Versicherer in nachhaltige<br />
Kapitalanlagen investiert werden. Zweitens: Kunden<br />
oder Geschädigte werden nach einem Schadensfall bei einem<br />
Großteil der Tarife mit einer Mehrleistung je nach<br />
Tarif von bis zu 60 Prozent belohnt, wenn auf nachhaltige<br />
Produkte oder nachhaltige Unternehmen zurückgegriffen<br />
wird. Drittens: Für jeden neuen Vertrag –<br />
unabhängig davon, wer ihn vermittelt hat – pflanzen wir<br />
über die WeForest Foundation einen Baum. So konnten
wir in relativ kurzer Zeit bereits mehr als 20.000 Bäume<br />
pflanzen.<br />
Viele Firmen geben sich einen grünen Anstrich, indem sie<br />
Greenwashing betreiben: Ein sehr kleiner Anteil der Gelder<br />
wird nachhaltig investiert oder produziert, um damit<br />
zu werben. Aber der Großteil wird noch immer mit Investments<br />
verdient, die zum Beispiel Menschenrechtsverletzungen,<br />
Kinderarbeit und Umweltzerstörung<br />
beinhalten. Können Sie dies für Ihre Produkte ausschließen<br />
bzw. welcher Anteil der Gelder fließt tatsächlich in<br />
nachhaltige Investments?<br />
Sie haben Recht: Für Kunden ist es schwierig, einzuschätzen,<br />
ob es sich wirklich um ein nachhaltiges Angebot handelt<br />
oder nicht. Bei den „grün versichert“-Tarifen haben<br />
sich die Risikoträger jedoch dazu verpflichtet, die Nettobeitragseinnahmen<br />
nachhaltig anzulegen. Und sie weisen<br />
uns dies nach.<br />
Können Sie Beispiele nennen, welche Projekte und Investments<br />
Sie mit Ihren Versicherungen unterstützen?<br />
Wohin fließt das Geld konkret?<br />
Beispielsweise in den Greenbond der DKB, mit dem der<br />
Aufbau von Windkraftanlagen finanziert wird. Oder in<br />
den grünen Pfandbrief der Berlin Hyp, mit dem die energetische<br />
Sanierung von Bestandsimmobilien finanziert<br />
wird, wodurch perspektivisch weniger CO2 in die Umwelt<br />
gelangt.<br />
…undwiekontrollierenSie,dassdieKunden-Geldertatsächlich<br />
grün investiert werden?<br />
Die Partner-Versicherer melden uns den aktuellen Vertragsstand<br />
sowie das Beitragsvolumen und weisen dann die<br />
getätigten Investitionen nach. Um Transparenz für die<br />
Kunden zu schaffen, veröffentlichen wir dann aggregiert<br />
auf unserer Webseite, wieviel Geld in welche Anlagen geflossen<br />
ist.<br />
Wirkt sich grünes Investment auf die Versicherungsprämie<br />
aus? Müssen die Versicherten etwas mehr zahlen als<br />
für „herkömmliche“ Policen?<br />
Die Kosten liegen leicht über den konventionelle Tarifen,<br />
da mehrheitlich in den Tarifen auch besondere Klauseln<br />
mit versichert sind, die im Schadenfall zu einer Mehrleistung<br />
führen.
Sie kooperieren auch mit anderen Maklern, welche grüne<br />
Versicherungen anbieten wollen. Wie sehen diese Kooperationen<br />
aus – und wie kann ein Makler mit Ihnen<br />
zusammenarbeiten?<br />
Für Makler ist es ganz einfach, „grün versichert“-Tarife<br />
an ihre Kunden zu vermitteln, ohne dass hierfür eine Kooperation<br />
mit uns erforderlich ist. Wir sind Lizenzgeber,<br />
die mit uns kooperierenden Versicherer<br />
Lizenznehmer. Und wir<br />
haben kein Vertragsverhältnis<br />
mit den Maklern. Durch dieses<br />
Konstrukt wird ein schlanker<br />
Prozess gewährleistet. Und es ist<br />
sichergestellt, dass wir keinerlei<br />
Zugang zu Kundendaten erhalten.<br />
Als Makler kann man einfach<br />
seine Direktanbindung an den jeweiligen<br />
Versicherer nutzen oder<br />
kann über einen Maklerpool die<br />
Anträge einreichen. Die „grün<br />
versichert“-Tarife sind bei allen relevanten Pools unter<br />
unserem Namen und Logo zu finden.<br />
Wer sind Ihre Kundinnen und Kunden? Lässt sich eine<br />
gewisse Zielgruppe identifizieren, die bevorzugt bei Ihnen<br />
abschließt?<br />
Da die Themen soziale Verantwortung und Nachhaltigkeit<br />
in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, sind<br />
nachhaltige Versicherungslösungen grundsätzlich für jeden<br />
Kunden interessant. Es haben sich allerdings zwei<br />
Kundengruppen herauskristallisiert, die besonders affin<br />
für dieses Thema sind: Junge Erwachsene nach der Ausbildung<br />
oder dem Studium, die ihre ersten Versicherungen<br />
benötigen. Und überdurchschnittlich gut gebildete<br />
Paare und Familien mit einem überdurchschnittlich hohen<br />
Einkommen, im Alter zwischen 30 und 45 Jahre.<br />
Langsam setzt in der Branche ein Umdenken ein: Die<br />
Allianz will bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden, ein<br />
Teil der Gelder wird nach „Environment Social Governance“-Kriterien<br />
angelegt. Allerdings ist das auch eine<br />
sehr lange Zeit. Macht aus Ihrer Sicht die Versicherungsbranche<br />
genug, um nachhaltig zu wirken?<br />
30<br />
Es ist bemerkenswert<br />
und bewundernswert,<br />
mit<br />
welcher Ausdauer<br />
die Schüler sich für<br />
das Thema Nachhaltigkeit<br />
einsetzen.<br />
Meiner Meinung nach ja. Dass sich die Allianz grundsätzlich<br />
mit dem Thema befasst, ist ein erster guter Ansatz.<br />
Der Zeithorizont bis 2050 ist allerdings zu lang – hier<br />
wird wertvolle Zeit verschenkt. Neben der Allianz befassen<br />
sich auch weitere Versicherer mit dem Thema. Allerdings<br />
gehen nur die wenigsten aus der outside-in-Perspektive<br />
wirklich konsequent hier heran. Die Versicherer<br />
könnten auf Öko-Strom setzen, Emissionen der Dienstreisen<br />
und des Geschäftsbetriebs ausgleichen oder einfach<br />
wie wir für jeden neuen Antrag einen Baum<br />
Pflanzen.<br />
„Fridays for future“ bestimmt aktuell<br />
die Debatten, eine Klimasteuer<br />
wird in Deutschland<br />
diskutiert. Wie positionieren Sie<br />
sich selbst zu den Schülerprotesten<br />
bzw. einer Besteuerung des<br />
Klimas?<br />
Es ist bemerkenswert und bewundernswert,<br />
mit welcher Ausdauer<br />
die Schüler sich für das<br />
Thema Nachhaltigkeit einsetzen.<br />
Dies ist ein weiterer Beleg dafür,<br />
dass große Teile der jüngeren Generation, die auf absehbarer<br />
Zeit für Versicherer und Makler als Kunden interessant<br />
werden, konsequent auf Nachhaltigkeit achten.<br />
Versicherungsmakler sind viel mit dem Auto unterwegs,<br />
reisen viel und sind unterwegs zu ihren Kunden. Entsprechend<br />
fällt der ökologische Fußabdruck schon berufsbedingt<br />
nicht so positiv aus. Haben Sie Tipps, wie Makler<br />
ihr Büro umweltfreundlich(er) gestalten können?<br />
Jeder hat die Möglichkeit, mit relativ wenig Aufwand<br />
seinen Arbeitsbereich und Arbeitsalltag nachhaltiger<br />
zu gestalten. Es ist beispielsweise ein Leichtes, zu einem<br />
Ökostromanbieter zu wechseln, um so CO2-Emissionen<br />
aus Kohlestrom zu vermeiden. Unvermeidliche CO2-<br />
Emissionen, die durch Fahrten zum Kunden oder durch<br />
den Geschäftsbetrieb anfallen, können ganz einfach<br />
über Anbieter wie beispielsweise Atmosfair ausgeglichen<br />
werden.<br />
Das Interview mit Andreas Maul<br />
führte Mirko Wenig
Niederlande: Die Rente gibt’s als Cappuccino<br />
Autor: Sven Wenig<br />
Die jüngste Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen<br />
Bundesamts (Destatis) machte es anschaulich: Die<br />
Alterung der Gesellschaft lässt sich nicht aufhalten. Auf 53<br />
Prozent der Gesamtbevölkerung könnte bis 2060 der Anteil<br />
der Menschen im erwerbstätigen Alter schrumpfen.<br />
Hingegen wächst der Anteil der Menschen im Rentenalter<br />
auf 30 Prozent. Für die umlagefinanzierte gesetzliche<br />
Rentenversicherung (GRV) bedeuten solche Zahlen: Beiträge<br />
werden steigen, das Rentenniveau hingegen wird<br />
sinken. Altersarmut droht großen Teilen der Bevölkerung.<br />
Eine demografische Krise.<br />
Nachbar Niederlande: Erstaunlich immun<br />
trotz alternder Gesellschaft<br />
Reformen des deutschen Rentensystems sind demnach<br />
dringend geboten. Wie aber dem einstigen Erfolgsmodell<br />
mit seinem „Generationenvertrag“ auf die Beine helfen?<br />
Für Lösungen wird immer häufiger ein Blick zu einem<br />
Nachbarland empfohlen. Dieses besitzt nicht nur ein äußerst<br />
leistungsfähiges, sondern auch nachhaltiges Rentensystem<br />
und scheint besser auf die demografische<br />
Entwicklung eingestellt. Zudem verheißt das Rentensystem,<br />
statt einer bitteren Leistungs-Entzugskur, ein<br />
„Cappuccino-Modell“. Zur Verheißung wird immer mehr<br />
das Rentensystem der Niederlande.<br />
Lob des niederländischen Rentensystems scheint mittlerweile<br />
Konsens – sowohl arbeitnehmernahe Akteure wie<br />
die Gewerkschaft Ver.di als auch die arbeitgebernahe<br />
Lobby-Organisation INSM empfehlen Reformen, die sich<br />
daran orientieren. Im Melbourne Mercer Global Pension<br />
Index, einem Ranking weltweiter Rentensysteme, steht<br />
das niederländische Rentensystem in 2018 auf Rang eins.<br />
Grund genug für den „<strong>Versicherungsbote</strong>n“, einmal genauer<br />
zum europäischen Nachbarn zu schauen.<br />
Das „Cappuccino-Modell“ der Niederlande<br />
Folgendermaßen erklären die Niederländer anhand einer<br />
beliebten Kaffee-Spezialität ihr Rentensystem: Grundlage<br />
und damit „Kaffee“ ist die obligatorische staatliche Alterssicherung<br />
AOW, die „Algemene Ouderdomswet“. Diese<br />
sichert jedem, der länger als ein Jahr in den Niederlanden<br />
wohnte, Teilansprüche einer Mindestrente. Hat ein Rentner<br />
nach 50 Jahren das volle Anrecht auf diese staatliche<br />
Alterssicherung erworben, erhält er etwa 70 Prozent des<br />
Mindestlohns als monatliche Rente ausgezahlt. Freilich<br />
aber: Im Sinne des Sprachbildes empfiehlt es sich keineswegs,<br />
den Kaffee schwarz zu trinken. Die Milch im Renten-Rezept<br />
der Niederländer entstammt den Betriebsrenten,<br />
die eine weite Verbreitung erfahren. Damit aber<br />
das Rezept endgültig gelingen darf, fehlt auf dem „Renten-Cappuccino“<br />
noch das Sahnehäubchen all jener privaten<br />
und kapitalgedeckten Vorsorgeprodukte, die nicht in<br />
den Bereich der Betriebsrenten gehören.<br />
Die staatliche Alterssicherung AOW<br />
Könnte man nach Aufzählung dieser Bestandteile – einem<br />
Mix aus staatlicher Rente, Betriebsrente und privaten<br />
Vorsorgeprodukten – noch durchaus Gemeinsamkeiten<br />
mit dem deutschen Rentensystem sehen, offenbaren sich<br />
31
auf dem zweiten Blick Unterschiede. Anders nämlich als<br />
Deutsche betrachten es die Niederlande nicht als Aufgabe<br />
des Staates, durch Rentenzahlungen ein gewisses Niveau<br />
des vorherigen Verdiensts zu sichern. Demnach wird die<br />
Rentenhöhe, anders als in Deutschland, auch nicht von einem<br />
bestimmten Prozentsatz des früheren Arbeitseinkommens<br />
sowie von eingezahlten Beiträgen abhängig<br />
gemacht, sondern von der Versicherungszeit. Grundbedingung<br />
für AOW-Ansprüche ist einzig der Wohnsitz in<br />
den Niederlanden für länger als ein Jahr.<br />
Für jedes Jahr baut man zwei Prozent des Anspruchs für<br />
den vollen Leistungsbetrag auf. Nach 50 Jahren erreicht<br />
man 100 Prozent des Renten-Anspruchs. Bei geringerer<br />
Versicherungszeit werden hingegen entsprechende Prozente<br />
abgezogen (pro Jahr fehlen dann zwei Prozent der<br />
vollen Rente). Hat jemand über seinen Wohnsitz Rentenansprüche<br />
erworben, erhält er eine AOW-Rente, sobald<br />
er das AOW-Eintrittsalter überschritten hat – sogar,<br />
wenn er im Ausland lebt. Ein früherer Bezug der Rente ist<br />
hingegen ausgeschlossen.<br />
Lange lag das AOW-Eintrittsalter bei 65 Jahren. Da jedoch<br />
auch die Niederlande den demografischen Wandel<br />
zu spüren bekommen, wird dieses Alter schrittweise angehoben.<br />
In 2018 lag es bei 66 Jahren, wird im Jahr 2023<br />
bei 67 Jahren und drei Monaten liegen.<br />
Nach Überschreiten der Altersgrenze wird die Leistung<br />
bedingungslos gezahlt, das heißt: ohne Bedürftigkeitsprüfung.<br />
Jeder erhält die gleiche Leistung. Unterschiede gibt<br />
es nur nach der Form des Zusammenlebens. Die Webseite<br />
des für die AOW-Leistung verantwortlichen Sozialversicherungsträgers<br />
– zuständig ist die Sociale Verzekeringsbank<br />
(SVB) – benennt für eine alleinstehende Person<br />
derzeit eine Bruttorente in Höhe von 1.228,22 Euro und<br />
eine Nettorente in Höhe von 1.158,22. Müssen doch auf die<br />
Bruttorente noch Krankenbeiträge nach dem niederländischen<br />
Krankenversicherungsgesetz (Zvw) gezahlt werden.<br />
Bei Paaren sinkt der Rentenbetrag. Pro Person besteht<br />
hier Anspruch auf 795,69 Euro netto, falls beide Partner<br />
schon das Rentenalter erreicht haben.<br />
Finanziert wird die AOW-Leistung einzig durch Beiträge<br />
von Arbeitnehmern und Selbstständigen. Arbeitgeber<br />
werden hingegen nicht beteiligt. Fällt die Rente zu gering<br />
aus, zum Beispiel aufgrund zu kurzer Versicherungszeiten,<br />
kann eine zusätzliche Sozialleistung beantragt werden.<br />
Sozialhilfe in den Niederlanden liegt jedoch<br />
unterhalb des AOW-Rentenniveaus, wird zudem steuerfinanziert.<br />
Sowohl Systeme der Sozialhilfe als auch die<br />
Hinterbliebenenversorgung (nach Art der deutschen<br />
Witwen- oder Waisenrente) sind in den Niederlanden<br />
strikt vom AOW-Rentensystem getrennt.<br />
32<br />
Der „Milchschaum“ aus dem Cappuccino-<br />
System: die betriebliche Altersvorsorge<br />
Betrachtet man die umlagefinanzierte AOW-Rente für<br />
sich, will das Rezept wenig munden. „Dünner Kaffee“ wäre<br />
dann wohl, im Sinne des Sprachbilds, vorgesetzt. Denn<br />
zwar wird die Rente bedingungslos gezahlt. Sie sichert jedoch<br />
nur ein geringes Versorgungsniveau, das vergleichbar<br />
ist mit der Grundsicherung in Deutschland. Das Geheimnis<br />
des niederländischen Erfolgs jedoch liegt am zweiten<br />
Bestandteil – bildlich gesprochen an einer großen Menge<br />
Milchschaum. Denn weit verbreiteter als in Deutschland<br />
ist in den Niederlanden die betriebliche Altersvorsorge.<br />
Sogar das Versorgungsniveau von Beamten und Angestellten<br />
des Öffentlichen Dienstes wird jenseits der AOW-<br />
-Leistung durch einen 1996 privatisierten Pensionsfonds<br />
abgesichert, dem „Stichting Pensioenfonds ABP“. Hingegen<br />
existiert in den Niederlanden keine den deutschen Beamtenpensionen<br />
vergleichbare Leistung durch den Staat.<br />
Zahlen und Fakten für die kapitalgedeckte betriebliche<br />
Altersvorsorge der Niederlande liefert ein Papier des<br />
Mannheimer Zentrums für europäische Sozialforschung.<br />
So schuf sich der niederländische Staat durch zwei Gesetze<br />
–das„Wetverplichtedeelnemingineenbedrijfspensioenfonds“<br />
(BPF) aus dem Jahre 1949 sowie das „Pensioen-en<br />
Spaarfondsenwet“ (PSW) aus dem Jahr 1954 – die Möglichkeit,<br />
für einzelne Branchen die Teilnahme an einem Branchenfonds<br />
allgemeinverbindlich vorzuschreiben. Auch für<br />
Unternehmenspensionsfonds als gleichfalls wichtige Akteure<br />
der betrieblichen Altersvorsorge sichert der gesetzliche<br />
Rahmen eine weite Verbreitung der Betriebsrenten.<br />
Denn Bedingungen für Betriebsrenten handeln in den<br />
Niederlanden die Tarifpartner aus, Betriebsrenten werden<br />
integraler Bestandteil der Tarifverträge. Die Tarifverträge<br />
erfassen wiederum viele Beschäftigte und Beschäftigungsgruppen.<br />
Obwohl demnach kein allgemeingültiges Gesetz<br />
existiert, das den Arbeitnehmern eine Teilnahme an der<br />
betrieblichen Altersvorsorge vorschreibt, verfügen mehr<br />
als 91 Prozent der aktiven Arbeitnehmer und 50 Prozent<br />
der Rentner über eine Zusatzrentenregelung bzw. beziehen<br />
eine Betriebsrente. Sie sind in den Niederlanden ein<br />
gängiger Bestandteil des Lohnes geworden.<br />
Die Beiträge beziehungsweise Prämien werden durch Arbeitgeber<br />
und Arbeitnehmer gemeinsam geschultert. Weil<br />
die Vorsorgeeinrichtungen nicht gewinnorientiert arbeiten,<br />
sie zudem wesentlich von Skaleneffekten profitieren,<br />
werden Kosten niedrig gehalten. Die Pensionspläne sind<br />
überwiegend leistungsorientiert und garantieren demnach<br />
einen bestimmten Prozentsatz des durchschnittlichen<br />
Lohns (z.B. 70 Prozent) als Rente.
Sowohl „Unternehmenspensionsfonds“ als auch "obligatorische<br />
Betriebs- und Branchenpensionsfonds“ dominieren<br />
als wichtigste Akteure, wie Zahlen (wenngleich mit Stand<br />
für Beginn des 21. Jahrhunderts) zeigen. Der Begriff der<br />
„Unternehmenspensionsfonds“ darf jedoch nicht falsch interpretiert<br />
werden. Handeln die Fonds doch finanziell und<br />
rechtlich von den Unternehmen getrennt. Die Statistik offenbart<br />
für die zwei wichtigsten Typen ein widersprüchliches<br />
Verhältnis: Wenngleich nämlich 88,6 Prozent der<br />
Fonds Unternehmenspensionsfonds sind, haben diese nur<br />
15,6 Prozent der Mitglieder. Hingegen<br />
stellen die obligatorischen<br />
Betriebs- und Branchenpensionsfonds<br />
nur 7,4 Prozent aller<br />
Fonds, haben jedoch<br />
78,6 Prozent aller Mitglieder. Der<br />
größte Teil der Niederländer ist<br />
demnach über „obligatorische Betriebs-<br />
und Branchenfonds“<br />
versichert.<br />
Einer der Fonds ist ein wahrer<br />
Riese: Der bis 1996 öffentlichrechtliche<br />
und nun als private<br />
Stiftung agierende Pensionsfonds<br />
ABP zählt mit einem Anlagevolumen von aktuell 431<br />
Milliarden Euro laut Private Banking Magazin zu den<br />
drei größten Pensionseinrichtungen auf dem Erdball.<br />
Das „Sahnehäubchen“ als Problem: Die geringe<br />
Bedeutung der privaten Altersvorsorge<br />
Welche Bedeutung aber spielt das Sahnehäubchen für den<br />
Renten-Cappuccino der Niederländer? Sprich: Welche<br />
Bedeutung haben zusätzliche Produkte der kapitalgedeckten<br />
privaten Vorsorge jenseits der Betriebsrenten?<br />
Den Vermittlern in Deutschland sei kundgetan: Zumindest<br />
für die Branche bietet das „Cappuccino-Modell“ alles<br />
andere als eine attraktive Alternative. Zwar sind zusätzliche<br />
Marktsegmente der privaten Altersvorsorge in den<br />
Niederlanden äußerst wichtig für Selbstständige. Jedoch:<br />
Ansonsten hat die private Altersvorsorge jenseits der Betriebsrenten<br />
„keine große Bedeutung“, wie ein Beitrag der<br />
Bundeszentrale für politische Bildung eher vorsichtig<br />
pointiert. Das hat seinen Grund. Denn niederländische<br />
Betriebsrenten beinhalten häufig auch einen Versicherungsschutz<br />
gegen die Folgen von Tod, Alter und Invalidität.<br />
Somit brechen schon aufgrund des übermächtigen<br />
Konkurrenten wichtige Marktsegmente weg. Die kapitalgedeckt<br />
finanzierte Betriebsrente lässt anderen kapitalgedeckten<br />
Vorsorgeelementen nur wenig Raum.<br />
Welche Bedeutung<br />
haben zusätzliche<br />
Produkte der kapitalgedeckten<br />
privaten<br />
Vorsorge<br />
jenseits der<br />
Betriebsrenten?<br />
Das „Cappuccino-Modell“ als richtige<br />
Medizin für Deutschland?<br />
Vielleicht erscheint es aus dieser Sicht beruhigend für die<br />
Branche, dass in Deutschland kaum eine Übernahme des<br />
niederländischen Vorsorgemodells auf kurze Frist vorstellbar<br />
ist. Denn zum einen müssten die Beamtenpensionen<br />
komplett abgeschafft werden. Ein solcher Schritt<br />
dürfte jedoch auf großen politischen Widerstand stoßen.<br />
Zum Zweiten müsste das Prinzip der Teilhabeäquivalenz<br />
komplett abgeschafft und auf eine<br />
bedingungslose Grundrente ohne<br />
Bedarfsprüfung umgestellt werden.<br />
Beides aber ist durch die<br />
deutsche Regierung derzeit nicht<br />
geplant und ließe sich auch nur<br />
über mehrere Generationen hinweg<br />
umsetzen. Selbst der Plan einer<br />
so genannten „Respekt-<br />
Rente“ von Hubertus Heil beruht<br />
wesentlich auf dem Prinzip der<br />
Teilhabeäquivalenz und belohnt<br />
mit der Lebensleistung eine lange<br />
Beitragszahlung – wenngleich mit<br />
Verzicht auf eine Bedarfsprüfung.<br />
Hinzu kommt: Der niederländische Staat kann sich auch<br />
deswegen über die Immunität seines Rentenmodells freuen,<br />
weil alle Anpassungslasten des demografischen Wandels<br />
in den Niederlanden über leistungsfähige<br />
kapitalgedeckte Vorsorgesysteme aufgefangen werden.<br />
Auf diesen Aspekt weist eine Studie des Instituts der<br />
deutschen Wirtschaft Köln (iW) hin. Die Leistungsfähigkeit<br />
verdankt sich jedoch auch einer langen Existenz unter<br />
günstigen Bedingungen – der größte niederländische<br />
Fonds ABP existiert zum Beispiel schon seit 1922 und profitierte<br />
in den Zeiten nach dem Zweiten Weltkrieg wesentlich<br />
von seiner Mitgliederstruktur. Deutschland<br />
jedoch müsste erst vergleichbare Systeme schaffen – und<br />
zwar zu Bedingungen, die sofort eine Belastung durch den<br />
demografischen Wandel mit sich bringen. Derartige Probleme<br />
lassen fragwürdig erscheinen, ob der niederländische<br />
Cappuccino tatsächlich als schnelle Medizin für<br />
Deutschland geeignet ist.<br />
Ein Kommentar von Sven Wenig<br />
33
Altersvorsorge<br />
planbarer machen<br />
Dr. Andreas Steinert,<br />
Head of 3rd Party Distributors bei<br />
Amundi Deutschland<br />
Die Unsicherheit einer immer älter werdenden Bevölkerung wächst: Rentenreformen, dauerhaft<br />
niedrige Zinsen und volatile Märkte machen es nicht leicht, für die eigene Alterssicherung<br />
zu planen. Sollen zukünftige Einnahmelücken nachhaltig geschlossen werden, müssen Asset-<br />
Manager, Berater und Anleger umdenken. Ein Gastkommentar von Dr. Andreas Steinert, Leiter<br />
des Drittvertriebs bei Amundi Deutschland.<br />
Wenn es um die Alterssicherung geht, verweisen wir in<br />
Deutschland gern auf unser System der drei Säulen: Gesetzliche<br />
Rente, Betriebsrente plus private Vorsorge.<br />
Aber der demografische Wandel lässt Säule Nummer<br />
eins schwächer werden: Die Zahl der 65-Jährigen und<br />
Älteren wird rasant ansteigen, weil nach 2020 die geburtenstarken<br />
Jahrgänge in dieses Alter kommen. Ist heute<br />
ungefähr einer von fünf Deutschen im Rentenalter, so<br />
wird im Jahr 2060 jeder Dritte mindestens 65 Jahre alt<br />
sein – und jeder Siebte sogar 80 Jahre oder älter.<br />
Die zweite Säule hat der Gesetzgeber im Januar dieses<br />
Jahres durch das Betriebsrentenstärkungsgesetz<br />
gefestigt. Hier<br />
gibt es zahlreiche Anregungen<br />
für die Verbesserung der Vorsorge,<br />
aber es fehlt bisher noch an<br />
der Umsetzung. Mehr denn je<br />
muss also die private Initiative,<br />
die Säule drei, stabil und belastbar<br />
sein. Es gilt, die Lücke, die<br />
aus der Addition der Säulen eins<br />
und zwei im Verhältnis zum Geldbedarf im Rentenalter<br />
entsteht, zu schließen. Und dann gibt es die große Zahl<br />
derer, die nicht bis zum Alter von 67 Jahren warten<br />
möchten, bevor sie dem Arbeitsmarkt Lebewohl sagen.<br />
34<br />
Rechtzeitige, zielgenaue<br />
Planung gewinnt<br />
immer stärker<br />
an Bedeutung.<br />
Auch hier entsteht, zumindest temporär, eine Lücke, die<br />
geschlossen werden muss. Welches Modell dem Einzelnen<br />
auch vorschwebt: Rechtzeitige, zielgenaue Planung<br />
gewinnt immer stärker an Bedeutung.<br />
Veränderte Bedürfnisse erfordern spezielle<br />
Investmentmodelle<br />
Bis vor zehn Jahren boten Spareinlagen und festverzinsliche<br />
Papiere Anlegern ein gewisses Gefühl von Sicherheit.<br />
Heute sind weltweit rund 13 Billionen US-Dollar<br />
in Staatsanleihen mit Minuszinsen angelegt. Und auch<br />
Investments mit geringfügiger<br />
Verzinsung bringen unter Berücksichtigung<br />
der Inflation<br />
häufig keine oder sogar negative<br />
Erträge. Wer im Rentenalter mit<br />
regelmäßigen Zuflüssen rechnen<br />
will, muss umdenken. Das heißt<br />
auch, auf vermeintliche Sicherheiten<br />
zu verzichten und Aktien<br />
sowie andere Werte in seine Anlagen<br />
zu mischen. Ziel sollte es sein, ein nachhaltiges<br />
Einkommen mit höheren Ertragsmöglichkeiten als bei<br />
Anleihen und dabei idealerweise mit weniger Volatilität<br />
als bei Aktien zu bekommen.
Aus der großen Familie der Mischfonds eignen sich einkommensorientierte<br />
Fonds mit festen Ausschüttungen,<br />
sogenannte Target Income, besonders gut dafür, dieses<br />
Ziel zu erreichen. In diesen Fonds investieren Portfoliomanager<br />
die ihnen anvertrauten<br />
Gelder auf der Aktienseite idealerweise<br />
in Unternehmen mit einer<br />
überdurchschnittlichen Dividendenrendite;<br />
bei Anleihen<br />
wählen sie ertragsstarke Titel.<br />
Für zusätzliche Erträge können<br />
beispielsweise auf Teile des Portfolios<br />
Optionsstrategien angewandt<br />
werden. Statt nur<br />
begrenzt auf Deutschland oder<br />
Europa zu blicken, eröffnet diese<br />
Anlageform durch Investments in weltweite Assets den<br />
Anlegern auch wichtige Wachstumsmärkte. Eine Risikoreduktion<br />
kann etwa durch eine Beimischung verschiedener<br />
Währungen erfolgen – ein Instrument,<br />
welches noch häufig unterschätzt wird.<br />
In einem Marktumfeld, wie wir es derzeit erleben, in<br />
dem sich Aktienmärkte höchstens leicht positiv entwickeln,<br />
aber große Hypes nicht zu erwarten sind, können<br />
die Manager innerhalb solcher Fonds auch die unterschiedlichen<br />
Phasen des Konjunkturzyklus verschiedener<br />
Länder ausnutzen. So können sie beispielsweise die<br />
Vorteile, die sich aus der Sonderkonjunktur in den USA<br />
–bedingtdurchdieSteuerreform–ergeben,nutzen,indem<br />
sie US-Aktien europäischen Engagements gegenüberstellen.<br />
Abgerundet wird die Anlagestrategie durch<br />
Absicherungsinstrumente und die genaue Abstimmung<br />
der Assets aufeinander. Unterstützt durch ein intensives<br />
Risikomanagement über das gesamte Investment erzielen<br />
einkommensorientierte Fonds ihre regelmäßigen<br />
Erträge durch Kupons, Dividenden und Optionsprämien.<br />
Wichtiger als die Erwirtschaftung von Erträgen<br />
durch Kurssteigerungen ist dabei, für die Anleger verlässlich<br />
planbare Ausschüttungen zu erwirtschaften.<br />
Lebenszyklus soll Anlagestrategie und Auszahlungsmodus<br />
bestimmen<br />
Bis vor zehn Jahren<br />
boten Spareinlagen<br />
und festverzinsliche<br />
Papiere Anlegern<br />
ein gewisses Gefühl<br />
von Sicherheit.<br />
Der Wunsch nach mehr Planungssicherheit für die private<br />
Altersvorsorge ist groß. Hier gibt es noch Handlungsbedarf,<br />
den führende Vermögensverwalter<br />
erkannt haben. Sie arbeiten daran, zukünftig passende<br />
Lösungen anbieten zu können. Denkbar ist ein Baukastenmodell<br />
mit unterschiedlichen Ausschüttungsvarianten<br />
und wechselnden Anlagestrategien. So wird es bald<br />
Fonds geben, die monatlich einen bestimmten festen<br />
Betrag ausschütten – sofort oder ab einem definierten<br />
Zeitpunkt. Auch die Risikoprofile können bald flexibel<br />
auf die unterschiedlichen Lebensphasen<br />
abgestimmt werden.<br />
Das ergibt Sinn, denn ein 40-jähriger<br />
Anleger kann stärker auf<br />
Aktien setzen, weil er bis zur<br />
Rente noch viel Zeit hat. Eine<br />
Investorin, die in fünf Jahren regelmäßig<br />
planbare Auszahlungen<br />
haben möchte, muss da<br />
konservativer sein.<br />
Ein weiteres Zukunftsthema in<br />
diesem Zusammenhang ist der<br />
geplante Vermögensverzehr, auch Entsparen genannt.<br />
Eine solche Lösung ist dann geeignet, wenn der regelmäßige<br />
Geldbedarf höher ist, als er mit der Erhaltung<br />
des Kapitals sein kann oder das Restkapital nicht vererbt<br />
werden soll.<br />
Die Herausforderung und die Verantwortung für die<br />
Asset-Manager sind groß, die dritte Säule der Alterssicherung<br />
stabiler, bedarfsorientierter und verlässlicher<br />
zu machen. Neben der Schaffung der passenden Produkte<br />
plant Amundi auch in Deutschland, Berater zukünftig<br />
intensiv für diese wichtige Aufgabe zu schulen. So ausgerüstet,<br />
können diese dabei helfen, das große Thema<br />
Vorsorge für viele Menschen planbarer zu machen.<br />
Ein Gastkommentar von Dr. Andreas Steinert<br />
35
Advertorial<br />
Altersvorsorge: Bitte Renditechancen mit etwas Garantie<br />
Bernhard Rapp<br />
Direktor Marketing und Produktmanagement,<br />
stellvertretender<br />
Niederlassungsleiter<br />
Canada Life Deutschland<br />
Bei der Rente setzen die Menschen in Deutschland immer<br />
noch gerne auf Garantien. Damit Altersvorsorge aber<br />
heute erfolgreich sein kann, braucht sie gleichzeitig Renditechancen.<br />
Gut, wenn ein Produkt beides bieten kann,<br />
wie die Generation-Tarife von Canada Life.<br />
Rendite ist grundlegend für eine erfolgreiche Altersvorsorge.<br />
Doch im heutigen Niedrigzinsumfeld ist es nicht<br />
mehr mit klassischen Sparprodukten getan, wenn man<br />
sein Geld nicht nur parken möchte. Zinsen? Fehlanzeige.<br />
Das Niedrigzinsumfeld hält voraussichtlich weiter an. Für<br />
eine vernünftige Altersvorsorge kommen aber nur Produkte<br />
in Frage, die renditeorientiert investieren. Daher<br />
zählt mehr und mehr die Investmentkompetenz, wenn es<br />
um die Altersvorsorge geht.<br />
Aktien schaffen Renditechancen<br />
Hier sind und bleiben Aktien als Anlageform die erste<br />
Wahl. Immer mehr Menschen begreifen, dass in Aktien<br />
anzulegen nicht automatisch Risiko bedeutet. Gerade<br />
über längere Zeiträume wie bei der Altersvorsorge stellen<br />
Aktien eine besonders geeignete Anlageklasse dar: Kurzfristige<br />
Verluste werden so ausgeglichen. Zudem profitieren<br />
die Kunden in Phasen schwacher Märkte sogar von<br />
günstigen Preisen am Aktienmarkt und nehmen diesen<br />
Vorteil in die nächste Hochphase mit. Wer die Renditestärke<br />
von Aktien mit den Vorteilen einer Rentenversicherung<br />
kombinieren möchte, wählt am besten eine<br />
Fondspolice.<br />
36<br />
Garantien: So viel wie nötig<br />
Wer dennoch auf Nummer sichergehen will, wählt eine<br />
Fondspolice, die Garantien bereithält. Doch Garantien<br />
kosten bares Geld. Und das wiederum schlägt sich auf die<br />
Rendite nieder. Daher sollte man bei der Produktwahl<br />
darauf achten, dass die Garantie dann greift, wenn sie benötigt<br />
wird!<br />
UWP – Renditechancen treffen Sicherheit<br />
Dass dies ein erfolgreiches Modell sein kann, beweisen die<br />
Generation-Tarife von Canada Life: Bei ihnen entscheiden<br />
sich Kunden für den UWP-Fonds, wenn sie Wert auf<br />
Garantien legen. Die Garantien sind endfällig gestaltet,<br />
das heißt, sie greifen erst zum Rentenbeginn. Genau<br />
dann, wenn Kunden Sicherheit brauchen. So müssen<br />
Kunden keine Bedenken haben, dass sie ihr Erspartes bei<br />
Kurseinbrüchen aufs Spiel setzen.<br />
Denn laufen die Börsen gut, erhalten Versicherte den tatsächlichen<br />
Wert des Mischfonds. Alternativ sichert ein<br />
jährlich deklarierter geglätteter Wertzuwachs den Kunden<br />
zum Rentenbeginn ab und lässt das Rentenvermögen<br />
gleichmäßig ansteigen – aktuell um starke 2,1 Prozent.<br />
Der geglättete Wertzuwachs beträgt zu Rentenbeginn<br />
mindestens ein Prozent, wenn die bedingungsgemäßen<br />
Garantievoraussetzungen erfüllt sind.<br />
Und die Performance des UWP-Fonds kann sich sehen<br />
lassen: Seit seiner Auflegung Ende Januar 2004 erwirtschaftete<br />
er durchschnittlich starke 5,7% p.a. tatsächliche<br />
Wertentwicklung (Stand 31.07.<strong>2019</strong>) – trotz Finanzkrise<br />
und Niedrigzins.<br />
Wer eine individuellere Anlagelösung bevorzugt, der<br />
wählt einen der anderen beiden Investmentbausteine der<br />
Lösung: Einzelfonds, wenn man seine Anlage selber gestalten<br />
möchte, oder das Automatischen Portfolio Management<br />
mit automatischem Ablaufmanagement zum<br />
Ende der Laufzeit. Bei diesem wird das angesparte Kapital<br />
zum Ende der Laufzeit schrittweise in risikoärmere Anlagen<br />
umgeschichtet. So sollen starke Schwankungen kurz<br />
vor Rentenbeginn vermieden werden.<br />
Mit beiden lässt sich auf Wunsch auch der UWP-Fonds<br />
kombinieren oder bis 12 Jahre vor Rentenbeginn ganz in<br />
den UWP-Fonds wechseln. So behalten Kunden die Möglichkeit,<br />
zunächst renditeorientiert etwa in Einzelfonds<br />
zu investieren und die Erträge dann mit den Garantien<br />
des UWP-Fonds abzusichern.
Werte Parteien, wie stellen Sie sich die<br />
Zukunft der Rente vor?<br />
Die Bundesregierung lässt sich Zeit. Bis zum Jahr 2025 soll eine Rentenkommission Reformvorschläge<br />
ausarbeiten, wie die gesetzliche Rente und allgemein das deutsche Altersvorsorge-System<br />
fit für die Zukunft gemacht werden können: auch für nachfolgende Generationen.<br />
Doch ist das Thema angesichts der demografischen Entwicklung und drohender<br />
Altersarmut nicht weit drängender? Gibt es vielleicht aktuell schon interessante Reformansätze<br />
für das Rentensystem? Wir haben an alle Bundestagsfraktionen die gleichen Fragen<br />
gerichtet, mit welchen Ideen und Konzepten sie das Rentensystem der Zukunft aktuell<br />
gestalten wollen.Alle Parteien antworteten ausführlich – mit Ausnahme der AfD, die trotz<br />
mehrerer Anfragen nicht antworten wollte. Die Fragen stellte Mirko Wenig.
Die gesetzliche<br />
Rente wurde oft<br />
unterschätzt!<br />
Für die Unionsfraktion im Deutschen Bundestag<br />
antwortet Peter Weiß (CDU). Der gebürtige<br />
Breisgauer ist seit 1998 Mitglied im Bundestag<br />
und Vorsitzender der Arbeitsgruppe<br />
Arbeit und Soziales der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.<br />
<strong>Versicherungsbote</strong>: Wie bewerten Sie die aktuelle Bedrohung<br />
durch Altersarmut in Deutschland? Müssen die<br />
Bundesbürger Altersarmut fürchten – und was kann dagegen<br />
getan werden?<br />
Peter Weiß: Aktuell sind weniger als drei Prozent der<br />
Seniorinnen und Senioren in Deutschland auf Grundsicherungsleistungen<br />
angewiesen. Die Alterssicherung ist<br />
oft abhängig vom aktiven Erwerbsleben und dem, was<br />
man in die Alterssicherung eingezahlt hat. Insofern hilft<br />
uns die robuste wirtschaftliche Entwicklung, Altersarmut<br />
zu vermeiden. Da, wo es nicht reicht, gibt es die<br />
Grundsicherung. Und wir wollen die Grundrente einführen.<br />
Schwankende und unstete Erwerbsverläufe sowie<br />
neue Erwerbsformen lassen darauf schließen, dass<br />
wir die Systeme auf den Prüfstand stellen und uns etwa<br />
die Absicherung ungesicherter Selbständiger genauer<br />
ansehen müssen. Hier hat die Koalition einen Handlungsauftrag.<br />
Und mit den Zukunftsfragen beschäftigt<br />
sich außerdem eine Kommission.<br />
Nach pessimistischen Schätzungen wird in der gesetzlichen<br />
Rentenversicherung schon Mitte dieses Jahrhunderts<br />
ein Arbeitnehmer fast alleine für einen Rentner<br />
aufkommen müssen. Wie sattelfest ist aus Ihrer Sicht<br />
die umlagefinanzierte Rente?<br />
Die gesetzliche Rentenversicherung wurde oft unterschätzt,<br />
wenn es um ihre Leistungsfähigkeit geht. Schon<br />
Ende der 80er Jahre hatte man Sorgen wegen der demographischen<br />
Entwicklung, was den damaligen Minister<br />
Norbert Blüm veranlasste zu plakatieren: Die Rente ist<br />
sicher. Nun zeigt sich: Wir haben nicht nur zuletzt die<br />
Beiträge senken, sondern auch die Leistungen wieder<br />
deutlich ausbauen können. Die Rentenlaufzeiten sind<br />
mit der Lebenserwartung schneller gestiegen als das<br />
Renteneintrittsalter. Der Grund für die positive Bilanz:<br />
Die Rente ist nicht nur abhängig von der Zahl der Beitragszahler,<br />
sondern auch vor der wirtschaftlichen Entwicklung.<br />
Natürlich aber muss man sich wappnen für<br />
schwierigere Zeiten und demografische Veränderungen.<br />
Die Rentenkommission wird hierzu für die Zeit ab 2025<br />
Wege aufzeigen und mögliche Antworten geben, was<br />
man tun sollte.<br />
Sollte die gesetzliche Rente zukünftig gestärkt werden,<br />
etwa durch Anhebung des Rentenniveaus oder mehr<br />
Einzahler? Beispiel Österreich: Hier zahlen auch<br />
Selbstständige und Beamte in die Rentenkasse, der Beitrag<br />
ist höher. Aber im Schnitt erhalten Altersruheständler<br />
über 300 Euro mehr Rente im Monat. Auch<br />
für Deutschland ein denkbares Modell?<br />
Dazu erwarten wir Vorschläge der Rentenkommission.<br />
Fakt ist aber auch: die Systeme sind nicht einfach zu<br />
vergleichen, da muss man genau hinsehen. In Deutschland<br />
bekommt man die Altersrente schon mit nur<br />
5Beitragsjahren,inÖsterreichmussmandafürmindestens<br />
15 Jahre eingezahlt haben. Beamte entlasten das<br />
System nur eine kurze Phase lang. Wenn sie Leistungen<br />
empfangen, werden sie das System eher belasten, weil<br />
auch hier weniger Neulinge einer größer werdenden<br />
Gruppe von Leistungsempfängern gegenüberstehen.<br />
Die OECD plädiert dafür, das Renteneintrittsalter an<br />
die steigende Lebenserwartung der Bundesbürger zu<br />
koppeln: auch, weil die Gesellschaft altert. Werden wir<br />
künftig länger arbeiten müssen, damit die Rente finanzierbar<br />
bleibt?<br />
38
In der Tendenz ist das sicherlich so und bis 2030 haben wir<br />
auch die Rente mit 67 schrittweise eingeführt. Momentan<br />
steigt das Renteneintrittsalter auch tatsächlich. Und ältere<br />
Fachkräfte werden dringend gesucht, ihre Erwerbsbeteiligung<br />
steigt. Die Rentenkommission beschäftigt sich<br />
auch damit, wie es dann ab 2030 weitergehen kann. Dabei<br />
muss darauf geachtet werden, dass man auch jenen gerecht<br />
wird, die im Alter nicht ohne weiteres harte oder gefährliche<br />
Arbeiten verrichten können. Bei Piloten ist das<br />
so, dass sie früher gehen können müssen, ebenso bei<br />
Handwerkern oder Pflegern. Wir brauchen insgesamt<br />
mehr Flexibilität. Und freiwilliges längeres Arbeiten muss<br />
sich in der Rente noch mehr lohnen als heute.<br />
Aktuell wird eine Altersvorsorgepflicht für Selbstständige<br />
diskutiert, weil speziell sogenannte Soloselbstständige mit<br />
kleinem Einkommen oft darauf verzichten, aber später<br />
Anspruch auf Grundsicherung haben. Wie positionieren<br />
Sie sich zu dieser Pflicht – wie könnte diese gestaltet sein?<br />
Nicht abgesicherte Selbständige haben ein hohes Armutsrisiko<br />
im Alter und bei Erwerbsminderung.<br />
Wir stehen zur<br />
Vereinbarung im Koalitionsvertrag,<br />
die für diese Selbständigen<br />
eine Versicherungspflicht vorsieht<br />
mit Opt-out-Möglichkeit.<br />
An dem Konzept wird derzeitig<br />
gefeilt. Es muss gründerfreundlich<br />
sein, den Selbständigen die notwendige<br />
soziale Sicherheit geben,<br />
aber auch genug Flexibilität für<br />
die unterschiedlichen Modelle<br />
von Selbstständigkeit. Die grundsätzliche<br />
Absicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung<br />
hat den Vorteil, dass man hier auch das Risiko der<br />
Erwerbsminderung abdeckt und z.B. eine Reha bekommen<br />
kann. Ich schlage vor, unter dem Dach der landwirtschaftlichen<br />
Sozialversicherung Kompetenzzentren für<br />
Selbständige zu schaffen, die in sämtlichen Fragen der sozialen<br />
Absicherung und der privaten Vorsorge beraten<br />
und auch entscheiden können, bei welcher eigenen Vorsorgeanstrengung<br />
man raus optieren kann. Dafür müssen<br />
wir die Rahmenbedingungen schaffen.<br />
Einige Anbieter<br />
verschleiern die anfallenden<br />
Kosten in<br />
nicht immer<br />
transparent formulierten<br />
Vertragsbedingungen.<br />
Neben der gesetzlichen und betrieblichen Rente sollen<br />
die Menschen auch privat vorsorgen: unter anderem<br />
staatlich gefördert mit der Riester-Rente. Muss Riester<br />
reformiert oder gar abgeschafft werden? Oder funktioniert<br />
das aktuelle Modell? Über 16,56 Millionen Menschen<br />
hatten zum Ende des dritten Quartals einen Riester-Vertrag<br />
abgeschlossen. Aber das Neugeschäft stagniert,<br />
jeder fünfte Vertrag liegt nach Schätzungen des<br />
Bundesarbeitsministeriums auf Eis.<br />
Wir haben die Riester-Rente durch mehrere Gesetze vereinfacht<br />
und prüfen, was hier noch erreicht werden<br />
kann. Hauptkritikpunkt ist auch das Gebaren mancher<br />
Anbieter. Oft rentieren sich die Verträge nur noch über<br />
die staatliche Förderung. Die mit Abschluss und Durchführung<br />
der Riester-Verträge verbundenen Kosten stehen<br />
seit jeher in der besonderen Kritik, denn nicht<br />
selten schmälern sie die Rendite erheblich. Einige Anbieter<br />
verschleiern die anfallenden Kosten in nicht immer<br />
transparent formulierten Vertragsbedingungen.<br />
In unserer Fraktionsarbeitsgruppe zur Begleitung der<br />
Rentenkommission beraten wir sehr intensiv, ob die<br />
Riester Rente weiter reformiert werden kann. Es geht<br />
einerseits darum, die Kriterien zu vereinfachen, die die<br />
Produkte erfüllen müssen. Andererseits sind die Anbieter<br />
aber selbst gefordert, die Produkte attraktiver, transparenter<br />
und kostengünstiger<br />
auszugestalten. Es gibt bereits<br />
zahlreiche sehr interessante Vorschläge,<br />
auch aus unseren eigenen<br />
Reihen. Wir diskutieren<br />
hierzu ergebnisoffen – sowohl<br />
was die Frage der Organisation<br />
anbelangt als auch was die Rahmenbedingungen<br />
betrifft. Sowohl<br />
die Reform der Riester-<br />
Rente als auch ein womöglich<br />
daneben stehendes Alternativprodukt<br />
werden diskutiert. Zu<br />
den Rahmenbedingungen zählen Fragen, ob künftig<br />
auch Produkte ohne Garantien, aber mit mehr Renditechancen<br />
auf den Markt kommen können. Gerade in<br />
unruhigen Zeiten wie in diesen Tagen muss man sich<br />
aber gut überlegen, ob man Garantien dann auch gänzlich<br />
abschaffen will. Altersvorsorge muss auch ein Mindestmaß<br />
an Verlässlichkeit bieten. Ganz ohne Regeln<br />
wird es also nicht gehen.<br />
Wie positionieren Sie sich zu der Idee, einen Kapitalstock<br />
bei der Deutschen Rentenversicherung aufzubauen,<br />
ähnlich dem schwedischen Staatsfonds? Dort zahlen<br />
die Bürger 2,5 Prozent ihres Gehalts in bis zu fünf Fonds<br />
ein, über 800 stehen zu Auswahl. Sie müssen Nachhaltigkeitskriterien<br />
erfüllen. Die Verwaltungskosten: 0,1<br />
Prozent. Ein Modell auch für Deutschland?<br />
39
Wir diskutieren schon seit längerem etwa das Modell der<br />
Deutschland-Rente, das von der hessischen Landesregierung<br />
in die Diskussion gebracht wurde. Ich halte das für<br />
eine Erwägung wert, so etwas auch in Deutschland einzurichten.<br />
Dabei sollte man aber auch das Risiko nicht verkennen.<br />
Die Bilanz des schwedischen Standardfonds in<br />
den ersten Jahren nach der Einführung war ernüchternd:<br />
Er verlor sieben Prozent im Jahr 2000, elf Prozent 2001<br />
und dann nochmals 27 Prozent 2002. Man hat den Fonds<br />
auch über Kredite gehebelt. Man muss sich genau überlegen,<br />
wer so viel Kapitalmasse managen soll und was die<br />
Rahmenbedingungen sind.<br />
Dank Niedrigzins-Politik werden viele populäre Geldanlagen<br />
der Deutschen vakant: Lebens- und Rentenversicherungen<br />
rentieren sich immer seltener. Müssen die<br />
Bürger umlernen und ihr Geld in andere Vorsorgeformen<br />
stecken?<br />
Wer privat vorsorgt, muss ständig die Änderungen in den<br />
Blick nehmen, die Auswirkungen auf die eigene Anlage haben<br />
können. In der Niedrigzinsphase lohnen sich riskantere<br />
Anlagen. In einer Rezension könne sie aber auch<br />
vernichtend wirken. Auf den gesunden Mix kommt es an.<br />
Man sollte Geldanlagen breit streuen und von Zeit zu Zeit<br />
über Umschichtungen nachdenken. Lebens- und Rentenversicherungen<br />
können sich weiterhin lohnen, etwa weil sie<br />
auch Hinterbliebene absichern oder langfristig gewisse Garantien<br />
geben. Wegen der geringen Rückkaufswerte lohnt<br />
sich der Ausstieg und ein Umschichten oft auch nicht.<br />
Wird der Niedrigzins aus Ihrer Sicht in den kommenden<br />
Jahren anhalten – und mit welchen Konsequenzen für<br />
deutsche Sparer?<br />
Er wird noch einige Zeit andauern. Sicherlich haben viele<br />
Anbieter die Niedrigzinsphase nicht vorausgesehen und<br />
den Sparern zu hohe Renditen in Aussicht gestellt. Viele<br />
müssen feststellen, dass sie ihr Sparziel nur mit riskanteren<br />
Anlagen oder einem höheren Einsatz erreichen können.<br />
Bisweilen werden bei sichereren Anlageformen gar keine<br />
Zinsen gezahlt oder gar Negativzinsen erhoben. Wir diskutieren<br />
gerade darüber, wie wir Sparer vor Negativzinsen<br />
schützen können.<br />
Unser Wohlfahrtssystem beruht auf der Idee, dass Wirtschaftswachstum<br />
zu mehr Wohlstand führt: dies wird<br />
auch wirtschaftspolitisch angestrebt. Nicht erst seit den<br />
„Fridays for Future“-Demonstrationen gibt es Bedenken,<br />
ob das Wachstumsideal dem Menschen auch schadet: es<br />
40<br />
bedroht die Umwelt, führt zu Stress und Burnout etc.<br />
Gibt es eine Alternative zu einer Wirtschaft, die Wachstum<br />
anpeilt – wie könnte sie aussehen?<br />
Ich glaube, alle haben erkannt, dass Wachstum auch<br />
nachhaltig sein muss und künftigen Generationen nicht<br />
die Zukunft verbauen darf. Andererseits hat die wirtschaftliche<br />
Entwicklung der vergangenen 70 Jahre auch<br />
erst jene Bedingungen geschaffen, die gut versorgten<br />
Kindern heute überhaupt die Möglichkeit gibt, ohne eigene<br />
Not oder Hunger demonstrieren zu können. Nie<br />
war die Frage von Work-Life-Balance so entspannt zu<br />
führen wie heute in Zeiten des Fachkräftemangels. Dank<br />
der wirtschaftlichen Entwicklung sind die Renten gestiegen<br />
und wir haben kaum Arbeitslose. Ich sehe keine<br />
Alternative zum Wirtschaftswachstum. Und man darf<br />
auch nicht vergessen: hier steht Deutschlands Industrie<br />
und Wirtschaft in einem harten internationalem Wettbewerb.<br />
Nachdenken und optimieren kann man hinsichtlich<br />
der Nachhaltigkeit. Für die Ausgestaltung der<br />
Arbeitsplätze und der Arbeitsbedingungen sind die Sozialpartner<br />
zuständig.<br />
Die Digitalisierung bedroht Arbeitsplätze, gerade einfache<br />
Tätigkeiten könnten wegfallen. Zugleich böte sie<br />
die Chance, Arbeit neu zu organisieren: zum Beispiel<br />
durch kürzere Arbeitszeiten. Eine Prognose: Wie arbeiten<br />
wir in 30 Jahren?<br />
Es besteht kein Zweifel daran, dass Digitalisierung die<br />
Arbeitswelt verwandelt. Man kann das sehen, dass Kunden<br />
in Supermärkten ihren Einkauf selber an Automatenkassen<br />
scannen, ihr Gepäck am Flughafen selber an<br />
Automaten einchecken, dort automatische Körperscanner<br />
durchlaufen, am Taxistand auf autonom fahrende<br />
Elektroautos warten. Die Callcenter werden durch<br />
Sprachcomputer ersetzt. Bankschalter gibt es dann keine<br />
mehr, Bargeld auch nicht, nur noch Online-Banking. Das<br />
alles deutet sich heute schon an und ist in einigen Jahren<br />
Realität. Die Frage ist: wie weit wollen wir zulassen, dass<br />
Menschlichkeit durch Technik ersetzt wird. Vielleicht haben<br />
wir das in 30 Jahren auch satt, und man möchte wieder<br />
den Service von einem echten Menschen erleben, so<br />
wie heute in der Produktion der Trend zur Manufaktur in<br />
der Mode festzustellen ist. Auch in Zeiten zunehmender<br />
Automatisierung sehen wir immer mehr Manufakturen,<br />
die sprießen gerade überall aus dem Boden, sozusagen als<br />
Gegenbewegung.<br />
Die Fragen beantwortete Peter Weiß
<strong>Versicherungsbote</strong>: Wie bewerten Sie die aktuelle Bedrohung<br />
durch Altersarmut in Deutschland? Müssen die<br />
Bundesbürger Altersarmut fürchten – und was kann dagegen<br />
getan werden?<br />
Ralf Kapschack: Es ist richtig, dass die Zahl derjenigen,<br />
die durch Altersarmut betroffen sind, steigt. Bemisst man<br />
Altersarmut allein am Bezug von Sozialleistungen – also<br />
Grundsicherung im Alter –, so liegt der Prozentsatz der<br />
von Altersarmut betroffenen Menschen bei 1,55 Prozent<br />
(bundesweit 1.078.521 Personen, die Leistungen der<br />
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung beziehen).<br />
Aus meiner Sicht ist das allein nur ein unzureichender<br />
Hinweis auf die tatsächliche Dimension von Altersarmut.<br />
Es gibt eine sehr hohe Dunkelziffer von Menschen, die<br />
Anspruch auf eine Leistung haben, diese aber beispielsweise<br />
aufgrund von Scham, Unwissenheit oder Sorge auf<br />
Rückgriff auf Einkommen und Vermögen der Kinder<br />
nicht in Anspruch nehmen. Die Grundsicherung deckt lediglich<br />
das Existenzminimum. Armut beginnt aber deutlich<br />
früher. Armut ist relativ.<br />
Die Rente ist das Spiegelbild des Erwerbslebens. Deshalb<br />
sind gute Arbeit, gute Löhne und eine hohe Tarifbindung<br />
die Grundvoraussetzung für eine gute Rente. Mit der Stabilisierung<br />
des Rentenniveaus und des Beitragssatzes sind<br />
wir außerdem einen ersten wichtigen Schritt zur Stärkung<br />
der gesetzlichen Rente gegangen. Denn sie steht für<br />
uns im Mittelpunkt. Jedoch kann nicht mehr jede und jeder<br />
etwas am Arbeitsleben ändern und so für eine gute<br />
Rente sparen. Die Erwerbsbiografien werden immer brüchiger<br />
(Teilzeitarbeit, längere Erwerbsunterbrechungen,<br />
Befristungen, häufige Jobwechsel etc.). Mit der Grundrente,<br />
über die derzeit in der Regierung noch heftig gestritten<br />
wird, werden wir ebenfalls einen Grundstein für eine<br />
bessere Rente legen. Sie sorgt dafür, dass Menschen, die<br />
jahrzehntelang gearbeitet, Angehörige gepflegt oder Kinder<br />
erzogen haben, eine Rente oberhalb der Grundsicherung<br />
erhalten. Und das wichtigste daran: Sie erhalten eine<br />
RENTE. Ihnen wird der Gang zum Amt erspart.<br />
Nach pessimistischen Schätzungen wird in der gesetzlichen<br />
Rentenversicherung schon Mitte dieses Jahrhunderts<br />
ein Arbeitnehmer fast alleine für einen Rentner<br />
aufkommen müssen. Wie sattelfest ist aus Ihrer Sicht die<br />
umlagefinanzierte Rente?<br />
Die Deutsche Rentenversicherung zählt zu den ältesten<br />
Sozialversicherungen überhaupt. Bisher gab es nur einen<br />
Tag, an dem die Rente verspätet gezahlt wurde, das war<br />
Die Versicherungswirtschaft<br />
kommt<br />
mit Riester-Reformvorschlägen<br />
vielleicht<br />
etwas spät!<br />
Für die SPD antwortete Ralf Kapschack, Mdb<br />
sowie zuständiger Berichterstatter im Ausschuss<br />
für Arbeit und Soziales für die SPD-<br />
Bundestagsfraktion. Der Wirtschaftswissenschaftler<br />
und frühere Journalist ist seit 2013<br />
Mitglied des Bundestages.<br />
im Mai 1945. Sie hat auch die Finanzkrisen überstanden<br />
und damit gezeigt, dass sie besser als ihr Ruf ist.<br />
Wenngleich das Verhältnis von BeitragszahlerInnen und<br />
RentnerInnen immer geringer wird, sagt das nicht sehr<br />
viel aus. Denn entscheidend ist, wie sich die Produktivität<br />
der aktuell und zukünftig Beschäftigten entwickelt.<br />
Es ist aber richtig, dass wir etwas tun müssen, wenn wir<br />
weiterhin eine gute gesetzliche Rente wollen. Das ist in<br />
meinen Augen eine Frage der Prioritätensetzung. Für die<br />
SPD ist klar: Die gesetzliche Rente steht im Mittelpunkt<br />
und muss weiter gestärkt werden. Ein weiterer wichtiger<br />
Schritt dafür wäre die Erwerbstätigenversicherung [Die<br />
Einbeziehung aller Erwerbstätigen in die Rentenversicherung:<br />
auch z. B. Minijobber, Selbstständige und Beamte,<br />
Anmerk. Redaktion].<br />
Sollte die gesetzliche Rente zukünftig gestärkt werden,<br />
etwa durch Anhebung des Rentenniveaus oder mehr<br />
Einzahler? Beispiel Österreich: Hier zahlen auch Selbstständige<br />
und Beamte in die Rentenkasse, der Beitrag ist<br />
höher. Aber im Schnitt erhalten Altersruheständler über<br />
300 Euro mehr Rente im Monat. Auch für Deutschland<br />
ein denkbares Modell?<br />
41
Absolut. Eine Erwerbstätigenversicherung wie in Österreich<br />
ist für Deutschland wünschenswert. Zur Wahrheit<br />
gehört aber auch dazu, dass der Beitragssatz in Österreich<br />
deutlich höher liegt als bei uns. Außerdem gibt es<br />
in Österreich „lediglich“ einen Inflationsausgleich bei<br />
den jährlichen Rentenanpassungen. Das wiederum auf<br />
einem höheren Niveau als bei uns.<br />
Darüber hinaus werden in Österreich erst nach 15 Versicherungsjahren<br />
Renten gezahlt, in Deutschland nach<br />
fünf. Das zeigt, das österreichische<br />
System ist nicht eins zu eins<br />
übertragbar – aber es hat eine<br />
Menge Vorteile, vor allem, weil<br />
alle grundsätzlich in einer Rentenversicherung<br />
sind.<br />
Im Herbst dieses Jahres werden<br />
wir mit der Einbeziehung von<br />
Selbständigen in die gesetzliche<br />
Rentenversicherung beginnen.<br />
Wenn es nach mir geht, beziehen<br />
wir die Abgeordneten gleich mit<br />
ein. Das hat vor allem etwas mit<br />
Gerechtigkeit und Solidarität zu<br />
tun. Die Parlamentarische Linke<br />
in der SPD-Bundestagsfraktion<br />
hatte das bereits in der vergangenen<br />
Wahlperiode gefordert. Damit sollten wir endlich<br />
beginnen.<br />
Die Stabilisierung des Rentenniveaus ist aus meiner<br />
Sicht auch ein absolut richtiger Schritt gewesen, um das<br />
Vertrauen in die gesetzliche Rente und damit in den<br />
Sozialstaat zu stärken.<br />
Die OECD plädiert dafür, das Renteneintrittsalter an<br />
die steigende Lebenserwartung der Bundesbürger zu<br />
koppeln: auch, weil die Gesellschaft altert. Werden wir<br />
künftig länger arbeiten müssen, damit die Rente finanzierbar<br />
bleibt?<br />
Bevor wir wieder über die Anhebung des Renteneintrittsalters<br />
diskutieren, müssen wir dafür sorgen, dass<br />
alle Menschen gesund das aktuelle Renteneintrittsalter<br />
erreichen können. Denn das ist vielen Menschen in<br />
Deutschland derzeit nicht möglich. Erwerbsminderung<br />
ist leider nach wie vor eines der größten Armutsrisiken.<br />
Von mir aus kann man gern über zusätzliche Anreize<br />
nachdenken, um längeres Arbeiten für diejenigen, die<br />
wollen und können, attraktiver zu machen. Eine ausreichende<br />
Absicherung im Alter darf davon aber nicht abhängen.<br />
42<br />
Bevor wir wieder<br />
über die Anhebung<br />
des Renteneintrittsalters<br />
diskutieren,<br />
müssen wir dafür<br />
sorgen, dass alle<br />
Menschen gesund<br />
das aktuelle Renteneintrittsalter<br />
erreichen<br />
können.<br />
Aktuell wird eine Altersvorsorgepflicht für Selbstständige<br />
diskutiert, weil speziell sogenannte Soloselbstständige mit<br />
kleinem Einkommen oft darauf verzichten, aber später<br />
Anspruch auf Grundsicherung haben. Wie positionieren<br />
Sie sich zu dieser Pflicht – wie könnte diese gestaltet sein?<br />
Die Altersvorsorgepflicht für Selbstständige ist längst<br />
überfällig und daher absolut begrüßenswert. Im Koalitionsvertrag<br />
haben wir vereinbart, dass „wir eine gründerfreundlich<br />
ausgestaltete<br />
Altersvorsorgepflicht für alle<br />
Selbstständigen einführen [wollen],<br />
die nicht bereits anderweitig<br />
obligatorisch (zum Beispiel in<br />
berufsständischen Versorgungswerken)<br />
abgesichert sind.<br />
Grundsätzlich sollen Selbstständige<br />
zwischen der gesetzlichen<br />
Rentenversicherung und – als<br />
Opt-out-Lösung – anderen geeigneten<br />
insolvenzsicheren Vorsorgearten<br />
wählen können. Wobei<br />
diese insolvenz- und pfändungssicher<br />
sein und in der Regel zu<br />
einer Rente oberhalb des Grundsicherungsniveaus<br />
führen müssen.“<br />
Insbesondere der letzte Teil wird in der Umsetzung<br />
nicht ganz unkompliziert. Da hätte ich mir eine klarere<br />
Regelung – ohne Ausnahmen – gewünscht, nämlich die<br />
Einbeziehung in die gesetzliche Rentenversicherung.<br />
Neben der gesetzlichen und betrieblichen Rente sollen<br />
die Menschen auch privat vorsorgen: unter anderem<br />
staatlich gefördert mit der Riester-Rente. Muss Riester<br />
reformiert oder gar abgeschafft werden? Oder funktioniert<br />
das aktuelle Modell? Über 16,56 Millionen Menschen<br />
hatten zum Ende des dritten Quartals einen<br />
Riester-Vertrag abgeschlossen. Aber das Neugeschäft<br />
stagniert, jeder fünfte Vertrag liegt nach Schätzungen<br />
des Bundesarbeitsministeriums auf Eis.<br />
Jeder, der kann, sollte zusätzlich für das Alter vorsorgen.<br />
Für uns ist jedoch die betriebliche Altersversorgung die<br />
beste Ergänzung zur gesetzlichen Rente, allerdings kein<br />
Ersatz!<br />
Ich glaube, dass die private Altersvorsorge nur über ein<br />
staatlich bzw. öffentlich-rechtliches Standard-Produkt<br />
wieder an Schwung gewinnt. Die Versicherungswirtschaft<br />
befürchtet das und kommt jetzt allmählich mit eigenen<br />
Vorschlägen. Vielleicht etwas spät.
Das Vertrauen in Riester ist ramponiert, nicht zuletzt wegen<br />
der hohen Kosten, Provision und der Unübersichtlichkeit<br />
der Produkte. Aber auch wegen der Kapitalmarktentwicklung.<br />
Wie positionieren Sie sich zu der Idee, einen Kapitalstock<br />
bei der Deutschen Rentenversicherung aufzubauen, ähnlich<br />
dem schwedischen Staatsfonds? Dort zahlen die Bürger<br />
2,5 Prozent ihres Gehalts in bis zu fünf Fonds ein,<br />
über 800 stehen zu Auswahl. Sie müssen Nachhaltigkeitskriterien<br />
erfüllen. Die Verwaltungskosten: 0,1 Prozent.<br />
Ein Modell auch für Deutschland?<br />
Ich halte diese Idee für sehr interessant. Es gab ja in den<br />
vergangenen Monaten neue Vorschläge in eine ähnliche<br />
Richtung, zum Beispiel von den Verbraucherzentralen<br />
und anderen. Die Deutsche Rentenversicherung steht für<br />
Kontinuität und ist bekannt. Hier zusätzlich anzusetzen<br />
und eine Art Standardprodukt, das einfach, transparent<br />
und kostengünstig ist, anzubieten, finde ich genau richtig.<br />
Das könnte ein Angebot für private Vorsorge sein, aber<br />
auch eins für betriebliche Vorsorge, in Branchen und Betrieben,<br />
die keine anderen tarifvertraglichen Regelungen<br />
hinbekommen.<br />
Dank Niedrigzins-Politik werden viele populäre Geldanlagen<br />
der Deutschen vakant: Lebens- und Rentenversicherungen<br />
rentieren sich immer seltener. Müssen die<br />
Bürger umlernen und ihr Geld in andere Vorsorgeformen<br />
stecken?<br />
Diese langanhaltende Niedrigzinsphase zeigt deutlich,<br />
dass eine rein kapitalgedeckte Altersversorgung nicht<br />
sinnvoll und durchaus aus schwierig ist. Die gesetzliche<br />
Rente bietet eine Rendite von derzeit 3 Prozent. Wo bekommt<br />
man das sonst noch?<br />
Wir können jedoch an verschiedenen Stellschrauben drehen.<br />
Ich denke da z.B. an starke Betriebsrenten, an denen<br />
sich die Arbeitgeber beteiligen, Förderinstrumente und<br />
ein Standardprodukt für die private Vorsorge.<br />
Wird der Niedrigzins aus Ihrer Sicht in den kommenden<br />
Jahren anhalten – und mit welchen Konsequenzen für<br />
deutsche Sparer?<br />
Das kann wahrscheinlich keiner seriös sagen. Es spricht<br />
aber wenig dafür, dass sich die Zinsentwicklung schnell<br />
ändert.<br />
Wichtig ist es, dass die Sparerinnen und Sparer langfristig<br />
anlegen, wenn möglich sich nicht auf eine Vorsorgeform<br />
konzentrieren und auch ein Stück weit akzeptieren, dass<br />
sich Rahmenbedingungen ändern, die wir heute für die<br />
Zeit in 40 Jahren noch nicht voraussehen können.<br />
Unser Wohlfahrtssystem beruht auf der Idee, dass Wirtschaftswachstum<br />
zu mehr Wohlstand führt: dies wird<br />
auch wirtschaftspolitisch angestrebt. Nicht erst seit den<br />
„Fridays for Future“-Demonstrationen gibt es Bedenken,<br />
ob das Wachstumsideal dem Menschen auch schadet: es<br />
bedroht die Umwelt, führt zu Stress und Burnout etc.<br />
Gibt es eine Alternative zu einer Wirtschaft, die Wachstum<br />
anpeilt – wie könnte sie aussehen?<br />
Es sollte dabei vor allem um die Frage gehen, welche Bereiche<br />
wachsen und wie wir einen vernünftigen Ausgleich<br />
hinbekommen zwischen den Anforderungen an Mobilität,<br />
Energie, Wohnen, Arbeiten und dem Schutz von Umwelt<br />
und Natur. Und nicht zuletzt geht es darum, wie der<br />
Wohlstand gerechter verteilt wird. Das wäre beispielsweise<br />
durch eine höhere Besteuerung von Reichtum möglich<br />
und mehr Investitionen in die Infrastruktur, die allen zu<br />
Gute kommen.<br />
Die Digitalisierung bedroht Arbeitsplätze, gerade einfache<br />
Tätigkeiten könnten wegfallen. Zugleich böte sie die<br />
Chance, Arbeit neu zu organisieren: zum Beispiel durch<br />
kürzere Arbeitszeiten. Eine Prognose: Wie arbeiten wir<br />
in 30 Jahren?<br />
Wir arbeiten in 30 Jahren vermutlich kürzer, ortsunabhängiger,<br />
aber trotzdem hoffentlich mit klaren rechtlichen<br />
Schutzregelungen für Arbeitnehmerinnen und<br />
Arbeitnehmern, um einer Entgrenzung von Arbeit und<br />
Freizeit entgegen zu wirken. Lebenslanges Lernen gehört<br />
zur Normalität.<br />
Die Fragen beantwortete Ralf Kapschack<br />
43
Wir streben eine<br />
Bürgerversicherung<br />
in der Rentenversicherung<br />
an<br />
Markus Kurth: Alle Menschen müssen sich auf eine Alterssicherung<br />
verlassen können, die vor Armut schützt und<br />
den Lebensstandard sichert. Dennoch sind immer mehr<br />
Rentnerinnen und Rentner von Altersarmut betroffen.<br />
Angesichts unsteter Erwerbsbiografien, prekärer Arbeitsverhältnisse<br />
und eines sinkenden Rentenniveaus ab 2025<br />
droht diese Entwicklung stetig fortzuschreiten. Betroffen<br />
sind insbesondere Frauen, Solo-Selbständige und Personen<br />
mit gesundheitlichen Problemen. Um diesen Problemen<br />
entgegenzutreten, ist eine ganze Reihe von<br />
Maßnahmen notwendig.Die bisherige Regierungskoalition<br />
hat es versäumt, den notwendigen Richtungswechsel<br />
in der Rentenpolitik einzuleiten. Es wurden weder die<br />
Grundrente noch die Altersvorsorgepflicht für Selbstständige<br />
angepackt. Es sind insbesondere immer mehr<br />
Frauen, die durch geringe Rentenansprüche von Altersarmut<br />
betroffen sind. Die Erziehung von Kindern oder<br />
die Pflege von Angehörigen darf nicht zu niedrigeren<br />
Renten führen. Deshalb brauchen wir eine Rente, die den<br />
Schutz vor Armut für alle Menschen garantiert, die mindestens<br />
30 Jahre lang Mitglied der gesetzlichen Rentenversicherung<br />
waren und gearbeitet, Kinder erzogen oder<br />
Angehörige gepflegt haben. Konkret fordern wir eine Garantierente<br />
von 30 Entgeltpunkten - das wären im kommenden<br />
Jahr circa 1000 Euro. Diese Garantierente wächst<br />
als dynamischer Teil der Rentenversicherung bei jeder<br />
Rentenerhöhung weiter an. Damit erkennen wir die Lebensleistung<br />
aller langjährig Versicherten und insbesondere<br />
diejenige von Frauen an.<br />
Nach pessimistischen Schätzungen wird in der gesetzlichen<br />
Rentenversicherung schon Mitte dieses Jahrhunderts<br />
ein Arbeitnehmer fast alleine für einen Rentner<br />
aufkommen müssen. Wie sattelfest ist aus Ihrer Sicht die<br />
umlagefinanzierte Rente?<br />
Es antwortete Markus Kurth, rentenpolitischer<br />
Sprecher der Fraktion Bündnis 90/ die<br />
Grünen im Bundestag. Seit 2002 ist der Politikwissenschaftler<br />
Bundestags-Mitglied und<br />
aktuell auch in den Bundestags-Ausschüssen<br />
für Arbeit und Soziales sowie für Gesundheit<br />
vertreten.<br />
<strong>Versicherungsbote</strong>: Wie bewerten Sie die aktuelle Bedrohung<br />
durch Altersarmut in Deutschland? Müssen die Bundesbürger<br />
Altersarmut fürchten – und was kann dagegen<br />
getan werden?<br />
44<br />
Der demografische Wandel bedeutet für die umlagefinanzierte<br />
Rente eine große Herausforderung. Dieser<br />
führt aber nicht, wie bisweilen behauptet wird, in einer<br />
Art quasi-naturgesetzlicher Vorbestimmung zu einem<br />
Kollaps der Rentenversicherung, sondern ist politisch gestaltbar.<br />
Die jetzige, spätestens aber die kommende Bundesregierung<br />
ist aufgefordert, eine konsistente<br />
Gesamtstrategie vorzulegen, die Rentenpolitik mit Arbeitsmarkt-<br />
und Demografiepolitik verbindet und die<br />
hohe Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung<br />
auf Dauer gewährleistet. Dabei gilt es unter anderem,<br />
die Erwerbsbeteiligung von Frauen zu erhöhen und<br />
bestehende Benachteiligungen am Arbeitsmarkt abzubauen.<br />
Gerade ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer<br />
müssen die Möglichkeit erhalten, gesünder und<br />
länger zu arbeiten. Nicht nur weil diese Maßnahmen viele<br />
Menschen individuell unterstützen würden, sind mutige<br />
Schritte dringend erforderlich. Kombiniert würden sie<br />
auch die Einnahmebasis der Sozialversicherungen und<br />
besonders die der Rentenversicherung erheblich erweitern<br />
und so einen wichtigen und notwendigen Beitrag zur<br />
Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme leisten. Angesichts<br />
der demografischen Veränderungen wird es zukünftig<br />
auch über 2025 hinaus nötig sein, die<br />
Rentenfinanzen zusätzlich über einen Stabilisierungsbeitrag<br />
aus Steuermitteln zu stützen.<br />
Sollte die gesetzliche Rente zukünftig gestärkt werden,<br />
etwa durch Anhebung des Rentenniveaus oder mehr<br />
Einzahler? Beispiel Österreich: Hier zahlen auch Selbstständige<br />
und Beamte in die Rentenkasse, der Beitrag ist<br />
höher. Aber im Schnitt erhalten Altersruheständler<br />
über 300 Euro mehr Rente im Monat. Auch für Deutschland<br />
ein denkbares Modell?
Die gesetzliche Rentenversicherung ist und bleibt die<br />
zentrale Säule im Alterssicherungssystem. Das gesetzliche<br />
Rentenniveau wollen wir langfristig stabilisieren,<br />
also auch über 2025 hinaus wie im vergangenen Jahr von<br />
der Regierungskoalition beschlossen. Wir streben gleichzeitig<br />
eine Bürgerversicherung in der Rentenversicherung<br />
an, in die alle Bürgerinnen und Bürger unter der<br />
Berücksichtigung aller Einkunftsarten einbezogen werden.<br />
So sind sie gut abgesichert und können entsprechend<br />
ihrer Einkommen Rentenansprüche erwerben. In<br />
einem ersten Schritt sollen schon heute nicht anderweitig<br />
abgesicherte Selbständige, Minijobberinnen und –<br />
jobber, Langzeitarbeitslose und Abgeordnete aufgenommen<br />
werden.<br />
Die OECD plädiert dafür, das Renteneintrittsalter an die<br />
steigende Lebenserwartung der Bundesbürger zu koppeln:<br />
auch, weil die Gesellschaft altert. Werden wir künftig länger<br />
arbeiten müssen, damit die Rente finanzierbar bleibt?<br />
Die OECD macht es sich hier leider zu leicht. Wir wissen,<br />
dass es schon bei der Rente mit 67 zahlreiche Problemgruppen<br />
gibt. Vielen Menschen ist es in den vergangenen Jahren<br />
nicht gelungen, mit der Anhebung der Regelaltersgrenze<br />
Schritt zu halten. Denn nach wie vor ist der Anteil der sozialversicherungspflichtig<br />
Beschäftigten im rentennahen Alter<br />
zu niedrig. Die Zahl der MinijobberInnen über 63 Jahre<br />
und der Anteil atypisch Beschäftigter haben in den letzten<br />
Jahren erheblich zugenommen, während die Zahl der in<br />
Vollzeit arbeitenden Älteren stagniert. Und Frauen kurz<br />
vor dem Rentenalter machen besonders in Ostdeutschland<br />
einen immer größeren Teil der Arbeitslosen aus. In zahlreichen<br />
Branchen und Berufsgruppen – gerade in jenen, in denen<br />
manuelle Tätigkeiten dominieren – bleibt ein Arbeiten<br />
bis 67 oft Utopie. Für die Akzeptanz der getroffenen Entscheidung,<br />
die Regelaltersgrenze anzuheben, ist es entscheidend,<br />
Lösungen für die vielfältigen Problemgruppen zu<br />
schaffen.<br />
Wir Grüne wollen deshalb die Teilrente attraktiver machen<br />
–unteranderem,indemwirdieAbschlägefürbesondersbelastete<br />
Beschäftigte streichen. Die Möglichkeiten auch umfangreicher<br />
Weiterbildungen für Ältere sind zu erweitern.<br />
Die Erwerbsminderungsrente wollen wir stärken. Präventionsmaßnahmen<br />
müssen zum Standard werden und gemeinsam<br />
mit der Rehabilitation einen noch größeren Beitrag<br />
zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit leisten.<br />
Aktuell wird eine Altersvorsorgepflicht für Selbstständige<br />
diskutiert, weil speziell sogenannte Soloselbstständige mit<br />
kleinem Einkommen oft darauf verzichten, aber später Anspruch<br />
auf Grundsicherung haben. Wie positionieren Sie<br />
sich zu dieser Pflicht – wie könnte diese gestaltet sein?<br />
Immer mehr alte Menschen landen im Sozialhilfesystem.<br />
Insbesondere die zahlreichen Selbstständigen, die nicht für<br />
das Alter abgesichert sind und zunehmend die Grundsicherung<br />
im Alter und bei Erwerbsminderung in Anspruch nehmen<br />
müssen, brauchen in Zukunft einen besseren Schutz<br />
vor Altersarmut. Damit dies gelingt, ist es notwendig, diese<br />
Menschen in der Rentenversicherung zu versichern. Mit der<br />
Einführung einer Bürgerversicherung können sie am Solidarsystem<br />
teilhaben. Ihre Rentenansprüche sind dann im<br />
Fall einer Insolvenz pfändungssicher geschützt. Die gesetzliche<br />
Rentenversicherung ist im Gegensatz zu manchen Finanzdienstleistern<br />
sicher vor Pleiten und bietet mit der<br />
Erwerbsminderungsrente Leistungen, die private Versicherungen<br />
nicht im Angebot haben. Das schließt private Vorsorge<br />
nicht aus. Die gesetzliche Rentenversicherung sollte<br />
jedoch die Basis darstellen. Die Vereinbarung im Koalitionsvertrag<br />
- eine Versicherungspflicht mit Wahloption zwischen<br />
der Rentenversicherung und anderen effektiven und<br />
insolvenzsicheren Vorsorgearten - kommt dieser Forderung<br />
immerhin nah. Es bleibt jedoch fraglich, wie verwaltungsarm<br />
überprüft werden soll, ob eine mögliche Absicherung<br />
jenseits der Rentenversicherung zu einer Rente oberhalb<br />
des Grundsicherungsniveaus führt.<br />
Neben der gesetzlichen und betrieblichen Rente sollen die<br />
Menschen auch privat vorsorgen: unter anderem staatlich<br />
gefördert mit der Riester-Rente. Muss Riester reformiert<br />
oder gar abgeschafft werden? Oder funktioniert das aktuelle<br />
Modell? Über 16,56 Millionen Menschen hatten zum<br />
Ende des dritten Quartals einen Riester-Vertrag abgeschlossen.<br />
Aber das Neugeschäft stagniert, jeder fünfte<br />
Vertrag liegt nach Schätzungen des Bundesarbeitsministeriums<br />
auf Eis.<br />
Die Riester-Rente funktioniert in der Tat nicht so, wie es<br />
bei ihrer Einführung erwartet wurde. Nur rund sieben Millionen<br />
Menschen sorgen in vollem Umfang über die geförderte<br />
private Altersvorsorge vor. Und das mit regelmäßig zu<br />
geringen Renditen und zu hohen Verwaltungskosten. Ihrer<br />
Funktion, nämlich das Absinken des Rentenniveaus flächendeckend<br />
auszugleichen, wird die Riester-Rente daher<br />
bei weitem nicht gerecht. Das Rentenniveau muss deshalb<br />
langfristig stabilisiert werden. Wir Grüne fordern außerdem<br />
einen Neustart in der privaten Vorsorge. Neben einer<br />
besseren Förderung von Geringverdienenden braucht es<br />
endlich transparentere und günstigere Möglichkeiten der<br />
Geldanlage.<br />
45
Wie positionieren Sie sich zu der Idee, einen Kapitalstock<br />
bei der Deutschen Rentenversicherung aufzubauen, ähnlich<br />
dem schwedischen Staatsfonds? Dort zahlen die Bürger<br />
2,5 Prozent ihres Gehalts in bis zu fünf Fonds ein, über<br />
800 stehen zu Auswahl. Sie müssen Nachhaltigkeitskriterien<br />
erfüllen. Die Verwaltungskosten: 0,1 Prozent. Ein Modell<br />
auch für Deutschland?<br />
Das schwedische Modell der „Premiepension“ ist sicher<br />
nicht eins zu eins auf Deutschland übertragbar, da sie dort<br />
Teil der ersten, obligatorischen Säule der Alterssicherung<br />
ist. Die Grundidee eines von einer öffentlichen Einrichtung,<br />
wie zum Beispiel der Rentenversicherung, verwalteten<br />
Fonds zur Altersvorsorge unterstützen wir aber. Unser Ziel<br />
ist die Einführung eines Grünen Bürgerfonds. Die Verwaltung<br />
des Bürgerfonds über eine öffentliche Stelle kann gewährleisten,<br />
dass er als Non-Profit-Produkt ausgestaltet<br />
wird, die Verwaltungskosten minimiert werden und dass<br />
die zusätzliche Altersvorsorge an Vertrauen zurückgewinnt,<br />
das durch die vielen mangelhaften Altersvorsorgeprodukte<br />
in den letzten Jahren sehr gelitten hat. Ähnlich<br />
wie beim norwegischen Staatsfonds wollen wir sicherstellen,<br />
dass der Bürgerfonds soziale, ökologische und ethische<br />
Maßstäbe bei der Kapitalanlage transparent einbezieht.<br />
Dank Niedrigzins-Politik werden viele populäre Geldanlagen<br />
der Deutschen vakant: Lebens- und Rentenversicherungen<br />
rentieren sich immer seltener. Müssen die Bürger<br />
umlernen und ihr Geld in andere Vorsorgeformen stecken?<br />
Wird der Niedrigzins aus Ihrer Sicht in den kommenden<br />
Jahren anhalten – und mit welchen Konsequenzen<br />
für deutsche Sparer?<br />
Zahlreiche Ökonominnen und Ökonomen erwarten, dass<br />
die Phase niedriger Zinsen noch eine ganze Weile anhalten<br />
wird. Die Schwäche des Finanzmarktes zeigt doch eines: Die<br />
gesetzliche Rentenversicherung muss auch in Zukunft die<br />
zentrale Säule des Alterssicherungssystems bleiben. Sie<br />
muss sogar noch gestärkt werden. Alle historischen Verwerfungen<br />
hat sie letztlich unbeschadet überstanden. Und in<br />
Zeiten niedriger Zinsen erweist sie sich als stabiler als die<br />
kapitalgestützte Altersvorsorge. Eine ernsthaft zu prüfende<br />
Überlegung ist es deshalb, zusätzliche Einzahlungen in die<br />
gesetzliche Rentenversicherung deutlich zu vereinfachen,<br />
indem wir sie ausnahmslos zulassen, also auch etwa vor dem<br />
fünfzigsten Geburtstag, was durch die bisherige Rechtslage<br />
noch verhindert wird.<br />
wirtschaftspolitisch angestrebt. Nicht erst seit den „Fridays<br />
for Future“-Demonstrationen gibt es Bedenken, ob das<br />
Wachstumsideal dem Menschen auch schadet: es bedroht<br />
die Umwelt, führt zu Stress und Burnout etc. Gibt es eine<br />
Alternative zu einer Wirtschaft, die Wachstum anpeilt –<br />
wie könnte sie aussehen?<br />
Oftmals gilt wirtschaftliches Wachstum, ausgedrückt im<br />
Bruttoinlandsprodukt (BIP), als das Maß aller Dinge. Doch<br />
das BIP ist „blind“ dafür, ob unser Wirtschaften auch seine<br />
sozialen, ökologischen und gesellschaftlichen Quellen erhält<br />
oder ob es ihnen Schaden zufügt. Es ist an der Zeit, eine<br />
Trendwende einzuleiten. Mit dem Verharren im Status quo<br />
riskieren wir – ähnlich wie beim Klimawandel – Kipppunkte<br />
zu erreichen, nach denen sich negative Entwicklungen<br />
dynamisch beschleunigen. Die Ressource Zukunft wird<br />
knapp. Wir setzen uns für mehr Lebensqualität statt blindes<br />
Wachstum ein. Dies gelingt zum Beispiel durch soziale Innovationen,<br />
wie sie in manchen Bereichen der Share Economy<br />
mit dem Konzept Teilen statt Besitzen entwickelt wurden.<br />
Zusammen mit neuen Technologien führen sie einer wirksamen<br />
und sparsamen Nutzung unserer natürlichen Ressourcen.<br />
Gemeinwohlorientierten Modellen wollen wir<br />
gleichwertige Rahmen- und Förderungsbedingungen wie<br />
anderen Unternehmen zusichern. Den Wandel wollen wir<br />
mit einem neuen Wohlstandsmaß begleiten, das zum Beispiel<br />
auch den ökologischen Fußabdruck, gute Bildung und<br />
gesunde Lebensjahre abbildet.<br />
Die Digitalisierung bedroht Arbeitsplätze, gerade einfache<br />
Tätigkeiten könnten wegfallen. Zugleich böte sie die<br />
Chance, Arbeit neu zu organisieren: zum Beispiel durch<br />
kürzere Arbeitszeiten. Eine Prognose: Wie arbeiten wir in<br />
30 Jahren?<br />
Die Digitalisierung wird laut einer Studie des Instituts für<br />
Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) die Arbeitsnachfrage<br />
insgesamt kaum beeinflussen, aber die Arbeitsplätze<br />
erheblich verändern. Allein in Nordrhein-Westfalen fallen<br />
demnach bis 2035 rund 290.000 Arbeitsplätze weg. Die gleiche<br />
Zahl entsteht in diesem Zeitraum allerdings in anderen<br />
Bereichen. Bildung und Weiterbildung werden folglich in<br />
den kommenden Jahren immer wichtiger. Deshalb wollen<br />
wir die Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung<br />
weiterentwickeln und die Weiter- oder Neuqualifizierung<br />
auch von Menschen in bestehenden Beschäftigungsverhältnissen<br />
in den Mittelpunkt stellen.<br />
Unser Wohlfahrtssystem beruht auf der Idee, dass Wirtschaftswachstum<br />
zu mehr Wohlstand führt: dies wird auch<br />
Die Fragen beantwortete Markus Kurth<br />
46
<strong>Versicherungsbote</strong>: Wie bewerten Sie die aktuelle Bedrohung<br />
durch Altersarmut in Deutschland? Müssen die<br />
Bundesbürger Altersarmut fürchten – und was kann dagegen<br />
getan werden?<br />
Matthias W. Birkwald: In den Talkshows hört man immer,<br />
dass nur 2,7 Prozent der Rentnerinnen und Rentner<br />
arm seien, weil sie in der „Grundsicherung im Alter“, der<br />
Rentnersozialhilfe, sind. Das sind aber nicht die armen<br />
Rentnerinnen und Rentner, sondern das sind die sehr armen,<br />
nämlich diejenigen, die unterhalb des Existenzminimums<br />
von weniger als monatlich 808 Euro durchschnittlich<br />
leben müssen.<br />
Arm ist nach der EU-Definition aber, wer als alleinlebender<br />
Mensch in Deutschland weniger als 1096 Euro netto<br />
im Monat zur Verfügung hat. Wenn wir diese Zahl nehmen,<br />
dann sind heute bereits 17 Prozent aller über 64-jährigen<br />
Menschen, das heißt 1,2 Millionen Männer und<br />
1,6 Millionen Frauen, in unserem Land als arm zu bezeichnen.<br />
Und wenn wir die Pensionäre und Pensionärinnen<br />
rausrechnen, dann leben 19,5 Prozent aller<br />
Rentnerhaushalte in Armut. Dagegen müssen wir dringend<br />
etwas tun.<br />
Deshalb gilt jetzt umso mehr: Wir brauchen in Deutschland<br />
– wie in vielen anderen OECD-Staaten auch – eine<br />
Mindestrente, die ihren Namen verdient!<br />
Deshalb fordert DIE LINKE nach dem Vorbild Österreichs<br />
eine einkommens- und vermögensgeprüfte „Solidarische<br />
Mindestrente“, die sicherstellt, dass im Alter<br />
niemand von weniger als 1050 Euro netto leben muss.<br />
Nach pessimistischen Schätzungen wird in der gesetzlichen<br />
Rentenversicherung schon Mitte dieses Jahrhunderts<br />
ein Arbeitnehmer fast alleine für einen Rentner<br />
aufkommen müssen. Wie sattelfest ist aus Ihrer Sicht die<br />
umlagefinanzierte Rente?<br />
Nach den kürzlich vom Statistischen Bundesamt aktualisierten<br />
Daten der 14. Bevölkerungsvorausberechnung<br />
(Basis: 31.12.2018) kommen im Jahr 2050 zwei Menschen<br />
im Alter von 20 bis 65 auf einen Menschen im Alter von<br />
66 und älter. Gleichzeitig haben sich in den vergangenen<br />
zehn Jahren die Beschäftigungsquoten der Menschen im<br />
erwerbsfähigen Alter (15-65) sehr dynamisch entwickelt:<br />
Die Quote stieg insgesamt um elf Prozentpunkte auf<br />
60 Prozent, bei Frauen um plus zwölf Prozentpunkte und<br />
bei der ausländischen Bevölkerung um 18 Prozentpunkte.<br />
Das zeigt, dass der demographische Wandel gestalt- und<br />
bewältigbar ist. Da die Regelaltersgrenze – sehr zu unserem<br />
Verdruss – bis 2031 auf 67 Jahre angehoben wird,<br />
Der demografische<br />
Wandel ist gestaltbar<br />
und bewältigbar!<br />
Es antwortete Matthias W. Birkwald. Der Diplom-Sozialwissenschaftler<br />
ist seit 2009 Mitglied<br />
des Bundestages und rentenpolitischer<br />
Sprecher der Bundestagsfraktion Die Linke<br />
im Bundestag.<br />
müsste dann der Berechnungsmodus ab 2031 auch auf<br />
67 umgestellt werden. Dann wird es noch weniger dramatisch<br />
als behauptet.<br />
Im Übrigen: Trotz der Finanzkrise hat sich die gesetzliche<br />
Rente in den vergangen Jahren sehr stabil entwickelt.<br />
Aktuell ist der Beitragssatz zur gesetzlichen Rente auf<br />
dem niedrigsten Stand seit 20 Jahren. Und trotzdem ist<br />
die Rentenkasse dank steigender Beitragseinnahmen<br />
prall gefüllt. Deshalb ist die paritätisch und umlagefinanzierte<br />
Rente das im Prinzip stabilste Element der Altersvorsorge<br />
und muss wieder lebensstandardsichernd und<br />
armutsfest ausgebaut werden.<br />
Die OECD plädiert dafür, das Renteneintrittsalter an<br />
die steigende Lebenserwartung der Bundesbürger zu<br />
koppeln: auch, weil die Gesellschaft altert. Werden wir<br />
künftig länger arbeiten müssen, damit die Rente finanzierbar<br />
bleibt?<br />
Eine Rente 'erst ab 67 plus' lehnt DIE LINKE kategorisch<br />
ab. Ein längeres Leben garantiert nicht automatisch Gesundheit<br />
bis ins hohe Alter hinein – ganz zu schweigen<br />
davon, dass es gar nicht genügend gute Jobs für ältere Ar-<br />
47
eitnehmerinnen und Arbeitnehmer gibt. Vor Vollendung<br />
des 65. Lebensjahres sterben 13 Prozent der Frauen<br />
und 27 Prozent der Männer aus<br />
der niedrigsten Einkommensgruppe,<br />
in der höchsten Einkommensgruppe<br />
sind es acht Prozent<br />
der Frauen und 14 Prozent der<br />
Männer. Das zeigt, dass der Vorschlag,<br />
den Renteneintritt an die<br />
durchschnittliche Lebenserwartung<br />
zu koppeln, höchst unsozial<br />
wäre. Die beste Maßnahme für<br />
eine solide finanzierte gesetzliche Rente ist deshalb ein<br />
Mix aus besseren Löhnen, stabileren Erwerbsbiographien<br />
und einem moderat steigendem Beitragssatz sowie einer<br />
steuerfinanzierten „Solidarischen Mindestrente“.<br />
Sollte die gesetzliche Rente zukünftig gestärkt werden,<br />
etwa durch Anhebung des Rentenniveaus oder mehr<br />
Einzahler? Beispiel Österreich: Hier zahlen auch Selbstständige<br />
und Beamte in die Rentenkasse, der Beitrag ist<br />
höher. Aber im Schnitt erhalten Altersruheständler<br />
über 300 Euro mehr Rente im Monat. Auch für Deutschland<br />
ein denkbares Modell?<br />
Ja. Das österreichische Beispiel zeigt, wohin die Reise gehen<br />
muss. Männer erhalten in Österreich Durchschnittsrenten<br />
von 2.323 Euro und Frauen in Höhe von 1.321 Euro.<br />
Sie liegen damit 1.092 (Männer) bzw. 339 Euro (Frauen)<br />
über vergleichbaren Bruttorenten in Deutschland. Dies<br />
ist möglich, weil Österreich – mit einem Verzicht auf die<br />
Teilprivatisierung der Rente, einer konsequenten Einbeziehung<br />
aller Erwerbstätigen und einem seit 1988 gültigen<br />
Beitragssatz von 22,8 Prozent (Arbeitgeberinnen<br />
und Arbeitgeber 12,55 Prozent und Beschäftigte<br />
10,25 Prozent) – das Rentensystem stabil und zukunftsfähig<br />
aufgestellt hat.<br />
Aktuell wird eine Altersvorsorgepflicht für Selbstständige<br />
diskutiert, weil speziell sogenannte Soloselbstständige<br />
mit kleinem Einkommen oft darauf verzichten, aber<br />
später Anspruch auf Grundsicherung haben. Wie positionieren<br />
Sie sich zu dieser Pflicht – wie könnte diese gestaltet<br />
sein?<br />
48<br />
Aktuell ist der<br />
Beitragssatz zur gesetzlichen<br />
Rente auf<br />
dem niedrigsten<br />
Stand seit 20 Jahren.<br />
Der Vorschlag von Bundesarbeitsminister Hubertus<br />
Heil, Selbständige per Gesetz zur Altersvorsorge zu verpflichten,<br />
geht in die richtige Richtung, wiewohl die Tücke<br />
im Detail liegt und nicht zu viele Opt-out-<br />
Möglichkeiten vorgesehen werden sollten. Internetplattformen,<br />
die gewerblich Selbstständige vermitteln, und<br />
Auftraggeberinnen und Auftraggeber insgesamt müssen<br />
an der Finanzierung der sozialen<br />
Sicherung der vermittelten<br />
Selbstständigen beteiligt werden.<br />
DIE LINKE fordert, in einem ersten<br />
Schritt auf dem Weg hin zu<br />
einer Erwerbstätigenversicherung<br />
alle bisher nicht in einem<br />
obligatorischen Altersvorsorgesystem<br />
abgesicherten Selbstständigen<br />
in die gesetzliche<br />
Rentenversicherung einzubeziehen. Die Beiträge dieser<br />
Menschen sollen nach deren tatsächlichen Einkommen,<br />
also dem Gewinn vor Steuern, berechnet werden.<br />
Ich fordere die Bundesregierung auf, gleichzeitig zu prüfen,<br />
welche Möglichkeiten sich anbieten, einerseits eine<br />
Überlastung kleiner Unternehmen und Solo-Selbstständiger<br />
durch Sozialversicherungsbeiträge zu verhindern<br />
und andererseits die Auftraggeber in einem Umfang an<br />
den Sozialversicherungsbeiträgen zu beteiligen, der im<br />
Wesentlichen dem Arbeitgeberanteil entspricht.<br />
Dazu werden wir im Herbst Fachgespräche durchführen.<br />
Neben der gesetzlichen und betrieblichen Rente sollen<br />
die Menschen auch privat vorsorgen: unter anderem<br />
staatlich gefördert mit der Riester-Rente. Muss Riester<br />
reformiert oder gar abgeschafft werden? Oder funktioniert<br />
das aktuelle Modell? Über 16,56 Millionen Menschen<br />
hatten zum Ende des dritten Quartals einen<br />
Riester-Vertrag abgeschlossen. Aber das Neugeschäft<br />
stagniert, jeder fünfte Vertrag liegt nach Schätzungen<br />
des Bundesarbeitsministeriums auf Eis.<br />
Die Riester-Rente und andere Formen kapitalgedeckter<br />
Altersvorsoge sind nicht zuletzt wegen der Niedrigzinsphase<br />
gescheitert. Statt weiterhin auf die ineffiziente und<br />
intransparente Riester-Rente zu setzen, die jährlich mit<br />
mehreren Milliarden Euro subventioniert wird, fordert<br />
DIE LINKE eine Anhebung des Rentenniveaus auf lebensstandardsichernde<br />
53 Prozent. Nur die gesetzliche<br />
Rente kann auf Dauer den Lebensstandard im Alter sichern<br />
und vor Altersarmut schützen. Die Förderung der<br />
Riester-Rente wollen wir einstellen und die frei werdenden<br />
Finanzmittel sollten für Leistungsverbesserungen in<br />
der gesetzlichen Rentenversicherung ausgegeben werden.<br />
Die bereits eingezahlten Eigenbeiträge und die erhaltenen<br />
Zulagen für Riester-Sparererinnen und -sparer sollten<br />
Vertrauensschutz genießen.
Darüber hinaus sollten Riester-Sparer das Recht erhalten,<br />
das angesparte Kapital freiwillig in die umlagefinanzierte<br />
gesetzliche Rentenversicherung zu überführen, so<br />
dass Anwartschaften auf ihrem persönlichen Rentenkonto<br />
bei der Deutschen Rentenversicherung entstehen. Die<br />
Wechselkosten des Riester-Vertrags sollten auf ein Minimum<br />
begrenzt werden. Die Rentenversicherungsträger<br />
sollten keine Kosten für die Überführung erheben.<br />
Wie positionieren Sie sich zu der Idee, einen Kapitalstock<br />
bei der Deutschen Rentenversicherung aufzubauen, ähnlich<br />
dem schwedischen Staatsfonds? Dort zahlen die Bürger<br />
2,5 Prozent ihres Gehalts in bis zu fünf Fonds ein,<br />
über 800 stehen zu Auswahl. Sie müssen Nachhaltigkeitskriterien<br />
erfüllen. Die Verwaltungskosten: 0,1 Prozent.<br />
Ein Modell auch für Deutschland?<br />
Davon halte ich nicht viel. Für DIE LINKE im Bundestag<br />
gibt es bereits ein attraktives Alternativmodell der freiwilligen<br />
Zusatzvorsorge innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung,<br />
das aber noch zu wenige Menschen<br />
nutzen und das ausgebaut werden sollte: Freiwillige Zusatzbeiträge,<br />
die eigentlich zum Ausgleich von Rentenabschlägen<br />
ab dem 50. Lebensjahr geleistet werden<br />
können. Im Jahr 2017 nahmen bereits 11.620 Rentenversicherte<br />
diese Möglichkeit wahr – 2014 waren es erst 967.<br />
Die IG Metall in Niedersachsen hat hierzu Pionierarbeit<br />
geleistet. In mehreren Tarifabschlüssen hat sie vereinbart,<br />
dass Beschäftigten ab dem 50. Lebensjahr einen<br />
Rechtsanspruch auf eine monatliche Zusatzzahlung ihres<br />
Chefs oder ihrer Chefin von 50 Euro auf ihr Konto bei<br />
der Deutschen Rentenversicherung haben.<br />
Und außerdem sollte die Möglichkeit, für Zeiten der<br />
Ausbildung freiwillig zusätzlich Beiträge nachzahlen zu<br />
können, viel mehr beworben werden.<br />
Arbeitgeberfinanzierte oder eigene freiwillige Zusatzbeiträge<br />
in die umlagefinanzierte gesetzliche Rente sind die<br />
derzeit attraktivste Form der privaten Altersvorsorge.<br />
DIE LINKE wird noch in diesem Jahr detaillierte Vorschläge<br />
zum Ausbau freiwilliger Zusatzbeiträge in den<br />
Bundestag einbringen!<br />
Die Fragen beantwortete Matthias W. Birkwald
<strong>Versicherungsbote</strong>: Wie bewerten Sie die aktuelle Bedrohung<br />
durch Altersarmut in Deutschland? Müssen die<br />
Bundesbürger Altersarmut fürchten – und was kann dagegen<br />
getan werden?<br />
Johannes Vogel: „Altersarmut betrifft erfreulicherweise<br />
im Vergleich mit anderen Generationen sehr wenige Menschen,<br />
das ist eine gute Nachricht. Aber jeder Fall ist einer<br />
zu viel, und deshalb besteht politischer Handlungsbedarf.<br />
Das ist bedauerlicherweise ein Thema, welches viel zu lange<br />
von der Bundesregierung außer Acht gelassen wurde.<br />
Jetzt bearbeitet die Koalition mit der sogenannten Grundrente,<br />
nach den unfinanzierbaren Rentenpaketen des letzten<br />
Jahres, endlich das richtige Thema, aber legt ein<br />
schlechtes Modell vor. Die Grundrente würde nicht zielgenau<br />
helfen und wäre sogar teilweise äußerst unfair. Wer<br />
stolze 34 Jahre lang eingezahlt hat, wird in dem Modell<br />
überhaupt nicht berücksichtigt und bekommt für seine<br />
Einzahlungen weniger aus der Rente als jemand, der in<br />
Summe zwar weniger eingezahlt, das aber ein paar Monate<br />
länger getan hat. Ein derart willkürlicher Fallbeileffekt ist<br />
respektlos gegenüber der Lebensleistung der Menschen.<br />
Zudem wird ein Grundsatz unserer Rentenversicherung<br />
untergraben, nämlich das sogenannte Äquivalenzprinzip,<br />
50<br />
Wir müssen bei<br />
Riester-Verträgen<br />
höhere Aktienquoten<br />
zulassen!<br />
Für die FDP antwortete Johannes Vogel,<br />
Sprecher für Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik<br />
der FDP-Bundestagsfraktion und Generalsekretär<br />
der Freien Demokraten NRW.<br />
also dass die Auszahlungen von der Einzahlung abhängen.<br />
Die Grundrente ist darüber hinaus nicht zielgenau. Denn<br />
eine Bedarfsprüfung findet nach den jetzigen Plänen gar<br />
nicht statt. So würde es in einer Vielzahl von Fällen dazu<br />
kommen, dass auch sehr gut versorgte Menschen die<br />
Grundrente erhalten. Und genau das macht den Vorschlag<br />
auch so teuer. Wie es besser gehen würde, haben wir Freie<br />
Demokraten bereits vor einigen Monaten vorgelegt. Unser<br />
Modell der Basis-Rente ist im klaren Kontrast dazu fair,<br />
zielgenau und finanzierbar. Die Basis-Rente bekämpft<br />
zielgenau Altersarmut durch einen Freibetrag bei der<br />
Grundsicherung. Bei der Basis-Rente hat derjenige, der gearbeitet<br />
und vorgesorgt hat, immer mehr als die Grundsicherung.<br />
Und ebenfalls immer mehr als jemand, der das<br />
nicht getan hat. Durch einen Freibetrag in der Grundsicherung<br />
sowohl auf Einkünfte aus der Rentenversicherung<br />
als auch aus privater Vorsorge ermöglichen wir, dass nach<br />
einem langen Arbeitsleben auch bei einem zum Beispiel<br />
durchgehend geringeren Einkommen im Alter mindestens<br />
rund 1.000 Euro übrig bleiben. Gleichzeitig werden keine<br />
ordnungspolitischen Probleme wie etwa die Abkehr vom<br />
Äquivalenzprinzip in der Rentenversicherung oder der<br />
Nutzung von Beitragsgeldern für versicherungsfremde<br />
Leistungen aufgeworfen. Ebenso erhält die Basis-Rente<br />
nur, wer auch wirklich Unterstützungsbedarf hat. Dafür<br />
soll man aber im Alter nicht zum Sozialamt gehen müssen,<br />
denn Beantragung und Auszahlung laufen über die Rentenversicherung.<br />
Die Bundesregierung sollte dieses ausgereifte<br />
Konzept als Beratungsgrundlage nehmen und<br />
endlich etwas für die Menschen tun, die von Altersarmut<br />
bedroht sind.<br />
Nach pessimistischen Schätzungen wird in der gesetzlichen<br />
Rentenversicherung schon Mitte dieses Jahrhunderts<br />
ein Arbeitnehmer fast alleine für einen Rentner<br />
aufkommen müssen. Wie sattelfest ist aus Ihrer Sicht die<br />
umlagefinanzierte Rente? Und sollte das Eintrittsalter an<br />
die steigende Lebenserwartung angepasst werden?<br />
Das wichtigste wäre, die unfinanzierbaren Rentenpakete<br />
der Großen Koalition aus dem letzten Jahr zurückzunehmen,<br />
insbesondere die Manipulation der Rentenformel<br />
zu Lasten der Jungen durch Aussetzung des Nachhaltigkeitsfaktors.<br />
Dass wir darüber hinaus die Rente modernisieren<br />
müssen, ist für uns vollkommen klar. Drei<br />
grundlegende Punkte sind für uns besonders wichtig: Erstens<br />
ist es nicht mehr zeitgemäß, dass Politiker entscheiden,<br />
wann die Menschen in Rente gehen. Wir brauchen<br />
ein flexibles Renteneintrittsalter, das den unterschiedlichen<br />
und vielfältigen Lebensläufen der Bevölkerung ge-
echt wird. Schweden macht uns das beispielsweise seit<br />
Jahren erfolgreich vor. Wer früher in Rente geht, bekommt<br />
weniger Rente, wer später geht, mehr. Dort wird<br />
zudem die Lebenserwartung automatisch in die Formel<br />
einberechnet. Und flexible Teilrentenmodelle sind auch<br />
möglich. Zweitens müssen wir die private Vorsorge besser<br />
machen und das Rentensystem mehr als einen Baukasten<br />
begreifen. Wer zwischen Anstellung und Selbstständigkeit<br />
wechselt, darf zukünftig nicht mehr benachteiligt werden,<br />
sondern muss seine geförderte Altersvorsorge problemlos<br />
mitnehmen können. Zudem brauchen wir eine andere Aktienkultur.<br />
Denn bei einer langfristigen Anlage ist das eine<br />
risikoarme Investitionsmöglichkeit. Und drittens brauchen<br />
wir mehr Transparenz. Wir fordern ein Online-Vorsorgekonto,<br />
mit dem man innerhalb von Sekunden seine<br />
derzeitigen Ansprüche aus allen drei Säulen der Altersvorsorge<br />
gesammelt einsehen kann.<br />
Sollte die gesetzliche Rente zukünftig gestärkt werden,<br />
etwa durch Anhebung des Rentenniveaus oder mehr Einzahler?<br />
Beispiel Österreich: Hier zahlen auch Selbstständige<br />
und Beamte in die Rentenkasse, der Beitrag ist höher.<br />
Aber im Schnitt erhalten Altersruheständler über 300<br />
Euro mehr Rente im Monat. Auch für Deutschland ein<br />
denkbares Modell?<br />
Nein, das glaube ich nicht. Wir dürfen bei der Debatte<br />
nicht vergessen, dass jeder, der nun einzahlt, später auch<br />
Ansprüche besitzt. Somit würden also mehr Einzahler in<br />
ein paar Jahren auch mehr Empfänger bedeuten – ausgerechnet<br />
die Beamten haben dabei einen noch größeren demokratischen<br />
Babyboomer-Buckel als die Gesamtbevölkerung.<br />
Das kann also keine Lösung für die gesetzliche<br />
Rente sein. Es sollte einem zu denken geben, dass insbesondere<br />
die Linkspartei Österreichs Rentensystem als<br />
Vorbild propagiert - und Österreich in Wahrheit auf große<br />
demographische Probleme zuläuft.<br />
Aktuell wird eine Altersvorsorgepflicht für Selbstständige<br />
diskutiert, weil speziell sogenannte Soloselbstständige mit<br />
kleinem Einkommen oft darauf verzichten, aber später<br />
Anspruch auf Grundsicherung haben. Wie positionieren<br />
Sie sich zu dieser Pflicht – wie könnte diese gestaltet sein?<br />
Ich bin der Überzeugung, dass auch Selbstständige für das<br />
Alter vorsorgen müssen. Aber wie sie das tun, das sollen sie<br />
bitte selbst entscheiden können. Also: Pflicht zur Vorsorge<br />
mit echter Wahlfreiheit ja, quasi-Pflicht in die gesetzliche<br />
Rentenversicherung nein. Damit Gründungen aber nicht<br />
an einer Pflicht zur Altersvorsorge scheitern, sollten wir<br />
den Menschen zudem eine Karenzfrist in jeder Gründungsphase<br />
und weitreichende Übergangsvorschriften<br />
einräumen.<br />
Neben der gesetzlichen und betrieblichen Rente sollen<br />
die Menschen auch privat vorsorgen: unter anderem<br />
staatlich gefördert mit der Riester-Rente. Muss Riester<br />
reformiert oder gar abgeschafft werden? Oder funktioniert<br />
das aktuelle Modell? Über 16,56 Millionen Menschen<br />
hatten zum Ende des dritten Quartals einen<br />
Riester-Vertrag abgeschlossen. Aber das Neugeschäft stagniert,<br />
jeder fünfte Vertrag liegt nach Schätzungen des<br />
Bundesarbeitsministeriums auf Eis.<br />
Ich habe das Thema ja eben schon kurz angeschnitten: Wir<br />
müssen die private Vorsorge, also auch die Riester-Rente,<br />
besser machen. Etwa dadurch, dass wir die Riester-Förderung<br />
für alle öffnen. Zudem können und müssen das Zulagensystem<br />
und die sonstigen Vorschriften viel einfacher<br />
werden. Und wir sollten höhere Aktienquoten zulassen.<br />
Wie positionieren Sie sich zu der Idee, einen Kapitalstock<br />
bei der Deutschen Rentenversicherung aufzubauen, ähnlich<br />
dem schwedischen Staatsfonds? Dort zahlen die Bürger<br />
2,5 Prozent ihres Gehalts in bis zu fünf Fonds ein, über<br />
800 stehen zu Auswahl. Sie müssen Nachhaltigkeitskriterien<br />
erfüllen. Die Verwaltungskosten: 0,1 Prozent. Ein<br />
Modell auch für Deutschland?<br />
Generell freue ich mich über jede Debatte in Richtung<br />
höhere Aktienquoten. Der nächste Schritt muss aber ja<br />
offenkundig sein, erstmal höhere Aktienquoten in allen<br />
Formen der geförderten Altersvorsorge in der 1. und<br />
3. Säule zu erlauben.<br />
Dank Niedrigzins-Politik werden viele populäre Geldanlagen<br />
der Deutschen vakant: Lebens- und Rentenversicherungen<br />
rentieren sich immer seltener. Müssen die<br />
Bürger umlernen und ihr Geld in andere Vorsorgeformen<br />
stecken?<br />
Es spricht jedenfalls alles dafür, bei langfristigen Anlagen in<br />
Aktien zu investieren. Im Dax liegt das Verlustrisiko ab rund<br />
15 Jahren Anlage bei 0 und die Rendite bei 30 Jahren im<br />
Schnitt bei neun Prozent. Und wo reden wir über eine jahrzehntelange<br />
Anlage, wenn nicht bei der Altersvorsorge?<br />
Wird der Niedrigzins aus Ihrer Sicht in den kommenden<br />
Jahren anhalten – und mit welchen Konsequenzen für<br />
deutsche Sparer?<br />
51
Das kann keiner kalkulieren, aber damit ist zu rechnen.<br />
Umso wichtiger wird der vorige Punkt: eine neue Anlagekultur<br />
unter stärkerer Berücksichtigung von Aktien.<br />
Unser Wohlfahrtssystem beruht auf der Idee, dass Wirtschaftswachstum<br />
zu mehr Wohlstand führt: dies wird<br />
auch wirtschaftspolitisch angestrebt. Nicht erst seit den<br />
„Fridays for Future“-Demonstrationen gibt es Bedenken,<br />
ob das Wachstumsideal dem Menschen auch schadet: es<br />
bedroht die Umwelt, führt zu Stress und Burnout etc.<br />
Gibt es eine Alternative zu einer Wirtschaft, die Wachstum<br />
anpeilt – wie könnte sie aussehen?<br />
Wir müssen beim Klimaschutz endlich besser werden.<br />
Aber Klimaschutz und Kapitalismuskritik sind nicht dasselbe.<br />
Denn die soziale Marktwirtschaft ist ein Erfolgsprojekt<br />
und hat uns Wohlstand und Frieden gebracht. Vor<br />
200 Jahren haben von 100 Menschen auf der Erde 94 in extremer<br />
Armut gelebt – heute sind es zehn. Das sind noch<br />
immer zehn Menschen zu viel, aber es ist ein großer Erfolg<br />
des modernen Lebens. Und das lässt sich fortführen: Vor<br />
200 Jahren konnten weltweit von 100 Menschen 88 nicht<br />
lesen, heute sind es 15. Vor 200 Jahren sind von 100 Kindern<br />
43 gestorben, bevor sie fünf Jahre alt waren – heute<br />
sind es noch vier. Bei einer langfristigen Betrachtung muss<br />
also klar werden, welche gesellschaftlichen Erfolge Fortschritt,<br />
Globalisierung und damit auch Wachstum uns allen<br />
bringt. Und genau diese Wirtschaftsordnung ist es<br />
auch, die uns die entstandenen Probleme lösen lässt. Denn<br />
es gibt keinen Widerspruch zwischen Wirtschaft und Klimaschutz,<br />
im Gegenteil. Wachstum heißt ja nicht zwingend<br />
rauchende Schlote. Wir können uns gerade durch die<br />
Kräfte von Marktwirtschaft und Innovation von der Abhängigkeit<br />
von CO2 befreien – und müssen das auch. Das<br />
setzt natürlich voraus, dass wir den ordnungspolitischen<br />
Rahmen richtig setzen, etwa durch einen wirksamen Preis<br />
für CO2, am effektivsten durch einen endlich umfassenden<br />
Zertifikatehandel.<br />
Die Digitalisierung bedroht Arbeitsplätze, gerade einfache<br />
Tätigkeiten könnten wegfallen. Zugleich böte sie die<br />
Chance, Arbeit neu zu organisieren: zum Beispiel duch<br />
kürzere Arbeitszeiten. Eine Prognose: Wie arbeiten wir in<br />
30 Jahren?<br />
Die Digitalisierung ist vor allem eine Chance. Ich bin der<br />
festen Überzeugung: Die Digitalisierung vernichtet unterm<br />
Strich keine Arbeitsplätze, sondern sie verändert sie.<br />
Dafür spricht auch alle Forschung und historische Erfahrung.<br />
Und genau für diesen umfassenden Wandel muss die<br />
Politik die richtigen Antworten finden. Arbeit hat zum<br />
Beispiel immer auch mit Arbeitszeit zu tun, aber unser Arbeitszeitgesetz<br />
stammt aus dem Jahre 1994. Damals gab es<br />
noch Telefone mit Wählscheibe und kaum jemand hat<br />
E-Mails geschrieben. Das passt nicht mehr in die heutige<br />
Zeit. Wer heute das Büro eher verlassen will, um Zeit mit<br />
den Kindern zu verbringen, und am Abend um 22:00 oder<br />
23:00 Uhr noch dienstliche Mails auch nur lesen will, der<br />
darf am nächsten Morgen die Arbeit nicht vor 10 Uhr wieder<br />
aufnehmen. Wer macht denn das? Das Gesetz ist vollkommen<br />
veraltet. Wir müssen es so modernisieren, dass<br />
jede und jeder mehr Freiheiten erhält, sich die Arbeitszeit<br />
unter der Woche besser einteilen zu können.<br />
Dazu gehört aber auch, dass wir dort, wo es sinnvoll und<br />
gewollt ist, mehr Homeoffice ermöglichen. Starre Arbeitszeiten<br />
und Arbeitsorte sind aus der Zeit gefallen. Geben<br />
wir den Menschen mehr Möglichkeiten, selbst zu<br />
entscheiden, wann sie wie und von wo arbeiten! Dazu<br />
müssen wir auch alle Menschen bei der Digitalisierung<br />
mitnehmen. Wir brauchen ein Versprechen an jede und<br />
jeden, durch Weiterbildung im digitalen Wandel gut teilhaben<br />
zu können. Wir wollen allen Menschen ermöglichen,<br />
zum Piloten des eigenen Lebens zu werden. Wir<br />
brauchen ein Konzept für ein echtes zweites Bildungssystem<br />
für das ganze Leben. Dazu gehören auch neue Instrumente:<br />
Denn Weiterbildung ist zwar notwendig, kostet<br />
aber Geld. Auch Bildungsauszeiten muss man sich<br />
schlicht leisten können. Deshalb brauchen wir neue Instrumente<br />
wie einen Rechtsanspruch zur steuerfreien<br />
Entgeltumwandlung für ein Bildungssparen. Mit den<br />
Langzeitkonten für Beschäftigte gibt es schon ein Instrument,<br />
das man nur umbauen und allen Erwerbstätigen zugänglich<br />
machen müsste.<br />
Zudem müssen wir Menschen mit weniger Geld besonders<br />
fördern: Das BAföG für Studierende hat der breiten<br />
Masse der Bevölkerung die Tür zu den Universitäten geöffnet<br />
- warum sollte das mit einem Midlife-BAföG für<br />
Menschen mit geringerem Einkommen nicht auch für ein<br />
zweites Bildungssystem möglich sein? Das Instrument des<br />
Bildungssparens und das Midlife-Bafög könnten in einem<br />
Freiraumkonto zusammengeführt werden. Aber von der<br />
Bundesregierung wartet man leider bisher auf einen großen<br />
konzeptionellen Wurf, der die Chancen für mehr<br />
Selbstbestimmung betont und gestaltet.<br />
Die Fragen beantwortete Johannes Vogel<br />
52
Trotz wiederholter Anfragen hat die AfD uns nicht<br />
geantwortet.<br />
53
Bestandskauf: Wir haben ein schlechteres<br />
Banken-Rating als Gastronome<br />
Tino Scraback<br />
Versicherungsmakler<br />
und Unternehmer<br />
Wenn Versicherungsmakler Bestände aufkaufen wollen, sehen sie sich schnell damit konfrontiert,<br />
dass sie Geld von der Bank brauchen. Das ist kein kleines Problem, zumal viele ihre Bonität<br />
überschätzen. Was es zu beachten gilt, erklärt Versicherungsmakler Tino Scraback, der<br />
selbst drei Tochter-GmbHs zukaufte, in seinem Gastkommentar.<br />
In meinen Augen machen die meisten potenziellen Käufer<br />
beim Thema Kaufpreis und Finanzierung die meisten<br />
Fehler. Erst wird mit einem Verkäufer verhandelt. Dabei<br />
wird alles angeschaut, alles wird geprüft. Dann wird der<br />
Kaufpreis bis auf die 5. Nachkommastelle<br />
verhandelt. Und dann,<br />
erst dann, wird die Hausbank angefragt.<br />
Das ist einfach kein kluges<br />
Vorgehen.<br />
Die meisten Versicherungsmakler<br />
überschätzen ihre eigene Bonität<br />
und sind sich des Kaufes zu<br />
sicher. Vieles klingt ja zunächst<br />
auch super einfach. Als Beispiel<br />
kann folgende Annahme genannt<br />
werden: Ich kaufe einen Versicherungsbestand<br />
für einen Faktor<br />
2.0. 100.000 Euro laufende Einnahmen kosten also<br />
200.000 Euro. Der Bestand ist also in zwei, maximal in<br />
drei Jahren abbezahlt. Und damit etwas schief läuft,<br />
müssten die Kunden ja aktiv weggehen, das können ja gar<br />
nicht so viele machen. Was soll da schon bei der Bank<br />
schiefgehen? Soweit, so schlecht gedacht. Denn eine Bank<br />
sieht dies ganz anders!<br />
54<br />
Vielleicht lohnt es<br />
sich, auch mal einen<br />
Unternehmensberater<br />
zu engagieren<br />
um seine eigene<br />
Firma überprüfen<br />
zu lassen?<br />
Für die Bank sind die 200.000 € ein BLANKOdarlehen.<br />
Diese 200.000 € können nicht besichert werden. Eine<br />
Baumaschine zu kaufen, wäre da um ein Vielfaches leichter.<br />
Dazu kommt das generelle Rating eines Versicherungsmaklers.<br />
Da stehen wir ganz<br />
oben … aber nur in der Wahrnehmung<br />
als Risiko-Fall. Ganz im<br />
Ernst: Wir haben meist ein<br />
schlechteres Bankenrating als<br />
Gastronome.<br />
Jeder, der ernsthaft einen Bestand<br />
oder eine Firma erwerben möchte,<br />
sollte also zunächst ein ernsthaftes<br />
Gespräch mit seiner<br />
Hausbank führen. Und zwar unbedingt<br />
als ersten Schritt! Ich<br />
kann Maklern nur empfehlen: Bereitet<br />
Euch auf dieses Gespräch gut vor. Schaut, dass Ihr<br />
die Bilanzen der letzten zwei Jahre dabei habt und vor allem<br />
auch aktuelle Betriebswirtschaftliche Auswertungen<br />
(BWA).<br />
Und die Bilanzen sollten ordentlich aussehen. Wenn sie<br />
das nicht tun, dann überlegt Euch eine gute Strategie,
was ihr dem Banker erzählen wollt. Noch besser: Schickt<br />
dem Banker vorab noch eine Art Unternehmenspräsentation<br />
mit Zahlen – eine Art Businessplan light. Diese<br />
Präsentation sollte in etwa zwischen 15 und 20 Seiten umfassen.<br />
Führt in dem Schreiben aus: Wo steht Ihr jetzt,<br />
was habt Ihr vor und wo steht Ihr dann durch diese Zukäufe?<br />
Schickt außerdem die Bilanzen mit und eine aktuelle<br />
BWA. Richtig gut wäre auch, wenn Ihr dem Banker<br />
vielleicht ein Muster-Exposé eines potenziellen Maklerbestandes<br />
schickt, so dass er sich das im Vorfeld anschauen<br />
kann.<br />
Finanzierungshöhe<br />
Ein Rat zuerst: Bitte versucht nicht, eine 100-Prozent-Finanzierung<br />
zu bekommen. Ja, das geht und gibt es. Aber<br />
damit tun sich die meisten Banken mehr als schwer. Bietet<br />
stattdessen dem Banker gleich von Beginn 33-50 Prozent<br />
„Eigenkapital“ an. Das macht es eurer Hausbank viel<br />
leichter und zeigt auch, dass Ihr euch gut vorbereitet<br />
habt.<br />
Ihr müsst diese 33-50 Prozent ja nicht selbst haben. Dennoch<br />
kann ich nur zusätzlich bitten: Besitzt aber auch<br />
selbst etwas Kapital! Habt Ihr nämlich nichts auf der Seite<br />
zum Investieren, dann seid Ihr noch nicht soweit.<br />
Wenn Ihr aber nur 20 Prozent habt und wollt auf 40 Prozent<br />
kommen, dann leiht Euch doch das Geld privat.<br />
Weitere potenzielle Geldgeber könnten sein: Maklerpools,<br />
Versicherer, Verkäufer. Solche Geldgeber ließen<br />
sich mit einbinden. Wie wäre es beispielsweise mit einem<br />
verzinsten Verkäuferdarlehen? Auch das kommt in der<br />
Regel gut bei der Bank an.<br />
Thema „Wie komme ich an Versicherungsbestände/<br />
Firmen“?<br />
Meine ersten drei Firmen (zwei GmbHs und ein Bestand)<br />
waren ein Kontakt von einem Maklerbetreuer eines regionalen<br />
Pools. Mit ihm war ich befreundet. Und er bekam<br />
für die Hinweise auch immer eine kleine Tippgeberprovision<br />
von mir. Drei bis vier weitere Bestände stammten<br />
von Maklerkollegen. Durch Gespräche hatte ich herausgehört,<br />
dass sie den Beruf nicht mehr ewig ausüben wollen.<br />
Ich sagte daraufhin sehr dezent, aber auch sehr<br />
direkt: Sobald sie aufhören wollen, würde ich mich freuen,<br />
wenn sie sich bei mir melden. Mit diesen Kollegen<br />
habe ich dann natürlich auch den Kontakt gehalten. Drei<br />
bis vier weitere Bestände erhielt ich außerdem durch<br />
Kollegen, die den Kontakt zu einem Verkäufer hergestellt<br />
haben. Zwei Bestände habe ich von einem Insolvenzverwalter<br />
übernommen. Ein Kontakt kam über einen<br />
Pool und ein Kontakt über einen neuen Mitarbeiter<br />
zustande.<br />
Und ca. 10 Bestände habe ich über professionelle Bestandsvermittler<br />
gekauft. Ich bezahle sehr gerne eine<br />
Vermittlungsprovision, wenn der Kauf professionell abläuft.<br />
Das ist mir sehr viel wert. Heute kaufe ich zu<br />
60-80 Prozent der Firmen und Bestände über solche Vermittler.<br />
Positiv zu nennen sind hier Andreas Grimm und<br />
Peter Schmidt.<br />
Thema: Professionelle Bestandsvermittler<br />
Wendet euch an diese Firmen, wenn ihr Bestände sucht.<br />
Zwei Namen habe ich schon genannt, aber es gibt noch<br />
einige mehr. Geht aber auch an diese Aufgabe professionell<br />
heran! Denn auf nahezu jeden Bestand gibt es etwa<br />
fünf bis zwanzig Interessenten.<br />
Warum sollte der Bestand an Euch verkauft werden?<br />
Umso besser Ihr auf diese Frage vorbereitet seid, umso<br />
größer sind Eure Chancen; Ist zum Beispiel schon die Finanzierung<br />
geprüft?<br />
Die meisten Bestandsvermittler sind auch Unternehmensberater.<br />
Vielleicht lohnt es sich, auch mal einen Unternehmensberater<br />
zu engagieren um seine eigene Firma<br />
überprüfen zu lassen? So könnt Ihr Euch optimal auf einen<br />
Kauf vorbereiten. Und der Bestandsvermittler kennt<br />
Euch schon und kann Euch zielgenau Firmen zur Übernahme<br />
empfehlen.<br />
Fazit:<br />
Ihr müsst den Kauf wirklich wollen! Die meisten Kollegen,<br />
mit denen ich über das Thema „Bestandskäufe/ Firmenkauf“<br />
spreche, beklagen sich aber immer nur über die<br />
Schwierigkeiten. Als ob Bestände einem zufliegen würden!<br />
Ein Bestandskauf ist jedoch ein längerer Prozess, auf<br />
den man sich vorbereiten muss und an dem man dranbleiben<br />
muss. Bleibt also dran und beißt Euch fest! Es ist<br />
wie bei der Kundengewinnung: Die Aufgabe hört auch<br />
nie auf.<br />
Ein Gastkommentar von Tino Scraback<br />
55
Liechtenstein Life Assurance: mit der neuen<br />
yourlife netto in die Vertriebszukunft starten<br />
Fragen und Antworten zu dem Vergütungsmodell der Zukunft, der Situation von Maklern und<br />
zur Forderung nach mehr Kostentransparenz. Ein Interview mit Stefan Bruckner, Head of Sales<br />
der Liechtenstein Life Assurance AG<br />
“Sie bieten mit der neuen yourlife netto eine fondsgebundene<br />
Rentenversicherung als Nettopolice für den deutschen<br />
Markt. Was ist das Besondere an diesem Produkt?”<br />
Bruckner: “Das Produkt beinhaltet keine externen Abschlusskosten<br />
und somit erhält der Versicherungsmakler<br />
folglich aus dem Versicherungsprodukt auch keine Provision.”<br />
“Das bedeutet, Sie trennen Provision und Versicherung.<br />
Ist das neu?”<br />
“Nein. Aber wir sind überzeugt, dass der Versicherungsmarkt<br />
mit seinen Kunden zukünftig offen über die Vergütung<br />
von Beratungsleistungen sprechen muss. Und dieser<br />
Markt wird wachsen, daher haben wir hierfür ein neues<br />
Produkt entwickelt.”<br />
“Ist die yourlife netto somit Ihre Antwort auf die Diskussion<br />
zum Provisionsdeckel?”<br />
“Diese Diskussion fördert die Bereitschaft von Versicherungsvermittlern,<br />
sich über alternative Vergütungssysteme<br />
Gedanken zu machen. Eine faire Beratung muss auch<br />
fair vergütet werden. Und das funktioniert am besten,<br />
56<br />
wenn Vergütung und Versicherung getrennt voneinander<br />
angeboten werden.”<br />
“Wie beurteilen Sie die Bereitschaft von Endkunden für<br />
eine solche Nettopolice?”<br />
“Grundsätzlich sehr positiv. Denn heutzutage sind wir gewohnt,<br />
bei Beratungsleistungen wie beispielsweise beim<br />
Rechtsanwalt oder beim Steuerberater den Preis für eine<br />
Beratung transparent zu kennen und auch zu zahlen.<br />
Und die Trennung von dem Versicherungsprodukt und<br />
der Vergütung führt somit auch in unserem Markt zu<br />
deutlich mehr gewünschter Transparenz seitens der<br />
Endverbraucher.”<br />
“Aber ist dann eine solche Nettopolice nur für vermögende<br />
Zielgruppen geeignet, die ein etwaiges Honorar an einen<br />
Finanzberater auch sofort bezahlen können?”<br />
“Eben nicht. Wir demokratisieren den Zugang zur Altersvorsorge<br />
– auch für jüngere Zielgruppen.”<br />
“Inwiefern?”
Advertorial<br />
“Durch ein modulares Vergütungsmodell. Die vorab vereinbarte<br />
Vergütung für den Vermittler, in Form einer<br />
Upfront-Abschlussprovision und/oder in Form einer laufenden<br />
Vergütung, kann der Kunde über 5 Jahre tilgen.<br />
Diese Finanzierung der Vergütung des Maklers erfolgt<br />
über ein sogenanntes Factoring durch unser Schwesterunternehmen,<br />
die cashyou AG, zusammen mit unserem<br />
Partner, die Deutschen Handelsbank AG in München –<br />
und wird in einem separaten Vertrag zur Versicherungspolice<br />
abgebildet.”<br />
“Und was passiert mit der Vergütung für die Beratung,<br />
wenn ein Kunde seinen Versicherungsvertrag kündigen<br />
sollte?”<br />
“Das ist wie in jedem anderen Beratungsgeschäft: die Beratung<br />
wurde erbracht und in diesem Fall war sie dann wohl<br />
auch so gut, dass auch eine Police abgeschlossen wurde.<br />
Daher besteht juristisch auch ein Anrecht auf die zu leistende<br />
Vergütung der Beratungsleistung. Juristisch ist das<br />
also völlig normal. Schauen Sie sich das Leasing- oder Kreditgeschäft<br />
an. Hier gibt es beispielsweise Vorfälligkeitsentschädigungen,<br />
wenn ein Kunde aus einem Vertrag<br />
frühzeitig aussteigt. Also, nichts Unnormales.”<br />
“Nun handelt es sich bei dem neuen Produkt yourlife netto<br />
um eine fondsgebundene Rentenversicherung. Wäre<br />
man nicht besser beraten, einen Fondssparplan abzuschließen<br />
und somit diese Kosten zu umgehen?”<br />
“Nein. Bei einer langfristigen Altersvorsorge in Form einer<br />
fondsgebundenen Rentenversicherung sprechen die Steuervorteile<br />
eine ganz klare Sprache. Fondspolicen sind auf<br />
Anlegerebene abgeltungssteuerfrei, das heißt – während<br />
der gesamten Beitragszahlungsphase werden keine Steuern<br />
auf die Erträge fällig. In der Auszahlungsphase kommt<br />
es bei der Rentenauszahlung nur zu einer Ertragsanteilsbesteuerung<br />
– beachtlich dabei ist, dass kein Steuerabzug<br />
beim vorhandenen Verrentungskapital stattfindet. Bei<br />
der Wahl einer Kapitalleistung sind 50% aller Erträge gemäß<br />
dem Halbeinkünfteverfahren steuerfrei, sofern die<br />
12/62-Regel erfüllt ist. Wogegen ein nicht ausschüttender<br />
Fondssparplan bei einem Fondswechsel oder einem Verkauf<br />
mit Abgeltungssteuer, Soli und evtl. KiSt. belegt<br />
wird. Handelt es sich dagegen um einen ausschüttenden<br />
Fonds, wird der Ertrag bei Ausschüttung mit Abgeltungssteuer<br />
belegt.”<br />
“Wie bewerten Sie den Markt für Altersvorsorge und die<br />
zukünftige Funktion von Vermittlern?”<br />
“Versicherungsberater haben eine große Aufgabe und Verantwortung,<br />
denn sie schützen die Menschen vor Existenz-bedrohender<br />
Altersarmut. Denn wir sehen ja, was in<br />
Ländern wie UK beispielsweise passiert: eine bedrohliche<br />
Unterversorgung einer breiten Gesellschaftsschicht, die<br />
für Honorarberatung und -zahlung nicht offen ist. Und<br />
ich denke, wir wollen in Deutschland keine Zweiklassengesellschaft,<br />
wie wir es im Gesundheitswesen schon teilweise<br />
erleben.”
Deutsche Firmen –<br />
Cyberschutz<br />
mangelhaft!<br />
„Cyber sind wir!“ – damit wirbt der Cyberspezialist<br />
Cogitanda für die Prävention, Versicherung<br />
und Schadenbehebung von IT-Risiken.<br />
Über die zunehmenden Gefahren durch<br />
Hacker, die fehlende Absicherung deutscher<br />
Firmen sowie die Schwierigkeit, Cyberversicherungen<br />
zu kalkulieren, sprach der <strong>Versicherungsbote</strong><br />
mit Jörg Wälder, CEO der<br />
Cogitanda Group.<br />
<strong>Versicherungsbote</strong>: Cyber ist ein Hype-Thema: Viele Firmen<br />
auf dem deutschen Markt sind noch nicht abgesichert,<br />
die Marktchancen scheinbar grenzenlos, die<br />
Kosten bei Schäden groß. Ihre Einschätzung? Kann sich<br />
Cyber als Boomprodukt der Branche etablieren – unter<br />
welchen Bedingungen?<br />
Jörg Wälder: Cyber-Gefahren sind existenzbedrohend<br />
für viele Firmen, wie diverse Schadenbeispiele zeigen. Die<br />
Reederei Maersk musste zum Beispiel nach einer Hacker-<br />
Attacke zehn Tage analog arbeiten, das heißt mit Stift<br />
und Papier, erlitt durch den Angriff mehr als 100 Millionen<br />
Euro Schaden. Auch die Deutsche Telekom, die<br />
Plattform Ashley Madison usw. wurden Ziel von Angriffen<br />
mit Millionenschäden.<br />
Cyberversicherung kann unserer Meinung nach nur dann<br />
ein Hype sein, wenn die Digitalisierung ein Hype ist. Perspektivisch<br />
ist es schwer vorstellbar, dass Cyberrisken und<br />
infolgedessen Cyberschäden in der Zukunft abnehmen.<br />
Genau das Gegenteil wird der Fall sein. Die prognostizierte<br />
Entwicklung des IOT-Marktes, die Verlagerung vollständiger<br />
Geschäftsmodelle von analog zu digital sowie<br />
Phänomene wie Autonomes Fahren und Connected<br />
Home werden in den nächsten Jahren dazu führen, dass<br />
die jährlichen Cyberschäden global von heute ungefähr<br />
600 Milliarden US-Dollar bis Mitte des nächsten Jahrzehnts<br />
auf 6.000 Milliarden anwachsen werden, so zumindest<br />
eine Schätzung der Herjavec Group. Ein<br />
unfassbarer Wert, nicht wahr? Das Risiko, welches der<br />
58<br />
Cyberversicherung zugrunde liegt, wird also in den nächsten<br />
Jahren drastisch weiter ansteigen. Entsprechend gehen<br />
wir von einer stark steigenden Nachfrage nach Cyber-<br />
Dienstleistungen und -Versicherungen aus.<br />
Studien legen sogar nahe, dass die Cyberversicherung in<br />
20 Jahren höhere Prämieneinnahmen generieren könnte<br />
als die KFZ-Versicherung. Laut dem Versicherer-Dachverband<br />
GDV sollen sich die Prämieneinnahmen in den<br />
nächsten Jahren jeweils verdoppeln, das sehen wir auch so.<br />
Wie bereits zuvor angesprochen, wird der Cybermarkt, sowohl<br />
der dedizierte IT-Security Markt als auch entsprechende<br />
Versicherungslösungen, weiter sehr stark wachsen,<br />
solange die Digitalisierung auch nur ansatzweise in dem<br />
Tempo voranschreitet wie bisher.<br />
Wie schätzen Sie die aktuelle Marktsituation in Deutschland<br />
ein? Haben Firmen den Absicherungsbedarf erkannt<br />
–undwogibtesnochLücken?<br />
Schon heute haben wir in Deutschland Schäden durch Cybercrime<br />
von jährlich rund 65 Milliarden Euro, das sind<br />
immerhin rund 1,9 Prozent des Bruttoinlandsproduktes<br />
(BIP). Dem entgegen haben die Investitionen in entsprechende<br />
Risikominderungsmaßnahmen mit rund 8 Milliarden<br />
Euro jährlich und in Versicherungslösungen mit<br />
bisher lediglich 0,1 Milliarden per annum noch deutliches<br />
Entwicklungspotential.<br />
In dem Bereich der Risiko-Prävention scheint es schon<br />
eine gewisse Bereitschaft der Unternehmen zu geben, in
die SicherheitihrerSystemezuinvestieren.Dennoch:In<br />
der jüngst veröffentlichen 5. Auflage der Cybercrime Studie<br />
von KPMG (e-Crime in der deutschen Wirtschaft,<br />
<strong>2019</strong>) gaben 33 Prozent der Unternehmen mit einem Jahresumsatz<br />
von 250 Millionen Euro bis 3 Milliarden Euro<br />
an, jährlich lediglich zwischen 10.000 Euro und<br />
50.000 Euro zur Bekämpfung von Cybercrime auszugeben.<br />
Das ist in Anbetracht der möglichen und heute bereits<br />
eintretenden Schäden bei Unternehmen dieser Größenordnungen<br />
eindeutig zu wenig, der nächste substanzielle<br />
Schaden ist fast schon nur noch eine Frage der Zeit.<br />
Was sind die größten Kostentreiber, die Unternehmen<br />
bei Cyberschäden entstehen können? Können Sie Beispiele<br />
nennen?<br />
Aus Sicht der Kunden sind die Folgen aus einem erfolgreichen<br />
Angriff mit Ransomware, das Thema Cyber-Betriebsunterbrechungen<br />
und insbesondere auch Datenschutzvorfälle<br />
regelmäßig wirtschaftlich kritisch. Eine Betriebsunterbrechung<br />
kann zum Beispiel zu durchaus substanziellen<br />
Schäden führen, wenn, wie bei Mondelez<br />
(Hersteller u.a. von Toblerone), im Zuge der Ransomware-Attacke<br />
notPetya Produktionsabläufe und Lieferketten<br />
für Wochen gestört werden.<br />
Auch erleben wir zuletzt vermehrt den kombinierten Einsatz<br />
mehrerer Arten von Schadsoftware bei ein- und demselben<br />
Angriff. Software 1 spioniert das Zielobjekt in<br />
Ruhe aus, das kann über Wochen und Monate gehen. Ziel<br />
dieser Aktion ist es, den Wert des Unternehmens zu ermitteln.<br />
Also: Was ist das Unternehmen bereit und in der<br />
Lage, im Erpressungsfall zu zahlen? Eher 5.000 oder<br />
500.000 Euro? In der Praxis sind das dann natürlich<br />
0,5 bzw. 50 Bitcoins. Software 2 löscht danach alle Backups,<br />
auch jene Backups, die bei einem externen Dienstleister<br />
liegen und vermeintlich sicher sind. Sie werden jetzt<br />
sagen, das geht doch gar nicht, genau deswegen liegen<br />
Beispiel Situation Erforderliche Leistungen<br />
Reputationsschaden<br />
Ein ehemaliger Mitarbeiter kopiert das LinkedIn-Profil<br />
eines Mitarbeiters des Unternehmens und diskreditiert<br />
die Person oder das Unternehmen, indem er<br />
kriminellen und/ oder rufschädigenden Inhalt veröffentlicht.<br />
-Rechtsberatung<br />
-Kommunikations- und<br />
IT- Services<br />
-Umsatzverlust<br />
Missbrauch von Konten-/<br />
Kreditkarten-Daten<br />
Über spezielle Schadsoftware ergattern Hacker Bankoder<br />
Kreditkartendaten und nutzen diese zur Zahlung<br />
eigener Rechnungen oder um schlicht Geld vom Unternehmen<br />
zu Kriminellen umzuleiten.<br />
-Monetärer Verlust<br />
-IT-Forensik<br />
-Rechtsberatung<br />
Fake President und ähnliche<br />
Fälle<br />
Schadsoftware mit Wirkung<br />
im<br />
eigenen IT-System<br />
Weiterleitung von Schadsoftware<br />
an Dritte (unbeabsichtigt)<br />
Datenschutzvorfall<br />
Ein Mitarbeiter mit Zahlungskompetenz wird getäuscht<br />
in dem Vorliegen einer Zahlungsverpflichtung<br />
und überweist Geld an Kriminelle. Dies kommt als<br />
klassischer Fake President Fall vor, aber auch durch<br />
manipulierte Rechnungen.<br />
Ein Mitarbeiter öffnet den Anhang einer Email und<br />
lädt eine Schadsoftware in das System des Unternehmens.<br />
Die Folgen: Unbrauchbarkeit der IT-Geräte,<br />
Verlust von Daten, Betriebsunterbrechung, Vertragsstrafen,<br />
etc.<br />
Aus den eigenen Systemen wird ein Virus an Dritte<br />
weitergeleitet, der dort einen Schaden verursacht.<br />
Haftung besteht, wenn nachgewiesen werden kann,<br />
dass nicht alle gebotenen Sicherungsmaßnahmen ergriffen<br />
wurden, um diesen Fall zu verhindern.<br />
Kundendaten werden öffentlich sichtbar, da ein<br />
Dienstleister (z.B. Cloud-Anbieter) unvorsichtig war.<br />
Unabhängig von Verschulden, legt das Gesetz dem<br />
Verwender dieser Daten ausgesprochen kostspielige<br />
Benachrichtigungspflichten auf (Kosten pro Kundendatensatz<br />
liegen bei ca. 50 €).<br />
-Monetärer Verlust<br />
-Rechtsberatung<br />
-IT-Forensik<br />
-Datenwiederherstellung<br />
-Ggfs. Austausch Hardware<br />
-Umsatzverlust<br />
-Evtl. Lösegeld<br />
-Rechtsberatung<br />
-IT-Forensik<br />
-Befriedigung Schaden ersatzansprüche<br />
-AbwehrunbegründeterAnsprüche<br />
Dritte<br />
-Rechtsberatung<br />
-Benachrichtigungskosten<br />
-Befriedigung Schaden ersatzansprüche<br />
-AbwehrunbegründeterAnsprüche<br />
Dritter IT-Forensik<br />
59
meine Backups ja in der Cloud. Glauben Sie uns, das geht.<br />
Software 1 hat nicht nur den „Wert des Unternehmens“<br />
bestimmt, sie hat auch die Administratorenpasswörter im<br />
System gefunden. ... und den Rest können sie sich vorstellen.<br />
Software Nr. 3 schließlich ist ein Erpressungstrojaner<br />
klassischen Zuschnitts, der das System des Unternehmens<br />
verschlüsselt und seine „Hilfe“ beim Entschlüsseln gegen<br />
eine angemessene „Gebühr“ anbietet, deren Höhe besagte<br />
Software 1 zu bestimmen geholfen hat.<br />
Die Erfahrungen mit Cyberrisiken sind noch jung, aber<br />
klar ist: Es drohen hohe Kosten, wie etwa die Schadenssummen<br />
nach der Hackerattacke Wannacry gezeigt haben.<br />
Damals wurde eine Vielzahl von Firmen gleichzeitig<br />
geschädigt: Deutsche Bank, DB oder Renault. Naiv gefragt:<br />
Lassen sich die Kosten für solche Risiken seriös kalkulieren?<br />
Auch vor dem Hintergrund, dass solche<br />
Attacken ja in breiter Fläche und international Kosten<br />
verursachen?<br />
Das vorstellbare Kumul in Cyber ist beachtlich und deswegen<br />
sehr ernst zu nehmen. Bedingt wird dies dadurch,<br />
dass eine solche Cyberattacke vor geographischen Grenzen<br />
nicht Halt macht und bisher nur limitiert Vergangenheitsdaten<br />
vorliegen: Deshalb sind Kumule nur schwer zu<br />
modellieren.<br />
Weiterhin tut sich die Versicherungsbranche mit dem Erfassen<br />
der Gesamtexposure-Situation in Cyber schwer. Es<br />
gibt die „affirmative“ Cyber-Deckung, Add-on-Produkte<br />
zu bestehenden P&C-Produkten („property and casualty<br />
insurance“: Schaden- und Unfall-Versicherung), bei der<br />
die Abgrenzung zwischen den Deckungselementen ein<br />
Problem werden könnte, und last but not least „Silent Cyber“-Risiken,<br />
die Versicherer heute noch ganz generell in<br />
ihren Beständen haben, wenn sie neben Cyber auch andere<br />
Schaden- und Unfall-Sparten anbieten [„Silent Cyber“:<br />
Damit gemeint sind potenzielle Cyber-Schäden, die in<br />
„konventionellen“ Sach- und Haftpflichtversicherungen<br />
verborgen sind, oft unbemerkt. Der Versicherer muss auch<br />
für diese Folgeschäden zahlen, wenn der Versicherungsnehmer<br />
keine spezielle Cyberpolice abgeschlossen hat:<br />
etwa für Personenschäden, wenn die Steuerung eines autonomen<br />
Fahrzeuges manipuliert wird und es in eine Menschenmenge<br />
fährt, Anmerkung Redaktion].<br />
Lloyd’s scheint von den „unsichtbaren“ Cyber-Risken jetzt<br />
genug zu haben – In einem radikalen Schritt hat der<br />
Markt vor Kurzem angekündigt, dass alle P&C-Policen,<br />
die über Lloyds abgewickelt werden, ab spätestens 2021<br />
klar deklarieren müssen, ob und in welchem Umfang Cyber-Risiken<br />
gedeckt sind oder nicht.<br />
60<br />
Während wir eigene Modelle entwickeln, um das Cyber-<br />
Kumul einschätzbar zu machen, muss festgestellt werden,<br />
dass diese Aufgabe kaum von einem einzelnen Unternehmen<br />
bewältigt werden kann. Aus diesem Grund stehen<br />
wir im regen Austausch mit verschiedenen Stakeholdern<br />
der Cyber-Versicherungs- und Cyber-Security-Industrien,<br />
wie zum Beispiel Cyber-Risikomodellierern, Rückversicherern<br />
und IT-Security-Dienstleistern und Beratungen,<br />
Herstellern von Hard- und Software, etc. Wir müssen und<br />
werden dieses Thema gemeinsam in den Griff bekommen.<br />
Ob die aktuellen Schätzungen zu Cyber-Kumulen „seriös“<br />
sind, ist sicherlich vom Betrachtungswinkel abhängig.<br />
2030 werden die Cyber-Kumul-Modelle von heute vermutlich<br />
belächelt werden – Daten und Erkenntnisse sind<br />
heute noch recht begrenzt. Dies bedeutet für uns jedoch<br />
nicht, dass die aktuellen Modelle und Bepreisungen von<br />
Cyber unseriös sind. Jede Zeit in der Entwicklung einer<br />
neuen Sparte hat ihre eigenen Herausforderungen. Heute,<br />
wo der Cyber-Versicherungsmarkt sich noch in den Kinderschuhen<br />
befindet, gilt es, sich mit einem tendenziell<br />
vorsichtigen Pricing aufzustellen. Schritt für Schritt werden<br />
Pricing und Kumul-Einschätzung an Qualität zulegen.<br />
Cyberschäden ändern sich: Mir scheint, es besteht eine<br />
Art Wettlauf zwischen Hackern und Sicherheits-Dienstleistern.<br />
Bedeutet auch die Tarifkalkulation ein ständiges<br />
Hinzulernen?<br />
Ja, der eingeschränkte „Vorhersagewert“ von Daten zu Cyber-Schäden<br />
kommt erschwerend zu den bereits zum<br />
Thema „Cyber-Kumul“ umrissenen Modellierungs-Herausforderungen<br />
hinzu. Das beste Beispiel hierfür sind die<br />
Policen, die Cyber-Versicherer bis Ende 2016 bepreist haben,<br />
bevor die beiden Ransomware-Angriffe von NotPetya<br />
und WannaCry im Folgejahr ungeahnte Schäden<br />
verursacht haben. Das Schadenpotential von Ransomware<br />
und damit die durchschnittlichen Cyber-Schäden eines<br />
Unternehmens wurden also, wenn man sich nur nach historischen<br />
Daten vor 2016 ausgerichtet hat, stark unterschätzt<br />
und die Policen waren dementsprechend nicht<br />
adäquat bepreist.<br />
Das Interview mit Jörg Wälder führte<br />
Mirko Wenig
Die MVP-Studie <strong>2019</strong>: Analyse-Instrument<br />
für ein unverzichtbares Makler-Werkzeug<br />
Autor: Sven Wenig<br />
Für den Vermittler-Alltag gilt: Eine Vielzahl verschiedener<br />
Daten und Informationen muss aufgenommen und<br />
ausgewertet, muss gespeichert und weiterverarbeitet werden.<br />
Oft sind viele Informationen zu verschiedenen Anbietern<br />
und zu komplexen Produkten notwendig. Zudem<br />
braucht es schnelle Leistungsanalysen auf Knopfdruck,<br />
um eine optimale Beratung und Versorgung der Kunden<br />
zu sichern.<br />
In einer solchen und immer mehr auch digitalisierten<br />
Welt wird das Maklerverwaltungsprogramm zu einem unverzichtbaren<br />
Begleiter. Welche Programme aber werden<br />
durch die Makler genutzt, und unter welchen Erfahrungen?<br />
Was leisten die Programme? Und welche Kosten sind<br />
beim Einsatz zu erwarten? Schon 2014 ging der <strong>Versicherungsbote</strong><br />
dieser Frage nach. Da sich mit den technischen<br />
Möglichkeiten aber auch der Markt für Software-Lösungen<br />
rasant ändert, führten wir aktuell in <strong>2019</strong> eine neue<br />
und umfänglichere Studie zum Thema „Maklerverwaltungsprogramme“<br />
durch.<br />
Und die Resonanz kann sich sehen lassen: 590 Teilnehmer<br />
konnten für unsere MVP-Studie in <strong>2019</strong> gewonnen werden.<br />
Diese arbeiten mit 12.141 Nutzern an 9.372 Arbeitsplätzen<br />
plus Cloudlösungen. Zu 90 Prozent sind die<br />
Teilnehmenden an der Umfrage Versicherungsmakler, zudem<br />
antworteten acht Maklerpools auf unseren umfänglichen<br />
Fragenkatalog. Wenngleich also ein kompletter<br />
Überblick über alle verfügbaren Programme aufgrund der<br />
großen Produktpalette schier unmöglich scheint, kann<br />
die MVP-Studie <strong>2019</strong> von <strong>Versicherungsbote</strong> dennoch<br />
den Anspruch erheben, der Branche eine Orientierung zu<br />
bieten.<br />
Die Marktsituation: Scheinbare Vielfalt und<br />
drohendes Oligopol<br />
Was aber zeigt die aktuelle Studie in <strong>2019</strong>? Der Markt<br />
scheint auf den ersten Blick vielfältiger als in der Vergangenheit,<br />
denn Nutzer verteilen sich auf viele MVP. Sicherte<br />
sich der Sieger der vergangenen MVP-Studie von<br />
<strong>Versicherungsbote</strong>, das ams von assfinet (Acturis<br />
Deutschland), in 2014 noch einen Marktanteil von 30 Prozent,<br />
kann sich dieses Mal keines der Programme mit einem<br />
Marktanteil über 20 Prozent behaupten. Auf<br />
19 Prozent bringt es der neue Sieger, das geschlossene<br />
MVP vom Maklerpool blau direkt. Das MVP ams (ams.4 &<br />
ams.5) von assfinet hingegen – als Startkandidat aus dem<br />
„Siegerstall“ der vorangegangenen Studie – bringt es dieses<br />
Mal nur auf überraschend geringe 6 Prozent Marktanteil.<br />
Wenngleich aber mit Blick auf die verschiedenen Programme<br />
größere Vielfalt zu herrschen scheint, relativiert<br />
ein zweiter Blick die Marktsituation. Der Markt verdichtet<br />
sich u.a. durch Übernahmen immer mehr, z.B. der Ass-<br />
FiNET AG in 2015 durch die Acturis Group Limited,<br />
lutronik durch assfinet in 2017 und softfair durch die Gesellschafter<br />
von Fonds Finanz 2017. Droht trotz der Angebots-Vielfalt<br />
demnach sogar die Oligopolisierung, bei der<br />
wenige Anbieter zunehmend an Einfluss gewinnen?<br />
61
Arbeit mit MVPs/ Zusammenarbeit mit Maklerpools:<br />
Unabhängigkeit wichtig<br />
Nun ist Unabhängigkeit für den Makler als Berater des<br />
Kunden wesentlich. So fällt die Entscheidung auch oft<br />
nicht leicht, ob Daten komplett selbst verwaltet werden<br />
sollen oder ob die Verwaltung der Daten an einen Maklerpool<br />
ausgelagert werden soll. Da Maklerpools ihren Vermittlern<br />
oft eigene Softwarepakete und auch eigene MVP<br />
anbieten, besteht die Gefahr, auch hierbei in Abhängigkeit<br />
durch Drittanbieter zu geraten.<br />
Benutzerfreundlichkeit sowie Funktionalität, jedoch auch<br />
die Unabhängigkeit der Programme sowie Service und<br />
Support der Anbieter erwiesen sich in der aktuellen Umfrage<br />
als besonders wichtige Kriterien für ein MVP.<br />
Hauptaugenmerk der Vermittler sind die Automatisation<br />
ihrer Daten per GDV/BiPro Schnittstellen sowie der Import<br />
von Maklerpost, Bestandsdaten und Provisionsdaten.<br />
Für die Arbeitspraxis müssen die Programme größtmöglich<br />
flexibel sein. 71 Prozent der Befragten bezeichnen es<br />
zum Beispiel als wichtig, dass sie über ihr MVP eine Anbindung<br />
an die Cloud haben. Jedoch legen 47 Prozent der<br />
Befragten auch Wert darauf, dass ihnen das Programm<br />
Offlinearbeit unabhängig vom Internet ermöglicht. Um<br />
derartige Erfordernisse an die Programme aus Sicht der<br />
Maklerschaft konkreter zu untersuchen, hat <strong>Versicherungsbote</strong><br />
in seiner aktuellen Studie Funktionen der Programme<br />
erfragt und systematisch aufgeschlüsselt.<br />
Maklern jedoch ist die Gefahr durchaus bewusst. So geben<br />
68 Prozent der Befragten in unserer aktuellen Umfrage<br />
an, dass ihnen die Unabhängigkeit ihres MVP von<br />
Dritten wie Maklerpools, aber auch von den Versicherern,<br />
wichtig ist. Zwar ist die Zusammenarbeit mit Pools<br />
mittlerweile in der Branche gang und gäbe: 88 Prozent<br />
der Umfrageteilnehmer arbeiten mit Maklerpools zusammen.<br />
Die Gefahr der Abhängigkeit wird von 66 Prozent<br />
der Befragten aber dadurch minimiert, dass sie mit mehreren<br />
Pools zusammenarbeiten.<br />
Katalog an Funktionen Ausgangspunkt der<br />
MVP-Analyse<br />
Entstanden ist ein Katalog an Möglichkeiten heutiger<br />
MVP. Entstanden ist auch ein „Must-Have“ all jener Mindest-Funktionen,<br />
die heutzutage in keinem MVP fehlen<br />
dürfen. In einem zweiten Schritt wurde analysiert, welche<br />
MVP solide Grundfunktionen und welche zusätzliche innovative<br />
Möglichkeiten bieten.<br />
Letztendlich bietet die aktuelle MVP-Studie des <strong>Versicherungsbote</strong>n<br />
einen fundierten Überblick über die aktuelle<br />
Situation auf dem Markt. Die komplette<br />
umfangreiche Studie kann auf unserer Webseite<br />
www.<strong>Versicherungsbote</strong>.de für nur 599,00 Euro zzgl.<br />
MwSt heruntergeladen werden. Die Studie beinhaltet die<br />
kompletten Umfrageergebnisse, detaillierte Analysen sowie<br />
einen Vergleich der führenden MVP.<br />
Ein Kommentar von Sven Wenig
Partnerschaften für<br />
personalisierte<br />
Versicherungen<br />
Die Versicherer Element und Volkswagen<br />
haben zu Anfang des Jahres eine Kooperation<br />
geschlossen, um vermeintliche Versicherungslücken<br />
im Kfz-Schutz zu schließen: Gemeinsam<br />
bieten sie Versicherungen für<br />
Drittfahrer, für Probefahrten sowie für<br />
Mietwagen-Buchungen über die VW-Tochter<br />
an. Über die Hintergründe der Kooperation<br />
berichtet Dr. Christian Macht, Vorstandsvorsitzender<br />
ELEMENT Insurance AG<br />
„Das war schon immer so!“ und „Das hat‘s noch nie gegeben!“<br />
waren prägende Aussagen in den meisten Lebensaspekten<br />
deutscher Verbraucher. Unter anderem durch die<br />
Digitalisierung wird dies aber zunehmend hinterfragt.<br />
Neuerungen wie ein Bezahlen via NFC-Chip des Smartphones,<br />
ein Bestellen maßgeschneiderter Hemden für den<br />
Preis eines von der Stange oder Fernsehen-on-Demand –<br />
kuratiert nach dem persönlichen Geschmack – sind nun<br />
möglich und in der breiten Mitte angekommen. Der Kunde<br />
gewöhnt sich an Angebote, die auf ihn zugeschnitten<br />
sind.<br />
Gerade beim eigentlich sehr persönlichen Thema Versicherungen<br />
kann der Verbraucher einen derartigen Ansatz<br />
aber nicht unbedingt erwarten. So entscheidet er sich aus<br />
einer großen Anzahl zumeist ähnlicher Produkte entweder<br />
für das, welches er vom Markennamen her kennt (gut für<br />
den Anbieter) oder aber für das günstigste Angebot (nicht<br />
mehr so gut für den Anbieter). In beiden Fällen hofft er,<br />
dass der Schutz schon passen wird – und muss akzeptieren,<br />
dass einiges einfach nicht möglich ist, wie zum Beispiel das<br />
kurzfristige Erweitern der Kfz-Police für einen kleinen<br />
Zeitraum. Hierauf komme ich gleich noch zurück.<br />
Übertragen wir nun aber den vom Kunden durch andere<br />
Lebensbereiche bereits bekannten digitalen Ansatz auf<br />
Versicherungsprodukte, hätte der Kunde eine dritte Auswahlmöglichkeit<br />
– ein personalisiertes Produkt, welches<br />
auf seine Bedürfnisse zugeschnitten ist.<br />
Jedoch sind diese kundenzentrierten Versicherungen noch<br />
einmal komplexer als die ohnehin schon komplexen<br />
Standard-Policen. Zu bewerkstelligen sind sie nur mit einem<br />
voll-digitalen Ansatz, der sich durch das ganze Produkt<br />
hinweg zieht – von der Produktentwicklung über den<br />
Abschluss bis hin zu Verwaltung und Schadenbearbeitung.<br />
Dabei müssen sich die Unternehmen auf diese Bereiche<br />
konzentrieren, in denen sie wirklich gut sind. Wir wissen<br />
beispielsweise, dass wir in Bereichen wie etwa Marketing<br />
und der Expertise in den etablierten Vertriebswegen keine<br />
Spezialisten sind. Hier punkten dafür unsere Partner.<br />
In dieser Arbeitsteilung sehen wir ein großes Potential für<br />
die Versicherungsbranche: verschiedene Marktteilnehmer<br />
spezialisieren sich auf ihren Teil der Wertschöpfungskette.<br />
Nach diesem Ansatz haben wir beispielsweise zusammen<br />
mit Volkswagen Versicherungsdienst und Volkswagen Financial<br />
Services eine Produkt-Suite für Autofahrer entwickelt.<br />
Diese Produkte lösen gängige Alltagsprobleme wie<br />
zum Beispiel das oben Genannte beim kurzzeitigen Verleih<br />
des eigenen Autos an einen Drittfahrer. Die Kurzzeit-<br />
Policen können zudem einfach und schnell online – auch<br />
von unterwegs – abgeschlossen werden.<br />
Wir sind davon überzeugt, dass in solchen voll-digitalen,<br />
kundenzentrierten Produkten die Zukunft in der Versicherung<br />
liegen wird. Bald werden Kunden personalisierte<br />
Versicherungsprodukte entsprechend ihrer Bedürfnisse<br />
erhalten können – „Das war schon immer so!“ und „Das hat<br />
es noch nie gegeben!“ wird der Verbraucher auch beim<br />
Thema Assekuranz bald vergessen haben.<br />
Ein Gastkommentar von Dr. Christian Macht<br />
63
Nische Private<br />
Pflegeversicherung:<br />
Der Gesetzgeber<br />
könnte über eine<br />
höhere Förderung<br />
nachdenken!<br />
Annabritta Biederbick<br />
Hauptabteilungsleiterin<br />
der Debeka<br />
Die private Pflegezusatzversicherung bleibt eine Nische: 3,5 Millionen Verträge halten die<br />
Bundesbürger derzeit, trotz drohender Vorsorgelücken. Was sind die Gründe dafür und was<br />
kann getan werden, damit mehr Menschen vorsorgen? Der <strong>Versicherungsbote</strong> sprach mit<br />
Annabritta Biederbick, Hauptabteilungsleiterin Krankenversicherung der Debeka. Sie verriet<br />
uns auch, weshalb in der Debeka-Produktwelt kein Weg am geförderten Zusatz-Tarif<br />
vorbeigeht.<br />
<strong>Versicherungsbote</strong>: 76 Prozent aller deutschen Haushalte<br />
haben eine Hausrat-Police, aber weniger als 3,5 Millionen<br />
Bürger besitzen eine Pflegezusatz-Police: nur rund vier<br />
Prozent der Bevölkerung. Sie ist eine Nische, obwohl existentieller<br />
Schutz. Was läuft da schief?<br />
Annabritta Biederbick: Die soziale Pflegepflichtversicherung<br />
wurde vom Gesetzgeber bewusst als Teilkaskoversicherung<br />
konzipiert. Eigenvorsoge ist ausdrücklich gewollt<br />
und notwendig. Ein Großteil der Bevölkerung geht aber<br />
vermutlich davon aus, dass die Leistungen der gesetzlichen<br />
Pflegeversicherung schon ausreichen werden, wenn sie<br />
pflegebedürftig werden. Darüber hinaus werden die Kosten,<br />
die im Pflegefall selbst zu tragen sind, unterschätzt.<br />
Die staatlichen Leistungen decken jedoch lediglich einen<br />
Teil der Pflegekosten ab. Man kann zum Teil von einer riesigen<br />
Lücke zwischen der gesetzlichen Pflegeleistung und<br />
den tatsächlichen Kosten sprechen. In unserem Angebotsportfolio<br />
haben wir sowohl die privat ergänzende Pflegeabsicherung<br />
als auch die staatlich geförderte Pflegezusatzversicherung.<br />
Die Pflegeversicherung ist ein fester<br />
64<br />
Bestandteil in unserer Vorsorgeanalyse beim Kunden. Insofern<br />
kommen wir unserem gesellschaftlichen Auftrag in<br />
dieser Marktnische nach.<br />
Letztendlich bewertet und entscheidet aber der Interessent,<br />
ob er dieses existentielle Risiko abzusichern möchte.<br />
Das Thema Pflege ist oftmals auch negativ belegt bzw.<br />
wird verdrängt („Das ist noch so lange hin, ich bin doch<br />
noch jung!“…), so dass die Abschlussbereitschaft – trotz<br />
eindeutiger Gründe – auf die lange Bank geschoben wird.<br />
Seit dem 1. Januar 2013 gibt es die staatlich geförderte<br />
Pflegezusatzversicherung, auch Pflege-Bahr genannt. Sie<br />
sollte die Privatvorsorge der Bürger in Sachen Pflege stärken.<br />
Wie sieht es bei Ihnen aus? Wie hoch ist der Bestand<br />
der Debeka an Pflege-Bahr-Tarifen im Verhältnis zu „herkömmlichen“<br />
Pflegezusatzversicherungen?<br />
Seit dem 1. Januar 2013 bietet die Debeka die Tarife EPG<br />
(staatlich geförderte Pflegeergänzung) und EPC (ungeförderte<br />
Pflegeergänzung) an. In Tarif EPG sind 166.000 Personen<br />
und in EPC fast 70.000 Personen versichert. Tarif<br />
EPC kann nur zusammen mit EPG abgeschlossen werden.
In den Pflegeergänzungstarifen, die bereits vor dem 1. Januar<br />
2013 eingeführt wurden, sind weitere 184.000 Personen<br />
versichert.<br />
Kann man allen Menschen einen Pflege-Bahr-Tarif empfehlen?<br />
Oder sollten die Versicherten zunächst versuchen,<br />
eine ungeförderte Pflegezusatzversicherung zu erhalten?<br />
Kritiker warnten bei Einführung: Vor allem ältere und<br />
kranke Personen, die keinen „normalen“ Zusatztarif erhalten,<br />
könnten Pflege-Bahr bevorzugen – aufgrund der<br />
eingeschränkten Gesundheitsprüfung. Das führe zu höheren<br />
Prämien bei diesem Vorsorgemodell.<br />
Generell empfehlen wir den geförderten Debeka-Tarif<br />
EPG allen Bürgerinnen und Bürgern.<br />
Gerade jüngere Versicherte<br />
zahlen in der Regel nur den Mindestbeitrag<br />
und können auf diese<br />
Weise bereits mit einem geringen<br />
monatlichen Beitrag Vorsorge für<br />
den Pflegefall treffen. Über 50<br />
Prozent der Versicherten in Tarif<br />
EPG sind jünger als 40 Jahre. Aber<br />
auch für Ältere und Versicherte<br />
mit Vorerkrankungen ist der Tarif<br />
EPG – solange noch keine Pflegebedürftigkeit<br />
besteht – aufgrund<br />
des Kontrahierungszwangs interessant. Denn unabhängig<br />
vom Gesundheitszustand werden weder Leistungsausschlüsse<br />
noch Risikozuschläge erhoben.<br />
In diesem Zusammenhang darf aber nicht außer Acht gelassen<br />
werden, dass der Tarif EPG mit einem monatlichen<br />
Pflegegeld von 600 Euro im Pflegegrad 5 lediglich eine<br />
Grundabsicherung bietet. Eine zusätzliche – ungeförderte<br />
–VorsorgeinFormdesTarifsEPCistnichtnursinnvoll,<br />
sondern empfehlenswert. Da der Abschluss des Tarifs EPC<br />
aber eine Gesundheitsprüfung voraussetzt, ist es möglich,<br />
dass gerade für Personen mit Vorerkrankungen ein Abschluss<br />
nur zu besonderen Bedingungen oder gar nicht<br />
möglich ist. Diesen Personen bleibt daher nur der Tarif<br />
EPG, um für den Pflegefall vorzusorgen.<br />
Je höher aber der Anteil an Personen mit Vorerkrankungen,<br />
desto höher ist auch das Risiko eines Pflegefalls und<br />
umso größer ist die Wahrscheinlichkeit zunehmender Beitragssteigerungen.<br />
Um diesem Risiko infolge einer möglichen<br />
„Antiselektion“ entgegenzuwirken, haben wir uns bei<br />
Einführung entschieden, den Tarif EPG an den Tarif EPC<br />
zu koppeln. Das heißt, wer gesund ist und die umfangreicheren<br />
Leistungen des Tarifs EPC wünscht, muss auch den<br />
Vor allem fürBürger<br />
mit niedrigem<br />
Einkommen ist die<br />
ergänzende Pflegeversicherung<br />
in<br />
erster Linie eine<br />
Kostenfrage.<br />
Tarif EPG als Grundabsicherung abschließen. Auf diese<br />
Weise versuchen wir eine ausgewogene Kalkulation zu erzielen,<br />
die letzten Endes allen nach Tarif EPG Versicherten<br />
zu Gute kommt.<br />
Ein wichtiger Kritikpunkt bei Pflege-Bahr war bzw. ist,<br />
dass die Policen keine Beitragsbefreiung im Leistungsfall<br />
vorsehen. Auch wer bereits pflegebedürftig ist, muss weiter<br />
monatlich Beiträge zahlen. Wie sieht das bei Ihnen<br />
aus? Und wie wirken sich die Beiträge im Pflegefall für die<br />
Versicherten aus – können Sie ein Beispiel nennen?<br />
Eine Beitragsbefreiung imLeistungsfallhaltenwirfür<br />
problematisch: In allen Tarifen gilt, dass der zukünftige<br />
Leistungsbedarf durch das zukünftige<br />
Beitragsaufkommen finanziert<br />
wird. Werden die<br />
Beiträge nur von den noch nicht<br />
pflegebedürftigen Versicherten<br />
getragen, fallen sie daher grundsätzlich<br />
höher aus. Insbesondere<br />
für die hohen Alter, in denen der<br />
ü berwiegende Teil der Menschen<br />
pflegebedürftig ist, ergibt sich dadurch<br />
ein erheblicher zusätzlicher<br />
Finanzierungsbedarf.<br />
Der monatliche Beitrag während<br />
des Pflegefalls lässt sich durch den Abschluss eines höheren<br />
Pflegetagegeldes gleich zu Beginn der Versicherungszeit<br />
minimieren. Im Pflegefall könnten dann vom<br />
vereinbarten Pflegegeld nicht nur die monatlichen Pflegekosten,<br />
sondern darüber hinaus eine Beitragsreduzierung<br />
finanziert werden.<br />
Worauf sollten Versicherte speziell beim Abschluss von<br />
Pflege-Bahr-Policen achten? Gibt es Leistungsbausteine,<br />
die Sie für essentiell halten?<br />
Bei Einführung der geförderten Pflegezusatzversicherung<br />
hat der Gesetzgeber den Abschluss und die staatliche Förderung<br />
an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, zum Beispiel:<br />
muss eine soziale oder private Pflegepflichtversicherung<br />
bestehen und es dürfen noch keine<br />
Leistungen in Anspruch genommen worden sein, muss der<br />
Antragsteller mindestens 18 Jahre alt sein, muss das monatliche<br />
Pflegegeld mindestens 600 Euro in Pflegegrad 5 betragen<br />
und der monatliche Eigenbeitrag muss bei<br />
mindestens 10 Euro liegen.<br />
Diese Vorgaben sind sehr eng gefasst, sodass kaum Spielraum<br />
für zusätzliche Leistungsbausteine vorhanden ist.<br />
65
Wer aber über die Mindestabsicherung nach gesetzlich<br />
vorgegebenem Rahmen hinaus für den Pflegefall vorsorgen<br />
will, dem bieten wir mit unserer ungeförderten Pflegezusatzversicherung<br />
nach Tarif EPC eine umfassende und<br />
sinnvolle Ergänzung.<br />
Gibt es Reformbedarf mit Blick auf Pflege-Bahr? Wo<br />
könnte der Gesetzgeber ansetzen, um die Policen attraktiver<br />
zu machen bzw. die Nachfrage anzukurbeln?<br />
Vor allem für Bürger mit niedrigem Einkommen ist die ergänzende<br />
Pflegeversicherung in erster Linie eine Kostenfrage.<br />
Bei einem Jahresbeitrag von oft mehreren Hundert<br />
Euro für eine ausreichende ergänzende Pflegeversicherung<br />
ist die derzeitige Förderung von 60 Euro für viele nicht genug.<br />
Hier könnte der Gesetzgeber über eine höhere Förderung<br />
oder weitergehende Steuervorteile nachdenken.<br />
Könnten sich auch die Versicherer und der Vertrieb noch<br />
stärker engagieren, um für Pflegepolicen und die drohende<br />
Vorsorgelücke allgemein zu sensibilisieren?<br />
Wie zuvor erläutert, ist die ergänzende Pflegeversicherung<br />
fester Bestandteil in der Vorsorgeanalyse, die wir mit unseren<br />
Kunden durchführen – und wird regelmäßig in<br />
Kampagnen aufgegriffen. Insofern leisten wir unseren Beitrag,<br />
die Bevölkerung entsprechend zu sensibilisieren.<br />
Ob Pflegetagegeld oder Pflegerente: Wie hoch sollte eine<br />
Mindestabsicherung aus Ihrer Sicht ausfallen? Gibt es<br />
hier eine Faustregel oder lässt sich das nicht so pauschal<br />
sagen?<br />
Eine pauschale Aussage ist hier unseres Erachtens nicht<br />
möglich. Der Bedarf ist individuell bei jedem Menschen<br />
unterschiedlich und muss unter Berücksichtigung vieler<br />
Faktoren (gesetzliche und private Renten- oder Lebensversicherungen,<br />
betriebliche Versorgung, Ersparnisse, familiäre<br />
Situation, Priorisierung auf ambulante, teilstationäre<br />
oder stationäre Versorgung) individuell<br />
ermittelt werden.<br />
Pflegezusatz-Policen gelten als vergleichsweise komplex.<br />
Bieten Sie ihre Verträge auch per Direktvertrieb an?<br />
Wenn ja/nein: bitte begründen.<br />
Nein. Aus den oben genannten Gründen (Bedarfsanalyse,<br />
kein Standardangebot, komplexer Bedarfssachverhalt/<br />
Produkt) ist eine individuelle Beratung unseres<br />
Erachtens unbedingt erforderlich. Deshalb schließen wir<br />
auch die Möglichkeit aus, ein solches Produkt „online“<br />
abzuschließen.<br />
Wenn es um das Pflegerisiko geht, argumentieren wir gern<br />
mit den stationären Pflegeheimkosten. Fakt ist: Die überwiegende<br />
Mehrheit der Pflegebedürftigen wird in den eigenen<br />
vier Wänden betreut. Worauf gilt es bei<br />
Pflegezusatz-Policen mit Blick auf pflegende Angehörige<br />
zu achten?<br />
Die Leistungen von Pflegezusatz-Policen sollten grundsätzlich<br />
flexibel und vor allem nicht zweckgebunden, also<br />
ohne Vorlage von Kostennachweisen, erfolgen. Der pflegende<br />
Angehörige sollte über die zusätzliche Leistung<br />
auch, je nach vorliegender persönlicher Situation, selber<br />
entscheiden, wofür er diese in der Pflege einsetzt.<br />
Seit Inkrafttreten der Pflegestärkungsgesetze sind die<br />
Pflegekosten für Angehörige nahezu explodiert. Die<br />
durchschnittliche Last der Bundesbürger stieg von 1.772<br />
Euro im Januar 2018 auf 1.830 Euro monatlich zum Jahresanfang<br />
<strong>2019</strong>, wenn Betroffene vollstationär betreut werden<br />
müssen. Erwarten Sie einen weiteren Anstieg der<br />
Pflegekosten – oder was könnte diese senken?<br />
In der vollstationären Pflege erwarten wir jedes Jahr eine<br />
Erhöhung des Eigenanteils für den Betroffenen. Hintergrund<br />
hierzu ist die jährliche Kostenerhöhung für Unterkunft,<br />
Verpflegung und Investitionskosten durch die<br />
Pflegeheime.<br />
Die Art, Höhe und Laufzeit der einzelnen Pflegesätze<br />
werden zwischen dem Träger des Pflegeheimes und den<br />
Leistungsträgern (z. B. Pflegekassen, Sozialversicherungsträger,<br />
Träger der Sozialhilfen, Arbeitgemeinschaften<br />
usw.) vereinbart. Ob bei den Verhandlungen für die Vergütungsvereinbarung<br />
die Möglichkeit einer Kostensenkung<br />
– bei jährlich steigenden Kosten für die Träger der<br />
Pflegeheime – besteht, können wir leider nicht beantworten,<br />
da wir an diesen Verhandlungen als privates Versicherungsunternehmen<br />
nicht teilnehmen können.<br />
Deutschland läuft auf einen Pflegenotstand zu, laut dem<br />
Pflegewissenschaftler Michael Simon fehlen schon über<br />
100.000 Pflegekräfte. Zugleich klagen die Kliniken und<br />
Pflegedienstleister über steigenden Kostendruck, der es<br />
ihnen nicht erlaube, neues Fachpersonal einzustellen –<br />
auch von Seiten der Krankenversicherer. Ein Widerspruch?<br />
Was kann und muss getan werden, um den viel<br />
beschworenen PflegeGAU zu verhindern?<br />
67
Eine Beitragsbefreiung<br />
im Leistungsfall<br />
halten wir für<br />
problematisch...<br />
Zunächst einmal muss man betonen, dass die Menschen in<br />
Deutschland – auch dank unseres dualen Gesundheitssystems<br />
von PKV und GKV, das unbestreitbar<br />
zu einem der besten<br />
auf der Welt zählt – immer älter<br />
werden. Damit kommen natürlich<br />
auch erhebliche Mehrkosten auf<br />
die Pflegeversicherung zu, denn<br />
mit der steigenden Anzahl der Älteren<br />
steigt auch die Anzahl der<br />
Pflegebedürftigen. Gleichzeitig gibt es immer weniger junge<br />
Menschen, die die steigenden Kosten tragen können.<br />
Diese Kosten müssen aber finanziert werden. Wie dringend<br />
der Handlungsbedarf in der Pflegeversicherung ist,<br />
zeigen allein die in den vergangenen Jahren umgesetzten<br />
Pflegestärkungsgesetze oder das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz,<br />
das unter anderem ein Sofortprogramm zur<br />
Stärkung der pflegerischen Versorgung in stationären<br />
Pflegeeinrichtungen vorgesehen hat.<br />
Eine Ausweitung der bestehenden Umlagefinanzierung,<br />
wie es die Vertreter einiger Parteien vorschlagen – ganz<br />
gleich, ob dies als Deckelung der Eigenanteile, durch höhere<br />
Steuerzuschüsse oder in Form einer „Pflege-Bürgerversicherung“<br />
der Fall wäre –, trägt unseres Erachtens jedoch<br />
nicht zu einer Lösung des Problems bei. Nur durch eine<br />
Ausweitung des Kapitaldeckungsverfahrens<br />
werden die Beiträge<br />
der Versicherten in jüngeren Jahren<br />
verzinslich angelegt und im<br />
Alter wieder aufgelöst. Diesem<br />
Prinzip folgend, war die Einführung<br />
der geförderten Pflegezusatzversicherung<br />
bereits ein<br />
Schritt in die richtige Richtung. Denn auf diese Weise<br />
sorgt letztlich jede Generation für sich selbst vor und verlagert<br />
das Problem nicht auf zukünftige Generationen.<br />
Das Interview mit Annabritta Biederbick<br />
führte Mirko Wenig
Fünf nützliche Tools zum Nulltarif aus<br />
dem Social Media Werkzeugkasten<br />
MarKo Petersohn<br />
Gründer der Agentur<br />
As im Ärmel<br />
MarKo Petersohn ist seit 2012 das As im Ärmel der Assekuranz im #Neuland. Er schult und berät<br />
Versicherer und Vermittler für erfolgreiche Kommunikation in den neuen Medien. Außerdem<br />
ist er Gründer der Onlinemarketinggesellschaft für Versicherungsvermittler (OMGV) und<br />
Initiator des OMGV Award, welcher seit 2018 auf der DKM verliehen wird.<br />
Erfolg in Social Media ist kein Hexenwerk, sondern klassisches<br />
Handwerk. Und dafür benötigt man Werkzeuge.<br />
Ich werde Ihnen in diesem Artikel 5 Tools vorstellen.<br />
Wissen Sie, was der zweithäufigste Satz ist, den ich in<br />
Workshops und Vorträgen zu Social-Media-Marketing<br />
von Versicherungsvermittlern höre? Er lautet: „Wann soll<br />
ich denn das noch alles machen?“ Der häufigste Satz ist<br />
übrigens noch immer: „Ich glaube Ihnen ja, dass das in<br />
anderen Branchen funktioniert, aber nicht bei Versicherungen.“<br />
Wobei dieser Satz sukzessive seltener wird, da es<br />
immer mehr Erfolgsbeispiele gibt.<br />
Versicherungsvermittler erkennen zunehmend die Chancen<br />
von Social Media, welche auch den damit verbundenen<br />
Mehraufwand rechtfertigen. Denn, und das steht<br />
außer Frage, professionelles Social Media Marketing bedeutet<br />
mehr Arbeit und Ausgaben. Aber dafür lohnt es<br />
sich nachweislich. Zumindest wenn man es richtig macht.<br />
Und ein essenzieller Punkt ist hierbei, dass man die richtigen<br />
Werkzeuge zur Hand hat. Ohne diese geht nichts!<br />
Und fünf kostenlose nützliche Werkzeuge stelle ich Ihnen<br />
heute vor.<br />
Grafiken erstellen<br />
Dass Social Media äußerst bildlastig ist, muss ich Ihnen<br />
nicht sagen. Das können Sie in jedem Newsfeed sehen –<br />
und zwar wortwörtlich „sehen“. Was bedeutet, dass auch<br />
Sie ansprechende Bilder kreieren müssen, um Aufmerksamkeit<br />
zu generieren. Dabei ist es egal, ob Sie ein einfaches<br />
Posting veröffentlichen oder eine Werbeanzeige.<br />
Nur: Woher bekommen Sie solche Grafiken? Der Königsweg<br />
ist natürlich ein Grafiker, nur ist ein solcher ein entsprechender<br />
Kostenfaktor. Und wenn Sie nicht gerade<br />
Lust, Zeit und Geld haben, sich in professionelle Grafikprogramme<br />
wie Photoshop einzuarbeiten, dann brauchen<br />
Sie eine Alternative. Und hier empfehle ich Ihnen Canva<br />
(www.canva.com). Hierbei handelt es sich um ein Bildbearbeitungsprogramm<br />
für jedermann, im Prinzip um einen<br />
Klassiker. Ich empfehle dieses Tool Maklern und Vermittlern<br />
seit dem ersten Onlinemarketingseminar 2014. Es ist<br />
einfach zu bedienen, die komplette Gestaltung erfolgt per<br />
Drag & Drop. Und die Ergebnisse können sich wirklich<br />
sehen lassen.<br />
Schon in der kostenlosen Version stehen Ihnen eine Vielzahl<br />
an Vorlagen, fertigen Designs und Grafikelementen<br />
69
zur Verfügung. Zudem kann man eigene Bilddateien<br />
hochladen, die dann als Hintergrund oder Grafikelement<br />
verwendet werden können. Und als ob das nicht schon genug<br />
ist, ist Canva außerdem für<br />
Social Media optimiert. Was bedeutet,<br />
sämtliche Grafiken werden<br />
stets in der perfekten<br />
Bildgröße der jeweiligen Netzwerke<br />
erstellt.<br />
Rechtssichere und kostenlose<br />
Bilder im Internet<br />
Wo wir gerade bei Bildern sind.<br />
Man ist immer auf der Suche nach<br />
dem passenden Bildmaterial. Und hierfür empfehle ich<br />
Ihnen pixabay.com und pexels.com. Streng genommen<br />
sind diese Webseiten zwar keine Tools, aber trotzdem<br />
sind es nützliche Werkzeuge. Denn hier bekommen Sie<br />
kostenlose und, soweit wie möglich, rechtssichere Bilder<br />
unter der Lizenz „Creative Commons Zero“. Das bedeutet:<br />
Sie können die Bilder für private und kommerzielle<br />
Zwecke nutzen und müssen nicht einmal die Quelle nennen.<br />
Die 20-Prozent-Regel!<br />
Wenn ich Ihnen zuvor erklärte, dass Sie ansprechende Bilder<br />
kreieren müssen, dann meine ich das durchaus wortwörtlich.<br />
Versehen Sie ihre Bilder mit Texten. Dies führt<br />
zu messbar mehr Erfolg. Sprechen Sie die Zielgruppe direkt<br />
im Bild wortwörtlich an, dann generieren Sie messbar<br />
mehr Interaktionen. Das gilt besonders bei<br />
Werbeanzeigen. Allerdings darf es im Facebook-Kosmos<br />
nicht zuviel Text für Anzeigen sein. Genau genommen<br />
liegt die magische Grenze bei 20 Prozent. Hat Ihre Anzeige<br />
mehr Text, wird die Reichweite von Facebook aktiv<br />
eingeschränkt. Damit verbunden hat die Anzeige natürlich<br />
eine schlechtere Performance und verursacht somit<br />
höhere Kosten bei geringerem Erfolg.<br />
Damit Sie in Zukunft kein Problem mehr mit der 20-Prozent-Regel<br />
haben, bietet Facebook den Image-Text-<br />
Check (www.facebook.com/ads/tools/text_overlay). Mit<br />
ihm können Sie prüfen, ob Ihre Anzeige abgestraft wird<br />
oder nicht.<br />
IFTTT<br />
Es ist wie bei Apple<br />
vs. Android, testen<br />
Sie am besten aus,<br />
was für Sie das<br />
richtige ist. Testen<br />
kostet nichts.<br />
Kein Problem, genau dafür wurde IFTTT (If this than<br />
that) entwickelt. Die Plattform bietet Rezepte, um unterschiedlichste<br />
Maßnahmen miteinander zu verknüpfen.<br />
Darunter fallen Social Media Aktionen<br />
wie, „Wenn ich auf Instagram<br />
ein Bild poste, soll es auch<br />
auf Twitter oder Facebook gepostet<br />
werden“, aber auch völlig andere<br />
Dinge wie „Wenn mich mein<br />
Smartphone weckt, soll die<br />
Kaffeemaschine angehen“. Im<br />
Prinzip können Sie mit IFTTT<br />
(www.ifttt.com) nahezu sämtliche<br />
Funktionen verknüpfen, die in irgendeiner<br />
Art mit dem Internet<br />
verbunden sind. Es hilft also nicht nur ein nützliches Social-Media-Werkzeug,<br />
sondern ein wirklich mächtiges<br />
Onlinetool.<br />
Automatisierte Postings<br />
Ich predige bei sämtlichen Seminaren und Workshops,<br />
dass Kontinuität einer der größten Erfolgsfaktoren bei<br />
Social Media ist. Sowohl inhaltlich als auch in der Regelmäßigkeit<br />
der Postings. Aber gerade beim zweiten Punkt<br />
wird häufig berechtigterweise angemerkt, dass man nicht<br />
immer Zeit hat etwas zu posten. Und genau an dem Punkt<br />
helfen Ihnen Hootsuite (www.hootsuite.com) und Buffer<br />
(www.buffer.com).<br />
Mit beiden Programmen können Sie Social Media Plattformen<br />
von einem Ort aus verwalten und Postings erstellen,<br />
planen und zu vorgegebenen Zeitpunkten veröffentlichen.<br />
Das bedeutet, Sie müssen sich nicht mehr auf<br />
Facebook, Instagram und Twitter anmelden, sondern können<br />
alles aus einem Tool heraus steuern.<br />
Falls Sie sich fragen, warum ich Ihnen beide nenne und<br />
welches ich Ihnen empfehle, so kann ich Ihnen sagen, dass<br />
ich persönlich seit Jahren Hootsuite nutze und damit<br />
überaus zufrieden bin. Aber ich kenne genügend Personen,<br />
die das gleiche über Buffer erzählen. Es ist wie bei<br />
Apple vs. Android, testen Sie am besten aus, was für Sie<br />
das richtige ist. Testen kostet nichts.<br />
Falls Sie Beratung oder Unterstützung bei Ihren Social-<br />
Media-Aktivitäten benötigen, denken Sie immer daran,<br />
Sie haben ein As im Ärmel!<br />
Sie posten ein Bild in ihrem Instagram-Kanal, aber hätten<br />
es auch gern auf ihren anderen Social-Media-Präsenzen?<br />
Ein Gastkommentar von MarKo Petersohn<br />
70
71
Simon Nörtersheuser<br />
Gründer und Geschäftsführer der<br />
Policen Direkt Gruppe<br />
Die überwiegende Mehrheit der<br />
InsurTechs ist kein Gegner der<br />
Vermittlerschaft<br />
InsurTechs boomen? Jein, denn viele mussten in den letzten Jahren wieder aufgeben: speziell im<br />
Bereich des Versicherungsvertriebs. Über den Stand der deutschen und globalen InsurTech-<br />
Szene haben Policen Direkt und Oliver Wyman eine gemeinsame Studie initiiert: den InsurTech-<br />
Radar. Der <strong>Versicherungsbote</strong> sprach mit Simon Nörtersheuser, Gründer und Geschäftsführer<br />
der Policen Direkt Gruppe, sowie Dr. Nikolai Dördrechter, InsurTech-Experte und Mitautor der<br />
Studie, was von den „Jungen Wilden“ der Branche aktuell zu erwarten ist.<br />
<strong>Versicherungsbote</strong>: Mit dem Insurtech-Boom der letzten<br />
Jahre wuchs nicht nur die Zahl der Unternehmen, sondern<br />
auch der Wettbewerb. Welche InsurTechs konnten<br />
sich auch im letzten Jahr erfolgreich behaupten und welche<br />
Voraussetzungen bringen diese mit?<br />
72<br />
Dr. Nikolai Dördrechter: Seit 2000 gab es 183 Gründungen<br />
von InsurTechs in Deutschland. Von diesen haben<br />
mittlerweile 49 aufgegeben oder haben dem Versicherungsmarkt<br />
den Rücken zugekehrt. Allein das zeigt, dass<br />
es hier keine Erfolgsgarantie gibt. Wir haben mit der aktuellen<br />
Ausgabe des InsurTech-Radars 20 Scale-ups identifiziert,<br />
deren Geschäftsmodelle überdurchschnittlich<br />
stark wachsen. Diese InsurTechs konnten sich vom restlichen<br />
Feld absetzen, weil sie Kooperationen mit Versicherern,<br />
Vertriebsorganisationen und zunehmend auch<br />
anderen InsurTechs eingehen. Elf Scale-ups richten ihr<br />
Geschäftsmodell auf das Angebot von Versicherungen<br />
aus, vertreiben als Neocarrier eigene Produkte. Andere<br />
fokussieren sich auf digitale Vertriebsplattformen, die aus<br />
unserer Sicht auf dem Weg zur Systemrelevanz sind.<br />
Aber: Die Entwicklung bleibt dynamisch. Wir rechnen damit,<br />
dass neue InsurTechs zu Scale-ups werden – und dass<br />
manch ein Scale-up auch noch nicht über den Berg ist.<br />
Der Wettbewerb fordert zunehmend Opfer unter den<br />
InsurTechs. Seit 2017 häufen sich Geschäftsaufgaben. Der<br />
InsurTech-Radar kennt zudem „Zombies“, die zwar formal<br />
noch existieren, denen Sie aber keine Zukunftschancen<br />
einräumen. Welche InsurTechs sind besonders von<br />
Misserfolg betroffen und wodurch begründen sich deren<br />
fehlende Erfolgsaussichten?<br />
Dr. Nikolai Dördrechter: Zunächst einmal ist die Auslese<br />
Zeichen der zunehmenden Reife des Marktes und lässt<br />
sich in ähnlicher Form in anderen Industrien gleichermaßen<br />
beobachten. Wir hatten für den InsurTech-Markt in<br />
Deutschland bereits in 2017 prognostiziert, dass sich die<br />
Spreu vom Weizen trennen wird und dass das rasante<br />
Wachstum bei der Anzahl der InsurTechs nicht ewig so<br />
weitergehen wird. So zeigt sich der Reifeprozess auch daran,<br />
dass sich im vergangenen Jahr die Gründungen und<br />
Austritte die Waage hielten. Unter den „Zombies“, die<br />
quasi formal nur noch auf dem Papier existieren, sind
Dr. Nikolai Dördrechter<br />
InsurTech-Experte und Mitautor des<br />
InsurTech-Radars<br />
auch einige mit hohen Investitionen, deren Abschreibung<br />
durchaus schmerzhaft sein könnte – auch für Versicherer,<br />
die investiert sind. Betroffen sind vor allem Modelle, die<br />
im Ringen um Neukunden von den extrem hohen Marketing-<br />
und Vertriebsaufwendungen zerrieben wurden. Es<br />
gibt dann zwar einen Kundenstamm,<br />
der reicht aber nicht aus,<br />
um die Fixkosten zu decken. Die<br />
Fixkosten kann man bis zu einem<br />
gewissen Punkt runterfahren.<br />
Dann aber fehlen den Start-ups<br />
die Möglichkeiten, auf der Vertriebsseite<br />
echte Erfolge zu generieren.<br />
Einige Modelle haben sich<br />
auch Nischen ausgesucht, die<br />
wirtschaftlich einfach nicht genug Potenzial für ein<br />
Stand-alone-Geschäftsmodell mit sich bringen. Oder<br />
haben schlichtweg an den Kundenbedürfnissen vorbei<br />
entwickelt.<br />
Mittlerweile kooperieren viele Versicherer mit den jungen<br />
Marktteilnehmern oder haben sich sogar direkt an<br />
ihnen beteiligt. Welche Entwicklung erwarten sie für die<br />
Zukunft?<br />
Die Digitalisierung<br />
der Versicherungsbranche<br />
ist das<br />
Kernthema<br />
überhaupt.<br />
Kauf nehmen, um die wichtigen Kooperationen mit Versicherern<br />
oder Rückversicherern eingehen zu können.<br />
Versicherer haben aber auch erkannt, dass mehr und<br />
mehr InsurTechs an den richtigen Themen arbeiten und<br />
immer bessere Lösungen vorweisen können. Die Digitalisierung<br />
der Versicherungsbranche<br />
ist das Kernthema überhaupt. Für<br />
Versicherer ist die Investition in<br />
ein InsurTech durchaus ein guter<br />
Weg, sich Zugang zu bestimmten<br />
Technologien zu verschaffen. Insofern<br />
erwarte ich, dass die Investitionen<br />
weiter zunehmen<br />
werden. Die Investitionen werden<br />
aber mehr und mehr auf bestimmte<br />
Schlüsselthemen konzentriert werden.<br />
Fehlinvestitionen sind natürlich nicht ausgeschlossen, allerdings<br />
scheitert bei großen Versicherern auch manch<br />
eine Softwareeinführung spektakulär. Die Investitionen<br />
in InsurTechs sind verglichen damit sehr viel moderater.<br />
Sie schreiben: Versicherer müssten den Vertrieb neu erfinden,<br />
InsurTechs helfen dabei. Welche Veränderungen<br />
beim Vertrieb erwarten Sie dadurch?<br />
Simon Nörtersheuser: Aus Gründersicht dauern Annäherungsprozesse<br />
aktuell immer noch viel zu lange und sind<br />
oft mit einem asymmetrischen Know-how-Transfer an<br />
die Versicherer verbunden. Die Start-ups müssen das in<br />
Simon Nörtersheuser: Tatsächlich neue Produkte im Sinne<br />
einer Produktinnovation sehen wir aktuell auch auf<br />
InsurTech-Seite vergleichsweise wenig. Innovationen beschränken<br />
sich auf Prozesse – das ist einerseits gut und<br />
73
ichtig. Andererseits erschließt das nicht das gesamte Potenzial.<br />
Wenn wir davon sprechen, den Vertrieb neu zu<br />
erfinden, geht es darum, Versicherungen davon zu befreien,<br />
aktiv verkauft werden zu müssen, indem diese direkt<br />
am Point-of-Demand angeboten werden. Es bräuchte Angebote,<br />
bei denen Kunden einen direkten Mehrwert verspüren,<br />
bei denen die Versicherung zum Beispiel als ein<br />
Baustein in den Hintergrund<br />
tritt, der sozusagen automatisch<br />
mitvertrieben wird. Derartige Geschäftsmodelle<br />
sind allenfalls in<br />
Ansätzen zu erkennen – im Bereich<br />
Smart Home beispielsweise<br />
oder im Bereich Bancassurance, in<br />
die wir große Erwartungen setzen.<br />
InsurTechs werden hier durch<br />
Ihre hohe Flexibilität und Innovationskraft<br />
in Zukunft vermehrt<br />
aktiv werden.<br />
Betrachtet man die drei wichtigsten Segmente „Angebot“,<br />
„Betrieb“ und „Vertrieb“, erweist sich der Bereich<br />
„Vertrieb“ als Verlierer bei der Anzahl der InsurTechs.<br />
2016 waren noch fast zwei Drittel aller InsurTechs in diesem<br />
Bereich zuhause, in 2018 hingegen nur noch 33 Prozent.<br />
Was sind die Gründe für dieses veränderte<br />
Verhältnis?<br />
Dr. Nikolai Dördrechter: Was wir hier beobachten, ist in<br />
erster Linie der langsame Abbau einer Schieflage, so wie<br />
wir ihn auch in anderen InsurTech-Märkten international<br />
verzeichnen konnten. In unserer ersten Studie 2016 waren<br />
sehr viele vertriebliche Geschäftsmodelle vertreten, die<br />
sich an Erfolgsmuster aus dem E-Commerce anlehnten.<br />
Die Dynamik bei diesen Modellen hat deutlich abgenommen,<br />
man kann von einer Stagnation sprechen. Neuer Unternehmergeist<br />
fand sich jetzt erfreulicherweise in<br />
Bereichen, die mehr Wissen über Versicherungen voraussetzen.<br />
So haben die Bereiche „Angebot“ und „Betrieb“<br />
deutlich zugelegt, auch, weil mehr und mehr erfahrene<br />
Versicherungsmanager den Sprung ins Wagnis Start-up<br />
gewagt haben. Die Wachstumsstory dieser Bereiche ist somit<br />
davon getrieben, dass Gründerteams zusammenfinden,<br />
die zweierlei mitbringen: tiefes Versicherungswissen<br />
und Technologie-Know-how. Die von uns angekündigte<br />
zweite InsurTech-Welle baut sich so langsam auf, während<br />
die erste ausläuft.<br />
Sie gehen davon aus, dass Vertriebsplattformen zunehmend<br />
an Marktmacht gewinnen werden und auf dem<br />
74<br />
Die mit Abstand<br />
größte Gefahr für<br />
die Vermittlerschaft<br />
ist es, sich nicht aktiv<br />
mit dem Thema<br />
Digitalisierung auseinanderzusetzen<br />
...<br />
Weg zur Systemrelevanz seien. Auch sehen Sie eine latente<br />
Oligopolisierung des Marktes. Wie verändern sich<br />
Bedingungen durch diese Entwicklung? Müssen Vermittler<br />
eine solche Marktmacht fürchten?<br />
Simon Nörtersheuser: Vertriebsplattformen bringen unterschiedliche<br />
Akteure im Vertriebsprozess zusammen<br />
und müssen nicht unbedingt auf<br />
Endkunden ausgerichtet sein.<br />
Deswegen sind Sie in der Regel<br />
keine Gefahr für Makler, im Gegenteil:<br />
sie erleichtern ihnen die<br />
Arbeit, ohne dass die auf ihre Unabhängigkeit<br />
verzichten müssen.<br />
Digitale Vertriebsplattformen<br />
setzen hier an und sind auf einem<br />
sehr guten Weg. Das führt im Erfolgsfall<br />
auch immer zu einer Bündelung<br />
von Marktmacht. Die<br />
InsurTechs mit diesem Geschäftsmodell<br />
sind aber nicht alleine und konkurrieren mit etablierten<br />
Anbietern von Maklersoftware. Wer am Ende die<br />
Nase vorne haben wird, ist aktuell noch nicht abzusehen.<br />
Eine Konsolidierung im Maklermarkt schreitet allerdings<br />
ohnehin voran. Vor allem Einzelmakler suchen angesichts<br />
der Herausforderungen der Digitalisierung und zunehmender<br />
regulatorischer Vorschriften starke Kooperationen.<br />
Auf zahlreiche Anfragen aus unserem Netzwerk<br />
haben wir so unlängst reagiert und die Maklerpartnerschaft<br />
ins Leben gerufen. So muss kein Makler die technischen,<br />
juristischen und bürokratischen Herausforderungen<br />
fürchten und kann sich ganz auf sein<br />
Kerngeschäft, die unabhängige Beratung des Kunden,<br />
konzentrieren und das sogar noch ausbauen.<br />
In welchen Bereichen ist die Gefahr für die Vermittlerschaft<br />
am größten, dass digitale Absatzkanäle der Insurtechs<br />
in Konkurrenz zu herkömmlichen Vertriebswegen<br />
treten?<br />
Dr. Nikolai Dördrechter: Die mit Abstand größte Gefahr<br />
für die Vermittlerschaft ist es, sich nicht aktiv mit dem<br />
Thema Digitalisierung auseinanderzusetzen und zu wenig<br />
Geld für Investitionen in Technologie in die Hand zu nehmen.<br />
Viele Makler haben – wenn überhaupt – nur leidlich<br />
gepflegte Maklerverwaltungsprogramme, eine veraltete<br />
IT-Infrastruktur und damit einhergehend stark „papierlastige“<br />
Prozesse. So aufgestellte Makler und Vermittler<br />
werden es zukünftig immer schwerer haben, für ihre jüngeren<br />
Kunden attraktiv zu bleiben. Zudem gehen ihnen
wertvolle vertriebliche Chancen durch die Lappen, die<br />
unsichtbar im Bestand schlummern. InsurTechs sehe ich<br />
hier in erster Linie als Lösungsanbieter und nicht primär<br />
als Konkurrenz. Ein Großteil der InsurTechs, die ursprünglich<br />
mal als reiner Online-Makler im Privat- oder<br />
Gewerbekundengeschäft aufgetreten sind, haben sich zu<br />
Technologieanbietern weiterentwickelt, die sich als Partner<br />
der etablierten Vertriebskanäle sehen. Auf der anderen<br />
Seite sehen wir aber durchaus ernstzunehmende<br />
Konkurrenz für die etablierten Vermittler durch digitale-<br />
B2C-Makler, die große Vertriebspartnerschaften z. B. mit<br />
Banken eingegangen sind. Diesen stehen, nicht zuletzt gestärkt<br />
durch massive Finanzierungsrunden, ganz andere<br />
Wachstumsmöglichkeiten offen als einem traditionell aufgestellten<br />
Vermittler oder Makler.<br />
In welchen Bereichen könnten Vermittler aus Ihrer Sicht<br />
von der aktuellen Entwicklung profitieren?<br />
Simon Nörtersheuser: Nur 14 von 134 InsurTech sind<br />
überhaupt vertrieblich im Endkundengeschäft tätig. Damit<br />
sind fast 90 Prozent der Versicherungs-Start-ups keine<br />
direkten Gegner der klassischen Vermittlerschaft. Im<br />
Gegenteil: Gerade wer als Einzelmakler die Herausforderungen<br />
der Digitalisierung bewältigen und gleichzeitig<br />
mit den schärferen Regulierungsvorschriften klarkommen<br />
will, sucht sich Unterstützung. InsurTechs bieten<br />
hier mitunter Lösungen, die etwa bei der Optimierung<br />
der Organisation helfen oder das Beratungsgespräch beim<br />
Kunden digital unterstützen. Dennoch ist die Maklerschaft<br />
weitgehend skeptisch: Laut aktueller Umfragen begegnen<br />
mehr als 75 Prozent den „Neuen“ mit<br />
Zurückhaltung. Wer aber auch in Zukunft erfolgreich vermitteln<br />
will, wirft entweder selbst einen genaueren Blick<br />
auf die InsurTech-Szene oder sucht sich starke Partner,<br />
die die Angebote längst nutzen. Denn gerade für die Bereiche,<br />
die den Kunden im persönlichen Kontakt mit dem<br />
Vermittler am wichtigsten sind – Beratung und Bedarfsanalyse,<br />
Vertragsanpassungen, Hilfe im Schadenfall, Kombinationsmöglichkeiten<br />
verschiedener Tarife und Details<br />
der Versicherungsbedingungen – , bieten auch InsurTechs<br />
sinnvolle und kostengünstige Unterstützung an.<br />
Die Fragen stellte Sven Wenig
<strong>Versicherungsbote</strong>: Die R+V hat einen autonomen<br />
Kleinbus für den öffentlichen Straßenverkehr zugelassen,<br />
der aus Ihrem „Innovation Lab“ kommt. Sind Sie<br />
bereits mitgefahren? Und saß ein Fahrer hinter dem<br />
Steuer, oder fährt das Fahrzeug komplett autonom?<br />
Verena Reuber<br />
Projektleiterin autonomes Fahren<br />
im R+V Innovation Lab<br />
Autonomes Fahren:<br />
Schon heute sind<br />
wir oft mit Autopilot<br />
unterwegs!<br />
Die R+V Versicherung testet seit dem April<br />
2018 autonom fahrende Kleinbusse im<br />
Straßenverkehr. Denn Fahrzeuge, die theoretisch<br />
ohne menschliche Hilfe lenken,<br />
bremsen und Gas geben können, sind<br />
längst keine Zukunftsmusik mehr. Warum<br />
der Versicherer sich in diesem Bereich engagiert<br />
und wie die aktuellen Erfahrungen<br />
sind, darüber sprach der <strong>Versicherungsbote</strong><br />
mit Verena Reuber. Sie ist Projektleiterin<br />
autonomes Fahren im R+V Innovation<br />
Lab.<br />
Verena Reuber: Die Zulassung haben wir im April 2018<br />
erhalten. Und seitdem bin ich bereits mehrfach mitgefahren,<br />
sowohl während der Testfelder in Frankfurt,<br />
Marburg und Mainz als auch mit vielen Kollegen bei<br />
uns, am Hauptsitz in Wiesbaden. Eine Begleitperson<br />
muss aus rechtlichen Gründen immer mit an Bord sein,<br />
damit die Technik bei Bedarf stets vom Menschen übernommen<br />
werden kann. Allerdings sitzt dieser Operator<br />
nicht klassisch am Steuer – es gibt weder Lenkrad, noch<br />
Pedalerie. Gesteuert wird – wenn notwendig – über einen<br />
Controller.<br />
Ganz naiv gefragt: Wieso unterstützt ein Versicherer die<br />
Entwicklung autonomer Fahrzeuge? Sie erhoffen sich ja<br />
sicher auch Erkenntnisse für Ihr Kerngeschäft.<br />
Wir fokussieren uns mit unserem Forschungsprojekt<br />
nicht auf die Entwicklung autonomer Fahrzeuge, sondern<br />
auf deren Funktionsweise und Einsatzmöglichkeiten.<br />
In den nächsten Jahren werden wir eine<br />
zunehmende Automatisierung unserer Fahrzeuge erleben.<br />
Das wird neue Chancen und Risiken hervorbringen.<br />
Und auf diese wollen wir vorbereitet sein. Mit dem Betrieb<br />
der hochautomatisierten Kleinbusse sammeln wir<br />
jetzt bereits Erfahrungen und können uns so auf die<br />
Kundenansprüche der Zukunft einstellen.<br />
…mit wem kooperieren Sie beim Entwickeln und Testen<br />
des Fahrzeuges?<br />
Wir haben die Fahrzeuge vom französischen Hersteller<br />
Navya gekauft. Mit Navya befinden wir uns im regelmäßigen<br />
Austausch, da für den Betrieb – sowohl für die Inbetriebnahme<br />
als auch das Fahren – auf die Technik und<br />
Expertise des Herstellers zurückgegriffen werden muss.<br />
Die Testfelder haben wir mit diversen Partnern umgesetzt.<br />
Prominent zu nennen sind hierbei der Frankfurter<br />
Flughafenbetreiber Fraport, der Industriepark-Manager<br />
Pharmaserv aus Marburg sowie die Mainzer Mobilität.<br />
Was das automatisierte Fahren betrifft, hatte jeder von<br />
ihnen eigene Zielsetzungen und Fragestellungen, so dass<br />
die Anwendungsfälle divers waren und wir gemeinsam<br />
einiges untersuchen konnten.
Ich nehme an, Sie testen das Fahrzeug bereits im öffentlichen<br />
Verkehr. Wo und wie ist das Fahrzeug bzw. sind<br />
die Fahrzeuge unterwegs? Wie sind die bisherigen Erfahrungen?<br />
Die Fahrzeuge haben bisher vier<br />
Testfelder absolviert, zwei davon<br />
fanden im öffentlichen Raum<br />
von Wiesbaden und Mainz statt.<br />
Wir haben die Shuttle zuvor auf<br />
Privatgeländen, am Frankfurter<br />
Flughafen und an den Behringwerken<br />
in Marburg eingesetzt.<br />
Die Erfahrungen sind durchweg<br />
positiv. Die Shuttle werden sehr<br />
gut angenommen. Wissenschaftliche Begleitungen der<br />
Testfelder durch die Universitäten von Marburg und<br />
Mainz zeigen hohe Akzeptanzwerte, auch Menschen mit<br />
anfänglichen Berührungsängsten sind nach der Fahrt begeistert<br />
und fühlen sich sicher. Die Shuttle haben sich<br />
auch recht problemlos in den trubeligen Verkehr am<br />
Frankfurter Flughafen integriert. In Mainz war es vor allem<br />
der Querverkehr, der uns interessiert hat. Da haben<br />
wir dann aber auch einige Schwachstellen der aktuellen<br />
Technik ausmachen können.<br />
Wie wird sich autonomes Fahren auf die Unfallhäufigkeit<br />
auswirken?<br />
Nachweislich ist der Mensch Unfallursache Nummer 1<br />
auf den Straßen, vor allem die Ablenkung macht uns gefährlich.<br />
Da beim vollkommen autonomen Fahren der<br />
Mensch aus der Gleichung genommen wird, kann man<br />
davon ausgehen, dass die Unfallhäufigkeit sinken wird.<br />
Aktuell muss immer<br />
noch ein Mensch an<br />
Bord sein, um gegebenenfalls<br />
eingreifen<br />
zu können.<br />
Autonomes Fahren wird nur möglich sein, wenn die<br />
Fahrzeuge permanent Daten senden. Gerade bei privater<br />
Nutzung nicht unproblematisch. Wie kann verhindert<br />
werden, dass ein Spion ständig im Auto mitfährt und Daten<br />
missbraucht werden?<br />
Dafür müssen technische Lösungen<br />
der Hersteller und Zulieferer<br />
Sorge tragen.<br />
Müssen mit Blick auf den Kfzund<br />
Kaskoschutz Gesetze geändert<br />
und angepasst werden, um<br />
autonomes Fahren zu ermöglichen?<br />
Oder reichen die bisherigen<br />
Regeln zur Kfz-Versicherung<br />
bereits aus, um dies auf unseren Straßen zu ermöglichen?<br />
Um autonomes Fahren zu ermöglichen, bedarf es diverser<br />
Gesetzesanpassungen. Aktuell muss immer noch ein<br />
Mensch an Bord sein, um gegebenenfalls eingreifen zu<br />
können. Derzeit ist der Versicherungsschutz absolut<br />
ausreichend. Unser Forschungsprojekt mit den autonomen<br />
Kleinbussen hilft uns, Erfahrungen für künftige<br />
Versicherungsmodelle zu sammeln.<br />
Ich versuche mir eine Welt vorzustellen, in der ein Teil<br />
der Autos autonom fährt, ein anderer Teil ganz „klassisch“<br />
mit einem aktiven Fahrer. Die Vorstellung, mehrere<br />
autonome Fahrzeuge stehen neben oder hinter mir an<br />
der Kreuzung, macht mir schon ein bisschen Angst.<br />
Noch eher ängstigt die Vorstellung, ich sitze in einem<br />
Bus ohne Fahrer. Vielleicht können Sie mir helfen: Warum<br />
sollte man der Technik vertrauen? Und was sind<br />
mögliche Fehlerfaktoren, dass es doch mal „kracht“?<br />
Autonomes Fahren bedeutet, dass es weit stärker von<br />
der Fahrzeugtechnik abhängt, wenn es zu einem Unfall<br />
kommt und Menschen verletzt oder gar getötet werden.<br />
Wer haftet dann in der Kfz-Versicherung? Ein Fahrer?<br />
Oder kann die Haftung auch auf die Fahrzeughersteller<br />
übergehen?<br />
Aktuell ist es so, dass aus Rechtsgründen immer noch ein<br />
Mensch die Systeme überwachen muss. Ein Mensch ist<br />
demnach weiterhin haftbar. Die Verschiebung hin zu einer<br />
Produkthaftpflicht wird immer wieder diskutiert.<br />
Bevor das jedoch zum Standard wird, müssen sowohl<br />
Gesetze als auch Technik umfassend weiterentwickelt<br />
werden.<br />
Ich persönlich finde die Vorstellung, dass die Technik<br />
mein Fahrzeug lenkt, nicht beunruhigend. Wir steigen<br />
heute schon in Flugzeuge und U-Bahnen und wissen, dass<br />
die größtenteils im Autopilot unterwegs sind. Technik<br />
ist nicht abgelenkt, ist nicht müde, ist nicht in Gedanken<br />
oder alkoholisiert. Technik ist immer da. Während der<br />
Fahrer bspw. im Moment des Schulterblicks nur nach<br />
rechts hinten schauen kann, hat die Technik die gesamte<br />
Kreuzung im Blick und kann optimal reagieren. Das ist<br />
ein Sicherheitsgewinn für alle Verkehrsteilnehmer.<br />
In diesem Mischverkehr können autonome Fahrzeuge<br />
aber nicht ihr gesamtes Potenzial ausspielen. Richtig sicher<br />
ist es erst, wenn die unberechenbare menschliche<br />
77
Komponente ersetzt ist. In diversen Zukunftsszenarien<br />
wird dafür plädiert, dass es getrennte Areale geben soll,<br />
um so den Mischverkehr, den es vermutlich noch viele<br />
Jahre geben wird, zu umgehen.<br />
Autonomes Fahren könnte auch das Schadenmanagement<br />
revolutionieren: Sehr wahrscheinlich wird das<br />
Auto in der Lage sein, Unfalldaten live aufzunehmen und<br />
an den Versicherer quasi in Echtzeit zu übermitteln. Wie<br />
wirkt sich das auf den Prozess der Schadenbearbeitung<br />
aus? Ist der Beruf des Schadengutachters in Gefahr?<br />
Schon jetzt werden über eCall und den Unfallmeldedienst<br />
des GDV Unfälle automatisiert gemeldet und<br />
teilweise erfasst — trotzdem ist der Gutachter weiterhin<br />
vonnöten. Die Schadenbearbeitung ist ein komplexes<br />
Gebiet. Da bedarf es im Bereich der künstlichen Intelligenz<br />
noch einiges an Weiterentwicklung. Den Beruf des<br />
Schadengutachters wird es also noch lange geben.<br />
von der Programmierung des Fahrzeuges. Ein Beispiel:<br />
Ein Fahrzeug hat nur die Option, in den Graben zu steuern<br />
und damit die Fahrzeuginsassen zu gefährden, oder<br />
aber in eine Gruppe Radfahrer hineinzusteuern. Beschäftigen<br />
Sie sich auch mit solchen Fragen?<br />
Für diese Dilemma-Diskussion hat die Ethik-Kommission<br />
im Sommer 2017 Leitlinien für die Entwicklung automatisierter<br />
Fahrsysteme vorgestellt.<br />
Das Interview mit Verena Reuber<br />
führte Mirko Wenig<br />
Autonomes Fahren wirft auch moralische Fragen auf. Situationen<br />
sind denkbar, in denen „entschieden“ werden<br />
muss, welche von zwei Parteien geschädigt wird: abhängig
Advertorial<br />
Die DOCURA hat Ihre Hausrattarife vollständig<br />
überarbeitet, um Ihnen weiterhin zukunftsorientierte<br />
Deckungskonzepte anbieten zu können<br />
Der bereits umfassende Versicherungsschutz in den Tarifen<br />
PROTECT & SMART wurde in der Tarifgeneration<br />
PROTECT & SMART 2020 in mehr als<br />
15 Leistungspunkten erweitert.<br />
▷Der perfekte Schutz für das digitale Zuhause - DOCU-<br />
RA PROTECT- HOME 2020<br />
Neben den umfangreichen Leistungselementen des Tarifs<br />
PROTECT 2020 bietet PROTECT-HOME 2020<br />
eine Absicherung von „Smart-Home“ Komponenten.<br />
Der ebenfalls integrierte Cyberschutz rundet das umfassende<br />
Leistungsspektrum ab.<br />
▷Mit dem Einsteigertarif TWEN 2020 – zielgerichtet für<br />
junge Versicherungsnehmer konzipiert – steht ein<br />
grundsolider Versicherungsschutz zu einem günstigen<br />
Beitrag zur Verfügung.<br />
Eine erste Übersicht zu den einzelnen Tarifen finden Sie<br />
nachstehend.<br />
Einen umfassenden Versicherungsschutz mit einem sehr<br />
hohen Leistungsniveau bietet Ihnen der neue Tarif<br />
PROTECT 2020:<br />
▷Wertsachen bis 50% der Versicherungssumme<br />
▷ Grobe Fahrlässigkeit<br />
▷ beruflich bedingter Zweitwohnsitz<br />
▷ Räuberische Erpressung<br />
▷ Überschwemmung durch Starkregen<br />
▷ Musterkollektionen und Handelsware<br />
▷ Diebstahl am Arbeitsplatz<br />
▷ Fahrraddiebstahlschäden rund um die Uhr - optional -<br />
▷ Elementarschäden - optional -<br />
▷ Glasversicherung (inkl.Ceranfeld) - optional -<br />
Service nicht nur gesprochen, sondern gelebt!<br />
Besonders zu erwähnen ist noch der mögliche optionale<br />
Einschluss der Leistungsgarantie. Welchen Schutz bietet<br />
die Leistungsgarantie?<br />
Bietet zum Zeitpunkt des Schadeneintritts ein Versicherer<br />
einen Leistungsstärkeren Tarif an wird im Schadenfall<br />
▷der Versicherungsschutz im Rahmen der versicherten<br />
Gefahren und Schäden erweitert<br />
▷eine ggf. vorhandene Entschädigungsgrenze entsprechend<br />
erhöht<br />
▷eine ggf. vorhandene Selbstbeteiligung reduziert bzw.<br />
gestrichen<br />
Die DOCURA hat Ihren Markenauftritt und die Präsenz<br />
im Internet vollständig überarbeitet. Das neue Design<br />
stellt eine Weiterentwicklung des Unternehmens, sowohl<br />
in der Außendarstellung, als auch in der Gestaltung aller<br />
relevanten Produktunterlagen dar.<br />
Der DOCURA Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit<br />
besteht seit über 100 Jahren und genießt das Vertrauen von<br />
mehr als 100.000 Versicherungsnehmern. Die Mitglieder<br />
und Vermittler vertrauen uns die Absicherung gegen<br />
Hausrat-, Glasbruch- und private Haftpflichtschäden an.<br />
Besuchen Sie uns auch im web unter www.docura.de<br />
79
Zurich – der neue<br />
Mitarbeiter namens<br />
Robbie<br />
Alexander Bernert<br />
Head of Proposition &<br />
Innovation Zurich Gruppe<br />
Deutschland<br />
Die Zurich hat einen neuen Mitarbeiter in<br />
der Schadenregulierung: Robbie ist sein<br />
Name. Doch was kann er – und was kann er<br />
nicht? Müssen die anderen Mitarbeiter gar<br />
Angst vor ihm haben? Diese Fragen richtete<br />
der <strong>Versicherungsbote</strong> an Alexander<br />
Bernert, Head of Proposition & Innovation<br />
Zurich Gruppe Deutschland. Denn Robbie<br />
ist kein gewöhnlicher Mitarbeiter. Er ist ein<br />
Roboter bzw. ein Computerprogramm –<br />
Stichwort „Künstliche Intelligenz“.<br />
<strong>Versicherungsbote</strong>: Bei Ihnen kommt ein neuer Sachbearbeiter<br />
zum Einsatz, so las ich auf der Webseite des<br />
GDV: Robbie. Nur ist das kein Mitarbeiter aus Fleisch<br />
und Blut, sondern, wie der Name schon verrät, ein Roboter.<br />
Können Sie Ihn kurz vorstellen? Was kann Robbie<br />
– und was kann er besser als „andere“ Mitarbeiter?<br />
Alexander Bernert: Er arbeitet insbesondere monotone<br />
und wenig anspruchsvolle Standardaufgaben<br />
sehr zuverlässig ab,<br />
wenn alles so ist, wie er es erwartet.<br />
Dies kann zum Beispiel die<br />
Übertragung von Daten aus einer<br />
Applikation in eine andere sein,<br />
wo die meisten Mitarbeitenden<br />
sich nach einer Stunde langweilen<br />
und die Aufmerksamkeit verlieren.<br />
Man muss ihm die Arbeit<br />
ganz genau beschreiben können, dann ist er super.<br />
…und wo ist Robbie einem Mitarbeiter aus Fleisch und<br />
Blut noch unterlegen? Kann er einen Mitarbeiter tatsächlich<br />
„ganz“ ersetzen?<br />
Mitdenken darf man nicht erwarten. Und insofern kann<br />
er manche, gerade ungeliebte monotone, Tätigkeiten<br />
von Mitarbeitern ersetzen, aber eben nie ganz. Wenn<br />
zum Beispiel ein Kunde bei seinem Geburtsjahr versehentlich<br />
1950 statt 1960 schreiben würde, dann kann es<br />
80<br />
Echte „Fehler“<br />
macht Robbie<br />
eigentlich nie – er<br />
tut, was man ihm<br />
beigebracht hat.<br />
passieren, dass Robbie das einfach übernimmt. Je nachdem,<br />
ob man ihm beigebracht hat, worauf er zu achten<br />
hat.<br />
Wer haftet, wenn Robbie mal Fehler macht? Und können<br />
Sie einen Einblick erlauben, wie oft es noch zu Fehlern<br />
kommt?<br />
Zunächst einmal sind wir gegenüber<br />
dem Kunden in der Pflicht.<br />
Ob wir uns dann gegebenenfalls<br />
an die Lieferanten von Robbie<br />
halten, wird vom Fehler abhängen.<br />
Echte „Fehler“ macht Robbie<br />
eigentlich nie – er tut, was<br />
man ihm beigebracht hat. Die<br />
Frage ist, ob wir beim Beibringen<br />
an alles denken.<br />
Sie nutzen Robotics-Technik auch im Kundenservice<br />
der Lebensversicherung. Wie reagieren Ihre Kundinnen<br />
und Kunden darauf? Wir wissen aus Umfragen, dass<br />
persönliche Ansprechpartner den Versicherungsnehmerinnen<br />
und -nehmern noch immer wichtig sind.<br />
Bislang nutzen wir solche Technologie nur an Stellen,<br />
die für den Kunden unsichtbar sind, gerade aus dem von<br />
Ihnen genannten Grund. Wir testen derzeit, an welchen<br />
Stellen Chatbots für den Kunden hilfreich sein können.
Wir erhalten viele Pressemeldungen von Beratungshäusern,<br />
häufig mit Eigeninteresse, in denen behauptet<br />
wird, die deutschen Versicherer hinken in Sachen Digitalisierung<br />
hinterher und drohen abgehängt zu werden.<br />
Wie ist Ihre Einschätzung: Macht<br />
die Branche genug mit Blick auf<br />
die Digitalisierung?<br />
Die Branche macht viel, konzentriert<br />
sich aber derzeit oft darauf,<br />
die bestehenden Systeme zu ertüchtigen<br />
bzw. in die Zukunft zu<br />
führen. Das ist auch nötig, denn<br />
ein vor 20 Jahren geschlossener<br />
Lebensversicherungsvertrag<br />
kann mit Rentenphase noch viele<br />
Jahrzehnte laufen. Insofern sieht es gegenüber neuen<br />
Spielern, vor allem Startups, manchmal so aus, als hinke<br />
die Branche hinterher. Das ist so aber nicht der Fall.<br />
Bei vielen Sparten ist die Prüfung des Schadensfalles<br />
noch sehr zeitaufwendig und intensiv, Beispiel BU und<br />
biometrische Risiken. Wird die Berufsunfähigkeit geprüft,<br />
dauert es oft mehrere Monate, viele Unterlagen<br />
müssen eingeholt werden. Kann KI hier auch unterstützend<br />
wirken, oder sind dem Grenzen gesetzt?<br />
KI kann unterstützend wirken. Aber schon gesetzlich ist<br />
vorgeschrieben, dass eine Ablehnung nie nur durch<br />
„Entscheidung“ einer Maschine erfolgen kann. Insofern<br />
gibt es klare Grenzen.<br />
Die Branche hat ein Nachwuchsproblem, das Alter der<br />
Mitarbeiter nähert sich den 50 Jahren. Viele Versicherer<br />
klagen bereits, sie finden zu wenige Fachkräfte.<br />
Zugleich berichten wir immer häufiger von Jobabbau<br />
bei den Versichern, weil die KI viele Aufgaben im Innendienst<br />
übernimmt. Ein Widerspruch? Wie passt das<br />
zusammen?<br />
KI übernimmt – eher potenziell als schon tatsächlich –<br />
bestimmte Aufgaben. Aber Domäne des Menschen werden<br />
absehbar solche Themen bleiben, bei denen mit<br />
Menschen interagiert wird oder Entscheidungen unter<br />
Unsicherheit getroffen werden. Das bedeutet aber auch,<br />
dass der Charakter der Jobs sich wandelt. Früher gab es<br />
Mitarbeiter, die auf Anforderung von Sachbearbeitern<br />
Akten aus den Kellern geholt haben – das braucht man<br />
mit elektronischen Akten nicht mehr. Wie in der gesamten<br />
Wirtschaft fallen einfache Tätigkeiten eher weg<br />
Also gut darüber<br />
nachdenken, welche<br />
Tätigkeiten denn in<br />
10 oder 20 Jahren<br />
wohl noch in<br />
Menschenhand sein<br />
werden.<br />
durch die Digitalisierung, während es einen steigenden<br />
Bedarf an Mitarbeitern gibt, die die neue Welt gestalten<br />
können.<br />
Daran anknüpfend: Droht bei<br />
den Versicherern ein radikaler<br />
Jobabbau? Sollte man überhaupt<br />
noch bei einem Versicherer als<br />
Sachbearbeiter lernen oder seine<br />
Ausbildung machen, wenn doch<br />
Robbie ganz einfach im Werk<br />
hergestellt werden kann?<br />
Eine Ausbildung bei einem Versicherer<br />
lohnt sich ganz sicher,<br />
denn Versicherung ist eines der<br />
ältesten Gewerbe der Welt – erste Versicherungsthemen<br />
waren schon im Codex Hammurabi zu finden – die<br />
Branche wird es auch noch in 100 Jahren geben. Aber sie<br />
wird sich in der Art, wie Versicherung „hergestellt“<br />
wird, ändern – und darauf sollte man sich als junger<br />
Mensch einstellen. Also gut darüber nachdenken, welche<br />
Tätigkeiten denn in 10 oder 20 Jahren wohl noch in Menschenhand<br />
sein werden. Aber das gilt für jede Branche.<br />
Welche Rolle kann Künstliche Intelligenz im Vertrieb<br />
übernehmen? Wo und wie unterstützt/ergänzt oder<br />
verdrängt Robbie Herrn Kaiser?<br />
Heute kann künstliche Intelligenz für Vermittler beispielsweise<br />
Routineaufgaben in deren Backoffice übernehmen<br />
und diese dadurch entlasten und Zeit für die<br />
Beratung der Kunden schaffen. Für einfache Produkte<br />
kann KI auch nützlich sein, damit Kunden sich im Self<br />
Service erste Informationen beschaffen können. Darüber<br />
hinaus ist es auch möglich, mit KI die Vermittler oder<br />
auch den Online-Vertrieb zu unterstützen, damit Sie<br />
den Kunden passgenauer weitere Produkte und Services<br />
vorschlagen oder Indikatoren für Unzufriedenheit früher<br />
erkennen können.<br />
Das Interview mit Alexander Bernert<br />
führte Mirko Wenig<br />
81
Verfahrensdokumentation<br />
im Visier<br />
des Fiskus<br />
Dirk Pappelbaum<br />
Geschäftsführer der Leipziger<br />
Inveda.net GmbH<br />
Waren die Grundsätze zur ordnungsmäßigen<br />
Buchführung (heute: GoBD) in der Vergangenheit<br />
eher ein Thema für Buchhalter und Steuerberater,<br />
so hat sich in den letzten Jahren die<br />
Verantwortung deutlich auf die vorgelagerten<br />
Datenverarbeitungssysteme verlagert. Die Finanzämter<br />
schulen mittlerweile ihre Steuerprüfer<br />
auf Themen wie Verfahrensdokumentation<br />
und die Prüfung der computergestützten<br />
Datenverarbeitungsprozesse. Auf diese Entwicklung<br />
sollte jeder vorbereitet sein, denn<br />
selbst Unternehmen, die nur eine Einnahmenüberschussrechnung<br />
erstellen müssen, sind<br />
angehalten die GoBD umzusetzen.<br />
Das Bundesministerium für Finanzen hatte in diesem Jahr<br />
den Versuch unternommen, die GoBD in Einklang mit<br />
dem Stand der Technik neu zu definieren, zog dieses<br />
Schreiben jedoch ohne weitere Angaben wieder zurück.<br />
Somit gilt weiterhin das BMF-Schreiben vom 14.11.2014 als<br />
Maß der Dinge. Hier werden die Grundsätze zur ordnungsmäßigen<br />
Führung und Aufbewahrung von Büchern,<br />
Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form<br />
sowie zum Datenzugriff bestimmt.<br />
Wird man bei der Buchführung in der Regel durch einen<br />
Steuerberater ausreichend unterstützt, bleibt die Verantwortung,<br />
der Einhaltung der Regeln, bei den vorgelagerten<br />
DV-Systemen, wie zum Beispiel den Systemen zur Bestandsverwaltung<br />
oder zur Provisionsabrechnung, beim<br />
Unternehmer selbst. Die Komplexität dieser Systeme wird<br />
dabei gerne unterschätzt, wer jedoch schon einmal versucht<br />
hat, alle seine Prozesse und Regeln zu Papier zu<br />
bringen, der weiss, dass dies sehr schnell umfangreich werden<br />
kann. Deshalb haben die Finanzämter seit einigen Jahren<br />
ihr besonderes Augenmerk auf die Frage nach einer<br />
Dokumentation der Prozesse im Unternehmen verlagert.<br />
Das Zauberwort heisst: Verfahrensdokumentation, und<br />
diese muss vorhanden sein, bevor das Finanzamt danach<br />
fragt. Es ist zwar jedem freigestellt, die eigenen Prozesse<br />
mündlich zu erörtern, jedoch gilt dies nur für einfach zu<br />
verstehende Vorgänge. In der Praxis steht dem die Komplexität<br />
der eigenen Abläufe entgegen.<br />
Die GoBD sind von allen Buchführungs- bzw. Aufzeichnungspflichtigen<br />
zu beachten. Die GoBD findet nicht nur<br />
82<br />
auf Systeme der doppelten Buchführung Anwendung. Zusätzlich<br />
sind die steuerlichen Aufzeichnungspflichten eingeschlossen.<br />
Im Einzelnen ist die Aufbewahrung von<br />
steuerlichen und außersteuerlichen Büchern und Aufzeichnungen,<br />
die Aufbewahrung von Unterlagen zu Geschäftsvorfällen,<br />
der Aufzeichnung der Geschäftsvorfälle,<br />
dem internen Kontrollsystem (IKS), der Datensicherheit,<br />
der elektronischen Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen,<br />
dem Datenzugriff und der Verfahrensdokumentation<br />
zur Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit sowie Fragen<br />
der Zertifizierung und Software-Testate vorgegeben.<br />
Auf die Frage, welche Hard- und Software GoBD-konform<br />
ist, gibt die GoBD keine Antwort. Das ist nicht zuletzt der<br />
Vielzahl und der unterschiedlichen Ausgestaltung und der<br />
Kombination der Datenverarbeitungssysteme geschuldet.<br />
Hatten sich die Betriebsprüfungen in der Vergangenheit<br />
auf den Jahresabschluss und die damit verbundenen Buchungen<br />
und Belege konzentriert, so findet aktuell eine<br />
Verschiebung dieser Prüfung in die vorgelagerten DV-Systeme<br />
statt.<br />
Vorgelagerte DV-Systeme sind zum Beispiel: Warenwirtschaftssysteme<br />
oder im Versicherungsbereich die Systeme<br />
zur Bestandsverwaltung und zur Provisionsabrechnungsogenannte<br />
Vorbuchhaltungssysteme. Die DV-Verfahren<br />
müssen sicherstellen: dass die einmal in den Verarbeitungsprozess<br />
eingeführten Belege (Grundaufzeichnungen,<br />
Buchungen) nach diesem Zeitpunkt nicht mehr unterdrückt<br />
oder ohne Kenntlichmachung überschrieben, gelöscht,<br />
geändert oder verfälscht werden können. Eine
entsprechende Beschreibung hat in der Verfahrensdokumentation<br />
zu erfolgen.<br />
Wann ist die Revisionssicherheit notwendig?<br />
Die Daten in einem System zur Bestandsverwaltung und<br />
zur Provisionsabrechnung sind sehr heterogen und es stellt<br />
sich die Frage, ob wirklich alle Daten den Anforderungen<br />
der ordnungsgemäßen Buchhaltung genügen müssen.<br />
So werden hier neben Kontaktdaten auch Termine und E-<br />
Mails verwaltet und zu einzelnen Vorgängen werden Notizen<br />
erfasst. Viele dieser Daten sind oft flüchtig und sollen<br />
nur vorübergehend zur Erledigung der anstehenden Aufgaben<br />
dienen. Im Prinzip hat man damit Briefen, Notizzettel<br />
und Terminkalender digitalisiert.<br />
Grundsätzlich sind alle Daten, die mit dem Geschäftsprozess<br />
in Verbindung stehen und diesen beeinflussen oder<br />
verändern, gemeint- dies traf wohlgemerkt bislang auch in<br />
Papierform zu.<br />
In Vorbuchhaltungssystemen muss also genau definiert<br />
werden- welche Datenströme bis zu welchem Zeitpunkt<br />
bearbeitet werden dürfen. Bei DV- Systemen sollte angestrebt<br />
werden, jede Änderung eines Geschäftsprozesses intern<br />
zu protokollieren- dies geschieht ohne den Nutzer zu<br />
überfordern im Hintergrund, und kann bei Bedarf ausgelesen<br />
werden.<br />
Insbesondere gilt dies bei Belegen, die in Form von Rechnungen<br />
oder Quittungen in digitaler oder in digitalisierter<br />
Form in das System eingespielt werden. Hier steht die geforderte<br />
Revisionssicherheit außer Frage.<br />
Muss eine E-Mail, eine Notiz oder ein Termin,<br />
der sich auf den Inhalt einer Abrechnung bezieht<br />
wirklich revisionssicher gespeichert<br />
werden?<br />
Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, wenn die besagte<br />
E-Mail nur das Transportmittel für einen Beleg im<br />
Anhang ist- muss nur dieser Beleg revisionssicher gespeichert<br />
werden. Anders verhält es sich, wenn in der E-Mail<br />
zusätzlich Informationen zum Beleg stehen, dann ist die<br />
gesamte E-Mail unverändert zu speichern.<br />
Eigen- und Fremdbelege<br />
In Provisionsabrechnungssystemen werden auf der einen<br />
Seite Fremdbelege eingelesen, diese sind revisionssicher zu<br />
speichern. Auf der anderen Seite werden Eigenbuchungen<br />
erzeugt.<br />
Fremdbelege müssen im empfangenen Format gesichert<br />
werden außerdem müssen Fremdbelege in Papierform<br />
nach ihrer Digitalisierung in einem vom Unternehmen<br />
festgelegten Format gesichert werden, dieses muss auch für<br />
den Zeitraum der Aufbewahrungspflicht so bleiben, bei einer<br />
Konvertierung in ein anderes Format, sind beide Versionen<br />
zu sichern. Wenn das BMF-Schreiben <strong>2019</strong> in Kraft<br />
tritt, ist es nicht mehr nötig, die Belege, die erzeugt werden,<br />
als PDF-Dokumente zu speichern - wenn jederzeit auf<br />
Anforderung ein entsprechendes Doppel der Ausgangsrechnung<br />
erstellt werden kann.<br />
Nachvollziehbarkeit der Provisionszahlungen<br />
Die Basis der Verteilung auf die Vertriebsmitarbeiter sind<br />
die Provisionsvereinbarungen. Für den Fiskus ist dabei<br />
nicht relevant, ob die verteilten Provisionen den Vereinbarungen<br />
entsprechen. Es muss jedoch nachvollziehbar sein,<br />
wo der Geldzufluss seinen Ursprung hat.<br />
Da alle Geschäftsvorfälle für die Dauer der Aufbewahrungsfrist<br />
retrograd, also von der Buchung zum Beleg, und<br />
progressiv, also vom Beleg zur Buchung, prüfbar bleiben<br />
müssen, ist es wichtig, dass alle mit dem Geschäftsvorfall<br />
(erzeugter Beleg) in Verbindung stehenden Daten unveränderbar<br />
gesichert werden.<br />
Diesen Daten muss insbesondere zu entnehmen sein, auf<br />
welchen Vertrag und welche Gutschrift der Versicherungsgesellschaft<br />
sie sich beziehen und auf welchen Vermittler<br />
die Auszahlung erfolgte. Um den Vermittler<br />
eindeutig zu identifizieren, sollten Name und Adresse<br />
ebenfalls mit der Transaktion unveränderlich gespeichert<br />
werden.<br />
Keine Angst vor Fehlern<br />
Mit dem Grundsatz einer ordnungsgemäßen Buchführung<br />
ergibt sich somit die Notwendigkeit, einen Teil der<br />
Daten im Vorbuchhaltungssystem revisionssicher zu speichern,<br />
es betrifft jedoch nicht alle Daten des Systems. Die<br />
GoBD lassen dabei in Einzelfällen Interpretationsspielräume.<br />
Bei der Dokumentation der unternehmensrelevanten<br />
Prozesse im Rahmen einer Verfahrensdokumentation sollte<br />
man sich deshalb nicht scheuen, Unzulänglichkeiten zu<br />
dokumentieren. Entscheidend ist, dass diese festgestellt<br />
werden und Maßnahmen definiert werden, sie zukünftig<br />
vermieden werden können.<br />
Ein Gastkommentar von Dirk Pappelbaum<br />
83
Warum es sinnvoll für Vermittler ist, sich<br />
mit Vollmachten und Verfügungen zu beschäftigen<br />
Falk Leibenzeder<br />
Finanz- und<br />
Versicherungsmakler<br />
Falk Leibenzeder ist Finanz- und Versicherungsmakler mit den Spezialthemen Vollmachten,<br />
Pflege und Kapitalanlage. Er ist bundesweit als Referent und Trainer unterwegs und hält regelmäßig<br />
Vorträge zu den genannten Themen. Sein Firmensitz ist in Emmendingen bei Freiburg.<br />
Seit Monaten ist in den Medien immer wieder von Horrorszenarien<br />
zu hören, wenn es um die Betreuung von geschäftsunfähigen<br />
Menschen geht. Angespartes Vermögen<br />
und Immobilien werden aufgebraucht und verwertet, die<br />
Kinder in die Haftung genommen und die Familie hat weder<br />
Mitspracherecht noch Zugriff auf Konten und Vermögen.<br />
Warum es aus Vermittlersicht sinnvoll ist, sich<br />
mit dem Thema auseinander zu setzen und welche Möglichkeiten<br />
sich daraus ergeben können, möchten wir in<br />
diesem Beitrag klären.<br />
Es sei darauf hingewiesen, dass der Makler keine Rechtsberatung<br />
in diesem Umfeld vornehmen darf. Es gibt mehrere<br />
gute Anbieter am Markt, die den Makler bei der<br />
Erstellung begleiten und die Haftung sicherstellen.<br />
Ist nichts geregelt, wird der Patient geregelt<br />
Derzeit werden ca. 1.4 Millionen Menschen betreut. Wer<br />
selbst nicht mehr in der Lage ist, Entscheidungen zu<br />
treffen, benötigt eine Vertretung. Diese kann aus dem familiären<br />
Umfeld kommen oder wird vom Gericht bestellt.<br />
Im Falle einer Betreuung ist es zielführend, wenn schon<br />
im Vorfeld entsprechende Regelungen getroffen wurden,<br />
wie das Leben dann verlaufen soll und wer sich um die<br />
Angelegenheiten des zu Betreuenden kümmert. Ist nichts<br />
84<br />
geregelt, wird der Patient „geregelt“. Das heißt: Dritte entscheiden<br />
über ihn, im Zweifel ein durch das Gericht bestellter<br />
Betreuer.<br />
Betreuung bedeutet nicht, dass Betreute waagerecht im<br />
Bett liegen und vor sich hinvegetieren. Betreuung bedeutet<br />
hingegen eine kurzfristige Vertretung bei Unfall,<br />
Krankheit, Koma oder geistiger Umnachtung. Die Betroffenen<br />
können in diesen Situationen keine eigenen<br />
Entscheidungen mehr treffen. Sie sind nicht mehr einwilligungsfähig.<br />
Wer entscheidet über Vermögen, medizinische<br />
Behandlungen oder bei Selbstständigen über das<br />
Unternehmen?<br />
Versicherungsmakler sollten auch für sich selbst entsprechende<br />
Vollmachten erstellen, um einen fortlaufenden<br />
Geschäftsbetrieb gewährleisten zu können. Denn wenn<br />
das Geschäft im Betreuungsfall nicht geregelt ist, steht der<br />
Betrieb unter Umständen still.<br />
In Deutschland herrschen primär drei große<br />
Irrtümer zu Vollmachten und Verfügungen:<br />
Irrtum 1: „Nur Ältere sind betroffen.“ Laut Statistik ist<br />
das falsch. Mehr als 70 Prozent der unter Betreuung stehenden<br />
Menschen bewegt sich im besten arbeitsfähigen
Alter zwischen 18 und 69 Jahren. Über ein Viertel ist zwischen<br />
18 und 39 Jahre jung.<br />
Irrtum 2: Die meisten Menschen denken immer noch,<br />
dass eine automatische Vertretungsberechtigung für den<br />
Ehe- oder Lebenspartner besteht. Dem ist nicht so. Auch<br />
Eltern sind nicht legitimiert, ihre volljährigen Kinder automatisch<br />
zu vertreten. Liegen keine Vollmachten vor, benennt<br />
das Betreuungsgericht einen Betreuer. Das kann<br />
jemand aus der Familie sein, muss aber nicht.<br />
Irrtum 3: „Bestimmt das Gericht meinen Partner als Betreuer,<br />
dann ist alles gut.“ Auch das ist leider ein Irrglaube.<br />
Der Bundesrat hat zwar in einer Initiative 2017<br />
angestoßen, dass Ehepartner für einen bestimmten Zeitraum<br />
Betroffene vertreten dürfen. Das kam aber nie zur<br />
Abstimmung und verlief schlussendlich im Sand. Benennt<br />
das Gericht also den Partner, hat dieser vielfältige Aufgaben<br />
und Pflichten. Zuerst muss ein Vermögensverzeichnis<br />
erstellt werden. Die Familie wird also quasi „nackt“ gemacht<br />
und kann keine Vermögensgüter verheimlichen.<br />
Darüber hinaus muss der Betreuer Ausgaben detailliert<br />
erfassen und genehmigen lassen. Ein jährlicher Bericht ist<br />
abzuliefern. Treten Ungereimtheiten auf, kann die Vermögensfürsorge<br />
auch wieder entzogen werden. Der Betreuer<br />
muss ebenso Entscheidungen zu medizinischen<br />
Behandlungen, Aufenthalt und Unterbringung und vieles<br />
mehr treffen. Der Betreuer ist verpflichtet, dem Gericht<br />
gegenüber Rechenschaft abzulegen. Er verliert somit seine<br />
Selbständigkeit.<br />
Haftungsfragen und Vertriebspotential<br />
Der Versicherungsmakler sollte dieses Thema auf jeden<br />
Fall mit Nachdruck ansprechen und dokumentieren. Einerseits<br />
der Sicherheit wegen, Stichwort Haftung. Andererseits,<br />
weil sich daraus zusätzlich Einnahmequellen über<br />
Cross-Selling und vor allem Neukunden ergeben.<br />
Es bietet sich idealerweise an, das Thema Vollmachten in<br />
Verbindung mit dem für viele Makler „leidigen“ Thema<br />
Pflege anzusprechen. Hier rennen Sie offene Türen ein.<br />
Durch die vorangegangene Sensibilisierung ist die Gesprächsbereitschaft<br />
der Kunden deutlich größer.<br />
Aus der eigenen Beratungs-Erfahrung weiß ich: Es kann<br />
durchaus vorkommen, dass Mandanten darauf vertrauen,<br />
gesund zu bleiben. Sie treffen dann keine Vorsorge. Wer
aber kann von sich behaupten, ein Leben lang gesund zu<br />
sein? Ist bei Krankheit nichts geregelt und der Partner<br />
wird bestellt, gehen die Sorgen schon los. In dieser Situation<br />
sei die Erstellung eines Notfallordners durch den<br />
Versicherungsmakler ans Herz gelegt. Da dies nicht zu<br />
den Kardinalspflichten eines Maklers gehört, kann für die<br />
Erstellung ein Honorar verlangt werden. Mit der Erstellung<br />
erhält der Makler gleichzeitig Namen der Familienmitglieder,<br />
um diese als Neukunden gewinnen zu können.<br />
Es kommt durchaus auch vor, dass im Zuge der Begleitung<br />
für die Vollmachten größere Vermögenssummen ins Spiel<br />
gebracht werden, die sinnvoll angelegt werden wollen –<br />
entweder für die Einmalzahlung in eine Pflegerente, ein<br />
Depot oder eine anderweitige Versicherung. Hier ist das<br />
Fachwissen des Maklers gefragt.<br />
Im Falle einer Betreuung durch einen gerichtlich bestellten<br />
Betreuer kann es vorkommen, dass dieser renditestarke<br />
Verträge oder Fonds auflöst, ohne zu wissen, was<br />
überhaupt dahintersteckt. Gleiches gilt für Immobilien,<br />
die eventuell unter Wert verkauft werden.<br />
Es liegt also in den Händen des Maklers, hier für die Sicherheit<br />
des Mandanten und vor allem die Sicherheit der<br />
eigenen Verträge zu sorgen.<br />
Welche Vollmachten und Verfügungen werden<br />
für den Betreuungsfall benötigt?<br />
Patientenverfügung: Sie regelt die Wünsche<br />
zur Apparatemedizin, zu Behandlungen und<br />
zu würdevollem Sterben. Seit 2009 ist die<br />
Patientenverfügung rechtlich bindend.<br />
Betreuungsverfügung: Sie regelt Ihre<br />
Vorgaben zum Thema Pflege, Betreuung und<br />
Kontrollbetreuung, zu Ort und Art der<br />
Versorgung und der Lebensumstände und<br />
Ausschluss von Personen.<br />
Vorsorgevollmacht: Vollmacht für die<br />
Bereiche Finanzen, Post und Behörden, zum<br />
Aufenthaltsrecht und zur rechtlichen<br />
Stellvertretung im gesundheitlichen Bereich.<br />
Sie ist erweiterbar um das Gewerbe.<br />
Sorgerechtsverfügung: Über sie wird die<br />
Vormundschaft für minderjährige Kinder<br />
geregelt.<br />
Ein Gastkommentar von Falk Leibenzeder<br />
Foto: AndreyPopov/iStockphoto
Erbschafts- und Schenkungssteuer: Wie die<br />
Steuergesetzgebung Schenkungen beeinflusste<br />
Autor: Sven Wenig<br />
So genannte Vermögensübergänge „von Todes wegen“,<br />
aber auch Schenkungen fließen ab einer bestimmten<br />
Höhe in die amtliche Erbschaft- und Schenkungssteuerstatistik<br />
ein. Demnach ist die Statistik eine wahre Fundgrube<br />
zum einen, um steuerpolitische Maßnahmen zu<br />
beurteilen. Zum anderen aber offenbart die Statistik<br />
auch, wie Steuerpflichtige auf drohende Änderungen<br />
der Steuerpolitik reagieren durch Zeitpunkt und Art einer<br />
Schenkung. Aufschlussreiche Zahlen zu dieser Frage<br />
stellte das Statistische Bundesamt im August <strong>2019</strong> vor.<br />
Die Statistik folgt den Maßgaben durch das Erbschaftsteuer-<br />
und Schenkungsteuergesetz (ErbStG) und untergliedert<br />
Erbschaften und Schenkungen in<br />
Vermögensarten: Land- und forstwirtschaftliches Vermögen,<br />
Grundvermögen, Betriebsvermögen und Übriges<br />
Vermögen. Um Zahlen zu deuten, müssen jedoch<br />
zunächst einige Dinge vorausgeschickt werden.<br />
Keineswegs liefert die Statistik einen vollständigen<br />
Überblick über alle Vermögensübergänge in Deutschland,<br />
stattdessen wird ein großer Teil der Erbschaften<br />
und Schenkungen nicht erfasst. Das liegt daran, dass ein<br />
Großteil der Vermögensübertragungen durch Verschonungsregelungen<br />
wie hohe Freibeträge innerhalb der<br />
Kernfamilie oder sachliche Steuerbefreiungen steuerfrei<br />
bleibt. Für kleinere Vermögen werden keine Vorgänge<br />
bei den Finanzämtern angelegt. Diese Erbschaften<br />
und Schenkungen erscheinen gar nicht in der<br />
Statistik. Andererseits jedoch werden Daten dann in<br />
die Statistik übernommen, wenn zwar ein Vorgang bei<br />
den Finanzämtern angelegt, die Steuerfestsetzung aber<br />
mit null Euro beschieden wird.<br />
Destatis weist Daten sowohl nach Festsetzungsjahren<br />
als auch nach dem Jahr der Steuerentstehung aus. Will<br />
man beurteilen, welches Vermögen in einem Jahr vererbt<br />
oder verschenkt wurde, sind Zahlen nach dem Jahr<br />
der Steuerentstehung maßgebend. Diese Zahlen beziehen<br />
sich auf den Stichtag der Schenkung oder – im Falle<br />
einer Erbschaft – auf den Todestag des Erblassers. Da<br />
die Steuerfestsetzung für mehr als die Hälfte der<br />
Vermögensübergänge aber zwei Jahre oder sogar länger<br />
beansprucht, sind für die unmittelbar zurückliegenden<br />
Jahre 2017 und 2018 viele Erbschaften und Schenkungen<br />
noch nicht in die Statistik eingeflossen.<br />
Gesetzgebung zur Erbschaftssteuer: Die<br />
Krux mit dem Grundgesetz<br />
Im Folgenden soll es darum gehen, ausgewählte Daten<br />
nach dem Jahr der Steuerentstehung vorzustellen. Das<br />
hat seinen Grund: An diesen Daten lässt sich veranschaulichen,<br />
wie Gesetzesänderungen die Vermögensübergänge<br />
beeinflussen. Eine Selbstverständlichkeit<br />
freilich muss für dieses Thema vorausgeschickt werden:<br />
Die Beobachtungen sind nur für Schenkungen, nicht<br />
87
aber für Erbschaften (und damit für so genannte<br />
Vermögensübergänge von Todes wegen“) relevant.<br />
Denn nur bei Schenkungen besteht Einfluss auf den<br />
Stichtag, zu dem der Vermögensübergang vollzogen<br />
wird.<br />
Dass die Politik mit der Ausgestaltung der Erbschaftund<br />
Schenkungssteuer ihre Probleme<br />
hat, zeigt die Steuergesetzgebung<br />
der letzten Jahre. So<br />
machte ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts<br />
vom 7. November<br />
2006 (Az. 1 BvL 10/02)<br />
eine neue Gesetzgebung notwendig,<br />
da die Ermittlung bei wesentlichen<br />
Gruppen von<br />
Vermögensgegenständen den<br />
Anforderungen des Gleichheitssatzes<br />
aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz<br />
nicht genüge. Die damalige<br />
große Koalition reagierte mit<br />
dem Erbschaftsteuerreformgesetz, das zum 1. Januar<br />
2009 in Kraft trat. Jedoch beinhaltete das neue Gesetz<br />
äußerst großzügige Verschonungsregelungen für Betriebsvermögen.<br />
So konnte unter bestimmten Umständen<br />
sogar das nicht betriebsnotwendige Vermögen – das<br />
so genannte Verwaltungsvermögen – in unbegrenzter<br />
Höhe ohne Steuerbelastung erworben werden.<br />
Der Bundesfinanzhof zweifelte jedoch an der Verfassungsmäßigkeit<br />
dieser Praxis und rief mit Vorlagebeschluss<br />
vom 27. September 2012 das Bundesverfassungsgericht<br />
an. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts<br />
erfolgte am 17. Dezember 2014<br />
(Az. 1 BvL 21/12). Das Gericht beschied: Die Verschonung<br />
von Erbschaftsteuer beim Übergang betrieblichen<br />
Vermögens in §§ 13a und 13b ErbStG ist angesichts ihres<br />
Ausmaßes mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz unvereinbar<br />
und damit verfassungswidrig. Jedoch: Dem Gesetzgeber<br />
wurde Zeit gegeben bis zum 30. Juni 2016 für eine<br />
Neuregelung.<br />
Der Gesetzgeber reagierte mit dem Gesetz zur Anpassung<br />
des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes<br />
an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts<br />
vom 4. November 2016 (BGBl. I S. 2464). Dieses trat<br />
rückwirkend zum 1. Juli 2016 in Kraft. Jedoch: Bis Ende<br />
2017 wurden von den Finanzverwaltungen noch keine<br />
Steuerbescheide nach dem neuen Rechtsstand festgesetzt.<br />
Demnach findet auch in den aktuellen Daten der<br />
alte Rechtsstand noch immer seinen Widerhall.<br />
88<br />
Für kleinere Vermögen<br />
werden keine<br />
Vorgänge bei den<br />
Finanzämtern angelegt.<br />
Diese Erbschaften<br />
und Schenkungen<br />
erscheinen gar<br />
nicht in der Statistik.<br />
Vorzieh-Effekte der Steuerzahler: Man<br />
schenke zum richtigen Zeitpunkt<br />
Wie wirken sich jedoch drohende Verschlechterungen<br />
bei der Steuerlast auf den Zeitpunkt der Schenkungen<br />
aus? Hierfür ist eine Tabelle aussagekräftig, die nach<br />
dem Jahr der Steuerentstehung geschenktes Vermögen<br />
über die Jahre hinweg vergleicht<br />
–angefangenmitdemStandvor<br />
2009 bis zum Stand 2018.<br />
Bedacht werden aber muss: Zahlen<br />
für 2017 bis 2018 sind noch<br />
unvollständig.<br />
Aussagekraft aber besitzen die<br />
Zahlen für die Jahre der Gesetzreform.<br />
So verändert sich ab<br />
2010 auffallend die Zusammensetzung<br />
des vererbten und des<br />
geschenkten Vermögens. Dominiert<br />
bei Erbschaften über all die<br />
Jahre die Vermögensart Übriges Vermögen die Übergänge,<br />
zeigt sich bei Schenkungen ab 2010 eine auffallende<br />
Dominanz des Betriebsvermögens. Ein hoher<br />
Wert von 39,0 Milliarden Euro lässt sich für 2010 konstatieren.<br />
Dem stehen ein Grundvermögen in Höhe von<br />
2,8 Milliarden Euro, ein Land- und forstwirtschaftliches<br />
Vermögen in Höhe von 0,3 Milliarden Euro und Übriges<br />
Vermögen in Höhe von 8,4 Milliarden Euro gegenüber.<br />
Weil Betriebsvermögen ab 2009 steuerlich<br />
besonders begünstigt wurde, wurde mehr Betriebsvermögen<br />
verschenkt.<br />
In 2012 jedoch schnellt der Wert erneut in die Höhe:<br />
55,9 Milliarden Euro werden nun für Schenkungen bei<br />
der Vermögensgruppe Betriebsvermögen erfasst. Kann<br />
dieser Anstieg auf die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts<br />
zurückzuführen sein, obwohl dieser Schritt erst<br />
im September durch den Bundesfinanzhof erfolgte?<br />
Wurden nun also Schenkungen von Betriebsvermögen<br />
vorgezogen, um noch schnell von eventuell verfassungswidrigen<br />
Regelungen zu profitieren? Eine Destatis-Studie<br />
bestätigt den Verdacht. Demnach wären, wenngleich<br />
für alle Vermögensgruppen, allein im Oktober 2012 sagenhafte<br />
39,6 Milliarden Euro Vermögen durch Schenkungen<br />
übertragen worden. Auch in den nun folgenden<br />
Jahren liegen Zahlen der Vermögensgruppe Betriebsvermögen<br />
bei Schenkungen auffallend hoch. Eine Normalisierung<br />
setzt 2015 ein.Und damit nicht genug: Weitere<br />
Destatis-Zahlen bestätigen den Befund, dass plötzlich
Schenkungen von Betriebsvermögen schnell vorgezogen<br />
wurden. So verringerte sich der Anteil des steuerpflichtigen<br />
Erwerbs an diesem Vermögen vom Oktober 2012 bis<br />
Dezember 2014 – und das, obwohl in diesem Zeitraum<br />
wesentlich mehr Vermögen verschenkt wurde. Anders<br />
ausgedrückt: Mehr als in anderen Jahren wurde von 2012<br />
bis Dezember 2014 vor allem jenes Betriebsvermögen verschenkt,<br />
das steuerlich besonders begünstigt war.<br />
alten Regelungen Bestand hatten. So stieg der Anteil<br />
des steuerpflichtigen Erwerbs am geschenkten Vermögen<br />
wieder auf 22,5 Prozent. Eine solche Normalisierung<br />
könnte sich daraus erklären, dass nun Vorzieh-Effekte<br />
nachließen, weil bereits ab 2012 viel von dem begünstigten<br />
Betriebsvermögen übertragen wurde.<br />
Ein Kommentar von Sven Wenig<br />
Der Anteil des steuerpflichtigen Erwerbs am geschenkten<br />
Vermögen lag zwischen 2009 und 2012 bei 22 Prozent<br />
– schon dieser Wert spiegelt großzügige<br />
Verschonungsregelungen ab 2009. Weil aber ein Wegfallen<br />
der Regelungen drohte, nahmen ab 2012 Schenkungen<br />
zu, die noch vom alten Gesetzstand profitierten.<br />
Demnach sank der Anteil des steuerpflichtigen Erwerbs<br />
am geschenkten Vermögen zwischen Oktober 2012 und<br />
Dezember 2014 auf 14,9 Prozent. Ab Januar 2015 jedoch<br />
normalisierte sich der Effekt, obwohl noch immer die<br />
QUELLE: BUNDESAMT FÜR STATISTIK<br />
https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/<strong>2019</strong>/08/PD19_309_736.html
Veränderungen im Versicherungsmarkt<br />
erfordern veränderte Strategien<br />
Stephen Voss<br />
Vorstand des digitalen<br />
Versicherers Neodigital<br />
Wie ein Versicherer auf digitale Herausforderungen und damit einhergehende Schwierigkeiten<br />
in seinem Produkt-Portfolio reagieren kann, erklärt Stephen Voss, Vorstand des digitalen<br />
Versicherers Neodigital, in seinem Gastbeitrag für den <strong>Versicherungsbote</strong>n.<br />
Die Treiber der Konsolidierung<br />
Viel verändert sich gerade im Versicherungsmarkt, weil<br />
sich auch das Konsumentenverhalten ändert. Der Vertrieb<br />
ist schon lange kein reiner physischer Vertrieb<br />
mehr durch einen Vermittler, der den Kunden vor Ort<br />
zur Risikobeurteilung besucht und berät. Das bedeutet<br />
allerdings nicht den viel beschworenen Tod des Versicherungsvermittlers,<br />
aber sehr<br />
wohl eine Veränderung in den<br />
Vertriebsstrukturen und der damit<br />
verbundenen Vertriebstechnologie.<br />
Und hier beginnt die<br />
Arbeit für Versicherungsunternehmen.<br />
Denn sie müssen nun<br />
dafür sorgen, dass die Versicherungsprodukte<br />
in viel kürzeren<br />
Zyklen dem Vertrieb in einer für<br />
ihn und den Kunden optimalen technischen Konstellation<br />
zur Verfügung gestellt werden. Und zwar so, dass der<br />
Vertrieb, der Vermittler oder die Vertriebsform – zum<br />
Beispiel eine Vergleichsplattform – das Versicherungsprodukt<br />
bestmöglich dem Kunden präsentieren kann.<br />
Das bedeutet eine hohe technische Herausforderung,<br />
90<br />
denn für das Versicherungsunternehmen ändert sich<br />
jede Menge.<br />
Der steinige Weg zum Gipfel<br />
Es reicht auf einmal<br />
nicht mehr aus, ein<br />
gutes Produkt zu<br />
entwickeln.<br />
Es reicht auf einmal nicht mehr aus, ein gutes Produkt zu<br />
entwickeln. Was früher einmal das Hauptaugenmerk<br />
war, ist heute ein Hygiene-Faktor. Es ist heute viel wichtiger,<br />
alle Produkt- und Servicedienstleistungen<br />
und Technologie<br />
und Schnelligkeit innerhalb<br />
eines Ökosystems in einem optimalen<br />
Verhältnis auszutarieren<br />
sowie für den Vertrieb und den<br />
Kunde eine angenehme, bequeme<br />
und auch erwartete Balance zu<br />
schaffen. Dass dieser Drahtseilakt<br />
nicht jedem Versicherungsunternehmen<br />
gelingen wird, liegt auf der Hand. Und einige<br />
haben den Weg zum Gipfel dieses Berges erst gar nicht<br />
angetreten: Das lässt sich aus den Daten des GDV (Gesamtverband<br />
der Deutschen Versicherungswirtschaft)<br />
herauslesen. Denn die Statistik zeigt, dass die Gesamtzahl<br />
der Versicherer im deutschen Markt in den letzten
zehn Jahren um gut 100 Versicherungsunternehmen abgenommen<br />
hat. Das bedeutet jedoch nicht, dass alle Versicherungsunternehmen<br />
Opfer der Digitalisierung<br />
geworden sind. Einige waren schlicht zu klein, andere<br />
wurden übernommen, wieder andere haben fusioniert.<br />
Es gibt viele Gründe für den Schwund. Aber natürlich<br />
sind auch einige Unternehmen an der Transformation<br />
ihrer IT- und Betriebsmodelle schlichtweg gescheitert.<br />
„Digital“ bedeutet nicht immer „schnelle<br />
Lösung“<br />
Es liegt nicht alles alleine an digitalen Produkten für den<br />
Vertrieb. Vielerorts bereitete auch mangelnde Transparenz<br />
in den eigenen Management Information Systems,<br />
kurz MIS, Probleme. Denn das beste Produkt nützt dem<br />
Vorstand eines Versicherungsunternehmens gar nichts,<br />
wenn er betriebswirtschaftliche sowie risikorelevante<br />
Daten nicht zeitnah abrufen kann. Wenn das eigene System<br />
aus Risiko-Management, Aktuariat und Controlling<br />
drei bis sechs Monate braucht, um auf ein Produkt eine<br />
Combined Ratio, also die kombinierte Kosten-Schadenquote,<br />
zu errechnen, dann ist in Zeiten größeren Margendrucks<br />
aufgrund von Preiswettbewerb und<br />
transparentem Vergleich der Zug ganz schnell abgefahren.<br />
Derartige Reaktionszeiten mochten früher, in Zeiten<br />
des Flächenvertriebes, gerade noch okay gewesen<br />
sein. Man konnte sich die Zeit nehmen, solche Fehler zu<br />
beheben. Aber in Zeiten schneller Abschlüsse über<br />
Onlineplattformen und -aggregatoren wird ein kleiner<br />
Fehler im Deckungsumfang, eine Lücke oder eine zu<br />
großzügige Schadenleistung gnadenlos aufgedeckt und<br />
führt, wenn der Markt es schneller merkt als man selbst,<br />
zur Katastrophe. Dies ist keine Fiktion, es haben sich<br />
schon etliche Versicherungsunternehmen mit „alten“ Tarifen,<br />
die günstig auf Plattformen eingestellt wurden,<br />
blutige Nasen geholt. Einfache Regel: Ein Tarif, der im<br />
Flächenvertrieb funktioniert, funktioniert nicht uneingeschränkt<br />
online.<br />
Um solche Schwierigkeiten auszugleichen, fehlen einigen<br />
kleineren und mittleren Versicherungen die Ressourcen<br />
und finanziellen Mittel. Wenige werden es daher<br />
aus eigener Kraft schaffen. Für die anderen kann es dazu<br />
führen, dass sie sich von Teilen bzw. von Versicherungssparten<br />
trennen werden, weil sie diese nicht mehr adäquat<br />
managen können. Es werden also Teilbereiche, die<br />
nicht mehr zum Kerngeschäft gehören, an andere Unternehmen<br />
veräußert. Klingt kompliziert. Ist aber einfach.<br />
Ein großer Lebensversicherer mit einem kleinen Bestand<br />
an Sachversicherungen – weil er sich ggfs. nicht früher<br />
gegen das Geschäft gewehrt hat – steht zum Beispiel vor<br />
folgender Aufgabe: Entweder gestaltet er das Management<br />
des Sachbereichs effizienter und digitaler, was<br />
mehr Investitionen erfordern würde. Oder er trennt sich<br />
von diesem Bestand und gibt ihn an einen Versicherer<br />
ab, der im Kern Sachgeschäft betreibt. Die umgekehrte<br />
Variante gibt es natürlich auch: Vielerorts werden kleine<br />
Leben Bestände auch in den Run-Off geschickt.<br />
Auslagern als Alternative<br />
Es gibt aber noch eine weitere Lösung, die zwar noch<br />
nicht lange am Markt praktiziert wird, aber durchaus<br />
eine Alternative zum Verkauf oder dem Run-Off der<br />
Sparte ist: Das Outsourcen der Sparte. In diesem Fall<br />
verbleibt das Portfolio der Sparte risikotechnisch (gegenüber<br />
dem Kunden und dem Regulator der BaFin)<br />
beim Versicherungsunternehmen. Das Management dieser<br />
Sparte und die Führung des Bestandes wird aber<br />
komplett ausgelagert. Im Idealfall kostet die Auslagerung<br />
inklusive eines transparenten digitalen Managements<br />
deutlich weniger als bisher. Freiwerdende<br />
Ressourcen können effizienter in den Kernsparten eingesetzt<br />
werden. Und für die ausgelagerte Sparte entfällt<br />
das technologische Risiko, das trägt ja nun der Dienstleister.<br />
Ein weiterer Vorteil kommt hinzu: Es muss keinem<br />
Kunden erklärt werden, warum beispielsweise seine<br />
Lebensversicherung beim Versicherer verbleibt, aber seine<br />
Haftpflicht oder Hausrat nun zu einem ihm fremden<br />
Versicherer wechselt. Die Integrität der Marke bleibt somit<br />
erhalten. Alle Potentiale aus dem Kundenstamm, inklusive<br />
Cross-Selling und Up-Selling, können weiterhin<br />
gehoben werden. Und die Erfahrung zeigt, dass mehr<br />
Produktdurchdringung beim Kunden die Treue erhöht<br />
und dass die Kündigungswahrscheinlichkeit abnimmt.<br />
Das Management eines Versicherers mit nicht profitabel<br />
zu führenden Portfolien ist daher gut beraten, vor einer<br />
unumkehrbaren Entscheidung der Trennung des Bestandes<br />
über die Auslagerung des Managements an einen<br />
Dritten nachzudenken. Und wenn die Auslagerung gut<br />
funktioniert, warum nicht vom Dienstleister sogar neue<br />
Produkte entwickeln und verarbeiten lassen? Dieses<br />
Konzept gibt es bereits zuhauf in der Automobilindustrie<br />
– und es läuft sehr erfolgreich.<br />
Ein Gastkommentar von Stephen Voss<br />
91
Kfz-Versicherung: Branche blickt 2018<br />
auf erfreuliche Zahlen<br />
Autor: Sven Wenig<br />
Foto: RichVintage/iStockphoto<br />
Höhere Einnahmen und in der Summe verbesserte Quoten: Dies hielt das Geschäftsjahr 2018<br />
für die deutschen Kfz-Versicherer bereit. Aber ein Blick auf die einzelnen Anbieter zeigt deutliche<br />
Unterschiede: Nicht alle Versicherer konnten ihre Kosten decken. Das zeigt die Auswertung<br />
des Branchenmonitor Kraftfahrtversicherung der V.E.R.S. Leipzig GmbH.<br />
Der Vergleich von Kennzahlen ist für kaum einen Versicherungsbereich<br />
so spannend wie für die Kfz-Branche.<br />
Denn hart umkämpft ist der Markt – insbesondere in der<br />
sogenannten „Wechselsaison“ des Herbstes bis zum 30. November<br />
tobt ein jährlicher Preiskampf, bei dem sich Anbieter<br />
mit günstigen Tarifen gegenseitig unterbieten.<br />
Gleichzeitig klagen die Anbieter über immer höhere Schadenaufwendungen.<br />
Zwar hilft eine zunehmende Automatisierung der Fahrzeuge,<br />
menschliche Fahrfehler auszugleichen und dadurch<br />
Unfälle und Schaden zu reduzieren. Kommt es jedoch zum<br />
Schaden, führt die neue Technik oft zu hohen Reparaturkosten.<br />
Dass unter solchen Bedingungen eine „Phase stagnierender<br />
Durchschnittsbeiträge bei strukturell weiter<br />
steigenden Schadenbedarfen“ droht, gestand mit Klaus-<br />
Jürgen Heitmann der Vorstandssprecher des Marktführers<br />
HUK-Coburg gegenüber der Börsenzeitung ein.<br />
Wie aber bewährte sich die Branche in 2018 unter solchen<br />
Bedingungen? Der <strong>Versicherungsbote</strong> wollte es genau wissen<br />
und ließ sich von der V.E.R.S. Leipzig GmbH ein Exemplar<br />
des „Branchenmonitor Kraftfahrtversicherung<br />
2013-2018“ als Analyse-Instrument zuschicken.<br />
Kennzahlen für 2018: Die Aussicht klart auf<br />
Aus dem vorliegenden Branchenmonitor gibt es zunächst<br />
Positives zu vermelden: Trotz widriger Bedingungen gibt<br />
die Branche in 2018 ein doch gutes Bild ab, wenn man<br />
Durchschnittswerte über alle 50 untersuchten Versicherungsunternehmen<br />
hinweg betrachtet. So stiegen zum einen,<br />
wie schon in den Vorjahren, die gebuchten<br />
Bruttoprämien im Zweig Kraftfahrt gesamt im Durchschnitt<br />
aller Versicherer – in 2017 lagen sie noch bei<br />
478,41 Millionen Euro und kletterten nun in 2018 auf<br />
495,99 Millionen Euro.<br />
Auch stieg die Zahl der Versicherungsverträge im Zweig<br />
Kraftfahrt gesamt für alle untersuchten Versicherer von<br />
2.038.917 in 2017 auf 2.075.579 in 2018. Erfreulich jedoch ist<br />
besonders eine Verbesserung gegenüber dem Vorjahr: Die<br />
Schaden-Kosten-Quote und damit der wichtigste Geschäftsindikator<br />
im Schaden- und Unfallgeschäft konnte –<br />
anders als noch 2017 – unter die kritische 100-Prozent-<br />
Marke gedrückt werden. Schadenzahlungen und Verwaltungskosten<br />
waren für den überwiegenden Teil der Branche<br />
demnach durch Prämieneinnahmen gedeckt. Denn<br />
das schwierige Geschäftsjahr 2017 machte sich mit einer<br />
92
durchschnittlichen Combined Ratio (CR) von 100,21 Prozent<br />
–überdenDurchschnittaller50Unternehmen<br />
hinweg – für den Zweig „Kraftfahrt Gesamt“ bemerkbar.<br />
Nun aber verbesserte sich der Wert auf 97,08 Prozent<br />
in 2018. Das positive Gesamtergebnis spiegelt sich<br />
auch an den Einzelergebnissen der Versicherer wider:<br />
Nur 13 Unternehmen müssen in 2018 mit einer Combined<br />
Ratio über 100 Prozent leben. Das bedeutet: 37 Unternehmen<br />
wirtschafteten im zurückliegenden Geschäftsjahr<br />
auskömmlich.<br />
Die verbesserte Schaden-Kosten-Quote ist auch durch<br />
eine bessere Schadenquote bedingt. Zwar wuchsen die<br />
durchschnittlichen Schadenaufwendungen je Versicherer<br />
in 2018 erneut an: 2017 lagen sie bei 385,84 Millionen Euro<br />
und kletterten nun auf 390,24 Millionen Euro. Auswirkungen<br />
auf die Quoten jedoch halten sich in Grenzen. Lag<br />
nämlich die Schadenquote im Zweig Kraftfahrt Gesamt in<br />
2017 über alle Versicherer hinweg bei 82,99 Prozent, durften<br />
sich die Versicherer in 2018 über den besseren Wert<br />
von 79,64 Prozent freuen. Durchschnittlich 186,51 Euro<br />
brutto pro Versicherungsvertrag gaben die Versicherer in<br />
2018 an Schadenaufwendungen aus.<br />
Schaden-Kosten-Quote: „Sieger“ und „Verlierer“<br />
in 2018<br />
Für welche Unternehmen aber lief das Geschäft in 2018 besonders<br />
gut, für welche hingegen weniger? Zu dieser Frage<br />
dient der Vergleich der Schaden-Kosten-Quoten für die<br />
einzelnen Unternehmen. Bedacht werden aber muss hierbei,<br />
dass verschiedene Töchter der großen Versicherer<br />
nach Rechtsform getrennt ausgewiesen werden. So treten<br />
zum Beispiel die drei HUK-Töchter HUK-Coburg Allgemeine,<br />
HUK-Coburg VVAG und HUK24 getrennt für die<br />
Analyse an.<br />
Unter diesen Bedingungen erweist der uns vorliegende<br />
Monitor folgende Unternehmen als „Schaden-Kosten-Sieger“<br />
in 2018 für den Zweig „Kraftfahrt Gesamt“ aus:<br />
arbeitete sich das Unternehmen auf das Siegertreppchen<br />
hoch. Laut Geschäftsbericht ist der Grund hierfür eine<br />
Normalisierung der Großschadensituation.<br />
Ebenfalls auf dem CR-Siegertreppchen landet in 2018 die<br />
Provinzial Nord Brandkasse mit 87,92 Prozent – Rang drei<br />
aller Versicherer im Schaden-Kosten-Ranking.<br />
Es folgen, mit ebenfalls guten Werten:<br />
Garanta mit 88,23 Prozent (Rang 4), die Huk-Tochter<br />
HUK24 mit 88,43 Prozent (Rang 5) sowie Volkswagen<br />
Auto mit 89,98 Prozent (Rang 6).<br />
Wer aber sind die unglücklichen Schaden-Kosten-Verlierer<br />
des Geschäftsjahres 2018 im Zweig „Kraftfahrt Gesamt“?<br />
Recht nahe beieinander mit ihren ungünstigen CR-Quoten<br />
liegen die Versicherer auf den Rängen 43 bis 46:<br />
Die R+V Direkt nimmt für das Kfz-Gesamtgeschäft eine<br />
CR von 104,23 Prozent in Kauf (=Rang 43).<br />
Die Alte Leipziger muss 104,37 Prozent beklagen (Rang 44).<br />
Der Bayerische VersVerband verbucht eine Quote von<br />
104,54 Prozent (Rang 45).<br />
Die Nürnberger Allgemeine verbucht zudem schlechte<br />
104,76 Prozent (Rang 46).<br />
Auf Rang 47 der Tabelle folgt die Helvetia Direktion für<br />
Deutschland mit 106,01 Prozent.<br />
Die drei Schaden-Kosten-Schlusslichter des Jahres 2018 jedoch<br />
sind:<br />
Die BGV-Versicherung mit einer CR von 107,72 Prozent<br />
für das Kfz-Gesamtgeschäft (Rang 48);<br />
die Barmenia Allgemeine mit der zweitschlechtesten CR<br />
aller Versicherer von 108,97 Prozent (Rang 49)<br />
sowie, als schlechtestes Ergebnis in 2018, die Ergo mit<br />
111,29 Prozent (Rang 50 und damit Schlusslicht).<br />
Den besten Wert hat die VHV mit einer Combined Ratio<br />
von 85,17 Prozent: Rang eins und damit Sieger im<br />
CR-Ranking.<br />
Rang zwei des Schaden-Kosten-Rankings sichert sich die<br />
Basler Sachversicherung mit einer Combined Ratio von<br />
86,42 Prozent. Ein erstaunliches Ergebnis: In 2017 musste<br />
das Unternehmen noch eine CR von 120,19 hinnehmen<br />
und beklagte mit diesem Wert das schlechteste Ergebnis<br />
aller Versicherer des Vorjahres. Vom letzten Platz also<br />
Die aufgeführten Zahlen beruhen auf dem vorläufigen<br />
Branchenmonitor Kraftfahrtversicherung. Für endgültige<br />
Ergebnisse sei auf die finalen Monitore – die zum Redaktionsschluss<br />
noch nicht vorlagen – verwiesen, die bei V.E.R.S. Leipzig<br />
GmbH zu bestellen sind.<br />
Ein Kommentar von Sven Wenig<br />
93
Advertorial<br />
Mobilitätsschutz von rhion.digital: Das ist ONdrive!<br />
Mit der vor einem Jahr erfolgten systematischen Ausweitung<br />
des Produktangebots auf Kfz-Versicherungen, stößt<br />
rhion.digital im Markt auf großes Interesse. Dass die Entscheidung<br />
richtig war, sich trotz des intensiven Wettbewerbs<br />
als neuer Kfz-Versicherer zu etablieren, zeigt das<br />
Vertrauen, das Makler in die Produktkompetenz von<br />
rhion.digital setzen.<br />
Grundlage dieses Erfolgs ist das innovative Deckungskonzept<br />
ONdrive: Es steht für unkompliziertes, zeitsparendes<br />
Handling auf weitgehend digitaler Basis. In 60 Sekunden<br />
ein Angebot berechnen? Nichts leichter als das! ONdrive<br />
steht beispielhaft für die innerhalb der RheinLand Versicherungsgruppe,<br />
zu deren Markenfamilie rhion.digital gehört,<br />
seit bald 100 Jahren bestehende Erfahrung rund um<br />
das Thema Mobilitätsversicherungen.<br />
Der Online-Tarifrechner von ONdrive begeistert optisch<br />
und inhaltlich durch seine Konzentration<br />
auf das Wesentliche.<br />
Abgefragt wird nur, was wirklich<br />
wichtig ist. Und das mit innovativem<br />
Ansatz. Denn als erster Kfz-<br />
Versicherer am deutschen Markt<br />
nutzt rhion.digital den Informationspool<br />
hinter der Fahrzeug-<br />
Identifizierungsnummer (FIN),<br />
um die Angebotserstellung zu vereinfachen:<br />
Bei Eingabe der FIN<br />
werden die relevanten Fahrzeugdaten<br />
hochgeladen und die dafür<br />
vorgesehenen Felder belegt.<br />
Die für ONdrive ausgewählten<br />
und über die FIN erkannten Fahrerassistenzsysteme<br />
wirken sich<br />
bei der Berechnung der Prämie<br />
automatisch vergünstigend aus.<br />
Und das ohne jeden Mehraufwand!<br />
Mit der Gewährung von<br />
Nachlässen für objektiv nachvollziehbare<br />
Kriterien wird zudem das sicherheitsbewusste<br />
Handeln der Kunden langfristig honoriert. Die berücksichtigten<br />
Systeme werden nach Einschätzung vieler Experten<br />
in der Zukunft die Unfallhäufigkeit und die<br />
Unfallfolgen im Straßenverkehr spürbar reduzieren<br />
Bedarf passgenau abgebildet werden kann. Hinzu kommen<br />
erstklassige Extras. Hier drei Beispiele:<br />
Fahrerschutz<br />
Bei selbstverschuldeten Unfällen mit Verletzung des Fahrers<br />
oder dann, wenn der Unfallgegner nicht ermittelt<br />
werden kann, erhält der Fahrer in der Regel keine Leistung.<br />
Der Rhion Fahrerschutz schließt diese Lücke, und<br />
kommt beispielsweise für Verdienstausfall, Schmerzensgeld<br />
oder die Kosten einer Haushaltshilfe auf.<br />
Schnelle Schadenregulierung<br />
Servicestärke und Verlässlichkeit sind im<br />
Schadenfall besonders gefordert. Das Schadenmanagement<br />
bei rhion.digital folgt drei<br />
Grundsätzen: Service, Transparenz und Schnelligkeit.<br />
Vermittler und Versicherte profitieren<br />
von hochautomatisierten Prozessen, die eine<br />
Regulierung vieler Schäden on the fly möglich<br />
machen. Bei Kfz-Schäden hilft EasyONclaim.<br />
Nach einem Unfall liegt innerhalb von zwei<br />
Stunden eine Kalkulation vor, auf deren Basis<br />
sich Versicherte/Geschädigte zwischen Geldleistung<br />
oder Werkstattservice entscheiden<br />
kann. Wie das funktioniert? Unter konsequenter<br />
Nutzung der Möglichkeiten des Smartphones!<br />
EasyONclaim vereinfacht und beschleunigt die<br />
Abwicklung einfacher Blechschäden<br />
dramatisch.<br />
„Hund an Bord“<br />
Mit „Hund an Bord“ ist der geliebte Vierbeiner im Falle<br />
eines Unfalls des versicherten Fahrzeugs rundum abgesichert.<br />
Für Operations- und Behandlungskosten des verletzten<br />
Hundes werden bis zu 5.000 Euro übernommen.<br />
Das gilt auch für physikalische<br />
Therapien wie Wärme und<br />
Massage sowie für homöopathische<br />
Behandlungen durch einen<br />
Tierarzt. Zudem werden<br />
Kosten für die Tierpension für<br />
bis zu sieben Tage (max. 50<br />
Euro pro Tag) ersetzt. Das<br />
lohnt sich: Auch bei mehreren<br />
Hunden fällt Versicherungsbeitrag<br />
nur einmal an. Die maximalen<br />
Leistungen gelten<br />
dann für die Kosten aller Hunde<br />
zusammen. Versicherbar<br />
sind alle Rassen.<br />
Mehrwertdeckung<br />
Bei Totalschaden oder Totaldiebstahl:<br />
Erstattet wird in den<br />
ersten zwei Jahren, in denen<br />
das Fahrzeug bei der Rhion<br />
versichert ist, der volle Differenzbetrag<br />
zwischen dem gezahlten<br />
und nachgewiesenen Kaufpreis und dem Wiederbeschaffungswert<br />
des Fahrzeugs am Tag des Schadens. Ab<br />
dem dritten Versicherungsjahr werden 30% des Wiederbeschaffungswerts<br />
erstattet. Die maximale Leistung beträgt<br />
7000 Euro.<br />
ONdrive bietet mit den Tarifvarianten Standard, Plus und<br />
Premium ein modernes Drei-Linien-Modell, mit dem der<br />
Erfahren Sie mehr auf: www.rhion.digital<br />
94
<strong>Versicherungsbote</strong>: Herr Brockmann, unser Thema ist<br />
die Sicherheit auf deutschen Straßen. Ich habe gelesen,<br />
Sie sind selbst passionierter Motorradfahrer.<br />
Siegfried Brockmann: Das stimmt, ja. Ich weiß gar nicht,<br />
ob ich das sagen darf.<br />
Ganz banal gefragt: Fühlen Sie sich auf deutschen Straßen<br />
sicher?<br />
Nein, natürlich nicht (lacht). Aber man sollte auch nicht<br />
glauben, sich ohne Risiko auf die Straße begeben zu können.<br />
Wir haben ein sehr komplexes Verkehrsgeschehen.<br />
Das stellen Sie spätestens fest, wenn Sie versuchen den<br />
Verkehr zu automatisieren, also schauen, ob ein Auto<br />
mittels eines Computers autonom durch die Stadt fahren<br />
kann. Dann beobachten Sie, aus wie vielen Richtungen<br />
und mit wie vielen Geschwindigkeiten sehr verschiedene<br />
Verkehrsteilnehmer kommen – teils, ohne dass man voraussehen<br />
kann, was sie als nächstes machen. Das alles in<br />
ein System zu gießen, das Unfälle vollständig ausschließt,<br />
halte ich gar nicht für möglich.<br />
Dann frage ich anders: Wird in Deutschland genug getan,<br />
um Unfälle zu vermeiden? Einerseits ist die Zahl der Unfälle<br />
im internationalen Vergleich niedrig. Andererseits<br />
sterben immer noch mehr als neun Menschen pro Tag<br />
auf deutschen Straßen.<br />
Wir haben in den letzten Jahren bereits viel verbessert.<br />
Noch Anfang der 70er Jahre verloren in der Bundesrepublik<br />
rund 21.000 Menschen pro Jahr bei Verkehrsunfällen<br />
ihr Leben, bei deutlich geringerer Verkehrsdichte. Heute<br />
sind es in ganz Deutschland rund 3.300.<br />
Aber: Viele Sicherheitsgewinne stammen aus der Automobiltechnik.<br />
Allein die Einführung des Sicherheitsgurts<br />
hat uns dramatisch viele Unfallopfer im Auto erspart.<br />
Hinzu kamen der Airbag und weitere Innovationen – wie<br />
die sichere Fahrgastzelle oder Fahrassistenzsysteme.<br />
Heute stellen wir fest, dass diese Entwicklung zum Erliegen<br />
gekommen ist. Die nächsthöhere Entwicklungsstufe<br />
„Automatisation von Fahrzeugen“ steckt noch in den<br />
Kinderschuhen und wird länger brauchen. Umso wichtiger<br />
ist es, dass wir weitere Fortschritte im Bereich der Infrastruktur<br />
und des Verkehrsverhaltens erzielen. Das ist<br />
noch schwieriger als technisch etwas zu bauen, weil die<br />
empfohlenen Maßnahmen aufwendige Eingriffe in das<br />
Verkehrsnetz erfordern. Also: Die Aufgabe stirbt nicht<br />
aus, Unfallzahlen und -folgen zu reduzieren. Wir haben genügend<br />
Baustellen, an denen wir etwas verbessern müssen.<br />
Siegfried Brockmann<br />
Leiter Unfallforschung der<br />
Versicherer (UDV)<br />
Wir haben genügend<br />
Baustellen in Sachen<br />
Verkehrssicherheit!<br />
Im Jahr2018starbeninDeutschland3.275<br />
Menschen bei Unfällen im Straßenverkehr<br />
und 396.000 Personen wurden verletzt: Damit<br />
ist die Zahl der Unfalltoten erstmals seit<br />
langer Zeit wieder gestiegen. Wie sicher sind<br />
deutsche Straßen – und was kann getan werden,<br />
um Unfälle zu verhindern? Der <strong>Versicherungsbote</strong><br />
hat sich mit Siegfried Brockmann<br />
unterhalten, Leiter Unfallforschung der<br />
Versicherer (UDV).
Ein Thema, das in den letzten Monaten kontrovers diskutiert<br />
wurde, ist ein Tempolimit auf Autobahnen. Zwar<br />
starben hier 2018 mit 424 Menschen vergleichsweise wenige<br />
Menschen, diese aber mehrheitlich aufgrund hohen<br />
Tempos. Auch waren mehr als 5.900 Schwerverletzte zu<br />
beklagen. Halten Sie ein solches Limit für sinnvoll?<br />
Ein weiterer Grund, weshalb wir viele Unfälle zu beklagen<br />
haben, ist das Unfallgeschehen in Großstädten.<br />
Wenn ich richtig informiert bin, bleiben hier die Unfälle<br />
auf recht hohem Niveau oder nehmen sogar wieder zu –<br />
auch wegen des immer dichter werdenden Verkehrs und<br />
vieler Pendler.<br />
Es sprechen Indizien dafür, dass geringere Geschwindigkeiten<br />
auch weniger Unfälle und vor allem auch weniger<br />
schwerere Unfälle nach sich ziehen. Weil: Zum Ersten<br />
senke ich die kinetische Energie, falls es doch zum Unfall<br />
kommt. Zweitens senke ich die Wahrscheinlichkeit, dass<br />
es überhaupt zum Unfall kommt, weil die Anhaltewege<br />
kürzer werden bei geringeren Geschwindigkeiten. Ich<br />
schaffe außerdem deutlich weniger Stress für Fahrer, weil<br />
ich die Differenzgeschwindigkeiten zwischen den Spuren<br />
minimiere – was zum Beispiel für ältere Fahrer ein wichtiger<br />
Vorteil ist.<br />
Die hohen Unfallzahlen in den Städten resultieren unter<br />
anderem daraus, dass wir mit den Radfahrern eine neue<br />
Verkehrsteilnehmer-Gruppe haben. Radfahrer gab es<br />
zwar schon immer. Aber nicht in dieser Art wie heute –<br />
als sehr schnelle Verkehrsteilnehmer und auch als schnell<br />
wachsende Gruppe. Hier lässt sich zum Beispiel beobachten,<br />
dass Unfälle mit E-Bikes aufgrund des hohen Tempos<br />
oft mit schweren Verletzungen oder gar tödlich enden –<br />
auch vor dem Hintergrund, dass sie überproportional von<br />
Senioren genutzt werden. Von den 445 getöteten Radfahrern<br />
im letzten Jahr starben viele in den Städten.<br />
Das ist eine ideologisch sehr aufgeladene Debatte.<br />
Ulf Poschardt, Chedredakteur der WELT, sieht durch<br />
ein Tempolimit die Freiheit der Bürger in Gefahr. In einem<br />
Twitter-Tweet von Dezember 2018 schreibt er: “Rasen<br />
richtig gemacht ist die höchste Verantwortung und<br />
das schönste und wunderbarste und poetischste!“<br />
Auweia! Aber das ist der Haken daran: Wir bräuchten<br />
eine klare gesellschaftliche Mehrheit für ein Tempolimit.<br />
Ein Verbot, das ständig und massiv übertreten wird,<br />
nützt wenig.<br />
Zu dieser Debatte fehlen in Deutschland schlicht wissenschaftliche<br />
Studien, die den Nutzen eines Limits beweisen.<br />
Deswegen bin ich dafür, dass wir, was wir alle ahnen,<br />
auch mal als Großversuch unter die Lupe nehmen. Das bedeutet:<br />
Man müsste ein ziemlich aufwendiges Versuchsdesign<br />
machen, das einen „Vorher- Nachher“-Vergleich<br />
zwischen verschiedenen Strecken mit und ohne Tempogrenze<br />
erlaubt.<br />
Ein solcher Feldversuch ist nicht trivial. Aber man könnte<br />
über einen längeren Zeitraum die Unfallentwicklung<br />
messen und hätte harte Zahlen zu der Frage, ob ein Tempolimit<br />
was bringt – und bei welchen Geschwindigkeiten.<br />
Denn das oft vorgeschlagene Limit „130 km/h“ ist sehr<br />
willkürlich gewählt. Sicherheitsvorteile treffen auch bei<br />
Tempo 150 noch zu. Mit den gewonnenen Zahlen könnte<br />
man ganz anders diskutieren: „Hier sehen wir jetzt<br />
schwarz auf weiß: so und so viele Tote und Schwerverletzte<br />
könnten vermieden werden, wenn…“.<br />
96<br />
Für die Stadt werden mögliche Verbesserungen der Infrastruktur<br />
diskutiert, um Unfälle zu reduzieren. Hier<br />
haben wir eine verkniffene Situation: Es fehlt schlicht<br />
Raum, die Städte wurden nicht für eine solche Masse an<br />
Verkehr geplant. Für mehr Radwege müssten zum Beispiel<br />
die Autofahrer zurückstecken. Gibt es da Möglichkeiten,<br />
den Verkehr zu entzerren und so sicherer zu<br />
machen?<br />
Ehrlich gesagt, ich bin da pessimistisch. Es gibt Experten,<br />
die viel Hoffnung daran setzen, den Verkehr mit digitaler<br />
Technik besser zu steuern und dadurch mehr Sicherheit<br />
zu erzielen: zum Beispiel durch grüne Wellen auf den<br />
Hauptstraßen. Doch selbst wenn wir es im Zuge der Digitalisierung<br />
hinbekommen würden, solche Prozesse zu optimieren<br />
– ich kann den Verkehrsfluss besser gestalten,<br />
ich kann freie Parkplätze anzeigen, zu denen man sofort<br />
geleitet wird, ohne dreimal um den Block zu müssen –<br />
könnten positive Effekte schnell verpuffen. Das beobachten<br />
wir zum Beispiel bei vermeintlich intelligenten Navigationssystemen.<br />
Wenn wegen eines Staus Umleitungen<br />
empfohlen werden, dann sind die Nebenstraßen auch<br />
schnell verstopft, weil alle Fahrer der Empfehlung ihres<br />
Navis folgen. Insofern glaube ich nicht, dass wir durch digitale<br />
Infrastruktur große Profite bei der Verkehrssicherheit<br />
erreichen.<br />
Das Kernproblem bleibt: Verkehrsraum ist nicht beliebig<br />
vermehrbar. Zumal die Ansprüche von vielen Seiten steigen.<br />
Wir führen in Berlin in mehreren Bezirken die Debatte,<br />
dass Bereiche, wo sich viele Fußgänger bewegen,
auch fußgängerfreundlich gestaltet werden sollen … also<br />
der Autoverkehr ganz herausgenommen wird oder so eingeschränkt,<br />
dass man da nur noch mit Schrittgeschwindigkeit<br />
fahren darf. Die Probleme zeigen sich schnell: Der<br />
Fußverkehr verlangt viel mehr<br />
Fläche für sich, der Radverkehr<br />
auch. Und alle schauen drauf, wie<br />
viel Fläche dem Auto bleibt.<br />
Man muss kein Experte sein, um<br />
zu sagen, dass die Masse der<br />
öffentlichen Fläche vom Autoverkehr<br />
besetzt wird – und zwar<br />
nicht nur im fließenden Verkehr,<br />
sondern auch im ruhenden. Wir<br />
haben kaum eine Straße, die nicht<br />
zugeparkt ist. Wenn wir für Fußgänger<br />
und Radfahrer in den<br />
Städten tatsächlich mehr Sicherheit<br />
schaffen wollen, indem sie mehr Raum erhalten – was<br />
im Moment in fast allen Kommunen politischer Wille ist,<br />
dann hat das unweigerlich Folgen für den Autoverkehr.<br />
Nun gibt es radikale Konzepte, wo gesagt wird: Autos<br />
möglichst raus aus der Innenstadt oder der Autoverkehr<br />
soll stark einschränkt werden, so dass man nur mit gewissen<br />
Befugnissen reinfahren darf. Glauben Sie, dass das<br />
die Unfallzahlen senken könnte?<br />
Man muss bedenken: Konzepte für freie Innenstädte hängen<br />
erstens davon ab, ob ich überhaupt einen identifizierbaren<br />
Innenstadtkern habe. Es gibt viele Städte, die<br />
polyzentrisch sind. Das heißt: Sie haben mehrere Unterzentren,<br />
in und zwischen denen sich die Menschen bewegen.<br />
Dann muss ich mir was für die Anwohner überlegen,<br />
die dort leben. Ihnen werde ich nicht zumuten wollen,<br />
dass sie mehrere Kilometer zu ihrer Haustür laufen, vielleicht<br />
mit einem Kasten Wasser in der Hand. Und drittens<br />
muss ich mir für den Lieferverkehr Konzepte<br />
überlegen. Aber das sind Themen, die der Unfallforscher<br />
nicht prioritär bearbeitet. Die möchte ich gern anderen<br />
überlassen.<br />
In Deutschland gibt es den Trend zu großen Autos, vor<br />
allem SUV. Mittlerweile ist jedes vierte zugelassene Auto<br />
so eine große „Kiste“. Trägt das zu schwereren Unfällen<br />
bei? Paradox: Wenn ich mich so im Bekanntenkreis umhöre,<br />
wird das oft mit Sicherheitsaspekten begründet.<br />
Meine Freunde sagen dann, sie fühlen sich in dem Auto<br />
sicher. Aber das Problem scheint mir: Sobald ich aussteige,<br />
sind SUV ein größeres Risiko.<br />
98<br />
Es sprechen Indizien<br />
dafür, dass geringere<br />
Geschwindigkeiten<br />
auch weniger Unfälle<br />
und vor allem<br />
auch weniger<br />
schwerere Unfälle<br />
nach sich ziehen.<br />
Sobald Sie ein kleineres Fahrzeug haben, ist der SUV für<br />
Sie ein größeres Risiko – durch die größere Masse und<br />
durch den höheren Aufschlagpunkt, wie Crashtests beweisen.<br />
Das heißt: Der SUV ist für alle sicherer, die drinnen<br />
sind. Der Sicherheitsaspekt,<br />
natürlich, wird aber immer kleiner,<br />
je mehr wir diese Fahrzeuge<br />
haben – für Fußgänger und Zweiradfahrer<br />
bedeuten sie ohnehin<br />
schwerere Unfallschäden, das ist<br />
leider so.<br />
Allerdings muss man hier relativieren:<br />
Vom SUV geht nach unserer<br />
Forschungslage nicht a priori<br />
ein höheres Risiko aus. Das heißt:<br />
Da sind nicht besondere Rambos<br />
am Steuer, sondern es sind sehr<br />
oft Mütter oder auch Senioren,<br />
die aus anderen Gründen diese Autos fahren: etwa, weil<br />
Sie eine bessere Übersicht haben und weil man leichter<br />
ein- und aussteigen kann.<br />
Mehr Verkehr, weniger Raum, der Trend zu größeren<br />
Fahrzeugen – das stimmt mich jetzt nicht optimistisch,<br />
ob unter derzeitigen Umständen die Großstädte sicherer<br />
für den Verkehr werden können …<br />
Als weiteres Problem mit Blick auf den Innenstädte<br />
könnten sich Lieferwagen entpuppen: diese ganzen<br />
Sprinter-Klassen. Da sieht man eine deutliche Zunahme<br />
durch Versandhändler und Paketdienste: Stichwort<br />
„Just-in-Time-Belieferung“. Es gibt allerdings keine neue<br />
Studie im Moment, die aufzeigt, in welchem Verhältnis<br />
diese Zunahme zum Unfallgeschehen in den Städten steht.<br />
Ich beobachte mögliche Risiken auch selbst, wenn ich auf<br />
Arbeit fahre. Da stehen manchmal zwei Lieferwagen<br />
gleichzeitig auf der unübersichtlichen Kreuzung oder<br />
blockieren Straßen an gefährlichen Stellen. Die können<br />
anders auch gar nicht stehen, es fehlt schlicht an Raum …<br />
Ja, genau. Zugespitzt formuliert: Früher kam ein Postwagen,<br />
einmal am Tag. Heute kommen vier verschiedene<br />
Dienste zwei Mal täglich. Dieses Problem beobachte ich<br />
auch in meiner Wohnstraße. An den Kaufgewohnheiten –<br />
auch daran, dass man zu Hause sehr schnell über Internet<br />
bestellt – werden wir alle wenig ändern. Die Frage ist, ob<br />
wir diesen Händlern den öffentlichen Raum einfach mal<br />
gratis so zur Verfügung stellen: oder sie sich an den Kosten,<br />
auch für mehr Sicherheit, künftig beteiligen sollen.
Ich habe den Eindruck, es wird über Sicherheit auf den<br />
Autobahnen und auch über die Innenstädte diskutiert,<br />
aber einer der wichtigsten Unfallschwerpunkte bleibt<br />
außen vor. Nach wie vor sind auf den Landstraßen die<br />
meisten Unfalltoden und Schwerverletzte zu beklagen:<br />
im letzten Jahr starben hier 57 Prozent aller fast 3.300<br />
Unfalltoden. Was wird aktuell diskutiert, um die Landstraßen<br />
sicherer zu machen?<br />
Zunächst muss man sagen: Dass die Landstraßen der Unfallschwerpunkt<br />
sind, ist gar kein Wunder. Denn Sie haben,<br />
im Gegensatz zu Autobahnen, massenhaft Konfliktpunkte.<br />
Jede Kreuzung, jede Einmündung, jeder Feldweg,<br />
der da rauf geht, ist konfliktbeladen. Sie haben die Möglichkeit,<br />
zu überholen – was ja auch reichlich wahrgenommen<br />
wird. Auch da, wo Sie vielleicht gar nichts<br />
sehen. Und es werden sehr viel höhere Geschwindigkeiten<br />
gefahren als in der Stadt. Dass deswegen auf der<br />
Landstraße viel passiert, ist klar. Wir haben ja auch ein<br />
sehr großes Landstraßennetz.<br />
Auch hier sind sicher Eingriffe möglich: zum Beispiel, dass<br />
ich die erlaubte Höchstgeschwindigkeit öfter mal von 100<br />
auf 80 km/h reduziere und das dann auch kontrolliere.<br />
Aber so lange das nicht gemacht wird, bleiben für die<br />
Landstraße nur Kleinkorrekturen – dass man Kreuzungen<br />
noch sicherer macht, dass man die Übersichtlichkeiten<br />
verbessert. Dass man da, wo ich viele Geschwindigkeitsunfälle<br />
habe, auch mal einen Starenkasten hinstellt.<br />
Und dann bleiben noch zwei Gründe für die Landstraßen<br />
als Unfallschwerpunkt übrig. Das eine haben Sie gleich<br />
zum Eingang angesprochen: Das sind die vielen Motorradunfälle,<br />
die überwiegend auf der Landstraße passieren.<br />
Und das andere ist das Thema „Bäume an der Straße“ – die<br />
bedauerlicherweise immer dann, wenn jemand von der<br />
Straße abkommt, auch gleich zum Tod oder zu schweren<br />
Verletzungen führen.<br />
Das Interview mit Siegfried Brockmann<br />
führte Mirko Wenig
Vertriebspotenzial der Sterbegeldversicherung<br />
liegt auf der Hand<br />
Walter Capellmann<br />
Hauptbevollmächtigter der<br />
DELA Lebensversicherungen<br />
in Deutschland<br />
Mit Blick auf die demografische Entwicklung in Deutschland ist es nur schwer verständlich,<br />
dass die Sterbegeldversicherung immer noch als Nischenprodukt gilt. Die finanzielle und organisatorische<br />
Vorsorge für den Trauerfall beinhaltet gleich mehrere Ansätze für eine ganzheitliche<br />
Vorsorgeberatung. Makler und Vermittler können sich das Beratungs- und Vertriebspotenzial<br />
der Sterbegeldversicherung erschließen, indem sie sich mit der individuellen<br />
Lebenssituation ihrer Kunden auseinandersetzen, Lücken in der Vorsorge aufdecken und aktiv<br />
dazu beraten.<br />
100<br />
Nur 17,5 Prozent<br />
der Deutschen empfinden<br />
den eigenen<br />
vorzeitigen Tod als<br />
Risiko ...<br />
Mit den Themen Sterben und Tod berührt die Vorsorge<br />
für den Trauerfall wichtige gesellschaftliche Themen, die<br />
jedoch in Partnerschaft und Familie nur selten offen miteinander<br />
besprochen und frühzeitig geklärt werden. Ein<br />
Grund dafür dürfte sein, dass vielen<br />
Menschen die finanziellen Belastungen<br />
eines Todesfalls nicht<br />
bewusst sind. Das zeigt auch eine<br />
von Assekurata Solutions im<br />
Auftrag der DELA durchgeführte<br />
Studie: Nur 17,5 Prozent der<br />
Deutschen empfinden den eigenen<br />
vorzeitigen Tod als Risiko<br />
und nur 15 Prozent das vorzeitige<br />
Ableben des Ehepartners oder Lebensgefährten.<br />
Dabei sollte sich jeder Mensch Gedanken darüber machen,<br />
wie er einmal bestattet werden möchte und wer einmal<br />
die Bestattungskosten von heute durchschnittlich<br />
7.300 Euro aufbringen muss. Das ist eine Summe, die für<br />
nicht wenige Angehörige eine hohe Belastung darstellen<br />
dürfte. Eine Sterbegeldversicherung sorgt genau für diesen<br />
Fall vor. Trotzdem haben laut besagter Studie bisher<br />
nur knapp elf Prozent der Deutschen mit einer solchen<br />
vorgesorgt. Makler und Vermittler sollten diese Lücke in<br />
der privaten Vorsorge aktiv ansprechen und ihre Kunden<br />
daraufhin beraten.<br />
Kinder können die eigenen<br />
Eltern absichern<br />
Die Sterbegeldversicherung bietet<br />
Maklern und Vermittlern eine<br />
größere Zielgruppe, als gemeinhin<br />
bekannt. Die finanzielle und auch<br />
organisatorische Absicherung der<br />
Angehörigen vor den Folgen eines Trauerfalls ist ein Thema<br />
für Menschen jeden Alters. Wer sich bereits frühzeitig<br />
dafür entscheidet, kann von den in jüngeren Jahren günstigeren<br />
Beiträgen profitieren.<br />
Ein wichtiger Aspekt für die Beratung: Vielen Menschen<br />
ist nicht bewusst, dass sie bei einigen Anbietern eine<br />
Sterbegeldversicherung für einen Dritten abschließen
können. Diese Variante mit Wartezeit und ohne Gesundheitsprüfung<br />
eignet sich beispielsweise für Kinder, die<br />
für ihre Eltern eine Sterbegeldversicherung abschließen<br />
möchten, denen es jedoch schwer fällt, dieses Thema in<br />
der Familie miteinander zu besprechen und zu klären.<br />
Mit Vorsorgewissen in der Beratung punkten<br />
Ergänzend zur finanziellen Absicherung sollten Makler<br />
und Vermittler ihre Kunden auf die Service- und Zusatzleistungen<br />
einer Sterbegeldversicherung aufmerksam machen.<br />
Je nach Anbieter kann auch die organisatorische<br />
Vorsorge für den Trauerfall eingeschlossen werden, um<br />
Angehörige in einer oft schwierigen emotionalen Situation<br />
zu entlasten. Diese Leistung reicht von Bestattung,<br />
Trauerfeier und Trauerredner bis hin zur Nachlassregelung<br />
und Haushaltsauflösung. Einige Versicherungen sorgen<br />
zudem für die kostenfreie Überführung aus dem<br />
Ausland, zahlen bei Unfalltod die doppelte Versicherungssumme<br />
aus oder stehen den Angehörigen des Verstorbenen<br />
auf Wunsch mit einer psychologischen<br />
Betreuung zur Seite.<br />
Weitere Ansatzpunkte für die Beratung liefern wichtige<br />
Vorsorgedokumente wie Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung<br />
und Leitfäden für Angehörige im Todesfall.<br />
Diese Dokumente sollten Kunden für sich und für die<br />
ganze Familie erstellen. Im Fall eines schweren Unfalls<br />
beispielsweise kann der Arzt zwar davon ausgehen, dass<br />
der Patient seine Angehörigen informiert wissen möchte.<br />
Ein Recht auf Entbindung von der Schweigepflicht ohne<br />
entsprechende Verfügungen haben jedoch nicht einmal<br />
Ehepartner.<br />
Wenn der Betroffene nicht mehr selbst entscheiden kann,<br />
wie er behandelt werden möchte, ist es von Vorteil, wenn<br />
der Arzt auf eine Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht<br />
zugreifen kann.<br />
Die finanzielle und organisatorische Vorsorge für den<br />
Trauerfall und damit verbundene Themen bieten zahlreiche<br />
Ansatzpunkte für eine aktive und ganzheitliche Vorsorgeberatung.<br />
Makler und Vermittler können sich mit<br />
ihrem Wissen und Rat zu diesen Themen ihren Kunden<br />
gegenüber als umsichtiger Vorsorgeexperte empfehlen.<br />
Ein Gastkommentar von Walter Capellmann<br />
Foto: S_Bachstroem/iStockphoto
Kfz-Versicherung: Versicherer bitten<br />
Senioren zur Kasse<br />
Autor: Sven Wenig<br />
Foto: Seidesign/iStockphoto<br />
Senioren müssen für den Neuabschluss einer Kfz-Versicherung deutlich mehr zahlen als jüngere<br />
Fahrzeughalter. Das ergab eine Auswertung des <strong>Versicherungsbote</strong>n über 25 Tarife hinweg.<br />
Es geschah im Mai 2016, in der beschaulichen Kurstadt Bad<br />
Säckingen: Ein 84-Jähriger fährt in die Innenstadt, möchte<br />
mit seiner Enkelin dort ein Restaurant besuchen. Die<br />
Fahrt jedoch endet in einer Katastrophe: Weil der hochbetagte<br />
Mann Gas und Bremse verwechselt, rast er in die<br />
Fußgängerzone, kommt mit seinem Skoda erst in einer<br />
Menschenmenge vor einem Café zum Halten. Zwei Menschen<br />
verlieren durch diese fatale Irrfahrt ihr Leben. In einem<br />
Gerichtsprozess, der dem Unglück folgt, bescheinigt<br />
eine Gutachterin dem Mann eine „generelle, altersbedingte<br />
Leistungsminderung“ und spricht von einem „außergewöhnlichen<br />
Fall der Selbstüberschätzung“.<br />
Die Auseinandersetzung um die Fahrkompetenz älterer<br />
Menschen wird durch Unfälle wie diesen zu einem emotionalen<br />
Thema. Das zeigen auch wütende Kommentare,<br />
die sich unter einem Artikel der Welt zu diesem Vorfall<br />
sammeln. Ein Kommentierender befindet sogar, es sei ein<br />
durch die Auto-Lobby verursachter „Skandal“, dass derart<br />
„alte Leute“ überhaupt fahren dürfen. Zwar wird eine<br />
solch pauschalisierende Verurteilung fahrender Senioren<br />
kaum breite Zustimmung erfahren. Dennoch aber scheint<br />
sich die öffentliche Meinung zumindest in einem Punkt<br />
einig: Wer im Alter fahren will, soll immer neu seine<br />
Fahrtauglichkeit beweisen müssen. So sprechen sich in einer<br />
Umfrage von Auto-BILD auch 70 Prozent der Befragten<br />
für so genannte „Fahrtauglichkeitstests“ aus. Mehr<br />
Senioren am Steuer bedeuten auch für diese Menschen ein<br />
höheres Risiko.<br />
102<br />
Senioren: Seltener in Unfälle verwickelt<br />
Die Forderung jedoch hält einem prüfenden Blick kaum<br />
Stand. Das zeigen wissenschaftliche Arbeiten der Unfallforschung<br />
der Versicherer (UDV) aus dem Jahre 2015. So<br />
ergab eine Auswertung internationaler Studien zu Ländern,<br />
in denen Fahrtauglichkeitstests verpflichtend sind:<br />
Die Tests haben „keine positiven Auswirkungen auf die<br />
allgemeine Verkehrssicherheit.“ Eine Analyse des Fahrverhaltens<br />
Älterer zeigt außerdem: Das Lebensalter eines<br />
PKW-Fahrers rechtfertige „keinen Zweifel an dessen<br />
Fahreignung“ – zumal viele Ältere zwar tatsächlich Einschränkungen<br />
beim Seh- oder Reaktionsvermögen zeigten,<br />
die Defizite jedoch durch Anpassung der Fahrweise<br />
ausgleichen.<br />
Die Unfallstatistik gibt sich zu dieser Frage widersprüchlich.<br />
Denn zwar steigt ab etwa 75 Jahren tatsächlich die<br />
Wahrscheinlichkeit, einen Unfall selbst zu verursachen.<br />
Dennoch aber sind Senioren laut Statistischem Bundesamt<br />
im Vergleich zu ihrem Bevölkerungsanteil seltener in Verkehrsunfälle<br />
verwickelt. Dass Senioren den Verkehr überproportional<br />
gefährden, erweist sich demnach als<br />
Trugschluss aufsehenerregender, aber weniger Verkehrsunfälle.<br />
Erstaunlich ist jedoch vor diesem Hintergrund,<br />
dass Versicherer ganz im Sinne des Vorurteils handeln und<br />
KFZ-Tarife mit satten Aufschlägen versehen, sobald Senioren<br />
eine Versicherung neu abschließen wollen. Um Auswirkungen<br />
des Alters auf die Kfz-Prämienhöhe zu
ergründen, führte der <strong>Versicherungsbote</strong> nun eine eigene<br />
Studie durch.<br />
Seniorentarif-Studie des <strong>Versicherungsbote</strong>n:<br />
Was wurde gemacht?<br />
Instrument des Tarifvergleichs für den <strong>Versicherungsbote</strong><br />
war der Inveda-Makler-Assistent (IMA) – ein Maklertool<br />
der Leipziger Inveda.net GmbH, mit dem sich verschiedene<br />
Tarife nach 21 Leistungskategorien bewerten lassen.<br />
Anders aber als bei herkömmlichen Leistungs-Rankings<br />
ging es uns nicht um einen Vergleich der Leistungsinhalte,<br />
sondern um eine Erhebung der Prämienunterschiede nach<br />
Alter. Hierzu wurden exemplarisch 25 Vollkasko-Tarife<br />
von 13 Anbietern untersucht. Wichtig war für das Studiendesign:<br />
Einzig das Alter sollte für die eingeholten Angebote<br />
relevant sein, alle anderen Angaben zur Person sollten<br />
übereinstimmen. Folgende Annahmen wurden für die Studie<br />
zugrunde gelegt: Versichert werden sollte ein Hamburger<br />
als Fahrer eines Volkswagen Sharan mit 150 PS. Der<br />
Hamburger absolvierte vor der Berufstätigkeit eine kaufmännische<br />
Ausbildung und war (im Falle der Senioren)<br />
beziehungsweise ist noch aktuell im Handel tätig. Prämien<br />
wurden eingeholt für eine Kfz-Vollkasko-Versicherung<br />
mit Schutzbrief. Die Selbstbeteiligung lag bei 500 Euro.<br />
Als jährliche Fahrleistung wurden 12.000 Kilometer angegeben.<br />
Versicherungsgrund war der Versicherungswechsel.<br />
Weitere Angaben zu dem Musterkunden – angefangen bei<br />
der Schadenfreiheitsklasse 15 über die Wohnstraße bis hin<br />
zur Fahrzeugsidentifikationsnummer – waren ebenfalls<br />
gleich. Variiert hingegen wurden einzig drei Parameter:<br />
Das Alter des Versicherungsnehmers, der Fahrerkreis sowie<br />
die Länge des Führerschein-Besitzes. Dass bei gleicher<br />
Schadenfreiheitsklasse die Länge des Führerscheinbesitzes<br />
jedoch kaum Einfluss auf die Prämienhöhe nimmt, zeigten<br />
Modellrechnungen zum Studiendesign: Nur bei einem Anbieter<br />
variierten die Tarife bei Veränderung dieses Parameters<br />
überhaupt. Versichert werden sollte, bei zwei<br />
Fahrerkreis-Varianten, letztendlich jeweils ein 35-Jähriger<br />
(mit Führerschein seit 2010), ein 67-Jähriger (mit Führerschein<br />
seit 1982) sowie ein 85-Jähriger (mit Führerschein<br />
seit 1964). In der ersten Variante sollte ein lediger Versicherungsnehmer<br />
versichert werden. Weitere Personen<br />
wurden nicht in den Fahrerkreis aufgenommen. Die zweite<br />
Variante galt einem verheirateten Versicherungsnehmer,<br />
der seine Ehefrau in den Fahrerkreis aufnehmen<br />
möchte. In dieser Variante galt es, für den 35-Jährigen die<br />
33-jährige Ehefrau aufzunehmen, für den 67-Jährigen die<br />
63-jährige Ehefrau aufzunehmen und für den 85-Jährigen<br />
die 79-jährige Ehefrau in den Fahrerkreis aufzunehmen.<br />
Studie zeigt: Ältere werden kräftig zur Kasse<br />
gebeten<br />
Was aber zeigen die Ergebnisse? Deutlich wird: Ältere Autofahrerinnen<br />
und Autofahrer werden durch die Versicherungen<br />
aufgrund ihrer Alters kräftig zur Kasse gebeten.<br />
Und mit zunehmendem Alter nehmen die Zuschläge zu:<br />
So beträgt die Differenz, die der 67-jährige Ledige für den<br />
Durchschnitt aller Tarife gegenüber dem 35-Jährigen in<br />
Kauf nehmen muss, satte 196,96 Euro Euro jährlich.<br />
Das Bild für den 67-jährigen Ehemann und seine Frau gegenüber<br />
dem 35-jährigen Ehemann wirkt nur wenig milder:<br />
191,93 Euro Verteuerung gibt es hier mit zunehmendem<br />
Alter aufgrund des Tarif-Schnitts für die<br />
Jahresprämie zu beklagen. Für den 85-jährigen ledigen<br />
Versicherungsnehmer weist dieser Durchschnittswert sogar<br />
eine Differenz von 1.232,27 Euro aus. Und das hochbetagte<br />
Paar muss eine Verteuerung von 1.222,50 Euro<br />
jährlich bei der Durchschnittsprämie hinnehmen.<br />
35-jährig, ledig<br />
67-jährig, ledig<br />
Günstigster Tarif/ Jahr 614,72 € 758,20 €<br />
Teuerster Tarif/ Jahr 1.012,56 € 1.200,80 €<br />
ØallerTarife 830,51 € 1.027,47 €<br />
35-jährig, ledig<br />
35-jährig/<br />
33-jähriger Ehepartner<br />
im Fahrerkreis<br />
35-jährig/<br />
33-jähriger Ehepartner<br />
im Fahrerkreis<br />
85-jährig, ledig<br />
Günstigster Tarif/ Jahr 614,72 € 1.505,26 €<br />
Teuerster Tarif/ Jahr 1.012,56 € 2.729,85 €<br />
ØallerTarife 830,51 € 2.062,78 €<br />
67-jährig/<br />
63-jähriger Ehepartner<br />
im Fahrerkreis<br />
Günstigster Tarif/ Jahr 597,24 € 736,54 €<br />
Teuerster Tarif/ Jahr 1.012,56 € 340,80 €<br />
ØallerTarife 831,36 € 191,93 €<br />
85-jährig/<br />
79-jähriger Ehepartner<br />
im Fahrerkreis<br />
Günstigster Tarif/ Jahr 597,24 € 1.505,26 €<br />
Teuerster Tarif/ Jahr 1.012,56 € 2.888,05 €<br />
ØallerTarife 831,36 € 2.053,86 €
Das „Worst Of“: Tarife mit besonders hohen<br />
Zuschlägen<br />
Was mit Blick auf Durchschnittswerte noch abstrakt<br />
wirkt, wird greifbarer mit Blick auf die konkreten Tarife.<br />
Denn wünscht ein Versicherungsnehmer die Leistungen<br />
eines bestimmten Tarifs, muss er bei einigen<br />
Versicherern besonders hohe Zuschläge hinnehmen.<br />
Folgende Tarife bitten Ältere besonders zur Kasse und<br />
stellen damit das „Worst Of“ unserer Studie zu den Alterszuschlägen<br />
dar (zu beachten ist freilich die nur exemplarische<br />
Auswahl von 25 Tarifen):<br />
Für den Vergleich des 35-jährigen und 67-jährigen<br />
Ledigen:<br />
Alte Leipziger Classic 10/2018: 238,95 Euro Verteuerung<br />
für die Jahresprämie<br />
Alte Leipziger Comfort 10/2018: 250,02 Euro Verteuerung<br />
für die Jahresprämie<br />
Verti Pro Klassik: 294,40 Euro Verteuerung für die<br />
Jahresprämie<br />
Verti Pro Premium: 337,20 Euro Verteuerung für die<br />
Jahresprämie<br />
Barmenia Adcuri Premium-Schutz: 348,48 Euro Verteuerung<br />
für die Jahresprämie<br />
Für den Vergleich des 35-jährigen und des 67-jährigen<br />
Ehemanns mit Ehefrau im Fahrerkreis:<br />
Alte Leipziger Classic 10/2018: 233,96 Euro Verteuerung<br />
für die Jahresprämie<br />
Alte Leipziger Comfort 10/2018: 244,66 Euro Verteuerung<br />
für die Jahresprämie<br />
Verti Pro Klassik: 297,20 Euro Verteuerung für die<br />
Jahresprämie<br />
Verti Pro Premium: 340,80 Euro Verteuerung für die<br />
Jahresprämie<br />
Für den Vergleich des 35-jährigen und 85-jährigen<br />
Ledigen:<br />
R+V Police Plus 07/<strong>2019</strong>: 1.442,91 Euro Euro Verteuerung<br />
für die Jahresprämie<br />
Axa Komfort: 1.444,14 Euro Verteuerung für die<br />
Jahresprämie<br />
Zurich Optimal: 1.563,42 Euro Verteuerung für die<br />
Jahresprämie<br />
Allianz Smart 2018: 1.641,60 Euro Verteuerung für die<br />
Jahresprämie<br />
Allianz Komfort 2018: 1.786,61 Euro Verteuerung für<br />
die Jahresprämie<br />
Für den Barmenia Adcuri Premium-Schutz gibt es sogar<br />
gar kein Tarifangebot für 85-Jährige: Diesen Tarif kann<br />
man nur bis zum Ende des 70. Lebensjahrs abschließen.<br />
Für den Vergleich des 35-jährigen und des 85-jährigen<br />
Ehemanns mit Ehefrau im Fahrerkreis:<br />
R+V Police Plus: 1.439,17 Euro Verteuerung für die<br />
Jahresprämie<br />
Axa Komfort: 1.444,14 Euro Verteuerung für die<br />
Jahresprämie<br />
Allianz Smart 2018: 1.555,64 Euro Verteuerung für die<br />
Jahresprämie<br />
Zurich Optimal: 1.563,42 Euro Verteuerung für die<br />
Jahresprämie<br />
Allianz Komfort 2018: 1.896,64 Euro Verteuerung für<br />
die Jahresprämie<br />
Für den Barmenia Adcuri Premium-Schutz gibt es erneut<br />
kein Tarifangebot für 85-Jährige: Diesen Tarif kann man<br />
nur bis zum Ende des 70. Lebensjahrs abschließen.<br />
Ein Kommentar von Sven Wenig<br />
Barmenia Adcuri Premium-Schutz: 348,48 Euro Verteuerung<br />
für die Jahresprämie<br />
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Foto: aldomurillo/iStockphoto