Versicherungsbote 1-2020
- Leitfaden: Zukauf von Maklerbeständen und Firmen - Krankenkasse: Die hohen Überschüsse führten zu Begehrlichkeiten - Wie man sich gegen das Wetter versichert
- Leitfaden: Zukauf von Maklerbeständen und Firmen
- Krankenkasse: Die hohen Überschüsse führten zu Begehrlichkeiten
- Wie man sich gegen das Wetter versichert
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Ausgabe 1/<strong>2020</strong><br />
Leitfaden: Zukauf von<br />
Maklerbeständen und<br />
Firmen<br />
Krankenkasse: Die hohen<br />
Überschüsse führten zu<br />
Begehrlichkeiten<br />
Wie man sich<br />
gegen das Wetter<br />
versichert
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
dieses Heft ist weitestgehend entstanden, als die Welt<br />
noch eine andere war. Als diese Ausgabe des<br />
<strong>Versicherungsbote</strong> Fachmagazins gestaltet wurde, war<br />
die Coronakrise mit ihren sozialen und wirtschaftlichen<br />
Verwerfungen kaum absehbar. So manch ein Beitrag<br />
wäre dann wohl anders ausgefallen. Und doch hoffen<br />
wir, dass dieses Magazin zugleich ein Vorausblick ist: in<br />
eine nahe Zukunft, in der wieder Normalität einkehrt.<br />
Die Krise zeigt uns, wie wichtig ein funktionierendes<br />
Gesundheitssystem mit wirksamen Puffermechanismen<br />
ist. Insofern freuen wir uns, Reimer Riessen für ein Interview gewonnen zu haben:<br />
leitender Oberarzt der Internistischen Intensivstation am Universitätsklinikum<br />
Tübingen und Sprecher der Sektion „Qualität und Ökonomie in der<br />
Intensivmedizin“ beim DIVI-Verband. Er gibt einen Einblick, wie ökonomische<br />
Zwänge schon vor der Coronakrise dazu beitrugen, dass die Intensivmedizin<br />
unterfinanziert ist. Mit allen Folgen: überlastete Pfleger, geschlossene Betten, Ärzte<br />
am Limit. Zu Fehlanreizen im Gesundheitssystem gibt auch Björn Hansen Auskunft,<br />
Chef der BKK WIRTSCHAFT & FINANZEN: Wie das Fallpauschalensystem<br />
falsche Angaben in Gesundheitsakten begünstigt.<br />
Daniel Bahr ist Vorstand der Allianz Kranken: Und hat in seiner Zeit als<br />
Bundesgesundheitsminister durchgesetzt, dass Pflegezusatzversicherungen staatlich<br />
gefördert werden. Da lag es nahe, mit ihm über das Thema Pflegevorsorge zu<br />
sprechen. Er verriet uns, weshalb die Allianz auf Dieter Hallervorden als<br />
Werbeträger setzt: mit 84 Jahren noch immer agiler Schauspieler und Comedian.<br />
Überhaupt haben sich die Themen Krankenversicherung und biometrische Risiken<br />
als Schwerpunkt dieser Ausgabe herausgebildet. Ein ganzes Sonderheft widmet sich<br />
dem Thema Grundfähigkeitsversicherung: Die umstrittenen Tarife hat der<br />
Fachmakler Philip Wenzel für den <strong>Versicherungsbote</strong>n unter die Lupe genommen.<br />
Ob sich Krankenversicherungs-Anwartschaften für Studierende lohnen, darüber<br />
sprachen wir mit dem PKV-Experten Gerd Güssler.<br />
Einen Systemwechsel in der Pflege für notwendig hält Dominik Domhoff,<br />
Pflegewissenschaftler an der Universität Bremen. Er schlägt eine Pflegebürgerversicherung<br />
vor, um mehr Einnahmen zu generieren und vermeintliche<br />
Ungerechtigkeiten im System auszugleichen. Eine Idee, die PKV-Verbandsdirektor<br />
Florian Reuther erwartungsgemäß weniger überzeugend findet: Er antwortet mit<br />
einem Kommentar.<br />
Ein weiterer Themenschwerpunkt: Mobilität und Logistik. Und die kommt zunächst<br />
nachhaltig daher: per Muskelkraft. Mit Konrad Krause, Sprecher des ADFC Sachsen,<br />
sprach der <strong>Versicherungsbote</strong> über Risiken und Chancen des steigenden<br />
Radverkehrs. Und wir schauen darauf, was Gewerbebetriebe bei der Versicherung<br />
von Anhängern beachten müssen.<br />
Ich hoffe, dass Sie auch die anderen Beiträge mit Gewinn lesen. Und das Wichtigste:<br />
Bleiben Sie gesund!<br />
Björn Bergfeld<br />
Geschäftsführer<br />
1
4 Es gibt bei der Pflegevorsorge<br />
eine Diskrepanz zwischen<br />
Vermittler- und Kundensicht!<br />
40 Zukauf von Maklerbeständen<br />
und Firmen –<br />
ein kurzer Leitfaden<br />
48 Der Patient will in seinen<br />
komplexen Zusammenhängen<br />
wahrgenommen werden!<br />
Markt<br />
8 Eine Pflege-<br />
Bürgerversicherung schafft<br />
mehr Probleme als Lösungen<br />
10 Pflegeversicherung: Ohne<br />
Reform werden die Eigenanteile<br />
enorm steigen<br />
14 Missstände der<br />
Notversorgung: Allein unter<br />
marktwirtschaftlichen Aspekten<br />
ist das Problem nicht zu lösen<br />
20 Krankenkasse:<br />
„Die hohen Überschüsse führten<br />
zu Begehrlichkeiten“<br />
Praxis<br />
24 Berufsunfähigkeitsversicherung:<br />
Den Kunden<br />
versichern, bevor er krank wird<br />
27 Berufsunfähigkeitsversicherer<br />
kann BU-Rente ohne<br />
wirksame Änderungsmitteilung<br />
nicht einfach streichen<br />
30 Wie man sich<br />
gegen das Wetter versichert<br />
34 Makler dürfen mit der<br />
Digitalisierung nicht ihre<br />
Selbständigkeit verlieren<br />
36 Warum eine individuelle<br />
Nachfolge-Strategie sinnvoll ist<br />
Vertrieb<br />
44 Wie hoch ist eigentlich<br />
Ihre Vertragsdichte?<br />
46 Warum Makler mehr<br />
Zusatzversicherungen<br />
verkaufen sollten<br />
Impressum<br />
<strong>Versicherungsbote</strong> Verlag UG<br />
(haftungsbeschränkt)<br />
Reclamstraße 42<br />
04315 Leipzig<br />
Tel: 0341/24 330 450<br />
Fax: 0341/39 28 43 09<br />
www.versicherungsbote.de<br />
redaktion@versicherungsbote.de<br />
Vertretungsberechtigter<br />
Geschäftsführer:<br />
Björn Bergfeld<br />
Registergericht: Amtsgericht<br />
Leipzig<br />
Registernummer: HRB 26728<br />
Steuernummer: 231 /121 / 11727<br />
Inhaltlich Verantwortlicher gemäß<br />
§ 55 Abs. 2 RstV: Björn Bergfeld<br />
<strong>Versicherungsbote</strong> Magazin 1/<strong>2020</strong><br />
Auflage: 10.000 Stück<br />
ET: Redaktionsschluss 06.03.<strong>2020</strong><br />
Direktvertrieb über<br />
<strong>Versicherungsbote</strong><br />
Redaktion: Björn Bergfeld<br />
(Chefredakteur),<br />
Mirko & Sven Wenig (Redaktion)<br />
Der Inhalt der Beiträge obliegt der<br />
Verantwortung der jeweiligen<br />
Autoren.<br />
Deutrik GmbH<br />
Layout und Satz:<br />
Norma-Elisabeth Grohall<br />
Illustrationen:<br />
Franz Pappelbaum<br />
ISSN 2625-1264<br />
Druck: Grafisches Centrum Cuno<br />
GmbH & Co. KG
60 Wir haben über<br />
300 Coworking-Spaces<br />
in Deutschland!<br />
63 PKV: „Das Thema Anwartschaften<br />
gehört zu einer<br />
Beratung dazu!“<br />
80 Wie der aufgeklärte<br />
Verbraucher die Versicherungslandschaft<br />
verändert<br />
Gewerbe<br />
51 Bisher haben<br />
wenige Firmen<br />
Flottenverträge!<br />
54 Apothekenversicherung:<br />
„Extremfälle können zu hohen<br />
Forderungen führen!“<br />
57 Berufung Pferd:<br />
Pferdebetriebe richtig versichert<br />
Krankenversicherung<br />
66 Ist die Familienversicherung<br />
für Studenten die<br />
bessere Lösung?<br />
70 Sara & Marco von<br />
Love & Compass:<br />
Weltreise als Beruf<br />
73 Wie sich ein Wechsel von der<br />
PKV in die GKV in der 2. Hälfte<br />
des Erwerbslebens<br />
auswirken kann<br />
Altersvorsorge<br />
82 Die „Rente aus Stein“:<br />
Mit Leibrenten im Alter<br />
Finanzen aufbessern und<br />
Wohnrecht sichern<br />
Sparten<br />
86 Deutschland ist zunächst<br />
einmal Fahrradnation!<br />
90 Nach Fahrraddiebstählen<br />
gibt es oft keine Spuren<br />
96 Auf der Suche nach<br />
der passenden<br />
Anhängerversicherung<br />
Sachversicherung<br />
92 Versicherungsfall „Sturm“<br />
in der Wohngebäudeversicherung<br />
und die Frage, ob<br />
man Wasser „werfen“ kann
Es gibt bei der Pflegevorsorge eine<br />
Diskrepanz zwischen Vermittler- und<br />
Kundensicht<br />
Daniel Bahr<br />
Allianz-Vorstand<br />
Die Allianz bewirbt ihre privaten Pflegezusatztarife seit März 2019 mit Dieter Hallervorden –<br />
auch, um eine neue Kundenansprache für das Thema Pflegevorsorge zu finden und stärker für<br />
die drohenden finanziellen Risiken zu sensibilisieren. Der <strong>Versicherungsbote</strong> sprach mit<br />
Daniel Bahr, Vorstand der Allianz Privaten Krankenversicherungs-AG (APKV) und früherer Bundesgesundheitsminister<br />
für die FDP, der die staatliche Förderung für Pflegetarife eingeführt hat.<br />
<strong>Versicherungsbote</strong>: Bei der diesjährigen Branchenmesse<br />
DKM haben Sie gemeinsam mit Schauspieler und Allianz-Pflegebotschafter<br />
Dieter Hallervorden über das<br />
Thema Pflegevorsorge gesprochen. Sind die Deutschen<br />
aus Ihrer Sicht gut auf das Thema Pflegebedürftigkeit<br />
und ihre Folgen vorbereitet?<br />
Daniel Bahr: Sie sind zu wenig vorbereitet. Und das,<br />
obwohl das Thema präsent ist. Nahezu jeder hat schon<br />
einmal einen Pflegefall im Umfeld erlebt. Und viele<br />
werden damit – oft auch über lange Zeit – konfrontiert.<br />
Dennoch haben die wenigsten eine ausreichende<br />
Vorsorge in Form einer Pflegezusatzversicherung.<br />
Statistisch betrachtet wird jeder zweite Mann im Laufe<br />
seines Lebens pflegebedürftig, bei Frauen sind es sogar<br />
drei von vier. Das zeigt: Vorsorge ist notwendig.<br />
Paradox: Laut Allensbach-Umfrage wissen 78 Prozent<br />
der Deutschen, dass der gesetzliche Pflegeschutz im<br />
Ernstfall nicht ausreicht: Sechs von zehn Befragten halten<br />
eine Zusatzvorsorge für wichtig. Dennoch ist die<br />
private Pflegezusatzversicherung ein absolutes Nischenprodukt.<br />
Haben Sie eine Erklärung hierfür?<br />
Pflege ist ein Thema, das auch mit dem Ende des Lebens<br />
zu tun hat. Und gerade im jüngeren oder mittleren Alter<br />
denkt man oft, dass man das später noch entscheiden<br />
könne. Dass das teurer wird und falsch ist, weiß jeder, der<br />
rechnen kann. Einen solchen Widerspruch beobachten<br />
wir aber nicht nur bei der Pflege, sondern auch bei der<br />
Berufsunfähigkeitsversicherung und der Altersvorsorge.<br />
Wir haben bei der Pflege jedoch auch eine Diskrepanz<br />
zwischen Vermittler- und Kundensicht: Nur 17 Prozent<br />
der Vermittler geben in Umfragen an, dass ihre Kunden<br />
eine Pflegezusatzversicherung bräuchten. Ich glaube<br />
daher, dass wir als Versicherungen eine große gesellschaftliche<br />
Aufgabe haben, das Thema anzusprechen.<br />
Mein persönlicher Eindruck: Kampagnen zu Kfz-Versicherung<br />
und zur Altersvorsorge werden weit häufiger<br />
von Versicherern platziert als Kampagnen zu Pflegezusatz-Policen.<br />
Wie ist Ihrer? Und haben Sie hierfür eine<br />
Erklärung?<br />
Auch hier ist wahrscheinlich der einfache Grund, dass<br />
Pflege als „Werbe-Thema“ erstmal abschreckt. Oft ist die<br />
4
Werbung so angelegt, dass sie Angst macht. Menschen<br />
kollabieren, werden mit Blaulicht ins Krankenhaus<br />
gebracht und sitzen später im Rollstuhl. Anschließend<br />
kommt der Hinweis auf die Pflegezusatzversicherung.<br />
Wenn ich weiß, dass die Leute eine Sache verdrängen<br />
und aufschieben, dann animiert so etwas kaum. Das<br />
haben wir bei unserer Kampagne bewusst anders<br />
gemacht. Man kann auch ein ernstes Thema wie die<br />
Pflege locker und mit Humor ansprechen.<br />
Die Allianz-Pflegekampagne mit Dieter Hallervorden<br />
unterschied sich von anderen Werbekampagnen vieler<br />
Versicherer: witziger, teils greller, ohne Scheu vor Boulevard.<br />
Muss die Versicherungsbranche auch eine neue<br />
Ansprache und neue Wege finden, um auf das Pflegerisiko<br />
aufmerksam zu machen?<br />
Absolut – und dabei geht es auch darum, unsere<br />
Vertriebspartner zu mobilisieren.<br />
Wir wissen aber auch, dass das<br />
Zeit braucht. Da gibt es Berater,<br />
die haben vielleicht Hemmungen<br />
und ebenso welche, die andere<br />
Schwerpunkte haben. Im umfassenden<br />
Beratungsprogramm<br />
der Allianz ist das Thema Pflege<br />
deshalb ein wichtiger Baustein.<br />
Denn letztlich wollen wir unsere<br />
Vertriebspartner dazu bringen,<br />
bei ihren Kunden Pflege in<br />
möglichst vielen Fällen anzusprechen<br />
– auch in ganz anderen Zusammenhängen, etwa<br />
bei der Baufinanzierung oder der privaten<br />
Altersvorsorge. Viele Kunden wissen zum Beispiel auch<br />
nicht, dass die Pflegepflichtversicherung – ob privat oder<br />
gesetzlich – nur eine Teilkostenabsicherung ist. Da<br />
braucht es Beratung und Kompetenz, dazu ein einfaches,<br />
transparentes Produkt. Auch das bringt die Vermittler<br />
und Kunden dazu, sich mit der Pflegevorsorge zu<br />
beschäftigen.<br />
Schlussendlich geht es bei der Pflege doch immer um<br />
Problemlösungen. Auch da sind wir als Versicherer<br />
gefragt, neu zu denken. Wenn Menschen pflegebedürftig<br />
werden, wollen sie vor allem eines: möglichst<br />
eigenständig bleiben und selbst über ihr Leben bestimmen.<br />
Dazu gehört, finanziell unabhängig zu sein.<br />
Diesen finanziellen Aspekt decken wir sehr gut über<br />
unsere Produkte ab – wie etwa unser PflegetagegeldBest.<br />
Es ist flexibel und leistungsstark und das Geld steht<br />
Man kann auch ein<br />
ernstes Thema wie<br />
die Pflege locker<br />
und mit Humor<br />
ansprechen.<br />
Kunden im Pflegefall zur freien Verfügung. Sie können es<br />
für die Dinge einsetzen, die ihnen persönlich wichtig sind<br />
– egal, ob es um die Anstellung einer Haushaltshilfe oder<br />
den Umbau im Treppenhaus geht.<br />
Neben dem Finanziellen spielt aber die Unterstützung<br />
im Alltag, die Organisation des Lebens im Pflegefall, eine<br />
immer größere Rolle. Wie finde ich die passende<br />
Pflegekraft? Wer organisiert die Hilfsmittel? Wer kommt<br />
zu mir nach Hause und prüft, ob ich dort noch wohnen<br />
kann? Wer organisiert Hilfe beim Einkauf, im Haushalt<br />
oder psychologische Unterstützung? Um all diese Dinge<br />
muss sich jemand kümmern. Gleichzeitig wollen oder<br />
können die meisten Menschen ihren Angehörigen damit<br />
nicht zur Last fallen. Als Allianz Private Krankenversicherung<br />
nehmen wir unseren Kunden daher auch<br />
Organisationsaufgaben wie diese ab. Wir verstehen uns<br />
hier als Partner, der sie ein Leben lang begleitet und<br />
mehr als ein Kostenerstatter ist.<br />
Dazu arbeiten wir mit den Pflege-<br />
Experten von WDS Care<br />
zusammen und haben deren<br />
umfassende Assistance-Services<br />
in unser PflegetagegeldBest<br />
eingeschlossen. Besonders wertvoll<br />
für unsere Kunden ist dabei,<br />
dass sie diese Services auch dann<br />
schon nutzen können, wenn sie<br />
selbst noch gar keine Pflege<br />
brauchen, aber ein Familienmitglied<br />
unterstützen möchten.<br />
Dieser Mehrwert macht unsere Pflegeabsicherung auch<br />
für jüngere Menschen interessant, deren Eltern gerade in<br />
ein Alter kommen, in dem Pflege zum Thema wird.<br />
Können Sie uns einen ersten Einblick geben, wie erfolgreich<br />
die Pflegekampagne mit Dieter Hallervorden war?<br />
Haben Sie in der Zeit mehr Rückmeldungen erhalten?<br />
Zog die Nachfrage an?<br />
Die Kampagne ist für uns ein echter Erfolg, das sieht man<br />
ganz konkret: Wir wachsen stark in der Pflegezusatzversicherung.<br />
Im letzten Jahr ging schon fast jede<br />
dritte neu abgeschlossene Pflegetagegeld-Police an die<br />
Allianz Private Krankenversicherung. Damit sind wir<br />
Marktführer im Pflege-Neugeschäft.<br />
Hallervorden und unsere neue Art, über Pflege zu<br />
sprechen, haben bei unseren Vertriebspartnern einen<br />
Nerv getroffen: Unsere Schulungen zur Pflegevorsorge<br />
waren gut besucht und unsere Info- und Werbe-<br />
5
Materialien mussten wir sogar nachdrucken lassen, so<br />
schnell waren sie vergriffen. Das zeigt, wie wichtig es<br />
Vermittlern ist, die Pflegevorsorge bei ihren Kunden<br />
anzusprechen. Das zeigt uns aber auch: Bei der Pflege<br />
können wir noch mehr tun. Deshalb führen wir die<br />
Kampagne mit Herrn Hallervorden in diesem Jahr weiter.<br />
Auch Versicherungsvermittler haben die Aufgabe, über<br />
Krankheits- und Pflegerisiken aufzuklären. Gegenüber<br />
unserem Magazin beklagen viele eine oft einseitig negative<br />
Darstellung des Berufes: im schlimmsten Fall als<br />
Klinkenputzer und Abzocker. Umfragen belegen regelmäßig<br />
das eher schlechte Image. Was sind aus Ihrer<br />
Sicht Gründe hierfür? Und was kann getan werden, um<br />
das Bild zumindest differenzierter zu gestalten?<br />
Das Bild, das Sie zeichnen, zeigt jemanden, der etwas<br />
verkaufen will. Egal, ob der Kunde das möchte oder gar<br />
benötigt. Und genau da gilt es, anzusetzen. Gute Berater<br />
gehen vom Kunden aus, von seinen Bedürfnissen. Bei der<br />
Pflege bedeutet das zum Beispiel nicht, zu fragen:<br />
„Haben Sie übrigens schon eine Zusatzversicherung?“.<br />
Sondern offene Fragen zu stellen:<br />
„Wie haben Sie das Thema gelöst?<br />
Was stellen Sie sich vor?“<br />
Gemeinsam mit ihren Kunden<br />
können Berater dann die Lösung,<br />
das Produkt finden, das am<br />
besten zu den jeweiligen<br />
Bedürfnissen passt. Und das kann<br />
ganz unterschiedlich aussehen, je<br />
nachdem, wie der Kunde tickt.<br />
Unser Beratungsansatz bei der<br />
Allianz funktioniert genau so.<br />
Ich bin überzeugt, dass uns das zu<br />
glaubwürdigen und kompetenten Partnern macht – und<br />
dass unsere Kunden uns ebenfalls so sehen.<br />
Sie selbst haben als Bundesgesundheitsminister eine private<br />
Zusatzvorsorge geschaffen, die staatlich gefördert<br />
ist und (fast) allen offen steht. Auch die Allianz Kranken<br />
bietet solche Tarife an. Der Boom blieb dennoch<br />
aus. Wie zufrieden sind Sie mit den staatlich geförderten<br />
Tarifen?<br />
Grundsätzlich ist es vernünftig, dass es bei der Pflege,<br />
wie bei der Altersvorsorge, eine staatliche Förderung<br />
gibt. Das zeigt deutlich: Das Thema ist gesellschaftlich so<br />
wichtig, dass der Gesetzgeber es mit Steuergeldern<br />
unterstützt. Die staatliche Förderung erleichtert es<br />
6<br />
Gute Berater gehen<br />
vom Kunden aus,<br />
von seinen<br />
Bedürfnissen.<br />
Vermittlern zudem, Einstiege in die Beratung zu finden.<br />
Wer aber Wert auf eine umfassende Pflege-Absicherung<br />
und zusätzliche Services legt, für den können andere<br />
Angebote besser geeignet sein. Auch hier sind wieder<br />
kompetente Berater gefragt, die gemeinsam mit ihren<br />
Kunden jene Vorsorge zusammenstellen, die am besten<br />
zu deren Bedürfnissen und zur jeweiligen Situation<br />
passt. Ein Patentrezept gibt es nicht.<br />
Deutschland fehlen zehntausende Pflegekräfte, schon<br />
jetzt können in Kliniken viele Stellen nicht besetzt werden.<br />
Auch auf dem Land mangelt es an ambulanten<br />
Pflegediensten: Das weiß ich aus eigener Erfahrung, da<br />
ich einen bettlägerigen Vater habe. Ein Versäumnis vielleicht<br />
aller Regierungen der letzten Jahre und<br />
Jahrzehnte. Reichen aus Ihrer Sicht die von der Bundesregierung<br />
angestoßenen Reformen aus, um Besserung<br />
zu schaffen? Was kann/ muss passieren, um den Pflegeberuf<br />
attraktiver zu machen?<br />
Das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz ist ein wichtiger<br />
Baustein, um die Pflegefachkräfte zum einen zu entlasten<br />
und zum anderen den Beruf<br />
attraktiver zu machen. Beides<br />
sind wichtige Faktoren, um eine<br />
gute Pflege auch in Zukunft zu<br />
gewährleisten. Seit dem Inkrafttreten<br />
des Gesetzes Ende 2018<br />
haben auch schon viele<br />
notwendige Neuerungen, die es<br />
bereithält, in den Pflegealltag<br />
Einzug gehalten: Zum Beispiel ist<br />
es für Pflegekräfte nun einfacher,<br />
Familie und Beruf zu vereinbaren.<br />
Und digitale Anwendungen,<br />
die bei der Arbeit entlasten, kommen<br />
verstärkt zum Einsatz. In diesem Jahr starteten<br />
außerdem die neuen, einheitlichen Ausbildungsgänge in<br />
der Pflege. Dieser Schritt wertet die Pflegeberufe<br />
deutlich auf und erhöht die Einsatz- und<br />
Aufstiegsmöglichkeiten der Pflegekräfte.<br />
Wir sind hier also auf dem richtigen Weg, stehen aber erst<br />
am Anfang. In Zukunft wird es weiter darauf ankommen,<br />
den Pflegerinnen und Pflegern die Wertschätzung und<br />
Anerkennung zu geben, die ihr Beruf verdient. Und das<br />
kostet auch Geld, das muss jedem klar sein.<br />
Ein kurzer Ausblick: Wo sehen Sie die Zukunft der Pflege<br />
in Deutschland in 20 Jahren? Und was sind die
größten Chancen und Herausforderungen, um Pflege<br />
bezahlbar und zugleich menschenwürdig zu gestalten?<br />
Wir haben eine gute Pflegeinfrastruktur, gute<br />
Einrichtungen, gut ausgebildete Pflegekräfte. Trotzdem<br />
geht es darum, wie das künftig finanziert wird. Darauf<br />
hat die Gesellschaft in Deutschland derzeit noch keine<br />
Antwort. Eine sinnvolle und gangbare Möglichkeit, die<br />
Pflegeversicherung der Zukunft nachhaltig und dabei<br />
bezahlbar zu gestalten, ist der Ausbau der<br />
kapitalgedeckten Vorsorge, zum Beispiel mit einer<br />
privaten Pflegezusatzversicherung. Wir müssen das<br />
Thema Pflege außerdem noch mehr in die gesellschaftliche<br />
Mitte bekommen. Denn es geht darum, den<br />
Menschen Lösungen anzubieten. Und wir müssen sie<br />
dazu bringen, sich mit dem Problem zu beschäftigen und<br />
es nicht nach hinten aufzuschieben. Es geht dabei auch<br />
um Fragen wie: Was können wir für neue Wohnformen<br />
tun? Was können wir dafür tun, dass wir uns in der<br />
Nachbarschaft stärker unterstützen? Wie können wir<br />
mehr Pflegekräfte motivieren und ihnen mehr<br />
Wertschätzung geben? Zum einen brauchen wir eine<br />
gesellschaftliche Debatte. Zum anderen müssen wir als<br />
Versicherungsbranche unsere Produkte weiter<br />
verbessern. Eine Herausforderung in den kommenden<br />
Jahren wird sicherlich sein, Produkte auch Älteren<br />
anbieten zu können, die das Thema zu lange<br />
aufgeschoben haben. Auch hier sieht sich die Allianz<br />
nicht nur als Kostenerstatter, sondern als Partner.<br />
Das Interview mit Daniel Bahr führte<br />
Mirko Wenig<br />
Ihr neuer Erfolgsstürmer:<br />
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Eine Pflege-Bürgerversicherung schafft<br />
mehr Probleme als Lösungen<br />
Florian Reuther<br />
PKV-Verbandsdirektor<br />
Würde eine Bürgerversicherung in der Pflege die Finanzierungsprobleme in einer alternden<br />
Gesellschaft lösen? Nein, sondern eher vergrößern, argumentiert Florian Reuther, Direktor<br />
des Verbandes der Privaten Krankenversicherung (PKV-Verband), in seinem Gastkommentar.<br />
Die künftige Finanzierung der gesetzlichen<br />
Pflegeversicherung ist ein Megathema der aktuellen<br />
politischen Debatte. Sie wird maßgeblich durch die<br />
Eigenanteile an den Kosten im Pflegefall bestimmt. Als<br />
Lösung propagieren SPD, Grüne und die Linke die<br />
Einführung einer Pflege-<br />
Bürgerversicherung. Sie wollen<br />
die Private Pflegeversicherung<br />
(PPV) abschaffen und die privat<br />
Pflegeversicherten in die Soziale<br />
Pflegeversicherung (SPV)<br />
überführen.<br />
Die Befürworter eines solchen<br />
Systembruchs gehen von der<br />
falschen Prämisse aus, dass eine<br />
Pflege-Bürgerversicherung die<br />
Finanzierung der Pflege sichere.<br />
Doch das Gegenteil ist der Fall:<br />
Die Pflege-Bürgerversicherung löst kein Finanzierungsproblem,<br />
sondern verschärft die Finanzierungsprobleme<br />
der Pflege im demografischen Wandel.<br />
Sie führt auch nicht zu „mehr Gerechtigkeit“, sondern zu<br />
einer ungerechten Lastenverteilung zwischen den<br />
Generationen. Und sie schwächt die Pflege, indem sie<br />
den Qualitätswettbewerb in der Pflege beseitigt.<br />
8<br />
Mehr Umlage verschärft das<br />
Finanzierungsproblem<br />
Deutschland gehört<br />
schon heute zu den<br />
Ländern mit der<br />
höchsten Steuerund<br />
Abgabenquote.<br />
Mit einer Pflege-Bürgerversicherung würde die<br />
gesetzliche Pflegeversicherung vollständig auf die<br />
Umlagefinanzierung umgestellt.<br />
Damit würde auf jegliche<br />
Zukunftsvorsorge verzichtet.<br />
Und die hohen Kosten der Pflege<br />
würden einfach auf zukünftige<br />
Generationen verschoben. Dass<br />
immer weniger Erwerbstätige die<br />
zunehmende Zahl der Pflegebedürftigen<br />
durch ihre Beiträge<br />
finanzieren müssen, bedeutet<br />
eine ungerechte Umverteilung zu<br />
Lasten der jüngeren Generationen.<br />
Bereits heute droht ihnen<br />
ein weitaus höherer SPV-Beitrag als den heutigen<br />
Erwerbstätigen. Eine Ausweitung der Umlagefinanzierung<br />
gleicht deshalb dem absurden Versuch, ein<br />
Problem zu lösen, indem man die Quelle des Problems<br />
vergrößert.<br />
Nur im Finanzierungsverfahren der Privaten<br />
Pflegepflichtversicherung werden die langfristigen
Kosten des demografischen Wandels berücksichtigt und<br />
für jede Leistungsverbesserung ihr tatsächlicher Preis<br />
nachhaltig einkalkuliert. Daher zeigen kapitalgedeckte<br />
Pflegeversicherungen auch bei Alterung des<br />
Versichertenkollektivs eine stabile Prämienentwicklung,<br />
während die Beiträge der umlagefinanzierten SPV allein<br />
aufgrund des demografischen Wandels permanent<br />
steigen.<br />
Begrenzung der Sozialabgabenquote auf<br />
40 Prozent nicht zu halten<br />
Deutschland gehört schon heute zu den Ländern mit der<br />
höchsten Steuer- und Abgabenquote. Sollte die nächste<br />
Pflegereform erneut die umlagefinanzierten Leistungen<br />
ausbauen, ist das Ziel einer Begrenzung der<br />
Sozialabgabenquote auf 40 Prozent nicht zu halten. Das<br />
schadet dem Arbeitsmarkt und der internationalen<br />
Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands.<br />
Eine Pflege-Bürgerversicherung würde jedoch auch der<br />
Innovationskraft in der Pflege schaden. Gerade im<br />
Systemwettbewerb von SPV und PPV entstehen neue<br />
Ideen und Lösungen für eine bessere Pflegeversorgung<br />
aller Bürger: MEDICPROOF, der medizinische Dienst<br />
der Privaten, bringt täglich seine Expertise zugunsten der<br />
Weiterentwicklung der Pflegeversicherung ein. Der<br />
große Erfolg von „compass private pflegeberatung“ hat<br />
den Gesetzgeber dazu bewogen, die aufsuchende<br />
Pflegeberatung auch den Pflegekassen verbindlich<br />
vorzuschreiben, so dass nun auch die SPV-Versicherten<br />
davon profitieren. Zahlreiche weitere innovative Ansätze<br />
wie etwa der Hausbesuch und das Case-Management<br />
zeigen, dass compass eine treibende Kraft bei der<br />
bundesweiten Fortentwicklung der Pflegeberatung ist.<br />
Daneben setzt der Prüfdienst der PKV Standards für<br />
effiziente und dienstleistungsorientierte Qualitätsprüfungen<br />
in Pflegeheimen.<br />
Vor diesem Hintergrund sollte die Kapitaldeckung in der<br />
Pflegeversicherung nicht abgebaut, sondern weiter<br />
gestärkt werden. Eine bezahlbare und generationengerechte<br />
Vorsorge für die Absicherung des Pflegerisikos<br />
sind private Pflegezusatzversicherungen. Die PKV steht<br />
für den Ausbau dieser kapitalgedeckten Vorsorge bereit.<br />
Ein Gastkommentar von Florian Reuther
<strong>Versicherungsbote</strong>: In 1995 wurde die Pflegeversicherung<br />
als zusätzliche Säule der gesetzlichen Sozialversicherung<br />
eingeführt. Laut Ihrer Studie für die gewerkschaftsnahe<br />
Hans-Böckler-Stiftung aber gewährleistet aktuell die<br />
Pflegeversicherung nicht mehr das damalige Ziel: Pflegebedürftigkeit<br />
als soziales Risiko abzusichern. Welche<br />
Gründe sehen Sie für diese negative Einschätzung?<br />
Dominik Domhoff<br />
Pflegewissenschaftler Universität Bremen<br />
Pflegeversicherung:<br />
Ohne Reform werden<br />
die Eigenanteile<br />
enorm steigen<br />
Eine Studie der Universität Bremen machte<br />
zuletzt Furore: Im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung<br />
plädierten der renommierte<br />
Volkswirt Heinz Rothgang sowie der Pflegewissenschaftler<br />
Dominik Domhoff für<br />
das Konzept einer so genannten „Bürgervollversicherung“<br />
in der gesetzlichen Pflegeversicherung:<br />
Alle Bürger sollen in eine<br />
solche einzahlen, zudem sollen alle Leistungen<br />
zur Pflege abgedeckt sein. In der Folge<br />
berief sich sowohl Deutschlands größter<br />
Sozialverband VdK als auch der Parteivorstand<br />
der SPD auf die Studie, um die Einführung<br />
einer Bürgerversicherung in der<br />
Pflege zu fordern. Der <strong>Versicherungsbote</strong><br />
wollte mehr erfahren – und fragte nach bei<br />
Dominik Domhoff.<br />
Dominik Domhoff: Primär zeigt sich dieses wohl bei den<br />
Entgelten für die stationäre Versorgung: Unmittelbar<br />
nach Einführung der Pflegeversicherung lagen die<br />
Eigenanteile zu den pflegebedingten Aufwendungen noch<br />
bei umgerechnet unter 100 Euro pro Monat. Durch eine<br />
vollständig ausgebliebene Leistungsanpassung in der<br />
Pflegeversicherung zwischen 1995 und 2008 und einer<br />
seitdem fortgetragenen Deckungslücke zwischen<br />
Pflegesätzen und Leistungen stieg der durchschnittliche<br />
Eigenanteil nur für die pflegebedingten Aufwendungen<br />
schon auf 662 Euro pro Monat im Jahr 2019. In Summe mit<br />
den ebenfalls privat zu tragenden Kosten für Unterkunft<br />
und Verpflegung sowie für Investitionskosten ergeben<br />
sich dann durchschnittlich knapp unter 2000 Euro pro<br />
Monat Gesamt-Zuzahlung. Dass diese Belastung für viele<br />
Personen – insbesondere bei längerer Pflege – zu einem<br />
Vermögensverzehr und danach sogar zu Armut führen<br />
kann, liegt nahe.<br />
In ihrer Studie beziehen Sie sich auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts<br />
vom 3. April 2001 (Az. 1 BvR<br />
2014/95). In diesem Urteil wurde eine „ausgewogene Lastenverteilung“<br />
als normativer Maßstab für das duale<br />
Versicherungssystem in der Pflegeversicherung vorgegeben.<br />
Sie aber kritisieren: Dieser Lastenausgleich<br />
zwischen der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) und der<br />
Privaten Pflegepflichtversicherung (PPV) werde „nicht<br />
realisiert“. Stattdessen trage die SPV eine größere Last<br />
als die PPV. Können Sie uns auch diesen Vorwurf mit<br />
Argumenten untermauern?<br />
Starke Selektionseffekte zu Gunsten der privaten<br />
Kranken- und Pflegeversicherung sind keine neue<br />
Erkenntnis. In unserer Studie beobachteten wir etwa, dass<br />
die Versicherten in der PPV nahezu durchgängig ein<br />
doppelt so hohes Einkommen aufweisen wie diejenigen,<br />
die in der SPV versichert sind. Zugleich weisen die<br />
Versicherten in der PPV aber auch deutlich günstigere<br />
pflegebezogene Risiken auf. Bei gleichen Leistungsansprüchen<br />
ergeben sich hierdurch in der PPV<br />
Leistungsausgaben zwischen 50 Prozent und 60 Prozent<br />
im Vergleich zur SPV. Dementsprechend liegen dann auch
die Versicherungsprämien deutlich unter den Beiträgen in<br />
der SPV. Es besteht somit ein erheblicher finanzieller<br />
Anreiz, in die PPV zu wechseln. So können sich<br />
bestimmte Personenkreise systematisch dem<br />
Solidarsystem in der Pflegepflichtversicherung entziehen<br />
– und für die SPV führt dies zum Verlust der stärkeren<br />
Beitragszahler.<br />
Die schon angesprochenen steigenden Eigenanteile – besonders<br />
für die stationäre Pflege – werden zunehmend als individuelles<br />
Armutsrisiko wahrgenommen. Dass dies zukünftig<br />
auf immer mehr Menschen zutreffen wird, ist aufgrund eines<br />
zunehmenden Pflegebedarfs zu erwarten. So erreicht<br />
die Anzahl der Pflegebedürftigen zum Beispiel laut Vorausberechnung<br />
erst im Jahr 2053 einen Maximalwert: Die<br />
Anzahl der Pflegebedürftigen in der Sozialen Pflegeversicherung<br />
steigt bis dahin um 48 Prozent, die Anzahl der<br />
Pflegebedürftigen in der Privaten Pflichtversicherung sogar<br />
um 125 Prozent. Wie wirkt sich diese Entwicklung auf<br />
die Eigenanteile aus, falls keine Reformen stattfinden?<br />
Sollten keinerlei Reformen der Vergütung der stationären<br />
Versorgungen stattfinden, werden wir einen enormen<br />
Anstieg der einrichtungseinheitlichen Eigenanteile (EEE)<br />
erleben. In Berechnungen für die DAK Gesundheit haben<br />
wir herausgefunden, dass der EEE allein bereits im Jahr<br />
2045 bei fast 2000 Euro pro Monat läge, sofern die Kosten<br />
für die stationäre Pflege durch Erhöhung des Personaleinsatzes<br />
und bessere Vergütung – wie zu erwarten ist – in<br />
den nächsten Jahren um 35 Prozent steigen. Und dabei ist<br />
bereits ein deutlicher Anstieg des allgemeinen<br />
Beitragssatzes zu Pflegeversicherung inbegriffen. In<br />
Anbetracht der derzeitigen Ausgangslage erscheint eine<br />
solche Annahme auch keineswegs überhöht.<br />
Und welche Auswirkung auf Beitragssätze für PPV- und<br />
SPV-Versicherte haben eine alternde Gesellschaft und<br />
eine zunehmende Zahl an Pflegebedürftigen, falls Reformen<br />
ausbleiben?<br />
Auch die Beitragssätze in der SPV werden unter der<br />
jetzigen Logik ansteigen – da sind sich alle einig. Eine<br />
steigende Anzahl an Leistungsempfangenden muss von<br />
einer geringer werden Anzahl an Erwerbstätigen getragen<br />
werden. Bis zum Jahr 2060 ist daher ein demographisch<br />
bedingter Anstieg um 2,2 Beitragssatzpunkte zu erwarten,<br />
also ein Anstieg, der auch dann passiert, wenn nichts<br />
weiter im System verändert wird.<br />
Sie plädieren für ein Zusammenführen der privaten<br />
und der gesetzlichen Versicherung in eine Pflegebürgervollversicherung.<br />
Welche Schritte sind für eine<br />
solche Reform notwendig?<br />
In Bezug auf eine Bürgerversicherung in der<br />
Krankenversicherung herrscht Uneinigkeit darüber, wie<br />
eine solche Zusammenlegung von privater und<br />
gesetzlicher Krankenversicherung genau gestaltet werden<br />
könnte. Dies liegt zum einen an unterschiedlichen<br />
Leistungsansprüchen in den beiden Versicherungszweigen.<br />
Hierdurch ist eine einfache Fusion der<br />
Versicherungsverhältnisse nicht möglich. Zusätzlich sind<br />
der Umgang mit dem Bestand in der privaten<br />
Versicherung und den vorhandenen Rücklagen besondere<br />
Streitpunkte. In der Pflegepflichtversicherung ist das<br />
deutlich einfacher: Da die Leistungsansprüche in SPV und<br />
PPV identisch sind, würden für die Leistungserbringenden<br />
keine Einbußen durch einen möglichen<br />
Wegfall der PPV einhergehen.<br />
Welche Vorteile für Pflegebedürftige hätte eine Pflegebürgervollversicherung<br />
gegenüber dem derzeitigen<br />
Status Quo? Und welche Nachteile drohen?<br />
Für die Pflegebedürftige in stationärer Versorgung ergibt<br />
sich bei Einführung einer Vollversicherung unmittelbar<br />
eine große finanzielle Entlastung durch den Wegfall des<br />
EEE. Profitieren können auch Pflegebedürftige im<br />
ambulanten Sektor, bei denen derzeit die Sachleistungen<br />
zur Sicherstellung der Pflege nicht ausreichen. Bei<br />
welchem Anteil von Personen und in welchem Umfang<br />
dies zutrifft, ist jedoch umstritten. Wir gehen hier von<br />
durchschnittlich 150 Euro bei den Personen aus, die<br />
ausschließlich und vollständig Pflegesachleistungen<br />
erhalten. Diese machen jedoch weniger als zehn Prozent<br />
aller ambulant versorgten Pflegebedürftigen aus. Die<br />
vollständige Abschaffung der Eigenanteile ist auch einer<br />
der Diskussionspunkte einer Vollversicherung. Es besteht<br />
die Befürchtung, dass hierdurch Leistungen häufiger in<br />
Anspruch genommen würden als dies bedarfsgerecht wäre<br />
und somit ungerechtfertigte Kosten entstünden. Dem<br />
könnte allerdings mit einer individuellen Leistungszumessung<br />
und einem anschließenden Case Management<br />
vorgebeugt werden.<br />
… und was ist die Idee hinter einem Sockel-Spitze-<br />
Tausch?<br />
Der Sockel-Spitze-Tausch zielt auf eine Weiterentwicklung<br />
der Pflegeversicherung zu einem bedarfsorientierten<br />
11
Leistungssystem – so wie es die Krankenversicherung<br />
vormacht. Anstatt die Eigenanteile zu den pflegebedingten<br />
Aufwendungen allerdings komplett abzuschaffen,<br />
würde hier ein bestimmter Betrag als Eigenanteilssockel<br />
festgeschrieben. Damit werden die privaten Zuzahlungen<br />
bei Pflegebedürftigkeit kalkulier- und somit planbar.<br />
Steigerungen bei den Pflegekosten würden somit nicht an<br />
die Pflegebedürftigen weitergegeben, sondern von der<br />
Pflegeversicherung gedeckt werden. Die steigenden<br />
Kosten trägt dann die Versichertengemeinschaft, nicht<br />
mehr der einzelne Pflegebedürftige.<br />
Wie würde sich die Einführung einer Pflegebürgervollversicherung<br />
auf den Beitrag der Versicherten und den<br />
Beitragszuschuss der Arbeitgeber auswirken?<br />
Die Wirkungen der einzelnen Elemente sind komplex und<br />
stehen auch in wechselseitiger Abhängigkeit. Kurz gesagt:<br />
sozialversicherungspflichtige Beschäftigte mit höherem<br />
Verdienst und deren Arbeitgeber könnten höhere<br />
Beiträge erwarten. Bei den Privatversicherten zeigt sich so<br />
unabhängig vom Einkommen eine höhere Belastung von<br />
durchschnittlich etwa 530 Euro im Jahr – bedingt durch<br />
die derzeit außerordentlich geringen Prämien. Ebenfalls<br />
würden bei Arbeitnehmern auch Einkünfte aus anderen<br />
Quellen als dem Gehalt beitragspflichtig werden. Von<br />
stabileren Beitragssätzen würden dabei Personen<br />
profitieren, die ein Einkommen unterhalb der aktuellen<br />
Beitragsbemessungsgrenze haben – und auch deren<br />
Arbeitgeber. Letztlich müssen jedoch höhere Sozialleistungen<br />
immer durch höhere Beitragseinnahmen<br />
gedeckt werden. Eine Bürgerversicherung würde dies<br />
durch Verminderung horizontaler und vertikaler<br />
Ungerechtigkeiten im jetzigen System umsetzen.<br />
Wäre es auch möglich, eine Vollversicherung in der Sozialen<br />
Pflegeversicherung ohne zeitgleiche Einführung<br />
einer Bürgerversicherung umzusetzen – also ein Vollkasko-Schutz<br />
ohne Zusammenführung von PPV und SPV?<br />
Mit welchen finanziellen Auswirkungen?<br />
Möglich ist das sicherlich. Laut unseren Berechnungen<br />
würde mit diesem Modell jedoch ein Beitragssatz von<br />
sechs Prozent im Jahr 2060 einhergehen – ohne die<br />
notwendigen Steigerungen der Personalressourcen in der<br />
Pflege und einer besseren Entlohnung der Pflegekräfte.<br />
Mit den zu erwartenden Kosten scheint eine solche<br />
Umsetzung daher unwahrscheinlich.<br />
private Pflegeversicherung ist ein wichtiges Marktsegment<br />
für Versicherungen und Vermittler. Ist aus Ihrer<br />
Sicht das Vermittler-Geschäft mit der privaten Pflegeversicherung<br />
nicht mehr zeitgemäß? Oder kann auch bei<br />
Ihren Reform-Vorschlägen ein privater Versicherungsmarkt<br />
für die Pflege weiterbestehen?<br />
Unsere Reformvorschläge bedeuten keinesfalls, dass für<br />
die Pflege der private Versicherungsmarkt abgeschafft<br />
wird. Vielmehr wird ein Sockel-Spitze-Tausch erst den<br />
Markt für neue Versicherungsprodukte schaffen, die von<br />
den Risiken der privaten Zuzahlungen entlasten. Ein<br />
kalkulierbarer und bekannter Eigenanteil kann auch<br />
versichert werden – jenseits der wenig erfolgreichen<br />
Pflegetagegeldprodukte. Aber auch eine Vollversicherung<br />
bedeutet keine Abschaffung privater Zusatzversicherungen.<br />
Produkte, die im Falle einer<br />
Pflegebedürftigkeit weitere Entlastung schaffen, sind<br />
durchaus denkbar.<br />
Wie stehen aus Ihrer Sicht die politischen Zeichen, eine<br />
Pflegebürgervollversicherung tatsächlich umzusetzen?<br />
Sehen Sie hierfür realistische Chancen?<br />
Es besteht sicherlich ein Konsens darüber, dass es einer<br />
Finanzreform innerhalb der Pflegepflichtversicherung<br />
bedarf. Verschiedene Elemente dazu wurden bereits<br />
vorgeschlagen, sodass durchaus Handlungsoptionen<br />
existieren. Die Umsetzung einer Pflegebürgervollversicherung<br />
von heute auf morgen ist sicherlich<br />
wenig realistisch. Eine Festschreibung der maximalen<br />
Eigenanteile im Sinne eines Sockel-Spitze-Tausches wäre<br />
aber auch kurzfristig umsetzbar. Auf Einnahmeseite ist<br />
die Erhöhung der Steuerzuschüsse zur SPV eine<br />
verhältnismäßig einfach umzusetzende Entlastung.<br />
Inwiefern eine Art von Finanzausgleich zwischen PPV<br />
und SPV in der nächsten Zeit diskutiert werden wird,<br />
vermag ich nicht einzuschätzen, da in der derzeitigen<br />
Bundesregierung zumindest eine Bürgerversicherung<br />
nicht mehrheitsfähig ist.<br />
Die Fragen an Dominik Domhoff stellte<br />
Sven Wenig<br />
Der „<strong>Versicherungsbote</strong>“ ist ein Makler-Magazin. Die<br />
12
Missstände der Notversorgung:<br />
Allein<br />
unter marktwirtschaftlichen<br />
Aspekten<br />
ist das Problem<br />
nicht zu lösen<br />
Prof. Dr. Reimer Riessen<br />
Universität Tübingen<br />
Überfüllte Notaufnahmen, geschlossene und defizitäre Kinderintensivstationen: in den Medien<br />
wird oft ein düsteres Bild von der Intensiv- und Notfallversorgung in Krankenhäusern gezeigt.<br />
Wie sieht die Situation tatsächlich aus, was sind Gründe für Probleme – und welche Reformansätze<br />
gibt es? Der <strong>Versicherungsbote</strong> sprach mit Prof. Dr. med. Reimer Riessen, leitender<br />
Oberarzt der Internistischen Intensivstation am Universitätsklinikum Tübingen sowie Sprecher<br />
der Sektion „Qualität und Ökonomie in der Intensivmedizin“ der Deutschen Interdisziplinären<br />
Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e.V. (DIVI).<br />
(Anmerkung: Das Gespräch fand vor der Corona-<br />
Pandemie statt)<br />
<strong>Versicherungsbote</strong>: Man liest in Zeitungen teilweise<br />
sehr dramatische Beschreibungen über überfüllte Notaufnahmen<br />
in Kliniken. Wie schätzen Sie die aktuelle<br />
Situation in der Notfallversorgung ein?<br />
Reimer Riessen: Die Situation der Notaufnahmen und<br />
Intensivstationen ist schwer zu verallgemeinern. Es gibt<br />
Regionen, die besser aufgestellt sind, andere schlechter.<br />
Grundsätzlich halten wir einen Strukturwandel für<br />
notwendig, weil sich die Versorgungsrealität verändert<br />
hat: Die Menschen gehen mehr in Krankenhäuser als<br />
früher, sie suchen bei einem Notfall direkt die Klinik auf.<br />
Warum gehen die Patienten eher in die Notaufnahmen?<br />
Die Gründe sind vielfältig. Die Patienten kennen oft das<br />
System der Notfallpraxen nicht. Speziell jüngere Leute<br />
und ausländische Mitbürger wissen nicht, dass es weitere<br />
Anlaufstellen als die Notaufnahmen in den<br />
Krankenhäusern gibt. Vielleicht bekommen Sie auch<br />
keinen Termin beim Haus- oder Facharzt. Dort sind die<br />
Praxen ja ebenfalls voll. Auch sind die Notfallpraxen der<br />
KV oft nicht rund um die Uhr besetzt – dann geht man<br />
automatisch in die Kliniken.<br />
Es ist mir aber wichtig zu betonen: Viele Patienten sind<br />
in der Notaufnahme eines Krankenhauses richtig<br />
aufgehoben, weil sie Notfälle sind, die einer stationären<br />
Versorgung bedürfen. Wenn Sie zum Beispiel einen<br />
Thoraxschmerz haben und der Verdacht auf Herzinfarkt<br />
besteht, dann kann der KV-Notdienst mit seinen<br />
Mitteln – ohne EKG, ohne Labor – den Patienten nicht<br />
richtig betreuen. Auch im unfallchirurgischen Bereich<br />
kann der kassenärztliche Notdienst meist nicht viel<br />
helfen.<br />
14
Fakt ist: Sie können mit einer Krankenhaus-<br />
Notaufnahme viel schneller und treffsicherer<br />
bedrohliche Erkrankungen ausschließen und die<br />
entsprechende Therapie einleiten, als es ein<br />
kassenärztlicher Notdienst in einer minimal ausgestatteten<br />
Notfallpraxis tun könnte. Insofern muss man<br />
die Vergütungsstrukturen und die Organisation der<br />
Notversorgung an diese Realität anpassen, sodass die<br />
Krankenhäuser personell, technisch und räumlich besser<br />
ausgestattet werden.<br />
Sie kritisieren die Finanzierung über Fallpauschalen,<br />
die zu einer Unterversorgung der Intensiv- und Notfallmedizin<br />
in den Kliniken beitragen kann. Können Sie<br />
kurz erklären, warum gerade die Fallpauschalen die<br />
Notfallmedizin benachteiligen?<br />
Zum einen, weil die Pauschalen, die für die ambulante<br />
Versorgung im Krankenhaus gezahlt werden, sich auch<br />
an den ambulanten Pauschalen<br />
des kassenärztlichen Notdienstes<br />
orientieren. Das sind zum Teil<br />
nur 32 Euro pro Notfall. Im<br />
internationalen Vergleich ist das<br />
lächerlich gering und deckt den<br />
Aufwand nicht im geringsten.<br />
Deswegen galten die Notaufnahmen<br />
in den Krankenhäusern<br />
bislang als defizitär –<br />
mit der Folge, dass in diesen<br />
Bereich zu wenig investiert<br />
wurde. In vielen Kliniken wird<br />
versucht, diese Aufgabe mit dem geringsten Aufwand<br />
hinzukriegen, um nicht noch mehr finanzielle Defizite<br />
entstehen zu lassen. Das hat auch die Belastung der dort<br />
Tätigen zusätzlich erhöht.<br />
Ein weiterer Grund: Grundsätzlich gilt für die<br />
Notfallversorgung, dass viele Vorhaltekosten anfallen.<br />
Sie haben fast durchgehend hohe Kosten, etwa für das<br />
erforderliche Personal – egal, ob es in Anspruch<br />
genommen wird oder nicht. Es gibt Tage, an denen eine<br />
Notaufnahme mal leer ist, weil schlicht wenige<br />
Patienten eingeliefert werden. Und es gibt Tage, da<br />
platzt sie aus allen Nähten. Das unterliegt den Gesetzen<br />
des Zufalls. Trotzdem haben Sie an einem ereignisarmen<br />
Tag die gleichen Personalaufwendungen. Und Sie haben<br />
einen festen Dienstplan, den Sie füllen müssen. Das ist<br />
mit den Fallpauschalen nicht ausreichend<br />
berücksichtigt.<br />
In einer alternden<br />
Gesellschaft gibt es<br />
schlicht mehr<br />
Notfälle.<br />
Die Fallpauschalen haben zu Fehlsteuerungen im<br />
Gesundheitssystem geführt, die ebenfalls dazu<br />
beitragen, dass viele Kliniken inzwischen zu voll sind.<br />
Um Umsatz und Einnahmen zu generieren, werden<br />
möglichst viele Patienten für Operationen einbestellt,<br />
die sogenannten elektiven Patienten. Ziel ist es hierbei<br />
das Fallpauschalensystem auszureizen, also Eingriffe<br />
vorzunehmen, die sich finanziell auszahlen. Ständig<br />
müssen die Kliniken ihre Fallzahlen steigern. Darunter<br />
leidet eine effiziente Notfallversorgung, und das führt zu<br />
einer Verschlechterung der Qualität und zu einer<br />
Überlastung der Mitarbeiter.<br />
Halten Sie das Fallpauschalen-System für gescheitert?<br />
Das würde ich so nicht verallgemeinern. In Bereichen<br />
außerhalb der Notfallversorgung, etwa Spezialkliniken<br />
für geplante Hüftgelenksoperationen und mit Niedrig-<br />
Risiko-Patienten, wo Eingriffe geplant nach einem<br />
festem Termin vorgenommen<br />
werden können, da könnte man<br />
Fallpauschalen aufrechterhalten,<br />
da sind sie auch angemessen.<br />
Schwierig sind Fallpauschalen<br />
aber, wie gesagt, bei Kliniken mit<br />
hohen Vorhaltekosten. Wir<br />
haben soeben ein Diskussionspapier<br />
für eine Reform der<br />
Krankenhausversorgung vorgelegt.<br />
Darin schlagen wir vor, dass<br />
die Krankenhäuser, die an der<br />
Notfall- und Intensivversorgung teilnehmen, ihre<br />
Vorhaltekosten über ein Budget finanziert bekommen,<br />
das Personal, Infrastruktur und Investitionen abdeckt.<br />
Die Fallpauschalen sollten dann nur die Sachkosten<br />
eines Falls abdecken und nicht die gesamte<br />
Infrastruktur.<br />
Solche Akut- und Allgemeinkrankenhäuser behandeln<br />
mit ihren vielen Fachabteilungen jegliche Art von<br />
Notfällen wie Polytraumata, Reanimationen oder<br />
Multiorganversagen. Sie sind aber auch verantwortlich<br />
für die Versorgung von komplexen Patienten wie etwa<br />
Tumorpatienten, in die eine Reihe von unterschiedlichen<br />
Spezialisten eingebunden ist. Auch hier<br />
sind die Vorhaltekosten höher, weswegen die<br />
Finanzierung ein Stück weit von den Fallpauschalen<br />
entkoppelt werden sollte.<br />
15
Die Bundesregierung sieht Handlungsbedarf und hat ein<br />
Gesetz zur Reform der Notfallversorgung angestoßen,<br />
bei dem auch Vorschläge des DIVI eingeflossen sind. Der<br />
Entwurf sieht drei Maßnahmen vor: ein gemeinsames<br />
Notfallleitsystem (GNL), integrierte Notfallzentren<br />
(INZ) und die Etablierung des Rettungsdienstes als eigenständiger<br />
GKV-Leistungsbereich. Die integrierten<br />
Notfallzentren sollen vorab entscheiden, ob ein Patient<br />
ein Notfall ist und in eine Klinik muss. Für mich klingt<br />
das zunächst nach mehr Bürokratie und zusätzlichen<br />
Kosten …<br />
Mit Blick auf die geplanten Notfallzentren gibt es sehr<br />
gute Ansätze, die sich international etabliert haben. Die<br />
Zentren sollen eine sogenannte Ersteinschätzung oder<br />
Triage vornehmen, bevor ein Patient direkt die Klinik<br />
ansteuert.<br />
Idealerweise verläuft das so: Der Patient hat ein Problem<br />
und kann dann die Nummer 116117 anrufen und sich<br />
dort Rat holen. Dort erfolgt eine telefonische Ersteinschätzung.<br />
Dem Patienten wird eventuell geraten,<br />
das nächste integrierte Notfallzentrum aufzusuchen. So<br />
funktioniert das zum Beispiel in Dänemark. Dann erhält<br />
man eine Nummer, mit der man sich im Notfallzentrum<br />
vorstellen kann und wo man dann bereits erwartet wird.<br />
Vor Ort erfolgt eine zweite Ersteinschätzung, bei der<br />
zum Beispiel Blutdruck, Herzfrequenz und Fieber usw.<br />
gemessen werden. Dann wird der Patient entweder bei<br />
dringlichen Erkrankungen im<br />
Notaufnahmebereich des Krankenhauses<br />
weiterversorgt oder er<br />
wird bei einem weniger<br />
dringlichen Krankheitsbild im<br />
ambulanten Bereich der kassenärztlichen<br />
Vereinigung von<br />
einem Arzt gesehen.<br />
Idealerweise ist solch ein INZ<br />
eine räumliche Einheit, in der<br />
man eng zusammenarbeitet, sich<br />
austauschen kann und auch im ambulanten Bereich die<br />
Ressourcen des Krankenhauses genutzt werden können,<br />
wenn es sinnvoll ist - zum Beispiel Labor, EKG, Röntgen<br />
oder Sonographie.<br />
Insgesamt sollte man in einem INZ auf möglichst<br />
wissenschaftlich fundierte Art rasch eine korrekte<br />
Diagnose stellen, das Risiko des Patienten einschätzen<br />
und auf dieser Basis eine angemessene ambulante oder<br />
stationäre Versorgung einleiten.<br />
16<br />
Grundsätzlich haben<br />
wir einen Mangel<br />
an Intensivpflegekräften.<br />
Prallen hier verschiedene Interessen aufeinander? Zunächst<br />
geht es ja darum, Kosten einzusparen.<br />
Aus Sicht der Krankenhäuser ist das vorrangige Ziel<br />
zunächst einmal, die Patienten zu identifizieren, die<br />
vital bedroht sind oder ernsthaft krank und deshalb<br />
schnell versorgt werden müssen, um einen möglichst<br />
guten Behandlungserfolg zu erzielen. Aus Sicht der<br />
kassenärztlichen Vereinigung ist das Ziel eher, zu<br />
verhindern, dass zu viele Patienten in den aufwändigeren<br />
Versorgungsweg eingeschleust werden und<br />
dass man Patienten mit banalen Erkrankungen<br />
ambulant versorgt. Die Herausforderung wird darin<br />
bestehen, beide Ziele in Einklang zu bringen. Da<br />
wünschen wir uns, dass wir konstruktiv mit der<br />
kassenärztlichen Vereinigung zusammenarbeiten. Das<br />
sollte aber auch, denke ich, bei gegenseitigem guten<br />
Willen möglich sein.<br />
Ein Problem, auf das wir dank einer DIVI-Pressemeldung<br />
gestoßen sind, ist die Notfallversorgung von Kindern.<br />
Dort scheint die Situation dramatisch zu sein - bis<br />
dahin, dass Kliniken eine solche nicht mehr gewährleisten<br />
können.<br />
Die sehr personalintensive Kinder-Intensivmedizin<br />
leidet zum einen unter dem ausgeprägten Mangel an<br />
Intensivpflegekräften in Deutschland. Besonders im<br />
Bereich der Versorgung von Neugeborenen gelten sehr<br />
hohe und auch abrechnungsrelevante<br />
Anforderungen<br />
an den Personalschlüssel der<br />
Pflege, die zum Teil zur<br />
Verlagerung von Pflegepersonal<br />
aus anderen Bereichen der<br />
Kinder- Intensivmedizin auf die<br />
Neugeborenen-Intensivstation<br />
führen.<br />
Insgesamt ist es aber aufwendig,<br />
schwerstkranke Kinder zu<br />
versorgen. Es handelt sich um Kinder mit Leukämien,<br />
mit angeborenen Herzfehlern, mit Stoffwechsel-<br />
Erkrankungen, genetischen Erkrankungen, die intensiv<br />
und lang behandelt werden müssen und bei denen auch<br />
eine Therapiebegrenzung im Vergleich zur<br />
Erwachsenen-Medizin schwer durchzusetzen ist: auch,<br />
weil die Eltern hohe Erwartungen an die Behandlung<br />
haben.
Eine individualisierte Hochleistungsmedizin dieser Art<br />
ist aufwendig und teuer – und ist irgendwann nicht<br />
mehr abbildbar durch die Fallpauschalen, die ja eher an<br />
häufigen Durchschnittsfällen ausgerichtet sind.<br />
Entsprechende Hochkosten- und Ausreißer-Fälle<br />
können eine Klinik finanziell ins Defizit bringen.<br />
Der Mangel an Pflegekräften wird aktuell breit in den<br />
Medien debattiert. Wie ist die Situation bei Ihnen in Tübingen?<br />
Finden Sie ausreichend Pflegepersonal?<br />
In Tübingen haben wir auch Betten sperren müssen, um<br />
das medizinisch notwendige Verhältnis von Pflegekraft<br />
zu Patient, den sog. Pflegeschlüssel, aufrecht zu halten<br />
und so die entsprechende Qualität zu garantieren.<br />
Leider konnte man in unserem Fallpauschalensystem bis<br />
vor Kurzem die medizinisch notwendigen Pflegeschlüssel<br />
ohne Sanktionen unterschreiten. Es ist erst seit<br />
letztem Jahr so, dass hier gesetzliche Vorgaben<br />
eingeführt wurden und Sanktionen drohen. Allerdings<br />
stehen nun nicht mehr genügend Pflegekräfte zur<br />
Verfügung, um die benötigten Stellen zu besetzten. Bei<br />
Personalmangel kann sich auch die arbeitsintensive<br />
Entwöhnung von einer Beatmungsmaschine verzögern<br />
und damit auch das Risiko von Komplikationen<br />
ansteigen. Paradoxerweise führen diese verlängerten<br />
Beatmungszeiten in unserem Abrechnungsystem jedoch<br />
zu einer höheren Vergütung.<br />
Dann haben Sie eine Situation, in der Intensivstationen,<br />
die mit wenig Personaleinsatz schlechte Ergebnisse<br />
liefern und lange Beatmungsdauern aufweisen, finanziell<br />
besser dastehen als Stationen, die mit gutem Personaleinsatz<br />
gute Qualität leisten und Patienten wieder<br />
schnell entwöhnen von der Beatmungsmaschine. Im<br />
schlimmsten Fall landen schlecht versorgte Patienten<br />
dann auch in der Heimbeatmung und binden dort<br />
Pflegekräfte, die eigentlich in den Krankenhäusern<br />
dringend benötigt werden.<br />
Wir haben in unserem Positionspapier als Alternative<br />
ein System vorgestellt, das im Universitätsklinikum
Heidelberg schon seit den neunziger Jahren praktiziert<br />
und fortentwickelt wurde, das „INPULS“-System. Mit<br />
diesem kann man stations- und patientenspezifisch den<br />
intensivmedizinischen Pflegeaufwand sehr gut<br />
dokumentieren – um im Jahresmittel eine für die<br />
Station angemessene Personalbesetzung zu definieren.<br />
Denn im Betreuungsaufwand unterscheiden sich<br />
Intensivstationen doch zum Teil ganz erheblich.<br />
Würde das bedeuten, dass auf der Basis solcher Erfassungsinstrumente<br />
sich für jede Klinik ein Pflegepersonal-Budget<br />
errechnen ließe?<br />
Aktuell haben wir die Situation, dass gerade<br />
Allgemeinkrankenhäuser, die systemrelevant sind, unter<br />
den größten wirtschaftlichen Druck geraten. Oft<br />
profitieren am meisten kleine Krankenhäuser, die<br />
Spezialleistungen anbieten, die in dem Ausmaß<br />
vielleicht gar nicht gebraucht werden. Rein nach<br />
marktwirtschaftlichen Aspekten ist dieses Problem<br />
nicht zu lösen.<br />
Das Gespräch mit Prof. Reimer Riessen<br />
führte Mirko Wenig<br />
Ja, zumindest ließe sich so die Zahl der für eine<br />
qualitativ hochwertige Versorgung notwendigen<br />
Pflegekräfte berechnen. Dies müsste dann ins Verhältnis<br />
gesetzt werden mit der Zahl der tatsächlich<br />
vorhandenen Pflegekräfte, um so eine objektive<br />
Grundlage für ggf. eine Aufstockung des<br />
Pflegepersonals zu bieten. Die Kosten für diese<br />
Pflegekräfte sollen in Zukunft nach einem Beschluss des<br />
Gesetzgebers ja separat von den Fallpauschalen über ein<br />
eigenes Pflegebudget finanziert werden. Wir würden<br />
hier gerne noch einen Schritt weiter gehen und die<br />
Notfall- und Allgemeinkrankenhäuser über ein Budget<br />
finanzieren, das alle Personal-, Infrastruktur- und<br />
Investitionskosten abdeckt. Über DRG-Fallpauschalen<br />
sollten die Sachkosten der Behandlungen abgedeckt<br />
werden.<br />
Grundvoraussetzung dafür wäre eine versorgungsorientierte<br />
Krankenhaus-Strukturplanung auf regionaler<br />
und überregionaler Basis, bei der die Notfall- und<br />
Intensivversorgung und die Versorgung komplexer<br />
Patienten berücksichtigt wird. Auf Basis von<br />
Bevölkerungszahlen und epidemiologischen Zahlen<br />
sollten kompetent zusammengesetzte Gremien durchplanen<br />
und überlegen: Wo brauchen wir überall<br />
Notfallkrankenhäuser? Wie können diese auf den<br />
verschiedenen Versorgungsstufen optimal zusammenarbeiten?<br />
Wie müssen sie ausgestattet sein, damit sie ihre<br />
Rolle gut erfüllen können? Wie viele Intensiv-Betten<br />
brauchen sie? Wie groß muss die Notaufnahme ausgelegt<br />
sein, um die zu erwartende Zahl an Notfallpatienten<br />
auch versorgen zu können – mit kurzen Reaktionszeiten,<br />
also ohne ewig lange Wartezeiten? Und wie muss dieses<br />
Netzwerk praktisch ergänzt werden – zum Beispiel<br />
durch andere Krankenhäuser, die ältere Patienten nach<br />
der Notfallversorgung übernehmen und wieder zur<br />
Genesung bringen?<br />
19
<strong>Versicherungsbote</strong>: Die Zusatzbeiträge der Krankenkassen<br />
könnten in den kommenden Jahren stark steigen,<br />
warnt der GKV-Spitzenverband. Als Ursachen werden<br />
die Alterung der Gesellschaft, medizinischer Fortschritt<br />
und Gesetzesreformen von Jens Spahn genannt, vor allem<br />
zur Stärkung der Pflege. Ihre Prognose – wird es für die<br />
gesetzlich Versicherten teurer? Und wenn ja, um wie viel?<br />
Björn Hansen<br />
Vorstand der BKK WIRTSCHAFT & FINANZEN<br />
Krankenkasse:<br />
„Die hohen Überschüsse<br />
führten zu<br />
Begehrlichkeiten“<br />
Werden sich gesetzlich Versicherte auf steigende<br />
Zusatzbeiträge einstellen müssen?<br />
Welche Fehlanreize für Manipulationen<br />
und Kosten gibt es im System der gesetzlichen<br />
Krankenkassen - und können diese<br />
durch geplante Reformen des Bundesgesundheitsministeriums<br />
beseitigt werden?<br />
Über diese Fragen sprach der <strong>Versicherungsbote</strong><br />
mit Björn Hansen, Vorstandschef<br />
der BKK WIRTSCHAFT & FINANZEN.<br />
Björn Hansen: Ich teile die Prognose des<br />
GKV-Spitzenverbands zu steigenden Zusatzbeiträgen<br />
und auch die genannten Gründe. Allerdings wird sich<br />
diese Dynamik unterschiedlich auf die einzelnen<br />
Krankenkassen auswirken. An den Auswirkungen ändern<br />
auch die deutlichen Überschüsse der letzten Jahre über<br />
die gesamte gesetzliche Krankenversicherung nichts.<br />
Denn bei politischen Entscheidungen – nicht nur von<br />
Jens Spahn – führt ein solch gefüllter Topf leider zu<br />
Begehrlichkeiten. Diese haben dazu geführt , dass<br />
Leistungen zwar verbessert wurden, die Kosten aber in<br />
der Zukunft sehr hoch sein werden. Über eine<br />
nachhaltige Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung<br />
wurde leider bisher noch nicht<br />
nachgedacht.<br />
Nun gibt es Fehlanreize im Gesundheitssystem, die hohe<br />
Ausgaben der Krankenkassen begünstigen. Ein oft gehörter<br />
Kritikpunkt: In kaum einem anderen<br />
vergleichbaren OECD-Land wird so oft an Knien, Wirbelsäule<br />
und Hüfte operiert, anstatt auf ambulante<br />
Therapien zurückzugreifen – auch, weil es sich für Ärzte<br />
und Kliniken lohne. Berechtigte Kritik? Muss vielleicht<br />
die Finanzierung derartiger OPs auf den Prüfstand?<br />
Die Kritik ist durchaus berechtigt. Das Thema wird auch<br />
immer wieder angesprochen, dann aber wieder tabuisiert.<br />
In der Tat stellt sich die Frage, warum die in Deutschland<br />
lebenden Krankenversicherten deutlich häufiger zum<br />
Arzt gehen und warum die von Ihnen genannten<br />
Operationen wesentlich häufiger durchgeführt werden.<br />
Ein Thema von vielen ist dabei sicher auch die Vergütung<br />
von Ärzten und Krankenhäusern. Die gegenwärtige<br />
Finanzierung der Ärzte über Budgets wurde in den<br />
1990er Jahren vom damaligen Gesundheitsminister<br />
Horst Seehofer eingeführt. Seinerzeit war das auch<br />
richtig so. Inzwischen haben sich aber viele<br />
Voraussetzungen teilweise drastisch geändert. Ob das<br />
System noch zeitgemäß ist, ist wohl eher zu bezweifeln.<br />
Das Gleiche gilt für die Krankenhäuser. Der<br />
Krankenhausbetrieb muss sich heutzutage ökonomisch
echnen, dazu müssen Einnahmen generiert werden.<br />
Diese erzielt man nur mit einer möglichst großen<br />
Auslastung. Die derzeitige Vergütungsstruktur nach<br />
Fällen unterstützt aber eine Kostenspirale. Neben der<br />
Vergütungsstruktur muss auch die Krankenhausbedarfsplanung<br />
auf den Prüfstand.<br />
Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung<br />
(KBV), Andreas Gassen, hat vor wenigen Monaten den<br />
gesetzlich Versicherten eine "irrsinnige Anspruchshaltung“<br />
vorgeworfen, weil sie Facharzt-Hopping betreiben<br />
würden. Mit Verlaub: Mein 87jähriger Großvater aus einer<br />
Ostthüringer Kleinstadt muss mehr als 30 Kilometer<br />
fahren, auf eigene Rechnung, um überhaupt einen dringend<br />
benötigten Augenarzt oder einen Urologen<br />
aufsuchen zu können. Wie passt das zusammen? Bzw. wie<br />
berechtigt ist es, bei mangelnden Arztterminen auf die<br />
GKV-Versicherten zu zeigen?<br />
Die beiden Standpunkte passen schon zusammen, wobei<br />
ich die Äußerung von Andreas Gassen scharf kritisiere.<br />
Denn die Anspruchshaltung von Patienten resultiert<br />
insgesamt aus Bedürfnissen, die subjektiv nicht erfüllt<br />
werden. Aber diese Situation ist eine von den<br />
Kassenärztlichen Vereinigungen<br />
in Kauf genommene, denn sie hat<br />
seit vielen Jahren einen<br />
gesetzlichen Sicherstellungsauftrag.<br />
Wenn im Ergebnis aber<br />
in Ballungsgebieten ein Überangebot<br />
von Ärzten entsteht,<br />
während auf dem Land<br />
Ärztemangel herrscht – und<br />
diese Entwicklung seit Jahren<br />
bekannt ist ohne gegenzusteuern<br />
– wurde etwas falsch gemacht.<br />
Auch hier muss man zudem die<br />
Vergütungsstrukturen für Ärzte hinterfragen.<br />
Ein weiterer Fehlanreiz: Kassen erhalten mehr Geld aus<br />
dem Gesundheitsfonds, wenn sie den Patienten kränker<br />
machen. Ihr Kollege Jens Baas ist 2016 mit einem mutigen<br />
FAZ-Interview an die Öffentlichkeit gegangen, in<br />
dem er auf das Problem von Manipulationen in der Patientenakte<br />
aufmerksam machte: zum Beispiel, dass aus<br />
einer depressiven Stimmung eine echte Depression werden<br />
kann. Hat sich die Situation verbessert? Wie ist Ihre<br />
aktuelle Einschätzung?<br />
Möglichkeiten zur Beeinflussung der Kodierung von<br />
Über eine nachhaltige<br />
Finanzierung<br />
der gesetzlichen<br />
Krankenversicherung<br />
wurde leider<br />
bisher noch nicht<br />
nachgedacht.<br />
Krankheiten bestehen noch immer. Nicht zuletzt durch<br />
Verträge, die eine besondere Vergütung der Ärzte für<br />
eine zielgenaue Kodierung vorsehen. Interessant ist, dass<br />
diese Verträge ausschließlich Morbi-RSA-relevante<br />
Krankheiten erfassen und nach Abschluss dieser<br />
Verträge die betroffenen Krankheiten sprunghaft<br />
zugenommen haben. Die Vergütungsanreize, wie derzeit<br />
geplant, dennoch nicht zu verbieten, halte ich für einen<br />
Fehler.<br />
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will mit<br />
dem Faire-Kassenwettbewerb-Gesetz weitere Manipulationen<br />
erschweren: zum Beispiel dadurch, dass die viel<br />
diskutierte Risikostrukturausgleich Morbi-RSA auf alle<br />
Krankheiten ausgeweitet wird und nicht, wie bisher,<br />
schwerpunktmäßig 80 Krankheiten mit finanziellen<br />
Anreizen „belohnt“. Eine Manipulationsgrenze könnte<br />
darüber hinaus dafür sorgen, dass bei auffälligen Diagnosen,<br />
etwa einer auffälligen Häufung, gar kein Geld<br />
mehr fließt. Aus Ihrer Sicht ein gangbarer Weg, um<br />
Fehlanreize abzubauen? Oder werden neue geschaffen?<br />
Aus meiner Sicht sind sämtliche Maßnahmen, die auf<br />
die Beendigung der Manipulationen abzielen, richtig.<br />
Hoffentlich werden sie dann<br />
auch zeitnah umgesetzt. Einzig<br />
die darüber hinaus gehende<br />
Ausweitung des Morbi-RSA auf<br />
alle Krankheiten halte ich für den<br />
falschen Weg. Diese Maßnahme<br />
erzeugt noch mehr Bürokratie<br />
und Aufwand. Und ich kann mir<br />
nicht vorstellen, wie dann<br />
Manipulationen in der Breite<br />
aufgedeckt und geahndet werden<br />
sollen. Ein konsequentes Verbot<br />
bestimmter Verträge sowie klar<br />
definierte Kodier-Richtlinien zusammen mit einer<br />
strukturierten Dokumentationspflicht der Ärzte wären<br />
hier aus meiner Sicht der bessere Weg gewesen.<br />
Daran anknüpfend: Im PKV-System erhalten die Patient*innen<br />
eine Rechnung vom Arzt mit den Kosten<br />
und der Diagnose. Warum nicht bei den Krankenkassen?<br />
Würde das die Transparenz aus Ihrer Sicht<br />
erhöhen?<br />
In der GKV gilt das Sachleistungsprinzip. Von daher<br />
lässt sich dies bei den Krankenkassen nicht umsetzen.<br />
Bereits heute können gesetzlich Versicherte aber bei<br />
21
einigen Krankenkassen eine elektronische<br />
Patientenquittung abrufen, auch bei unserer<br />
BKK WIRTSCHAFT & FINANZEN. Künftig wird diese<br />
als Teil der elektronischen Patientenakte sogar<br />
einheitlich verpflichtend allen gesetzlich Versicherten<br />
zur Verfügung stehen. Die Frage aber ist, ob die<br />
Versicherten dies überhaupt in Anspruch nehmen<br />
wollen. Sicher gibt es auch andere Wege, die Transparenz<br />
für Versicherte zu erhöhen, beispielsweise über<br />
Eigenanteile. Das wäre aber ein sehr komplexes Thema,<br />
das eingehend diskutiert werden müsste.<br />
Aktuell gibt es 105 verschiedene Krankenkassen in<br />
Deutschland. Helfen könnte bei einer Kostensenkung,<br />
wenn deutlich mehr Kassen fusionieren und wenn die<br />
Zahl der Anbieter eingeschrumpft wird. Aus Ihrer<br />
Sicht ein gangbarer Weg? Gibt es hier Widerstände?<br />
Obwohl für alle Krankenkassen die gleichen gesetzlichen<br />
Regelungen bestehen, hat die Kassenvielfalt mit dem<br />
damit verbundenen Wettbewerb in der Vergangenheit<br />
dafür gesorgt, dass unterschiedliche Versorgungsformen<br />
und medizinischer Fortschritt entstanden sind. Zudem<br />
gehören die meisten großen Krankenkassen im Hinblick<br />
auf Verwaltungskosten zu den eher teuren Krankenkassen.<br />
Selbst, wenn von heute auf morgen nur wenige<br />
Krankenkassen bestehen würden, wäre das Einsparpotential<br />
in Form von Beitragssatzpunkten kaum<br />
messbar.<br />
Das Interview mit Björn Hansen<br />
führte Sven Wenig<br />
Diese Ansicht teile ich gar nicht. Der Gesetzgeber hat<br />
sich wiederholt für das gegliederte Krankenkassensystem<br />
und damit für Kassenvielfalt entschieden.
Advertorial<br />
Allianz erweitert BU-Portfolio: Die BU für<br />
Schüler mit neuer Beitragsüberprüfungsoption<br />
Die Allianz Lebensversicherungs-AG hat ihr Produkt-Portfolio um eine Berufsunfähigkeitsversicherung<br />
(BU) für Schüler erweitert. Vermittler können ab sofort eine neue Zielgruppe<br />
über das BU-Risiko mit einer passenden und lückenlosen BU-Lösung der Allianz beraten.<br />
Schüler haben noch keinen Beruf - dennoch können ihre<br />
Eltern sie schon gegen das Risiko der Berufsunfähigkeit<br />
versichern. Die Vorteile liegen auf der Hand: In jungen<br />
Jahren sind die meisten noch bei guter Gesundheit und<br />
profitieren von niedrigen Prämien. Erst mit<br />
zunehmendem Alter häufen sich die Erkrankungen, was<br />
die Risikoprüfung und den BU-Abschluss erschweren<br />
oder sogar unmöglich machen kann. Früh einsteigen<br />
zahlt sich daher aus.<br />
Früh starten, lohnt sich<br />
Von den gesetzlichen Sozialversicherungen ist nicht viel<br />
zu erwarten. Lediglich bei Unfällen im schulischen<br />
Umfeld greift der gesetzliche Schutz. Doch wer springt<br />
ein, wenn ein Schulkind dauerhaft erkrankt, etwa an<br />
einer psychischen Belastung? Die Allianz hat zum<br />
Jahresbeginn <strong>2020</strong> die Tätigkeit „Schüler“ als Beruf in ihre<br />
BU-Bedingungen aufgenommen. Eltern können für ihre<br />
Kinder bereits ab dem 10. Lebensjahr einen hochwertigen<br />
BU-Schutz mit einer attraktiven Absicherungshöhe von<br />
bis zu 1.500 Euro monatlich erwerben. Die Beitragshöhe<br />
richtet sich nach der Schulform und der Klassenstufe.<br />
Der Beitrag kann sinken, nie steigen<br />
Bei bestimmten Anlässen, beispielsweise einem<br />
Schulformwechsel, Ausbildungsstart oder Berufswechsel,<br />
besteht ein Anspruch auf Überprüfung der Berufsgruppe<br />
und damit auch des Beitrags. Mit dieser<br />
Beitragsüberprüfungsoption kann der Beitrag sinken<br />
oder konstant bleiben, aber nie steigen. Reduziert sich<br />
zum Beispiel der Beitrag durch den Wechsel in die<br />
gymnasiale Oberstufe, zahlt dieser Schüler für die<br />
restliche Vertragsdauer höchstens den Beitrag, welchen<br />
er von Vertragsbeginn an in der gymnasialen Oberstufe<br />
gezahlt hätte. Wenn er später einen Beruf mit einem<br />
höheren oder unveränderten BU-Risiko ergreift, bleibt<br />
der Beitrag gleich.<br />
Eine BU, die mitwächst<br />
Die BU für Schüler der Allianz kann flexibel und exakt<br />
an die Ausbildungs- und Berufssituation angepasst<br />
werden – ohne erneute Gesundheitsprüfung. Eine<br />
BU-Rente von beispielsweise 1.000 Euro kann nach der<br />
Schulzeit auf bis zu 1.500 Euro erhöht werden.<br />
Voraussetzung ist, dass die versicherte Person nicht älter<br />
als 20 Jahre alt ist und bei Vertragsabschluss das<br />
15. Lebensjahr nicht überschritten hat. Bei Heirat und<br />
Familiengründung kann die BU-Rente auf bis zu<br />
2.500 Euro im Monat erhöht werden. Die Schüler-BU der<br />
Allianz sieht auch eine Stundungsoption bei vollem<br />
BU-Schutz vor.<br />
Mehr Infos erhalten Sie unter:<br />
Allianz-fuer-makler.de/schueler-bu<br />
23
Berufsunfähigkeitsversicherung: Den<br />
Kunden versichern, bevor er krank wird<br />
Philip Wenzel<br />
Versicherungsmakler<br />
BSC – die Finanzberater<br />
Es kann schon sinnvoll sein, Schüler und Studenten gegen Berufsunfähigkeit zu versichern,<br />
schreibt Versicherungsmakler Philip Wenzel in seinem Kommentar. Dabei gilt es jedoch, einige<br />
Hürden zu überwinden – zumal sich zunächst die Frage stellt, weshalb man sich gegen den<br />
Verlust eines Berufs versichern soll, bevor man diesen überhaupt ausübt.<br />
Der Markt ist hart umkämpft in der Berufsunfähigkeits-<br />
Versicherung (BUV). Ein Drittel der möglichen Kunden<br />
kann sich die BUV nicht leisten, ein Drittel ist zu krank<br />
und ein Drittel hat schon eine Versicherung. Das sind<br />
zwar nur gefühlte Werte! Aber trotzdem: So ungefähr<br />
sieht es aktuell leider aus.<br />
Problematisch, aber sinnvoll: Schon Schüler<br />
und Studenten gegen Berufsunfähigkeit<br />
versichern<br />
Die Lösung ist für alle drei Probleme die gleiche. Ich muss<br />
meine Kunden versichern, bevor sie krank werden oder<br />
sie einen Beruf haben, der unbezahlbar ist. Ich muss also<br />
schon Schüler und Studenten gegen ein Risiko<br />
versichern, das sie zunächst mal nicht direkt betrifft.<br />
Denn Schüler und Studenten verdienen in der Regel kein<br />
Geld mit ihrer Hauptbeschäftigung, aber die<br />
Berufsunfähigkeits-Versicherung sichert nun mal mein<br />
Einkommen ab. Da ein Schüler oder Student nichts<br />
verdient, muss er eigentlich auch nichts absichern.<br />
Auch wenn ich mich von der Ausgaben-Seite nähere,<br />
wird da kein Schuh draus. Denn Schüler leben noch bei<br />
Ihren Eltern. Der Student hingegen kann zumindest<br />
erkennen, was er so im Monat braucht und was er<br />
absichern müsste. Der Lebensstandard eines Studenten<br />
ist zwar nicht auf einen Dauerzustand angelegt, weshalb<br />
wir davon ausgehen müssen, dass der Bedarf stark steigen<br />
dürfte. Aber immerhin weiß der Student, was er im<br />
Monat für Miete und Essen ausgibt.<br />
Aber obwohl sich hier kein Bedarf ermitteln lässt, ist es<br />
aus zwei Gründen doch sinnvoll, schon als Schüler oder<br />
spätestens als Student eine Berufsunfähigkeits-<br />
Versicherung abzuschließen.<br />
Wir haben die Gründe sogar schon genannt. Junge<br />
Menschen sind meist noch gesünder als Menschen mit<br />
zunehmendem Alter. Und die Schule oder auch das<br />
Studium kann eine psychische Belastung darstellen.<br />
Wenn die Persönlichkeit noch nicht ausgereift ist und ich<br />
jeden Tag hauptsächlich mit Menschen zu tun habe,<br />
deren Persönlichkeit ebenfalls nicht ausgereift ist, muss<br />
ich nicht Einstein sein, um zu sehen, dass das zu<br />
Problemen führen kann.<br />
Vorerkrankungen: auch bei Schülern und<br />
Studenten ein Thema<br />
Oft ist es auch so, dass nicht die Konsequenzen bedacht<br />
24
werden, wenn jemand einen kurzfristigen Vorteil<br />
erreichen will. Ich war ja selbst Deutschlehrer. Und es gab<br />
gefühlt in jeder zweiten Klasse einen Schüler mit<br />
Lese-Rechtschreib-Schwäche. Dieser Schüler hat dann<br />
mehr Zeit in den Proben und Klassenarbeiten. Und die<br />
Rechtschreibung darf nicht bewertet werden. Im Abitur<br />
darf er einen Laptop und einen Duden benutzen. Ich will<br />
da nicht urteilen – aber ein Schüler hat offen zugegeben,<br />
dass er sich nur deshalb die Diagnose hat stellen lassen.<br />
Ähnlich ist es im Studium, wenn sich Studenten Ritalin<br />
verschreiben lassen, um sich beim Lernen besser<br />
konzentrieren zu können. Auch hier muss der Arzt eine<br />
psychische Erkrankung diagnostizieren.<br />
Und wenn mal für eine Prüfung nicht gelernt wurde, hilft<br />
auch oft ein Erschöpfungssyndrom, um sich zu<br />
entschuldigen. Mal ganz zu schweigen von den<br />
Rückenproblemen, die jeder Erstsemester nach dem<br />
Umzug hat.<br />
Solche Fälle können den Abschluss einer BU-Police<br />
erheblich erschweren. Aber<br />
unabhängig davon ist es nur<br />
logisch, dass mit dem Alter die<br />
Wahrscheinlichkeit von<br />
Vorerkrankungen steigt. Das lässt<br />
sich auch empirisch durchaus<br />
belegen.<br />
Und je jünger ich bin, desto<br />
geringer ist die monatliche<br />
Belastung. Denn der Versicherer<br />
berechnet mein Risiko und teilt<br />
das dann, vereinfacht gesprochen,<br />
durch die Monate der Laufzeit.<br />
Deswegen kostet der Versicherungsschutz<br />
über die gesamte Laufzeit immer in<br />
etwa das gleiche. Je länger ich in jungen Jahren<br />
einbezahle, desto länger kann der Versicherer mit dem<br />
Geld arbeiten. Deshalb spare ich sogar insgesamt ein paar<br />
hundert oder gar tausend Euro.<br />
Viel mehr merke ich aber, dass ich eben monatlich eine<br />
deutlich geringere Belastung habe.<br />
Was es mit Blick auf Berufsgruppen zu<br />
beachten gilt<br />
Hinzu kommt vor allem bei Schülern, dass ich von der<br />
günstigeren Berufsgruppe profitieren kann. Denn<br />
Schüler sind günstiger zu versichern als handwerkliche<br />
Berufe. Aber eben teurer als akademische Berufe.<br />
Wenn ich nun mit großer Wahrscheinlichkeit sagen<br />
kann, dass der Junge mal die Schreinerei übernehmen<br />
Je länger ich in<br />
jungen Jahren<br />
einbezahle, desto<br />
länger kann der<br />
Versicherer mit<br />
dem Geld arbeiten.<br />
wird, ist es sinnvoll, schon als Schüler die<br />
BU-Versicherung abzuschließen. Die Ersparnis kann über<br />
die Laufzeit im 5-stelligen Bereich liegen.<br />
Sind die Eltern Akademiker, ist es eher wichtig, dass der<br />
Vertrag eine Klausel enthält, die es mir erlaubt, bei<br />
Berufseintritt prüfen zu lassen, ob ich nicht im neuen<br />
Beruf günstiger zu versichern bin. Kleiner Tipp für die<br />
Verkaufsprofis: Ich sollte dem Kunden an dieser Stelle<br />
immer die höhere Absicherung empfehlen und nicht die<br />
Beitragsersparnis. Denn tatsächlich wird mein Kunde ja<br />
auch mit Berufseintritt einen höheren Bedarf denn als<br />
Schüler haben.<br />
Die beste Versicherung – nicht so wichtig?<br />
Es gibt also für Kunden und Vermittler einige gute<br />
Gründe, um frühzeitig eine Berufsunfähigkeits-<br />
Versicherung abzuschließen. Die Frage lautet nun,<br />
welches die beste Versicherung für Schüler oder<br />
Studenten ist. Meine Antwort,<br />
und jeder ist herzlich eingeladen,<br />
eine andere Meinung zu haben,<br />
lautet: Es ist aus einigen Gründen<br />
nicht so wichtig. Vielleicht ist es<br />
sogar egal. Aber da hab ich noch<br />
nicht bis zum Ende gedacht.<br />
Der erste Grund, warum eine<br />
spezielle Klausel für Schüler und<br />
Studenten nicht so wichtig ist,<br />
lässt sich quantitativ begründen.<br />
Schließt der Schüler mit 15 oder<br />
der Student mit 20 eine BUV ab,<br />
so ist er noch zwischen drei bis<br />
zehn Jahre Schüler oder Student. Die restlichen<br />
42-49 Jahre ist er in irgendeinem Beruf. Da fühlt es sich<br />
nicht richtig an, eine Empfehlung für diese oder jene<br />
Klausel auszusprechen, die nur einen so kurzen Zeitraum<br />
betrifft. Vor allem nicht, wenn eine andere Klausel für die<br />
gesamte Laufzeit wichtiger wäre.<br />
Qualitativ unterscheidet sich der „Beruf“ des Schülers<br />
und des Studenten von allen anderen nur in einer Sache:<br />
Du verdienst damit kein Geld. Du deckst also keinen<br />
tatsächlichen Bedarf. Du bräuchtest also nur eine Art<br />
Anwartschaft, die aber schon leistet, falls du komplett<br />
und für immer aus dem Arbeitsmarkt raus bist.<br />
Alles darüber hinaus ist uninteressant. Ein Schüler muss<br />
keine 1.000 Euro oder 1.500 Euro versichert haben. Er<br />
braucht die Option, seinen Gesundheitszustand zu<br />
sichern und mit Berufseintritt eine BU-Versicherung in<br />
angemessener Höhe abschließen zu können.<br />
25
Aber bitte nicht als Option in einer Rentenversicherung.<br />
Hier sind die Kosten meist hoch und gut versteckt. Und<br />
zumindest Produkte aus der Vergangenheit haben es<br />
selbst nach zehn Jahren nicht geschafft, die eingezahlten<br />
Beiträge zu erwirtschaften. Ausnahmen gibt es auch hier,<br />
aber dennoch ist hier Vorsicht geboten.<br />
Bei den Studenten ist es einigermaßen sinnvoll, die<br />
konkrete Verweisung genauer zu regeln. Denn da der<br />
Versicherte als Student kein Einkommen erzielt hat,<br />
kann er in der konkreten Verweisung auch nicht<br />
argumentieren, dass er erst verwiesen werden könne,<br />
wenn er mehr als 80 Prozent des letzten Einkommens<br />
verdiene.<br />
Es ist aber durchaus gerecht, so zu argumentieren. Denn<br />
während des Studiums nimmt der Student die<br />
Entbehrungen auf sich: in der Hoffnung, später als<br />
Akademiker gut zu verdienen.<br />
In der Praxis kann das so aussehen, dass ein Student aus<br />
gesundheitlichen Gründen seine Praktika nicht ablegen<br />
kann. In einem anderen Studiengang wäre das möglich.<br />
Nun ist aber seine Lebensplanung so weit vorangeschritten,<br />
dass er sein Gehalt in einem Jahr fest<br />
eingeplant hat. Vielleicht ist er schon verheiratet oder hat<br />
ein Kind.<br />
Da wäre es nur fair, wenn er während einer Umschulung<br />
von der Versicherung unterstützt würde und die Leistung<br />
erst dann eingestellt wird, wenn er 80 Prozent des<br />
Gehalts, das in der Regel mit dem Abschluss seines<br />
letzten Studiengangs erreicht wird, in seinem neuen Job<br />
verdient.<br />
zuschickt. Aber ich will es kurz machen. Die allermeisten<br />
Diskussionen über die Schüler- oder Studenten-Klauseln<br />
sind rein wissenschaftlich. In der Praxis muss ich darauf<br />
achten, dass es sich von Beginn an um eine echte<br />
Berufsunfähigkeits-Versicherung handelt und der Schutz<br />
sich nicht verschlechtern kann, falls ich den Eintritt ins<br />
Berufsleben nicht melde.<br />
Für werdende Schreiner wäre wichtig, dass selbst bei<br />
Nachversicherungen der bei Abschluss bestehende Beruf<br />
als Rechnungsgrundlage benutzt wird.<br />
Und bei Studenten ist es gut, wenn ab der zweiten Hälfte<br />
des Studiums in der konkreten Verweisung die<br />
Lebensstellung des regelmäßig erreichten Berufsbildes<br />
herangezogen würde.<br />
Der Rest kann nicht so wichtig sein – zumindest nicht so<br />
wichtig wie alle anderen Klauseln, die für das gesamte<br />
zukünftige Leben des Kunden wichtig sind.<br />
Ein Gastkommentar von Philip Wenzel<br />
Jede Konkretisierung schränkt Schutz ein<br />
Außer dieser Besonderheit muss weder der Student noch<br />
der Schüler irgendwie besonders geregelt werden. Denn<br />
jede Konkretisierung schränkt den Schutz der BUV ein.<br />
Sie ist ja gerade deswegen so mächtig, weil meine<br />
tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten im beruflichen Alltag<br />
versichert sind.<br />
Wenn ich zum Beispiel von einem „regulärem Unterricht“<br />
lese, ist das sicherlich für den Schüler konkreter. Der<br />
reguläre Unterricht kann aber weit von dem abweichen,<br />
was der Schüler zuletzt in gesunden Tagen getan hat.<br />
Denn regulär ist ein Unterricht auch dann, wenn ich zu<br />
Hause von einer ausgebildeten Lehrkraft unterrichtet<br />
werde oder der Lehrer dir wegen einer landesweit<br />
verordneten Schulschließung nur Arbeitsaufträge<br />
26
Berufsunfähigkeitsversicherer kann<br />
BU-Rente ohne wirksame Änderungsmitteilung<br />
nicht einfach streichen<br />
Mirko Wenig<br />
Autor des <strong>Versicherungsbote</strong>n<br />
Selbst, wenn ein Berufsunfähigkeits-Versicherer seine Leistungspflicht nicht anerkennt und<br />
gegen einen Kunden klagt, kann er einen späteren Wegfall einer Berufsunfähigkeit nur durch<br />
eine wirksame Änderungsmitteilung mit Nachprüfverfahren geltend machen. Versäumt der<br />
Versicherer dieses Verfahren, besteht die Leistungspflicht weiterhin. Das hat der Bundesgerichtshof<br />
mit einem Urteil vom 18. Dezember 2019 bestätigt (Az. IV ZR 65/19).<br />
Ein BU-Versicherer muss selbst dann einen späteren<br />
Wegfall der BU-Versicherung mit einer wirksamen<br />
Änderungsmitteilung nachweisen, wenn er die<br />
Leistungspflicht zunächst abstreitet. Sonst besteht die<br />
Pflicht zur Zahlung einer BU-Rente weiter – sogar, wenn<br />
der Betroffene später in seinen Beruf zurückkehren<br />
konnte. Auf das Urteil macht der Rechtsanwalt Christian<br />
Luber von der Fachkanzlei L & P Luber Pratsch<br />
Rechtsanwälte auf der Webseite anwalt.de aufmerksam.<br />
Versicherer klagt gegen Geschäftsführer mit<br />
depressiver Episode<br />
Im verhandelten Rechtsstreit hatte der Geschäftsführer<br />
einer GmbH drei kapitalbildende Lebensversicherungen<br />
abgeschlossen, die einen BU-Zusatzbaustein<br />
beinhalteten. Während er die ersten beiden Policen<br />
bereits seit 1995 bzw. 1996 hielt, schloss er den letzten<br />
Vertrag im Februar 2009 ab. Alle Verträge erlaubten eine<br />
Nachprüfung unter verschiedenen Voraussetzungen.<br />
Am 4. Mai 2010 beendete der Versicherungsnehmer seine<br />
Tätigkeit als Geschäftsführer und stellte Mitte August<br />
beim Versicherer einen Antrag auf Berufsunfähigkeits-<br />
Rente. Ursache war eine depressive Episode, die länger<br />
als sechs Monate angedauert habe: damit wurde aus<br />
seiner Sicht die Bedingung für eine Berufsunfähigkeits-<br />
Rente erfüllt.<br />
Der Versicherer reagierte anders als erwartet. Er lehnte<br />
mit einem Schreiben vom 14. Juni 2011 die Einstandspflicht<br />
ab, kündigte die Berufsunfähigkeits-<br />
Zusatzversicherungen außerordentlich und fristlos – und<br />
stellte gar Strafanzeige wegen Betrugs gegen den Mann.<br />
Eine Erstprüfung zur Feststellung der Berufsunfähigkeit<br />
führte der Versicherer erst gar nicht durch. Grund dafür<br />
war u.a., dass der Antragsteller schriftlich angegeben<br />
hatte, er gehe keiner beruflichen Tätigkeit nach – obwohl<br />
er zu dem Zeitpunkt geringfügig beschäftigt war. Dies<br />
allerdings teilte der Erkrankte dem Versicherer noch vor<br />
Abschluss der Leistungsprüfung selbst mit.<br />
Vor Gericht wurde der ausgeschiedene Geschäftsführer<br />
schließlich vom Vorwurf des versuchten Betruges<br />
rechtskräftig freigesprochen – und klagte gegen die<br />
Gesellschaft auf Zahlung rückständiger Renten sei Juni<br />
2010 sowie Zahlungen weiterer Renten bis Vertragsende.<br />
Auch die vorgerichtlichen Anwaltskosten wollte der<br />
27
Mann erstattet haben. Der Rechtsstreit ging durch alle<br />
Instanzen und nahm mehr als sieben Jahre in Anspruch.<br />
Versicherer muss zahlen – bis zum Zeitpunkt<br />
der wirksamen Änderungsmitteilung<br />
Das Landgericht Potsdam hatte die Klage des<br />
Versicherungsnehmers zunächst zurückgewiesen und gab<br />
beiden Parteien teilweise Recht. Nicht so die Anschlussrevision:<br />
Sie schloss sich der Argumentation des früheren<br />
Geschäftsführers weitestgehend an und sah den<br />
Versicherer in der Pflicht. Demnach stünden dem Kläger<br />
insgesamt knapp 225.370 Euro an Berufsunfähigkeitsrente<br />
für den Zeitraum Juni 2010 bis einschließlich April 2018<br />
zu: nebst gestaffelter Zinsen und Rechtsanwaltskosten.<br />
Der Versicherte wollte auch zukünftige Renten einklagen<br />
- und zog schließlich vor den Bundesgerichtshof (BGH).<br />
Dabei ging es auch um die Frage, ob der Versicherer ab<br />
Oktober 2012 seine Renten habe kürzen dürfen: Zu<br />
diesem Zeitpunkt galt der Kläger wieder als berufsfähig.<br />
Zweifelsfrei im Sinne des Versicherten wurde festgestellt,<br />
dass tatsächlich der Betroffene ab Juni 2010 eine<br />
BU-Rente erhalten müsse, weil eine Berufsunfähigkeit<br />
laut Vertragsbedingungen vorgelegen hat.<br />
Eine solche Mitteilung sei auch dann erforderlich, „wenn<br />
die zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen ein<br />
befristetes Anerkenntnis erlauben“ – wie hier in den<br />
AVB aller Verträge geregelt.<br />
Dies gelte auch dann, wenn dem Berufsunfähigen bereits<br />
zu Beginn seiner Erkrankung eine zeitlich bestimmte<br />
Genesungsprognose hätte gestellt werden können,<br />
führten die Richter weiter aus. Mache der Versicherer<br />
von der Möglichkeit eines befristeten Anerkenntnisses<br />
keinen Gebrauch – zum Beispiel, weil er das Vorliegen<br />
einer Berufsunfähigkeit von vorn herein bestreitet –,<br />
„kann er nicht im Nachhinein so gestellt werden, als hätte<br />
er eine tatsächlich nicht erfolgte Befristung<br />
vorgenommen“. Urteilsgründe bezogen sich zusätzlich<br />
darauf, wann das zugesendete Anerkenntnis wirksam<br />
wurde und zum Einstellen der Rente berechtigte. So war<br />
in dem 2009 abgeschlossenen Vertrag u.a. eine<br />
Dreimonatsfrist vorgeschrieben, was die Vorinstanz<br />
nicht würdigte. Die künftigen Renten aber bekam der<br />
Kläger nicht bewilligt – da die rechtmäßige<br />
Änderungsmitteilung wirksam wurde.<br />
Ein Kommentar von Mirko Wenig<br />
Der BGH bestätigte weitestgehend das Urteil der<br />
Vorinstanz. So durfte der Versicherer die<br />
Berufsunfähigkeitsrente auch nach 2012 nicht einfach<br />
einstellen, obwohl der Kläger zu diesem Zeitpunkt<br />
wieder in seinem Beruf arbeiten könnte. Der Grund: Die<br />
Gesellschaft hatte es versäumt, den Leistungsberechtigten<br />
ordnungsgemäß eine Änderungsmitteilung<br />
zukommen zu lassen und das hierfür notwendige<br />
Prüfverfahren zu veranlassen.<br />
Änderungsmitteilung auch notwendig, wenn<br />
Versicherer Berufsunfähigkeit zunächst nicht<br />
anerkennt<br />
Zutreffend sei das Berufungsgericht davon ausgegangen,<br />
„dass die Leistungspflicht der Beklagten erst mit dem<br />
Wirksamwerden ihrer Änderungsmitteilung geendet hat.<br />
In der Senatsrechtsprechung ist geklärt, dass ein<br />
Versicherer auch dann, wenn er kein Anerkenntnis seiner<br />
Leistungspflicht abgegeben hat, den späteren Wegfall<br />
einer zunächst bestehenden Berufsunfähigkeit nur durch<br />
eine den inhaltlichen Anforderungen des Nachprüfungsverfahrens<br />
genügende Änderungsmitteilung<br />
geltend machen kann“, heißt es im Urteilstext des BGH.<br />
28
„Weil meine Mitarbeiter es mir wert sind.“<br />
Advertorial<br />
Mit der kollektiven Berufsunfähigkeitsabsicherung „Swiss Life BU Pro“ sichern Arbeitgeber<br />
ihre Mitarbeiter gegen das Risiko einer Berufsunfähigkeit finanziell ab und positionieren sich<br />
als attraktives Unternehmen.<br />
Arbeitgeber stehen in der heutigen Zeit vor vielen neuen<br />
Herausforderungen. Da ist zum einen der demografisch<br />
bedingte Fachkräftemangel, welcher in den nächsten Jahren<br />
noch zunehmen wird. Zum anderen wählen gerade<br />
jüngere Menschen heute ihren Arbeitgeber nach anderen<br />
Kriterien aus als noch vor einigen Jahren. Für die Arbeitgeber<br />
gilt es somit, ihre Attraktivität gegenüber Bewerbern<br />
im Wettbewerb um Talente auszubauen. Dazu benötigen<br />
sie entsprechende Alleinstellungsmerkmale, um sich von<br />
anderen Unternehmen am Markt abzuheben.<br />
Swiss Life unterstützt Arbeitgeber mit<br />
Swiss Life BU Pro<br />
„Unsere kollektive Berufsunfähigkeitsversicherung ist die<br />
optimale Lösung für alle Unternehmen, die sich in Bezug<br />
auf die Mitarbeitergewinnung und die Mitarbeiterbindung<br />
Vorteile durch eine attraktive Sozialleistung<br />
verschaffen wollen“, sagt Hubertus Harenberg,<br />
Bereichsleiter Vertrieb Firmenkunden und Konsortien.<br />
„Mit Swiss Life BU Pro kann der Arbeitgeber seinen<br />
Mitarbeitern eine sofort wirksame Leistung anbieten und<br />
fördert dadurch die Zufriedenheit und die Motivation<br />
seiner Mitarbeiter.“<br />
So funktioniert die betriebliche BU-Rente von<br />
Swiss Life<br />
einer Berufsunfähigkeit abgesichert werden. „Mit Swiss<br />
Life BU Pro kombinieren wir als Biometrie- und<br />
bAV-Spezialist das Beste aus zwei Welten: die 125-jährige<br />
BU-Expertise von Swiss Life mit der am Markt<br />
hochgeschätzten Kompetenz in der betrieblichen<br />
Altersversorgung (bAV)“, sagt Harenberg.<br />
Einfache Aufnahme für die gesamte<br />
Belegschaft<br />
Ein echter Vorteil der arbeitgeberfinanzierten BU-Rente<br />
sind die vereinfachten Zugangsvoraussetzungen. Damit ist<br />
eine Aufnahme der ganzen Belegschaft mit minimalem<br />
Verwaltungsaufwand möglich. „Den Wert der<br />
Absicherung ihrer Arbeitskraft über die Firma schätzen<br />
Arbeitnehmer besonders dann, wenn es sich um ein<br />
obligatorisches System mit vollständiger Beitragszahlung<br />
durch den Arbeitgeber handelt. Auch die Zugangsvoraussetzungen,<br />
wie zum Beispiel die Gesundheitsprüfung,<br />
sind bei dieser Variante niedrig und der Aufwand<br />
für die Personalabteilung damit minimal“, sagt Harenberg.<br />
Die Beitragszahlung verursacht beim Arbeitgeber darüber<br />
hinaus keine Lohnnebenkosten, kann als Betriebsausgabe<br />
abgesetzt werden und ist für den Arbeitnehmer in der<br />
Regel steuer- und sozialversicherungsfrei. Die Möglichkeit<br />
der privaten Fortführung bei Ausscheiden aus dem<br />
Unternehmen ist ebenfalls gegeben.<br />
„Swiss Life BU Pro“ gibt es grundsätzlich in zwei Varianten:<br />
Der Beitrag kann entweder vollständig vom<br />
Arbeitgeber finanziert werden oder Arbeitgeber und<br />
Arbeitnehmer teilen sich den Beitrag, wobei der<br />
Arbeitgeber mindestens einen Anteil in Höhe von<br />
50 Prozent bezahlt. Eine Kombination beider Varianten ist<br />
ebenfalls möglich. Voraussetzung für Swiss Life BU Pro: Es<br />
müssen mindestens zehn Arbeitnehmer gegen das Risiko<br />
Hubertus Harenberg, Bereichsleiter Vertrieb<br />
Firmenkunden und Konsortien Swiss Life
<strong>Versicherungsbote</strong>: Können Sie Ihr Unternehmen kurz<br />
vorstellen? Und wie kamen Sie darauf, Wetterversicherungen<br />
zu Ihrem Geschäftsgebiet zu machen?<br />
Sebastian Sieloff<br />
B2b Protect GmbH<br />
Wie man sich<br />
gegen das Wetter<br />
versichert<br />
Die b2b Protect GmbH aus Hildesheim betrachtet<br />
neuartige versicherungstechnische<br />
Lösungen als ihr Kerngeschäft – mit<br />
besonderem Schwerpunkt auf den Themen<br />
Wetterrisiken und Energieeffizienz. Ein<br />
Grund für den <strong>Versicherungsbote</strong>n, mit<br />
Sebastian Sieloff zu sprechen – zuständig<br />
für Produktentwicklung sowie Risikoanalyse<br />
in dem Unternehmen. Beraten doch<br />
die Experten aus Hildesheim, unter der<br />
Marke „WetterProtect“, auch zu parametrischen<br />
Wetterversicherungen. Diese<br />
noch relativ neuen Produkte auf dem deutschen<br />
Markt basieren auf Wetterdaten<br />
und sichern gewerbliche Risiken ab.<br />
Sebastian Sieloff: WetterProtect wurde von unseren<br />
Gesellschaftern im Jahr 2012 gegründet. Einige<br />
Gesellschafter kamen aus dem Versicherungsbereich und<br />
erkannten, dass der Klimawandel uns vor<br />
Herausforderungen stellt. Es gab viele Schäden, die zu<br />
diesem Zeitpunkt überhaupt nicht abgesichert werden<br />
konnten. Und Wetterindexversicherungen oder<br />
parametrische Wetterversicherungen – das kann man<br />
synonym verwenden – sind eben ein mächtiges<br />
Werkzeug, um geschäftliche Wetterrisiken abzusichern.<br />
Was wir tun, ist letztendlich Beratung. Wir beraten<br />
Makler. Wir beraten Versicherer. Wir beraten auch<br />
Unternehmen und Rückversicherer bei der Entwicklung<br />
von geeigneten Produkten. Wir gehen zu einem Kunden<br />
und schauen uns an: Was ist überhaupt das Risiko, wo ist<br />
er betroffen? Gibt es ein passendes Produkt? Wir beraten<br />
Versicherer auch dabei, neue Versicherungsprodukte in<br />
diesem Bereich der Wetterversicherung zu entwickeln.<br />
Und wir beraten Entwicklungsbanken dabei, wie man<br />
geeignete Versicherungsprodukte in Entwicklungs- und<br />
Schwellenländern entwickelt und anbringt.<br />
Risikoanalyse und Suche des passenden Produkts – das<br />
klingt nach Makler-Tätigkeiten. Vermitteln Sie also<br />
auch, quasi wie ein Makler, die Produkte?<br />
Also unser Fokus ist es nicht, Geschäft zu vermitteln.<br />
Sondern letztendlich beraten wir, wie man vorgehen<br />
kann. Das heißt: Wir beraten zum Beispiel auch Makler<br />
dabei, wenn sie ihre Kunden mit diesem Produkt<br />
bedienen möchten. Wir treten nicht in Konkurrenz mit<br />
Maklern.<br />
Wir können zum Beispiel anbieten, dass wir<br />
Kundengespräche gemeinsam mit dem Makler führen,<br />
wenn sich Fragen stellen. Wir können bei der Analyse<br />
des richtigen Produktes helfen. Wir können auch<br />
unterstützen, wenn ein Makler ein bestimmtes Produkt<br />
oder einen Versicherer mit ins Portfolio nehmen<br />
möchte. Wir haben unter anderem auch Vertriebstools<br />
entwickelt, mit denen die Bepreisung beim Kunden<br />
direkt vor Ort stattfinden kann.<br />
Und wenn ein Makler jetzt plant, ins Geschäft<br />
einzusteigen, kann er sich quasi an Sie wenden, um die<br />
Produkte entwickeln zu lassen?
Genau: Er kann anfragen, welche Art von Kunden er hat<br />
oder was er glaubt, als Wetterrisiko für den Kunden<br />
identifiziert zu haben. Dann können wir helfen,<br />
passende Absicherungen zu entwickeln oder anzubieten<br />
– je nachdem, was eben notwendig ist. Das Vorgehen<br />
hängt auch immer davon ab, wie tiefgehend sich ein<br />
Makler schon mit der Thematik Wetterindexversicherung<br />
beschäftigt hat.<br />
Und plant ein Makler, neu ins Geschäft mit Wetterindexversicherungen<br />
einzusteigen – was ist da beachtenswert?<br />
Was muss er über das Produkt wissen?<br />
Grundsätzlich: Eine Wetterindexversicherung versichert<br />
einen Index. Man schaut sich mögliche Schäden an – bei<br />
Wetterindexversicherungen geht es um wetterbedingte<br />
finanzielle Verluste, wie zum Beispiel Umsatzausfall,<br />
Arbeitsausfall oder Mehrkosten. Idealerweise sollte man<br />
damit anfangen, überhaupt Kunden zu identifizieren,<br />
die ein Wetterrisiko in ihrem Geschäft haben –<br />
Bauunternehmen sind da zum Beispiel ganz klassisch.<br />
Wenn Sie im Frühjahr beispielsweise noch lange<br />
morgens Bodenfrost haben,<br />
können Sie als Bauunternehmer<br />
nicht arbeiten. Dann haben Sie<br />
Arbeitsausfall, müssen aber<br />
Mitarbeiter bezahlen. Auch die<br />
Agrarwirtschaft ist stark von<br />
ungünstigen Wetterereignissen<br />
betroffen. Auch für kleinere<br />
Stadtwerke kann eine solche<br />
Absicherung interessant sein.<br />
Weil: Gibt es zum Beispiel einen<br />
warmen Winter und es wurden<br />
zuvor Verträge abgeschlossen,<br />
Gas einzukaufen, bleiben die Unternehmen auf dem Gas<br />
sitzen. Oder Sie sind ein Veranstalter und haben Events,<br />
bei denen es kräftig regnet …<br />
Natürlich kann ein<br />
Unternehmen nie<br />
sein komplettes<br />
Geschäftsrisiko<br />
über das Wetter<br />
absichern.<br />
einer Entscheidung des Veranstalters, zu sagen: „Die<br />
Veranstaltung kann so nicht weitergehen“ …<br />
… greifen Bedingungen einer klassische Versicherung<br />
mitunter nicht? Und hier greifen dann die Parameter,<br />
wenn ich es richtig verstanden habe?<br />
Ja. Denn was tut eine Wetterindexversicherung? Man<br />
schaut sich im Voraus an: Was sind mögliche Schäden,<br />
was ist der Auslöser – also zum Beispiel Niederschläge<br />
über einen bestimmten Zeitraum, bestimmte<br />
Temperaturen im Durchschnitt oder zu bestimmten<br />
Uhrzeiten. Und man vereinbart eine Wetterstation oder<br />
eine andere Datenquelle. Und man legt fest: Wenn dort,<br />
an dieser Station, dieses Wetterereignis gemessen wird<br />
in diesem Zeitraum oder zu diesem Zeitpunkt, wird die<br />
im Voraus berechnete Deckungssumme ausgezahlt. So<br />
funktioniert eine Wetterindexversicherung prinzipiell.<br />
Dazu greifen wir in der Regel auf die Daten des<br />
Deutschen Wetterdienstes (DWD) zurück, der hat in<br />
Deutschland ein sehr gut ausgebautes Netz. Man kann<br />
natürlich auch mit privaten Wetterdiensten zusammenarbeiten,<br />
man kann Satellitendaten<br />
verwenden oder andere<br />
Dinge – das wird auch in<br />
Zukunft sicherlich noch mehr in<br />
den Fokus treten, dass<br />
zusätzliche Datenquellen überall<br />
verfügbar sind. Nicht alle Daten<br />
sind aber in der Qualität<br />
verfügbar, dass die Versicherbarkeit<br />
gegeben ist. Gerade bei<br />
vielen kleinen Sensoren, die an<br />
einer Vielzahl von Stellen mit<br />
verbaut sind, reicht die Qualität<br />
nicht aus. Wenn Sie hingegen eine Messung des DWD<br />
haben, ist diese nach ganz klar definierten Standards<br />
erfolgt.<br />
Aufgrund von Regen oder schweren Gewittern wurden<br />
ja auch schon Veranstaltungen abgebrochen, wie "Rock<br />
am Ring“ in 2016. Man kann sich vorstellen, dass da<br />
enorme Verluste entstehen.<br />
Genau! Nur: Was sichern Sie für diesen Fall über eine<br />
klassische Versicherung ab? Da können Sie nur<br />
absichern, dass die Veranstaltung komplett ausfällt, weil<br />
ein Ordnungsamt sagt: „Nein, diese Veranstaltung kann<br />
aus Sicherheitsgründen nicht stattfinden.“. Aber bei<br />
Ist es denn ein Problem, wie der Gesamtverband der<br />
Versicherungswirtschaft (GDV) geschrieben hat, dass<br />
oft noch zu wenige Wetterstationen existieren oder Daten<br />
nicht verfügbar sind?<br />
Der Hinweis geht in die richtige Richtung, ist aber zu<br />
stark vereinfacht. Der Hintergrund ist: Für die<br />
Risikokalkulation werden Wetterdaten benötigt. Die<br />
lokale Historie muss fast lückenlos vorliegen. Wenn die<br />
Wetterdaten nicht vorliegen und man erst eine neue<br />
31
Wetterstation aufbaut, dann dauert es ein paar Jahre, bis<br />
Sie eine gewisse Historie haben, die für die Versicherbarkeit<br />
notwendig ist.<br />
Wenn wir jetzt aber, wie es momentan geschieht,<br />
zunehmend Satellitendaten verfügbar machen über<br />
Programme der Europäischen Weltraumorganisation<br />
(ESA) oder wenn der Deutsche Wetterdienst mehr<br />
Stationen aufbaut und Daten sammelt und auswertet,<br />
schaffen wir für die Zukunft die Grundlage für eine<br />
Versicherbarkeit dieser Wetterparameter. Insofern – der<br />
GDV hat schon recht – benötigen wir mehr Wetterstationen<br />
und mehr Datensammelpunkte.<br />
Also gibt es tatsächlich Gegenden, wo die Versicherung<br />
noch nicht abgeschlossen werden kann, weil die Daten<br />
noch nicht vorliegen?<br />
Naja, sagen wir mal so: Es gibt bei den Wettermessstellen<br />
Unterschiede: Gebiete, die sehr gut abgedeckt sind,<br />
andere hingegen nicht. Generell ist die Abdeckung in<br />
Deutschland aber schon sehr gut. Problematisch wird es<br />
zum Beispiel, wenn Sie sich auf einer Seite eines Berges<br />
befinden. Da kann es sein, dass mit Luftlinie drei<br />
Kilometer auf der anderen Seite des Berges die<br />
Interpretation der Daten nicht mehr sinnvoll ist. Denn<br />
auf der anderen Seite des Berges ist die Situation nicht<br />
mehr vergleichbar.<br />
Da ja auch wenige geographische Unterschiede einen großen<br />
Unterschied in der Wetterhistorie bedeuten können?<br />
Ja. Deswegen brauchen wir mehr Wettermessungen.<br />
Grundsätzlich haben wir aber schon eine sehr gute<br />
Abdeckung, gerade auch im internationalen Vergleich.<br />
Wir hatten jetzt die Messbarkeit des Wetters. Aber es<br />
geht auch um die Frage nach dem Schaden. Wann leistet<br />
die Versicherung? Ist es so, dass – ich weiß nicht, ob die<br />
Formulierung richtig ist – nicht nach einem entstandenen<br />
Schaden geleistet wird, sondern wirklich nach den<br />
Parametern?<br />
Also sachlich ist das richtig. Der Punkt ist aber:<br />
Natürlich wird bei so einer Versicherung vorher<br />
entsprechend genau hingeschaut und analysiert. In der<br />
Regel entspricht der Schaden auch der vereinbarten<br />
Schadensumme bei dem festgelegten Parameter.<br />
Die Analyse kann mitunter relativ einfach sein. Am<br />
Beispiel Bodenfrost sehen Sie das: Da ist ein<br />
Handwerksbetrieb mit fünf Mitarbeitern, ein<br />
Dachdecker-Betrieb zum Beispiel. Und dieser Betrieb<br />
möchte im Frühjahr eben versichert haben, dass Tage<br />
mit Bodenfrost sich nicht übermäßig häufen. Pro Tag, an<br />
dem es über eine normale Wetterhistorie hinaus<br />
Bodenfrost gibt, braucht der Unternehmer eben eine<br />
Auszahlung von „x“. Das kann man relativ schnell<br />
kalkulieren.<br />
Wichtig ist aber auch: Natürlich kann ein Unternehmen<br />
nie sein komplettes Geschäftsrisiko über das Wetter<br />
absichern. Sondern letztendlich geht es immer um<br />
Extreme. Denn das Risiko spiegelt sich auch in der<br />
Prämie wider. Sobald also durchschnittlich zwanzig<br />
Tage Bodenfrost herrschen um zehn Uhr morgens, wenn<br />
gearbeitet werden soll, kann man sich sinnvollerweise<br />
nicht ab dem ersten Tag darüber hinaus versichern.<br />
Sondern man schaut: Was wäre ein extremes Ereignis,<br />
welches mein Unternehmen gefährdet? Es geht darum,<br />
Extreme abzufedern und nicht das, was sowieso jeden<br />
Tag oder jedes Jahr passiert.<br />
Wir haben verschiedene, jeweils spezifische Schadensszenarien.<br />
Und diese sind abhängig von spezifischen<br />
Wetterbedingungen an einem Ort. Das klingt nach sehr<br />
individuellen Produkten.<br />
Sie haben recht: Wetterindexversicherungen sind immer<br />
sehr individuell – sowohl die festgelegten Schadensummen<br />
als auch die Wetterereignisse, die dann<br />
definiert werden. Es ist eben nicht die<br />
Gebäudeversicherung, bei der fünf Fragen gestellt<br />
werden – ganz überspitzt gesagt – und man dann ein<br />
Standardprodukt eines Versicherers anbringen kann.<br />
Und welche Vorteile hat die Wetterversicherung gegenüber<br />
klassischen Produkten wie die Gebäudeversicherung<br />
oder Elementarschadenversicherungen?<br />
Die haben eigentlich nichts miteinander zu tun. Eine<br />
Elementarschadenversicherung versichert zwar auch<br />
gegen ungünstige Wetterereignisse. Aber da geht es um<br />
tatsächlich vorliegende Schäden, zum Beispiel an einem<br />
Gebäude, die müssen repariert werden. Eine<br />
Wetterindexversicherung wird jedoch für die<br />
Absicherung von wetterbedingten finanziellen Schäden<br />
genutzt – also zum Beispiel Umsatzausfall oder<br />
Mehrkosten. Dies kann eine klassische Versicherung<br />
nicht leisten.<br />
32
Und denke ich darüber nach, greift ja die Elementarschadenversicherung<br />
auch nur bei wesentlich extremeren<br />
Wetterereignissen. Die Wetterversicherung greift<br />
hingegen auch bei Frost oder häufigen Niederschlag –<br />
Dinge, die alltäglicher sind …<br />
Ja. Die Wetterversicherung kann als Instrument genutzt<br />
werden, um sich gegen alltägliche Wetterereignisse<br />
abzusichern, die aber ungewohnt häufig in einem Jahr<br />
auftreten. Und versicherbar sind eigentlich alle Ereignisse,<br />
die eindeutig gemessen werden können. Jedes<br />
messbare Wetterereignis kann, so gesehen, versichert<br />
werden – von Globalstrahlung über Sonnenstunden<br />
über Niederschlagsmengen bis hin zu Temperaturen<br />
oder eine Kombination daraus. Der Index kann frei<br />
gestaltet werden, solange dem dann natürlich mit der<br />
Schadensumme ein Schaden gegenüber steht bzw.<br />
plausibel abgeleitet werden kann. Was aber zum Beispiel<br />
nicht funktioniert, ist Hagel. Denn Sie haben nicht die<br />
Möglichkeit, mit einem Becher die Korngröße zu<br />
messen.<br />
Das Gespräch mit Sebastian Sieloff<br />
führte Sven Wenig
Makler dürfen mit<br />
der Digitalisierung<br />
nicht ihre Selbständigkeit<br />
verlieren<br />
Dirk Pappelbaum<br />
Geschäftsführer der Leipziger<br />
Inveda.net GmbH<br />
Makler, die vor einigen Jahren dachten, dass durch die<br />
Anschaffung eines Computers und der passenden<br />
Software im Maklerbüro die Digitalisierung abgeschlossen<br />
ist, erkennen spätestens jetzt, dass dies erst<br />
die Spitze des Eisberges war.<br />
Und nun?<br />
Es gibt zwei Möglichkeiten: entweder man versucht gar<br />
nicht erst, den Berg der Digitalisierung zu verstehen und<br />
vertraut auf eine angebotene Lösung. Dafür hat uns die<br />
Natur als Menschen zum Glück mit Instinkten<br />
ausgestattet, die uns Vertrauen und Misstrauen lassen,<br />
auch wenn wir nicht alles verstehen.<br />
Oder man gehört zu denen, die als selbsbestimmte und<br />
frei denkende Menschen agieren wollen, für die wird es<br />
immer schwerer.<br />
Für Verschwörungstheoretiker ein gefundenes Fressen,<br />
ist doch schnell eine Verschwörung aus Versicherungsund<br />
Softwareindustrie ausgemacht. Denn Softwarehäuser<br />
wollen alle von sich abhängig machen und<br />
Versicherer wollen den Makler klein halten. Treffend<br />
dazu die Zeilen des Liedsängers Reinhard Mey: „Der<br />
Minister nimmt flüsternd den Bischof beim Arm: Halt<br />
du sie dumm, ich halt sie arm“? So weit so gut, doch<br />
nützt ein armer Makler der Softwarefirma wenig und<br />
Makler ohne Erfolg sind auch kein Erfolg für die<br />
Versicherungsgesellschaften.<br />
Als Softwarehersteller versuchen wir ständig, uns in die<br />
Rolle der Versicherungsmakler zu versetzen. Dabei hilft<br />
uns sehr, dass uns Versicherungsmakler aus ihrem Alltag<br />
berichten. Mit Sorge sehen wir eine steigende<br />
Verunsicherung bei den Maklern. Wie wird das<br />
Versicherungsgeschäft in der Zukunft aussehen? Welche<br />
Versicherungsprodukte werden zukünftig über den<br />
Makler vermittelt? Was werden Kunden direkt online<br />
abschließen? Verhindert die Digitalisierung ein autarkes<br />
und selbstständiges Arbeiten der Versicherungsmakler,<br />
weil der Aufwand, alle Prozesse zu automatisieren,<br />
einfach zu groß ist?<br />
Sicher ist, dass diejenigen Makler überleben, die mit<br />
dem technischen Fortschritt mithalten. Wer es schafft,<br />
die eigenen Prozesse zu automatisieren, um bei<br />
sinkenden Margen mehr Kunden zu betreuen, der hat<br />
eine Chance. Ein großer Hoffnungsträger ist die<br />
Brancheninitiative BiPRO, die seit ihrer Gründung 2006<br />
die Prozesse zwischen Makler und Versicherungsgesellschaft<br />
in Normen giesst. 14 Jahre später gibt es<br />
tatsächlich Versicherungsgesellschaften und Softwareherstellern<br />
für Versicherungsmakler, die diesen Standard<br />
unterstützen. So kann die Maklerpost digital<br />
abgeholt werden und viele Gesellschaften stellen<br />
Bestandsdaten in Form des alten GDV-Standards zur<br />
Verfügung.<br />
Allein am Beispiel der Maklerpost zeigt sich das<br />
Dilemma. Die Digitalisierung der Maklerpost verursacht<br />
34
Kosten. Und nicht nur bei den Versicherungsgesellschaften,<br />
es entstehen Kosten für den Makler, denn die<br />
notwendigen Softwarelösungen hierfür kosten Geld.<br />
Der Softwarehersteller steht vor der Herausforderung,<br />
die Maklerpost bei allen Anbindungen des Maklers<br />
einzusammeln und möglichst automatisch zuzuordnen.<br />
Der BiPRO-Standard hilft dabei enorm, jedoch<br />
divergiert die Datenlieferung bei den einzelnen<br />
Gesellschaften. Es gibt verschiedene Autorisierungen<br />
(mit Login, TGIK, VDG oder Zertifikat), es gibt<br />
verschiedene Versionen des BiPRO Standards, und die<br />
Datensätze unterscheiden sich im Inhalt. Viele<br />
Hersteller von Maklerverwaltungsprogrammen<br />
kapitulierten bereits und setzen auf Anbieter wie<br />
Zeitsprung und B-Tixs, die sich auf das Thema<br />
spezialisiert haben. Diese Angebote sind entweder bei<br />
der Auswahl an Gesellschaften beschränkt, oder sie<br />
kosten extra – und das nicht<br />
wenig. Abgerechnet wird oft pro<br />
Dokumentabruf, was bei großen<br />
Maklerbüros schnell die Kosten<br />
in die Höhe treibt. Schnell stellt<br />
sich die Frage, ob es überhaupt<br />
Sinn macht, in eine eigene<br />
Infrastruktur zu investieren. Ist<br />
die Unabhängigkeit von<br />
einzelnen Akteuren überhaupt<br />
möglich? In anderen Branchen<br />
hat man sich längst damit arrangiert.<br />
Beim Einzelhandel ist<br />
Amazon der Platzhirsch, Ebay fast konkurrenzlos und in<br />
der Reisebranche konzentriert sich viel auf Booking.com<br />
und AirBNB. Einen Beigeschmack hat das ganze<br />
natürlich, die Partner haben hier nichts mehr zu<br />
entscheiden, es gilt nur noch „Friss oder Stirb“.<br />
Und im Maklergeschäft? Zunehmend wird hier versucht,<br />
dem Makler einen Teil des Kostenblockes<br />
"Digitalisierung" abzunehmen. Noch erscheint es harmlos,<br />
wenn immer mehr kostenlose Angebote aus dem<br />
Boden spriessen. Bisher eine Domaine der Maklerpools,<br />
den angebundenen Maklern, möglichst viel kostenlos<br />
zur Verfügung zu stellen, entdecken diesen Weg jetzt die<br />
Versicherungsgesellschaften. Die Argumente dafür sind<br />
klar, denn mit zunehmender Digitalisierung steigen die<br />
Kosten in dem Bereich. Wer diese Kosten dem Makler<br />
abnimmt, ist sein Freund.<br />
Jüngstes Beispiel ist das Angebot MeinMVP.<br />
Ursprünglich eine Idee der VHV, hat sich im Januar<br />
daraus der Verein meinMVP e.V. gegründet. Die<br />
Als Softwarehersteller<br />
versuchen wir<br />
ständig, uns in die<br />
Rolle der Versicherungsmakler<br />
zu<br />
versetzen.<br />
Mitglieder sind namhafte Versicherer, neben der VHV,<br />
der Volkswohlbund, die Itzehoer, die Haftpflichtkasse,<br />
KS Auxilia, die Gothaer und Swiss Life. Das Angebot ist<br />
verlockend, neben einem kostenlosen Maklerverwaltungsprogramm<br />
übernimmt der Verein die<br />
Lizenzkosten für die BiPRO-Lösung von Zeitsprung, die<br />
Vergleichssoftware von Franke und Bornberg und<br />
Thinksurance.<br />
Das meinMVP-Universum müssen die Makler nicht<br />
mehr verlassen, die Lösung reicht bis zur Antragseinreichung,<br />
eine Lösung zur eigenen Provisionsabrechnung<br />
ist auch schon geplant. Mit dieser Lösung<br />
macht man insbesondere den Maklerpools Konkurrenz,<br />
die ebenfalls für viele Softwarelösungen die<br />
Lizenzkosten übernehmen.<br />
Wie tragfähig dieses Modell ist,<br />
wird die Zukunft zeigen, denn<br />
der Verein hat mit dem<br />
kostenlosen Angebot nicht<br />
unerheblich Kosten zu tragen,<br />
die insbesondere dann steigen,<br />
wenn das Angebot von vielen<br />
genutzt wird. Ob sich die<br />
Vereinsmitglieder in der Frage<br />
der Finanzierung dauerhaft einig<br />
bleiben, ist offen. Wie<br />
unabhängig ist ein Makler über<br />
so eine Plattform?<br />
Wird es sich irgendwann auf die Versicherungsangebote<br />
der Vereinsmitglieder beschränken? Und wie objektiv<br />
sind dauerhaft überhaupt die Produktvergleiche? Denn<br />
mit zunehmenden Erfolg begeben sich auch die Anbieter<br />
der Vergleichsprogramme in eine gefährliche Abhängigkeit.<br />
Und was unterscheidet zum Schluss noch<br />
Makler A von Makler B, wie weit sind die Makler dann<br />
beliebig und austauschbar?<br />
Allround-Lösungen sind immer verlockend, besonders<br />
wenn Sie kostenlos sind. Bei den kostenlosen Angeboten<br />
von Facebook und Google haben wir alle längst<br />
verstanden, welchen Preis wir dafür zahlen.<br />
Und vergessen wir nicht, um was es letztendlich geht:<br />
„Daten sind der Rohstoff der Zukunft.“(Bundeskanzlerin<br />
Angela Merkel).<br />
Ein Gastkommentar von Dirk Pappelbaum<br />
35
Warum eine individuelle Nachfolge-<br />
Strategie sinnvoll ist<br />
Karsten Allesch<br />
Geschäftsführender Gesellschafter des<br />
Deutschen Maklerverbundes<br />
Die Unternehmensnachfolge will für Makler gut und professionell vorbereitet sein. Mit Blick<br />
auf den Ruhestand beschäftigt Versicherungsmakler häufig vor allem die Frage, wie sie einen<br />
geeigneten Nachfolger für den eigenen Bestand finden. Karsten Allesch weiß: Hierbei geht es<br />
für viele Makler um mehr als die bloße Verkaufssumme, die der Altersvorsorge dient. Der Geschäftsführer<br />
vom Deutschen Maklerverbund eröffnet deshalb in seinem Kommentar andere<br />
Perspektiven auf das Thema.<br />
Der Traum von der Sonne Portugals hat mich vor einigen<br />
Wochen mit einem langjährigen Partner unseres<br />
Verbunds auf eine Tasse Tee zusammengeführt. Er ist seit<br />
über 40 Jahren Makler im Großraum Hamburg und<br />
möchte nun mit seiner Frau zusammen mehr Zeit im<br />
Ruhestand genießen. Saisonal gern in Portugal, um dem<br />
manchmal so tristen Hamburger Wetter während Herbst<br />
und Winter zu entfliehen.<br />
Stellvertretend für eine Vielzahl von Maklern, mit denen<br />
ich ähnliche Gespräche seit einigen Monaten vermehrt<br />
führe, nenne ich ihn Wolf-Dieter. In den vergangenen<br />
25 Jahren hat er als selbstständiger Makler einen ansehnlichen<br />
Kundenbestand in den Bereichen Sach und<br />
Vorsorge aufgebaut. Er wollte sich mit mir darüber<br />
unterhalten, wie wir ihn bei seinen Plänen für den<br />
Ruhestand unterstützen können.<br />
Das Gespräch hat mir erneut vor Augen geführt, dass<br />
Technik nicht immer ein derart dominanter Faktor im<br />
Versicherungsgeschäft war. Ein wirklich guter Bestand,<br />
der heute zum Verkauf steht, hat seine Qualität vor allem<br />
deshalb, weil er oft seit mehr als 20 Jahren mit viel<br />
analogem Einsatz gepflegt wurde. Dank hoher<br />
Beratungskompetenz und zwischenmenschlicher<br />
Fähigkeiten sind im persönlichen Miteinander vertrauensvolle<br />
und starke Kundenbeziehungen aufgebaut<br />
worden.<br />
Die richtige Vorbereitung ist Gold wert<br />
Vielen Maklern und Vermittlern, die sich aktuell mit<br />
dem Thema der Nachfolge beschäftigen, geht es deshalb<br />
darum, das eigene Lebenswerk in kompetente Hände zu<br />
übergeben. Das Gespräch mit Wolf-Dieter, rund um<br />
sonnige Nachmittage in Faro, hat aber auch deutlich<br />
gemacht, dass jeder Fall anders zu betrachten ist. Es<br />
müssen viele Klippen bei der Unternehmensnachfolge<br />
umschifft werden.<br />
Idealerweise startet die Planung mehrere Jahre vor dem<br />
anstehenden Verkauf. Klar ist: Je größer der Zeitdruck,<br />
desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass Makler keinen<br />
Nachfolger nach Ihrem Geschmack finden. Oder sie<br />
36
verkaufen den Bestand unter Wert. Wie aber geht man<br />
eine solche Planung sinnvollerweise an?<br />
Wichtige Fragen für die<br />
Entscheidungsfindung<br />
Maklerverwaltungsprogramme (MVP) sind der Schlüssel<br />
zur erfolgreichen Vorbereitung in<br />
der Nachfolgersuche. Insbesondere<br />
umfassende 360-Grad<br />
Maklerplattformen bieten die<br />
Chance, den kompletten Versicherungsbestand<br />
zu digitalisieren<br />
und zu verwalten. Dabei ist<br />
es egal, ob Verträge über<br />
Direktvereinbarungen oder<br />
Maklerpools laufen.<br />
Sind in der digitalen Kundenakte<br />
alle Verträge und Dokumente,<br />
wie Anträge und Beratungsdokumentationen, hinterlegt,<br />
ist die schrittweise oder sofortige Einarbeitung des<br />
Nachfolgers problemlos möglich. Auch bieten<br />
fortschrittliche Softwarelösungen die Möglichkeit, den<br />
Wert des Bestands transparent zu machen.<br />
Welches Modell ist das richtige?<br />
Makler sollten sich genug Zeit nehmen, um<br />
herauszufinden was ihnen wichtig ist: Hoher<br />
Verkaufspreis oder Verrentung? Oder Run-off, sprich:<br />
das Auslaufen-lassen der Verträge bei kalkuliertem<br />
Bestandsabrieb? Im Gespräch mit Wolf-Dieter haben wir<br />
die drei gängigen Modelle ausführlich auf Vor- und<br />
Nachteile für ihn geprüft. Er kann sich durchaus<br />
vorstellen, Teilzeit weiter am Bestand zu arbeiten.<br />
Grundsätzlich war er jedoch an einem kompletten<br />
Verkauf interessiert.<br />
Geht es darum, einen Nachfolger zu finden, muss einiges<br />
im Vorfeld geklärt werden. Wie soll die Übergangsphase<br />
gestaltet werden? Und ist eine zwischenzeitliche<br />
Zusammenarbeit mit dem Nachfolgemakler sinnvoll?<br />
Nur wenn Makler wissen, was ihnen wichtig ist, kann<br />
ein Bestandsverkauf auch wirklich in ihrem Sinne<br />
erfolgen.<br />
Es lohnt sich, grundsätzlich über Alternativen zum<br />
Verkauf nachzudenken, denn ein Run-off ist im Regelfall<br />
finanziell deutlich interessanter. Mit dem passenden<br />
Maklerverwaltungsprogramm ist der Zeitaufwand häufig<br />
deutlich niedriger als zunächst gedacht.<br />
Es müssen viele<br />
Klippen bei der<br />
Unternehmensnachfolge<br />
umschifft<br />
werden.<br />
Der Bestand sollte also zwingend vollständig digitalisiert<br />
und über ein leistungsstarkes,<br />
onlinebasiertes MVP verwaltet<br />
werden, das viele Aufgaben<br />
automatisiert. Eine umfassende<br />
technische Plattform bietet<br />
beispielsweise integrierte Tools<br />
zur digitalen Kundenberatung.<br />
Möchte ein Makler im Falle eines<br />
Run-offs viel reisen oder einen<br />
zweiten Wohnort auf Faro haben,<br />
kann die Maklerverwaltungsplattform<br />
den Bedarf an persönlichen<br />
Terminen digital über<br />
Videoberatung, Screensharing und Apps lösen.<br />
Es ist keine Seltenheit, dass ein hoch digitalisierter<br />
Kundenbestand mit ein bis zwei Stunden pro Tag<br />
verwaltet werden kann. Was aber tun, wenn es besonders<br />
beratungs- und zeitintensive Kunden gibt? Die Frage<br />
stand beim Gespräch zwischen Wolf-Dieter und mir auch<br />
im Raum.<br />
In solch einem Fall kann es ratsam sein, diese Kunden<br />
beispielsweise an einen befreundeten Makler zu<br />
empfehlen. Der befreundete Makler hat somit die<br />
Möglichkeit, mit dem Kunden Neugeschäft zu machen<br />
und diesen als Empfehlungsgeber zu gewinnen.<br />
Was müssen insbesondere Nachfolger<br />
beachten?<br />
Fragen müssen sich auch Nachfolger stellen. Soll ein<br />
Bestand gekauft werden, ist auch hier elementar, wie<br />
digital der Bestand gepflegt wurde oder aufbereitet<br />
werden kann. Niemand sollte sich nach einem<br />
Bestandskauf durch dutzende analoge Aktenordner<br />
quälen müssen, um den ersten Kontakt mit einem Kunden<br />
aufzunehmen.<br />
Stattdessen ermöglicht ein gutes 360-Grad-Maklerverwaltungsprogramm,<br />
gezielt mit Kampagnen sofort in<br />
die Kundenkommunikation einzusteigen.<br />
Auch die Frage, wie der Kauf des Bestands finanziert<br />
werden kann, ist von grundlegender Bedeutung. Häufig<br />
kommen auf einen potenziellen Verkäufer bis zu<br />
37
50 interessierte Nachfolger, wenn der Bestand ausgeschrieben<br />
wird. Davon sind aber in der Regel maximal<br />
zehn Käufer bonitätsstark genug, den Kaufpreis auf den<br />
Tisch zu legen.<br />
Was ist ein angemessener Wert?<br />
Ein Unternehmenskredit bei der Hausbank ist ein<br />
gängiger, aber langwieriger Weg, den viele Nachfolger zur<br />
Finanzierung eines Bestandskaufes gehen. Die Gefahr ist,<br />
dass sich der Verkäufer in der Zwischenzeit mit einem<br />
anderen Kaufinteressenten einigt.<br />
Was sollte vertraglich abgedeckt sein?<br />
Grundsätzlich gilt: Kaufverträge sind individuell und<br />
unterliegen der Vertragsfreiheit. Es gibt allerdings einige<br />
gängige Inhalte, die sich als übliche Praxis etabliert haben.<br />
So wird der Kaufpreis in der Regel gesplittet an den<br />
Verkäufer gezahlt, weil die Übertragung des<br />
Versicherungsbestandes bis zu sechs Monate dauern kann.<br />
So könnte vertraglich beispielsweise eine Vorabzahlung<br />
von 50 Prozent und eine zweite Zahlung der restlichen<br />
50 Prozent nach der letzten Übertragung vereinbart<br />
werden.<br />
Eine andere für beide Seiten attraktive Möglichkeit ist die<br />
Verrentung. Bei diesem Modell partizipiert der Verkäufer<br />
in den Jahren nach dem Verkauf<br />
weiterhin an der Bestandspflege<br />
(oder es werden feste, wiederkehrende<br />
Raten vereinbart), ohne<br />
dass er als Makler tätig ist. Der<br />
Käufer muss hingegen nicht<br />
finanziell in Vorleistung gehen<br />
und kann risikofrei den Bestand<br />
übernehmen. Im Durchschnitt<br />
werden bei einer Verrentung<br />
etwas höhere Kaufpreise bezahlt.<br />
Da die Preise für Versicherungsbestände<br />
in den vergangenen<br />
Jahren immer weiter gesunken sind, werden Alternativen<br />
für viele Versicherungsmakler attraktiv. Deshalb ist auch<br />
Wolf-Dieter seit unserem Austausch an anderen Modellen<br />
abseits des Verkaufs interessiert.<br />
Der Wert eines Bestandes bemisst sich aus einer Vielzahl<br />
an Faktoren: Entscheidend sind neben Kriterien wie<br />
Digitalisierungsgrad auch Gesichtspunkte wie<br />
Durchschnittsalter der Kunden, Anzahl an Verträgen pro<br />
Kunde und vor allem die Verteilung der Einnahmen auf<br />
die einzelnen Sparten. Für die Verhandlungen ist es in der<br />
Regel übrigens nahezu überflüssig, ein Wertgutachten<br />
erstellen zu lassen.<br />
Kaufverträge sind<br />
individuell und<br />
unterliegen der<br />
Vertragsfreiheit.<br />
Wichtig: Der Kaufpreis ermittelt sich sinnvollerweise aus<br />
dem tatsächlich übertragenen Kundenbestand. Werden<br />
einzelne Verträge nicht übertragen,<br />
etwa weil die Kunden<br />
nicht zustimmen, reduziert sich<br />
der Kaufpreis entsprechend.<br />
Dieser Fall kann im Abschlagsmodell<br />
mit der Schlussrate<br />
verrechnet werden.<br />
Der Verkäufer sollte darüber<br />
hinaus verpflichtet werden, die<br />
Kunden über den Verkauf zu<br />
informieren und ihnen ein<br />
Widerspruchsrecht einzuräumen.<br />
Der verkaufende Makler kann<br />
anschließend den Nachfolger<br />
darüber informieren, welche Kunden der Übertragung<br />
widersprochen haben. Nur mit einem solchen Vorgehen<br />
sind die datenschutzrechtlichen Voraussetzungen zur<br />
Bestandsübertragung und Kontaktaufnahme durch den<br />
Nachfolger erfüllt.<br />
Courtagen, die nach dem Bestandskauf noch an den<br />
Verkäufer fließen, sollten dem Käufer vertraglich<br />
garantiert werden. Dies kommt regelmäßig vor, da viele<br />
Versicherer mehrere Monate benötigen, bis der<br />
Gesamtbestand übertragen wurde.<br />
Wie können Dienstleister helfen?<br />
Was nützt ein teures Gutachten eines Spezialisten, das<br />
dem Bestand einen hohen Wert zuschreibt, wenn es für<br />
diesen keine Käufer gibt? Wichtig ist vor allem, dass<br />
Makler für ihren Bestand mehrere Interessenten finden<br />
und einen realistischen Preis verhandeln. Der Wert ergibt<br />
sich ganz schlicht aus Angebot und Nachfrage.<br />
Dienstleister wie Maklerverbünde helfen nicht nur bei<br />
der Digitalisierung des Bestands oder einer selbst<br />
pflegenden Kundenverwaltung. Vielmehr entwickeln sich<br />
die besten zu Full-Service-Plattformen, wo auch das<br />
Thema Nachfolgeregelung unterstützt wird. Dies kann<br />
durch Checklisten, persönliche Hintergrundgespräche,<br />
Musterverträge oder ähnliches geschehen.<br />
38
Noch wichtiger ist allerdings die Marktplatz-Funktion,<br />
indem die Dienste Käufer und Verkäufer<br />
zusammenbringen. Das umfasst beispielsweise die<br />
anonyme Ausschreibung mit Kennzahlen zum Bestand an<br />
andere Partner in der Region, die Vermittlung und<br />
Kontaktherstellung sowie final auch die Unterstützung,<br />
sofern beide Seiten nicht vollständig selbstständig<br />
verhandeln wollen.<br />
Einigen sich Käufer und Verkäufer und der Bestand wird<br />
übertragen, zieht dies einen größeren Verwaltungsakt<br />
nach sich. Je besser die Maklerplattform ist, umso<br />
schlanker ist anschließend auch die Abwicklung. Ob der<br />
Aufbau neuer Direktvereinbarungen, damit der Bestand<br />
überhaupt erst übertragen werden kann, ob formale<br />
Prüfung auf Richtigkeit der Bestandsübertragung oder<br />
Weiterleitung: Der Verwaltungsaufwand im Anschluss an<br />
einen Kauf darf nicht unterschätzt werden.<br />
Wie Wolf-Dieter sich entschieden hat? Er hat zuhause<br />
mit seiner Frau gesprochen und gefragt, ob sie es aushält,<br />
wenn er in Faro mit dem Laptop den Großteil seines<br />
ruhigen Kundenstamms weiter betreut. Und für die<br />
besonders betreuungsintensiven Kunden gibt<br />
Wolf-Dieter das Maklermandat voraussichtlich ab und<br />
empfiehlt diese Kunden einem befreundeten jüngeren<br />
Makler.<br />
Ein Gastkommentar von Karsten Allesch
Zukauf von Maklerbeständen und<br />
Firmen – ein kurzer Leitfaden<br />
Daniel Seeger<br />
Geschäftsführer von 3 Tochter-GmbHs<br />
Daniel Seeger und Tino Scraback haben im vergangenen Jahr drei Tochter GmbHs und mehrere<br />
Bestände aufgekauft – die es anschließend in die eigene Firma zu integrieren galt. Worauf<br />
Versicherungsmakler beim Kauf einzelner Bestände oder ganzer Firmen achten sollten, weiß<br />
er folglich aus eigener Erfahrung zu berichten. Auf der Webseite www.versicherungsbestandkaufen.de<br />
bieten die beiden Macher Ihr Wissen für angehende Bestandskäufer an. Einige<br />
wichtige Punkte nennt Daniel Seeger am Beispiel der eigenen Bestandskäufe.<br />
Zu Beginn sei vorangestellt: Zwischen Bestandskauf und<br />
Firmenkauf gilt es zu unterscheiden – je nachdem, ob<br />
lediglich ein Bestand oder eine ganze Firma gekauft wird.<br />
Im Folgenden soll der Bestandskauf und Integration des<br />
Bestands in die bestehende Firma betrachtet werden:<br />
1. Kundenschreiben: Das Wichtigste zum Übertragen<br />
der Bestände auf Ihre Firma (oder Ihren Pool) ist das<br />
Anschreiben, in dem die Kunden über den Verkauf<br />
informiert werden. Das ist Grundlage für das<br />
CoC-Verfahren: also das Verfahren zur Übertragung<br />
sensibler Daten nach jenem Verhaltenskodex (Code of<br />
Conduct), der den Umgang mit personenbezogenen<br />
Daten in der Versicherungswirtschaft regelt.<br />
2. Bestandsübernahmeerklärung: meint das offizielle<br />
Dokument, mit dem der Verkäufer den Bestand an Sie<br />
überträgt. Dieses muss für jede Gesellschaft separat<br />
ausgefüllt und unterschrieben werden. Die Gesellschaften<br />
haben hier jeweils Ihre individuellen Vorlagen.<br />
Werden die Bestände zu einem Pool übertragen, haben<br />
manchen Pools eigene Bestandsübernahmeerklärungen<br />
als Vorlagen. Wichtig dabei ist, dass der Verkäufer als<br />
übernehmender Makler den Bestand an den Pool abgibt.<br />
Sie tauchen auf dem Formular als eigentlicher Käufer<br />
dann gar nicht auf.<br />
3. Widerrufe: Sicherlich werden einige Kunden der<br />
Übertragung der Daten widersprechen. Bei uns sind das<br />
meist nur ein bis zwei Prozent der Angeschriebenen.<br />
Diese Kunden sind für Sie wertlos. Wir sagen dem<br />
Verkäufer dann, dass er die Kunden in die freie<br />
Betreuung der Gesellschaft geben soll. Warum? Weil<br />
dann die komplette Agenturnummer auf Sie übertragen<br />
werden kann, sobald die Widerrufler raus sind. Das geht<br />
viel schneller als eine Teilbestand-Übertragung.<br />
Es drohen Fallstricke<br />
Im optimalen Fall könnten nach Abarbeitung der drei<br />
oben genannten Schritte alle Verträge zu Ihnen übertragen<br />
werden. Leider läuft das nie zu 100 Prozent rund, da<br />
einige Fallstricke existieren:<br />
Hat der Verkäufer Bestände bei Pools? Dann ist die<br />
Freigabe zusätzlich durch den Pool notwendig (und<br />
zwar für jede einzelne Gesellschaft).<br />
40
▷<br />
▷<br />
▷<br />
▷<br />
Gibt es Sonderkonzepte, beispielsweise Verträge der<br />
Genossenschaft VEMA? Dann ist die Übertragung<br />
schwierig, besonders zu einem anderen Pool.<br />
Gibt es Gesellschaften, die kein CoC akzeptieren?<br />
Dann müssen direkt neue Vollmachten eingeholt<br />
werden.<br />
Liegen bei Gesellschaften weniger als fünf bis zehn<br />
Verträge? Dann wird meist auch direkt eine neue<br />
Maklervollmacht notwendig.<br />
Die Umgehung der Fallstricke ist machbar – es<br />
stellen sich mit den Problemen lösbare Aufgaben.<br />
Der Zeitaufwand sollte aber nicht unterschätzt<br />
werden.<br />
Hier weitere nützliche Tipps und Tricks, die<br />
bei einem Bestandskauf beachtet werden<br />
sollten:<br />
▷<br />
▷<br />
▷<br />
E-Mail Weiterleitung und Telefon-Umleitung: Die<br />
Kunden finden in Ihren Unterlagen noch die<br />
Verkäufer-Kontaktdaten. Diese leiten wir zu uns um<br />
auf eine separate Nummer. So verlieren wir keine<br />
Kunden, weil sie „uns“ nicht mehr erreichen.<br />
Provisionsweitergabe: Bis Geld nach der Bestandsübertragung<br />
bei uns ankommt, dauert es sechs bis<br />
zwölf Monate. In der Zeit muss der Verkäufer<br />
monatlich eine Abrechnung erstellen. Wir geben ihm<br />
dafür Vorlagen an die Hand und überprüfen die<br />
Daten mit ihm.<br />
Import Kundendaten: Wir importieren nur aktuelle<br />
GDV- oder CSV-Daten, die wir von den Gesellschaften<br />
erhalten, in unser System – also KEINE<br />
Excel-Datei aus dem Maklerverwaltungsprogramm<br />
(MVP) des Verkäufers. Wir unterstützen den<br />
Verkäufer lieber beim Besorgen aktueller<br />
GDV-Daten – weil es uns nützt. Halten Sie das MVP<br />
möglichst sauber und aktuell – das erhöht dann<br />
später auch den Wert der eigenen Firma.<br />
To-Do-Liste nach dem Kauf einer GmbH<br />
Sobald Sie überlegen, anstelle des „einfachen<br />
Bestandskaufs“ die ganze Firma eines Verkäufers zu<br />
übernehmen, sind die Aufgaben nach Unterschrift unter<br />
dem Kaufvertrag gänzlich andere. Hier kurz eine<br />
Zusammenstellung am Beispiel eines GmbH-Kaufs,<br />
worauf zu achten ist.<br />
1. Formalitäten:<br />
▷ Handelsregistereintragung prüfen: Sind Gesellschafter,<br />
Geschäftsführer, Adresse, Tätigkeit korrekt<br />
eingetragen? Bei uns gab es einmal die Situation, dass<br />
noch eine Prokura an einen bereits ausgeschiedenen<br />
Mitarbeiter im Handelsregister eingetragen war.<br />
Daher empfiehlt es sich, immer VOR dem<br />
Notarvertrag den Handelsregisterauszug genau<br />
anzuschauen. Wir haben das versäumt und mussten<br />
dann ein zweites Mal zum Notar, um die Prokura zu<br />
entfernen – ärgerlich, da zusätzlich Zeit und Geld.<br />
▷ IHK-Registrierung: Wechselt der Geschäftsführer,<br />
der die Erlaubnis hatte (was ja meist der Fall ist),<br />
müssen bei der IHK wieder alle Unterlagen für die<br />
Erlaubnis 34d (oder weitere) eingereicht werden<br />
– also von Sachkundenachweis bis Führungszeugnis.<br />
Eine Checkliste hierzu gibt es bei der IHK. Wichtig:<br />
Alle Unterlagen sollten im Original vorliegen und<br />
nicht älter als drei Monate sein.<br />
▷ Gewerbeummeldung: Die Mitteilung des neuen<br />
Geschäftsführers mit Handelsregister-Auszug per<br />
Mail an das Gewerbeamt genügt hierfür.<br />
▷ Webseiten, Briefpapier, Signaturen, Impressum,<br />
Datenschutzerklärung, Erstinformation, Maklermandat<br />
& Maklervollmacht: Wichtig – überall<br />
aktualisieren und anpassen. Manchmal vergisst man<br />
da schnell die eine oder andere Änderung.<br />
2. Bankkonten:<br />
Wenn möglich, empfiehlt sich der persönliche Besuch mit<br />
dem Verkäufer bei der jeweiligen Bank. Personalausweis<br />
und Handelsregister-Auszug sowie alle wirtschaftlich<br />
Berechtigten sind vorher der Bank mitzuteilen, dann geht<br />
der Termin schneller. Persönlich ist besser, weil es dann<br />
auch ‚reibungslos‘ funktioniert. Bei der Volksbank haben<br />
wir bisher zum Beispiel sehr gute Erfahrungen gemacht.<br />
Die Deutsche Bank hingegen war eher eine Katastrophe.<br />
Hier hat es fünf bis sechs Wochen gedauert, ehe ich<br />
Kontozugriff hatte. Empfehlung: die Kontovollmacht/<br />
den Online-Zugang des Verkäufers erst sperren, wenn Sie<br />
selbst Zugang haben. Das setzt natürlich ein gewisses<br />
Vertrauen voraus.<br />
3. Mitteilung an Gesellschaften/ Pools:<br />
Ziemlich nervig bei vielen Direktanbindungen ist es, alle<br />
Gesellschaften über den Wechsel der Gesellschafter und<br />
Geschäftsführer zu unterrichten. Die Courtagezusagen<br />
bleiben bestehen, die Gesellschaften wollen aber<br />
mindestens den Ausweis des Geschäftsführers und<br />
Handelsregister-Auszug. Viele kommen dann mit<br />
Zusatzunterlagen bzw. wollen eine Bürgschaft. Das<br />
vermeiden wir, indem wir über die Direktanbindungen<br />
keine vordiskontierten Provisionen mehr auszahlen<br />
lassen. Der Verkäufer wird aber auch aus der Bürgschaft<br />
raus wollen, was zu beachten ist.<br />
41
4. Bestehende Verträge:<br />
Mietvertrag, VSH, Arbeitsverträge, Strom, Dienstleister,<br />
Pools, Leasing, Datenmüll, Steuerberater etc.:<br />
grundsätzlich empfiehlt es sich, zur Übergabe eine Liste<br />
aller Verträge, die die Firma hat, zu erstellen und zu<br />
überprüfen. Meistens finden wir<br />
hier Einsparpotenzial (Strom,<br />
VSH, Dienstleister) oder<br />
vereinheitlichen die Verträge/<br />
Dienstleister (Arbeitsvertrag/<br />
Steuerberater).<br />
5. Aufbewahrungspflichtige<br />
Unterlagen:<br />
Meint prinzipiell das Wichtigste,<br />
was wir tatsächlich in Papier- und<br />
Ordnerform aufbewahren. Die<br />
Buchhaltungsunterlagen der<br />
letzten 10 Jahre müssen bei<br />
Übergabe der Firma mit übergeben werden (oder sie<br />
liegen gerade wegen einer Prüfung beim Steuerberater).<br />
6. Login und Benutzerdaten<br />
Im Idealfall hat der Verkäufer eine gepflegte Liste mit<br />
allen Login-Daten, die für die Führung des Unternehmens<br />
wichtig sind: Gesellschafts-Login, Easy-Login,<br />
Pools, Webseiten-Login (bei Baukasten), Login für<br />
Domain und Mailserver, Bewertungsportale, Facebook-<br />
Fanpage (Admin übernehmen), MVP. Übergabe der<br />
Tokens für beispielsweise Easy-Login oder VHV nicht<br />
vergessen!<br />
Bisher passierte es uns tatsächlich einmal, dass bei der<br />
Übergabe so gut wie keine Login-Daten mehr vorhanden<br />
waren, da eine vorherige Mitarbeiterin bei Entlassung<br />
alles gelöscht hat. Das ist natürlich ein Desaster und<br />
macht viel Arbeit.<br />
7. Maklerverwaltungsprogramm (MVP)<br />
In den seltensten Fällen hat der Verkäufer das gleiche<br />
MVP genutzt wie wir. Daher ist die Übertragung der<br />
Kundendaten (mitsamt aller Dokumente) eine<br />
Herausforderung. Direkt nach Übernahme spiegeln wir<br />
den Server des Verkäufers auf unsere Server als<br />
Sicherheit. In der Übergangszeit (circa sechs bis zwölf<br />
Monate) werden die Mitarbeiter, die den Bestand<br />
betreuen, mit zwei Verwaltungsprogrammen arbeiten<br />
(müssen). Wir übertragen in unser MVP grundsätzlich<br />
nicht den Download aus dem „alten MVP“, sondern<br />
fordern bei den Gesellschaften aktuelle GDV/<br />
CSV-Daten an. So vermeiden wir das Einspielen von<br />
Karteileichen und unnötigen Daten.<br />
8. Kundenbetreuung/ Kundenanschreiben<br />
Never change a running system – wir übernehmen gerne<br />
42<br />
Persönlich ist<br />
besser, weil es dann<br />
auch „reibungslos“<br />
funktioniert.<br />
die Mitarbeiter und erhalten die gewohnte Betreuung.<br />
Zusätzlich erweitern wir die Erreichbarkeit auf unsere<br />
normalen Bürozeiten von 8 bis 20 Uhr. Natürlich<br />
informieren wir alle Kunden über den Wechsel in der<br />
Geschäftsführerschaft und kommunizieren, wer wir sind.<br />
In dem Schreiben informieren<br />
wir dann auch über die<br />
Übertagung zu unserem Pool<br />
(falls wir den Bestand dorthin<br />
übertragen). Gibt es keine<br />
Mitarbeiter, kümmern sich<br />
bestehende Innen-/ Außendienstmitarbeiter<br />
um den<br />
Bestand. Wichtig ist hier die feste<br />
Zuweisung der Verantwortlichkeit<br />
(und Bonifikation) für<br />
die Betreuung des Bestands.<br />
Die ganze Firma zu kaufen ist auf den ersten Blick<br />
vielleicht die einfachere Variante, da nicht die ganzen<br />
Bestandsübertragungen anstehen. Der Aufwand ist<br />
allerdings nicht zu unterschätzen und letztlich ist die<br />
Frage zu klären: Was will ich zukünftig mit der<br />
Gesellschaft? Liquidation oder Weiterentwicklung?<br />
Einfach neben der eigenen Firma als Tochter<br />
unverändert weiter existieren lassen? Letztes halte ich<br />
nur in Ausnahmefällen für sinnvoll, da doppelt<br />
Buchhaltung, Steuerberater, VSH, etc. anfällt.<br />
Die Punkte sind natürlich nicht abschließend, aber<br />
immerhin ein Anhalt, was nach der Unterschrift beim<br />
Firmenkauf anfällt.<br />
Ein Gastkommentar von Daniel Seeger
Neues Robo-Advice-Angebot der Stuttgarter<br />
Advertorial<br />
Die Stuttgarter hat mit dem FONDSPiLOT eine innovative digitale Beratungslösung im Markt<br />
positioniert, die Vermittler bei der bedarfsgerechten Beratung zu reinen Fondspolicen und<br />
Hybridprodukten der Stuttgarter unterstützt.<br />
Der Vermittler kann das digitale Beratungstool erstens<br />
für die systemgesteuerte Ermittlung eines Anlegerprofils<br />
seines Kunden nutzen. Im Zuge dessen erhält er auch<br />
einen Vorschlag für ein passendes gemanagtes Portfolio.<br />
Zweitens steuert der FONDSPiLOT das gewählte<br />
Portfolio automatisch mit dem einzigartigen<br />
Algorithmus Stuttgarter Automatisches Management,<br />
kurz SAM. Der FONDSPiLOT erleichtert dem<br />
Vermittler die Beratung und gibt ihm zusätzliche<br />
Sicherheit. Damit hat Die Stuttgarter ein eigenes<br />
Robo-Advice-Angebot auf den Markt gebracht.<br />
Das Beratungstool des FONDSPiLOT führt Vermittler<br />
und Kunden durch 10 Fragen. Auf Basis der Antworten<br />
wird ganz automatisch das Anlegerprofil ermittelt.<br />
Diesem wird ebenso automatisch ein passendes<br />
gemanagtes Portfolio zugeordnet. Es stehen fünf<br />
verschiedene Portfolios mit unterschiedlichen Chance-<br />
Risiko-Profilen zur Verfügung.<br />
Funktionsweise des<br />
Stuttgarter FONDSPiLOT<br />
Zusammensetzung bei sich verändernden Märkten<br />
automatisch an das Risikoprofil des Kunden an –<br />
kostenfrei. Dabei berücksichtigt SAM speziell den<br />
langfristigen Anlagehorizont einer Altersvorsorge. Das<br />
unterscheidet den FONDSPiLOT von vielen anderen<br />
Robo-Advice-Angeboten im Markt. Zudem schafft eine<br />
tagesaktuelle Darstellung der Portfolios während der<br />
Vertragslaufzeit Transparenz.<br />
Mit dem FONDSPiLOT ist die Beratung für<br />
Vermittler einfach, schnell und noch sicherer.<br />
Weitere Infos: www.fondspilot.stuttgarter.de<br />
Jens Göhner<br />
Leiter Produkt- und<br />
Vertriebsmarketing<br />
Nutzt der Vermittler das Beratungstool, erhält er eine<br />
Dokumentation der Geeignetheit und Angemessenheit.<br />
Die Stuttgarter ist zurzeit der einzige Versicherer in<br />
Deutschland, der diese Möglichkeit bietet. Bevorzugt der<br />
Berater zur Ermittlung des Anlegerprofils eine eigene Lösung,<br />
kann er das gewünschte gemanagte Portfolio auch<br />
direkt anwählen.<br />
Der SAM-Algorithmus überprüft das Portfolio während<br />
der gesamten Vertragslaufzeit regelmäßig und passt die
Mehr Umsatz mit alten Kunden<br />
Je mehr Verträge ein Kunde bei Ihnen abschließt, umso<br />
effizienter nutzen Sie Ihren Kundenstamm. Stichwort:<br />
hohe Wertschöpfung. Im eigenen Kundenstamm findet<br />
sich oft jede Menge Kaufkraft. Wer Neukunden akquirieren<br />
will, muss erfahrungsgemäß richtig ranklotzen.<br />
Sichtbar werden, Konkurrenz ausstechen, Kompetenz<br />
beweisen, Vertrauen erarbeiten, liefern. Und dennoch<br />
verschenken viele Vermittler Potenziale und lassen das<br />
Zusatzgeschäft auf der Straße liegen.<br />
Gleiches Ziel, unterschiedliche<br />
Verkaufsstrategien<br />
Roger Rankel<br />
Verkaufstrainer der Finanzbranche<br />
Wie hoch ist<br />
eigentlich Ihre<br />
Vertragsdichte?<br />
Manche Vermittler haben es einfach<br />
drauf! Sie besitzen eine Vertragsdichte<br />
von 7,5, wohingegen andere<br />
Makler nur eine 1,3 haben. Sprich:<br />
Bei Ersteren hat ein einzelner Kunde<br />
sieben bis acht Verträge abgeschlossen.<br />
Das ist kein Witz und auch keine<br />
Hexerei. Denn die Rechnung ist ganz<br />
einfach. Ein Kommentar von Verkaufstrainer<br />
Roger Rankel.<br />
Cross- und Upselling - ein und dasselbe? Klar, gehört hat<br />
diese Begriffe jeder Vertriebler schonmal. Fälschlicherweise<br />
werden Cross- und Up-Selling jedoch häufig synonym<br />
verwendet. Mehr Umsatz lautet das Stichwort.<br />
Und vor allem mehr Ertrag mit derselben Anzahl an<br />
Kunden. Aber diese Begriffe benennen nicht ein- und<br />
dasselbe.<br />
Upselling = mehr Leistung<br />
Beim Upselling geht es darum, einen Zusatzverkauf<br />
durch ein höherwertigeres bzw. teureres Produkt im<br />
Vergleich zum Ausgangsprodukt zu generieren. Ein<br />
Beispiel: Reiseveranstalter bieten Ihnen bei der Buchung<br />
einer AIDA-Kreuzfahrt, anstatt einer günstigeren<br />
Innenkabine, die teurere Balkonkabine an.<br />
Cross Selling = mehr Verträge<br />
Cross Selling bedeutet, neben dem Ausgangsprodukt<br />
weitere Zusatzprodukte und Dienstleistungen mit zu<br />
verkaufen. Das heißt: Nachdem Sie die Kreuzfahrt<br />
gebucht haben, erhalten Sie von Ihrem Reiseveranstalter<br />
Angebote zu Ausflügen an den Landtagen, die Sie<br />
zusätzlich buchen können.<br />
Während Reiseveranstalter ganz selbstverständlich<br />
Upgrades und Zusatzprodukte anbieten, ist im<br />
Vermittlergeschäft noch viel Luft nach oben, wenn man<br />
sich die Statistiken zur Vertragsdichte anschaut. Etliche<br />
Versicherungsvermittler und -makler verschenken viel<br />
Potenzial in puncto Zusatzgeschäft. Und das, obwohl Sie<br />
direkt am Kunden dran sind.
So nutzen Makler Selling-Strategien zur<br />
Steigerung Ihres Umsatzes<br />
Übertragen wir das AIDA-Beispiel auf Ihr Beratungsgespräch:<br />
Ein Kunde kommt mit dem Anliegen zu Ihnen,<br />
im Falle eines Unfalls abgesichert zu sein. Sie führen eine<br />
Bedarfsanalyse durch. Mit dem Ergebnis: Statt nur eine<br />
Unfallversicherung anzubieten, beraten und verkaufen<br />
Sie letztlich eine Berufsunfähigkeitsversicherung on top.<br />
So ist Ihr Kunde nicht nur gegen Unfälle, sondern<br />
ebenfalls im Krankheitsfall abgesichert und vor dem<br />
finanziellen Ruin geschützt. Upsell check!<br />
Weil die BU aber in den meisten Fällen nicht bei einer<br />
längeren Arbeitsunfähigkeit zahlt, klären Sie Ihren<br />
Kunden ebenso über die Lücke auf, die sich nach sechs<br />
Wochen Lohnfortzahlung ergibt. Und schon haben Sie<br />
zusätzlich eine Krankentagegeldversicherung verkauft.<br />
Cross Sell check!<br />
Cross Selling durch Kundenbindung<br />
Die Voraussetzung für Cross Selling, um Zusatzgeschäft<br />
zu generieren, könnten nicht besser sein.<br />
Versicherungsvermittler mit einer langjährigen und<br />
persönlichen Beziehung zur Stammkundschaft haben<br />
eine ideale Ausgangslage, um die großen Ertragspotenziale<br />
des Cross Selling zu heben. Ihren Altkunden<br />
müssen Sie nichts mehr beweisen. Der Kompetenzcheck<br />
ist längst bestanden. Die Vertrauensbasis ist aufgebaut.<br />
Über Jahre haben Sie sich riesige Bestände aufgebaut.<br />
Und nun sitzen Sie auf Ihren Beständen und überlegen<br />
immer weiter, wie Sie an neue Kunden rankommen. Wie<br />
groß ist ihr Bestand doch gleich? 1.000, 5.000, 10.000<br />
oder sogar mehr Kunden?<br />
Die Basics, um Cross Selling richtig einzusetzen, sind<br />
kein Hexenwerk. Und sie funktionieren für sämtlichen<br />
Versicherungssparten – ob Krankenzusatz-, Pflegezusatzoder<br />
Kompositversicherungen. Das schwierige Brot:<br />
Die proaktive Kundenansprache<br />
Der Kunde hat Sie innerlich oft „abgehakt“. Das Thema<br />
Finanzen hat er schlicht nicht mehr auf dem Schirm.<br />
Einfach schnöde: Anzurufen, „Guten Tag, Herr<br />
Schuster, ich hätte hier noch ein Produkt?“ Ziemlich<br />
öde. Eine weitere 08/15 Werbe-Mail? Klickt er weg oder<br />
die landet im Spam-Ordner. Wollen Sie Ihre<br />
Vertragsdichte erhöhen, sind clevere Marketing-<br />
Kampagnen gefragt.<br />
Mit E-Mail-Kampagnen zum Zusatzgeschäft<br />
Wer’s in der heutigen Zeit einfach haben will, setzt auf<br />
E-Mail-Marketing. Sie wissen ja: Finanzberatung<br />
funktioniert über Vertrauen und Beziehungspflege. Über<br />
E-Mails können Sie gut Kontakte halten. Und E-Mail-<br />
Kampagnen eignen sich ideal für Cross-Selling. Mit<br />
Cross-Selling optimieren Sie die Vertragsdichte am<br />
einfachsten.<br />
E-Mail-Kampagnen sind, bezogen auf den Kosten-<br />
Nutzen-Faktor, extrem erfolgreich. Und dabei unendlich<br />
skalierbar, ohne dass die Kosten steigen. Nutzen Sie also<br />
Ihren Adresspool. Stellen Sie sich vor: Bei 500 E-Mails<br />
melden sich zehn zurück. Zehn Termine! Mit einer Mail.<br />
So schnell können Sie keinen Neukunden an Land<br />
ziehen. Hier noch zwei Tipps, um die Antwort-Quote zu<br />
erhöhen:<br />
Zwei Ziele, eine E-Mail<br />
Das Wichtigste bei Ihrer E-Mail-Kampagne: Verfolgen<br />
Sie immer zwei Ziele, ihr eigenes (Verkauf) und das Ihres<br />
Kunden (Nutzen). Passen Sie die Inhalte der E-Mail<br />
entsprechend an und stellen die Kundenbedürfnisse in<br />
den Vordergrund – nicht das Zusatzprodukt!<br />
Gut betitelt, ist halb gekauft<br />
Der erste Eindruck zählt. Tag für Tag landen etliche<br />
E-Mails im Posteingang. Der Kunde muss also sofort<br />
erkennen, worum es geht, am besten schon im Betreff.<br />
Nach dem Motto: Außen hui, innen yes. Die Überschrift<br />
muss knallen. So brauchen die Kunden die Mail nur zu<br />
öffnen, wenn sie Interesse haben.<br />
Sie sehen: Mit E-Mail-Marketing bringen Sie Ihren<br />
Bestand auf ein neues Level. Sie werden staunen, wie viel<br />
Sie aus Ihrem Bestand noch herausholen können.<br />
Blättern Sie diese Ausgabe doch einmal bewusst durch<br />
und überlegen Sie, welche Zusatzversicherung sich für<br />
Ihre nächste E-Mail-Kampagne anbieten würde.<br />
Ein Gastkommentar von Roger Rankel<br />
45
Warum Makler mehr Zusatzversicherungen<br />
verkaufen sollten<br />
Die Digitalisierung und die betriebliche Krankenversicherung verschaffen Zusatzversicherungen<br />
einen neuen Schub. Makler haben beim Geschäft mit den Krankenzusatzpolicen eine<br />
wichtige Funktion – und können selbst davon profitieren. Ein Gastkommentar von<br />
Stephanie Griese, Bereichsleiterin Produktentwicklung und -management der<br />
SIGNAL IDUNA Krankenversicherung a. G.<br />
Jeder fünfte Kunde wird durch einen Makler auf eine<br />
Krankenzusatzversicherung aufmerksam. Zu diesem<br />
Ergebnis kommt eine<br />
gemeinsam mit der Strategieberatung<br />
Simon-Kucher &<br />
Partners durchgeführte<br />
repräsentative Studie seitens<br />
der SIGNAL IDUNA. Befragt<br />
wurden 1.500 Personen, die in<br />
den letzten 36 Monaten eine<br />
Krankenzusatzversicherung in<br />
Deutschland entweder abgeschlossen<br />
hatten oder dies<br />
aktuell beabsichtigen.<br />
Schaut man sich die Hauptmotive<br />
für eine Krankenzusatzversicherung<br />
während<br />
der Kundenreise von der<br />
Ansprache bis zum Abschluss<br />
an, so möchten 60 Prozent<br />
zusätzliche Behandlungen und<br />
Leistungen wahrnehmen<br />
können. 44 Prozent verfolgen<br />
das Ziel, nicht ihr Vermögen<br />
durch Arzt- und Krankenhausbehandlungen belasten zu<br />
müssen, die die gesetzlichen Krankenkassen nicht<br />
übernehmen.<br />
Makler sind ein wichtiger Anlaufpunkt<br />
Präsenz auf allen Kanälen ist erforderlich, damit der<br />
Kunde den Abschluss tätigt. Denn der digitale Fortschritt<br />
und hybride Kunden haben die Anforderungen an Makler<br />
verändert.<br />
Vier von fünf Kunden haben während der Customer<br />
Journey mindestens einen Onlinekontaktpunkt und jeder<br />
dritte Kunde besucht die Unternehmenswebsites. Anders<br />
46<br />
Stephanie Griese<br />
Bereichsleiterin Produktentwicklung und<br />
-management bei der SIGNAL IDUNA<br />
aber als bei der Kfz- und der Risikolebensversicherung<br />
lässt sich jeder dritte Kunde zur privaten Krankenzusatzversicherung<br />
beraten und<br />
schließt auch offline ab. Positiv<br />
für die hauptsächlich physischen<br />
Vertriebswege ist daher, dass<br />
sich lediglich 12 Prozent der<br />
Kunden ausschließlich online<br />
informieren, beraten lassen und<br />
auch den Antrag stellen.<br />
Voraussetzungen für einen<br />
Produktabschluss werden<br />
seitens der Kunden klar<br />
formuliert: Die Leistungen einer<br />
Krankenzusatzversicherung<br />
müssen zu den persönlichen<br />
Bedürfnissen passen, zudem hat<br />
das Produkt eine positive<br />
Bewertung vorzuweisen. Der<br />
Preis ist nicht unbedingt ausschlaggebend.<br />
Viel Zeit vergeht<br />
zwischen Ansprache und<br />
Abschluss nicht, denn zwei von<br />
drei Kunden tätigen ihren Abschluss innerhalb einer<br />
Woche. Die anschließende Online-Vertragsverwaltung<br />
wiederum ist für sowohl den Offline- als auch den<br />
Onlinekunden wichtig.<br />
Kunden erhalten mit einer Krankenzusatzversicherung<br />
einen deutlichen Mehrwert. Sie schließen gezielt die<br />
Lücken, die die Gesetzlichen Krankenkassen offen lassen<br />
und die für sie Vorrang haben – von der Chefarztbehandlung<br />
im Krankenhaus über den Zahnersatz bis<br />
zur Brille. Die Kosten dafür sind überschaubar, die<br />
notwendigen Erläuterungen ebenfalls. Beide Seiten,<br />
Makler wie Kunden, profitieren am Ende recht schnell<br />
und einfach von einer Krankenzusatzversicherung.
Die betriebliche Krankenzusatzversicherung<br />
als Beitrag zur Nachhaltigkeit<br />
Auch die Tarife der betrieblichen Krankenversicherung<br />
(bKV) eignen sich perfekt für das Maklergeschäft. Denn<br />
der Markt für die betriebliche Krankenversicherung ist<br />
noch lange nicht erschlossen. Zudem spricht die bKV das<br />
immer wichtiger werdende Thema der Nachhaltigkeit an.<br />
Nachhaltige Betriebsausrichtung – Corporate Social<br />
Responsibility – was bedeutet das für Sie als Makler?<br />
Ganz einfach: Ein nachhaltiges Leben steht bei vielen<br />
Menschen im Fokus, auch im Arbeitsleben. Eine<br />
nachhaltige Unternehmenskultur bedeutet auch:<br />
Verantwortung für seine Mitarbeiter zu übernehmen. An<br />
dieser Stelle können Makler eine Schlüsselposition bei<br />
ihren Firmenkunden einnehmen. Wie funktioniert das?<br />
Image. Auch Familienmitglieder der Arbeitnehmer<br />
profitieren: Sie können ebenfalls zu besonderen<br />
Konditionen eingeschlossen werden.<br />
Die bKV ist heute für die Mitarbeitergewinnung und das<br />
Zugehörigkeitsgefühl zu einem Unternehmen einfach<br />
unentbehrlich. Die betriebliche Krankenversicherung<br />
schafft so eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten.<br />
Ein Gastkommentar von Stephanie Griese<br />
Für Arbeitgeber ist die betriebliche Krankenversicherung<br />
ein attraktives Instrument zur nachhaltigen Betriebsausrichtung,<br />
zu Mitarbeiterbindung und -findung, gerade in<br />
Zeiten des Fachkräftemangels. Die Zufriedenheit und<br />
damit auch die Produktivität der Mitarbeiter werden<br />
gefördert, Ausfallzeiten können nachweislich verringert<br />
werden und gleichzeitig verbessert der Arbeitgeber sein
Dr. Matthias Effinger<br />
Vorstandsmitglied für Kunden- und<br />
Leistungsservice ARAG<br />
Der Patient will in<br />
seinen komplexen<br />
Zusammenhängen<br />
wahrgenommen<br />
werden!<br />
Mit privaten Krankenzusatzversicherungen lassen sich auch Heilpraktiker-Behandlungen absichern:<br />
obwohl deren medizinischer Nutzen heftigst umstritten ist. Warum sich solche Verträge<br />
aus Maklersicht lohnen können und was die Idee hinter solchen Policen ist, erklärt im Interview<br />
Dr. Matthias Effinger, Vorstandsmitglied der ARAG Krankenversicherungs-AG und<br />
dort unter anderem für Kunden- und Leistungsservice zuständig.<br />
<strong>Versicherungsbote</strong>: Die Zahl der verkauften Zusatzversicherungen<br />
ist in den letzten Jahren stetig angestiegen<br />
und hat inzwischen die Marke von 20 Millionen Verträgen<br />
übersprungen. Warum sind Zusatz-Policen für Kunden<br />
und auch für Vermittler so interessant?<br />
Matthias Effinger: Gesundheit ist ein sehr emotionales<br />
Thema und kann – positiv besetzt – ein wichtiger<br />
Türöffner beim Kunden sein. Die gesetzliche<br />
Krankenversicherung finanziert in Deutschland eine<br />
wirtschaftliche und zweckmäßige medizinische<br />
Versorgung. Allerdings gibt es zahlreiche schulmedizinische<br />
oder alternative Behandlungsmöglichkeiten,<br />
die für Kunden attraktiv sind, für die die<br />
gesetzliche Kasse aber nicht oder nur teilweise<br />
aufkommt. Private Krankenzusatzversicherungen sorgen<br />
hier für optimalen Schutz. Wer ein ernstes<br />
gesundheitliches Problem hat, wird sich im Zweifel<br />
lieber dem Chefarzt anvertrauen. Beim Thema<br />
Zahnmedizin kann sich eine Zusatzversicherung sehr<br />
schnell auszahlen. Aber auch für spezielle Zielgruppen<br />
gibt es passende Angebote – etwa im Bereich der<br />
Alternativmedizin.<br />
Der Großteil der bestehenden Zusatzversicherungen<br />
sind Zahnzusatz-Policen. Warum haben es andere Policen<br />
wie etwa die Heilpraktiker-Zusatzversicherung dagegen<br />
deutlich schwerer?<br />
Das Thema Zahngesundheit betrifft einfach jeden.<br />
Zudem gibt es hier sehr oft Eigenanteile – insbesondere<br />
im Bereich Zahnersatz –, die schnell sehr hoch ausfallen<br />
können. Policen mit Heilpraktiker-Leistungen sprechen<br />
hingegen naturgemäß kleinere Zielgruppen an. Was<br />
jedoch nicht heißt, dass diese nicht ebenfalls wichtig<br />
sind.<br />
Wie die Ärztezeitung unter Berufung auf eine Praxisbefragung<br />
berichtet, sind typische Patienten in Heilpraktiker-Praxen<br />
„weiblich, gut gebildet und praxistreu“.<br />
Können Sie diese Erfahrungen an Hand Ihres Kundenbestands<br />
in diesem Bereich bestätigen? Und sollten Vermittler<br />
diese „typischen Profile“ in der Akquise nutzen?<br />
Ja, das deckt sich. Ganz unabhängig vom Geschlecht<br />
wissen wir aber auch, dass ein Patient, der einen<br />
Heilpraktiker aufsucht, meist nicht nur aufgrund eines<br />
48
akuten Vorfalls dorthin geht, sondern er als Mensch mit<br />
all seinen komplexen körperlichen und psychischen<br />
Zusammenhängen wahrgenommen werden möchte.<br />
Wichtig ist diesen Patienten zudem, dass sich der<br />
Therapeut für sie und ihre gesundheitlichen Themen<br />
ausreichend Zeit nimmt. Wir stellen auch fest, dass Eltern<br />
für ihre Kinder gerne Verfahren der alternativen Medizin<br />
in Anspruch nehmen, insbesondere Homöopathie und<br />
Osteopathie. Wenn der Vermittler einen solchen Bedarf<br />
erkennt, trifft er mit entsprechend passenden<br />
Zusatzversicherungen sicher auf offene Ohren.<br />
Wie kann diese Absicherung mehr als nur ergänzendes<br />
Nischenprodukt werden?<br />
Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Neben den eher<br />
klassischen Zusatzversicherungstarifen bieten wir zudem<br />
auch für Verbraucher und Kunden, die spezielle<br />
Bedürfnisse absichern wollen, sinnvollen Versicherungsschutz<br />
an – wie etwa auch Behandlungen durch<br />
Heilpraktiker.<br />
Immer mehr gesetzliche Krankenkassen übernehmen alternative<br />
Heilmethoden wie Homöopathie, sobald die<br />
Behandlung unter ärztlicher Kontrolle stattfindet. Mit<br />
welchen Punkten können Vermittler hier mit Zusatz-Policen<br />
punkten?<br />
Auch wenn sich manche Kassen für solche Angebote<br />
durch Ärzte öffnen, gibt es immer noch eine Vielzahl an<br />
Kunden, die eben nicht zum Arzt, sondern beispielsweise<br />
zum Heilpraktiker gehen wollen. Darüber hinaus werden<br />
auch meist nicht alle Kosten übernommen, sondern nur<br />
ein Teil. Hier leistet die private Zusatzversicherung<br />
deutlich mehr.<br />
Das Berufsbild des Heilpraktikers ist nicht unumstritten.<br />
So sehen sich viele alternative Behandlungsmethoden in<br />
Konkurrenz zu Behandlungsverfahren der wissenschaftsorientierten<br />
Medizin. Gerade Schulmediziner aber betrachten<br />
diese Haltung als Problem und kritisieren<br />
fehlende wissenschaftliche Standards für alternative<br />
Heilmethoden. In welcher Ecke stehen Sie?<br />
Können Sie beispielhaft drei oder vier populäre alternative<br />
Verfahren nennen?<br />
Eine Domäne der Heilpraktiker ist die klassische<br />
Homöopathie mit hochpotenzierten Einzelsubstanzen.<br />
Die Ende des 18. Jahrhunderts entwickelte Medizintheorie<br />
geht davon aus, dass eine Substanz, die in hoher<br />
Dosierung ein Krankheitssymptom auslösen würde, das<br />
dem zu behandelnden ähnlich ist, dieses in hoher<br />
Potenzierung zum Verschwinden bringt, indem sie die<br />
körpereigene Regulation stimuliert. Populär ist auch die<br />
Osteopathie, die im 19. Jahrhundert entstanden ist. Der<br />
Osteopath regt mit manuellen Techniken die<br />
Selbstheilung bei verschiedensten Krankheitsbildern an.<br />
Jahrtausende alt sind das indische Ayurveda und die<br />
Traditionelle Chinesische Medizin (TCM). Beide<br />
Heilsysteme basieren auf Denkansätzen, die von den<br />
Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaften<br />
abweichen. Dennoch wird Akupunktur beispielsweise in<br />
der orthopädischen Praxis nicht selten eingesetzt, zum<br />
Beispiel bei Kniegelenksarthrose.<br />
Was empfehlen Sie Maklern, die Heilpraktiker-Zusatzversicherungen<br />
vermitteln wollen?<br />
Wie bereits erwähnt, ist das Thema Gesundheit eine<br />
wichtige Tür zum Kunden. Und Zusatzversicherungen<br />
sind hier ein guter Schlüssel. Bei der Bedarfsermittlung ist<br />
es sinnvoll, neben den üblichen Absicherungen über<br />
ambulante, stationäre oder Zahntarife auch eine Affinität<br />
zu alternativen Heilmethoden beim Kunden abzufragen.<br />
Vielleicht hatte er ja schon einmal positive Erfahrungen<br />
mit Akkupunktur, Osteopathie oder ähnlichem gemacht<br />
und würde bei künftigen Beschwerden auch gerne wieder<br />
solche Methoden in Anspruch nehmen. Allerdings zahlt<br />
die gesetzliche Kasse nichts oder nur einen kleinen Teil.<br />
Hier kann dann eine private Zusatzversicherung punkten.<br />
Aber Achtung, auch hier gilt: Für eine Kostenübernahme<br />
muss immer eine medizinische Notwendigkeit vorliegen.<br />
Wellnessbehandlungen werden auch von der privaten<br />
Krankenversicherung nicht übernommen.<br />
Die Fragen an Dr. Effinger stellte Sven Wenig<br />
Ganz klar: in der Ecke unserer Kunden. An ihnen und<br />
ihren Bedürfnissen richten wir unser Unternehmen und<br />
unsere Produkte aus. Und da es viele Kunden und<br />
Verbraucher gibt, denen eine Behandlung aus dem<br />
Bereich der Alternativmedizin wichtig ist, bieten wir für<br />
diese auch entsprechende Tarife an.<br />
49
Advertorial<br />
Wie Wolfgang im hohen Alter seine Würde<br />
erhält – mit der Pflegevorsorge der SDK<br />
Sie kennen Wolfgang nicht? Wolfgang ist 76 Jahre alt. Seit einem Schlaganfall sitzt er im Rollstuhl.<br />
Inzwischen kommt er damit ganz gut klar. Unter anderem wegen Ida, seiner Nachbarin.<br />
Lesen Sie hier, wie Ida Wolfgang beim Älterwerden mit Würde geholfen hat – und welche Rolle<br />
Wolfgangs Pflegeversicherung dabei gespielt hat.<br />
Sein Leben lang hatte Wolfgang als Geschäftsführer<br />
Entscheidungen getroffen. Deshalb warf ihn die<br />
Tatsache, plötzlich an<br />
den Rollstuhl gefesselt<br />
zu sein, vollkommen aus<br />
der Bahn. Aber dank<br />
seiner Pflegezusatzversicherung<br />
der SDK war<br />
er gut abgesichert.<br />
Dadurch erhielt er eine<br />
umfassende Beratung<br />
durch seinen Versicherungsmakler<br />
und<br />
entschied sich für eine<br />
kleine Zwei-Zimmer-<br />
Wohnung in einem<br />
Heim.<br />
Nachdem er sich anfangs<br />
sehr zurückgezogen<br />
hatte, ließ er sich von<br />
seiner Nachbarin, Ida,<br />
überreden etwas zu<br />
unternehmen. Und siehe<br />
da: Es tat ihm gut!<br />
Wolfang merkte, dass er<br />
erstens nicht alleine war<br />
und zweitens, dass er<br />
dank seiner guten Absicherung<br />
keinesfalls nur<br />
noch auf andere<br />
angewiesen war und sein<br />
Leben selbst bestimmen<br />
und sogar genießen<br />
konnte.<br />
Sie wollen auch dafür sorgen, dass Ihre<br />
Kunden in Würde altern können?<br />
Zugegeben, die Geschichte von Wolfgang und Ida ist<br />
erfunden. Weit weg von der Realität ist sie aber nicht.<br />
Viele Menschen legen großen Wert darauf, auch im Alter<br />
selbstbestimmt leben zu können.<br />
Doch das Pflegerisiko<br />
ist hoch, ebenso die<br />
Finanzierungslücken.<br />
Die Altersvorsorge<br />
sichert zwar den<br />
Lebensstandard im<br />
Alter, aber auch nur,<br />
wenn kein Pflegefall<br />
hinzukommt. Daher<br />
gehört zur Absicherung<br />
der Gesundheit auch<br />
eine gute Pflegevorsorge.<br />
So wie die der<br />
SDK. Mit ihr erhalten<br />
Ihre Kunden ihre<br />
Lebensqualität, Selbstbestimmung<br />
und<br />
schützen ihr Vermögen<br />
bzw. das ihrer Familien.<br />
So können sie in Würde<br />
altern und müssen sich<br />
keine Sorgen um die<br />
Pflege und deren Finanzierung<br />
machen.<br />
Sie wollen mehr über<br />
die Pflegevorsorge der<br />
SDK erfahren? Im<br />
Rahmen unserer<br />
Kampagne bieten wir<br />
Ihnen eine umfangreiche<br />
Verkaufsunterstützung an. Nähere Informationen<br />
erhalten Sie unter www.sdk.de/pflegekampagne.<br />
SDK – einfach für Ihr Leben da<br />
50
<strong>Versicherungsbote</strong>: Der KfZ-Versicherungsmarkt ist<br />
umkämpft. In den vergangenen Jahren hat die Schaden-<br />
Kosten-Quote im Branchenschnitt auch bei Flottenverträgen<br />
immer mal die 100-Prozent-Marke geknackt. Wie<br />
beurteilen Sie diese Entwicklung?<br />
Rico Schmidt: Im gewerblichen Bereich – genauso wie<br />
auch im privaten KFZ-Bereich – ist es oftmals so, dass die<br />
Schadenquote immer mal an der 100-Prozent-Marke<br />
kratzt. Das ist auch fast durchgängig der Fall, wenn man<br />
sich die letzten Jahre anschaut – obwohl die Beiträge<br />
gestiegen sind. Und die Tendenz zeigt klar, dass eine<br />
Verbesserung nicht absehbar ist.<br />
Die Kosten pro versichertem Schaden steigen in der<br />
Kfz-Versicherung seit Jahren an: auch wegen immer teurerer<br />
Technik wie z.B. Fahrassistenten und Sensoren, die in<br />
den Autos verbaut ist. Wie sieht es speziell im Flottensegment<br />
aus? Und was sind hier die größten Kostentreiber?<br />
Die stetige Weiterentwicklung der Technik, welche in<br />
den Fahrzeugen verbaut wird, treibt natürlich die Preise<br />
je Fahrzeug und Schaden hoch. Jedoch: Zum Ersten ist es<br />
Technik wie zum Beispiel der Fahrassistent, der zugleich<br />
aber auch für mehr Sicherheit sorgt, was sich dann in den<br />
kommenden Jahren hoffentlich auf die Unfallzahlen<br />
positiv auswirkt. Zum Zweiten ist es auch Technik, die<br />
zum Beispiel die Arbeitsweise einer Dispo erleichtern<br />
kann: die Flottensteuerung über transportrelevante<br />
Daten. Je mehr neue Technologie, desto höher auch die<br />
Prämie. Aber das sind hier nicht die größten<br />
Kostentreiber. Gerade Flottenversicherung ist immer<br />
stark abhängig von der Schadenrenta. Da bleibt der<br />
Haftpflichtanspruch meistens immer noch vorn bzw. am<br />
stärksten betroffen.<br />
Immer mehr Versicherer bieten auch Kleinflottentarife<br />
an: in der Regel ab drei Fahrzeugen. Damit wird die Lücke<br />
zwischen Einzel- und Flottenvertrag zunehmend geschlossen.<br />
Was macht diese Zielgruppe interessant?<br />
Wir haben sehr viele Unternehmen in Deutschland, die<br />
mit weniger als fünf Fahrzeugen ihr Geschäft betreiben.<br />
Diese Firmen sind auch oftmals nicht ausreichend<br />
versichert. Gerade dort kann man mit<br />
Kleinflottentarifen den Firmen ein Stück Arbeit<br />
abnehmen bzw. erleichtern, weil eventuell der LKW bei<br />
einer anderen Gesellschaft als der PKW versichert ist.<br />
Mit diesen Kleinflottenverträgen kann man den<br />
Unternehmern dann einen passenden Vertrag an die<br />
Rico Schmidt<br />
Experte für<br />
Flottenversicherungen<br />
Bisher haben<br />
wenige Firmen<br />
Flottenverträge!<br />
Gewerbetreibende und Unternehmer können<br />
ihre Fahrzeugflotte auch über eine Kfz-<br />
Flottenversicherung absichern. Jedoch:<br />
Viele Firmen verzichten aktuell noch darauf.<br />
Über die Angebote, die wachsende<br />
Nachfrage nach solchen Verträgen sowie<br />
die Chancen für den Vertrieb sprach der<br />
<strong>Versicherungsbote</strong> mit Rico Schmidt. Der<br />
Versicherungsmakler aus Velten in Brandenburg<br />
ist u.a. spezialisiert auf die Themen<br />
Flottenversicherung und Verkehrshaftung.
Hand geben, der im besten Fall auch Deckungslücken<br />
schließt. In den letzten Jahren hatte ich viele Fälle<br />
erlebt, in denen LKW-Versicherungen ohne den<br />
Klassiker „Brems-, Betriebs- und Bruchschäden“ oder<br />
auch Fahrzeuge ohne<br />
GAP-Deckung versichert<br />
worden sind. Um nur einige<br />
wenige Bausteine zu nennen. Die<br />
Verträge geben uns als Versicherungsmakler<br />
auch neue<br />
Chancen und Vertriebsansätze.<br />
Eine wachsende Zahl Kfz-Versicherer<br />
bieten Telematik-Tarife<br />
bzw. Pay-as-you-drive für das<br />
Privatkundengeschäft an, bei denen<br />
die Fahrweise des Fahrers<br />
aufgezeichnet wird – und vorsichtiges Fahren mit Prämienrabatten<br />
belohnt wird. In der Gewerbeversicherung<br />
wurden bisher wenige Angebote bekannt. Gibt es<br />
derartige Angebote auch für Flotten?<br />
Mir ist auch nur sehr wenig bekannt darüber. Telematik<br />
ist ja schon bei einigen Fuhrparks vorhanden. Einige<br />
Leasinganbieter nutzen dies, um das Thema Fahrtenbuch<br />
einfacher zu machen und um technische Daten zu<br />
übermitteln wie zum Beispiel Reifendruck etc.<br />
Einige Versicherungsgesellschaften haben sich in den<br />
letzten Jahren sehr viel damit beschäftigt und auch Tests<br />
absolviert. Inwieweit das in den nächsten Jahren im<br />
Angebot zu finden ist, bleibt aber abzuwarten.<br />
Autonomes Fahren<br />
wird definitiv<br />
interessant und wird<br />
die Haftpflicht auch<br />
ändern.<br />
das die Kfz-Haftpflicht ändern: weg vom Fahrer bzw.<br />
Halter des Fahrzeuges, hin zum Autobauer?<br />
Hierzu gab es bereits Tagungen, die sich ausschließlich<br />
mit diesem Thema beschäftigt<br />
haben. Autonomes Fahren wird<br />
definitiv interessant und wird die<br />
Haftpflicht auch ändern. Dafür<br />
sorgen mehrere Verantwortliche:<br />
einmal die Hersteller und dann<br />
die Programmierer. Wie die<br />
Rechtsprechung dann genau<br />
aussieht, werden wir leider erst<br />
erfahren, wenn was passiert ist.<br />
Alles andere ist im Moment reine<br />
Spekulation.<br />
Welche Chancen bieten sich Vermittlern mit einer Flottenversicherung<br />
im Angebot?<br />
Es gibt nur einen geringen Teil an Firmen, die überhaupt<br />
Flottenverträge besitzen. Genau hier ergeben sich große<br />
Chancen – angefangen bei kleinen Handwerksbetrieben<br />
bis hin zu Firmen, die weit über 20 Fahrzeuge betreiben.<br />
Wie ich bereits erwähnte, gibt es auch viele Firmen, die<br />
haben ihre Fahrzeuge bei mehreren Gesellschaften<br />
verstreut versichert, je nach Fahrzeugtyp und geschuldet<br />
auch der Prämie. Und dann hat der Versicherungsschutz<br />
leider oftmals noch Deckungslücken. Genau da haben wir<br />
als Vermittler Chancen, ein einfaches Tool in Form einer<br />
Flottenversicherung in die Hand zu geben. Was auch<br />
oftmals dankend angenommen wird.<br />
Ein weiteres Thema, was die Zukunft der gewerblichen<br />
Autoversicherung beschäftigen könnte: autonomes Fahren.<br />
Teststrecken für LKW gibt es bereits in Bayern und<br />
Nordrhein-Westfalen. Wie aktuell ist dieses Thema bei<br />
Ihnen? Erwarten Sie, dass bald Gewerbeflotten vermehrt<br />
autonom unterwegs sind?<br />
Aktuell bei uns noch gar nicht, aber auch wir verfolgen<br />
das Thema intensiv. Ja, definitiv erwarte ich, dass<br />
autonomes Fahren kommt. Die Entwicklung von neuer<br />
Technologie ist so rasant schnell. Es wird definitiv ein<br />
Thema werden. Wann, bleibt natürlich abzuwarten.<br />
Lassen wir uns überraschen.<br />
Mit dem autonomen Fahren könnte die Haftung verstärkt<br />
auf den Autobauer übergehen, wenn zum Beispiel<br />
technische Fehler zu einem Unfall führen. Wird<br />
Und was können Sie jenen Maklern raten, die bisher<br />
noch nicht im Bereich gewerblicher Kfz-Tarife aktiv<br />
sind, aber Flottentarife vermehrt anbieten wollen?<br />
Keine Panik davor zu haben. Unternehmen sind, wenn<br />
man eine vernünftige Arbeit leistet, enorm dankbar. Man<br />
sollte sich aber weiterbilden und ruhig auch mit den<br />
Gesellschaften sprechen. Jede Gesellschaft hat, was den<br />
Gewerbe- und KFZ-Bereich/ Flottenbereich betrifft, ihre<br />
Underwriter und Spezialisten. Hier gilt, sich bei den<br />
Treffen auszutauschen, sich weiterzubilden - und das am<br />
besten noch bei verschiedenen Gesellschaften. Ab einer<br />
gewissen Größe geht es bei der Angebotserstellung<br />
sowieso nur direkt über die Gesellschaft bzw. geht die<br />
Berechnung dann über die Spezialisten. Ebenso gibt es<br />
für Kleinflottentarife schöne Berechnungstools, die<br />
einem da die Arbeit enorm erleichtern.<br />
52
Wo sehen Sie in den kommenden Jahren die größten<br />
Wachstumspotentiale speziell in der Flottenversicherung?<br />
In der steigenden Wirtschaft und dem damit<br />
verbundenen Wachstum der bestehenden Firmen oder<br />
auch der Gründung von neuen Firmen. Nehmen wir<br />
allein den Bausektor. Das Handwerk hat in den letzten<br />
Jahren ein enormes Wachstum hingelegt. Firmen<br />
vergrößern sich und suchen händeringend Personal.<br />
Dementsprechend werden auch mehr Fahrzeuge<br />
angeschafft. Das gleiche gilt für andere Branchen wie<br />
Pflegedienste, Lieferservices usw. Wachstumspotenzial<br />
ist mehr als genug vorhanden.<br />
Die private Kfz-Versicherung ist eine der Versicherungsarten,<br />
die am stärksten über Onlinekanäle verbreitet<br />
werden, neben dem Direktvertrieb vor allem über Vergleichsportale.<br />
Sie sind selbst sehr präsent auf Google.<br />
Warum haben Sie sich für diesen Kanal entschieden und<br />
wie agieren Sie konkret?<br />
die sehr viel über die Vergleichsportale abgewickelt<br />
werden, ist es auch im gewerblichen Bereich eine der<br />
Hauptinformationsquellen für die Unternehmer. Sehr<br />
viele Unternehmer suchen gezielt erst auf Google und<br />
Co. nach Informationen, bevor sie sich entscheiden.<br />
Genau da bieten sich immer wieder neue Chancen. Viele<br />
Maklerkollegen und auch Vermittler sind sich uneinig<br />
mit dem Online-Vertriebsweg. Aber sind wir mit uns<br />
selbst ehrlich: Wenn wir etwas suchen oder uns<br />
informieren möchten, sind die Suchmaschinen nicht<br />
weit, meist sogar der erste Anlaufpunkt. Das gilt für<br />
jeden. Wir müssen uns auch nur anpassen und neben den<br />
Zielen, die wir haben, den Weg wählen und diesen auch<br />
bestreiten, bis wir zum Ziel kommen.<br />
Die Fragen an Rico Schmidt stellte Mirko Wenig<br />
Ja das stimmt. Die Onlinekanäle haben in den letzten<br />
Jahren enorm zugelegt und werden auch noch weiterhin<br />
zunehmen. Neben den privaten Versicherungssparten,
Apothekenversicherung: „Extremfälle<br />
können zu hohen Forderungen führen!<br />
Steffen Benecke<br />
Spezialist für Apothekenversicherungen<br />
In Zeiten, in denen immer mehr „einfache“ Versicherungen über das Internet abgeschlossen<br />
werden, kann es für Versicherungsmakler lohnen, sich auf eine spezielle Zielgruppe mit hohem<br />
Beratungsbedarf zu konzentrieren. Das hat der Hamburger Versicherungsmakler<br />
Steffen Benecke getan: Er versichert erfolgreich Gewerberisiken von Apotheken. Der <strong>Versicherungsbote</strong><br />
sprach mit dem Hansestädter über Apothekenversicherungen und den speziellen<br />
Absicherungsbedarf dieser Berufsgruppe.<br />
<strong>Versicherungsbote</strong>: Herr Benecke, eines Ihrer Steckenpferde<br />
ist – neben anderen – die Apothekenversicherung.<br />
Wie kamen Sie auf dieses Spezialgebiet?<br />
Steffen Benecke: Schon länger war ich auf der Suche<br />
nach einem Bereich, auf den ich mich spezialisieren<br />
könnte, um Effizienzgewinne zu erzielen. Vor allem war<br />
mir wichtig, dass ich eine Affinität zur Zielgruppe habe.<br />
Auch sollte das Beitragsaufkommen zumindest nicht<br />
ganz gering sein. Da schimmerten Medizinberufe<br />
ständig im Hintergrund. Bei Ärzten gibt es jedoch viele<br />
Kollegen, die einen guten Job machen. Heilnebenberufe<br />
wie zum Beispiel Physiotherapeuten zahlen zu wenig<br />
Beitrag.<br />
Dann kam zusammen, dass Kollege Michael Jeinsen das<br />
Buch „Zielgruppenanalyse Apotheken“ geschrieben hat<br />
und wir einen Bestand übernahmen, in dem zumindest<br />
eine Handvoll Apotheken vorhanden war. Das war 2017<br />
die Geburtsstunde. Kollegen, die Apotheken verstehen,<br />
gibt es noch relativ wenige. So stoße ich selten auf ernst<br />
zu nehmende Mitbewerber.<br />
Ich unterstelle mal, dass Apotheken-Policen für viele<br />
andere Makler Neuland sind. Ganz naiv gefragt: Wie<br />
groß ist die Zielgruppe? Beziehungsweise wie viele Apothekenbetreiber<br />
gibt es in Deutschland, die einen entsprechenden<br />
Schutz brauchen?<br />
Es gibt knapp 20.000 Apotheken in Deutschland und gut<br />
400 Apotheken in Hamburg. Dazu kommt für uns als<br />
potentielle Zielgruppe das Hamburger Umland. Wir<br />
haben aber Apotheken in ganz Deutschland versichert:<br />
Ich kann derart genau für die Beratungsleistung fragen,<br />
dass ich hinterher weiß, wie die Apotheke aussieht, ohne<br />
dort gewesen zu sein.<br />
… und wie groß ist -ungefähr- der Markt der bzw. die<br />
Zahl der Anbieter, die spezielle Policen für Apothekenbetreiber<br />
im Portfolio haben?<br />
Das ist schwer abzugrenzen. Manche Gesellschaften<br />
versichern Medikamentenverderb im Kühlschrank,<br />
schreiben „Apotheken“ drüber – und fertig ist das<br />
Spezial-Konzept. Ich behaupte mal, es sind drei<br />
54
Versicherer und ein paar Assecuradeure.<br />
Wo finden Sie Ihre Kundinnen und Kunden für Apotheker-Policen?<br />
Gehen Sie auf spezielle Veranstaltungen?<br />
Werben Sie im Netz bei zielgruppenrelevanten Webseiten?<br />
Können Sie uns verraten, wo und wie Sie die Zielgruppe<br />
ansprechen — und über welche Kanäle?<br />
Das ist multifunktional. Unsere Grundstruktur sind<br />
halbjährliche Vortragsveranstaltungen in Hamburg, das<br />
„Hamburger Apotheken-Forum“. In diesem Zusammenhang<br />
gibt es naturgemäß zahlreiche Telefonate mit<br />
Apothekern, die auch zu Terminen führen. Die<br />
Vortragsabende flankieren wir von Zeit zu Zeit mit<br />
redaktionellen Beiträgen in der<br />
Deutschen Apotheker Zeitung<br />
(DAZ).<br />
Auch über Facebook habe ich in<br />
Gruppen einige Kontakte<br />
geknüpft. Häufig kommen dann<br />
mehrere Punkte zusammen, die<br />
zum Erfolg führen. So habe ich<br />
neulich eine Apotheke versichert,<br />
deren Inhaberin mich in einer<br />
Facebook-Gruppe wohl wahrgenommen<br />
hatte, dennoch aber<br />
ihren Steuerberater und Ihren Mentor nach einem Versicherungsweg<br />
gefragt hatte. Beide antworteten<br />
unabhängig voneinander mit „Steffen“. Wichtig ist bei<br />
allem, dass man auf Augenhöhe mitreden und Mehrwert<br />
bieten kann. Andernfalls antwortet niemand mit<br />
„Steffen“.<br />
Kollegen, die Apotheken<br />
verstehen,<br />
gibt es noch relativ<br />
wenige.<br />
Patient das Medikament schon erhalten hat]. Ein weiteres<br />
spezifisches Risiko sind Unterhaltsansprüche im Zusammenhang<br />
mit der rezeptfreien Abgabe der Pille<br />
danach, die weder ein Personen- noch ein Sachschaden<br />
sind. Ein Kind ist kein Personenschaden.<br />
Ich nehme an, bei der Abgabe von Arzneien können besonders<br />
hohe Haftpflichtschäden auftreten. Geht es<br />
doch im Zweifel um bleibende Personenschäden bei<br />
mehreren Personen. Sind die Schadensforderungen in<br />
diesem Segment besonders hoch? Wie hoch sollte folglich<br />
die Mindestabsicherung sein?<br />
Zum Glück sind solche Schäden relativ selten. Der<br />
Extremfall aber, bei dem zum<br />
Beispiel ein Säugling eine zu hohe<br />
Dosis eines Wirkstoffes bekommt<br />
und lebenslang beeinträchtigt<br />
bleibt, kann zu sehr hohen<br />
Forderungen führen. Häufiger als<br />
das ist es aber der Fall, dass zum<br />
Beispiel jemand versehentlich ein<br />
Schlafmittel bekommt und einen<br />
Arbeitstag verpasst.<br />
Ich empfehle mindestens eine<br />
Absicherung für Haftpflichtschäden<br />
von zehn Millionen Euro. Die Kammern<br />
empfehlen mindestens fünf Millionen.<br />
Apothekenversicherungen sind Kombi-Produkte, die<br />
mehrere Versicherungsarten zusammenfassen. Welche<br />
Bausteine sind typischerweise mitversichert?<br />
Warum genau brauchen Apotheker aus Ihrer Sicht eine<br />
spezielle Apothekenversicherung – oder würde es eine<br />
„normale“ Allround-Gewerbeversicherung auch tun?<br />
Gibt es Risiken, die ausschließlich Apotheker haben und<br />
nur hier mitversichert sind?<br />
Neben Medikamentenverderb im Kühlschrank kommen<br />
einige spezifische Risiken vor, die man identifizieren und<br />
gegebenenfalls versichern muss. Dazu gehören die verschuldensunabhängige<br />
Haftung beim Inverkehrbringen<br />
oder Herstellen von Arzneimitteln und Retaxationen der<br />
Krankenkassen [Anmerk. Redaktion: Bei fehlerhaften<br />
Rezepten, unwirtschaftlich hohen Kosten oder Medikamenten-Fälschungen<br />
können Krankenkassen die Erstattung<br />
eines Medikamentes verweigern und Apotheker<br />
selbst dann für die Kosten in Regress nehmen, wenn der<br />
Richtig. Meistens sind es Multirisk-Policen, die<br />
zumindest die Haftpflicht- und die Inhaltsversicherung<br />
zusammenfassen. Manchmal lassen sich Transportrisiken<br />
oder eine Hersteller-Haftpflicht dazu wählen. Oder die<br />
Betriebsschließungsversicherung, falls Behörden zum<br />
Beispiel aufgrund meldepflichtiger Krankheitserreger in<br />
einer Apotheke deren vorübergehende Schließung<br />
anordnen.<br />
Gibt es Leistungspunkte, die aus Ihrer Sicht für eine<br />
Apothekerversicherung besonders wichtig sind? Worauf<br />
sollten potentielle Neukunden achten?<br />
Da die Sachwerte regelmäßig sehr hoch sind, sollte der<br />
Bedingungstext aus Sicht des Versicherungsnehmers gut<br />
formuliert sein. Eingeschränkte Kürzungsmöglichkeiten<br />
55
ei grober Fahrlässigkeit, Unterversicherungsverzicht<br />
oder auch – wegen der häufig historischen<br />
Einrichtungen – die „goldene Regel“, dass für<br />
Gegenstände im Gebrauch konsequent der Neuwert<br />
ersetzt wird, finde ich wichtig. Ansonsten siehe die<br />
oben bereits angesprochenen Risiken: Unterhaltsansprüche<br />
etc …<br />
Apotheken dürfen meines Wissens in bestimmtem Umfang<br />
auch selbst Arznei mischen oder herstellen, was zu<br />
zusätzlichen Haftungsrisiken führen kann im Vergleich<br />
zu fertigen Produkten. Müssen jene, die das betreiben,<br />
einen extra Schutz hierfür abschließen? Oder ist das<br />
auch bei den Apotheken-Policen typischerweise mit<br />
enthalten?<br />
Die Frage ist wichtig. Für bestimmte Sachverhalte ist der<br />
Apotheker verpflichtet, als pharmazeutischer<br />
Unternehmer eine im Arzneimittel-Gesetz definierte<br />
Deckungsvorsorge zu betreiben.<br />
In diesen Fällen gilt eine verschuldensunabhängige<br />
Haftung mit Höchsthaftungssummen von 120 Millionen<br />
Euro in Summe beziehungsweise 600.000 Euro je<br />
geschädigte Person, die versichert sein müssen. Obwohl<br />
das Höchsthaftungssummen sind, sprengen sie natürlich<br />
jede Betriebshaftpflichtdeckung. Zudem formuliert die<br />
Betriebshaftpflichtversicherung einen entsprechenden<br />
Ausschluss. Die hohen Deckungssummen werden über<br />
den „Pharma-Pool“ rückversichert.<br />
Welchen Schutz brauchen Apotheker darüber hinaus,<br />
wenn sie eine eigene Apotheke eröffnen? Vielleicht,<br />
weil Apothekenversicherungen hier keine oder nur eine<br />
lückenhafte Absicherung bieten?<br />
Abschluss: Wo sehen Sie den Apotheker in 20 Jahren?<br />
Und wo den Versicherungsmakler?<br />
Ich denke, dass die Vor-Ort-Apotheken ebenso wie die<br />
Vor-Ort-Makler ausreichend Fans behalten werden, die<br />
die persönliche Beratung und den Kontakt schätzen.<br />
Einen Vorteil, den ich ausmache, ist außerdem, dass die<br />
Kunden durch das Internet besser informiert zur<br />
Beratung kommen und im Idealfall die richtigen Fragen<br />
stellen.<br />
Einen Unterschied in der Entwicklung zu Lasten der<br />
Apotheker mache ich jedoch auch aus. Der Apotheker<br />
leidet darunter, dass das einfache Geschäft vermehrt im<br />
Internet stattfindet, während bei ihm die aufwändige<br />
Herstellung und der Notdienst hängen bleiben, die nicht<br />
ausreichend entlohnt werden. Bei uns Versicherungsmaklern<br />
geht ebenfalls das einfache Geschäft vermehrt<br />
über das Internet.<br />
Von komplizierten Schadensfreiheitsrabatt-Konstruktionen<br />
bei Kfz-Versicherungen mal abgesehen, wird bei<br />
uns das anspruchsvolle Geschäft im Regelfall gut bezahlt.<br />
Wenn ein Kunde seine Kfz-Versicherung im Internet<br />
abschließt, habe ich 30 Euro weniger, kann in der<br />
eingesparten Zeit aber eine Apotheke versichern.<br />
Die Fragen an Steffen Benecke<br />
stellte Mirko Wenig<br />
Da Gesundheitsdaten im Darknet teuer gehandelt<br />
werden und die Zahl der Einfallstore für Angriffe über<br />
das Internet zunimmt, empfehle ich eine Cyber-Police.<br />
Rechtsschutz ist besonders sinnvoll – auch, weil<br />
Apotheker eher mal in ein teures Strafverfahren<br />
verwickelt werden können als andere Berufsgruppen.<br />
Vertreterkosten oder Betriebsschließung lassen sich<br />
ebenfalls versichern.<br />
Man könnte sagen, Apotheker und Makler teilen ein<br />
ähnliches Schicksal: beide müssen sich auf die zunehmende<br />
Digitalisierung einstellen und erhalten mächtige<br />
Konkurrenz durch den Online-Vertrieb, so dass persönliche<br />
Beratung vakant wird. Zwei kurze Statements zum<br />
56
Berufung Pferd: Pferdebetriebe richtig<br />
versichert<br />
Dr. Felix Garlipp<br />
Abteilungsleiter landwirtschaftliches Spezialgeschäft<br />
bei den Uelzener Versicherungen<br />
Der Umgang mit dem Pferd im Berufsleben ist mit viel Verantwortung verbunden. Die Sicherheit<br />
von Mensch und Pferd liegt bei der täglichen Arbeit im Fokus. Eine kleine Unachtsamkeit<br />
kann bereits zu einem Unfall führen, der im schlimmsten Fall die Arbeitsunfähigkeit oder den<br />
finanziellen Ruin bedeuten kann. Dr. Felix Garlipp, Abteilungsleiter landwirtschaftliches Spezialgeschäft<br />
bei den Uelzener Versicherungen, klärt über Haftungsrisiken sowie Versicherungen<br />
für den Ernstfall auf.<br />
Risiko Tierhüter: Haftung im Pferdeberuf<br />
Die Tierhalterhaftung ist vom Gesetzgeber als<br />
Gefährdungshaftung konzipiert. Der Gesetzgeber geht<br />
davon aus, dass allein die Haltung eines Tieres mit<br />
bestimmten Gefahren verbunden ist, für die der<br />
Tierhalter einzustehen hat. Die Gefährdungshaftung tritt<br />
auch dann ein, wenn dem Halter ein Verschulden nicht<br />
nachzuweisen ist.<br />
Pferdebetriebe sind bei der Ausübung ihrer Arbeit an<br />
ähnliche Regeln gebunden wie ein Tierhalter.<br />
Unabhängig davon, welche Leistungen in einem<br />
Einstellervertrag vereinbart wurden, wird der Betrieb ab<br />
Beginn der Unterbringung des Pferdes zum Tierhüter.<br />
Der Tierhüter – also der Pensionsstallbesitzer – ist<br />
ebenfalls unter bestimmten Umständen für einen<br />
Schaden verantwortlich, den ein bei ihm eingestelltes<br />
Pferd verursacht. Sobald Pensionspferde aus dem Stall<br />
oder aus der Koppel ausbrechen und einen Unfall<br />
verursachen, können Haftpflichtansprüche sowohl an<br />
den Pferdebesitzer als auch an den Betrieb gestellt<br />
werden.<br />
Der Tierhüter haftet jedoch aus einem vermuteten<br />
Verschulden, das heißt, er kann einen Entlastungsbeweis<br />
führen. Bei einem durch das eingestellte Pferd verursachten<br />
Schaden wird er dann darlegen und beweisen<br />
müssen, dass er dieses sorgfältig und ordnungsgemäß<br />
beaufsichtigt und untergebracht hat. Gelingt dieser<br />
Entlastungsbeweis, an den strenge Anforderungen<br />
gestellt werden, nicht, dann haftet er.<br />
Blick in die Praxis: Boxentür nicht verriegelt<br />
Jeden Nachmittag holt der Betriebsinhaber die<br />
Pensionspferde von der Weide. Im Stall wird er von<br />
einem Kunden angesprochen und abgelenkt – er vergisst,<br />
die Boxentür richtig zu verriegeln. Einige Stunden später<br />
öffnet das Pferd die Tür, verlässt den Stall und trabt über<br />
einen Fahrradweg. Ein Radfahrer erschreckt sich und<br />
kommt zu Fall. Das Pferd kann unbeschadet wieder<br />
eingefangen werden.<br />
Die Krankenversicherung des Fahrradfahrers will die<br />
Behandlungskosten von 5.000 Euro erstattet haben. Dazu<br />
57
kommen Schmerzensgeldansprüche des Radfahrers von<br />
3.000 Euro und 7.000 Euro für den Verdienstausfall.<br />
Es wird recherchiert und schnell ist klar, dass die Tür<br />
nicht richtig verschlossen war. Der Pferdebetrieb muss<br />
haften und die Gesamtkosten von 15.000 Euro tragen.<br />
Welche Versicherung deckt das Risiko?<br />
Für Pferdebetriebe (Pensionsställe) ist es entscheidend,<br />
eine Betriebshaftpflichtversicherung speziell für diese<br />
Risiken abzuschließen. Sie schützt den Pferdebetrieb<br />
nicht nur vor finanziellen Belastungen. Bei einer<br />
Haftpflichtversicherung genießt der Versicherungsnehmer<br />
auch finanziellen Schutz bei Streitigkeiten.<br />
Neben Prüfungen und Regulierung von Leistungsansprüchen<br />
wehrt die Versicherung auch unberechtigte<br />
Forderungen ab. Besonders im Ernstfall – wie im<br />
Praxisbeispiel – vertreten Experten die Rechte des<br />
Pensionsstalles. Und kommt es zu einer Gerichtsverhandlung,<br />
agiert ein Haftpflichtversicherer ähnlich<br />
wie ein Rechtsschutzversicherer.<br />
Risiko: Unterschätze Gefahr im Pensionsstall<br />
Pensionsstallbesitzer können aber auch für verletzte oder<br />
gar verunglückte Pferde haften. Sie sind für das Wohlergehen<br />
der in Verwahrung genommenen Pferde<br />
verantwortlich. Pferdebesitzer können sich folglich mit<br />
Ansprüchen an den Stallbesitzer wenden und die Kosten<br />
einer tierärztlichen Behandlung des Pferdes – bei Tod des<br />
Pferdes den Wert des Lieblings – vom Stallinhaber<br />
zurückverlangen.<br />
Pferdestallbesitzer alle gesetzlichen Vorschriften<br />
einhalten. Sogenannte Obhutsschäden – also Schäden am<br />
Pensionspferd – sollten sinnvoll abgesichert werden.<br />
Ertragsausfall bei Pferdebetrieben<br />
Das Zusammentreffen vieler Pferde birgt auch Gefahren<br />
für ihre Gesundheit. Die Ansteckungsgefahr mit einer<br />
Pferdeseuche oder mit übertragbaren Krankheit wie<br />
beispielsweise Herpes und Druse ist besonders bei<br />
wechselndem Pferdebestand erhöht. Eine infektiöse<br />
Pferdekrankheit kann auch erhebliche finanzielle Folgen<br />
für Reitställe mit sich bringen. Was bedeutet das? In<br />
einem Ausbildungsstall mit zwölf Pferden kommen pro<br />
Monat drei neue junge Pferde hinzu. Anfang des Monats<br />
wird durch ein neues Pferd Herpes in den Stall getragen.<br />
Aufgrund der vorbeugenden Maßnahmen und<br />
Quarantänezeiten bleiben die neuen Pferde aus. Es<br />
entsteht ein Ertragsschaden von 2.500 Euro pro Monat.<br />
Eine Absicherung gegen den Ertragsausfall kann hier eine<br />
Ergänzung zur dringend empfohlenen Betriebshaftpflicht<br />
sein. Pferdebetriebe können sich gegen<br />
Ertragsausfall absichern, wenn der Umsatzeinbruch in<br />
Folge einer anzeigepflichtigen Pferdeseuche, Druse oder<br />
Herpes erfolgt. Bei gänzlicher oder teilweiser<br />
Unterbrechung des versicherten Betriebs wird der<br />
dadurch entstandene Ertragsschaden ersetzt.<br />
Ein Gastkommentar von Felix Garlipp<br />
Häufig unterschätzte Gefahr ist der bauliche Mangel.<br />
Wird beispielsweise ein Pensionsstall gepachtet, muss<br />
vom Pächter Sorge getragen werden, dass alle<br />
Vorschriften eingehalten werden. Das Pensionspferd<br />
bezieht die Pferdebox. Am nächsten Morgen findet der<br />
Mitarbeiter das Pferd liegend auf dem Boden. Es hat sich<br />
in der Nacht ein Bein gebrochen. Der Tierarzt kann es<br />
nur noch erlösen und einschläfern. Ursache für den Bruch<br />
soll ein zu großer Spalt zwischen Stalltür und Fußboden<br />
sein. Dies bestätigt im Folgenden auch ein<br />
Sachverständiger. Der Pensionsstallpächter hätte diesen<br />
baulichen Mängel vor Bezug eines Pferdes beseitigen<br />
müssen. Er muss für den Verlust des Pferdes und die<br />
Kosten des Tierarztes aufkommen.<br />
Achtung: Bauliche Mängel sind nicht nur Ursachen bei<br />
gepachteten Betrieben. Bei Umbauten muss der<br />
59
Wir haben über 300 Coworking-Spaces<br />
in Deutschland!<br />
Armin Molla<br />
Gründer von mailo<br />
Der Versicherer mailo hat gemeinsam mit dem Coworking-Space Orangery eine spezielle Gewerbeversicherung<br />
für Coworker entwickelt. Was sich hinter dieser neuen Art der Arbeitsorganisation<br />
verbirgt und warum man dafür einen speziellen Schutz benötigt, darüber sprach der<br />
<strong>Versicherungsbote</strong> mit mailo-Gründer Armin Molla sowie mit Sandra Santana Herbst, PR- und<br />
Communication- Managerin bei Orangery.<br />
<strong>Versicherungsbote</strong>: Sie haben mit der Orangery eine<br />
Kooperation abgeschlossen, um eine Gewerbeversicherung<br />
für Coworker abzuschließen. Können Sie diese<br />
kurz vorstellen: An wen richten sich diese Policen?<br />
Armin Molla (mailo): Seit der Gründung von mailo ist<br />
das, was wir „neue Berufswelt“ nennen, eine wesentliche<br />
strategische Zielgruppe. Unter „neuer Berufswelt“<br />
verstehen wir zum Beispiel Freelancer, Selbständige,<br />
Unternehmer, Youtuber, Blogger und Influencer. Viele<br />
dieser Zielkunden arbeiten von einem Coworking-Space<br />
aus. Die Tatsache, dass es für diese Coworker noch keine<br />
passgenaue Versicherungslösung auf dem Markt gab, hat<br />
uns dazu veranlasst, genau diese zu entwickeln und<br />
inzwischen erfolgreich anzubieten.<br />
Können Sie Orangery bitte kurz vorstellen? Die Hildesheimer<br />
beschreiben sich als „Ökosystem für Start-ups,<br />
Freelancer und Unternehmen“. Wie kamen Sie auf diesen<br />
Partner?<br />
Sandra Santana Herbst (Orangery): Die Orangery<br />
liefert ein Ökosystem, das sich flexibel an die<br />
Bedürfnisse unserer Mitglieder anpasst. Es ermöglicht<br />
Gründern, auch in ländlichen Gebieten die<br />
Infrastruktur zu nutzen, die sie für ihr Start-up<br />
benötigen. Aus diesem Grund haben wir es uns zum Ziel<br />
gemacht, in ganz Deutschland Standorte der Orangery<br />
zu eröffnen.<br />
Wir geben Inspiration einen Raum – in unserem<br />
Coworking-Space und in unserer Community. Bei uns<br />
treffen Querdenker aufeinander, entwickeln innovative<br />
Ideen und wachsen gemeinsam an ihren Projekten. Wir<br />
gehen neue Wege, brechen alte Strukturen auf, gestalten,<br />
transformieren und schaffen Platz für Kreativität.<br />
Die Orangery befähigt Gründer und etablierte<br />
Unternehmen dazu, ihre Visionen zu verwirklichen und<br />
Möglichkeitsräume zu entdecken. Wir bringen Talent<br />
und Technologie zusammen, um Probleme zu lösen und<br />
bedeutungsvolle Ergebnisse zu erzielen.<br />
Ob nun bei der Suche nach einem geeigneten<br />
Finanzierungspartner oder der passenden Strategie für<br />
die digitale Transformation – in der Orangery erhält jeder<br />
die Qualifikation und die Unterstützung, die er benötigt.<br />
60
Sandra Santana Herbst<br />
PR- und Communication-Managerin bei Orangery<br />
Armin Molla: Mit der Orangery Hildesheim kam ein<br />
Coworking-Space auf uns zu und suchte einen<br />
Versicherer. Und so haben wir mit der Orangery ein<br />
gemeinsames Projekt gestartet.<br />
… warum braucht es für Coworking überhaupt einen<br />
speziellen Schutz? Was sind „typische“ Risiken, die speziell<br />
Coworker haben?<br />
Armin Molla: Das besondere bei Coworkern ist das<br />
Umfeld, in dem sie arbeiten – der Coworking-Space. Für<br />
unsere Absicherung haben wir uns die Lösung der<br />
Hausratversicherung für Wohngemeinschaften als<br />
Vorbild genommen, da diese sehr viele Parallelen<br />
aufweist. Auf genau diese Besonderheiten, die beide<br />
Konzepte bieten, geht unsere Versicherung ein.<br />
Haben Sie Zahlen/ Eindrücke, wie verbreitet Coworking<br />
mittlerweile ist? Was sind Vorteile des Coworkens?<br />
Armin Molla: Für junge Unternehmer und Freelancer<br />
bietet das Coworking viele Vorteile. Man kann sehr<br />
flexibel arbeiten. In Coworking-Spaces ist alles<br />
vorhanden, was man zum Arbeiten braucht: WLAN,<br />
Strom, die Büroausstattung – man muss sich selbst um<br />
nichts kümmern. Darüber hinaus ist es für die Coworker<br />
sehr kostengünstig.<br />
Sandra Santana Herbst (Orangery): Laut einer Studie<br />
werden im Jahr 2022 weltweit 5.100.000 Menschen in<br />
einem Coworking-Space arbeiten. Und bislang haben<br />
wir über 300 registrierte Coworking-Spaces (Tendenz<br />
steigend!) in Deutschland. Dabei unterscheiden sich die<br />
vielen Coworking-Spaces in Größe, Standort, Preis und<br />
der Community.<br />
Wie kamen Sie auf die Idee, speziell für das Coworking-<br />
Modell Versicherungsschutz zu entwickeln? Durch<br />
Kontakt mit Startups und Menschen, die im Coworking<br />
arbeiten? Vielleicht auch, weil Sie selbst bei mailo derart<br />
arbeiten?<br />
Armin Molla: Wie schon erwähnt, kam die Orangery<br />
Hildesheim auf uns zu, da sie einen Versicherer für ihre<br />
Coworking-Arbeitsplätze benötigte. In der Produktentwicklung<br />
haben wir dann die Erfahrungen und das<br />
Know-How im Bereich des Coworkings der Orangery<br />
nutzen können. In dem Zusammenhang hatten wir<br />
Workshops im Coworking-Space der Orangery in<br />
Hildesheim. Darüber hinaus haben wir intensive<br />
Einzelinterviews mit den dort ansässigen Coworkern<br />
geführt und eine Befragung bei hunderten Coworkern<br />
gemacht. Dazu haben wir die Methoden des Design<br />
Thinkings angewandt. Das Zusammenspiel der einzelnen<br />
Maßnahmen ist die Grundlage der heutigen<br />
Versicherungslösung für Coworker gewesen und hat das<br />
Produkt optimieren können.<br />
61
Sandra Santana Herbst (Orangery): Wir sind auf mailo<br />
zugegangen, weil wir durch das Arbeiten in dieser neuen<br />
Arbeitswelt viele Lücken erkannt haben und für vollen<br />
Versicherungsschutz sorgen wollten.<br />
Start-ups und die einzelnen Coworker haben gerade am<br />
Anfang ihrer Karriere geringe finanzielle Mittel – wenn<br />
es da mal zu einem Schaden kommt, besteht nicht selten<br />
Existenznot.<br />
Haben Sie Defizite bei bestehenden Gewerbepolicen<br />
beobachtet? Lücken, die speziell bei Cowork-Modellen<br />
ein Risiko bedeuten können?<br />
Armin Molla: Gerade die spezielle Risikosituation in<br />
einem Coworking-Space, der ja nicht nur vom<br />
Versicherungsnehmer oder mit seinem Zutun betreten<br />
werden kann, ist in den meisten Gewerbepolicen nicht<br />
oder nur unzureichend unterzubringen. Eine besonders<br />
wichtige Deckung ist der Schutz der mobil eingesetzten<br />
Elektronik, da diese meist den größten Wert für den<br />
Coworker darstellt.<br />
das auch, dass sich die Gewerbeversicherung als Sparte<br />
ändert?<br />
Armin Molla: Das lässt sich schwer sagen. Sicherlich<br />
wird Coworking und interdisziplinäre Arbeit zwischen<br />
den heute definierten Berufsarten zunehmen. Das<br />
zwingt auch andere Versicherungen, neue Lösungen zu<br />
entwickeln.<br />
Start-ups und junge Unternehmen sind oft auf externe<br />
Geldgeber angewiesen, um überhaupt eine Anschubfinanzierung<br />
zu haben. Die finanziellen Ressourcen sind<br />
oft vakant. Versichern Sie auch dieses Risiko, dass also<br />
Geldgeber das Geld „verbrennen“ oder in Projekte stecken,<br />
die sich finanziell doch nicht auszahlen?<br />
Armin Molla: Nein.<br />
Das Interview mit Armin Molla und<br />
Sandra Santana Herbst führte Mirko Wenig<br />
… daran anknüpfend: Worauf sollten Coworker bei einer<br />
Gewerbeversicherung achten? Vielleicht auch,<br />
wenn sie eine „normale“ Gewerbepolice zeichnen?<br />
Armin Molla: Erstmal ist es wichtig, sich möglichst<br />
frühzeitig um einen adäquaten Versicherungsschutz zu<br />
bemühen. Es empfiehlt sich außerdem, eine für seine<br />
Zielgruppe passende Lösung zu suchen und nicht<br />
irgendeine „Standard-Gewerbepolice“ abzuschließen.<br />
Bei der Suche kann immer auch ein Makler eine gute<br />
Unterstützung sein.<br />
Erfordert eine Coworking-Police auch eine neue Definition<br />
von Betrieb/ Firma und Arbeitsort? Zum Beispiel,<br />
weil man eben oft an verschiedenen Orten tätig<br />
ist, vielleicht sogar im Homework?<br />
Armin Molla: Gerade für einen neuen Beruf bzw. eine<br />
Art, diesen auszuüben, ist es wichtig, eine korrekte<br />
Definition der Tätigkeit und des Arbeitsorts zu<br />
verwenden. Für den Coworker passt eine starre<br />
Definition des Versicherungsorts nicht, da er z. B. seinen<br />
Laptop im Home-Office, aber auch im Coworking-<br />
Space oder unterwegs einsetzt.<br />
Wird Coworking aus Ihrer Sicht „etablierte“ Formen<br />
des Arbeitens nach und nach verdrängen? Erfordert<br />
62
PKV: „Das Thema Anwartschaften<br />
gehört zu einer Beratung dazu!“<br />
Gerd Güssler<br />
Geschäftsführer bei Kvpro.de<br />
Eine Anwartschaftsversicherung kann die Rückkehr in einen Tarif der privaten Krankenversicherung<br />
sichern: ohne neue Gesundheitsprüfung. Gerade für Studierende und Überbrücker<br />
eine willkommene Option. Was es dabei zu beachten gibt, wann sie Sinn macht und ob verschwiegene<br />
Rückkehr-Optionen ein Haftungsrisiko bedeuten, erklärt PKV-Experte<br />
Gerd Güssler, Geschäftsführer bei Kvpro.de GmbH, im Interview.<br />
<strong>Versicherungsbote</strong>: Studierende und andere „Überbrücker“<br />
können sich mit einer Anwartschaftsversicherung<br />
ein Rückkehrrecht in die PKV sichern. Vielleicht eine<br />
Erfahrung aus Ihrer Beratungspraxis: Wie oft spielt dieses<br />
Thema eine Rolle? Sprechen Sie die Kundinnen und<br />
Kunden selbst aktiv darauf an - oder wissen vielleicht<br />
viele gar nicht, dass es diese Option gibt?<br />
Gerd Güssler: Für Studierende, die bereits privat<br />
versichert sind und jetzt durch das Studium pflichtig<br />
werden, lohnt es, sich über eine Anwartschaftsversicherung<br />
Gedanken zu machen, um den<br />
Gesundheitszustand einzufrieren. Wichtig zu beachten<br />
ist, dass die Anwartschaft für einen bestimmten Ziel-<br />
Tarif gilt. Daher: Stelle Dich heute so, wie wenn Du<br />
heute eine PKV-Vollversicherung kaufen würdest und<br />
kaufe dafür die Anwartschaft. Das kann, muss aber nicht<br />
der bisherige Tarif sein. Das kann auch eine Anwartschaft<br />
bei einem künftigen anderen Unternehmen sein.<br />
Auch das Alter einzufrieren ist eine Frage des Beitrags<br />
und ob Mann/ Frau sich das leisten möchte.<br />
Der Beitrag für die große Anwartschaft liegt meist um<br />
die 40 bis 50 Prozent des Tarifbeitrages, die Kleine bei<br />
circa 20 Prozent.<br />
Es wird zwischen großer und kleiner Anwartschaft unterschieden:<br />
die kleine sichert die Rückkehr ohne neue<br />
Gesundheitsprüfung, die große auch das Eintrittsalter,<br />
das quasi eingefroren wird sowie die Alterungsrückstellungen.<br />
Wovon hängt es ab, wofür man sich entscheiden<br />
sollte? Und wie sehr klaffen die Kosten für beide Varianten<br />
auseinander?<br />
Die kleine Anwartschaft kostet circa 20 Prozent des<br />
Tarifbeitrages aus ambulant, stationär und Zahn des<br />
gewünschten Zieltarifs. Die Kosten für die grosse<br />
Anwartschaft liegen hingegen bei ca. 40 bis 50 Prozent<br />
des gewählten Tarifs.<br />
Insoweit ist eine mögliche Strategie:<br />
Suche den künftigen Zieltarif mit heutigem Alter (zum<br />
Beispiel Eintrittsalter 20 Jahre und Monatsbeitrag<br />
300 Euro).<br />
Nehme den Beitrag des gleichen Tarifs zum möglichen<br />
Studienende, also ein höheres Eintrittsalter (zum<br />
63
Beispiel Eintrittsalter 30 Jahre und Monatsbeitrag<br />
500 Euro).<br />
Und jetzt rechne modellhaft Beispiel (1):<br />
Was investiere ich an Beitrag, bis ich 65 Jahre alt bin?!<br />
Bei Alter 20 (und ab 21 dann mit der Alterungsrückstellung)<br />
Beitrag 300* mal 12 mal 45 sind 162.000 und bei<br />
Alter 30 Beitrag 500* mal 12 mal 35 sind 210.000.<br />
Differenz 48.000 Euro mehr an Beitrag bei 10 Jahre<br />
späterem Eintritt. Die große Anwartschaft kostet<br />
50 Prozent aus 300* das sind 150 Euro mal 12 mal 10 also<br />
18.000. Dafür erkaufe ich mir das Einfrieren des<br />
Gesundheitszustandes, den früheren Beginn des<br />
Aufbaus an Alterungsrückstellungen und den<br />
günstigeren Beitrag einer/s Zwanzigjährigen. Eine<br />
Ersparnis von 30.000 Euro.<br />
Jetzt stelle ich den Mehrbeitrag<br />
mit späterem Eintrittsalter (ab<br />
30) dem Beitrag für die große<br />
Anwartschaft gegenüber und<br />
entscheide. Und beantworte mir<br />
die Frage, ob ich mir diese<br />
Strategie leisten möchte. Wähle<br />
ich die kleine Anwartschaft,<br />
dann habe ich ca. 20 Prozent aus<br />
300 Euro – das sind 60 Euro für<br />
das Einfrieren des Gesundheitszustandes.<br />
Jedoch fällt beim<br />
Aktivieren der dann gültige höhere Beitrag zum dann<br />
gültigen Eintrittsalter an. Das kann bei kurzen Zeiten<br />
zwischen Anwartschaft und Versicherungsbeginn Sinn<br />
machen.<br />
*Ersetze 300 und 500 mit dem tatsächlichen Beitrag.<br />
(1) Die Zahlen sind modellhaft fiktiv und zeigen nur den<br />
Gedankengang.<br />
Worauf gilt es bei einer Anwartschaftsversicherung zu<br />
achten? Gibt es Fallstricke in manchen Verträgen, so<br />
dass dann eine Rückkehr in den Tarif eben nicht ohne<br />
neue Hürden möglich ist: zum Beispiel Wartezeiten?<br />
Es sind die Obliegenheiten zu erfüllen. Meist muss<br />
innerhalb von zwei Monaten reagiert werden und die<br />
Anwartschaft aktiviert werden, wenn zum Beispiel zum<br />
Ende des Studiums ein Wechsel in die PKV möglich ist.<br />
Wenn die Option nicht aktiviert wird, verfällt die<br />
Anwartschaft und dann war die ganze Aktion umsonst.<br />
Daher ein dickes gelbes Post-It an die Kühlschranktür.<br />
64<br />
Denn das eine sind<br />
Gesetze und<br />
Vorschriften, das andere<br />
die Menschen,<br />
die sie umsetzen,<br />
interpretieren und<br />
wahrnehmen.<br />
Gibt es Situationen, in denen eine Anwartschaftsversicherung<br />
aus Ihrer Sicht keinen Sinn macht?<br />
Wenn von Anfang an klar ist, dass es keine Option für<br />
eine private Krankenversicherung nach Studien-/<br />
Ausbildungsende geben wird. Sonst gilt es, den<br />
Einzelfall im Gespräch zu erörtern.<br />
Würden Sie Maklern raten, das Thema Anwartschaftsversicherung<br />
im Beratungsgespräch aktiv anzusprechen?<br />
Lauern gar Haftungsfallen, wenn man es nicht tut<br />
und der Versicherte seinen PKV-Schutz zu den alten<br />
Bedingungen „verliert“?<br />
Grundsätzlich sind Versicherungsmakler, wenn Sie<br />
einen Beratungsbedarf erkennen,<br />
Sachwalter. Daraus folgt: Sie<br />
müssen den Kunden ansprechen<br />
und hinweisen. Das sagt schon<br />
das Sachwalterurteil [BGH,<br />
Urteil vom 22.05. 1985, Az.: IVa<br />
ZR 190/83 – Anmerkung<br />
Redaktion]. Makler müssen<br />
jedoch nicht mit der Glaskugel<br />
am Schreibtisch sitzen und<br />
Gedanken erahnen. Oder nicht<br />
gesätes Gras wachsen hören. Sie<br />
werden jedoch als Sachwalter des<br />
Kunden auf die Möglichkeiten<br />
hinweisen, wenn Sie Sachverhalte erfahren, die eine<br />
Beratungspflicht auslösen. Und da gehört das Thema<br />
Anwartschaften ganz normal dazu.<br />
Macht aus Ihrer Sicht auch eine GKV-Anwartschaftsversicherung<br />
Sinn, die die Rückkehr zu einer Krankenkasse<br />
ermöglicht? Wann?<br />
Sobald sich jemand ins Ausland begibt – auch innerhalb<br />
Europas - ist es zur Sicherung des Status „Ich war GKV“<br />
eine Empfehlung und ratsam. Zwar ist die Anwartschaftsversicherung<br />
– auch aufgrund der Versicherungspflicht<br />
– nicht mehr zwingend notwendig, jedoch für<br />
den Nachweis „Ich war GKV“ hilfreich. Hier gilt es, sich<br />
am besten schriftlich die Rückkehroption von seiner<br />
Krankenkasse bestätigen zu lassen. Denn das eine sind<br />
Gesetze und Vorschriften, das andere die Menschen, die<br />
sie umsetzen, interpretieren und wahrnehmen. Klingt<br />
jetzt erst mal nicht vertrauenserweckend und logisch.<br />
Doch geht es hier für den Kunden darum, dass, wenn er<br />
zum Beispiel krank ist, er seiner Pflicht sich zu
versichern trotzdem fristgerecht nachkommen und seinen<br />
letzten Status nachträglich beweisen muss für die<br />
Annahme in einer GKV. Und nach unter Umständen<br />
zehn oder 15 Jahren kann das ziemlich aufwendig werden.<br />
Wer berufsunfähig wird, kann den Anspruch auf Krankentagegeld<br />
verlieren: obwohl er vielleicht doch irgendwann<br />
in den Beruf zurückkehren kann. Auch hier<br />
sind Anwartschaften möglich. Sollten Versicherte<br />
davon Gebrauch machen und Makler dies ansprechen?<br />
Worauf sollten privat Krankenversicherte noch mit<br />
Blick auf eine mögliche Berufsunfähigkeit achten?<br />
Hier ist eine Anwartschaftsversicherung erst recht von<br />
Vorteil, um das Aufleben der PKV nach Gesundung<br />
wieder zu ermöglichen. Nach den Allgemeinen<br />
Vertragsbedingungen hat der Kunde zwar das<br />
grundsätzliche Recht, auch eine Anwartschaft für das<br />
Krankentagegeld abzuschließen, wenn die Aussicht auf<br />
Wiedereintritt in die Arbeitswelt besteht. Doch die<br />
Frage ist: Wer bestimmt darüber, ob die<br />
Erwerbstätigkeit wieder möglich wird? Wer hier beim<br />
Kauf der PKV auf die gesamte Qualität geachtet hat, hat<br />
Vorteile. Denn wenn im Leistungsfall viele Eigenleistungen<br />
- egal welche - zu erbringen sind, um<br />
Leistungen zu erhalten, kann das mühsam bis existentiell<br />
werden.<br />
Aktuell werden Anwartschaftsversicherungen auch für<br />
Berufsunfähigkeits-Policen diskutiert, wenn auch nach<br />
einem etwas anderen Modell: Eltern sollen sie für Kinder<br />
und Schüler abschließen und damit den Gesundheitszustand<br />
für später „einfrieren“, um kostengünstig<br />
eine BU abschließen zu können. Was halten Sie von einem<br />
solchen Modell? Wäre es aus Ihrer Sicht überhaupt<br />
machbar/ kalkulierbar?<br />
Alles, was Menschen den Zugang zu Policen ermöglicht,<br />
die existentiell sind, wie zum Beispiel Policen rund um<br />
die Arbeitskraftabsicherung, ist mehr als sinnvoll! Das<br />
lässt sich nach versicherungsmathematischen<br />
Grundsätzen berechnen. Doch auch hier würde gelten:<br />
Wähle dort, wo Du später kaufen willst.<br />
Die Fragen an Gerd Güssler stellte Mirko Wenig
Ist die Familienversicherung<br />
für<br />
Studenten die<br />
bessere Lösung?<br />
Daniel Feulner<br />
Abteilungsleiter PKV bei der Invers<br />
Sich als Studentin oder Student gesetzlich oder privat versichern? Wer sich in einer Universität<br />
oder Fachhochschule einschreibt, muss diese Entscheidung innerhalb von drei Monaten<br />
nach Immatrikulation treffen – keine lange Zeit für eine derart wichtige Entscheidung. Der<br />
<strong>Versicherungsbote</strong> sprach mit Daniel Feulner, Abteilungsleiter PKV beim Leipziger Maklerpool<br />
Invers, was er den angehenden Studierenden raten würde.<br />
<strong>Versicherungsbote</strong>: Studierende haben die Möglichkeit,<br />
in den ersten drei Monaten nach Immatrikulation einen<br />
Antrag auf Befreiung von der gesetzlichen Versicherungspflicht<br />
zu stellen. Sie können sich dann privat versichern.<br />
Was sollten Studierende beachten, wenn sie sich<br />
für diesen Schritt entscheiden wollen?<br />
Daniel Feulner: Für alle Studierenden gilt grundsätzlich:<br />
Sie müssen krankenversichert sein. Zunächst werden sie<br />
der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)<br />
zugeordnet. Aber zugleich haben Studierende einmalig<br />
zu Beginn des Studiums die Wahl, sich von der<br />
Versicherungspflicht befreien zu lassen und in der<br />
privaten Krankenversicherung (PKV) zu versichern. Das<br />
können alle Studierende machen und nicht nur<br />
diejenigen, die bereits vorher privat versichert waren.<br />
Wenn Studierende in die PKV wechseln möchten oder<br />
in dieser bleiben wollen, müssen sie spätestens drei<br />
Monate nach der Einschreibung an der Hochschule<br />
(Immatrikulation) einen Antrag auf Befreiung von der<br />
Versicherungspflicht bei Ihrer bisherigen Krankenkasse<br />
stellen. An die Wahl der Versicherung sind Ihre Kunden<br />
dann für die Dauer Ihres Studiums gebunden.<br />
Studierende können währenddessen nicht in das jeweils<br />
andere System wechseln.<br />
Was sind aus Ihrer Sicht Vorteile, wenn man sich als Student<br />
gesetzlich versichert? Was sind die Nachteile?<br />
Ein Vorteil ist, dass Studierende sich über Ihre Eltern<br />
familienversichern lassen können. Sofern diese über Ihre<br />
Eltern in der gesetzlichen Krankenkasse abgesichert sind,<br />
können sie dort auch während des Studiums bleiben.<br />
Studierende zahlen dann so lange keinen eigenen Beitrag,<br />
wie deren Eltern Kindergeld erhalten. Das ist in der Regel<br />
bis zur Vollendung des 25. Lebensjahrs der Fall. Nur die<br />
Eltern derjenigen, die Wehr- oder Bundesfreiwilligendienst<br />
geleistet haben, erhalten entsprechend länger<br />
Kindergeld – höchstens ein Jahr.<br />
Die Familienversicherung ist für Studierende meines<br />
Erachtens die günstigste Lösung. Zur Immatrikulation<br />
müssen Sie eine Versicherungsbescheinigung der<br />
Krankenkasse mitbringen, die Sie telefonisch bei der<br />
Kasse bestellen können.<br />
66
Studierende, die unmittelbar vor dem Studium<br />
pflichtversichert waren, etwa durch eine Ausbildung,<br />
durch Bundesfreiwilligendienst oder ein freiwilliges<br />
soziales Jahr, müssen sogar nach einem Urteil des<br />
Bundessozialgerichts während des Studiums in der<br />
gesetzlichen Krankenversicherung bleiben (Urteil vom<br />
27. April 2016, Az. B12KR24/14R). Die Betreffenden<br />
haben nicht mehr das Recht, in die private<br />
Krankenversicherung zu wechseln.<br />
Studierende können, wie alle Versicherten, zu einer Kasse<br />
Ihrer Wahl wechseln. Kinder von Studierenden sind über<br />
ihre studierenden Eltern oder über die Großeltern<br />
familienversichert.<br />
…und was sind Vor- und Nachteile für Studierende bei<br />
Wahl eines privaten Krankenversicherers?<br />
Selbstständigkeit auf die PKV festgelegt. Studierende<br />
sollten unbedingt vor Studienbeginn mit den Eltern<br />
diese Risiken absprechen.<br />
Eine weitere Ausgangssituation: Falls die Studierenden<br />
bereits vor dem Studium ausreichend verdient haben<br />
oder selbstständig waren, sind diese möglicherweise<br />
schon selbst privat versichert. In diesem Fall ist ein<br />
Wechsel zu einer gesetzlichen Krankenkasse nicht ohne<br />
Weiteres möglich.<br />
Nur wenn Studierende 30 Jahre oder jünger sind, gelten<br />
diese während des Studiums als versicherungspflichtig<br />
und können sich ohne Probleme für eine gesetzliche<br />
Krankenkasse entscheiden oder durch einen Antrag<br />
weiterhin privat versichert bleiben. Sind sie aber älter,<br />
haben sie diese Wahlmöglichkeit nicht, sie müssen in der<br />
PKV bleiben.<br />
Studierende, die bereits in der PKV sind, weil ein oder<br />
beide Elternteile privat versichert sind, können das auch<br />
im Studium bleiben. Dafür müssen diese sich zu Beginn<br />
des Studiums von der Krankenversicherungspflicht<br />
befreien lassen. Gerade Kinder von Beamten bleiben<br />
häufig weiterhin privat versichert, weil ihre Beiträge<br />
durch die Beihilfe sehr niedrig sind.<br />
An diese Entscheidung sind Studierende allerdings für<br />
das gesamte Studium gebunden. Und das kann aus<br />
folgenden Gründen teuer werden:<br />
Wer während des Studiums<br />
25 Jahre alt wird, fällt in der Regel<br />
aus dem günstigen Beihilfetarif<br />
heraus, da die Eltern kein<br />
Kindergeld mehr erhalten. Der<br />
normale Beitrag für privat<br />
versicherte Studierende ist<br />
deutlich höher.<br />
Wer nach dem Studium nicht<br />
gleich einen Job findet und<br />
Arbeitslosengeld II (Hartz IV)<br />
bezieht, bekommt entweder<br />
einen Zuschuss zur privaten<br />
Krankenversicherung oder die völlige Kostenübernahme<br />
(SGB 2 § 9). Dafür kann er aber auch die Vorteile seines<br />
Tarifs weiter nutzen. Von Amtswegen erfolgt eine<br />
Prüfung des möglichen Wechsels in den Basistarif, dessen<br />
Leistungen in etwa der gesetzlichen Krankenversicherung<br />
entsprechen.<br />
Wer sich nach dem Studium selbstständig macht, muss<br />
sich weiter privat versichern und ist für die Dauer der<br />
Studierende können,<br />
wie alle Versicherten,<br />
zu einer Kasse<br />
Ihrer Wahl<br />
wechseln.<br />
Viele Studierende sind darauf angewiesen, neben dem<br />
Studium zu arbeiten. Wer im Schnitt mehr als 20 Stunden<br />
arbeitet, gilt als versicherungspflichtig. Was müssen<br />
privat versicherte Studentinnen und Studenten mit<br />
Blick auf den Nebenjob beachten: gerade, wenn sie vielleicht<br />
doch auf einen umfassenderen Nebenjob angewiesen<br />
sind?<br />
Wenn Studierende neben dem Studium arbeiten und<br />
weniger als 450 Euro im Monat verdienen, sind<br />
Studierende dabei im Minijob<br />
von Sozialabgaben befreit. Überschreiten<br />
diese dagegen die 450-<br />
Euro-Grenze regelmäßig, sind sie<br />
nicht mehr beitragsfrei<br />
familienversichert. In der Regel<br />
ist dann der Studentenbeitrag zu<br />
zahlen.<br />
In der GKV ist es für Studentinnen<br />
und Studenten möglich,<br />
sich bis 25 Jahren in der<br />
Familienversicherung kostenfrei<br />
mitversichern zu lassen. Für viele<br />
dürfte das ein Grund sein, vorerst keinen privaten<br />
Krankenschutz zu wählen. Gibt es nach dieser Frist eine<br />
Option, noch in das PKV-System zu wechseln: Auch,<br />
wenn man sich nicht zu Studienbeginn freistellen ließ?<br />
Das Wichtigste zu dieser Frage in Kürze:<br />
▷ Studienanfänger können wählen zwischen der<br />
gesetzlichen (GKV) oder der privaten<br />
Krankenversicherung (PKV). In der Regel ist die<br />
67
▷<br />
▷<br />
▷<br />
GKV während des Studiums die bessere Wahl.<br />
Studierende sind in der gesetzlichen Krankenkasse<br />
ihrer Eltern bis zum 25. Lebensjahr kostenlos<br />
familienversichert.<br />
Der Studentenbeitrag zur gesetzlichen Kranken- und<br />
Pflegeversicherung liegt im Monat bei<br />
durchschnittlich rund 94 Euro für Kinderlose, die<br />
älter als 25 Jahre sind.<br />
Mit dem 30. Geburtstag wird es für Studierende<br />
deutlich teurer, weil sie dann keinen vergünstigten<br />
Beitrag mehr bekommen.<br />
Wer im Studium privat versichert war, kann danach<br />
nicht zurück in die GKV wechseln, wenn er sich<br />
selbstständig macht.<br />
Beamtenkinder haben in der Regel bis zur Vollendung<br />
des 25. Lebensjahres Anrecht auf Beihilfe durch ihre Eltern<br />
und müssen sich dann voll versichern. Das kann in<br />
der PKV gerade dann Mehrkosten verursachen, wenn<br />
das Geld knapp wird: etwa, wenn man länger studiert<br />
und Bafög auslief. Sollten Studierende schon bei der anfänglichen<br />
Wahl ihres PKV-Tarifes die Zeit danach<br />
beachten? Welche Optionen gibt es dann, die Kosten zu<br />
senken?<br />
Hängt es auch von der Studienwahl ab, ob man sich als<br />
Studentin oder Student privat versichern sollte? Zum<br />
Beispiel, weil man die späteren Jobchancen, potentielles<br />
Beihilfe-Anrecht etc. im Blick hat?<br />
Nein, nicht zwangsläufig. Wenn man sich nicht sicher ist,<br />
ob man sich gesetzlich oder privat versichern möchte,<br />
kann man auch mit einen Optionstarif für eine<br />
Vollversicherung planen. Diesen bieten viele private<br />
Krankenversicherungsgesellschaften an. Man erhält sich<br />
den Gesundheitsstand von jetzt und kann später optimal<br />
umstellen.<br />
Es gibt Studienfächer, mit denen man nicht gleich einen<br />
Job findet und erst mal eine Weile arbeitslos sein wird.<br />
Wenn ich recht informiert bin, droht dann der Basistarif.<br />
Wie lässt sich aus Ihrer Sicht die Zeit zwischen Studium<br />
und ersten Job überbrücken? Statistisch sind<br />
Studierende mehr als zehn Monate nach Abschluss auf<br />
Jobsuche.<br />
Die Wahl der Krankenversicherung während des<br />
Studiums wirkt sich auch auf die Zeit danach aus. Nicht<br />
immer ist ein Systemwechsel möglich.<br />
Bei Kinder mit Beihilfeberechtigung entfällt in den<br />
meisten Fällen mit Vollendung des 25. Lebensjahr das<br />
Anrecht auf Beihilfe. Diese müssen dann in einen<br />
100-Prozent-Tarif wechseln. Hier sollte schon bei Beginn<br />
des Studiums drauf geachtet werden, welche Mehrkosten<br />
drohen und wie diese gestemmt<br />
werden können, wenn sich die<br />
Studentin oder der Student<br />
Gedanken über die Befreiung in<br />
der GKV macht.<br />
Aber Mehrkosten drohen auch<br />
bei einer gesetzlichen<br />
Krankenkasse. Sobald Studierende<br />
während des Studiums<br />
30 Jahre alt werden oder das<br />
14. Fachsemester erreicht haben,<br />
entfällt der Studentenrabatt in<br />
der GKV. Sie müssen sich dann<br />
freiwillig gesetzlich versichern. Die Berechnung erfolgt<br />
dann über die GKV. Auch während eines<br />
Promotionsstudiums können Studierende nicht mehr<br />
von der studentischen Krankenversicherung profitieren.<br />
Das hat das Bundessozialgericht klargestellt (Urteil vom<br />
7. Juni 2018, Az. B 12 KR 15/16 R). Doktoranden müssen<br />
sich damit freiwillig gesetzlich versichern.<br />
68<br />
Die Wahl der Krankenversicherung<br />
während des<br />
Studiums wirkt sich<br />
auch auf die Zeit<br />
danach aus.<br />
Keine Probleme gibt es in der Regel, wenn Studierende<br />
nach dem Studium angestellt arbeiten. Waren diese zuvor<br />
gesetzlich versichert, können die Betroffenen das auch<br />
weiterhin bleiben.<br />
Waren Studierende privat<br />
versichert, dürfen sie nun<br />
zwischen gesetzlicher und<br />
privater Krankenversicherung<br />
wählen. In den meisten Fällen ist<br />
die GKV zunächst die bessere<br />
Option.<br />
Selbst, wenn Studierende<br />
während des Studiums<br />
privat versichert waren und<br />
gleich zum Berufsstart mehr als<br />
62.550 Euro (Jahresarbeitsentgeltgrenze<br />
<strong>2020</strong>) verdienen,<br />
können sie sich gesetzlich versichern. Eine<br />
Sonderregelung gibt ihnen eine einmalige Beitrittsmöglichkeit<br />
zur GKV, sofern sie zuvor noch nicht<br />
voll berufstätig waren.<br />
Falls Studierende sich nach Studiumsende selbstständig<br />
machen und bislang gesetzlich versichert waren, haben<br />
sie grundsätzlich die Wahl zwischen den Systemen. In der
Regel sollten Studierende als Gründer aber zunächst bei<br />
einer gesetzlichen Kasse bleiben und sich freiwillig<br />
versichern. Wenn diese den Existenzgründerzuschuss<br />
erhalten, profitieren sie in der GKV zudem von<br />
niedrigeren monatlichen Mindestbeiträgen.<br />
An einen Wechsel in die PKV sollten Studierende als<br />
Selbstständige erst denken, wenn das Geschäft gut läuft:<br />
auch mit Blick in die Zukunft. Wenn Studierende<br />
dagegen privat versichert waren, müssen sie das als<br />
Selbstständige auch bleiben und den vollen Beitrag<br />
bezahlen. Wichtig: Der Wechsel in Billigtarife mit<br />
schlechten Leistungen ist nicht zu empfehlen. Diese<br />
werden mit der Zeit oft unverhältnismäßig teuer und<br />
sind schwer aufzustocken, wenn sich der<br />
Gesundheitszustand verschlechtert.<br />
Sofern Studierende nach dem Studium verbeamtet<br />
werden, können und sollten diese sich in der Regel<br />
privat versichern, um von der Beihilfe zu profitieren.<br />
Finden Studierende nach Ende ihres Studiums keinen<br />
Job, haben diese meist keinen Anspruch auf<br />
Arbeitslosengeld I, da sie ja zuvor nicht in die<br />
Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben. Allerdings<br />
können diese dann Arbeitslosengeld II (Hartz IV)<br />
beantragen. Dann erhalten die Betroffenen nicht nur die<br />
Grundsicherung, sondern das Amt bezahlt auch deren<br />
Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung.<br />
Privat versicherte Hochschulabsolventen ohne Job<br />
haben die Möglichkeit, in den Basistarif zu wechseln,<br />
um Beiträge zu sparen. Auch dafür gibt es einen<br />
Zuschuss. In die GKV kann nur wechseln, wer aufgrund<br />
einer früheren Anstellung Arbeitslosengeld I bezieht.<br />
Die Fragen an Daniel Feulner<br />
stellte Mirko Wenig
Sara & Marco von Love & Compass:<br />
Weltreise als Beruf<br />
Marco Klüber<br />
Weltreisender und Blogger<br />
Reisen als Beruf? Das junge Paar Sara und Marco Klüber reist gemeinsam um die Welt – und<br />
berichtet auf dem Blog „Love & Compass“ von den gemeinsamen Erlebnissen. Versichert sind<br />
die beiden Weltenbummler aus Berufung bei der BDAE Krankenversicherung, die digitale<br />
Nomaden auch dann versichert, wenn der Wohnsitz in Deutschland aufgegeben wurde und<br />
wenn der Auslandsaufenthalt nicht nur vorübergehend ist. Der <strong>Versicherungsbote</strong> sprach mit<br />
Marco Kübler über Geld, den Blog und über das Leben als Weltreisende.<br />
<strong>Versicherungsbote</strong>: Seit 2016 reist Ihr um die Welt. Wie<br />
würdet Ihr Euren „Beruf“ bezeichnen? Influencer, Globetrotter,<br />
Marketing Backpacker?<br />
Marco Klüber: Weder noch. Wir würden uns ganz<br />
klassisch als Reiseblogger bezeichnen. Außerdem darf<br />
man das Wort „Beruf“ gerne ohne Anführungszeichen<br />
schreiben. Wir leben seit mehreren Jahren von unserem<br />
Reiseblog für Paare, Love & Compass, und investieren<br />
dafür dementsprechend viel Zeit. 40-Stunden-Woche?<br />
Kennen wir nicht mehr. Ein normaler Arbeitstag beträgt<br />
bei uns ca. 10 Stunden. Außerdem arbeiten wir auch am<br />
Wochenende.<br />
Ihr habt Eure bisherige Existenz für den Traum aufgegeben,<br />
um die Welt zu reisen. Darf ich fragen, was Ihr zuvor<br />
gemacht habt?<br />
Sara war im Einzelhandel tätig und ich als Elektroniker.<br />
Also zwei in Deutschland ganz normale Berufe.<br />
Wie lange bleibt Ihr im Schnitt an einem Ort? Bleibt<br />
überhaupt genug Zeit, diesen zu genießen?<br />
Das ist ganz unterschiedlich – mindestens einen Monat,<br />
manchmal auch zwei. Wir reisen eher langsam. Und unser<br />
Ziel ist es nicht, so viel wie möglich zu sehen, sondern jene<br />
Orte und Menschen, die wir sehen, intensiv kennenzulernen.<br />
Deshalb bleibt meist auch etwas Zeit zum Genießen.<br />
…und wie entscheidet Ihr, wo es als nächstes hingeht? Ist<br />
das genau geplant oder eher spontan? Wie informiert Ihr<br />
Euch über die Orte?<br />
Wir machen das meist spontan und nach Gefühl. Zu dem<br />
Land, auf das wir im jeweiligen Moment am meisten Lust<br />
haben, reisen wir am Ende auch hin.<br />
Für die einzelnen Länder informieren wir uns auf drei<br />
verschiedene Arten:<br />
1. Im Internet recherchieren wir bei anderen Reiseblogs<br />
und Webseiten.<br />
2. Wir fragen unsere Community in Social Media – da<br />
bekommen wir oft richtig geile Tipps!<br />
3. Je nach Land kaufen wir uns auch einen guten<br />
Reiseführer.<br />
70
Über Geld spricht man nicht. Aber macht Ihr Euch auf<br />
Reisen auch über Geld Gedanken? Und wie finanziert Ihr<br />
Euch – ausschließlich über Werbung?<br />
Wir machen uns fast täglich über Geld Gedanken,<br />
schließlich sind wir in der Tourismusbranche tätig.<br />
Vereinfacht gesagt verdienen wir unser Geld durch die<br />
Inhalte, die wir unseren Lesern zu den einzelnen Ländern<br />
liefern.<br />
Um ehrlich zu sein, ist der geringste Anteil unserer<br />
Einnahmen klassische, bezahlte Werbung. Kooperationen<br />
mit anderen Unternehmen gehen wir nur sehr selten ein<br />
und nur, wenn die Produkte auch wirklich zu uns passen<br />
und für unsere Community interessant sind. Wir mögen<br />
es selbst nicht, wenn wir auf anderen Blogs oder in<br />
Instagram mit Werbung überladen werden.<br />
Unsere beiden Haupteinnahmequellen sind dagegen<br />
Affiliate-Marketing und der Verkauf unserer eigenen<br />
Produkte. Bei Affiliate-Marketing empfehlen wir<br />
Reiseequipment, Hotels, Touren oder andere Services<br />
weiter, die wir selbst nutzen und auch selbst bezahlt<br />
haben. Kommt über diese Empfehlungslinks eine<br />
Buchung zustande, bekommen wir anschließend eine<br />
kleine Provision.<br />
Außerdem haben wir bereits mehrere eigene Produkte<br />
veröffentlicht. Einen Reiseführer zur Insel Nusa Penida in<br />
Indonesien und einen weiteren Reiseführer über<br />
Andalusien. Beide Reiseführer haben wir im Eigenverlag<br />
verlegt. Zusätzlich kam im Mai 2019 ein weiteres Buch<br />
zusammen mit dem LEO-Verlag dazu. Es heißt „Mit dem<br />
Laptop um die Welt – erfolgreich, frei & glücklich als<br />
digitaler Nomade“ und beschreibt unseren eigenen Weg<br />
von zwei frustrierten, jungen Menschen zu erfolgreichen<br />
Online-Unternehmern bzw. digitalen Nomaden.<br />
Außerdem geben wir Lesern ganz viele nützliche<br />
Anleitungen, Tipps und Infos an die Hand, wie sie selbst<br />
online durchstarten können.<br />
Ihr berichtet, Anlass für die Reise sei eine Hautkrankheit<br />
von Marco gewesen. Wieso entschließt man sich in solch<br />
einer Krise, um die Welt zu reisen? Gab es eine bestimmte<br />
Situation, in der Ihr wusstet: Jetzt wollen wir unser Leben<br />
ändern?<br />
Der Entschluss dafür fiel nicht während der Krankheit,<br />
sondern danach. Es war lange Zeit unklar, ob ich jemals<br />
wieder geheilt werden könnte und ob mein Leben<br />
überhaupt lebenswert bleiben würde. Als ich zum Glück<br />
mehrere Monate später wieder auf den Beinen stand –<br />
wohlgemerkt durch die Hilfe eines Heilpraktikers,<br />
nachdem zig Ärzte und Krankenhäuser gescheitert sind –<br />
merkten wir beide, dass wir etwas ändern müssen. Wir<br />
wussten noch nicht, was. Aber wir entschieden uns dazu,<br />
etwas Abstand zu bekommen und gemeinsam für vier<br />
Wochen nach Thailand zu reisen. Die Reise half uns<br />
extrem dabei, unsere Gedanken zu ordnen.<br />
Außerdem lernten wir in Thailand zum ersten Mal einen<br />
digitalen Nomaden kennen, der – egal wo – auf der<br />
ganzen Welt arbeitete. Wichtig waren nur sein Laptop<br />
und eine gute Internetverbindung. Diese Lebensweise<br />
sprengte damals unsere komplette Vorstellungskraft und<br />
ließ uns gedanklich einfach nicht mehr los. Anschließend<br />
kam eins zum anderen. Und ca. sechs Monate später<br />
entschieden wir uns endgültig dazu, in Deutschland alle<br />
Zelte abzubrechen und uns als Quereinsteiger in die<br />
verschiedensten Online-Bereiche einzuarbeiten.<br />
Wart Ihr auch im Ausland schon auf medizinische Behandlungen<br />
angewiesen? Worauf sollte man achten,<br />
wenn man im Ausland einen Arzt aufsuchen muss?<br />
Ja, waren wir schon öfters. Vor allem in ärmeren Regionen<br />
der Erde wie Asien oder Afrika vermeiden wir die<br />
einfacheren Krankenhäuser oder Arztpraxen, in denen die<br />
meisten Einheimischen behandelt werden. Nicht, weil wir<br />
uns zu fein sind. Sondern weil viele Ärzte entweder nur<br />
schlechtes Englisch sprechen oder die medizinischen<br />
Geräte völlig veraltet sind. Auch die Hygiene ist<br />
manchmal fragwürdig.<br />
Um einen passenden Arzt zu finden, checken wir im<br />
Internet immer die Bewertungen und Bilder<br />
verschiedener ärztlicher Einrichtungen in unserer Nähe.<br />
So finden wir meist relativ zügig eine passende Option.<br />
Fehlgriffe blieben uns bis jetzt zum Glück erspart!<br />
Vieles, was Ihr postet, sieht superschön und aufregend<br />
aus: wie aus dem Katalog. Was entgegnet Ihr jenen, die<br />
sagen: Social Media liefert ein Zerrbild der Wirklichkeit?<br />
Gab es auch Eindrücke auf der Reise, die Euch bedrückt<br />
und nachdenklich gemacht haben? Und warum finden<br />
diese so wenig Eingang in Euren Blog?<br />
Sorry, aber das ist glatt gelogen. Wir berichten in Social<br />
Media sowohl von unseren tollen als auch unseren<br />
schlechten Erlebnissen. Speziell in den Instagram Stories<br />
haben wir schon öfters Momente geteilt, in denen wir eine<br />
71
schlechte Erfahrung hatten oder es uns persönlich nicht<br />
gut ging. Auch Reiseerlebnisse, die uns bedrücken, teilen<br />
wir auf unserem Blog sowie Social Media. Zum Beispiel<br />
das Aussterben der Orang-Utans auf Borneo, den<br />
Vietnamkrieg, die Waldbrände in den Amazonasgebieten,<br />
Massentierhaltung und einiges mehr. Es gibt genug<br />
Beispiele.<br />
… wie geht Ihr mit Heimweh um? Fällt es schwer,<br />
Freundschaften und den Kontakt zur Familie zu halten?<br />
Heimweh haben wir mal mehr, mal weniger. Generell sind<br />
wir mittlerweile wieder öfter in Deutschland unterwegs,<br />
um Familie und Freunde zu treffen. Das war vor 1-2 Jahren<br />
noch anders. Den Kontakt zu halten fällt uns nicht<br />
schwer. In Zeiten von Skype, What’s App, Instagram und<br />
Facebook gibt’s ja mittlerweile genug Möglichkeiten, um<br />
sich auch am anderen Ende der Welt mit den Liebsten in<br />
der Heimat auszutauschen.<br />
Klima gesprochen. Ist das für Euch ein Thema? Und wie<br />
positioniert Ihr Euch dazu als Weltreisende?<br />
Absolut ist das ein Thema – ein sehr wichtiges sogar.<br />
Innerhalb eines Landes reisen wir seit Anfang an nur mit<br />
Bus und Zug. Aber auch länderübergreifend nutzen wir<br />
immer seltener das Flugzeug und legen auch längere<br />
Strecken mit nachhaltigeren Transportmitteln zurück.<br />
Wir hoffen darauf und arbeiten daran, irgendwann<br />
komplett auf das Fliegen verzichten zu können.<br />
Die Fragen am Marco Klüber stellte Mirko Wenig<br />
In Deutschland wird gerade viel über Flugscham und
Wie sich ein Wechsel von der PKV in die<br />
GKV in der 2. Hälfte des Erwerbslebens<br />
auswirken kann<br />
Sven Wenig<br />
Autor des <strong>Versicherungsbote</strong>n<br />
Ein Wechsel von der privaten Krankenversicherung in die gesetzliche Krankenversicherung<br />
aus Angst vor steigenden PKV-Beiträgen im Alter? Ein solcher Weg ist nicht ohne gründliche<br />
Planung möglich und steht zudem in der Regel nur Menschen bis zum Alter von 55 Jahren offen.<br />
Plant man aber trotz der Hürden des Gesetzgebers diesen Gang in die GKV, sollte man<br />
sich auch vor einer möglichen Milchmädchenrechnung hüten.<br />
Wer im Ruhestand als freiwillig Versicherter in der<br />
gesetzlichen Krankenversicherung der Rentner (KVdR)<br />
versichert ist, kann mitunter gar mehr für seine Krankenund<br />
Pflegeversicherung hinblättern als ein privat<br />
Versicherter – Hürden für eine günstige Pflichtversicherung<br />
in der KVdR sind hoch. Anhand von<br />
Modellrechnungen macht der <strong>Versicherungsbote</strong> mit der<br />
komplexen Materie der Kranken- und Pflegeversicherung<br />
im Ruhestand bekannt.<br />
Rückkehr von PKV in die GKV? –<br />
Hohe Hürden des Gesetzgebers<br />
Mit zunehmendem Alter drohen in der privaten<br />
Krankenversicherung (PKV) steigende Beiträge. Das<br />
bringt insbesondere privat Versicherte mit unstetem<br />
Einkommen und unsicheren Status dazu, mit einer<br />
Rückkehr zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)<br />
zu liebäugeln. Für eine Rückkehr aber hat der<br />
Gesetzgeber hohe Hürden errichtet. Soll doch verhindert<br />
werden, dass Menschen in jungen Jahren durch günstige<br />
Prämien in die PKV gelockt werden, sie aber in „teuren“<br />
Altersjahren mit hohen Gesundheitsrisiken zurück<br />
wechseln und dann die GKV durch hohe Kosten<br />
zusätzlich belasten. Wer also mit einer Rückkehr in die<br />
GKV plant, sollte zunächst wissen, unter welchen<br />
Bedingungen dies überhaupt möglich ist:<br />
1.) Eine unüberwindliche Hürde für viele Wechselwillige<br />
müssen Menschen ab dem Alter von 55 Jahren zur<br />
Kenntnis nehmen – und zwar durch § 6 Abs. 3a des<br />
fünften Sozialgesetzbuches (SGB V). Denn waren<br />
Menschen ab 55 in den letzten fünf Jahren vor Eintritt<br />
der Versicherungspflicht nicht gesetzlich versichert oder<br />
waren sie mindestens die Hälfte dieser Zeit<br />
versicherungsfrei, von der Versicherungspflicht befreit<br />
oder hauptberuflich selbstständig, ist ihnen die<br />
Rückkehr in die GKV komplett verbaut.<br />
2.) Aber auch für Menschen U55 ist der Weg zurück zu<br />
einer Krankenkasse schwer und ist einzig durch Wiedererlangen<br />
der Versicherungspflicht möglich – hierfür<br />
müssen oft verschlechterte Bedingungen in Kauf<br />
genommen werden. Für Arbeiter und Angestellte, die<br />
sich zuvor haben von der Versicherungspflicht befreien<br />
lassen, ist der einzig das Unterschreiten der<br />
73
Jahresarbeitsentgeltgrenze maßgebend für die Versicherungsfreiheit.<br />
In <strong>2020</strong> liegt diese Grenze bei<br />
62.550 Euro brutto jährlich. Erst, wenn diese Grenze<br />
unterschritten ist, tritt die Versicherungspflicht<br />
wieder ein.<br />
Durch reduziertes Einkommen – zum Beispiel durch<br />
Nutzen von Teilzeit oder Brückenteilzeit gemäß § 9a des<br />
sogenannten Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) –<br />
haben Angestellte allerdings tatsächlich Möglichkeiten,<br />
den Weg zurück in die GKV zu planen: ohne Aufgabe<br />
ihres aktuellen Angestelltenverhältnisses. Freilich muss<br />
hierfür ein sinkendes Einkommen und müssen damit in<br />
der Regel auch sinkende Rentenansprüche hingenommen<br />
werden.<br />
3.) Für Selbstständige gilt<br />
zunächst: Der Weg zurück in die<br />
gesetzliche Krankenversicherung<br />
ist der Weg in ein hauptberufliches<br />
Angestelltenverhältnis.<br />
Die selbständige<br />
Tätigkeit darf dann entweder nur<br />
noch als Nebenberuf ausgeübt<br />
oder muss gänzlich aufgegeben<br />
werden. Grundsätzlich gilt aber<br />
auch hierfür: Der Weg ist nur<br />
möglich bei einem Einkommen<br />
unterhalb der Jahresarbeitsentgeltgrenze.<br />
Aus diesem Grund fällt jenen Selbstständigen der<br />
Wechsel leicht, die mit geringeren Einkünften in ein<br />
hauptberufliches Angestelltenverhältnis wechseln<br />
können. Insbesondere Solo-Selbstständige, also<br />
Unternehmer ohne Angestellte, liebäugeln damit – laut<br />
Bundesregierung (Drucksache 18/10762) verfügen fast<br />
30 Prozent aller Solo-Selbstständigen über ein persönliches<br />
Einkommen von weniger als 1.100 Euro. Für solche<br />
Menschen bedeutet ein Wechsel in die GKV oft mehr<br />
Sicherheit gegenüber Unwägbarkeiten des zunehmenden<br />
Alters. Ein anderer Weg wäre die Geschäftsaufgabe, um<br />
sich über den Ehe- oder Lebenspartner<br />
familienversichern zu lassen. Hierfür darf jedoch der in<br />
eine Familienversicherung Eintretende gemäß § 10 SGB<br />
V ein bestimmtes Gesamteinkommen nicht<br />
überschreiten – die Grenze ist sehr niedrig angesetzt und<br />
beträgt 538,33 Euro für <strong>2020</strong>. Auch der Weg in die<br />
Arbeitslosigkeit würde wieder zur Versicherungspflicht<br />
und damit in eine gesetzliche Krankenkasse führen, wäre<br />
aber häufig auch ein schmerzlicher Schritt hinab zu<br />
einem niedrigeren sozialen Status.<br />
74<br />
Mit zunehmendem<br />
Alter drohen in der<br />
privaten Krankenversicherung<br />
steigende Beiträge.<br />
Pflichtversicherung im Erwerbsleben sichert<br />
nicht die Versicherungspflicht in der KVdR<br />
Aber Obacht: Wer in der zweiten Hälfte seines<br />
Erwerbslebens mit einer Rückkehr in die GKV<br />
liebäugelt, sollte zuvor Auswirkungen auf die Beitragslast<br />
im Rentenalter bedenken. Denn so manche scheinbar<br />
günstige Rechnung entpuppte sich im Nachhinein als die<br />
berüchtigte sprichwörtliche Milchmädchenrechnung.<br />
Der Grund: Eine mitunter hohe Beitragslast aufgrund<br />
einer freiwilligen Versicherung in der<br />
Krankenversicherung der Rentner. Was viele nämlich<br />
nicht wissen: Werden sie in der zweiten Hälfte ihres<br />
Erwerbslebens wieder versicherungspflichtig, haben sie<br />
zwar die Pflichtversicherung in<br />
der gesetzlichen Krankenversicherung<br />
wiedererlangt.<br />
Dadurch aber haben sie<br />
keineswegs einen Anspruch auf<br />
die günstige Pflichtversicherung<br />
in der KVdR während ihres<br />
Ruhestands erworben.<br />
Vorauszusetzen ist zunächst für<br />
den gesetzlichen Krankenversicherungsschutz<br />
im Ruhestand:<br />
Die KVdR darf nicht als eine Art<br />
übergeordnete gesetzliche Krankenkasse missverstanden<br />
werden. KVdR-Mitglieder bleiben, zusätzlich zu ihrem<br />
KVdR-Status, zugleich Mitglieder ihrer gesetzlichen<br />
Krankenkassen. Der Status der Mitgliedschaft<br />
entscheidet aber wesentlich über finanzielle Auswirkungen<br />
des Kranken- und Pflegeversicherungsschutzes,<br />
und zwar aufgrund unterschiedlicher<br />
Vorgaben zur Beitragsbemessung. Müssen doch auch<br />
Ruheständler Beiträge sowohl für ihren<br />
Krankenversicherungsschutz als auch für die Pflegeversicherung<br />
entrichten.<br />
Modellrechnung für Beiträge bei<br />
Pflichtmitgliedschaft in der KVdR<br />
Die Pflichtversicherung in der KVdR ist zunächst am<br />
günstigsten, da auf viele Einkunftsarten keine oder<br />
verhältnismäßig geringe Krankenkassenbeiträge anfallen:<br />
▷<br />
Bei versicherungspflichtigen Rentnern in der KVdR<br />
wird auf die gesetzliche Rente zunächst der<br />
allgemeine Beitragssatz für die Krankenversicherung<br />
in Höhe von derzeit 14,6 Prozent fällig – diesen
tragen jeweils zur Hälfte der Rentenversicherungsträger<br />
sowie der versicherungspflichtige<br />
Rentner. Ebenfalls paritätisch aufgeteilt<br />
zwischen Rentner und RV-Träger wird seit dem<br />
01.01.2019 der durch die Krankenkassen erhobene<br />
Zusatzbeitrag – durchschnittlich liegt dieser in <strong>2020</strong><br />
bei 1,1 Prozent. Demnach werden Krankenkassenbeiträge<br />
in Höhe von 15,7 Prozent in <strong>2020</strong><br />
fällig, von denen die Rentenversicherungsträger<br />
7,85 Prozent übernehmen.<br />
▷ Hinzu kommen Beiträge zur sozialen<br />
Pflegeversicherung auf die gesetzliche Rente in Höhe<br />
von 3,05 Prozent sowie – gegebenenfalls – der<br />
Kinderlosenzuschlag gemäß SGB XI in Höhe von<br />
0,25 Prozent. Die Pflegeversicherungsbeiträge tragen<br />
die Ruheständler allerdings allein.<br />
▷ Gänzlich allein tragen die Pflichtversicherten<br />
15,7 Prozent KV-Beiträge sowie 3,05 Prozent<br />
PV-Beiträge (+ ggf. Kinderlosenzuschlag) auf<br />
Versorgungsbezüge als „der Rente vergleichbare<br />
Einnahmen“. Zu solchen Versorgungsbezügen mit<br />
doch hoher Beitragslast zählen unter anderem<br />
▷<br />
▷<br />
Betriebsrenten. Allerdings greift für Pflichtversicherte<br />
in der KVdR hier ab Beginn <strong>2020</strong> ein<br />
Freibetrag in Höhe von aktuell 159,25 Euro, der<br />
allerdings nur für die KV-Beiträge, nicht jedoch für<br />
die Pflegeversicherung gilt. Erst für darüber<br />
hinausreichende Beträge wird der KV-Beitrag<br />
veranschlagt.<br />
Veranschlagt wird die Summe aller Einkünfte bis zur<br />
jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze (BBG) in der<br />
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV):<br />
4.687,50 Euro im Monat in <strong>2020</strong>. Diese Grenze ist für<br />
KV-Beiträge, aber auch für Beiträge zur sozialen<br />
Pflegeversicherung verbindlich.<br />
Keine Beiträge hingegen zahlen Pflichtversicherte in<br />
der KVdR für Einkünfte aus Mieten oder für<br />
Kapitaleinkünfte. Und auch für Privatrenten (zum<br />
Beispiel aus einer Lebensversicherung) zahlen<br />
Pflichtversicherte in der KVdR keine KV- oder<br />
PV-Beiträge.<br />
Demnach sieht eine mögliche Beispielrechnung für<br />
pflichtversicherte Rentner wie folgt aus:<br />
Pflichtversicherter Rentner in der KVdR: 1.500 Euro gesetzliche Rente<br />
Art der Einkünfte<br />
Beiträge<br />
Krankenversicherung<br />
Beiträge<br />
Pflegeversicherung<br />
Beiträge gesamt<br />
Gesetzl. Rente 1.500 €<br />
117,75 €<br />
(15,7 % durch 2 =<br />
7,85 % von 1.500 €)<br />
45,75 €<br />
(3,05 % von 1.500 €)<br />
163,50 €<br />
Betriebsrente 250 €<br />
14,25 €<br />
(250 € minus Freibetrag<br />
von 159,25 € = 90,75<br />
€/ davon 15,7 %)<br />
7,63 €<br />
(3,05 % von 250 €)<br />
21,88 €<br />
Mieteinnahmen 450 € 0 0 0<br />
Privatrente 500 € 0 0 0<br />
Summe 2.700 € 132 € 53,38 € 185,38 €
9/10-Klausel verbaut vielen Ruheständlern<br />
die günstige Pflichtversicherung<br />
Die günstige Pflichtversicherung in der GVdR ist jedoch<br />
durch eine hohe Hürde des Gesetzgebers – die so<br />
genannte „9/10-Klausel“ aus § 5 Abs. 1 Satz 1 Punkt 11 des<br />
5. Sozialgesetzbuches – für viele verbaut. Laut<br />
Sozialgesetzbuch nämlich wird eine sogenannte<br />
„Vorversicherungszeit“ zur Bedingung gemacht für die<br />
günstige Pflichtversicherung in der KVdR.<br />
Die gesetzliche Voraussetzung ist nur dann erfüllt, wenn<br />
seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis<br />
zur Rentenantragstellung mindestens 9/10 der zweiten<br />
Hälfte dieses Zeitraums eine Mitgliedschaft in der<br />
gesetzlichen Krankenversicherung bestand. Zwar<br />
milderte eine Reform seit August 2017 die Forderung ab<br />
– für jedes Kind, Stiefkind oder Pflegekind kann nun<br />
eine Zeit von drei Jahren als Vorversicherungszeit<br />
geltend gemacht werden. Dennoch erfüllen viele<br />
Menschen die 9/10-Klausel nicht, die in der zweiten<br />
Hälfte ihres Erwerbslebens länger privat<br />
krankenversichert waren.<br />
Freiwillig versicherter Rentner in der KVdR: 1.500 Euro Rente<br />
Art der Einkünfte<br />
Beiträge<br />
Krankenversicherung<br />
Beiträge<br />
Pflegeversicherung<br />
Beiträge gesamt<br />
Gesetzl. Rente 1.500 €<br />
117,75 €<br />
(15,7 % durch 2 = 7,85 %<br />
von 1.500 €)<br />
45,75 €<br />
(3,05 % von 1.500 €)<br />
163,50 €<br />
39,25 €<br />
Betriebsrente 250 €<br />
(14,6 % + 1,1 % von den<br />
vollen 250 €, da freiwillig<br />
in der KVdR Versicherte<br />
den neu geschaffenen<br />
Freibetrag nicht geltend<br />
machen können)<br />
7,63 €<br />
(3,05 % von 250 €)<br />
46,88 €<br />
67,95 €<br />
Mieteinnahmen 450 €<br />
(14 % ermäßigter<br />
Beitragssatz für so<br />
genannte „sonstige<br />
beitragspflichtige<br />
Einnahmen“ + 1,1 %<br />
Zusatzbeitrag von 450 €)<br />
13,73 €<br />
(3,05 % von 450 €)<br />
81,68 €<br />
Privatrente 500 €<br />
75,50 €<br />
(14 % ermäßigter Satz +<br />
1,1 % von 500 €)<br />
15,25 €<br />
(3,05 % von 500 €)<br />
90,75 €<br />
Summe 2.700 € 300,45 € 82,36 € 382,81 €
Beispiel eines Basistarifs der HanseMerkur mit Bezuschussung für 1.500 Euro gesetzliche<br />
Rente durch den Rentenversicherungsträger<br />
Art der Einkünfte<br />
Beiträge<br />
Krankenversicherung<br />
Beiträge<br />
Pflegeversicherung<br />
Beiträge gesamt<br />
259,05 €<br />
Gesetzl. Rente 1.500 €<br />
376,80 € PKV-Prämie<br />
(unabhängig von der<br />
Höhe dieser Rente)<br />
minus 117,75 €<br />
Zuschuss<br />
(7,85 % von 1.500 €)<br />
0 0<br />
Betriebsrente 250 € 0 0 0<br />
Mieteinnahmen 450 € 0 0 0<br />
Privatrente 500 € 0 0 0<br />
Summe 2.700 € 259,05 €<br />
101,02 €<br />
(unabhängig von den<br />
Einnahmen)<br />
360,07 €<br />
Modellrechnung für Beiträge bei freiwilliger<br />
Mitgliedschaft in der KVdR<br />
Erfüllt aber eine Rentnerin oder ein Rentner<br />
Bedingungen für eine solche Pflichtversicherung nicht,<br />
bleibt nur die Möglichkeit einer freiwilligen<br />
Versicherung in der KVdR:<br />
▷ Zwar bezuschusst der Rentenversicherungsträger<br />
auch hier auf Antrag paritätisch die KV-Beiträge auf<br />
gesetzliche Renten – gesetzliche Grundlage ist § 106<br />
SGB VI. Bei freiwillig Versicherten in der KVdR<br />
allerdings muss die gesamte wirtschaftliche<br />
Leistungsfähigkeit für die Beitragsbemessung<br />
berücksichtigt werden.<br />
▷ Auf Einkunftsarten müssen also zudem auch KVund<br />
PV-Beiträge entrichtet werden, die bei einer<br />
Pflichtversicherung beitragsfrei bleiben würden –<br />
zum Beispiel auf Einnahmen aus Mieten oder aus<br />
Kapitalvermögen sowie auf Privatrenten. All diese<br />
Einkünfte werden zum ermäßigten Beitragssatz von<br />
14 Prozent + Zusatzbeitrag der jeweiligen<br />
Krankenkasse (in <strong>2020</strong> durchschnittlich 1,1 Prozent)<br />
veranschlagt und sind durch den Ruheständler allein<br />
zu stemmen. Veranschlagt werden aller Einkünfte<br />
freilich auch bei freiwillig Versicherten in der KVdR<br />
nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze von monatlich<br />
4.687,50 Euro in der Summe in <strong>2020</strong>.<br />
▷ Zudem greifen bei freiwillig Versicherten<br />
Freibeiträge für die Betriebsrenten nicht, die bei<br />
einer Pflichtmitgliedschaft geltend gemacht werden<br />
könnten.<br />
Summieren sich nun verschiedene kleinere Einkünfte, die<br />
beitragspflichtig sind, wird der Kranken- und<br />
Pflegeversicherungsschutz schnell vergleichsweise teuer.<br />
Das zeigt der Vergleich zur vorherigen Rechnung:<br />
Modellrechnung für privat Versicherte: 1.500<br />
Euro gesetzliche Rente/ exemplarischer Tarif<br />
Mitunter wird der Kranken- und Pflegeversicherungsschutz<br />
sogar teurer als der Basistarif für<br />
Ruheständler in der privaten Krankenversicherung. Das<br />
trifft insbesondere dann zu, wenn<br />
77
▷ Der Anspruch auf eine gesetzliche Rente dergestalt<br />
ist, dass er einen relevanten Zuschuss auch zu den<br />
PKV-Beiträgen sichert und<br />
▷ verschiedene kleinere Einkünfte aus verschiedenen<br />
Einkunftsarten bei freiwillig Versicherten in der<br />
KVdR zu einer hohen Beitragslast führen würden.<br />
Anschaulich wird dies an einem Vergleich der<br />
Modellrechnung für Beiträge bei freiwilliger<br />
Mitgliedschaft in der KVdR mit einem realen Basis-Tarif<br />
der HanseMerkur, den der <strong>Versicherungsbote</strong><br />
exemplarisch zur Veranschaulichung des Problems<br />
hinzuzog. Freilich: Keineswegs wirkt sich die Zeit vor<br />
dem Ruhestand neutral auf die Versichertenprämien in<br />
der privaten Krankenversicherung aus. Denn zum einen<br />
kalkulieren die Versicherer anhand des Anwartschaftsdeckungsverfahren<br />
bereits Rückstellungen für das<br />
Alter in die Prämien ein. Zum anderen wird, seit einer<br />
Gesundheitsreform aus dem Jahr 2000, ein Beitragszuschlag<br />
von zehn Prozent für Mitglieder vom 22. bis zum<br />
60. Lebensjahr auf die Prämien verbindlich durch den<br />
Gesetzgeber vorgeschrieben, der ebenfalls den<br />
Altersrückstellungen dient. Demnach zahlen privat<br />
Versicherte Zeit ihres Lebens einen Mehrbeitrag fürs<br />
Alter, der bei den Ausgaben nicht vernachlässigt werden<br />
darf – bei oft steigenden Prämien im Alter. Freilich:<br />
Gerade weil es so ist, sollte man einen Wechsel von der<br />
PKV in die GKV mit Bedacht prüfen. Und man sollte<br />
aufgrund aufgebauter Altersrückstellungen auch<br />
überlegen, ob man aus den komfortableren, aber oft auch<br />
teureren PKV-Tarifen in einen PKV-Basistarif wechselt.<br />
Denn dieser Basistarif bietet nach § 152 Versicherungsaufsichtsgesetz<br />
(VAG) nur vergleichbare Leistungen wie<br />
die gesetzliche Krankenversicherung.<br />
Auch PKV-Beiträge werden bezuschusst:<br />
Mitunter sind PKV-Tarife günstiger als<br />
GKV-Beiträge<br />
Zur besseren Vergleichbarkeit werden wir im Folgenden<br />
aber mit einem solchen Basistarif rechnen. Wichtig ist<br />
hierbei: Auf Antrag wird auch der KV-Beitrag für privat<br />
Versicherte durch den Rentenversicherungsträger<br />
bezuschusst, sobald Anspruch auf eine gesetzliche Rente<br />
besteht (unter Maßgabe des § 106 SGB VI). Hierbei<br />
müssen mehrere Dinge beachtet werden:<br />
▷<br />
Der Zuschuss zum PKV-Krankenversicherungsbeitrag<br />
orientiert sich – fiktiv und unter<br />
Vernachlässigung des Anwartschaftsdeckungsverfahrens<br />
in der PKV – an den<br />
▷<br />
maßgebenden Beitragssätzen für die gesetzliche<br />
Rentenversicherung und beträgt demnach in <strong>2020</strong><br />
rechnerisch 7,85 Prozent der Rente (allgemeiner<br />
GKV-Beitragssatz plus durchschnittlicher<br />
Zusatzbeitrag hälftig).<br />
Freilich: Da die Berechnung sich auf den Anspruch<br />
aus gesetzlichen Renten bezieht, ist die Höhe dieser<br />
Rentenzahlungen, nicht aber der reale PKV-Beitrag<br />
maßgebend. Bis auf eine Ausnahme: Der reale<br />
PKV-Beitrag kann die Zahlung begrenzen. Denn der<br />
Zuschuss ist beim hälftigen Beitrag gedeckelt.<br />
Ergeben die derzeit 7,85 Prozent auf die gesetzliche<br />
Rente einen höheren Betrag als den halben<br />
Beitragssatz, wird nur der hälftige Beitrag gezahlt.<br />
Im uns vorliegenden Tarif für eine Ruheständlerin<br />
beträgt der KV-Beitrag 376,80 Euro sowie der PV-Beitrag<br />
101,02 Euro. Demnach bezahlt die Ruheständlerin einen<br />
monatlichen Gesamtbeitrag in <strong>2020</strong> in Höhe von<br />
477,82 Euro. Jedoch: Bei 1.500 Euro Einnahmen aus<br />
gesetzlichen Renten bekommt sie einem Betrag von<br />
117,75 Euro (7,85 Prozent von 1.500 Euro) bezuschusst. Sie<br />
zahlt also 376,80 Euro minus 117,75 Euro als KV-Beitrag<br />
und trägt außerdem allein den vollen PV-Beitrag. Unter<br />
diesen Bedingungen aber ist ihr PKV-Beitrag geringer als<br />
der Beitrag aus der Musterrechnung des freiwillig<br />
Versicherten mit gleichen Einnahmen:<br />
Jedoch … PKV-Tarife können auch sehr teuer<br />
sein: Modellrechnung bei Ausreizen des<br />
Höchstbeitrags für PKV-Basistarife und<br />
Zuschuss auf nur 500 Euro gesetzliche Rente<br />
Allerdings entscheidet der Anspruch aus der gesetzlichen<br />
Rente anstatt der reale PKV-Beitrag über den Zuschuss.<br />
Fällt dieser Anspruch aus gesetzlichen Renten – wie bei<br />
vielen Selbständigen mit einem hohen Privatvorsorge-<br />
Portfolio – sehr gering aus, gibt es auch nur wenig zu den<br />
KV-Beiträgen als Zuschuss hinzu. Das wird besonders<br />
dann zum Problem, wenn PKV-Anbieter auch noch den<br />
zulässigen Höchstbeitrag eines PKV-Basistarifs voll<br />
ausreizen.<br />
Denn gemäß Versicherungsaufsichtsgesetz darf ein<br />
PKV-Anbieter zwar den Höchstbeitrag der gesetzlichen<br />
Krankenversicherung nicht überschreiten – er orientiert<br />
sich folglich auch an der Beitragsbemessungsgrenze der<br />
gesetzlichen Krankenversicherung. Ein Maximalwert von<br />
735,94 Euro KV-Beitrag und 142,97 Euro PV-Beitrag ist<br />
demnach das monatliche Maximum in <strong>2020</strong>, das sowohl<br />
78
gesetzliche Kassen als Beiträge als auch private<br />
Krankenversicherer für den Basistarif als Prämie<br />
verlangen dürfen. Als Problem allerdings gilt: Glaubt<br />
man einer Stichprobe der Verbraucherzentralen, greifen<br />
zumindest einige Anbieter gern auf diese Möglichkeit<br />
zurück und verlangen von den privat Versicherten<br />
tatsächlich diesen höchst-möglichen KV- und PV-Beitrag<br />
gemäß Beitragsbemessungsgrenze.<br />
Einnahmen aus der gesetzlichen Rente und geht von<br />
einer Dominanz privater Vorsorge aus, gibt es auch nur<br />
wenig Zuschuss zu den PKV-Beiträgen durch den<br />
Rentenversicherungsträger – und das trotz möglicher<br />
hoher Beiträge für einen PKV-Basistarif.<br />
Ein Kommentar von Sven Wenig<br />
Stellt man sich nun noch vor, ein privat Versicherter hat<br />
– für Selbstständige durchaus wahrscheinlich – nur<br />
geringe Ansprüche für seine gesetzliche Rente erworben,<br />
weil er überwiegend privat für den Ruhestand vorsorgte,<br />
fällt die Modellrechnung mit den KV- und PV-Beiträgen<br />
wesentlich ungünstiger aus, weil die Zuschüsse die<br />
Beitragshöhen kaum abfedern. Denn vertauscht man<br />
in unserer Modellrechnung die Dominanz der<br />
Beispiel eines PKV-Basistarifs mit Ausreizung des Höchstbeitrags (gemäß KV-Beitragsbemessungsgrenze)<br />
und geringem Anspruch auf Bezuschussung einer gesetzlichen Rente<br />
Art der Einkünfte<br />
Beiträge<br />
Krankenversicherung<br />
Beiträge<br />
Pflegeversicherung<br />
Beiträge gesamt<br />
696,69 €<br />
Gesetzl. Rente 500 €<br />
735,94 € PKV-Prämie<br />
(zulässiger Basistarif-<br />
Höchstbetrag<br />
unabhängig von der<br />
Höhe dieser Rente)<br />
- 39,25 € Zuschuss<br />
(7,85 % von 500 €)<br />
0 0<br />
Betriebsrente 250 € 0 0 0<br />
Mieteinnahmen 450 € 0 0 0<br />
Privatrente 1.500 € 0 0 0<br />
142,97 €<br />
Summe 2.700 € 696,69 €<br />
(zulässiger<br />
Höchstbetrag nach<br />
Beitragsbemessung<br />
unabhängig von den<br />
Einnahmen)<br />
839,66 €
Wie der aufgeklärte Verbraucher die<br />
Versicherungslandschaft verändert<br />
Gordon Diehr<br />
COO der Liechtenstein Life Assurance AG<br />
Die klassische Altersvorsorge, wie sie bis tief in die<br />
neunziger Jahre Bestand in vielen bundesdeutschen<br />
Haushalten hatte, war die Kapitallebensversicherung.<br />
Der Sparer erfreute sich zeitweise einer Garantieverzinsung<br />
von einst vier Prozent und bekam einmal im<br />
Jahr eine Standmitteilung per Post zugesendet. Die hat<br />
Ottonormalsparer zwar nicht immer genau verstanden.<br />
Aber am Ende erfreute sich die Kapitallebensversicherung<br />
bei Verbrauchern überwiegend – und<br />
der Verbraucherzentrale Hamburg zum Trotz – großen<br />
Vertrauens. Dass dieses Vertrauen binnen einer Dekade<br />
langsam dahinschmolz, ist dem immer frostiger<br />
werdenden Zinsklima zuzuschreiben, der die Versicherer<br />
zwang, die Garantieverzinsung sukzessive auf<br />
mittlerweile 0,9 Prozent abzuschmelzen. Damit sind<br />
Besitzer von Altverträgen zwar immer noch gut gelitten.<br />
Im Neugeschäft orientieren sich Verbraucher jedoch<br />
mittlerweile an Alternativen.<br />
Fukushima läutete das Umdenken ein<br />
Das neue Jahrtausend brachte nicht nur niedrige Zinsen.<br />
Auch andere Ereignisse führten dazu, dass Verbraucher<br />
langsam begannen, umzudenken. Als im März 2011 das<br />
Kernkraftwerk im japanischen Fukushima infolge eines<br />
Erdbebens havarierte und schwere Umweltschäden<br />
anrichtete, brauchte der Deutsche Bundestag keine drei<br />
Monate, um den kompletten Atomausstieg Deutschlands<br />
bis 2022 zu beschließen. Zum Zeitpunkt der Fukushima-<br />
Katastrophe war die schwedische Umweltaktivistin<br />
Greta Thunberg gerade mal acht Jahre alt. 2019<br />
organisierte sie mit 16 den ersten Schulstreik und<br />
initiierte damit eine weltweite Umweltbewegung von<br />
bislang nie gekanntem Ausmaß. Auch wenn die „Fridays<br />
for Future“-Bewegung, die Thunbergs Ziele und<br />
Protestformen aufgriff, bisweilen auf Kritik stößt,<br />
erreichte sie doch damit einen fundamentalen<br />
Bewusstseinswandel der deutschen Bevölkerung, der bis<br />
heute andauert. Im selben Jahr sprach Thunberg erstmals<br />
auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, noch mit<br />
begrenzter Beachtung. Ein Jahr später nahm sie und das<br />
Thema Klimawandel bereits einen zentralen Raum<br />
innerhalb des Wirtschaftsgipfels ein – die engagierte<br />
Jugendliche erreichte damit, dass heute gar nicht mehr<br />
anders über Wirtschaft gesprochen werden kann, als über<br />
den Zugang Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Und<br />
schließlich erreichte das Thema auch alle Investoren,<br />
nämlich spätestens als Larry Fink, Gründer und<br />
Aufsichtsratsvorsitzender des weltgrößten Vermögensverwalters<br />
Blackrock, am 14. Januar dieses Jahres einen<br />
mahnenden Brief an alle Unternehmensführer schrieb,<br />
sich künftig mehr im Thema Klimaschutz und<br />
Nachhaltigkeit zu engagieren.<br />
Diesen Bewusstseinswandel spüren wir täglich in der<br />
Bevölkerung. Wer sich heute für ein Altersvorsorgeprodukt<br />
entscheidet, der trifft nicht nur eine<br />
Entscheidung für die Absicherung seiner Zukunft. Er<br />
tritt auch als Investor in Erscheinung. Diese Rolle wird<br />
immer aktiver ausgeübt. Denn mit Erwerb einer<br />
80
fondsgebundenen Rentenversicherung trifft der<br />
Versicherungsnehmer mit dem Versicherer ein<br />
Übereinkommen, das Geld so anzulegen, dass am Ende<br />
eine Rendite erzielt wird, mit der die Rente finanziert<br />
werden soll. Doch ist es dem Versicherungsnehmer auch<br />
egal, ob mit seinem Geld auch Landminen finanziert,<br />
Wälder gerodet, Tierversuche oder Kinderarbeit<br />
unterstützt werden oder Staatsanleihen von Ländern<br />
erworben werden, in denen die Todesstrafe angewendet<br />
wird? Immer öfter stellen sich Versicherungsnehmer<br />
diese Frage.<br />
Das Anlageuniversum wird breiter<br />
Um die Beantwortung solcher und ähnlicher Fragen zu<br />
ermöglichen, hat Liechtenstein Life zu Beginn des Jahres<br />
das Anlageuniversum auf mehr als 2.000 Fonds erhöht<br />
und auch die Grundauswahl an ETFs massiv ausgeweitet.<br />
Jeder Versicherungsnehmer hat damit die Möglichkeit,<br />
durch Wahl eines oder durch Aufteilung seiner Prämie in<br />
bis zu zehn verschiedene Investmentfonds diese Themen<br />
für sich zu erschließen. Dem einen genügt da schon der<br />
iShares Dow Jones Eurozone Sustainability Screened ETF<br />
von BlackRock. Wer es lieber aktiv gemanagt haben<br />
möchte, der würde sich eher mit dem BGF Sustainability<br />
Energy für einen reinen Aktienfonds von BlackRock<br />
entscheiden. Außerdem hat der Versicherungsnehmer<br />
die Möglichkeit, seine Einzahlungen auf Anleihen und<br />
Aktien aufzuteilen, sich auf bestimmte Länder oder<br />
Regionen zu fokussieren oder aber diese auszuschließen.<br />
Oder er kann gezielt auf bestimmte Branchen setzen. So<br />
bietet etwa die Allianz einen Informationstechnologie-<br />
Aktienfonds und BNP Paribas einen Telekommunikationsfonds<br />
an. Auch hat Fidelity einen<br />
Gesundheitsfonds im Angebot, der in Biotechnologie<br />
und Pharmazieunternehmen investiert.<br />
Letztere gehören nicht zuletzt zu den Gewinnern der<br />
durch den Coronavirus ausgelösten Krise, welche zwar<br />
fast alle Länder und alle Branchen gleichermaßen getroffen<br />
hat, jedoch manchen Anleger zum Überdenken<br />
seiner Investmentstrategie bewegt hat: Pharmazietitel,<br />
aber auch Hersteller von Hygieneartikeln und Reinigungsmitteln<br />
sowie Aktien von Krankenhausbetreibern<br />
passen zu jeder Zeit in ein Nachhaltigkeitsportfolio.<br />
zur transparenten Fondsauswahl inklusive monatlicher<br />
Wechselmöglichkeit. Im Falle der fondsgebundenen<br />
Police besteht die Aufgabe der Versicherung lediglich<br />
darin, für die favorisierten Fondsprodukte den<br />
geeigneten Versicherungsrahmen zu stellen, so dass der<br />
Versicherungsnehmer auch alle steuerlichen Vorteile voll<br />
ausschöpfen kann, die ihm der Gesetzgeber eingeräumt<br />
hat. Zusätzlich liefert der Versicherer auch Leistungen<br />
wie den Todesfallschutz sowie ein professionelles Ablaufund<br />
Umschichtungsmanagement. Damit beschränken<br />
sich alle Anbieter auf ihre eigentlichen Kernkompetenzen:<br />
der Versicherer auf die Finanzmathematik<br />
und der Asset Manager auf die Analyse der<br />
Kapitalmärkte und gewissenhafte Allokation der<br />
Firmengelder.<br />
Der Nachhaltigkeitsbegriff verändert sich<br />
Die Möglichkeit, die Fondsauswahl zu verändern und<br />
damit aktiv in den Investmentprozess einzugreifen,<br />
besteht nicht allein deshalb, weil aktuelle Nachrichten<br />
Verbraucher mitunter zum Umdenken zwingen – wir<br />
erinnern uns hier an den Dieselskandal. Sie muss auch<br />
deswegen bestehen, weil der Nachhaltigkeitsbegriff<br />
selbst einem ständigen Wandel unterworfen ist. Die<br />
Frage, ob Kernkraftwerke nachhaltig sind (die man zum<br />
Beispiel in Frankreich bejahen würde, in Deutschland<br />
jedoch nicht), ob großflächiger Sojaanbau zu<br />
befürworten ist oder die Rapsproduktion für Kraftstoffe<br />
oder die Nachhaltigkeit der Produktion von Waffen (zum<br />
Beispiel zur Ausrüstung von Polizei und Bundeswehr)<br />
oder von Elektromobilität sowie von kontrovers<br />
diskutierten Themen wie Abtreibung oder pränatale<br />
Diagnostik – all dies ist Bestandteil einer andauernden<br />
akademischen Debatte. Es ist auch Aufgabe der Anbieter<br />
– Asset Manager wie Versicherungsgesellschaften, sich an<br />
dieser Debatte aktiv zu beteiligen. Liechtenstein Life<br />
kooperiert hier z.B. mit der Universität Liechtenstein,<br />
um aktuelle Entwicklungen zeitnah mit in die Praxis<br />
einfließen zu lassen.<br />
Ein Gastkommentar von Gordon Diehr<br />
Der Unterschied zur klassischen Kapitallebens- oder<br />
Rentenversicherung besteht darin, dass sich die<br />
Verantwortung verschiebt: Weg vom Asset Management<br />
der Versicherungsgesellschaft und hin zum mündigen<br />
Verbraucher, zugleich auch weg von der Black Box hin<br />
81
Die „Rente aus Stein“: Mit Leibrenten<br />
im Alter Finanzen aufbessern und<br />
Wohnrecht sichern<br />
Sven Wenig<br />
Redaktion <strong>Versicherungsbote</strong><br />
Leibrenten sind eine Möglichkeit, sein Haus zu verkaufen und sich eine monatliche Rente auszahlen<br />
zu lassen - aber dennoch in der Immobilie wohnen zu bleiben. Der <strong>Versicherungsbote</strong><br />
stellt ein in Deutschland noch wenig bekanntes Instrument vor, das sich in Ländern wie den<br />
USA schon längst als Möglichkeit zur Altersvorsorge etabliert hat.
Eigengenutzte Wohnimmobilien galten für viele<br />
Deutsche lange Zeit als fester Bestandteil der<br />
Altersvorsorge, wie auch die große Beliebtheit des<br />
Bausparens in der Vergangenheit zeigte – Bausparverträge<br />
galten neben dem Girokonto und dem<br />
Sparbuch lange als beliebteste Form der Geldanlage. Und<br />
obwohl die Bausparkassen<br />
mittlerweile unter Bausparern<br />
leiden, die alte und lukrative Bausparverträge<br />
lieber zum Weiter-<br />
Sparen nutzen, statt sie für<br />
Bauvorhaben abzurufen, führten<br />
in der Vergangenheit Sparverträge<br />
tatsächlich häufig zum<br />
Hausbau oder auch zum Kauf<br />
einer Wohnimmobilie.<br />
Als Investment freilich rentieren<br />
sich die eigenen vier Wände nicht<br />
immer – insbesondere in ländlichen Regionen bedeuten<br />
Instandhaltungs- und Nebenkosten ebenso wie laufende<br />
Kosten einer Immobilie nicht selten negative Renditen<br />
und bringen finanziell kaum Vorteile gegenüber einer<br />
Mietwohnung, sobald die Wertsteigerung der Immobilie<br />
ausbleibt. Jedoch: Der Direktnutzen der eigenen vier<br />
Wände wog in der Vergangenheit solche Rechnungen<br />
häufig auf, da die Menschen noch weit weniger durch<br />
sich wandelnde Erwerbsbiographien zur beruflichen<br />
Mobilität gezwungen waren.<br />
Denn der Traum von den eigenen vier Wänden bedeutete<br />
Unabhängigkeit und eine höhere Lebensqualität und<br />
bedeutet noch immer auch das Schaffen eines eigenen<br />
Rückzugsbereiches für das private Altersglück. Da<br />
verwundert es kaum, dass viele Menschen auch im hohen<br />
Alter ihre eigene Wohnimmobilie nicht verlassen wollen.<br />
Was aber ist, wenn in Zeiten sinkender Renten und<br />
steigender Vorsorgelücken dennoch ein finanziell karges<br />
Leben droht? Eine Möglichkeit, in einer solchen<br />
Situation von der eigenen Immobilie zu profitieren, ist<br />
die Immobilienverrentung – der Verkauf der eigenen<br />
Immobilie bei Beibehaltung des Wohnrechts, um eine<br />
monatliche Leibrente zu kassieren.<br />
Immobilienverkauf gegen Wohnrecht und<br />
Rentenzahlung<br />
Das Prinzip hinter der Leibrente erklärt mit der<br />
Deutsche Leibrenten Grundbesitz AG der Marktführer –<br />
einer der wenigen Anbieter in Deutschland überhaupt –<br />
Leibrentnerinnen<br />
und Leibrentner<br />
zahlen also dafür,<br />
lebenslang in der<br />
Immobilie wohnen<br />
zu bleiben.<br />
dergestalt: „Haus oder Wohnung werden veräußert, der<br />
Kaufpreis jedoch nicht in einer Summe ausbezahlt.<br />
Stattdessen erhalten die bisherigen Eigentümer bis zu<br />
ihrem Lebensende eine monatliche Rentenzahlung.“<br />
Weiterer Baustein der Leibrente ist ein lebenslanges<br />
Wohnrecht in der verkauften Immobilie – dieses wird<br />
mit dem Rentenanspruch an<br />
erster Stelle im Grundbuch<br />
notariell beurkundet und damit<br />
abgesichert.<br />
Wie man sich ein solches<br />
Konstrukt vorstellen muss,<br />
erklärt zudem das Dienstleistungsportal<br />
biallo.de: „Der<br />
frühere Eigentümer wird damit<br />
zum unkündbaren Bewohner, der<br />
wie ein Mieter auch für die<br />
laufenden Betriebskosten wie<br />
Strom, Heizung oder Müllgebühren aufkommen muss.“<br />
Auch fürs lebenslange Wohnen müssen die<br />
Leibrentnerinnen und Leibrentner aufkommen, wenngleich<br />
formell keineswegs durch monatliche Zahlung<br />
einer Miete. Denn zwar wird ein mietfreies Wohnrecht<br />
auf Lebenszeit im Grundbuch festgeschrieben. Zugleich<br />
aber wird das lebenslange Wohnrecht über einen auch als<br />
„Wohnwert“ bezeichneten Betrag durch die Leibrentnerinnen<br />
und Leibrentner entgolten und wirkt sich<br />
negativ auf die Höhe der monatlichen Renten aus.<br />
Leibrentnerinnen und Leibrentner zahlen also dafür,<br />
lebenslang in der Immobilie wohnen zu bleiben.<br />
Wie hierbei gerechnet wird, veranschaulicht eine<br />
Broschüre des größten Anbieters Deutsche Leibrenten<br />
Grundbesitz AG:<br />
Ausschlaggebend für die Berechnung der Leibrente ist<br />
zum einen der Verkehrswert der Immobilie als zugrunde<br />
liegender Kaufpreis. Der Wert wird, wie gemeinhin auch<br />
sonst üblich, durch professionelle Gutachter ermittelt.<br />
Das Gutachten bestellt und bezahlt in der Regel der<br />
Käufer der Immobilie. Ausschlaggebend für die<br />
Berechnung der Rentenhöhe ist außerdem die Restlebenserwartung<br />
der Rentenbezieher. Die Restlebenserwartung<br />
ist zum einen maßgebend, um den<br />
Gesamtwert der Immobilie in monatliche Rentenleistungen<br />
umzurechnen. Die Berechnung der Renten<br />
orientiert sich hierbei an geschlechtsspezifischen<br />
Sterbetafeln, wie sie entweder durch das Statistische<br />
83
Bundesamt (Destatis) erstellt werden oder wie sie durch<br />
private Rentenversicherer unter<br />
Berufung auf Zahlen der<br />
Deutschen Aktuarvereinigung<br />
(DAV) genutzt werden. Bei Ehepaaren<br />
als Bezieher einer<br />
gemeinsamen Leibrente greift in<br />
der Regel die Lebenserwartung<br />
der Partnerin oder des Partners<br />
mit der höchsten Lebenserwartung<br />
– zum Nachteil des<br />
Paares. Denn grundlegend gilt: Je<br />
kürzer die Lebenserwartung<br />
gemäß Sterbetafel, desto höher<br />
fällt die Leibrente aus.<br />
Die Leibrente als „Wette auf den Tod“<br />
Weil die Leibrente lebenslang garantiert wird, die<br />
Berechnung sich jedoch auf statistische Durchschnittsdaten<br />
bezieht, bezeichnet das Portal biallo.de das<br />
Geschäft auch als „Wette auf den Tod“. Denn wer<br />
besonders lang lebt und demnach besonders lang die<br />
Rente bezieht, der macht ein günstiges Geschäft.<br />
Nachteilig hingegen – nicht nur allgemein mit Blick auf<br />
die Lebensdauer, sondern auch mit Blick auf das<br />
Leibrenten-Geschäft – ist ein früher Tod: Wer zeitig nach<br />
Abschluss des Vertrags stirbt, hat in der Regel<br />
draufgezahlt. Bei Ehepaaren als Leibrenten-Bezieher wird<br />
die Leibrente freilich bis zum Tode der oder des<br />
Letztverstorbenen gewährt. Solche Details aber hängen<br />
stets auch von der Vertragsgestaltung ab und können<br />
demnach variieren.<br />
Auch bieten Anbieter wie die Leibrenten Grundbesitz<br />
AG immerhin einen Mindestschutz für Hinterbliebene<br />
an: Im Falle eines frühen Tods der Leibrentner werden<br />
über einen Zeitraum von fünf Jahren oder auf Wunsch<br />
auch länger monatliche Renten an die Erben oder andere<br />
Begünstigte weitergezahlt. Hingegen kann die Chance<br />
auf Langlebigkeit und damit auf einen langen<br />
Rentenbezug mitunter auch kosten: Manche Anbieter<br />
verlangen eine gesonderte Gebühr zur Absicherung des<br />
Langlebigkeitsrisikos, die zu Lasten der Renten gehen<br />
kann. Zumindest für die Modellrechnung von<br />
Deutschlands größtem Anbieter spielen solche<br />
Zusatzkosten aber keine Rolle. Demnach kann ein<br />
75-jähriger und alleinstehender Mann, der eine<br />
Immobilie mit Verkehrswert 250.000 Euro besitzt, laut<br />
Info-Broschüre eine Rente im Gesamtwert von<br />
84<br />
Wer zeitig nach Abschluss<br />
des Vertrags<br />
stirbt, hat in der Regel<br />
draufgezahlt.<br />
1.900 Euro pro Monat lebenslang erwarten. Jedoch:<br />
Diesen Wert bekommt er nicht<br />
ausgezahlt.<br />
Denn die Sterbetafeln sind auch<br />
ausschlaggebend, um den<br />
Wohnwert zu ermitteln:<br />
Zunächst wird ein monatlicher<br />
„Wohnwert“ bestimmt, dann für<br />
die Zeit der erwarteten<br />
Lebensdauer summiert und zu<br />
Lasten der Leibrentnerinnen und<br />
Leibrentner vom Verkaufswert<br />
der Immobilie abgezogen. Erst<br />
der reduzierte Wert dient dann als Grundlage für die<br />
ausgezahlte Rente. Dem Mann aus der Musterrechnung<br />
werden 800 Euro berechnet, so dass dieses Wohnen<br />
keineswegs wirklich als „mietfrei“ beschrieben werden<br />
kann. Ausgezahlt also bekommt dieser Leibrentner<br />
monatlich 1.900 Euro (Gesamtwert) minus 800 Euro<br />
(Wohnwert) = 1.100 Euro Leibrente auf Lebenszeit für<br />
den Verkauf seiner Immobilie.<br />
Auf diesen Betrag fallen auch Steuern an – müssen die<br />
Leibrentner die erhaltene Leibrente doch mit dem<br />
Ertragsanteil versteuern. Dieser Ertragsanteil hängt<br />
vom Alter des Empfängers ab. Die Prozentsätze sind<br />
festgeschrieben in der maßgebenden Tabelle von<br />
Paragraph 22 Einkommensteuergesetz (EStG) – so<br />
beträgt zum Beispiel der Ertragsanteil für einen<br />
75-Jährigen 11 Prozent.<br />
Immobilienverrentung: Empfehlenswert<br />
bei Restschuld und fehlenden<br />
Instandhaltungsgeldern<br />
Geht es einzig um das lukrative Geschäft, rechnet sich<br />
häufig der direkte Verkauf einer Immobilie oder die<br />
Vermietung einer Immobilie mehr als die Immobilienverrentung<br />
zum Erhalt einer Leibrente. Und doch: Es<br />
gibt Situationen, in denen die Immobilienverrentung<br />
empfehlenswert ist. Das trifft zum Beispiel dann zu,<br />
wenn man in der eigenen Immobilie wohnen möchte,<br />
aber wenig Kapital vorhanden ist. Grundbedingung:<br />
Statt eines Vererbens der Immobilie an die<br />
Nachkommen wird der Verkauf angestrebt.<br />
Und hier kommt eine weitere Möglichkeit hinzu:<br />
Anbieter ermöglichen auch Mischmodelle zwischen<br />
einer Leibrente und einer Einmalzahlung. In solchen
Fällen wird vom Gesamtwert der Immobilie zwar in der<br />
Regel der Wohnwert und mitunter auch ein Wert für die<br />
Instandhaltung der Immobilie abgezogen. Der den<br />
Rentnern dann zur Verfügung stehende Betrag aber<br />
kann aufgeteilt werden, falls sofort Kapitalbedarf<br />
besteht – zum Beispiel für eine noch nicht beglichene<br />
Restschuld auf eine Hypothek oder für Unternehmungen<br />
wie eine Weltreise. Auch kann eine<br />
Einmalzahlung zum Beispiel für Pflegekosten genutzt<br />
werden, um Angehörigen nicht zur Last zu fallen.<br />
Freilich geht eine solche Einmalzahlung dann zulasten<br />
der monatlichen Renten.<br />
Regelungen bei Tod eines Partners oder bei einem<br />
nötigen Umzug ins Altersheim. Denn es fehlen für die<br />
Immobilienverrentung in Deutschland – noch –<br />
allgemeine vertragliche Standards, wie sie für andere<br />
Vorsorgearten bereits etabliert sind. Ob sich aber in<br />
Zeiten zunehmender Vorsorgelücken und eines<br />
sinkenden Rentenniveaus auch in Deutschland Leibrenten<br />
etablieren werden, kann nach jetzigem Stand nur<br />
die Zukunft zeigen. So bleibt Interessierten derzeit nur,<br />
mit einer kleinen Zahl an Anbietern Vorliebe zu nehmen.<br />
Ein Kommentar von Sven Wenig<br />
Doch die Immobilienverrentung bietet sich auch an,<br />
wenn das Geld für die Instandhaltung einer<br />
Wohnimmobilie für den Eigenbedarf fehlt. Denn für<br />
Renovierungen und Instandhaltungen kommt in der<br />
Regel der Käufer einer Immobilie auf. So können die<br />
ehemaligen Immobilienbesitzer im Alter noch die<br />
Immobilie nutzen und haben zudem gesichert, dass die<br />
Immobilie nicht verfällt (und sich dadurch zum Beispiel<br />
der Wert wesentlich mindert).<br />
Zustifter-Rente: Leibrenten als<br />
soziales Engagement<br />
Und man kann über den Weg der Leibrente sogar Gutes<br />
tun: vereinzelt bieten gemeinnützige Stiftungen auch<br />
eigene Modelle für eine Leibrente an. So orientiert sich<br />
die kirchliche Stiftung Liebenau aus Baden-<br />
Württemberg zum Beispiel an einem Modell der<br />
"American Bible Society", die 1850 erstmalig ihren Zustiftern<br />
gegen Überlassung ihres Besitzes eine lebenslange<br />
Rente zahlte. Aufgrund der „Zustifter-Rente“ können<br />
nun auch Deutsche unter speziellen Konditionen<br />
gemeinnützige Engagements mit dem Erwerb einer<br />
Leibrente kombinieren.<br />
In Deutschland fehlen noch Anbieter<br />
und Standards<br />
Die Konkurrenz auf dem Markt der Leibrenten ist noch<br />
klein, denn anders als in anderen Ländern hat sich diese<br />
Form der Vorsorge durch Immobilienverkauf gegen<br />
Wohnrecht noch nicht etablieren können. Auch warnt<br />
mit Annabell Oelmann die Vorständin der<br />
Verbraucherzentrale Bremen gegenüber dem Portal<br />
biallo.de: Nutzer sollten sehr genau darauf achten, ob in<br />
den Verträgen auch alle Details geregelt sind. Neben<br />
Bedingungen zur Instandhaltung zählen hierzu auch<br />
85
Deutschland ist zunächst einmal<br />
Fahrradnation!<br />
Konrad Krause<br />
Geschäftsführer des ADFC Sachsen<br />
Auch die Redaktion des <strong>Versicherungsbote</strong>n radelt hin und wieder zur Arbeit: bei allen damit<br />
verbundenen Risiken. Seit Jahren steigen die Unfallzahlen mit Radfahrern. Allein in Leipzig, einer<br />
Stadt mit 570.000 Einwohnern, starben 2018 sechs Radler, davon zwei Kinder. Die Zahlen<br />
sind Anlass, einmal bei Konrad Krause nachzufragen, Geschäftsführer des ADFC Sachsen: Was<br />
kann und muss sich in Deutschland mit Blick auf den Radverkehr ändern? Der hauptberufliche<br />
Politikwissenschaftler und Historiker besitzt selbst vier Räder.<br />
Der ADFC ist Lobbyverband der Radfahrer. Können Sie<br />
sich kurz vorstellen? Seit wann gibt es Sie – wie viele Mitglieder<br />
haben Sie? Wie finanzieren Sie sich?<br />
Konrad Krause: Den ADFC gibt es mittlerweile 40 Jahre,<br />
seit 1979. Deutschlandweit haben wir über 190.000<br />
Mitglieder. Und die finanzieren zum größten Teil unsere<br />
Arbeit über Mitgliedsbeiträge und Spenden.<br />
… und was sind aktuell Ihre wichtigsten Projekte?<br />
Der ADFC bietet seinen Mitgliedern eine große Palette<br />
unterschiedlichster Angebote – von der Feierabendradtour<br />
bis zur Pannenhilfe fürs Rad. Außerdem<br />
zertifizieren wir fahrradfreundliche Arbeitgeber sowie<br />
radfreundliche Unterkünfte mit dem Label Bett+Bike,<br />
damit man im Radurlaub immer ein fahrradfreundliches<br />
Dach überm Kopf hat. Daneben gibt es viele einzelne<br />
Projekte, zum Beispiel den Fahrradklima-Test, wo wir<br />
gemeinsam mit dem Bundesverkehrsministerium<br />
deutschlandweit alle zwei Jahre ermitteln, wie sich die<br />
Qualität des Radverkehrs in deutschen Städten<br />
entwickelt.<br />
Die Zahl der Radunfälle bleibt ungebrochen hoch und<br />
nimmt sogar zu, vor allem in den Innenstädten: auch,<br />
weil der Verkehr mehr wird. 2018 wurden 88.850 Radfahrer<br />
verletzt und 445 getötet. Allein sechs Unfalltote waren<br />
es in Leipzig. Welche Forderungen haben Sie an die<br />
Politik, um hier eine Trendumkehr zu bewirken?<br />
Jahrzehntelang haben wir unsere Verkehrsinfrastruktur<br />
danach ausgerichtet, dass der motorisierte Verkehr<br />
schneller durch die Städte kommt. Hohe Geschwindigkeiten<br />
brauchen fast zwangsläufig mehr<br />
Verkehrsfläche. Die fehlt dann dem Radverkehr, aber<br />
auch für die Fußgänger. Sichere Netze und „Mehr Platz<br />
fürs Rad“ sind die zwei Stichworte, für die sich der ADFC<br />
verkehrspolitisch vor allem einsetzt – neben vielen<br />
weiteren, kleineren Themen.<br />
Aber nicht nur der Mangel an Flächen für sicheren<br />
Radverkehr an sich, sondern auch die oft unstetige<br />
Wegeführung ist eine Gefahrenquelle. Wir brauchen in<br />
unseren Städten funktionierende, homogene – das ist es,<br />
was das spezielle Fahrradgefühl in vielen Städten in<br />
Holland ausmacht und natürlich auch viel Sicherheit<br />
86
ingt. Hier kämpft man sich mit dem Rad ja ganz oft<br />
durch einen Flickenteppich an Radwegen, Mischverkehr<br />
mit Autos und freigegeben Gehwegen durch, um dann<br />
zielsicher immer wieder am Schild „Radweg Ende“ zu<br />
landen. Da muss jetzt wirklich dringend etwas passieren.<br />
Zwei Drittel aller Fahrradunfälle sind Kollisionen mit<br />
Autos, die Hauptschuld liegt in beinahe 75 Prozent der<br />
Zusammenstöße beim Autofahrer. Was sind aus Ihrer<br />
Sicht Gründe dafür, dass gerade Autos so oft Radunfälle<br />
verursachen? Braucht es mehr Sensibilisierung für die<br />
Risiken – bei der Fahrausbildung, über Kampagnen etc.?<br />
Die Ursache dafür ist ja zunächst mal reine Physik: Autos<br />
sind schwerer, schneller und weniger präzise unterwegs<br />
als zum Beispiel ein Fußgänger oder jemand auf dem Rad.<br />
Klar, dass da mehr passieren kann. Deshalb muss man<br />
beim innerstädtischen Verkehr an diese Faktoren ran. Der<br />
ADFC setzt sich daher ganz klar für eine innerstädtische<br />
Regelgeschwindigkeit von Tempo 30 ein – mal abgesehen<br />
von Schnellstraßen ist das einfach zum Schutz aller<br />
anderen Verkehrsteilnehmer schlicht vernünftig. Wir<br />
setzen uns außerdem dafür ein, dass an großen Straßen<br />
mit viel Autoverkehr baulich gesicherte Radinfrastruktur<br />
geschaffen wird, die Radfahrer schützt und allen, die noch<br />
nicht Rad fahren, auch Mut macht, öfter mal aufs Rad zu<br />
steigen. Der dritte Baustein sind dann Kampagnen. Der<br />
ADFC ist da zum Beispiel beim Thema Überholabstand<br />
aktiv – ein heißes Eisen angesichts knapper Flächen in der<br />
Stadt. Aber wenn wir wollen, dass Radverkehr sicherer<br />
wird und sich mehr Menschen aufs Fahrrad trauen, muss<br />
man sich drauf verlassen können, dass Autofahrer die<br />
1,50 m Mindestabstand auch tatsächlich einhalten. Darüber<br />
brauchen wir eine breite gesellschaftliche Debatte.<br />
Aber damit ist es nicht getan. Wir sind sehr froh, dass die<br />
Novellierung der StVO auch den verbindlichen<br />
Mindestabstand beim Überholen von 1,50 m innerorts<br />
und 2 Meter außerorts enthalten wird.<br />
Die seit letztem Jahr zugelassenen eScooter müssen Fahrradwege<br />
nutzen, wenn es einen gibt. Vielfach wurde bei<br />
der Einführung gemutmaßt, das könnte die Unfallzahlen<br />
weiter hochtreiben. Eine erste Bilanz: Beobachten Sie<br />
vermehrt Konflikte zwischen Radfahrern und Scooter-<br />
Fahrern? Oder wurde da vieles argumentativ hochgekocht?<br />
Nach Aussagen der Polizei ist die Zahl der Unfälle mit<br />
eScootern relativ hoch. Und auffällig viele davon stünden<br />
in Zusammenhang mit alkoholisierten Fahrern und der<br />
Verwendung des eScooters als Spaßvehikel. Es ist wie bei<br />
allen neuen Erfindungen: Sie werden erstmal ausprobiert<br />
bis an die Grenzen und darüber hinaus. Der gesellschaftliche<br />
Lernprozess, was sinnvoll ist und was nicht,<br />
der folgt mit etwas geringerer Geschwindigkeit. Ein<br />
großes Problem sind die kleinen Räder der Scooter in<br />
Verbindung mit der großen Kraft des Antriebs. Ich bin<br />
überzeugt, dass die Scooterhersteller über kurz oder lang<br />
größere Räder einsetzen werden, weil dann so ein<br />
Fahrzeug natürlich einen besseren Geradeauslauf hat.<br />
Aber insgesamt muss man auch die Kirche im Dorf lassen:<br />
Die Konflikte sind überschaubar und am meisten tun sich<br />
die Scooterfahrer bei ihren Stürzen ja selbst weh.<br />
In den Medien wird viel über eine Verkehrswende debattiert,<br />
was vor allem bedeutet: weniger Autos in den Innenstädten,<br />
mehr Rad- und Nahverkehr. Schnell ist von<br />
Verboten die Rede, sogar von Einschränkung der individuellen<br />
Freiheit: das Thema wird emotional diskutiert.<br />
Ich vermute, Sie befürworten eine solche Verkehrswende?<br />
Wie kann dafür Akzeptanz geschaffen werden – gerade<br />
in einer vermeintlichen Autonation wie Deutschland?<br />
Nun, Deutschland ist ja zuerst einmal Fahrradnation<br />
–immerhin wurde hier auch das Fahrrad erfunden! Aber<br />
mal Spaß beiseite: Nur über eine Verbotsdebatte werden<br />
wir natürlich keine nach vorn gerichtete Debatte über die<br />
Verkehrswende hinbekommen und wir werden so auch<br />
nicht das Dilemma lösen, dass die Verkehrsflächen für<br />
den Autoverkehr immer weiter anwachsen und in<br />
gleicher Weise das System Autoverkehr immer weniger<br />
gut funktioniert. Man muss ja nur einen Blick auf die<br />
wachsenden Zeiten werfen, die die Deutschen im Stau<br />
stehen oder auf die galoppierenden Kosten des<br />
Straßenbaus. Da ist klar: Irgendwas kann da nicht<br />
stimmen. Mit einem effizienten System hat das nicht<br />
mehr viel zu tun.<br />
Was wir in Deutschland vor allem brauchen, ist eine<br />
Debatte darüber, wie moderne Mobilität aussehen kann.<br />
Und ich glaube, da sind wir mit unserer Idee des Fahrrads<br />
im Mittelpunkt moderner Mobilität näher an den Leuten<br />
dran, als sich das weite Teile der Politik vorstellen<br />
können. Ich erlebe immer wieder bei neugebauten<br />
Radwegen, dass die Leute noch vor der Eröffnung die<br />
Absperrungen zur Seite schubsen und die Wege in Besitz<br />
nehmen, schneller als sich das vielleicht der eine oder<br />
andere Verkehrspolitiker oder Bürgermeister vorstellen<br />
kann. Die Leute wollen ihre Wege gern mit dem Rad<br />
zurücklegen. Was fehlt, ist ein flächendeckendes und<br />
87
sicher benutzbares Rad-Netz. Und da sind wir beim<br />
Begriff der individuellen Freiheit: Dass das Auto beim<br />
alltäglichen Verkehr in unseren Städten individuelle<br />
Freiheit bringt, das ist doch Murks. Wir sehen ganz genau<br />
– in Holland und in vielen Fahrradstädten rund um die<br />
Welt - dass sehr viele Leute ins Auto gezwungen werden,<br />
weil die Alternativen nicht funktionieren. Weil der<br />
ÖPNV überlastet ist und weil eben auch dieses<br />
lückenhafte Radwegenetz an vielen Stellen noch nicht<br />
funktioniert. Wo es aber funktioniert, da steigen die<br />
Leute um, quer durch alle Altersgruppen.<br />
Ist es überhaupt realistisch, dass jede Stadt oder Region<br />
vermehrt auf das Fahrrad setzt? Ich denke zum Beispiel<br />
an hochgelegene bergige Gegenden, Städte mit vielen engen<br />
Pflasterstein-Straßen oder mit viel Schnee und Niederschlag.<br />
Klar gibt es irgendwo Grenzen. Und nicht jedes letzte<br />
Schweizer Bergdorf wird eine Fahrradmetropole werden.<br />
Dennoch ist das Potential auch außerhalb flacher<br />
Regionen groß. In Zeiten von E-Bikes sind Berge ja<br />
eigentlich kein Thema mehr. Und das sieht man auch an<br />
den Verkaufszahlen von Fahrrädern: Jedes dritte neu<br />
verkaufte Rad ist ein E-Bike. Ein Problem sind eher die<br />
„Berge in den Köpfen“. Das heißt, dass Kommunalpolitiker<br />
und Verkehrsplaner fest davon ausgehen, dass in<br />
ihrer Kommune sowieso keiner Rad fährt – zu bergig. Das<br />
führt dann dazu, dass das Fahrrad bei der Infrastruktur<br />
nicht mitgedacht wird. Ein schönes Beispiel ist<br />
Wuppertal: Dort wurde vor ein paar Jahren eine alte<br />
Eisenbahntrasse zu einem wunderbaren Radschnellweg<br />
umgewandelt – plötzlich stiegen die Wuppertaler aufs<br />
Rad! Und dort mag es ja an dem einen oder anderen<br />
mangeln - Berge gibt es wahrlich genug. Die Frage nach<br />
der Topografie spielt natürlich zum Schluss auch eine<br />
Rolle. Aber viel bedeutender ist es, ob sich die Menschen<br />
in einer Stadt gefährdet fühlen oder ob sie eine<br />
realistische Chance sehen, mit dem Rad am Ende des<br />
Tages heil zuhause anzukommen. In den Niederlanden<br />
müssen die Leute ja auch mit heftigem Wind und<br />
nasskaltem Wetter klarkommen – und dort haben wir<br />
Anteile des Radverkehrs von über einem Viertel aller<br />
Wege! In Deutschland wird nur jeder neunte Weg mit<br />
dem Fahrrad zurückgelegt.<br />
Viele Kommunen sind klamm und haben kaum Geld, um<br />
selbst die nötigsten Aufgaben zu erfüllen, wie man auch<br />
an Schlaglöchern und kaputten Radwegen sieht. Ganz<br />
banal gefragt: Ist es da überhaupt realistisch, von den<br />
Städten mehr Investitionen in den Radverkehr zu fordern?<br />
Oder muss die komplette Finanzierung der Radinfrastruktur<br />
neu aufgestellt werden?<br />
Der ADFC ist ja beim Thema der Finanzierung moderner<br />
und sicherer Radwegenetze schon einige Jahre am Ball.<br />
Und man muss sagen: Für Ortsumgehungen und große<br />
Parkplätze für Autos kommt das Geld ja auch irgendwoher.<br />
In Sachsen haben wir für den Radwegebau eine Förderquote<br />
von 90 Prozent – da braucht es fast keine<br />
Eigenmittel mehr. Auf Bundesebene ein ähnliches Bild:<br />
Bundesverkehrsminister Scheuer hat den Radverkehrsetat<br />
des Bundes ab <strong>2020</strong> von knapp über 100 auf 325 Mio.<br />
Euro pro Jahr verdreifacht – da kann wirklich keiner<br />
mehr erzählen, dass es am Geld hängt.<br />
Was wir aber brauchen, sind mehr Verkehrsplaner, mehr<br />
Know-how und einen Bewusstseinswandel auf der<br />
kommunalen Ebene, dass sie für den Umbau der Städte<br />
auch Verantwortung übernehmen müssen. Da ist etwas in<br />
Bewegung. Aber dem ADFC geht das natürlich alles noch<br />
ein bisschen zu zäh. Ein Problem ist auch, dass die Länder<br />
und Kommunen jahrzehntelang ihre Schubladen mit<br />
Ortsumgehungen und Straßenverbreiterungen für den<br />
Autoverkehr gefüllt haben – und in diesen Schubladen<br />
heute praktisch kein Radverkehrsprojekt liegt, was man<br />
jetzt im Angesicht des Geldregens mal eben ausrollen<br />
könnte.<br />
Ein – scheinbar kaum zu lösendes – Problem sind Fahrraddiebstähle.<br />
292.000 Räder wurden 2018 geklaut, allein<br />
in meiner Heimatstadt Leipzig waren es rund 10.000. Mir<br />
selbst wurden in den letzten vier Jahren drei Räder entwendet,<br />
alle waren mit einem guten Schloss an einem festen<br />
Gegenstand befestigt. Auch das macht Radfahren<br />
unattraktiver. Was kann aus Ihrer Sicht getan werden,<br />
damit weniger Räder entwendet werden?<br />
Wir brauchen natürlich mehr Polizeiarbeit, um beim<br />
Fahrraddiebstahl wirklich den Trend zu brechen. Und das<br />
heißt vor allem: mehr Personal. Aber daneben sind auch<br />
andere Akteure in der Pflicht. Zuallererst die Besitzer der<br />
Räder selbst: Viele geklaute Räder waren eben nicht an<br />
einem festen Gegenstand angeschlossen. Zweitens die<br />
Kommunen, die für sichere Abstellanlagen, zum Beispiel<br />
an Bahnhöfen und im Straßenraum sorgen müssen. Und<br />
drittens die Wohnungswirtschaft, denn ganz viele Räder<br />
werden aus Höfen herausgestohlen, wo diebstahlsichere<br />
und abgeschlossene Fahrradständer meist nicht<br />
vorhanden sind und man als Mieter oft keine Chance hat,<br />
88
sein Rad sicher abzustellen. Da gäbe es viel Potential. Und<br />
erste Städte justieren auch auf Druck des ADFC ihre<br />
Bauordnungen zu diesem Thema nach.<br />
Blickt man auf die Berichterstattung der Medien, scheint<br />
sie Vorurteile gegenüber Radfahrern teils zu bestärken.<br />
„Radfahrer verursachen immer mehr Unfälle“, schrieb<br />
zum Beispiel vor kurzem dpa – obwohl bei verunfallten<br />
Radfahrern, Alleinunfälle eingerechnet, diese „nur“ zu<br />
40 Prozent Hauptverursacher sind. Die „WELT“ gibt,<br />
weitestgehend unkommentiert, einen Kommentar von<br />
Bernd Irrgang wieder, Vorsitzender des Bundes der Fußgänger:<br />
„Es liegt in der Natur des Radfahrers, dass er<br />
90 Prozent der für ihn geltenden Regeln ignoriert“. Woher<br />
rühren aus Ihrer Sicht derartige Vorurteile? Was hilft<br />
dagegen?<br />
Radfahrer sind – so lange sie es gibt – immer wieder dem<br />
Vorwurf ausgesetzt gewesen, gesetzlos zu sein, sich über<br />
Regeln hinwegzusetzen, latent gegen gesellschaftliche<br />
Konventionen zu verstoßen. Das fängt bei Rad fahrenden<br />
Frauen im 19. Jahrhundert an, die sich skandalöserweise<br />
weigerten, Röcke zu tragen. Und ich bin mir sicher, es<br />
hört beim heute immer wieder ertönenden Vorwurf nicht<br />
auf, Radfahrer seien selbst Schuld an Unfällen, solange sie<br />
keine Warnweste trügen. Das ist natürlich völlig absurd:<br />
Niemand käme angesichts einer ungleich größeren Zahl<br />
an Unfällen mit Autos auf die Idee, die Zulassung eines<br />
Kraftfahrzeugs an eine neongelbe Lackierung zu koppeln.<br />
Ich denke, im Kern geht es darum, welche Form der<br />
Alltagsmobilität wir in Deutschland heute als Normalität<br />
wahrnehmen und welche Form eher die Ausnahme<br />
darstellt. Und Dinge, die normal sind, werden nicht<br />
hinterfragt – wer etwas Unnormales tut, muss sich<br />
hingegen dafür rechtfertigen. Niemand würde je auf die<br />
Idee kommen, eine Autohelmpflicht zu verlangen –<br />
obwohl die Zahl der schweren Kopfverletzungen bei<br />
Autoinsassen ungleich größer ist als bei Radfahrern. Ich<br />
erlebe da gerade aber auch einen Wandel des Diskurses,<br />
der mich grundsätzlich hoffnungsvoll stimmt. Und in den<br />
Niederlanden redet schon lange niemand mehr über die<br />
kriminelle „Natur des Radfahrers“ – schließlich legen dort<br />
inzwischen nahezu alle Leute Wege mit dem Rad zurück.<br />
Die Fragen an Konrad Krause<br />
stellte Mirko Wenig<br />
89
Nach Fahrraddiebstählen<br />
gibt es oft<br />
keine Spuren<br />
Alexander Bertram<br />
Polizeisprecher<br />
Leipzig ist – wie viele andere Großstädte auch – eine Fahrraddiebstahl-Hochburg: Diese leidvolle<br />
Erfahrung musste auch der Verfasser dieser Zeilen bereits machen, nachdem ihm zwei<br />
angeschlossene Räder in kurzer Zeit geklaut wurden. Über die Gründe und Ursachen sprach<br />
der <strong>Versicherungsbote</strong> mit Polizeioberkommissar Alexander Bertram, Sachbearbeiter Presseund<br />
Öffentlichkeitsarbeit der Polizeidirektion Leipzig.<br />
<strong>Versicherungsbote</strong>: 2018 wurden in Deutschland 292.000<br />
Fahrräder gestohlen, davon 160.000 versicherte Räder.<br />
Das sind mehr als 800 pro Tag. Was sind aus Ihrer Sicht<br />
Gründe dafür, dass so viele Fahrräder entwendet werden?<br />
Alexander Bertram: Über die Gründe kann nur spekuliert<br />
werden. Sicher spielen ein hohes Aufkommen an<br />
Fahrrädern, ein vorhandener Markt für gebrauchte und<br />
eben auch entwendete Fahrräder sowie unzureichende<br />
Sicherung eine Rolle. Eine abschließende Erklärung<br />
können wir hierfür nicht anbieten.<br />
Können Sie etwas zum Langzeittrend beim Thema Fahrraddiebstahl<br />
sagen, vielleicht mit Blick auf die letzten<br />
20 Jahre? Werden mehr/ weniger Räder gestohlen?<br />
Die Zahl der Fahrraddiebstähle hat im gefragten Zeitraum<br />
zumindest in Leipzig stetig zugenommen, wenn auch mit<br />
Schwankungen. Um nur zwei Zahlen zu nennen: Laut<br />
Polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) stieg der Diebstahl<br />
von Fahrrädern in Leipzig von 3.996 Rädern im Jahr 2009<br />
auf 10.027 in 2017. Allerdings sank die Zahl 2018 auch<br />
wieder auf 8.781 angezeigte Räder. Zugleich ist von einer<br />
hohen Dunkelziffer auszugehen, weil nicht jeder Diebstahl<br />
der Polizei auch angezeigt wird.<br />
Warum ist es so schwer, die Diebe zu überführen? Die<br />
Aufklärungsquote liegt bei „nur“ zehn Prozent. Als<br />
eine Kollegin einen Leipziger Polizisten fragte, wie<br />
hoch die Wahrscheinlichkeit ist, ihr Rad wiederzubekommen,<br />
antwortete er: „Mir wurden in kurzer Zeit<br />
drei Räder geklaut, nun bekomme ich keine Fahrradversicherung<br />
mehr!“ Das klingt fast, als habe selbst die<br />
Polizei resigniert.<br />
Im privaten Rahmen getätigte Äußerungen von Kollegen<br />
können wir nicht kommentieren. Die Polizei hat<br />
keinesfalls resigniert. Jede Anzeige wird auch bearbeitet.<br />
Die Großstädte sind regelrechte Diebstahl-Hochburgen:<br />
allein in Leipzig werden jedes Jahr circa 10.000 Räder entwendet.<br />
Gibt es Bestrebungen der Polizei, speziell bei<br />
Raddiebstählen mehr Fälle aufzuklären? Oder sagen Sie:<br />
andere Delikte haben Vorrang, wir brauchen erstmal eine<br />
bessere Personalausstattung?<br />
Zur Aufklärungsquote ist zu sagen, dass es regelmäßig bei<br />
Fahrraddiebstählen keine Spuren gibt, die zum Täter<br />
führen. Selbst zerstörte Schlösser nehmen Diebe mit, um<br />
keine Spuren zu hinterlassen. Dies macht jede Ermittlung<br />
schwer. In den vergangenen Jahren wurde mehr Täter<br />
90
ermittelt, gleichzeitig sind aber die Diebstähle angestiegen.<br />
Deshalb ist die Aufklärungsquote relativ konstant.<br />
Zur Personalstärke hat sich das Innenministerium diese<br />
Woche geäußert. Ziel ist es, die Personalausstattung weiter<br />
zu verbessern, was wir begrüßen. Sachsens Innenminister<br />
Roland Wöller will damit auf neue Bedrohungs- und<br />
Gefährdungslagen u.a. durch Terror, Extremismus, aber<br />
auch Cyberkriminalität im Bundesland reagieren, was eine<br />
bessere Personalausstattung erfordere.<br />
Inwiefern spielt Bandenkriminalität beim Fahrraddiebstahl<br />
eine Rolle? Bei Autos wissen wir, dass sie teils auf<br />
Bestellung geklaut werden, es regelrechte „Lieferketten“<br />
ins Ausland gibt. Ist es bei Rädern ähnlich?<br />
Es ist immer wieder festzustellen, dass gestohlene<br />
Fahrräder ins Ausland transportiert werden. Die<br />
Leipziger Polizei hat in der Vergangenheit mehrfach<br />
Transportfahrzeuge angehalten, in denen bis zu 30<br />
Fahrräder transportiert wurden. Bandenkriminalität<br />
spielt hier durchaus eine Rolle. Viele Fahrräder werden<br />
aber auch von Einzeltätern über das Internet verkauft.<br />
Hierzu nutzen die Diebe sämtliche Verkaufsplattformen,<br />
die es gibt.<br />
Ist es ein Klischee, dass Räder vornehmlich nachts geklaut<br />
werden? Gibt es hier bevorzugte Zeiten? Meine persönliche<br />
Erfahrung: Alle Räder, die mir entwendet wurden,<br />
kamen tagsüber abhanden.<br />
Fahrräder werden grundsätzlich jederzeit und allerorts<br />
gestohlen. Stoßzeiten gibt es keine. Allerdings ist<br />
festzustellen, dass es sogenannte Hotspots gibt, wie die<br />
Fahrradständer an den Unikliniken und die<br />
Fahrradgarage der Universität Leipzig. Dort sind tagsüber<br />
mehrere hundert Fahrräder abgestellt. Dort wurden<br />
Fahrräder vornehmlich tagsüber entwendet.<br />
Lässt sich – ähnlich wie bei Autos – erkennen, dass bestimmte<br />
Fahrrad-Modelle oder -arten besonders häufig<br />
geklaut werden?<br />
Generell werden alle Fahrräder entwendet, egal in welcher<br />
Preisklasse und in welchem technischen Zustand.<br />
Allerdings ist ein steigender Trend bei E-Bikes zu<br />
verzeichnen. Es gab in der Vergangenheit in Leipzig<br />
mehrere Fälle von Einbrüchen in Fahrradläden, bei denen<br />
E-Bikes entwendet wurden.<br />
Es gibt mittlerweile Räder, die mit einer Art GPS-Tracker<br />
ausgestattet sind, damit sie nach einem Diebstahl<br />
geortet werden können. Kann das ein Weg sein, die<br />
Aufklärung künftig zu verbessern? Welche neuen technischen<br />
Möglichkeiten könnten vielleicht noch helfen?<br />
Die Polizei empfiehlt vor allem ein gutes Schloss und das<br />
Verschließen an einem geeigneten Gegenstand. Dieser ist<br />
nicht unbedingt ein Verkehrsschild. Auch hier gab es<br />
Sachverhalte in der Vergangenheit, bei denen die Tafeln<br />
abgeschraubt wurden und das Fahrrad nach oben<br />
geschoben und so entwendet wurde. Oft werden auch<br />
Gegenstände genutzt, die keine Sicherheit bieten, wie<br />
zum Beispiel Regenfallrohre. Davon muss dringend<br />
abgeraten werden.<br />
Welche Tipps haben Sie mit Blick auf die Diebstahl-Prävention?<br />
Mir selbst wurden zwei Räder geklaut, obwohl<br />
ich jeweils hochwertige Fahrradschlösser verwendete und<br />
die Räder an einem festen Gegenstand angeschlossen hatte.<br />
All das half nichts.<br />
Generell gibt es keine 100-prozentige Sicherung. Jedes<br />
Schloss lässt sich zerstören. Die Zeit die ein Dieb braucht,<br />
spielt aber eine tragende Rolle.<br />
Nach wie vor ist zu beobachten, dass an den<br />
Fahrradständern der Stadt zahlreiche Räder (auch<br />
hochpreisige) stehen, die nur mit preiswerten Schlössern<br />
gesichert sind, die sich leicht (mit geringem Aufwand und<br />
z.B. mit Seitenschneider) öffnen lassen. Den besten<br />
mechanischen Diebstahl-Schutz bieten stabile Bügel- oder<br />
Panzerkabelschlösser. Beim Kauf sollten Radfahrer auf<br />
„geprüfte Qualität“ und hochwertiges Material – wie<br />
durchgehärteten Spezialstahl – achten. Massive<br />
Schließsysteme sind ebenfalls wichtig.<br />
Was sollten Radfahrer beachten, um ihr Rad tatsächlich<br />
wiederzubekommen, wenn es gestohlen wurde?<br />
Fahrräder sollten unbedingt eine Individualnummer<br />
haben, die man nach Diebstahl in polizeilichen<br />
Fahndungssystemen ausschreiben kann. Nur so ist es<br />
möglich, wiederaufgefundene Fahrräder zuzuordnen.<br />
Alternativ kann man z. B. in der Stadt Leipzig sein<br />
Fahrrad codieren lassen. Es wird dann mit einer Nummer<br />
versehen und die Daten des Eigentümers werden<br />
gespeichert – ähnlich einem Autokennzeichen.<br />
Das Interview mit Alexander Bertram<br />
führte Mirko Wenig<br />
91
Versicherungsfall „Sturm“ in der Wohngebäudeversicherung<br />
und die Frage, ob man<br />
Wasser „werfen“ kann<br />
Sven Wenig<br />
Redaktion <strong>Versicherungsbote</strong>
Die Wohngebäudeversicherung versichert auch Naturgefahren<br />
wie Schäden durch einen Sturm. Dies freilich<br />
gilt nur zu bestimmten Bedingungen: Versichert sind<br />
nur Schäden, die durch unmittelbare Einwirkung des<br />
Sturms auf die Gebäude entstehen oder dadurch, dass<br />
der Sturm Gebäudeteile, Bäume oder andere<br />
Gegenstände auf Gebäude oder versicherte Sachen warf.<br />
Liegt aber auch ein versicherter Sturmschaden vor, wenn<br />
Regenwasser bei starkem Wind ins Innere einer Mauer<br />
getrieben wird, so dass das Mauerwerk einbricht? Hierzu<br />
fällte das Oberlandesgericht (OLG) München einen<br />
Hinweisbeschluss vom 09.09.2019 (Az. 25 U 3910/19)<br />
– der anschaulich macht, wann ein Sturmschaden gemäß<br />
den Allgemeinen Wohngebäude Versicherungsbedingungen<br />
vorliegt.<br />
Was führte zu dem Streit vor Gericht? Ein im westlichen<br />
Teil Mittelfrankens beheimateter<br />
Grundstückbesitzer hatte in<br />
seinem Gehöft einen Schaden<br />
erlitten. Verursacht sah er diesen<br />
Schaden durch einen schweren<br />
Sturm vom 29.05.2016. Freilich:<br />
Der Schaden trat erst später ein.<br />
Denn durch diesen Sturm und<br />
nachfolgenden und dauerhaften<br />
Regen wurde Wasser ins Innere<br />
einer Mauer des Gehöfts<br />
getrieben, verursacht auch durch<br />
Risse in den Mauerwerksfugen.<br />
Aufgrund der Vernässung des Mauerwerks kam es dann<br />
– sechs Tage nach dem Sturm am 04.06.2016 – zum<br />
Einbruch der Mauer.<br />
Der Geschädigte wollte nun einen Sturmschaden bei<br />
seiner Versicherung geltend machen und meinte, er<br />
könne sich hierfür auf die Versicherungsbedingungen<br />
seiner Wohngebäudeversicherung berufen. Leistungen<br />
für den entstandenen Schaden jedoch lehnte der<br />
Versicherer ab. Seien doch Schäden wie der entstandene<br />
nicht durch die Gebäudeversicherung abgedeckt. Also<br />
klagte der Versicherungsnehmer auf Ersetzen des<br />
Schadens – zunächst vor dem Landgericht (LG)<br />
Ingolstadt. Das Landgericht jedoch wies die Klage ab<br />
(Az. 21 O 1634/17), weswegen der Versicherungsnehmer<br />
beim Oberlandesgericht (OLG) München Berufung<br />
einlegte. Erneut allerdings ohne Erfolg: Mit Hinweisbeschluss<br />
vom 09.09.2019 (Az. 25 U 3910/19) wurde dem<br />
Kläger nahe gelegt, die Berufung zurückzunehmen.<br />
Denn nach einstimmiger Auffassung des zuständigen<br />
Senats hat die Berufung keine Aussicht auf Erfolg.<br />
Und im Sinne dieses<br />
Sprachgebrauchs<br />
betrifft das<br />
„Werfen“ von „Gegenständen“<br />
körperliche<br />
Gegenstände.<br />
Geforderte Bedingung für Schadenleistungen:<br />
Die Unmittelbarkeit des Sturms<br />
Was aber führte zu dem deutlichen Hinweis, dass einem<br />
Berufungsverfahren keine Aussicht auf Erfolg<br />
beschieden ist? Mehrere Gründe machte das<br />
Oberlandesgericht – in Bestätigung der Vorinstanz<br />
– hierfür geltend. Maßgebend war insbesondere § 4 der<br />
Allgemeinen Wohngebäude Versicherungsbedingungen<br />
(VGB) mit Stand 2010 – dort sind die versicherten<br />
Naturgefahren und Schäden definiert sowie<br />
Bedingungen, zu denen die Versicherung bei derartigen<br />
Schäden leistet. So zählt Sturm zwar zu den versicherten<br />
Naturgefahren – als eine wetterbedingte Luftbewegung<br />
von mindestens Windstärke 8 nach Beaufort (Windgeschwindigkeit<br />
mindestens 62 km/h). Geleistet wird<br />
jedoch nur, wenn der Sturm unmittelbar auf versicherte<br />
Sachen oder Gebäude einwirkt<br />
oder unmittelbar auf weitere<br />
Gebäude, die mit dem<br />
versicherten Gebäude verbunden<br />
sind. Ist dies der Fall, leistet die<br />
Versicherung freilich auch für<br />
Folgeschäden. Eine solche Unmittelbarkeit<br />
jedoch fehlte laut<br />
Gericht bei dem verhandelten<br />
Schaden.<br />
Denn die Versicherung muss im<br />
Sinne dieser Bedingung nur<br />
leisten, sobald die versicherte Sache durch den Druck<br />
oder den Sog aufprallender Luft beschädigt oder<br />
zerstört wird. Bei einer durch längere Regenfälle sich<br />
hinziehenden Vernässung trifft dies jedoch nicht zu<br />
– dann ist der kontinuierliche Regen, nicht aber der<br />
vorausgehende Sturm Ursache für den Schaden. Zwar<br />
könnten die stürmischen Winde das Schadensereignis<br />
beschleunigt haben, indem mehr Wasser in das Innere<br />
der Mauer getrieben wurde. Dies aber reiche für die<br />
geforderte Unmittelbarkeit gemäß VGBs nicht aus, da<br />
durch den Regen eine weitere Ursache zwischen den<br />
Sturm und den Einsturz der Mauer hinzugetreten ist.<br />
Kann man Regen „werfen“?<br />
Freilich: Die klagende Partei des Versicherungsnehmers<br />
wollte es vor Gericht nicht bei einer behaupteten<br />
Unmittelbarkeit belassen. Stattdessen berief man sich<br />
auf eine weitere Bedingung, zu der für einen Sturmschaden<br />
gemäß § 4 VGB geleistet werden könnte. Denn<br />
93
versichert sind auch Sturmschäden, die wie folgt<br />
entstehen: Der Sturm wirft Gebäudeteile, Bäume oder<br />
andere Gegenstände auf versicherte Sachen oder wirft<br />
die Gegenstände auf Gebäude, in denen sich versicherte<br />
Sachen befinden. Daraus entstehende Folgeschäden an<br />
versicherten Sachen sind ebenfalls versichert. Oder der<br />
Sturm wirft Gebäudeteile, Bäume oder andere<br />
Gegenstände auf Gebäude, die mit dem versicherten<br />
Gebäude verbunden sind, woraus Schäden entstehen.<br />
Aber kann man denn Regen tatsächlich „werfen“? Mit<br />
dieser Frage musste sich das Oberlandesgericht<br />
München ebenfalls auseinander setzen.<br />
Zunächst gab der zuständige Senat zu: Der Begriff des<br />
„Gegenstandes“ wird in Literatur und Rechtsprechung<br />
mitunter weit ausgelegt – aus diesem Grund könnten<br />
tatsächlich auch Schäden durch Hagel, Schnee oder<br />
Regen unter die Bedingung fallen. Aus zwei Gründen<br />
jedoch kann der klagende Versicherungsnehmer dies<br />
nicht für den vorliegenden Fall geltend machen.<br />
Denn zum einen muss dann der Regen wieder<br />
unmittelbar im Zusammenhang mit dem Sturm den<br />
Schaden verursacht haben – zum Beispiel in<br />
Verbindung mit dem Druck oder Sog während des<br />
Sturms. Demnach muss der Schaden, trotz des<br />
aufprallenden Regens, durch die Windstärke verursacht<br />
sein. Laut Gutachten eines Bausachverständigen aber<br />
war nicht die Windstärke, sondern die Dauer des<br />
Regens entscheidend für das Schadenereignis. Schon<br />
deswegen standen Regen und Sturm nicht in einem<br />
Zusammenhang, dass erneut der Versicherer in die<br />
Leistungspflicht kommt.<br />
Jedoch hat zum anderen das Oberlandesgericht auch<br />
dargelegt, dass es große Zweifel hat, ob es eine solche<br />
weite Auslegung des Begriffs „Gegenstand“ überhaupt<br />
mittragen würde, der auch Regen zu einem<br />
Wurfgegenstand werden lässt. Denn die<br />
Versicherungsbedingungen seien grundsätzlich nach<br />
dem Sprachgebrauch des täglichen Lebens auszulegen.<br />
Und im Sinne dieses Sprachgebrauchs betrifft das<br />
„Werfen“ von „Gegenständen“ körperliche Gegenstände.<br />
Zwar könne man sich unter bestimmten<br />
Voraussetzungen noch vorstellen, Schnee „zu werfen“.<br />
Jedoch würde sich nach dem allgemeinen Sprachgebrauch<br />
kaum der Sinnzusammenhang ergeben, der<br />
auch Schäden durch Regen unter die maßgebende<br />
Klausel fasst.<br />
94
Beweislast liegt beim Versicherungsnehmer<br />
Obwohl sich das Oberlandesgericht München die Mühe<br />
machte, all diese Entscheidungsgründe auszuführen,<br />
können diese Gründe letztendlich aber sogar<br />
dahinstehen. Denn schon eine wichtige Vorbedingung<br />
für einen Schadenfall im Sinne der Wohngebäudeversicherung<br />
war gar nicht gegeben: Der Beweis,<br />
dass überhaupt ein Sturmschaden vorlag. Die Beweislast<br />
nämlich, darauf weist das Oberlandesgericht hin, liegt<br />
beim Versicherungsnehmer. Der Versicherungsnehmer<br />
muss nachweisen, dass am Schadenstag auf dem<br />
versicherten Grundstück ein Sturm mit Windstärke 8<br />
herrschte. Und das war im verhandelten Fall misslungen.<br />
Die klagende Partei des Versicherungsnehmers wollte<br />
sich nämlich auf ein Sachverständigen-Gutachten des<br />
Deutschen Wetterdienstes berufen, wonach am<br />
29.05.2016 am Schadensort sehr wahrscheinlich<br />
Windstärke 7 nach Beaufort erreicht wurde. Aufgrund<br />
der Wetterlage und örtlicher Gegebenheiten seien ferner<br />
wahrscheinlich auch Windspitzen der Windstärke 8 nach<br />
Beaufort aufgetreten – es sei also ferner auch Sturm<br />
aufgetreten im Gebiet des versicherten Grundstücks. Der<br />
Beweis einer solchen Wahrscheinlichkeit jedoch, die nur<br />
Windstärke 7 „sehr wahrscheinlich“ macht und die<br />
Möglichkeit eines Sturmschadens eröffnet, nimmt eine<br />
Versicherung noch nicht in die Leistungspflicht.<br />
Denn es muss mit hinreichender Sicherheit nachgewiesen<br />
werden, dass am Schadensort eine Windgeschwindigkeit<br />
von mindestens 62 km/h und damit Windstärke 8<br />
geherrscht hatte. Ist die Windstärke jedoch nicht<br />
feststellbar, muss die Luftbewegung in der Umgebung des<br />
Versicherungsgrundstücks Schäden an Gebäuden in<br />
einwandfreiem Zustand oder an ebenso widerstandsfähigen<br />
anderen Sachen angerichtet haben – hier<br />
greift wieder die Bedingung der Unmittelbarkeit. Eine<br />
solche Unmittelbarkeit jedoch zeigte sich im verhandelten<br />
Schaden nicht. Demnach gelang dem Kläger nicht<br />
einmal der Nachweis, dass überhaupt Wetterbedingungen<br />
für einen Sturmschaden vorlagen.<br />
Ein Kommentar von Sven Wenig
Auf der Suche nach der passenden<br />
Anhängerversicherung<br />
So vielfältig, wie die Welt der Anhänger ist, so unterschiedlich sind die Versicherungsangebote.<br />
Bei der Wahl des richtigen Tarifs gibt es einiges zu beachten. Worauf Sie bei der Auswahl<br />
der Anhängerversicherung achten müssen, erklärt Angele Bezler, Abteilungsdirektorin der<br />
Kfz-Vertragsabteilung bei der Württembergische Gemeinde-Versicherung a. G. (WGV).<br />
Anhänger ist nicht gleich Anhänger: Ob beispielsweise<br />
offene Bauweise, Koffersystem, Viehanhänger,<br />
Bootstrailer oder Wohnwagenanhänger<br />
– es gibt zahlreiche<br />
verschiedene Transportmöglichkeiten.<br />
Auch versicherungstechnisch<br />
sind diese<br />
Unterschiede relevant. Ebenso<br />
ist der geplante Einsatz<br />
entscheidend. Denn ob der<br />
Anhänger privat oder<br />
gewerblich genutzt wird, wirkt<br />
sich ebenso auf die<br />
Versicherungspolice aus.<br />
Ähnlich wie bei der<br />
KFZ-Versicherung gibt es auch<br />
für Anhänger einen<br />
Versicherungsschutz in der<br />
Haftpflicht-, Teil- und<br />
Vollkaskoversicherung. Und<br />
genau hier unterscheiden sich<br />
gute von schlechten Versicherungsangeboten:<br />
Eine gute<br />
Anhängerversicherung sollte die gesetzlich vorgeschriebene<br />
Haftpflichtversicherung mit einer<br />
Versicherungssumme von 100 Millionen Euro je<br />
Schadenfall bei Personen-, Sach- und Vermögensschäden<br />
beinhalten. Bei Personenschäden ist dabei zu beachten,<br />
dass bis zu 15 Millionen Euro pro geschädigte Person<br />
vereinbart sind. Mittlerweile decken viele Versicherer<br />
auch grob fahrlässiges Handeln ab. Ihrer auch? Unser<br />
Tipp: Prüfen sie insbesondere bei alten Verträgen den<br />
Versicherungsumfang und lassen Sie ihn gegebenenfalls<br />
auf die aktuellsten Bedingungen umstellen.<br />
Für neue Anhänger oder Anhänger in gutem Zustand<br />
empfehlen wir eine Teil- oder Vollkaskoversicherung, um<br />
umfassend abgesichert zu sein. Hier lohnt sich genauso der<br />
Blick ins Kleingedruckte der Bedingungen: Welche fest<br />
mit dem Fahrzeug verbauten Teile sind mitversichert?<br />
Wie sieht es beispielsweise beim Wohnwagenanhänger<br />
mit Vorzelt und Markise aus? Eine gute<br />
Anhängerversicherung sollte diese Teile mitversichern.<br />
96<br />
Angele Bezler<br />
Abteilungsdirektorin Kfz-Vertrag<br />
Württembergische Gemeindeversicherung a. G.<br />
Häufig passieren Schäden, wenn der Anhänger ohne das<br />
Zugfahrzeug abgestellt wird und die Bremse nicht<br />
vollständig angezogen ist. So<br />
kann der Anhänger beispielsweise<br />
auf fremde Fahrzeuge<br />
rollen und diese beschädigen.<br />
Dann übernimmt die Haftpflichtversicherung<br />
des Anhängers<br />
den Schaden am<br />
fremden Fahrzeug. Den Schaden<br />
am eigenen Anhänger übernimmt<br />
die Haftpflichtversicherung<br />
jedoch nicht – eine<br />
Vollkaskoversicherung würde<br />
diesen jedoch bezahlen.<br />
Auch beim Zugfahrzeug ist der<br />
passende Versicherungsschutz<br />
wichtig. Die Vollkaskoversicherung<br />
für das Zugfahrzeug<br />
sollte eine sogenannte Schlingerdeckung<br />
enthalten, um auch bei<br />
Schäden zwischen Zugfahrzeug<br />
und Anhänger ohne Einwirkung<br />
von außen abgesichert zu sein. Diese Schäden können<br />
beispielsweise beim Fahren über Bodenwellen oder beim<br />
Rangieren passieren.<br />
Ein zusätzliches Kriterium für die Wahl des Versicherers<br />
können oft auch bereits bestehende Policen sein. Viele<br />
Versicherer nehmen Anhänger nur dann an, wenn das<br />
ziehende Fahrzeug auch bei ihnen versichert ist. Diese<br />
Einschränkung indes gibt es bei der WGV beispielsweise<br />
nicht. Es gibt also einiges beim Abschluss einer<br />
Anhängerversicherung zu beachten. Daher empfehlen wir<br />
Ihnen, mit den Anbietern ihre Situation genau zu besprechen,<br />
um das passende Versicherungspaket zu finden<br />
und Einsparungspotentiale zu erkennen. Die<br />
Gegebenheiten und Bedürfnisse sind oft sehr vielfältig.<br />
Und so lohnt es sich, Preis und Leistung der Tarife zu<br />
vergleichen und das richtige Angebot für Ihre<br />
Konstellation auswählen.<br />
Ein Gastkommentar von Angele Bezler