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Versicherungsbote 1-2020

- Leitfaden: Zukauf von Maklerbeständen und Firmen - Krankenkasse: Die hohen Überschüsse führten zu Begehrlichkeiten - Wie man sich gegen das Wetter versichert

- Leitfaden: Zukauf von Maklerbeständen und Firmen
- Krankenkasse: Die hohen Überschüsse führten zu Begehrlichkeiten
- Wie man sich gegen das Wetter versichert

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Ausgabe 1/<strong>2020</strong><br />

Leitfaden: Zukauf von<br />

Maklerbeständen und<br />

Firmen<br />

Krankenkasse: Die hohen<br />

Überschüsse führten zu<br />

Begehrlichkeiten<br />

Wie man sich<br />

gegen das Wetter<br />

versichert


Liebe Leserinnen und Leser,<br />

dieses Heft ist weitestgehend entstanden, als die Welt<br />

noch eine andere war. Als diese Ausgabe des<br />

<strong>Versicherungsbote</strong> Fachmagazins gestaltet wurde, war<br />

die Coronakrise mit ihren sozialen und wirtschaftlichen<br />

Verwerfungen kaum absehbar. So manch ein Beitrag<br />

wäre dann wohl anders ausgefallen. Und doch hoffen<br />

wir, dass dieses Magazin zugleich ein Vorausblick ist: in<br />

eine nahe Zukunft, in der wieder Normalität einkehrt.<br />

Die Krise zeigt uns, wie wichtig ein funktionierendes<br />

Gesundheitssystem mit wirksamen Puffermechanismen<br />

ist. Insofern freuen wir uns, Reimer Riessen für ein Interview gewonnen zu haben:<br />

leitender Oberarzt der Internistischen Intensivstation am Universitätsklinikum<br />

Tübingen und Sprecher der Sektion „Qualität und Ökonomie in der<br />

Intensivmedizin“ beim DIVI-Verband. Er gibt einen Einblick, wie ökonomische<br />

Zwänge schon vor der Coronakrise dazu beitrugen, dass die Intensivmedizin<br />

unterfinanziert ist. Mit allen Folgen: überlastete Pfleger, geschlossene Betten, Ärzte<br />

am Limit. Zu Fehlanreizen im Gesundheitssystem gibt auch Björn Hansen Auskunft,<br />

Chef der BKK WIRTSCHAFT & FINANZEN: Wie das Fallpauschalensystem<br />

falsche Angaben in Gesundheitsakten begünstigt.<br />

Daniel Bahr ist Vorstand der Allianz Kranken: Und hat in seiner Zeit als<br />

Bundesgesundheitsminister durchgesetzt, dass Pflegezusatzversicherungen staatlich<br />

gefördert werden. Da lag es nahe, mit ihm über das Thema Pflegevorsorge zu<br />

sprechen. Er verriet uns, weshalb die Allianz auf Dieter Hallervorden als<br />

Werbeträger setzt: mit 84 Jahren noch immer agiler Schauspieler und Comedian.<br />

Überhaupt haben sich die Themen Krankenversicherung und biometrische Risiken<br />

als Schwerpunkt dieser Ausgabe herausgebildet. Ein ganzes Sonderheft widmet sich<br />

dem Thema Grundfähigkeitsversicherung: Die umstrittenen Tarife hat der<br />

Fachmakler Philip Wenzel für den <strong>Versicherungsbote</strong>n unter die Lupe genommen.<br />

Ob sich Krankenversicherungs-Anwartschaften für Studierende lohnen, darüber<br />

sprachen wir mit dem PKV-Experten Gerd Güssler.<br />

Einen Systemwechsel in der Pflege für notwendig hält Dominik Domhoff,<br />

Pflegewissenschaftler an der Universität Bremen. Er schlägt eine Pflegebürgerversicherung<br />

vor, um mehr Einnahmen zu generieren und vermeintliche<br />

Ungerechtigkeiten im System auszugleichen. Eine Idee, die PKV-Verbandsdirektor<br />

Florian Reuther erwartungsgemäß weniger überzeugend findet: Er antwortet mit<br />

einem Kommentar.<br />

Ein weiterer Themenschwerpunkt: Mobilität und Logistik. Und die kommt zunächst<br />

nachhaltig daher: per Muskelkraft. Mit Konrad Krause, Sprecher des ADFC Sachsen,<br />

sprach der <strong>Versicherungsbote</strong> über Risiken und Chancen des steigenden<br />

Radverkehrs. Und wir schauen darauf, was Gewerbebetriebe bei der Versicherung<br />

von Anhängern beachten müssen.<br />

Ich hoffe, dass Sie auch die anderen Beiträge mit Gewinn lesen. Und das Wichtigste:<br />

Bleiben Sie gesund!<br />

Björn Bergfeld<br />

Geschäftsführer<br />

1


4 Es gibt bei der Pflegevorsorge<br />

eine Diskrepanz zwischen<br />

Vermittler- und Kundensicht!<br />

40 Zukauf von Maklerbeständen<br />

und Firmen –<br />

ein kurzer Leitfaden<br />

48 Der Patient will in seinen<br />

komplexen Zusammenhängen<br />

wahrgenommen werden!<br />

Markt<br />

8 Eine Pflege-<br />

Bürgerversicherung schafft<br />

mehr Probleme als Lösungen<br />

10 Pflegeversicherung: Ohne<br />

Reform werden die Eigenanteile<br />

enorm steigen<br />

14 Missstände der<br />

Notversorgung: Allein unter<br />

marktwirtschaftlichen Aspekten<br />

ist das Problem nicht zu lösen<br />

20 Krankenkasse:<br />

„Die hohen Überschüsse führten<br />

zu Begehrlichkeiten“<br />

Praxis<br />

24 Berufsunfähigkeitsversicherung:<br />

Den Kunden<br />

versichern, bevor er krank wird<br />

27 Berufsunfähigkeitsversicherer<br />

kann BU-Rente ohne<br />

wirksame Änderungsmitteilung<br />

nicht einfach streichen<br />

30 Wie man sich<br />

gegen das Wetter versichert<br />

34 Makler dürfen mit der<br />

Digitalisierung nicht ihre<br />

Selbständigkeit verlieren<br />

36 Warum eine individuelle<br />

Nachfolge-Strategie sinnvoll ist<br />

Vertrieb<br />

44 Wie hoch ist eigentlich<br />

Ihre Vertragsdichte?<br />

46 Warum Makler mehr<br />

Zusatzversicherungen<br />

verkaufen sollten<br />

Impressum<br />

<strong>Versicherungsbote</strong> Verlag UG<br />

(haftungsbeschränkt)<br />

Reclamstraße 42<br />

04315 Leipzig<br />

Tel: 0341/24 330 450<br />

Fax: 0341/39 28 43 09<br />

www.versicherungsbote.de<br />

redaktion@versicherungsbote.de<br />

Vertretungsberechtigter<br />

Geschäftsführer:<br />

Björn Bergfeld<br />

Registergericht: Amtsgericht<br />

Leipzig<br />

Registernummer: HRB 26728<br />

Steuernummer: 231 /121 / 11727<br />

Inhaltlich Verantwortlicher gemäß<br />

§ 55 Abs. 2 RstV: Björn Bergfeld<br />

<strong>Versicherungsbote</strong> Magazin 1/<strong>2020</strong><br />

Auflage: 10.000 Stück<br />

ET: Redaktionsschluss 06.03.<strong>2020</strong><br />

Direktvertrieb über<br />

<strong>Versicherungsbote</strong><br />

Redaktion: Björn Bergfeld<br />

(Chefredakteur),<br />

Mirko & Sven Wenig (Redaktion)<br />

Der Inhalt der Beiträge obliegt der<br />

Verantwortung der jeweiligen<br />

Autoren.<br />

Deutrik GmbH<br />

Layout und Satz:<br />

Norma-Elisabeth Grohall<br />

Illustrationen:<br />

Franz Pappelbaum<br />

ISSN 2625-1264<br />

Druck: Grafisches Centrum Cuno<br />

GmbH & Co. KG


60 Wir haben über<br />

300 Coworking-Spaces<br />

in Deutschland!<br />

63 PKV: „Das Thema Anwartschaften<br />

gehört zu einer<br />

Beratung dazu!“<br />

80 Wie der aufgeklärte<br />

Verbraucher die Versicherungslandschaft<br />

verändert<br />

Gewerbe<br />

51 Bisher haben<br />

wenige Firmen<br />

Flottenverträge!<br />

54 Apothekenversicherung:<br />

„Extremfälle können zu hohen<br />

Forderungen führen!“<br />

57 Berufung Pferd:<br />

Pferdebetriebe richtig versichert<br />

Krankenversicherung<br />

66 Ist die Familienversicherung<br />

für Studenten die<br />

bessere Lösung?<br />

70 Sara & Marco von<br />

Love & Compass:<br />

Weltreise als Beruf<br />

73 Wie sich ein Wechsel von der<br />

PKV in die GKV in der 2. Hälfte<br />

des Erwerbslebens<br />

auswirken kann<br />

Altersvorsorge<br />

82 Die „Rente aus Stein“:<br />

Mit Leibrenten im Alter<br />

Finanzen aufbessern und<br />

Wohnrecht sichern<br />

Sparten<br />

86 Deutschland ist zunächst<br />

einmal Fahrradnation!<br />

90 Nach Fahrraddiebstählen<br />

gibt es oft keine Spuren<br />

96 Auf der Suche nach<br />

der passenden<br />

Anhängerversicherung<br />

Sachversicherung<br />

92 Versicherungsfall „Sturm“<br />

in der Wohngebäudeversicherung<br />

und die Frage, ob<br />

man Wasser „werfen“ kann


Es gibt bei der Pflegevorsorge eine<br />

Diskrepanz zwischen Vermittler- und<br />

Kundensicht<br />

Daniel Bahr<br />

Allianz-Vorstand<br />

Die Allianz bewirbt ihre privaten Pflegezusatztarife seit März 2019 mit Dieter Hallervorden –<br />

auch, um eine neue Kundenansprache für das Thema Pflegevorsorge zu finden und stärker für<br />

die drohenden finanziellen Risiken zu sensibilisieren. Der <strong>Versicherungsbote</strong> sprach mit<br />

Daniel Bahr, Vorstand der Allianz Privaten Krankenversicherungs-AG (APKV) und früherer Bundesgesundheitsminister<br />

für die FDP, der die staatliche Förderung für Pflegetarife eingeführt hat.<br />

<strong>Versicherungsbote</strong>: Bei der diesjährigen Branchenmesse<br />

DKM haben Sie gemeinsam mit Schauspieler und Allianz-Pflegebotschafter<br />

Dieter Hallervorden über das<br />

Thema Pflegevorsorge gesprochen. Sind die Deutschen<br />

aus Ihrer Sicht gut auf das Thema Pflegebedürftigkeit<br />

und ihre Folgen vorbereitet?<br />

Daniel Bahr: Sie sind zu wenig vorbereitet. Und das,<br />

obwohl das Thema präsent ist. Nahezu jeder hat schon<br />

einmal einen Pflegefall im Umfeld erlebt. Und viele<br />

werden damit – oft auch über lange Zeit – konfrontiert.<br />

Dennoch haben die wenigsten eine ausreichende<br />

Vorsorge in Form einer Pflegezusatzversicherung.<br />

Statistisch betrachtet wird jeder zweite Mann im Laufe<br />

seines Lebens pflegebedürftig, bei Frauen sind es sogar<br />

drei von vier. Das zeigt: Vorsorge ist notwendig.<br />

Paradox: Laut Allensbach-Umfrage wissen 78 Prozent<br />

der Deutschen, dass der gesetzliche Pflegeschutz im<br />

Ernstfall nicht ausreicht: Sechs von zehn Befragten halten<br />

eine Zusatzvorsorge für wichtig. Dennoch ist die<br />

private Pflegezusatzversicherung ein absolutes Nischenprodukt.<br />

Haben Sie eine Erklärung hierfür?<br />

Pflege ist ein Thema, das auch mit dem Ende des Lebens<br />

zu tun hat. Und gerade im jüngeren oder mittleren Alter<br />

denkt man oft, dass man das später noch entscheiden<br />

könne. Dass das teurer wird und falsch ist, weiß jeder, der<br />

rechnen kann. Einen solchen Widerspruch beobachten<br />

wir aber nicht nur bei der Pflege, sondern auch bei der<br />

Berufsunfähigkeitsversicherung und der Altersvorsorge.<br />

Wir haben bei der Pflege jedoch auch eine Diskrepanz<br />

zwischen Vermittler- und Kundensicht: Nur 17 Prozent<br />

der Vermittler geben in Umfragen an, dass ihre Kunden<br />

eine Pflegezusatzversicherung bräuchten. Ich glaube<br />

daher, dass wir als Versicherungen eine große gesellschaftliche<br />

Aufgabe haben, das Thema anzusprechen.<br />

Mein persönlicher Eindruck: Kampagnen zu Kfz-Versicherung<br />

und zur Altersvorsorge werden weit häufiger<br />

von Versicherern platziert als Kampagnen zu Pflegezusatz-Policen.<br />

Wie ist Ihrer? Und haben Sie hierfür eine<br />

Erklärung?<br />

Auch hier ist wahrscheinlich der einfache Grund, dass<br />

Pflege als „Werbe-Thema“ erstmal abschreckt. Oft ist die<br />

4


Werbung so angelegt, dass sie Angst macht. Menschen<br />

kollabieren, werden mit Blaulicht ins Krankenhaus<br />

gebracht und sitzen später im Rollstuhl. Anschließend<br />

kommt der Hinweis auf die Pflegezusatzversicherung.<br />

Wenn ich weiß, dass die Leute eine Sache verdrängen<br />

und aufschieben, dann animiert so etwas kaum. Das<br />

haben wir bei unserer Kampagne bewusst anders<br />

gemacht. Man kann auch ein ernstes Thema wie die<br />

Pflege locker und mit Humor ansprechen.<br />

Die Allianz-Pflegekampagne mit Dieter Hallervorden<br />

unterschied sich von anderen Werbekampagnen vieler<br />

Versicherer: witziger, teils greller, ohne Scheu vor Boulevard.<br />

Muss die Versicherungsbranche auch eine neue<br />

Ansprache und neue Wege finden, um auf das Pflegerisiko<br />

aufmerksam zu machen?<br />

Absolut – und dabei geht es auch darum, unsere<br />

Vertriebspartner zu mobilisieren.<br />

Wir wissen aber auch, dass das<br />

Zeit braucht. Da gibt es Berater,<br />

die haben vielleicht Hemmungen<br />

und ebenso welche, die andere<br />

Schwerpunkte haben. Im umfassenden<br />

Beratungsprogramm<br />

der Allianz ist das Thema Pflege<br />

deshalb ein wichtiger Baustein.<br />

Denn letztlich wollen wir unsere<br />

Vertriebspartner dazu bringen,<br />

bei ihren Kunden Pflege in<br />

möglichst vielen Fällen anzusprechen<br />

– auch in ganz anderen Zusammenhängen, etwa<br />

bei der Baufinanzierung oder der privaten<br />

Altersvorsorge. Viele Kunden wissen zum Beispiel auch<br />

nicht, dass die Pflegepflichtversicherung – ob privat oder<br />

gesetzlich – nur eine Teilkostenabsicherung ist. Da<br />

braucht es Beratung und Kompetenz, dazu ein einfaches,<br />

transparentes Produkt. Auch das bringt die Vermittler<br />

und Kunden dazu, sich mit der Pflegevorsorge zu<br />

beschäftigen.<br />

Schlussendlich geht es bei der Pflege doch immer um<br />

Problemlösungen. Auch da sind wir als Versicherer<br />

gefragt, neu zu denken. Wenn Menschen pflegebedürftig<br />

werden, wollen sie vor allem eines: möglichst<br />

eigenständig bleiben und selbst über ihr Leben bestimmen.<br />

Dazu gehört, finanziell unabhängig zu sein.<br />

Diesen finanziellen Aspekt decken wir sehr gut über<br />

unsere Produkte ab – wie etwa unser PflegetagegeldBest.<br />

Es ist flexibel und leistungsstark und das Geld steht<br />

Man kann auch ein<br />

ernstes Thema wie<br />

die Pflege locker<br />

und mit Humor<br />

ansprechen.<br />

Kunden im Pflegefall zur freien Verfügung. Sie können es<br />

für die Dinge einsetzen, die ihnen persönlich wichtig sind<br />

– egal, ob es um die Anstellung einer Haushaltshilfe oder<br />

den Umbau im Treppenhaus geht.<br />

Neben dem Finanziellen spielt aber die Unterstützung<br />

im Alltag, die Organisation des Lebens im Pflegefall, eine<br />

immer größere Rolle. Wie finde ich die passende<br />

Pflegekraft? Wer organisiert die Hilfsmittel? Wer kommt<br />

zu mir nach Hause und prüft, ob ich dort noch wohnen<br />

kann? Wer organisiert Hilfe beim Einkauf, im Haushalt<br />

oder psychologische Unterstützung? Um all diese Dinge<br />

muss sich jemand kümmern. Gleichzeitig wollen oder<br />

können die meisten Menschen ihren Angehörigen damit<br />

nicht zur Last fallen. Als Allianz Private Krankenversicherung<br />

nehmen wir unseren Kunden daher auch<br />

Organisationsaufgaben wie diese ab. Wir verstehen uns<br />

hier als Partner, der sie ein Leben lang begleitet und<br />

mehr als ein Kostenerstatter ist.<br />

Dazu arbeiten wir mit den Pflege-<br />

Experten von WDS Care<br />

zusammen und haben deren<br />

umfassende Assistance-Services<br />

in unser PflegetagegeldBest<br />

eingeschlossen. Besonders wertvoll<br />

für unsere Kunden ist dabei,<br />

dass sie diese Services auch dann<br />

schon nutzen können, wenn sie<br />

selbst noch gar keine Pflege<br />

brauchen, aber ein Familienmitglied<br />

unterstützen möchten.<br />

Dieser Mehrwert macht unsere Pflegeabsicherung auch<br />

für jüngere Menschen interessant, deren Eltern gerade in<br />

ein Alter kommen, in dem Pflege zum Thema wird.<br />

Können Sie uns einen ersten Einblick geben, wie erfolgreich<br />

die Pflegekampagne mit Dieter Hallervorden war?<br />

Haben Sie in der Zeit mehr Rückmeldungen erhalten?<br />

Zog die Nachfrage an?<br />

Die Kampagne ist für uns ein echter Erfolg, das sieht man<br />

ganz konkret: Wir wachsen stark in der Pflegezusatzversicherung.<br />

Im letzten Jahr ging schon fast jede<br />

dritte neu abgeschlossene Pflegetagegeld-Police an die<br />

Allianz Private Krankenversicherung. Damit sind wir<br />

Marktführer im Pflege-Neugeschäft.<br />

Hallervorden und unsere neue Art, über Pflege zu<br />

sprechen, haben bei unseren Vertriebspartnern einen<br />

Nerv getroffen: Unsere Schulungen zur Pflegevorsorge<br />

waren gut besucht und unsere Info- und Werbe-<br />

5


Materialien mussten wir sogar nachdrucken lassen, so<br />

schnell waren sie vergriffen. Das zeigt, wie wichtig es<br />

Vermittlern ist, die Pflegevorsorge bei ihren Kunden<br />

anzusprechen. Das zeigt uns aber auch: Bei der Pflege<br />

können wir noch mehr tun. Deshalb führen wir die<br />

Kampagne mit Herrn Hallervorden in diesem Jahr weiter.<br />

Auch Versicherungsvermittler haben die Aufgabe, über<br />

Krankheits- und Pflegerisiken aufzuklären. Gegenüber<br />

unserem Magazin beklagen viele eine oft einseitig negative<br />

Darstellung des Berufes: im schlimmsten Fall als<br />

Klinkenputzer und Abzocker. Umfragen belegen regelmäßig<br />

das eher schlechte Image. Was sind aus Ihrer<br />

Sicht Gründe hierfür? Und was kann getan werden, um<br />

das Bild zumindest differenzierter zu gestalten?<br />

Das Bild, das Sie zeichnen, zeigt jemanden, der etwas<br />

verkaufen will. Egal, ob der Kunde das möchte oder gar<br />

benötigt. Und genau da gilt es, anzusetzen. Gute Berater<br />

gehen vom Kunden aus, von seinen Bedürfnissen. Bei der<br />

Pflege bedeutet das zum Beispiel nicht, zu fragen:<br />

„Haben Sie übrigens schon eine Zusatzversicherung?“.<br />

Sondern offene Fragen zu stellen:<br />

„Wie haben Sie das Thema gelöst?<br />

Was stellen Sie sich vor?“<br />

Gemeinsam mit ihren Kunden<br />

können Berater dann die Lösung,<br />

das Produkt finden, das am<br />

besten zu den jeweiligen<br />

Bedürfnissen passt. Und das kann<br />

ganz unterschiedlich aussehen, je<br />

nachdem, wie der Kunde tickt.<br />

Unser Beratungsansatz bei der<br />

Allianz funktioniert genau so.<br />

Ich bin überzeugt, dass uns das zu<br />

glaubwürdigen und kompetenten Partnern macht – und<br />

dass unsere Kunden uns ebenfalls so sehen.<br />

Sie selbst haben als Bundesgesundheitsminister eine private<br />

Zusatzvorsorge geschaffen, die staatlich gefördert<br />

ist und (fast) allen offen steht. Auch die Allianz Kranken<br />

bietet solche Tarife an. Der Boom blieb dennoch<br />

aus. Wie zufrieden sind Sie mit den staatlich geförderten<br />

Tarifen?<br />

Grundsätzlich ist es vernünftig, dass es bei der Pflege,<br />

wie bei der Altersvorsorge, eine staatliche Förderung<br />

gibt. Das zeigt deutlich: Das Thema ist gesellschaftlich so<br />

wichtig, dass der Gesetzgeber es mit Steuergeldern<br />

unterstützt. Die staatliche Förderung erleichtert es<br />

6<br />

Gute Berater gehen<br />

vom Kunden aus,<br />

von seinen<br />

Bedürfnissen.<br />

Vermittlern zudem, Einstiege in die Beratung zu finden.<br />

Wer aber Wert auf eine umfassende Pflege-Absicherung<br />

und zusätzliche Services legt, für den können andere<br />

Angebote besser geeignet sein. Auch hier sind wieder<br />

kompetente Berater gefragt, die gemeinsam mit ihren<br />

Kunden jene Vorsorge zusammenstellen, die am besten<br />

zu deren Bedürfnissen und zur jeweiligen Situation<br />

passt. Ein Patentrezept gibt es nicht.<br />

Deutschland fehlen zehntausende Pflegekräfte, schon<br />

jetzt können in Kliniken viele Stellen nicht besetzt werden.<br />

Auch auf dem Land mangelt es an ambulanten<br />

Pflegediensten: Das weiß ich aus eigener Erfahrung, da<br />

ich einen bettlägerigen Vater habe. Ein Versäumnis vielleicht<br />

aller Regierungen der letzten Jahre und<br />

Jahrzehnte. Reichen aus Ihrer Sicht die von der Bundesregierung<br />

angestoßenen Reformen aus, um Besserung<br />

zu schaffen? Was kann/ muss passieren, um den Pflegeberuf<br />

attraktiver zu machen?<br />

Das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz ist ein wichtiger<br />

Baustein, um die Pflegefachkräfte zum einen zu entlasten<br />

und zum anderen den Beruf<br />

attraktiver zu machen. Beides<br />

sind wichtige Faktoren, um eine<br />

gute Pflege auch in Zukunft zu<br />

gewährleisten. Seit dem Inkrafttreten<br />

des Gesetzes Ende 2018<br />

haben auch schon viele<br />

notwendige Neuerungen, die es<br />

bereithält, in den Pflegealltag<br />

Einzug gehalten: Zum Beispiel ist<br />

es für Pflegekräfte nun einfacher,<br />

Familie und Beruf zu vereinbaren.<br />

Und digitale Anwendungen,<br />

die bei der Arbeit entlasten, kommen<br />

verstärkt zum Einsatz. In diesem Jahr starteten<br />

außerdem die neuen, einheitlichen Ausbildungsgänge in<br />

der Pflege. Dieser Schritt wertet die Pflegeberufe<br />

deutlich auf und erhöht die Einsatz- und<br />

Aufstiegsmöglichkeiten der Pflegekräfte.<br />

Wir sind hier also auf dem richtigen Weg, stehen aber erst<br />

am Anfang. In Zukunft wird es weiter darauf ankommen,<br />

den Pflegerinnen und Pflegern die Wertschätzung und<br />

Anerkennung zu geben, die ihr Beruf verdient. Und das<br />

kostet auch Geld, das muss jedem klar sein.<br />

Ein kurzer Ausblick: Wo sehen Sie die Zukunft der Pflege<br />

in Deutschland in 20 Jahren? Und was sind die


größten Chancen und Herausforderungen, um Pflege<br />

bezahlbar und zugleich menschenwürdig zu gestalten?<br />

Wir haben eine gute Pflegeinfrastruktur, gute<br />

Einrichtungen, gut ausgebildete Pflegekräfte. Trotzdem<br />

geht es darum, wie das künftig finanziert wird. Darauf<br />

hat die Gesellschaft in Deutschland derzeit noch keine<br />

Antwort. Eine sinnvolle und gangbare Möglichkeit, die<br />

Pflegeversicherung der Zukunft nachhaltig und dabei<br />

bezahlbar zu gestalten, ist der Ausbau der<br />

kapitalgedeckten Vorsorge, zum Beispiel mit einer<br />

privaten Pflegezusatzversicherung. Wir müssen das<br />

Thema Pflege außerdem noch mehr in die gesellschaftliche<br />

Mitte bekommen. Denn es geht darum, den<br />

Menschen Lösungen anzubieten. Und wir müssen sie<br />

dazu bringen, sich mit dem Problem zu beschäftigen und<br />

es nicht nach hinten aufzuschieben. Es geht dabei auch<br />

um Fragen wie: Was können wir für neue Wohnformen<br />

tun? Was können wir dafür tun, dass wir uns in der<br />

Nachbarschaft stärker unterstützen? Wie können wir<br />

mehr Pflegekräfte motivieren und ihnen mehr<br />

Wertschätzung geben? Zum einen brauchen wir eine<br />

gesellschaftliche Debatte. Zum anderen müssen wir als<br />

Versicherungsbranche unsere Produkte weiter<br />

verbessern. Eine Herausforderung in den kommenden<br />

Jahren wird sicherlich sein, Produkte auch Älteren<br />

anbieten zu können, die das Thema zu lange<br />

aufgeschoben haben. Auch hier sieht sich die Allianz<br />

nicht nur als Kostenerstatter, sondern als Partner.<br />

Das Interview mit Daniel Bahr führte<br />

Mirko Wenig<br />

Ihr neuer Erfolgsstürmer:<br />

unsere KV-Vollversicherung<br />

Ab sofort bieten wir Ihnen auch im Bereich der Krankenvollversicherung ein<br />

absolutes Top-Team. Denn mit MedExtra und MedBest haben wir unsere private<br />

Krankenversicherung um zwei leistungsstarke Volltarife erweitert. Lassen Sie<br />

Ihre Kunden von einer starken und umfassenden Absicherung profitieren:<br />

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bis zu 90% Erstattung für Zahnersatz<br />

hohe Rückerstattungen bei Leistungsfreiheit<br />

Beitragsbefreiung bei Elterngeldbezug<br />

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Eine Pflege-Bürgerversicherung schafft<br />

mehr Probleme als Lösungen<br />

Florian Reuther<br />

PKV-Verbandsdirektor<br />

Würde eine Bürgerversicherung in der Pflege die Finanzierungsprobleme in einer alternden<br />

Gesellschaft lösen? Nein, sondern eher vergrößern, argumentiert Florian Reuther, Direktor<br />

des Verbandes der Privaten Krankenversicherung (PKV-Verband), in seinem Gastkommentar.<br />

Die künftige Finanzierung der gesetzlichen<br />

Pflegeversicherung ist ein Megathema der aktuellen<br />

politischen Debatte. Sie wird maßgeblich durch die<br />

Eigenanteile an den Kosten im Pflegefall bestimmt. Als<br />

Lösung propagieren SPD, Grüne und die Linke die<br />

Einführung einer Pflege-<br />

Bürgerversicherung. Sie wollen<br />

die Private Pflegeversicherung<br />

(PPV) abschaffen und die privat<br />

Pflegeversicherten in die Soziale<br />

Pflegeversicherung (SPV)<br />

überführen.<br />

Die Befürworter eines solchen<br />

Systembruchs gehen von der<br />

falschen Prämisse aus, dass eine<br />

Pflege-Bürgerversicherung die<br />

Finanzierung der Pflege sichere.<br />

Doch das Gegenteil ist der Fall:<br />

Die Pflege-Bürgerversicherung löst kein Finanzierungsproblem,<br />

sondern verschärft die Finanzierungsprobleme<br />

der Pflege im demografischen Wandel.<br />

Sie führt auch nicht zu „mehr Gerechtigkeit“, sondern zu<br />

einer ungerechten Lastenverteilung zwischen den<br />

Generationen. Und sie schwächt die Pflege, indem sie<br />

den Qualitätswettbewerb in der Pflege beseitigt.<br />

8<br />

Mehr Umlage verschärft das<br />

Finanzierungsproblem<br />

Deutschland gehört<br />

schon heute zu den<br />

Ländern mit der<br />

höchsten Steuerund<br />

Abgabenquote.<br />

Mit einer Pflege-Bürgerversicherung würde die<br />

gesetzliche Pflegeversicherung vollständig auf die<br />

Umlagefinanzierung umgestellt.<br />

Damit würde auf jegliche<br />

Zukunftsvorsorge verzichtet.<br />

Und die hohen Kosten der Pflege<br />

würden einfach auf zukünftige<br />

Generationen verschoben. Dass<br />

immer weniger Erwerbstätige die<br />

zunehmende Zahl der Pflegebedürftigen<br />

durch ihre Beiträge<br />

finanzieren müssen, bedeutet<br />

eine ungerechte Umverteilung zu<br />

Lasten der jüngeren Generationen.<br />

Bereits heute droht ihnen<br />

ein weitaus höherer SPV-Beitrag als den heutigen<br />

Erwerbstätigen. Eine Ausweitung der Umlagefinanzierung<br />

gleicht deshalb dem absurden Versuch, ein<br />

Problem zu lösen, indem man die Quelle des Problems<br />

vergrößert.<br />

Nur im Finanzierungsverfahren der Privaten<br />

Pflegepflichtversicherung werden die langfristigen


Kosten des demografischen Wandels berücksichtigt und<br />

für jede Leistungsverbesserung ihr tatsächlicher Preis<br />

nachhaltig einkalkuliert. Daher zeigen kapitalgedeckte<br />

Pflegeversicherungen auch bei Alterung des<br />

Versichertenkollektivs eine stabile Prämienentwicklung,<br />

während die Beiträge der umlagefinanzierten SPV allein<br />

aufgrund des demografischen Wandels permanent<br />

steigen.<br />

Begrenzung der Sozialabgabenquote auf<br />

40 Prozent nicht zu halten<br />

Deutschland gehört schon heute zu den Ländern mit der<br />

höchsten Steuer- und Abgabenquote. Sollte die nächste<br />

Pflegereform erneut die umlagefinanzierten Leistungen<br />

ausbauen, ist das Ziel einer Begrenzung der<br />

Sozialabgabenquote auf 40 Prozent nicht zu halten. Das<br />

schadet dem Arbeitsmarkt und der internationalen<br />

Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands.<br />

Eine Pflege-Bürgerversicherung würde jedoch auch der<br />

Innovationskraft in der Pflege schaden. Gerade im<br />

Systemwettbewerb von SPV und PPV entstehen neue<br />

Ideen und Lösungen für eine bessere Pflegeversorgung<br />

aller Bürger: MEDICPROOF, der medizinische Dienst<br />

der Privaten, bringt täglich seine Expertise zugunsten der<br />

Weiterentwicklung der Pflegeversicherung ein. Der<br />

große Erfolg von „compass private pflegeberatung“ hat<br />

den Gesetzgeber dazu bewogen, die aufsuchende<br />

Pflegeberatung auch den Pflegekassen verbindlich<br />

vorzuschreiben, so dass nun auch die SPV-Versicherten<br />

davon profitieren. Zahlreiche weitere innovative Ansätze<br />

wie etwa der Hausbesuch und das Case-Management<br />

zeigen, dass compass eine treibende Kraft bei der<br />

bundesweiten Fortentwicklung der Pflegeberatung ist.<br />

Daneben setzt der Prüfdienst der PKV Standards für<br />

effiziente und dienstleistungsorientierte Qualitätsprüfungen<br />

in Pflegeheimen.<br />

Vor diesem Hintergrund sollte die Kapitaldeckung in der<br />

Pflegeversicherung nicht abgebaut, sondern weiter<br />

gestärkt werden. Eine bezahlbare und generationengerechte<br />

Vorsorge für die Absicherung des Pflegerisikos<br />

sind private Pflegezusatzversicherungen. Die PKV steht<br />

für den Ausbau dieser kapitalgedeckten Vorsorge bereit.<br />

Ein Gastkommentar von Florian Reuther


<strong>Versicherungsbote</strong>: In 1995 wurde die Pflegeversicherung<br />

als zusätzliche Säule der gesetzlichen Sozialversicherung<br />

eingeführt. Laut Ihrer Studie für die gewerkschaftsnahe<br />

Hans-Böckler-Stiftung aber gewährleistet aktuell die<br />

Pflegeversicherung nicht mehr das damalige Ziel: Pflegebedürftigkeit<br />

als soziales Risiko abzusichern. Welche<br />

Gründe sehen Sie für diese negative Einschätzung?<br />

Dominik Domhoff<br />

Pflegewissenschaftler Universität Bremen<br />

Pflegeversicherung:<br />

Ohne Reform werden<br />

die Eigenanteile<br />

enorm steigen<br />

Eine Studie der Universität Bremen machte<br />

zuletzt Furore: Im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung<br />

plädierten der renommierte<br />

Volkswirt Heinz Rothgang sowie der Pflegewissenschaftler<br />

Dominik Domhoff für<br />

das Konzept einer so genannten „Bürgervollversicherung“<br />

in der gesetzlichen Pflegeversicherung:<br />

Alle Bürger sollen in eine<br />

solche einzahlen, zudem sollen alle Leistungen<br />

zur Pflege abgedeckt sein. In der Folge<br />

berief sich sowohl Deutschlands größter<br />

Sozialverband VdK als auch der Parteivorstand<br />

der SPD auf die Studie, um die Einführung<br />

einer Bürgerversicherung in der<br />

Pflege zu fordern. Der <strong>Versicherungsbote</strong><br />

wollte mehr erfahren – und fragte nach bei<br />

Dominik Domhoff.<br />

Dominik Domhoff: Primär zeigt sich dieses wohl bei den<br />

Entgelten für die stationäre Versorgung: Unmittelbar<br />

nach Einführung der Pflegeversicherung lagen die<br />

Eigenanteile zu den pflegebedingten Aufwendungen noch<br />

bei umgerechnet unter 100 Euro pro Monat. Durch eine<br />

vollständig ausgebliebene Leistungsanpassung in der<br />

Pflegeversicherung zwischen 1995 und 2008 und einer<br />

seitdem fortgetragenen Deckungslücke zwischen<br />

Pflegesätzen und Leistungen stieg der durchschnittliche<br />

Eigenanteil nur für die pflegebedingten Aufwendungen<br />

schon auf 662 Euro pro Monat im Jahr 2019. In Summe mit<br />

den ebenfalls privat zu tragenden Kosten für Unterkunft<br />

und Verpflegung sowie für Investitionskosten ergeben<br />

sich dann durchschnittlich knapp unter 2000 Euro pro<br />

Monat Gesamt-Zuzahlung. Dass diese Belastung für viele<br />

Personen – insbesondere bei längerer Pflege – zu einem<br />

Vermögensverzehr und danach sogar zu Armut führen<br />

kann, liegt nahe.<br />

In ihrer Studie beziehen Sie sich auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts<br />

vom 3. April 2001 (Az. 1 BvR<br />

2014/95). In diesem Urteil wurde eine „ausgewogene Lastenverteilung“<br />

als normativer Maßstab für das duale<br />

Versicherungssystem in der Pflegeversicherung vorgegeben.<br />

Sie aber kritisieren: Dieser Lastenausgleich<br />

zwischen der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) und der<br />

Privaten Pflegepflichtversicherung (PPV) werde „nicht<br />

realisiert“. Stattdessen trage die SPV eine größere Last<br />

als die PPV. Können Sie uns auch diesen Vorwurf mit<br />

Argumenten untermauern?<br />

Starke Selektionseffekte zu Gunsten der privaten<br />

Kranken- und Pflegeversicherung sind keine neue<br />

Erkenntnis. In unserer Studie beobachteten wir etwa, dass<br />

die Versicherten in der PPV nahezu durchgängig ein<br />

doppelt so hohes Einkommen aufweisen wie diejenigen,<br />

die in der SPV versichert sind. Zugleich weisen die<br />

Versicherten in der PPV aber auch deutlich günstigere<br />

pflegebezogene Risiken auf. Bei gleichen Leistungsansprüchen<br />

ergeben sich hierdurch in der PPV<br />

Leistungsausgaben zwischen 50 Prozent und 60 Prozent<br />

im Vergleich zur SPV. Dementsprechend liegen dann auch


die Versicherungsprämien deutlich unter den Beiträgen in<br />

der SPV. Es besteht somit ein erheblicher finanzieller<br />

Anreiz, in die PPV zu wechseln. So können sich<br />

bestimmte Personenkreise systematisch dem<br />

Solidarsystem in der Pflegepflichtversicherung entziehen<br />

– und für die SPV führt dies zum Verlust der stärkeren<br />

Beitragszahler.<br />

Die schon angesprochenen steigenden Eigenanteile – besonders<br />

für die stationäre Pflege – werden zunehmend als individuelles<br />

Armutsrisiko wahrgenommen. Dass dies zukünftig<br />

auf immer mehr Menschen zutreffen wird, ist aufgrund eines<br />

zunehmenden Pflegebedarfs zu erwarten. So erreicht<br />

die Anzahl der Pflegebedürftigen zum Beispiel laut Vorausberechnung<br />

erst im Jahr 2053 einen Maximalwert: Die<br />

Anzahl der Pflegebedürftigen in der Sozialen Pflegeversicherung<br />

steigt bis dahin um 48 Prozent, die Anzahl der<br />

Pflegebedürftigen in der Privaten Pflichtversicherung sogar<br />

um 125 Prozent. Wie wirkt sich diese Entwicklung auf<br />

die Eigenanteile aus, falls keine Reformen stattfinden?<br />

Sollten keinerlei Reformen der Vergütung der stationären<br />

Versorgungen stattfinden, werden wir einen enormen<br />

Anstieg der einrichtungseinheitlichen Eigenanteile (EEE)<br />

erleben. In Berechnungen für die DAK Gesundheit haben<br />

wir herausgefunden, dass der EEE allein bereits im Jahr<br />

2045 bei fast 2000 Euro pro Monat läge, sofern die Kosten<br />

für die stationäre Pflege durch Erhöhung des Personaleinsatzes<br />

und bessere Vergütung – wie zu erwarten ist – in<br />

den nächsten Jahren um 35 Prozent steigen. Und dabei ist<br />

bereits ein deutlicher Anstieg des allgemeinen<br />

Beitragssatzes zu Pflegeversicherung inbegriffen. In<br />

Anbetracht der derzeitigen Ausgangslage erscheint eine<br />

solche Annahme auch keineswegs überhöht.<br />

Und welche Auswirkung auf Beitragssätze für PPV- und<br />

SPV-Versicherte haben eine alternde Gesellschaft und<br />

eine zunehmende Zahl an Pflegebedürftigen, falls Reformen<br />

ausbleiben?<br />

Auch die Beitragssätze in der SPV werden unter der<br />

jetzigen Logik ansteigen – da sind sich alle einig. Eine<br />

steigende Anzahl an Leistungsempfangenden muss von<br />

einer geringer werden Anzahl an Erwerbstätigen getragen<br />

werden. Bis zum Jahr 2060 ist daher ein demographisch<br />

bedingter Anstieg um 2,2 Beitragssatzpunkte zu erwarten,<br />

also ein Anstieg, der auch dann passiert, wenn nichts<br />

weiter im System verändert wird.<br />

Sie plädieren für ein Zusammenführen der privaten<br />

und der gesetzlichen Versicherung in eine Pflegebürgervollversicherung.<br />

Welche Schritte sind für eine<br />

solche Reform notwendig?<br />

In Bezug auf eine Bürgerversicherung in der<br />

Krankenversicherung herrscht Uneinigkeit darüber, wie<br />

eine solche Zusammenlegung von privater und<br />

gesetzlicher Krankenversicherung genau gestaltet werden<br />

könnte. Dies liegt zum einen an unterschiedlichen<br />

Leistungsansprüchen in den beiden Versicherungszweigen.<br />

Hierdurch ist eine einfache Fusion der<br />

Versicherungsverhältnisse nicht möglich. Zusätzlich sind<br />

der Umgang mit dem Bestand in der privaten<br />

Versicherung und den vorhandenen Rücklagen besondere<br />

Streitpunkte. In der Pflegepflichtversicherung ist das<br />

deutlich einfacher: Da die Leistungsansprüche in SPV und<br />

PPV identisch sind, würden für die Leistungserbringenden<br />

keine Einbußen durch einen möglichen<br />

Wegfall der PPV einhergehen.<br />

Welche Vorteile für Pflegebedürftige hätte eine Pflegebürgervollversicherung<br />

gegenüber dem derzeitigen<br />

Status Quo? Und welche Nachteile drohen?<br />

Für die Pflegebedürftige in stationärer Versorgung ergibt<br />

sich bei Einführung einer Vollversicherung unmittelbar<br />

eine große finanzielle Entlastung durch den Wegfall des<br />

EEE. Profitieren können auch Pflegebedürftige im<br />

ambulanten Sektor, bei denen derzeit die Sachleistungen<br />

zur Sicherstellung der Pflege nicht ausreichen. Bei<br />

welchem Anteil von Personen und in welchem Umfang<br />

dies zutrifft, ist jedoch umstritten. Wir gehen hier von<br />

durchschnittlich 150 Euro bei den Personen aus, die<br />

ausschließlich und vollständig Pflegesachleistungen<br />

erhalten. Diese machen jedoch weniger als zehn Prozent<br />

aller ambulant versorgten Pflegebedürftigen aus. Die<br />

vollständige Abschaffung der Eigenanteile ist auch einer<br />

der Diskussionspunkte einer Vollversicherung. Es besteht<br />

die Befürchtung, dass hierdurch Leistungen häufiger in<br />

Anspruch genommen würden als dies bedarfsgerecht wäre<br />

und somit ungerechtfertigte Kosten entstünden. Dem<br />

könnte allerdings mit einer individuellen Leistungszumessung<br />

und einem anschließenden Case Management<br />

vorgebeugt werden.<br />

… und was ist die Idee hinter einem Sockel-Spitze-<br />

Tausch?<br />

Der Sockel-Spitze-Tausch zielt auf eine Weiterentwicklung<br />

der Pflegeversicherung zu einem bedarfsorientierten<br />

11


Leistungssystem – so wie es die Krankenversicherung<br />

vormacht. Anstatt die Eigenanteile zu den pflegebedingten<br />

Aufwendungen allerdings komplett abzuschaffen,<br />

würde hier ein bestimmter Betrag als Eigenanteilssockel<br />

festgeschrieben. Damit werden die privaten Zuzahlungen<br />

bei Pflegebedürftigkeit kalkulier- und somit planbar.<br />

Steigerungen bei den Pflegekosten würden somit nicht an<br />

die Pflegebedürftigen weitergegeben, sondern von der<br />

Pflegeversicherung gedeckt werden. Die steigenden<br />

Kosten trägt dann die Versichertengemeinschaft, nicht<br />

mehr der einzelne Pflegebedürftige.<br />

Wie würde sich die Einführung einer Pflegebürgervollversicherung<br />

auf den Beitrag der Versicherten und den<br />

Beitragszuschuss der Arbeitgeber auswirken?<br />

Die Wirkungen der einzelnen Elemente sind komplex und<br />

stehen auch in wechselseitiger Abhängigkeit. Kurz gesagt:<br />

sozialversicherungspflichtige Beschäftigte mit höherem<br />

Verdienst und deren Arbeitgeber könnten höhere<br />

Beiträge erwarten. Bei den Privatversicherten zeigt sich so<br />

unabhängig vom Einkommen eine höhere Belastung von<br />

durchschnittlich etwa 530 Euro im Jahr – bedingt durch<br />

die derzeit außerordentlich geringen Prämien. Ebenfalls<br />

würden bei Arbeitnehmern auch Einkünfte aus anderen<br />

Quellen als dem Gehalt beitragspflichtig werden. Von<br />

stabileren Beitragssätzen würden dabei Personen<br />

profitieren, die ein Einkommen unterhalb der aktuellen<br />

Beitragsbemessungsgrenze haben – und auch deren<br />

Arbeitgeber. Letztlich müssen jedoch höhere Sozialleistungen<br />

immer durch höhere Beitragseinnahmen<br />

gedeckt werden. Eine Bürgerversicherung würde dies<br />

durch Verminderung horizontaler und vertikaler<br />

Ungerechtigkeiten im jetzigen System umsetzen.<br />

Wäre es auch möglich, eine Vollversicherung in der Sozialen<br />

Pflegeversicherung ohne zeitgleiche Einführung<br />

einer Bürgerversicherung umzusetzen – also ein Vollkasko-Schutz<br />

ohne Zusammenführung von PPV und SPV?<br />

Mit welchen finanziellen Auswirkungen?<br />

Möglich ist das sicherlich. Laut unseren Berechnungen<br />

würde mit diesem Modell jedoch ein Beitragssatz von<br />

sechs Prozent im Jahr 2060 einhergehen – ohne die<br />

notwendigen Steigerungen der Personalressourcen in der<br />

Pflege und einer besseren Entlohnung der Pflegekräfte.<br />

Mit den zu erwartenden Kosten scheint eine solche<br />

Umsetzung daher unwahrscheinlich.<br />

private Pflegeversicherung ist ein wichtiges Marktsegment<br />

für Versicherungen und Vermittler. Ist aus Ihrer<br />

Sicht das Vermittler-Geschäft mit der privaten Pflegeversicherung<br />

nicht mehr zeitgemäß? Oder kann auch bei<br />

Ihren Reform-Vorschlägen ein privater Versicherungsmarkt<br />

für die Pflege weiterbestehen?<br />

Unsere Reformvorschläge bedeuten keinesfalls, dass für<br />

die Pflege der private Versicherungsmarkt abgeschafft<br />

wird. Vielmehr wird ein Sockel-Spitze-Tausch erst den<br />

Markt für neue Versicherungsprodukte schaffen, die von<br />

den Risiken der privaten Zuzahlungen entlasten. Ein<br />

kalkulierbarer und bekannter Eigenanteil kann auch<br />

versichert werden – jenseits der wenig erfolgreichen<br />

Pflegetagegeldprodukte. Aber auch eine Vollversicherung<br />

bedeutet keine Abschaffung privater Zusatzversicherungen.<br />

Produkte, die im Falle einer<br />

Pflegebedürftigkeit weitere Entlastung schaffen, sind<br />

durchaus denkbar.<br />

Wie stehen aus Ihrer Sicht die politischen Zeichen, eine<br />

Pflegebürgervollversicherung tatsächlich umzusetzen?<br />

Sehen Sie hierfür realistische Chancen?<br />

Es besteht sicherlich ein Konsens darüber, dass es einer<br />

Finanzreform innerhalb der Pflegepflichtversicherung<br />

bedarf. Verschiedene Elemente dazu wurden bereits<br />

vorgeschlagen, sodass durchaus Handlungsoptionen<br />

existieren. Die Umsetzung einer Pflegebürgervollversicherung<br />

von heute auf morgen ist sicherlich<br />

wenig realistisch. Eine Festschreibung der maximalen<br />

Eigenanteile im Sinne eines Sockel-Spitze-Tausches wäre<br />

aber auch kurzfristig umsetzbar. Auf Einnahmeseite ist<br />

die Erhöhung der Steuerzuschüsse zur SPV eine<br />

verhältnismäßig einfach umzusetzende Entlastung.<br />

Inwiefern eine Art von Finanzausgleich zwischen PPV<br />

und SPV in der nächsten Zeit diskutiert werden wird,<br />

vermag ich nicht einzuschätzen, da in der derzeitigen<br />

Bundesregierung zumindest eine Bürgerversicherung<br />

nicht mehrheitsfähig ist.<br />

Die Fragen an Dominik Domhoff stellte<br />

Sven Wenig<br />

Der „<strong>Versicherungsbote</strong>“ ist ein Makler-Magazin. Die<br />

12


Missstände der Notversorgung:<br />

Allein<br />

unter marktwirtschaftlichen<br />

Aspekten<br />

ist das Problem<br />

nicht zu lösen<br />

Prof. Dr. Reimer Riessen<br />

Universität Tübingen<br />

Überfüllte Notaufnahmen, geschlossene und defizitäre Kinderintensivstationen: in den Medien<br />

wird oft ein düsteres Bild von der Intensiv- und Notfallversorgung in Krankenhäusern gezeigt.<br />

Wie sieht die Situation tatsächlich aus, was sind Gründe für Probleme – und welche Reformansätze<br />

gibt es? Der <strong>Versicherungsbote</strong> sprach mit Prof. Dr. med. Reimer Riessen, leitender<br />

Oberarzt der Internistischen Intensivstation am Universitätsklinikum Tübingen sowie Sprecher<br />

der Sektion „Qualität und Ökonomie in der Intensivmedizin“ der Deutschen Interdisziplinären<br />

Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e.V. (DIVI).<br />

(Anmerkung: Das Gespräch fand vor der Corona-<br />

Pandemie statt)<br />

<strong>Versicherungsbote</strong>: Man liest in Zeitungen teilweise<br />

sehr dramatische Beschreibungen über überfüllte Notaufnahmen<br />

in Kliniken. Wie schätzen Sie die aktuelle<br />

Situation in der Notfallversorgung ein?<br />

Reimer Riessen: Die Situation der Notaufnahmen und<br />

Intensivstationen ist schwer zu verallgemeinern. Es gibt<br />

Regionen, die besser aufgestellt sind, andere schlechter.<br />

Grundsätzlich halten wir einen Strukturwandel für<br />

notwendig, weil sich die Versorgungsrealität verändert<br />

hat: Die Menschen gehen mehr in Krankenhäuser als<br />

früher, sie suchen bei einem Notfall direkt die Klinik auf.<br />

Warum gehen die Patienten eher in die Notaufnahmen?<br />

Die Gründe sind vielfältig. Die Patienten kennen oft das<br />

System der Notfallpraxen nicht. Speziell jüngere Leute<br />

und ausländische Mitbürger wissen nicht, dass es weitere<br />

Anlaufstellen als die Notaufnahmen in den<br />

Krankenhäusern gibt. Vielleicht bekommen Sie auch<br />

keinen Termin beim Haus- oder Facharzt. Dort sind die<br />

Praxen ja ebenfalls voll. Auch sind die Notfallpraxen der<br />

KV oft nicht rund um die Uhr besetzt – dann geht man<br />

automatisch in die Kliniken.<br />

Es ist mir aber wichtig zu betonen: Viele Patienten sind<br />

in der Notaufnahme eines Krankenhauses richtig<br />

aufgehoben, weil sie Notfälle sind, die einer stationären<br />

Versorgung bedürfen. Wenn Sie zum Beispiel einen<br />

Thoraxschmerz haben und der Verdacht auf Herzinfarkt<br />

besteht, dann kann der KV-Notdienst mit seinen<br />

Mitteln – ohne EKG, ohne Labor – den Patienten nicht<br />

richtig betreuen. Auch im unfallchirurgischen Bereich<br />

kann der kassenärztliche Notdienst meist nicht viel<br />

helfen.<br />

14


Fakt ist: Sie können mit einer Krankenhaus-<br />

Notaufnahme viel schneller und treffsicherer<br />

bedrohliche Erkrankungen ausschließen und die<br />

entsprechende Therapie einleiten, als es ein<br />

kassenärztlicher Notdienst in einer minimal ausgestatteten<br />

Notfallpraxis tun könnte. Insofern muss man<br />

die Vergütungsstrukturen und die Organisation der<br />

Notversorgung an diese Realität anpassen, sodass die<br />

Krankenhäuser personell, technisch und räumlich besser<br />

ausgestattet werden.<br />

Sie kritisieren die Finanzierung über Fallpauschalen,<br />

die zu einer Unterversorgung der Intensiv- und Notfallmedizin<br />

in den Kliniken beitragen kann. Können Sie<br />

kurz erklären, warum gerade die Fallpauschalen die<br />

Notfallmedizin benachteiligen?<br />

Zum einen, weil die Pauschalen, die für die ambulante<br />

Versorgung im Krankenhaus gezahlt werden, sich auch<br />

an den ambulanten Pauschalen<br />

des kassenärztlichen Notdienstes<br />

orientieren. Das sind zum Teil<br />

nur 32 Euro pro Notfall. Im<br />

internationalen Vergleich ist das<br />

lächerlich gering und deckt den<br />

Aufwand nicht im geringsten.<br />

Deswegen galten die Notaufnahmen<br />

in den Krankenhäusern<br />

bislang als defizitär –<br />

mit der Folge, dass in diesen<br />

Bereich zu wenig investiert<br />

wurde. In vielen Kliniken wird<br />

versucht, diese Aufgabe mit dem geringsten Aufwand<br />

hinzukriegen, um nicht noch mehr finanzielle Defizite<br />

entstehen zu lassen. Das hat auch die Belastung der dort<br />

Tätigen zusätzlich erhöht.<br />

Ein weiterer Grund: Grundsätzlich gilt für die<br />

Notfallversorgung, dass viele Vorhaltekosten anfallen.<br />

Sie haben fast durchgehend hohe Kosten, etwa für das<br />

erforderliche Personal – egal, ob es in Anspruch<br />

genommen wird oder nicht. Es gibt Tage, an denen eine<br />

Notaufnahme mal leer ist, weil schlicht wenige<br />

Patienten eingeliefert werden. Und es gibt Tage, da<br />

platzt sie aus allen Nähten. Das unterliegt den Gesetzen<br />

des Zufalls. Trotzdem haben Sie an einem ereignisarmen<br />

Tag die gleichen Personalaufwendungen. Und Sie haben<br />

einen festen Dienstplan, den Sie füllen müssen. Das ist<br />

mit den Fallpauschalen nicht ausreichend<br />

berücksichtigt.<br />

In einer alternden<br />

Gesellschaft gibt es<br />

schlicht mehr<br />

Notfälle.<br />

Die Fallpauschalen haben zu Fehlsteuerungen im<br />

Gesundheitssystem geführt, die ebenfalls dazu<br />

beitragen, dass viele Kliniken inzwischen zu voll sind.<br />

Um Umsatz und Einnahmen zu generieren, werden<br />

möglichst viele Patienten für Operationen einbestellt,<br />

die sogenannten elektiven Patienten. Ziel ist es hierbei<br />

das Fallpauschalensystem auszureizen, also Eingriffe<br />

vorzunehmen, die sich finanziell auszahlen. Ständig<br />

müssen die Kliniken ihre Fallzahlen steigern. Darunter<br />

leidet eine effiziente Notfallversorgung, und das führt zu<br />

einer Verschlechterung der Qualität und zu einer<br />

Überlastung der Mitarbeiter.<br />

Halten Sie das Fallpauschalen-System für gescheitert?<br />

Das würde ich so nicht verallgemeinern. In Bereichen<br />

außerhalb der Notfallversorgung, etwa Spezialkliniken<br />

für geplante Hüftgelenksoperationen und mit Niedrig-<br />

Risiko-Patienten, wo Eingriffe geplant nach einem<br />

festem Termin vorgenommen<br />

werden können, da könnte man<br />

Fallpauschalen aufrechterhalten,<br />

da sind sie auch angemessen.<br />

Schwierig sind Fallpauschalen<br />

aber, wie gesagt, bei Kliniken mit<br />

hohen Vorhaltekosten. Wir<br />

haben soeben ein Diskussionspapier<br />

für eine Reform der<br />

Krankenhausversorgung vorgelegt.<br />

Darin schlagen wir vor, dass<br />

die Krankenhäuser, die an der<br />

Notfall- und Intensivversorgung teilnehmen, ihre<br />

Vorhaltekosten über ein Budget finanziert bekommen,<br />

das Personal, Infrastruktur und Investitionen abdeckt.<br />

Die Fallpauschalen sollten dann nur die Sachkosten<br />

eines Falls abdecken und nicht die gesamte<br />

Infrastruktur.<br />

Solche Akut- und Allgemeinkrankenhäuser behandeln<br />

mit ihren vielen Fachabteilungen jegliche Art von<br />

Notfällen wie Polytraumata, Reanimationen oder<br />

Multiorganversagen. Sie sind aber auch verantwortlich<br />

für die Versorgung von komplexen Patienten wie etwa<br />

Tumorpatienten, in die eine Reihe von unterschiedlichen<br />

Spezialisten eingebunden ist. Auch hier<br />

sind die Vorhaltekosten höher, weswegen die<br />

Finanzierung ein Stück weit von den Fallpauschalen<br />

entkoppelt werden sollte.<br />

15


Die Bundesregierung sieht Handlungsbedarf und hat ein<br />

Gesetz zur Reform der Notfallversorgung angestoßen,<br />

bei dem auch Vorschläge des DIVI eingeflossen sind. Der<br />

Entwurf sieht drei Maßnahmen vor: ein gemeinsames<br />

Notfallleitsystem (GNL), integrierte Notfallzentren<br />

(INZ) und die Etablierung des Rettungsdienstes als eigenständiger<br />

GKV-Leistungsbereich. Die integrierten<br />

Notfallzentren sollen vorab entscheiden, ob ein Patient<br />

ein Notfall ist und in eine Klinik muss. Für mich klingt<br />

das zunächst nach mehr Bürokratie und zusätzlichen<br />

Kosten …<br />

Mit Blick auf die geplanten Notfallzentren gibt es sehr<br />

gute Ansätze, die sich international etabliert haben. Die<br />

Zentren sollen eine sogenannte Ersteinschätzung oder<br />

Triage vornehmen, bevor ein Patient direkt die Klinik<br />

ansteuert.<br />

Idealerweise verläuft das so: Der Patient hat ein Problem<br />

und kann dann die Nummer 116117 anrufen und sich<br />

dort Rat holen. Dort erfolgt eine telefonische Ersteinschätzung.<br />

Dem Patienten wird eventuell geraten,<br />

das nächste integrierte Notfallzentrum aufzusuchen. So<br />

funktioniert das zum Beispiel in Dänemark. Dann erhält<br />

man eine Nummer, mit der man sich im Notfallzentrum<br />

vorstellen kann und wo man dann bereits erwartet wird.<br />

Vor Ort erfolgt eine zweite Ersteinschätzung, bei der<br />

zum Beispiel Blutdruck, Herzfrequenz und Fieber usw.<br />

gemessen werden. Dann wird der Patient entweder bei<br />

dringlichen Erkrankungen im<br />

Notaufnahmebereich des Krankenhauses<br />

weiterversorgt oder er<br />

wird bei einem weniger<br />

dringlichen Krankheitsbild im<br />

ambulanten Bereich der kassenärztlichen<br />

Vereinigung von<br />

einem Arzt gesehen.<br />

Idealerweise ist solch ein INZ<br />

eine räumliche Einheit, in der<br />

man eng zusammenarbeitet, sich<br />

austauschen kann und auch im ambulanten Bereich die<br />

Ressourcen des Krankenhauses genutzt werden können,<br />

wenn es sinnvoll ist - zum Beispiel Labor, EKG, Röntgen<br />

oder Sonographie.<br />

Insgesamt sollte man in einem INZ auf möglichst<br />

wissenschaftlich fundierte Art rasch eine korrekte<br />

Diagnose stellen, das Risiko des Patienten einschätzen<br />

und auf dieser Basis eine angemessene ambulante oder<br />

stationäre Versorgung einleiten.<br />

16<br />

Grundsätzlich haben<br />

wir einen Mangel<br />

an Intensivpflegekräften.<br />

Prallen hier verschiedene Interessen aufeinander? Zunächst<br />

geht es ja darum, Kosten einzusparen.<br />

Aus Sicht der Krankenhäuser ist das vorrangige Ziel<br />

zunächst einmal, die Patienten zu identifizieren, die<br />

vital bedroht sind oder ernsthaft krank und deshalb<br />

schnell versorgt werden müssen, um einen möglichst<br />

guten Behandlungserfolg zu erzielen. Aus Sicht der<br />

kassenärztlichen Vereinigung ist das Ziel eher, zu<br />

verhindern, dass zu viele Patienten in den aufwändigeren<br />

Versorgungsweg eingeschleust werden und<br />

dass man Patienten mit banalen Erkrankungen<br />

ambulant versorgt. Die Herausforderung wird darin<br />

bestehen, beide Ziele in Einklang zu bringen. Da<br />

wünschen wir uns, dass wir konstruktiv mit der<br />

kassenärztlichen Vereinigung zusammenarbeiten. Das<br />

sollte aber auch, denke ich, bei gegenseitigem guten<br />

Willen möglich sein.<br />

Ein Problem, auf das wir dank einer DIVI-Pressemeldung<br />

gestoßen sind, ist die Notfallversorgung von Kindern.<br />

Dort scheint die Situation dramatisch zu sein - bis<br />

dahin, dass Kliniken eine solche nicht mehr gewährleisten<br />

können.<br />

Die sehr personalintensive Kinder-Intensivmedizin<br />

leidet zum einen unter dem ausgeprägten Mangel an<br />

Intensivpflegekräften in Deutschland. Besonders im<br />

Bereich der Versorgung von Neugeborenen gelten sehr<br />

hohe und auch abrechnungsrelevante<br />

Anforderungen<br />

an den Personalschlüssel der<br />

Pflege, die zum Teil zur<br />

Verlagerung von Pflegepersonal<br />

aus anderen Bereichen der<br />

Kinder- Intensivmedizin auf die<br />

Neugeborenen-Intensivstation<br />

führen.<br />

Insgesamt ist es aber aufwendig,<br />

schwerstkranke Kinder zu<br />

versorgen. Es handelt sich um Kinder mit Leukämien,<br />

mit angeborenen Herzfehlern, mit Stoffwechsel-<br />

Erkrankungen, genetischen Erkrankungen, die intensiv<br />

und lang behandelt werden müssen und bei denen auch<br />

eine Therapiebegrenzung im Vergleich zur<br />

Erwachsenen-Medizin schwer durchzusetzen ist: auch,<br />

weil die Eltern hohe Erwartungen an die Behandlung<br />

haben.


Eine individualisierte Hochleistungsmedizin dieser Art<br />

ist aufwendig und teuer – und ist irgendwann nicht<br />

mehr abbildbar durch die Fallpauschalen, die ja eher an<br />

häufigen Durchschnittsfällen ausgerichtet sind.<br />

Entsprechende Hochkosten- und Ausreißer-Fälle<br />

können eine Klinik finanziell ins Defizit bringen.<br />

Der Mangel an Pflegekräften wird aktuell breit in den<br />

Medien debattiert. Wie ist die Situation bei Ihnen in Tübingen?<br />

Finden Sie ausreichend Pflegepersonal?<br />

In Tübingen haben wir auch Betten sperren müssen, um<br />

das medizinisch notwendige Verhältnis von Pflegekraft<br />

zu Patient, den sog. Pflegeschlüssel, aufrecht zu halten<br />

und so die entsprechende Qualität zu garantieren.<br />

Leider konnte man in unserem Fallpauschalensystem bis<br />

vor Kurzem die medizinisch notwendigen Pflegeschlüssel<br />

ohne Sanktionen unterschreiten. Es ist erst seit<br />

letztem Jahr so, dass hier gesetzliche Vorgaben<br />

eingeführt wurden und Sanktionen drohen. Allerdings<br />

stehen nun nicht mehr genügend Pflegekräfte zur<br />

Verfügung, um die benötigten Stellen zu besetzten. Bei<br />

Personalmangel kann sich auch die arbeitsintensive<br />

Entwöhnung von einer Beatmungsmaschine verzögern<br />

und damit auch das Risiko von Komplikationen<br />

ansteigen. Paradoxerweise führen diese verlängerten<br />

Beatmungszeiten in unserem Abrechnungsystem jedoch<br />

zu einer höheren Vergütung.<br />

Dann haben Sie eine Situation, in der Intensivstationen,<br />

die mit wenig Personaleinsatz schlechte Ergebnisse<br />

liefern und lange Beatmungsdauern aufweisen, finanziell<br />

besser dastehen als Stationen, die mit gutem Personaleinsatz<br />

gute Qualität leisten und Patienten wieder<br />

schnell entwöhnen von der Beatmungsmaschine. Im<br />

schlimmsten Fall landen schlecht versorgte Patienten<br />

dann auch in der Heimbeatmung und binden dort<br />

Pflegekräfte, die eigentlich in den Krankenhäusern<br />

dringend benötigt werden.<br />

Wir haben in unserem Positionspapier als Alternative<br />

ein System vorgestellt, das im Universitätsklinikum


Heidelberg schon seit den neunziger Jahren praktiziert<br />

und fortentwickelt wurde, das „INPULS“-System. Mit<br />

diesem kann man stations- und patientenspezifisch den<br />

intensivmedizinischen Pflegeaufwand sehr gut<br />

dokumentieren – um im Jahresmittel eine für die<br />

Station angemessene Personalbesetzung zu definieren.<br />

Denn im Betreuungsaufwand unterscheiden sich<br />

Intensivstationen doch zum Teil ganz erheblich.<br />

Würde das bedeuten, dass auf der Basis solcher Erfassungsinstrumente<br />

sich für jede Klinik ein Pflegepersonal-Budget<br />

errechnen ließe?<br />

Aktuell haben wir die Situation, dass gerade<br />

Allgemeinkrankenhäuser, die systemrelevant sind, unter<br />

den größten wirtschaftlichen Druck geraten. Oft<br />

profitieren am meisten kleine Krankenhäuser, die<br />

Spezialleistungen anbieten, die in dem Ausmaß<br />

vielleicht gar nicht gebraucht werden. Rein nach<br />

marktwirtschaftlichen Aspekten ist dieses Problem<br />

nicht zu lösen.<br />

Das Gespräch mit Prof. Reimer Riessen<br />

führte Mirko Wenig<br />

Ja, zumindest ließe sich so die Zahl der für eine<br />

qualitativ hochwertige Versorgung notwendigen<br />

Pflegekräfte berechnen. Dies müsste dann ins Verhältnis<br />

gesetzt werden mit der Zahl der tatsächlich<br />

vorhandenen Pflegekräfte, um so eine objektive<br />

Grundlage für ggf. eine Aufstockung des<br />

Pflegepersonals zu bieten. Die Kosten für diese<br />

Pflegekräfte sollen in Zukunft nach einem Beschluss des<br />

Gesetzgebers ja separat von den Fallpauschalen über ein<br />

eigenes Pflegebudget finanziert werden. Wir würden<br />

hier gerne noch einen Schritt weiter gehen und die<br />

Notfall- und Allgemeinkrankenhäuser über ein Budget<br />

finanzieren, das alle Personal-, Infrastruktur- und<br />

Investitionskosten abdeckt. Über DRG-Fallpauschalen<br />

sollten die Sachkosten der Behandlungen abgedeckt<br />

werden.<br />

Grundvoraussetzung dafür wäre eine versorgungsorientierte<br />

Krankenhaus-Strukturplanung auf regionaler<br />

und überregionaler Basis, bei der die Notfall- und<br />

Intensivversorgung und die Versorgung komplexer<br />

Patienten berücksichtigt wird. Auf Basis von<br />

Bevölkerungszahlen und epidemiologischen Zahlen<br />

sollten kompetent zusammengesetzte Gremien durchplanen<br />

und überlegen: Wo brauchen wir überall<br />

Notfallkrankenhäuser? Wie können diese auf den<br />

verschiedenen Versorgungsstufen optimal zusammenarbeiten?<br />

Wie müssen sie ausgestattet sein, damit sie ihre<br />

Rolle gut erfüllen können? Wie viele Intensiv-Betten<br />

brauchen sie? Wie groß muss die Notaufnahme ausgelegt<br />

sein, um die zu erwartende Zahl an Notfallpatienten<br />

auch versorgen zu können – mit kurzen Reaktionszeiten,<br />

also ohne ewig lange Wartezeiten? Und wie muss dieses<br />

Netzwerk praktisch ergänzt werden – zum Beispiel<br />

durch andere Krankenhäuser, die ältere Patienten nach<br />

der Notfallversorgung übernehmen und wieder zur<br />

Genesung bringen?<br />

19


<strong>Versicherungsbote</strong>: Die Zusatzbeiträge der Krankenkassen<br />

könnten in den kommenden Jahren stark steigen,<br />

warnt der GKV-Spitzenverband. Als Ursachen werden<br />

die Alterung der Gesellschaft, medizinischer Fortschritt<br />

und Gesetzesreformen von Jens Spahn genannt, vor allem<br />

zur Stärkung der Pflege. Ihre Prognose – wird es für die<br />

gesetzlich Versicherten teurer? Und wenn ja, um wie viel?<br />

Björn Hansen<br />

Vorstand der BKK WIRTSCHAFT & FINANZEN<br />

Krankenkasse:<br />

„Die hohen Überschüsse<br />

führten zu<br />

Begehrlichkeiten“<br />

Werden sich gesetzlich Versicherte auf steigende<br />

Zusatzbeiträge einstellen müssen?<br />

Welche Fehlanreize für Manipulationen<br />

und Kosten gibt es im System der gesetzlichen<br />

Krankenkassen - und können diese<br />

durch geplante Reformen des Bundesgesundheitsministeriums<br />

beseitigt werden?<br />

Über diese Fragen sprach der <strong>Versicherungsbote</strong><br />

mit Björn Hansen, Vorstandschef<br />

der BKK WIRTSCHAFT & FINANZEN.<br />

Björn Hansen: Ich teile die Prognose des<br />

GKV-Spitzenverbands zu steigenden Zusatzbeiträgen<br />

und auch die genannten Gründe. Allerdings wird sich<br />

diese Dynamik unterschiedlich auf die einzelnen<br />

Krankenkassen auswirken. An den Auswirkungen ändern<br />

auch die deutlichen Überschüsse der letzten Jahre über<br />

die gesamte gesetzliche Krankenversicherung nichts.<br />

Denn bei politischen Entscheidungen – nicht nur von<br />

Jens Spahn – führt ein solch gefüllter Topf leider zu<br />

Begehrlichkeiten. Diese haben dazu geführt , dass<br />

Leistungen zwar verbessert wurden, die Kosten aber in<br />

der Zukunft sehr hoch sein werden. Über eine<br />

nachhaltige Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung<br />

wurde leider bisher noch nicht<br />

nachgedacht.<br />

Nun gibt es Fehlanreize im Gesundheitssystem, die hohe<br />

Ausgaben der Krankenkassen begünstigen. Ein oft gehörter<br />

Kritikpunkt: In kaum einem anderen<br />

vergleichbaren OECD-Land wird so oft an Knien, Wirbelsäule<br />

und Hüfte operiert, anstatt auf ambulante<br />

Therapien zurückzugreifen – auch, weil es sich für Ärzte<br />

und Kliniken lohne. Berechtigte Kritik? Muss vielleicht<br />

die Finanzierung derartiger OPs auf den Prüfstand?<br />

Die Kritik ist durchaus berechtigt. Das Thema wird auch<br />

immer wieder angesprochen, dann aber wieder tabuisiert.<br />

In der Tat stellt sich die Frage, warum die in Deutschland<br />

lebenden Krankenversicherten deutlich häufiger zum<br />

Arzt gehen und warum die von Ihnen genannten<br />

Operationen wesentlich häufiger durchgeführt werden.<br />

Ein Thema von vielen ist dabei sicher auch die Vergütung<br />

von Ärzten und Krankenhäusern. Die gegenwärtige<br />

Finanzierung der Ärzte über Budgets wurde in den<br />

1990er Jahren vom damaligen Gesundheitsminister<br />

Horst Seehofer eingeführt. Seinerzeit war das auch<br />

richtig so. Inzwischen haben sich aber viele<br />

Voraussetzungen teilweise drastisch geändert. Ob das<br />

System noch zeitgemäß ist, ist wohl eher zu bezweifeln.<br />

Das Gleiche gilt für die Krankenhäuser. Der<br />

Krankenhausbetrieb muss sich heutzutage ökonomisch


echnen, dazu müssen Einnahmen generiert werden.<br />

Diese erzielt man nur mit einer möglichst großen<br />

Auslastung. Die derzeitige Vergütungsstruktur nach<br />

Fällen unterstützt aber eine Kostenspirale. Neben der<br />

Vergütungsstruktur muss auch die Krankenhausbedarfsplanung<br />

auf den Prüfstand.<br />

Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung<br />

(KBV), Andreas Gassen, hat vor wenigen Monaten den<br />

gesetzlich Versicherten eine "irrsinnige Anspruchshaltung“<br />

vorgeworfen, weil sie Facharzt-Hopping betreiben<br />

würden. Mit Verlaub: Mein 87jähriger Großvater aus einer<br />

Ostthüringer Kleinstadt muss mehr als 30 Kilometer<br />

fahren, auf eigene Rechnung, um überhaupt einen dringend<br />

benötigten Augenarzt oder einen Urologen<br />

aufsuchen zu können. Wie passt das zusammen? Bzw. wie<br />

berechtigt ist es, bei mangelnden Arztterminen auf die<br />

GKV-Versicherten zu zeigen?<br />

Die beiden Standpunkte passen schon zusammen, wobei<br />

ich die Äußerung von Andreas Gassen scharf kritisiere.<br />

Denn die Anspruchshaltung von Patienten resultiert<br />

insgesamt aus Bedürfnissen, die subjektiv nicht erfüllt<br />

werden. Aber diese Situation ist eine von den<br />

Kassenärztlichen Vereinigungen<br />

in Kauf genommene, denn sie hat<br />

seit vielen Jahren einen<br />

gesetzlichen Sicherstellungsauftrag.<br />

Wenn im Ergebnis aber<br />

in Ballungsgebieten ein Überangebot<br />

von Ärzten entsteht,<br />

während auf dem Land<br />

Ärztemangel herrscht – und<br />

diese Entwicklung seit Jahren<br />

bekannt ist ohne gegenzusteuern<br />

– wurde etwas falsch gemacht.<br />

Auch hier muss man zudem die<br />

Vergütungsstrukturen für Ärzte hinterfragen.<br />

Ein weiterer Fehlanreiz: Kassen erhalten mehr Geld aus<br />

dem Gesundheitsfonds, wenn sie den Patienten kränker<br />

machen. Ihr Kollege Jens Baas ist 2016 mit einem mutigen<br />

FAZ-Interview an die Öffentlichkeit gegangen, in<br />

dem er auf das Problem von Manipulationen in der Patientenakte<br />

aufmerksam machte: zum Beispiel, dass aus<br />

einer depressiven Stimmung eine echte Depression werden<br />

kann. Hat sich die Situation verbessert? Wie ist Ihre<br />

aktuelle Einschätzung?<br />

Möglichkeiten zur Beeinflussung der Kodierung von<br />

Über eine nachhaltige<br />

Finanzierung<br />

der gesetzlichen<br />

Krankenversicherung<br />

wurde leider<br />

bisher noch nicht<br />

nachgedacht.<br />

Krankheiten bestehen noch immer. Nicht zuletzt durch<br />

Verträge, die eine besondere Vergütung der Ärzte für<br />

eine zielgenaue Kodierung vorsehen. Interessant ist, dass<br />

diese Verträge ausschließlich Morbi-RSA-relevante<br />

Krankheiten erfassen und nach Abschluss dieser<br />

Verträge die betroffenen Krankheiten sprunghaft<br />

zugenommen haben. Die Vergütungsanreize, wie derzeit<br />

geplant, dennoch nicht zu verbieten, halte ich für einen<br />

Fehler.<br />

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will mit<br />

dem Faire-Kassenwettbewerb-Gesetz weitere Manipulationen<br />

erschweren: zum Beispiel dadurch, dass die viel<br />

diskutierte Risikostrukturausgleich Morbi-RSA auf alle<br />

Krankheiten ausgeweitet wird und nicht, wie bisher,<br />

schwerpunktmäßig 80 Krankheiten mit finanziellen<br />

Anreizen „belohnt“. Eine Manipulationsgrenze könnte<br />

darüber hinaus dafür sorgen, dass bei auffälligen Diagnosen,<br />

etwa einer auffälligen Häufung, gar kein Geld<br />

mehr fließt. Aus Ihrer Sicht ein gangbarer Weg, um<br />

Fehlanreize abzubauen? Oder werden neue geschaffen?<br />

Aus meiner Sicht sind sämtliche Maßnahmen, die auf<br />

die Beendigung der Manipulationen abzielen, richtig.<br />

Hoffentlich werden sie dann<br />

auch zeitnah umgesetzt. Einzig<br />

die darüber hinaus gehende<br />

Ausweitung des Morbi-RSA auf<br />

alle Krankheiten halte ich für den<br />

falschen Weg. Diese Maßnahme<br />

erzeugt noch mehr Bürokratie<br />

und Aufwand. Und ich kann mir<br />

nicht vorstellen, wie dann<br />

Manipulationen in der Breite<br />

aufgedeckt und geahndet werden<br />

sollen. Ein konsequentes Verbot<br />

bestimmter Verträge sowie klar<br />

definierte Kodier-Richtlinien zusammen mit einer<br />

strukturierten Dokumentationspflicht der Ärzte wären<br />

hier aus meiner Sicht der bessere Weg gewesen.<br />

Daran anknüpfend: Im PKV-System erhalten die Patient*innen<br />

eine Rechnung vom Arzt mit den Kosten<br />

und der Diagnose. Warum nicht bei den Krankenkassen?<br />

Würde das die Transparenz aus Ihrer Sicht<br />

erhöhen?<br />

In der GKV gilt das Sachleistungsprinzip. Von daher<br />

lässt sich dies bei den Krankenkassen nicht umsetzen.<br />

Bereits heute können gesetzlich Versicherte aber bei<br />

21


einigen Krankenkassen eine elektronische<br />

Patientenquittung abrufen, auch bei unserer<br />

BKK WIRTSCHAFT & FINANZEN. Künftig wird diese<br />

als Teil der elektronischen Patientenakte sogar<br />

einheitlich verpflichtend allen gesetzlich Versicherten<br />

zur Verfügung stehen. Die Frage aber ist, ob die<br />

Versicherten dies überhaupt in Anspruch nehmen<br />

wollen. Sicher gibt es auch andere Wege, die Transparenz<br />

für Versicherte zu erhöhen, beispielsweise über<br />

Eigenanteile. Das wäre aber ein sehr komplexes Thema,<br />

das eingehend diskutiert werden müsste.<br />

Aktuell gibt es 105 verschiedene Krankenkassen in<br />

Deutschland. Helfen könnte bei einer Kostensenkung,<br />

wenn deutlich mehr Kassen fusionieren und wenn die<br />

Zahl der Anbieter eingeschrumpft wird. Aus Ihrer<br />

Sicht ein gangbarer Weg? Gibt es hier Widerstände?<br />

Obwohl für alle Krankenkassen die gleichen gesetzlichen<br />

Regelungen bestehen, hat die Kassenvielfalt mit dem<br />

damit verbundenen Wettbewerb in der Vergangenheit<br />

dafür gesorgt, dass unterschiedliche Versorgungsformen<br />

und medizinischer Fortschritt entstanden sind. Zudem<br />

gehören die meisten großen Krankenkassen im Hinblick<br />

auf Verwaltungskosten zu den eher teuren Krankenkassen.<br />

Selbst, wenn von heute auf morgen nur wenige<br />

Krankenkassen bestehen würden, wäre das Einsparpotential<br />

in Form von Beitragssatzpunkten kaum<br />

messbar.<br />

Das Interview mit Björn Hansen<br />

führte Sven Wenig<br />

Diese Ansicht teile ich gar nicht. Der Gesetzgeber hat<br />

sich wiederholt für das gegliederte Krankenkassensystem<br />

und damit für Kassenvielfalt entschieden.


Advertorial<br />

Allianz erweitert BU-Portfolio: Die BU für<br />

Schüler mit neuer Beitragsüberprüfungsoption<br />

Die Allianz Lebensversicherungs-AG hat ihr Produkt-Portfolio um eine Berufsunfähigkeitsversicherung<br />

(BU) für Schüler erweitert. Vermittler können ab sofort eine neue Zielgruppe<br />

über das BU-Risiko mit einer passenden und lückenlosen BU-Lösung der Allianz beraten.<br />

Schüler haben noch keinen Beruf - dennoch können ihre<br />

Eltern sie schon gegen das Risiko der Berufsunfähigkeit<br />

versichern. Die Vorteile liegen auf der Hand: In jungen<br />

Jahren sind die meisten noch bei guter Gesundheit und<br />

profitieren von niedrigen Prämien. Erst mit<br />

zunehmendem Alter häufen sich die Erkrankungen, was<br />

die Risikoprüfung und den BU-Abschluss erschweren<br />

oder sogar unmöglich machen kann. Früh einsteigen<br />

zahlt sich daher aus.<br />

Früh starten, lohnt sich<br />

Von den gesetzlichen Sozialversicherungen ist nicht viel<br />

zu erwarten. Lediglich bei Unfällen im schulischen<br />

Umfeld greift der gesetzliche Schutz. Doch wer springt<br />

ein, wenn ein Schulkind dauerhaft erkrankt, etwa an<br />

einer psychischen Belastung? Die Allianz hat zum<br />

Jahresbeginn <strong>2020</strong> die Tätigkeit „Schüler“ als Beruf in ihre<br />

BU-Bedingungen aufgenommen. Eltern können für ihre<br />

Kinder bereits ab dem 10. Lebensjahr einen hochwertigen<br />

BU-Schutz mit einer attraktiven Absicherungshöhe von<br />

bis zu 1.500 Euro monatlich erwerben. Die Beitragshöhe<br />

richtet sich nach der Schulform und der Klassenstufe.<br />

Der Beitrag kann sinken, nie steigen<br />

Bei bestimmten Anlässen, beispielsweise einem<br />

Schulformwechsel, Ausbildungsstart oder Berufswechsel,<br />

besteht ein Anspruch auf Überprüfung der Berufsgruppe<br />

und damit auch des Beitrags. Mit dieser<br />

Beitragsüberprüfungsoption kann der Beitrag sinken<br />

oder konstant bleiben, aber nie steigen. Reduziert sich<br />

zum Beispiel der Beitrag durch den Wechsel in die<br />

gymnasiale Oberstufe, zahlt dieser Schüler für die<br />

restliche Vertragsdauer höchstens den Beitrag, welchen<br />

er von Vertragsbeginn an in der gymnasialen Oberstufe<br />

gezahlt hätte. Wenn er später einen Beruf mit einem<br />

höheren oder unveränderten BU-Risiko ergreift, bleibt<br />

der Beitrag gleich.<br />

Eine BU, die mitwächst<br />

Die BU für Schüler der Allianz kann flexibel und exakt<br />

an die Ausbildungs- und Berufssituation angepasst<br />

werden – ohne erneute Gesundheitsprüfung. Eine<br />

BU-Rente von beispielsweise 1.000 Euro kann nach der<br />

Schulzeit auf bis zu 1.500 Euro erhöht werden.<br />

Voraussetzung ist, dass die versicherte Person nicht älter<br />

als 20 Jahre alt ist und bei Vertragsabschluss das<br />

15. Lebensjahr nicht überschritten hat. Bei Heirat und<br />

Familiengründung kann die BU-Rente auf bis zu<br />

2.500 Euro im Monat erhöht werden. Die Schüler-BU der<br />

Allianz sieht auch eine Stundungsoption bei vollem<br />

BU-Schutz vor.<br />

Mehr Infos erhalten Sie unter:<br />

Allianz-fuer-makler.de/schueler-bu<br />

23


Berufsunfähigkeitsversicherung: Den<br />

Kunden versichern, bevor er krank wird<br />

Philip Wenzel<br />

Versicherungsmakler<br />

BSC – die Finanzberater<br />

Es kann schon sinnvoll sein, Schüler und Studenten gegen Berufsunfähigkeit zu versichern,<br />

schreibt Versicherungsmakler Philip Wenzel in seinem Kommentar. Dabei gilt es jedoch, einige<br />

Hürden zu überwinden – zumal sich zunächst die Frage stellt, weshalb man sich gegen den<br />

Verlust eines Berufs versichern soll, bevor man diesen überhaupt ausübt.<br />

Der Markt ist hart umkämpft in der Berufsunfähigkeits-<br />

Versicherung (BUV). Ein Drittel der möglichen Kunden<br />

kann sich die BUV nicht leisten, ein Drittel ist zu krank<br />

und ein Drittel hat schon eine Versicherung. Das sind<br />

zwar nur gefühlte Werte! Aber trotzdem: So ungefähr<br />

sieht es aktuell leider aus.<br />

Problematisch, aber sinnvoll: Schon Schüler<br />

und Studenten gegen Berufsunfähigkeit<br />

versichern<br />

Die Lösung ist für alle drei Probleme die gleiche. Ich muss<br />

meine Kunden versichern, bevor sie krank werden oder<br />

sie einen Beruf haben, der unbezahlbar ist. Ich muss also<br />

schon Schüler und Studenten gegen ein Risiko<br />

versichern, das sie zunächst mal nicht direkt betrifft.<br />

Denn Schüler und Studenten verdienen in der Regel kein<br />

Geld mit ihrer Hauptbeschäftigung, aber die<br />

Berufsunfähigkeits-Versicherung sichert nun mal mein<br />

Einkommen ab. Da ein Schüler oder Student nichts<br />

verdient, muss er eigentlich auch nichts absichern.<br />

Auch wenn ich mich von der Ausgaben-Seite nähere,<br />

wird da kein Schuh draus. Denn Schüler leben noch bei<br />

Ihren Eltern. Der Student hingegen kann zumindest<br />

erkennen, was er so im Monat braucht und was er<br />

absichern müsste. Der Lebensstandard eines Studenten<br />

ist zwar nicht auf einen Dauerzustand angelegt, weshalb<br />

wir davon ausgehen müssen, dass der Bedarf stark steigen<br />

dürfte. Aber immerhin weiß der Student, was er im<br />

Monat für Miete und Essen ausgibt.<br />

Aber obwohl sich hier kein Bedarf ermitteln lässt, ist es<br />

aus zwei Gründen doch sinnvoll, schon als Schüler oder<br />

spätestens als Student eine Berufsunfähigkeits-<br />

Versicherung abzuschließen.<br />

Wir haben die Gründe sogar schon genannt. Junge<br />

Menschen sind meist noch gesünder als Menschen mit<br />

zunehmendem Alter. Und die Schule oder auch das<br />

Studium kann eine psychische Belastung darstellen.<br />

Wenn die Persönlichkeit noch nicht ausgereift ist und ich<br />

jeden Tag hauptsächlich mit Menschen zu tun habe,<br />

deren Persönlichkeit ebenfalls nicht ausgereift ist, muss<br />

ich nicht Einstein sein, um zu sehen, dass das zu<br />

Problemen führen kann.<br />

Vorerkrankungen: auch bei Schülern und<br />

Studenten ein Thema<br />

Oft ist es auch so, dass nicht die Konsequenzen bedacht<br />

24


werden, wenn jemand einen kurzfristigen Vorteil<br />

erreichen will. Ich war ja selbst Deutschlehrer. Und es gab<br />

gefühlt in jeder zweiten Klasse einen Schüler mit<br />

Lese-Rechtschreib-Schwäche. Dieser Schüler hat dann<br />

mehr Zeit in den Proben und Klassenarbeiten. Und die<br />

Rechtschreibung darf nicht bewertet werden. Im Abitur<br />

darf er einen Laptop und einen Duden benutzen. Ich will<br />

da nicht urteilen – aber ein Schüler hat offen zugegeben,<br />

dass er sich nur deshalb die Diagnose hat stellen lassen.<br />

Ähnlich ist es im Studium, wenn sich Studenten Ritalin<br />

verschreiben lassen, um sich beim Lernen besser<br />

konzentrieren zu können. Auch hier muss der Arzt eine<br />

psychische Erkrankung diagnostizieren.<br />

Und wenn mal für eine Prüfung nicht gelernt wurde, hilft<br />

auch oft ein Erschöpfungssyndrom, um sich zu<br />

entschuldigen. Mal ganz zu schweigen von den<br />

Rückenproblemen, die jeder Erstsemester nach dem<br />

Umzug hat.<br />

Solche Fälle können den Abschluss einer BU-Police<br />

erheblich erschweren. Aber<br />

unabhängig davon ist es nur<br />

logisch, dass mit dem Alter die<br />

Wahrscheinlichkeit von<br />

Vorerkrankungen steigt. Das lässt<br />

sich auch empirisch durchaus<br />

belegen.<br />

Und je jünger ich bin, desto<br />

geringer ist die monatliche<br />

Belastung. Denn der Versicherer<br />

berechnet mein Risiko und teilt<br />

das dann, vereinfacht gesprochen,<br />

durch die Monate der Laufzeit.<br />

Deswegen kostet der Versicherungsschutz<br />

über die gesamte Laufzeit immer in<br />

etwa das gleiche. Je länger ich in jungen Jahren<br />

einbezahle, desto länger kann der Versicherer mit dem<br />

Geld arbeiten. Deshalb spare ich sogar insgesamt ein paar<br />

hundert oder gar tausend Euro.<br />

Viel mehr merke ich aber, dass ich eben monatlich eine<br />

deutlich geringere Belastung habe.<br />

Was es mit Blick auf Berufsgruppen zu<br />

beachten gilt<br />

Hinzu kommt vor allem bei Schülern, dass ich von der<br />

günstigeren Berufsgruppe profitieren kann. Denn<br />

Schüler sind günstiger zu versichern als handwerkliche<br />

Berufe. Aber eben teurer als akademische Berufe.<br />

Wenn ich nun mit großer Wahrscheinlichkeit sagen<br />

kann, dass der Junge mal die Schreinerei übernehmen<br />

Je länger ich in<br />

jungen Jahren<br />

einbezahle, desto<br />

länger kann der<br />

Versicherer mit<br />

dem Geld arbeiten.<br />

wird, ist es sinnvoll, schon als Schüler die<br />

BU-Versicherung abzuschließen. Die Ersparnis kann über<br />

die Laufzeit im 5-stelligen Bereich liegen.<br />

Sind die Eltern Akademiker, ist es eher wichtig, dass der<br />

Vertrag eine Klausel enthält, die es mir erlaubt, bei<br />

Berufseintritt prüfen zu lassen, ob ich nicht im neuen<br />

Beruf günstiger zu versichern bin. Kleiner Tipp für die<br />

Verkaufsprofis: Ich sollte dem Kunden an dieser Stelle<br />

immer die höhere Absicherung empfehlen und nicht die<br />

Beitragsersparnis. Denn tatsächlich wird mein Kunde ja<br />

auch mit Berufseintritt einen höheren Bedarf denn als<br />

Schüler haben.<br />

Die beste Versicherung – nicht so wichtig?<br />

Es gibt also für Kunden und Vermittler einige gute<br />

Gründe, um frühzeitig eine Berufsunfähigkeits-<br />

Versicherung abzuschließen. Die Frage lautet nun,<br />

welches die beste Versicherung für Schüler oder<br />

Studenten ist. Meine Antwort,<br />

und jeder ist herzlich eingeladen,<br />

eine andere Meinung zu haben,<br />

lautet: Es ist aus einigen Gründen<br />

nicht so wichtig. Vielleicht ist es<br />

sogar egal. Aber da hab ich noch<br />

nicht bis zum Ende gedacht.<br />

Der erste Grund, warum eine<br />

spezielle Klausel für Schüler und<br />

Studenten nicht so wichtig ist,<br />

lässt sich quantitativ begründen.<br />

Schließt der Schüler mit 15 oder<br />

der Student mit 20 eine BUV ab,<br />

so ist er noch zwischen drei bis<br />

zehn Jahre Schüler oder Student. Die restlichen<br />

42-49 Jahre ist er in irgendeinem Beruf. Da fühlt es sich<br />

nicht richtig an, eine Empfehlung für diese oder jene<br />

Klausel auszusprechen, die nur einen so kurzen Zeitraum<br />

betrifft. Vor allem nicht, wenn eine andere Klausel für die<br />

gesamte Laufzeit wichtiger wäre.<br />

Qualitativ unterscheidet sich der „Beruf“ des Schülers<br />

und des Studenten von allen anderen nur in einer Sache:<br />

Du verdienst damit kein Geld. Du deckst also keinen<br />

tatsächlichen Bedarf. Du bräuchtest also nur eine Art<br />

Anwartschaft, die aber schon leistet, falls du komplett<br />

und für immer aus dem Arbeitsmarkt raus bist.<br />

Alles darüber hinaus ist uninteressant. Ein Schüler muss<br />

keine 1.000 Euro oder 1.500 Euro versichert haben. Er<br />

braucht die Option, seinen Gesundheitszustand zu<br />

sichern und mit Berufseintritt eine BU-Versicherung in<br />

angemessener Höhe abschließen zu können.<br />

25


Aber bitte nicht als Option in einer Rentenversicherung.<br />

Hier sind die Kosten meist hoch und gut versteckt. Und<br />

zumindest Produkte aus der Vergangenheit haben es<br />

selbst nach zehn Jahren nicht geschafft, die eingezahlten<br />

Beiträge zu erwirtschaften. Ausnahmen gibt es auch hier,<br />

aber dennoch ist hier Vorsicht geboten.<br />

Bei den Studenten ist es einigermaßen sinnvoll, die<br />

konkrete Verweisung genauer zu regeln. Denn da der<br />

Versicherte als Student kein Einkommen erzielt hat,<br />

kann er in der konkreten Verweisung auch nicht<br />

argumentieren, dass er erst verwiesen werden könne,<br />

wenn er mehr als 80 Prozent des letzten Einkommens<br />

verdiene.<br />

Es ist aber durchaus gerecht, so zu argumentieren. Denn<br />

während des Studiums nimmt der Student die<br />

Entbehrungen auf sich: in der Hoffnung, später als<br />

Akademiker gut zu verdienen.<br />

In der Praxis kann das so aussehen, dass ein Student aus<br />

gesundheitlichen Gründen seine Praktika nicht ablegen<br />

kann. In einem anderen Studiengang wäre das möglich.<br />

Nun ist aber seine Lebensplanung so weit vorangeschritten,<br />

dass er sein Gehalt in einem Jahr fest<br />

eingeplant hat. Vielleicht ist er schon verheiratet oder hat<br />

ein Kind.<br />

Da wäre es nur fair, wenn er während einer Umschulung<br />

von der Versicherung unterstützt würde und die Leistung<br />

erst dann eingestellt wird, wenn er 80 Prozent des<br />

Gehalts, das in der Regel mit dem Abschluss seines<br />

letzten Studiengangs erreicht wird, in seinem neuen Job<br />

verdient.<br />

zuschickt. Aber ich will es kurz machen. Die allermeisten<br />

Diskussionen über die Schüler- oder Studenten-Klauseln<br />

sind rein wissenschaftlich. In der Praxis muss ich darauf<br />

achten, dass es sich von Beginn an um eine echte<br />

Berufsunfähigkeits-Versicherung handelt und der Schutz<br />

sich nicht verschlechtern kann, falls ich den Eintritt ins<br />

Berufsleben nicht melde.<br />

Für werdende Schreiner wäre wichtig, dass selbst bei<br />

Nachversicherungen der bei Abschluss bestehende Beruf<br />

als Rechnungsgrundlage benutzt wird.<br />

Und bei Studenten ist es gut, wenn ab der zweiten Hälfte<br />

des Studiums in der konkreten Verweisung die<br />

Lebensstellung des regelmäßig erreichten Berufsbildes<br />

herangezogen würde.<br />

Der Rest kann nicht so wichtig sein – zumindest nicht so<br />

wichtig wie alle anderen Klauseln, die für das gesamte<br />

zukünftige Leben des Kunden wichtig sind.<br />

Ein Gastkommentar von Philip Wenzel<br />

Jede Konkretisierung schränkt Schutz ein<br />

Außer dieser Besonderheit muss weder der Student noch<br />

der Schüler irgendwie besonders geregelt werden. Denn<br />

jede Konkretisierung schränkt den Schutz der BUV ein.<br />

Sie ist ja gerade deswegen so mächtig, weil meine<br />

tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten im beruflichen Alltag<br />

versichert sind.<br />

Wenn ich zum Beispiel von einem „regulärem Unterricht“<br />

lese, ist das sicherlich für den Schüler konkreter. Der<br />

reguläre Unterricht kann aber weit von dem abweichen,<br />

was der Schüler zuletzt in gesunden Tagen getan hat.<br />

Denn regulär ist ein Unterricht auch dann, wenn ich zu<br />

Hause von einer ausgebildeten Lehrkraft unterrichtet<br />

werde oder der Lehrer dir wegen einer landesweit<br />

verordneten Schulschließung nur Arbeitsaufträge<br />

26


Berufsunfähigkeitsversicherer kann<br />

BU-Rente ohne wirksame Änderungsmitteilung<br />

nicht einfach streichen<br />

Mirko Wenig<br />

Autor des <strong>Versicherungsbote</strong>n<br />

Selbst, wenn ein Berufsunfähigkeits-Versicherer seine Leistungspflicht nicht anerkennt und<br />

gegen einen Kunden klagt, kann er einen späteren Wegfall einer Berufsunfähigkeit nur durch<br />

eine wirksame Änderungsmitteilung mit Nachprüfverfahren geltend machen. Versäumt der<br />

Versicherer dieses Verfahren, besteht die Leistungspflicht weiterhin. Das hat der Bundesgerichtshof<br />

mit einem Urteil vom 18. Dezember 2019 bestätigt (Az. IV ZR 65/19).<br />

Ein BU-Versicherer muss selbst dann einen späteren<br />

Wegfall der BU-Versicherung mit einer wirksamen<br />

Änderungsmitteilung nachweisen, wenn er die<br />

Leistungspflicht zunächst abstreitet. Sonst besteht die<br />

Pflicht zur Zahlung einer BU-Rente weiter – sogar, wenn<br />

der Betroffene später in seinen Beruf zurückkehren<br />

konnte. Auf das Urteil macht der Rechtsanwalt Christian<br />

Luber von der Fachkanzlei L & P Luber Pratsch<br />

Rechtsanwälte auf der Webseite anwalt.de aufmerksam.<br />

Versicherer klagt gegen Geschäftsführer mit<br />

depressiver Episode<br />

Im verhandelten Rechtsstreit hatte der Geschäftsführer<br />

einer GmbH drei kapitalbildende Lebensversicherungen<br />

abgeschlossen, die einen BU-Zusatzbaustein<br />

beinhalteten. Während er die ersten beiden Policen<br />

bereits seit 1995 bzw. 1996 hielt, schloss er den letzten<br />

Vertrag im Februar 2009 ab. Alle Verträge erlaubten eine<br />

Nachprüfung unter verschiedenen Voraussetzungen.<br />

Am 4. Mai 2010 beendete der Versicherungsnehmer seine<br />

Tätigkeit als Geschäftsführer und stellte Mitte August<br />

beim Versicherer einen Antrag auf Berufsunfähigkeits-<br />

Rente. Ursache war eine depressive Episode, die länger<br />

als sechs Monate angedauert habe: damit wurde aus<br />

seiner Sicht die Bedingung für eine Berufsunfähigkeits-<br />

Rente erfüllt.<br />

Der Versicherer reagierte anders als erwartet. Er lehnte<br />

mit einem Schreiben vom 14. Juni 2011 die Einstandspflicht<br />

ab, kündigte die Berufsunfähigkeits-<br />

Zusatzversicherungen außerordentlich und fristlos – und<br />

stellte gar Strafanzeige wegen Betrugs gegen den Mann.<br />

Eine Erstprüfung zur Feststellung der Berufsunfähigkeit<br />

führte der Versicherer erst gar nicht durch. Grund dafür<br />

war u.a., dass der Antragsteller schriftlich angegeben<br />

hatte, er gehe keiner beruflichen Tätigkeit nach – obwohl<br />

er zu dem Zeitpunkt geringfügig beschäftigt war. Dies<br />

allerdings teilte der Erkrankte dem Versicherer noch vor<br />

Abschluss der Leistungsprüfung selbst mit.<br />

Vor Gericht wurde der ausgeschiedene Geschäftsführer<br />

schließlich vom Vorwurf des versuchten Betruges<br />

rechtskräftig freigesprochen – und klagte gegen die<br />

Gesellschaft auf Zahlung rückständiger Renten sei Juni<br />

2010 sowie Zahlungen weiterer Renten bis Vertragsende.<br />

Auch die vorgerichtlichen Anwaltskosten wollte der<br />

27


Mann erstattet haben. Der Rechtsstreit ging durch alle<br />

Instanzen und nahm mehr als sieben Jahre in Anspruch.<br />

Versicherer muss zahlen – bis zum Zeitpunkt<br />

der wirksamen Änderungsmitteilung<br />

Das Landgericht Potsdam hatte die Klage des<br />

Versicherungsnehmers zunächst zurückgewiesen und gab<br />

beiden Parteien teilweise Recht. Nicht so die Anschlussrevision:<br />

Sie schloss sich der Argumentation des früheren<br />

Geschäftsführers weitestgehend an und sah den<br />

Versicherer in der Pflicht. Demnach stünden dem Kläger<br />

insgesamt knapp 225.370 Euro an Berufsunfähigkeitsrente<br />

für den Zeitraum Juni 2010 bis einschließlich April 2018<br />

zu: nebst gestaffelter Zinsen und Rechtsanwaltskosten.<br />

Der Versicherte wollte auch zukünftige Renten einklagen<br />

- und zog schließlich vor den Bundesgerichtshof (BGH).<br />

Dabei ging es auch um die Frage, ob der Versicherer ab<br />

Oktober 2012 seine Renten habe kürzen dürfen: Zu<br />

diesem Zeitpunkt galt der Kläger wieder als berufsfähig.<br />

Zweifelsfrei im Sinne des Versicherten wurde festgestellt,<br />

dass tatsächlich der Betroffene ab Juni 2010 eine<br />

BU-Rente erhalten müsse, weil eine Berufsunfähigkeit<br />

laut Vertragsbedingungen vorgelegen hat.<br />

Eine solche Mitteilung sei auch dann erforderlich, „wenn<br />

die zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen ein<br />

befristetes Anerkenntnis erlauben“ – wie hier in den<br />

AVB aller Verträge geregelt.<br />

Dies gelte auch dann, wenn dem Berufsunfähigen bereits<br />

zu Beginn seiner Erkrankung eine zeitlich bestimmte<br />

Genesungsprognose hätte gestellt werden können,<br />

führten die Richter weiter aus. Mache der Versicherer<br />

von der Möglichkeit eines befristeten Anerkenntnisses<br />

keinen Gebrauch – zum Beispiel, weil er das Vorliegen<br />

einer Berufsunfähigkeit von vorn herein bestreitet –,<br />

„kann er nicht im Nachhinein so gestellt werden, als hätte<br />

er eine tatsächlich nicht erfolgte Befristung<br />

vorgenommen“. Urteilsgründe bezogen sich zusätzlich<br />

darauf, wann das zugesendete Anerkenntnis wirksam<br />

wurde und zum Einstellen der Rente berechtigte. So war<br />

in dem 2009 abgeschlossenen Vertrag u.a. eine<br />

Dreimonatsfrist vorgeschrieben, was die Vorinstanz<br />

nicht würdigte. Die künftigen Renten aber bekam der<br />

Kläger nicht bewilligt – da die rechtmäßige<br />

Änderungsmitteilung wirksam wurde.<br />

Ein Kommentar von Mirko Wenig<br />

Der BGH bestätigte weitestgehend das Urteil der<br />

Vorinstanz. So durfte der Versicherer die<br />

Berufsunfähigkeitsrente auch nach 2012 nicht einfach<br />

einstellen, obwohl der Kläger zu diesem Zeitpunkt<br />

wieder in seinem Beruf arbeiten könnte. Der Grund: Die<br />

Gesellschaft hatte es versäumt, den Leistungsberechtigten<br />

ordnungsgemäß eine Änderungsmitteilung<br />

zukommen zu lassen und das hierfür notwendige<br />

Prüfverfahren zu veranlassen.<br />

Änderungsmitteilung auch notwendig, wenn<br />

Versicherer Berufsunfähigkeit zunächst nicht<br />

anerkennt<br />

Zutreffend sei das Berufungsgericht davon ausgegangen,<br />

„dass die Leistungspflicht der Beklagten erst mit dem<br />

Wirksamwerden ihrer Änderungsmitteilung geendet hat.<br />

In der Senatsrechtsprechung ist geklärt, dass ein<br />

Versicherer auch dann, wenn er kein Anerkenntnis seiner<br />

Leistungspflicht abgegeben hat, den späteren Wegfall<br />

einer zunächst bestehenden Berufsunfähigkeit nur durch<br />

eine den inhaltlichen Anforderungen des Nachprüfungsverfahrens<br />

genügende Änderungsmitteilung<br />

geltend machen kann“, heißt es im Urteilstext des BGH.<br />

28


„Weil meine Mitarbeiter es mir wert sind.“<br />

Advertorial<br />

Mit der kollektiven Berufsunfähigkeitsabsicherung „Swiss Life BU Pro“ sichern Arbeitgeber<br />

ihre Mitarbeiter gegen das Risiko einer Berufsunfähigkeit finanziell ab und positionieren sich<br />

als attraktives Unternehmen.<br />

Arbeitgeber stehen in der heutigen Zeit vor vielen neuen<br />

Herausforderungen. Da ist zum einen der demografisch<br />

bedingte Fachkräftemangel, welcher in den nächsten Jahren<br />

noch zunehmen wird. Zum anderen wählen gerade<br />

jüngere Menschen heute ihren Arbeitgeber nach anderen<br />

Kriterien aus als noch vor einigen Jahren. Für die Arbeitgeber<br />

gilt es somit, ihre Attraktivität gegenüber Bewerbern<br />

im Wettbewerb um Talente auszubauen. Dazu benötigen<br />

sie entsprechende Alleinstellungsmerkmale, um sich von<br />

anderen Unternehmen am Markt abzuheben.<br />

Swiss Life unterstützt Arbeitgeber mit<br />

Swiss Life BU Pro<br />

„Unsere kollektive Berufsunfähigkeitsversicherung ist die<br />

optimale Lösung für alle Unternehmen, die sich in Bezug<br />

auf die Mitarbeitergewinnung und die Mitarbeiterbindung<br />

Vorteile durch eine attraktive Sozialleistung<br />

verschaffen wollen“, sagt Hubertus Harenberg,<br />

Bereichsleiter Vertrieb Firmenkunden und Konsortien.<br />

„Mit Swiss Life BU Pro kann der Arbeitgeber seinen<br />

Mitarbeitern eine sofort wirksame Leistung anbieten und<br />

fördert dadurch die Zufriedenheit und die Motivation<br />

seiner Mitarbeiter.“<br />

So funktioniert die betriebliche BU-Rente von<br />

Swiss Life<br />

einer Berufsunfähigkeit abgesichert werden. „Mit Swiss<br />

Life BU Pro kombinieren wir als Biometrie- und<br />

bAV-Spezialist das Beste aus zwei Welten: die 125-jährige<br />

BU-Expertise von Swiss Life mit der am Markt<br />

hochgeschätzten Kompetenz in der betrieblichen<br />

Altersversorgung (bAV)“, sagt Harenberg.<br />

Einfache Aufnahme für die gesamte<br />

Belegschaft<br />

Ein echter Vorteil der arbeitgeberfinanzierten BU-Rente<br />

sind die vereinfachten Zugangsvoraussetzungen. Damit ist<br />

eine Aufnahme der ganzen Belegschaft mit minimalem<br />

Verwaltungsaufwand möglich. „Den Wert der<br />

Absicherung ihrer Arbeitskraft über die Firma schätzen<br />

Arbeitnehmer besonders dann, wenn es sich um ein<br />

obligatorisches System mit vollständiger Beitragszahlung<br />

durch den Arbeitgeber handelt. Auch die Zugangsvoraussetzungen,<br />

wie zum Beispiel die Gesundheitsprüfung,<br />

sind bei dieser Variante niedrig und der Aufwand<br />

für die Personalabteilung damit minimal“, sagt Harenberg.<br />

Die Beitragszahlung verursacht beim Arbeitgeber darüber<br />

hinaus keine Lohnnebenkosten, kann als Betriebsausgabe<br />

abgesetzt werden und ist für den Arbeitnehmer in der<br />

Regel steuer- und sozialversicherungsfrei. Die Möglichkeit<br />

der privaten Fortführung bei Ausscheiden aus dem<br />

Unternehmen ist ebenfalls gegeben.<br />

„Swiss Life BU Pro“ gibt es grundsätzlich in zwei Varianten:<br />

Der Beitrag kann entweder vollständig vom<br />

Arbeitgeber finanziert werden oder Arbeitgeber und<br />

Arbeitnehmer teilen sich den Beitrag, wobei der<br />

Arbeitgeber mindestens einen Anteil in Höhe von<br />

50 Prozent bezahlt. Eine Kombination beider Varianten ist<br />

ebenfalls möglich. Voraussetzung für Swiss Life BU Pro: Es<br />

müssen mindestens zehn Arbeitnehmer gegen das Risiko<br />

Hubertus Harenberg, Bereichsleiter Vertrieb<br />

Firmenkunden und Konsortien Swiss Life


<strong>Versicherungsbote</strong>: Können Sie Ihr Unternehmen kurz<br />

vorstellen? Und wie kamen Sie darauf, Wetterversicherungen<br />

zu Ihrem Geschäftsgebiet zu machen?<br />

Sebastian Sieloff<br />

B2b Protect GmbH<br />

Wie man sich<br />

gegen das Wetter<br />

versichert<br />

Die b2b Protect GmbH aus Hildesheim betrachtet<br />

neuartige versicherungstechnische<br />

Lösungen als ihr Kerngeschäft – mit<br />

besonderem Schwerpunkt auf den Themen<br />

Wetterrisiken und Energieeffizienz. Ein<br />

Grund für den <strong>Versicherungsbote</strong>n, mit<br />

Sebastian Sieloff zu sprechen – zuständig<br />

für Produktentwicklung sowie Risikoanalyse<br />

in dem Unternehmen. Beraten doch<br />

die Experten aus Hildesheim, unter der<br />

Marke „WetterProtect“, auch zu parametrischen<br />

Wetterversicherungen. Diese<br />

noch relativ neuen Produkte auf dem deutschen<br />

Markt basieren auf Wetterdaten<br />

und sichern gewerbliche Risiken ab.<br />

Sebastian Sieloff: WetterProtect wurde von unseren<br />

Gesellschaftern im Jahr 2012 gegründet. Einige<br />

Gesellschafter kamen aus dem Versicherungsbereich und<br />

erkannten, dass der Klimawandel uns vor<br />

Herausforderungen stellt. Es gab viele Schäden, die zu<br />

diesem Zeitpunkt überhaupt nicht abgesichert werden<br />

konnten. Und Wetterindexversicherungen oder<br />

parametrische Wetterversicherungen – das kann man<br />

synonym verwenden – sind eben ein mächtiges<br />

Werkzeug, um geschäftliche Wetterrisiken abzusichern.<br />

Was wir tun, ist letztendlich Beratung. Wir beraten<br />

Makler. Wir beraten Versicherer. Wir beraten auch<br />

Unternehmen und Rückversicherer bei der Entwicklung<br />

von geeigneten Produkten. Wir gehen zu einem Kunden<br />

und schauen uns an: Was ist überhaupt das Risiko, wo ist<br />

er betroffen? Gibt es ein passendes Produkt? Wir beraten<br />

Versicherer auch dabei, neue Versicherungsprodukte in<br />

diesem Bereich der Wetterversicherung zu entwickeln.<br />

Und wir beraten Entwicklungsbanken dabei, wie man<br />

geeignete Versicherungsprodukte in Entwicklungs- und<br />

Schwellenländern entwickelt und anbringt.<br />

Risikoanalyse und Suche des passenden Produkts – das<br />

klingt nach Makler-Tätigkeiten. Vermitteln Sie also<br />

auch, quasi wie ein Makler, die Produkte?<br />

Also unser Fokus ist es nicht, Geschäft zu vermitteln.<br />

Sondern letztendlich beraten wir, wie man vorgehen<br />

kann. Das heißt: Wir beraten zum Beispiel auch Makler<br />

dabei, wenn sie ihre Kunden mit diesem Produkt<br />

bedienen möchten. Wir treten nicht in Konkurrenz mit<br />

Maklern.<br />

Wir können zum Beispiel anbieten, dass wir<br />

Kundengespräche gemeinsam mit dem Makler führen,<br />

wenn sich Fragen stellen. Wir können bei der Analyse<br />

des richtigen Produktes helfen. Wir können auch<br />

unterstützen, wenn ein Makler ein bestimmtes Produkt<br />

oder einen Versicherer mit ins Portfolio nehmen<br />

möchte. Wir haben unter anderem auch Vertriebstools<br />

entwickelt, mit denen die Bepreisung beim Kunden<br />

direkt vor Ort stattfinden kann.<br />

Und wenn ein Makler jetzt plant, ins Geschäft<br />

einzusteigen, kann er sich quasi an Sie wenden, um die<br />

Produkte entwickeln zu lassen?


Genau: Er kann anfragen, welche Art von Kunden er hat<br />

oder was er glaubt, als Wetterrisiko für den Kunden<br />

identifiziert zu haben. Dann können wir helfen,<br />

passende Absicherungen zu entwickeln oder anzubieten<br />

– je nachdem, was eben notwendig ist. Das Vorgehen<br />

hängt auch immer davon ab, wie tiefgehend sich ein<br />

Makler schon mit der Thematik Wetterindexversicherung<br />

beschäftigt hat.<br />

Und plant ein Makler, neu ins Geschäft mit Wetterindexversicherungen<br />

einzusteigen – was ist da beachtenswert?<br />

Was muss er über das Produkt wissen?<br />

Grundsätzlich: Eine Wetterindexversicherung versichert<br />

einen Index. Man schaut sich mögliche Schäden an – bei<br />

Wetterindexversicherungen geht es um wetterbedingte<br />

finanzielle Verluste, wie zum Beispiel Umsatzausfall,<br />

Arbeitsausfall oder Mehrkosten. Idealerweise sollte man<br />

damit anfangen, überhaupt Kunden zu identifizieren,<br />

die ein Wetterrisiko in ihrem Geschäft haben –<br />

Bauunternehmen sind da zum Beispiel ganz klassisch.<br />

Wenn Sie im Frühjahr beispielsweise noch lange<br />

morgens Bodenfrost haben,<br />

können Sie als Bauunternehmer<br />

nicht arbeiten. Dann haben Sie<br />

Arbeitsausfall, müssen aber<br />

Mitarbeiter bezahlen. Auch die<br />

Agrarwirtschaft ist stark von<br />

ungünstigen Wetterereignissen<br />

betroffen. Auch für kleinere<br />

Stadtwerke kann eine solche<br />

Absicherung interessant sein.<br />

Weil: Gibt es zum Beispiel einen<br />

warmen Winter und es wurden<br />

zuvor Verträge abgeschlossen,<br />

Gas einzukaufen, bleiben die Unternehmen auf dem Gas<br />

sitzen. Oder Sie sind ein Veranstalter und haben Events,<br />

bei denen es kräftig regnet …<br />

Natürlich kann ein<br />

Unternehmen nie<br />

sein komplettes<br />

Geschäftsrisiko<br />

über das Wetter<br />

absichern.<br />

einer Entscheidung des Veranstalters, zu sagen: „Die<br />

Veranstaltung kann so nicht weitergehen“ …<br />

… greifen Bedingungen einer klassische Versicherung<br />

mitunter nicht? Und hier greifen dann die Parameter,<br />

wenn ich es richtig verstanden habe?<br />

Ja. Denn was tut eine Wetterindexversicherung? Man<br />

schaut sich im Voraus an: Was sind mögliche Schäden,<br />

was ist der Auslöser – also zum Beispiel Niederschläge<br />

über einen bestimmten Zeitraum, bestimmte<br />

Temperaturen im Durchschnitt oder zu bestimmten<br />

Uhrzeiten. Und man vereinbart eine Wetterstation oder<br />

eine andere Datenquelle. Und man legt fest: Wenn dort,<br />

an dieser Station, dieses Wetterereignis gemessen wird<br />

in diesem Zeitraum oder zu diesem Zeitpunkt, wird die<br />

im Voraus berechnete Deckungssumme ausgezahlt. So<br />

funktioniert eine Wetterindexversicherung prinzipiell.<br />

Dazu greifen wir in der Regel auf die Daten des<br />

Deutschen Wetterdienstes (DWD) zurück, der hat in<br />

Deutschland ein sehr gut ausgebautes Netz. Man kann<br />

natürlich auch mit privaten Wetterdiensten zusammenarbeiten,<br />

man kann Satellitendaten<br />

verwenden oder andere<br />

Dinge – das wird auch in<br />

Zukunft sicherlich noch mehr in<br />

den Fokus treten, dass<br />

zusätzliche Datenquellen überall<br />

verfügbar sind. Nicht alle Daten<br />

sind aber in der Qualität<br />

verfügbar, dass die Versicherbarkeit<br />

gegeben ist. Gerade bei<br />

vielen kleinen Sensoren, die an<br />

einer Vielzahl von Stellen mit<br />

verbaut sind, reicht die Qualität<br />

nicht aus. Wenn Sie hingegen eine Messung des DWD<br />

haben, ist diese nach ganz klar definierten Standards<br />

erfolgt.<br />

Aufgrund von Regen oder schweren Gewittern wurden<br />

ja auch schon Veranstaltungen abgebrochen, wie "Rock<br />

am Ring“ in 2016. Man kann sich vorstellen, dass da<br />

enorme Verluste entstehen.<br />

Genau! Nur: Was sichern Sie für diesen Fall über eine<br />

klassische Versicherung ab? Da können Sie nur<br />

absichern, dass die Veranstaltung komplett ausfällt, weil<br />

ein Ordnungsamt sagt: „Nein, diese Veranstaltung kann<br />

aus Sicherheitsgründen nicht stattfinden.“. Aber bei<br />

Ist es denn ein Problem, wie der Gesamtverband der<br />

Versicherungswirtschaft (GDV) geschrieben hat, dass<br />

oft noch zu wenige Wetterstationen existieren oder Daten<br />

nicht verfügbar sind?<br />

Der Hinweis geht in die richtige Richtung, ist aber zu<br />

stark vereinfacht. Der Hintergrund ist: Für die<br />

Risikokalkulation werden Wetterdaten benötigt. Die<br />

lokale Historie muss fast lückenlos vorliegen. Wenn die<br />

Wetterdaten nicht vorliegen und man erst eine neue<br />

31


Wetterstation aufbaut, dann dauert es ein paar Jahre, bis<br />

Sie eine gewisse Historie haben, die für die Versicherbarkeit<br />

notwendig ist.<br />

Wenn wir jetzt aber, wie es momentan geschieht,<br />

zunehmend Satellitendaten verfügbar machen über<br />

Programme der Europäischen Weltraumorganisation<br />

(ESA) oder wenn der Deutsche Wetterdienst mehr<br />

Stationen aufbaut und Daten sammelt und auswertet,<br />

schaffen wir für die Zukunft die Grundlage für eine<br />

Versicherbarkeit dieser Wetterparameter. Insofern – der<br />

GDV hat schon recht – benötigen wir mehr Wetterstationen<br />

und mehr Datensammelpunkte.<br />

Also gibt es tatsächlich Gegenden, wo die Versicherung<br />

noch nicht abgeschlossen werden kann, weil die Daten<br />

noch nicht vorliegen?<br />

Naja, sagen wir mal so: Es gibt bei den Wettermessstellen<br />

Unterschiede: Gebiete, die sehr gut abgedeckt sind,<br />

andere hingegen nicht. Generell ist die Abdeckung in<br />

Deutschland aber schon sehr gut. Problematisch wird es<br />

zum Beispiel, wenn Sie sich auf einer Seite eines Berges<br />

befinden. Da kann es sein, dass mit Luftlinie drei<br />

Kilometer auf der anderen Seite des Berges die<br />

Interpretation der Daten nicht mehr sinnvoll ist. Denn<br />

auf der anderen Seite des Berges ist die Situation nicht<br />

mehr vergleichbar.<br />

Da ja auch wenige geographische Unterschiede einen großen<br />

Unterschied in der Wetterhistorie bedeuten können?<br />

Ja. Deswegen brauchen wir mehr Wettermessungen.<br />

Grundsätzlich haben wir aber schon eine sehr gute<br />

Abdeckung, gerade auch im internationalen Vergleich.<br />

Wir hatten jetzt die Messbarkeit des Wetters. Aber es<br />

geht auch um die Frage nach dem Schaden. Wann leistet<br />

die Versicherung? Ist es so, dass – ich weiß nicht, ob die<br />

Formulierung richtig ist – nicht nach einem entstandenen<br />

Schaden geleistet wird, sondern wirklich nach den<br />

Parametern?<br />

Also sachlich ist das richtig. Der Punkt ist aber:<br />

Natürlich wird bei so einer Versicherung vorher<br />

entsprechend genau hingeschaut und analysiert. In der<br />

Regel entspricht der Schaden auch der vereinbarten<br />

Schadensumme bei dem festgelegten Parameter.<br />

Die Analyse kann mitunter relativ einfach sein. Am<br />

Beispiel Bodenfrost sehen Sie das: Da ist ein<br />

Handwerksbetrieb mit fünf Mitarbeitern, ein<br />

Dachdecker-Betrieb zum Beispiel. Und dieser Betrieb<br />

möchte im Frühjahr eben versichert haben, dass Tage<br />

mit Bodenfrost sich nicht übermäßig häufen. Pro Tag, an<br />

dem es über eine normale Wetterhistorie hinaus<br />

Bodenfrost gibt, braucht der Unternehmer eben eine<br />

Auszahlung von „x“. Das kann man relativ schnell<br />

kalkulieren.<br />

Wichtig ist aber auch: Natürlich kann ein Unternehmen<br />

nie sein komplettes Geschäftsrisiko über das Wetter<br />

absichern. Sondern letztendlich geht es immer um<br />

Extreme. Denn das Risiko spiegelt sich auch in der<br />

Prämie wider. Sobald also durchschnittlich zwanzig<br />

Tage Bodenfrost herrschen um zehn Uhr morgens, wenn<br />

gearbeitet werden soll, kann man sich sinnvollerweise<br />

nicht ab dem ersten Tag darüber hinaus versichern.<br />

Sondern man schaut: Was wäre ein extremes Ereignis,<br />

welches mein Unternehmen gefährdet? Es geht darum,<br />

Extreme abzufedern und nicht das, was sowieso jeden<br />

Tag oder jedes Jahr passiert.<br />

Wir haben verschiedene, jeweils spezifische Schadensszenarien.<br />

Und diese sind abhängig von spezifischen<br />

Wetterbedingungen an einem Ort. Das klingt nach sehr<br />

individuellen Produkten.<br />

Sie haben recht: Wetterindexversicherungen sind immer<br />

sehr individuell – sowohl die festgelegten Schadensummen<br />

als auch die Wetterereignisse, die dann<br />

definiert werden. Es ist eben nicht die<br />

Gebäudeversicherung, bei der fünf Fragen gestellt<br />

werden – ganz überspitzt gesagt – und man dann ein<br />

Standardprodukt eines Versicherers anbringen kann.<br />

Und welche Vorteile hat die Wetterversicherung gegenüber<br />

klassischen Produkten wie die Gebäudeversicherung<br />

oder Elementarschadenversicherungen?<br />

Die haben eigentlich nichts miteinander zu tun. Eine<br />

Elementarschadenversicherung versichert zwar auch<br />

gegen ungünstige Wetterereignisse. Aber da geht es um<br />

tatsächlich vorliegende Schäden, zum Beispiel an einem<br />

Gebäude, die müssen repariert werden. Eine<br />

Wetterindexversicherung wird jedoch für die<br />

Absicherung von wetterbedingten finanziellen Schäden<br />

genutzt – also zum Beispiel Umsatzausfall oder<br />

Mehrkosten. Dies kann eine klassische Versicherung<br />

nicht leisten.<br />

32


Und denke ich darüber nach, greift ja die Elementarschadenversicherung<br />

auch nur bei wesentlich extremeren<br />

Wetterereignissen. Die Wetterversicherung greift<br />

hingegen auch bei Frost oder häufigen Niederschlag –<br />

Dinge, die alltäglicher sind …<br />

Ja. Die Wetterversicherung kann als Instrument genutzt<br />

werden, um sich gegen alltägliche Wetterereignisse<br />

abzusichern, die aber ungewohnt häufig in einem Jahr<br />

auftreten. Und versicherbar sind eigentlich alle Ereignisse,<br />

die eindeutig gemessen werden können. Jedes<br />

messbare Wetterereignis kann, so gesehen, versichert<br />

werden – von Globalstrahlung über Sonnenstunden<br />

über Niederschlagsmengen bis hin zu Temperaturen<br />

oder eine Kombination daraus. Der Index kann frei<br />

gestaltet werden, solange dem dann natürlich mit der<br />

Schadensumme ein Schaden gegenüber steht bzw.<br />

plausibel abgeleitet werden kann. Was aber zum Beispiel<br />

nicht funktioniert, ist Hagel. Denn Sie haben nicht die<br />

Möglichkeit, mit einem Becher die Korngröße zu<br />

messen.<br />

Das Gespräch mit Sebastian Sieloff<br />

führte Sven Wenig


Makler dürfen mit<br />

der Digitalisierung<br />

nicht ihre Selbständigkeit<br />

verlieren<br />

Dirk Pappelbaum<br />

Geschäftsführer der Leipziger<br />

Inveda.net GmbH<br />

Makler, die vor einigen Jahren dachten, dass durch die<br />

Anschaffung eines Computers und der passenden<br />

Software im Maklerbüro die Digitalisierung abgeschlossen<br />

ist, erkennen spätestens jetzt, dass dies erst<br />

die Spitze des Eisberges war.<br />

Und nun?<br />

Es gibt zwei Möglichkeiten: entweder man versucht gar<br />

nicht erst, den Berg der Digitalisierung zu verstehen und<br />

vertraut auf eine angebotene Lösung. Dafür hat uns die<br />

Natur als Menschen zum Glück mit Instinkten<br />

ausgestattet, die uns Vertrauen und Misstrauen lassen,<br />

auch wenn wir nicht alles verstehen.<br />

Oder man gehört zu denen, die als selbsbestimmte und<br />

frei denkende Menschen agieren wollen, für die wird es<br />

immer schwerer.<br />

Für Verschwörungstheoretiker ein gefundenes Fressen,<br />

ist doch schnell eine Verschwörung aus Versicherungsund<br />

Softwareindustrie ausgemacht. Denn Softwarehäuser<br />

wollen alle von sich abhängig machen und<br />

Versicherer wollen den Makler klein halten. Treffend<br />

dazu die Zeilen des Liedsängers Reinhard Mey: „Der<br />

Minister nimmt flüsternd den Bischof beim Arm: Halt<br />

du sie dumm, ich halt sie arm“? So weit so gut, doch<br />

nützt ein armer Makler der Softwarefirma wenig und<br />

Makler ohne Erfolg sind auch kein Erfolg für die<br />

Versicherungsgesellschaften.<br />

Als Softwarehersteller versuchen wir ständig, uns in die<br />

Rolle der Versicherungsmakler zu versetzen. Dabei hilft<br />

uns sehr, dass uns Versicherungsmakler aus ihrem Alltag<br />

berichten. Mit Sorge sehen wir eine steigende<br />

Verunsicherung bei den Maklern. Wie wird das<br />

Versicherungsgeschäft in der Zukunft aussehen? Welche<br />

Versicherungsprodukte werden zukünftig über den<br />

Makler vermittelt? Was werden Kunden direkt online<br />

abschließen? Verhindert die Digitalisierung ein autarkes<br />

und selbstständiges Arbeiten der Versicherungsmakler,<br />

weil der Aufwand, alle Prozesse zu automatisieren,<br />

einfach zu groß ist?<br />

Sicher ist, dass diejenigen Makler überleben, die mit<br />

dem technischen Fortschritt mithalten. Wer es schafft,<br />

die eigenen Prozesse zu automatisieren, um bei<br />

sinkenden Margen mehr Kunden zu betreuen, der hat<br />

eine Chance. Ein großer Hoffnungsträger ist die<br />

Brancheninitiative BiPRO, die seit ihrer Gründung 2006<br />

die Prozesse zwischen Makler und Versicherungsgesellschaft<br />

in Normen giesst. 14 Jahre später gibt es<br />

tatsächlich Versicherungsgesellschaften und Softwareherstellern<br />

für Versicherungsmakler, die diesen Standard<br />

unterstützen. So kann die Maklerpost digital<br />

abgeholt werden und viele Gesellschaften stellen<br />

Bestandsdaten in Form des alten GDV-Standards zur<br />

Verfügung.<br />

Allein am Beispiel der Maklerpost zeigt sich das<br />

Dilemma. Die Digitalisierung der Maklerpost verursacht<br />

34


Kosten. Und nicht nur bei den Versicherungsgesellschaften,<br />

es entstehen Kosten für den Makler, denn die<br />

notwendigen Softwarelösungen hierfür kosten Geld.<br />

Der Softwarehersteller steht vor der Herausforderung,<br />

die Maklerpost bei allen Anbindungen des Maklers<br />

einzusammeln und möglichst automatisch zuzuordnen.<br />

Der BiPRO-Standard hilft dabei enorm, jedoch<br />

divergiert die Datenlieferung bei den einzelnen<br />

Gesellschaften. Es gibt verschiedene Autorisierungen<br />

(mit Login, TGIK, VDG oder Zertifikat), es gibt<br />

verschiedene Versionen des BiPRO Standards, und die<br />

Datensätze unterscheiden sich im Inhalt. Viele<br />

Hersteller von Maklerverwaltungsprogrammen<br />

kapitulierten bereits und setzen auf Anbieter wie<br />

Zeitsprung und B-Tixs, die sich auf das Thema<br />

spezialisiert haben. Diese Angebote sind entweder bei<br />

der Auswahl an Gesellschaften beschränkt, oder sie<br />

kosten extra – und das nicht<br />

wenig. Abgerechnet wird oft pro<br />

Dokumentabruf, was bei großen<br />

Maklerbüros schnell die Kosten<br />

in die Höhe treibt. Schnell stellt<br />

sich die Frage, ob es überhaupt<br />

Sinn macht, in eine eigene<br />

Infrastruktur zu investieren. Ist<br />

die Unabhängigkeit von<br />

einzelnen Akteuren überhaupt<br />

möglich? In anderen Branchen<br />

hat man sich längst damit arrangiert.<br />

Beim Einzelhandel ist<br />

Amazon der Platzhirsch, Ebay fast konkurrenzlos und in<br />

der Reisebranche konzentriert sich viel auf Booking.com<br />

und AirBNB. Einen Beigeschmack hat das ganze<br />

natürlich, die Partner haben hier nichts mehr zu<br />

entscheiden, es gilt nur noch „Friss oder Stirb“.<br />

Und im Maklergeschäft? Zunehmend wird hier versucht,<br />

dem Makler einen Teil des Kostenblockes<br />

"Digitalisierung" abzunehmen. Noch erscheint es harmlos,<br />

wenn immer mehr kostenlose Angebote aus dem<br />

Boden spriessen. Bisher eine Domaine der Maklerpools,<br />

den angebundenen Maklern, möglichst viel kostenlos<br />

zur Verfügung zu stellen, entdecken diesen Weg jetzt die<br />

Versicherungsgesellschaften. Die Argumente dafür sind<br />

klar, denn mit zunehmender Digitalisierung steigen die<br />

Kosten in dem Bereich. Wer diese Kosten dem Makler<br />

abnimmt, ist sein Freund.<br />

Jüngstes Beispiel ist das Angebot MeinMVP.<br />

Ursprünglich eine Idee der VHV, hat sich im Januar<br />

daraus der Verein meinMVP e.V. gegründet. Die<br />

Als Softwarehersteller<br />

versuchen wir<br />

ständig, uns in die<br />

Rolle der Versicherungsmakler<br />

zu<br />

versetzen.<br />

Mitglieder sind namhafte Versicherer, neben der VHV,<br />

der Volkswohlbund, die Itzehoer, die Haftpflichtkasse,<br />

KS Auxilia, die Gothaer und Swiss Life. Das Angebot ist<br />

verlockend, neben einem kostenlosen Maklerverwaltungsprogramm<br />

übernimmt der Verein die<br />

Lizenzkosten für die BiPRO-Lösung von Zeitsprung, die<br />

Vergleichssoftware von Franke und Bornberg und<br />

Thinksurance.<br />

Das meinMVP-Universum müssen die Makler nicht<br />

mehr verlassen, die Lösung reicht bis zur Antragseinreichung,<br />

eine Lösung zur eigenen Provisionsabrechnung<br />

ist auch schon geplant. Mit dieser Lösung<br />

macht man insbesondere den Maklerpools Konkurrenz,<br />

die ebenfalls für viele Softwarelösungen die<br />

Lizenzkosten übernehmen.<br />

Wie tragfähig dieses Modell ist,<br />

wird die Zukunft zeigen, denn<br />

der Verein hat mit dem<br />

kostenlosen Angebot nicht<br />

unerheblich Kosten zu tragen,<br />

die insbesondere dann steigen,<br />

wenn das Angebot von vielen<br />

genutzt wird. Ob sich die<br />

Vereinsmitglieder in der Frage<br />

der Finanzierung dauerhaft einig<br />

bleiben, ist offen. Wie<br />

unabhängig ist ein Makler über<br />

so eine Plattform?<br />

Wird es sich irgendwann auf die Versicherungsangebote<br />

der Vereinsmitglieder beschränken? Und wie objektiv<br />

sind dauerhaft überhaupt die Produktvergleiche? Denn<br />

mit zunehmenden Erfolg begeben sich auch die Anbieter<br />

der Vergleichsprogramme in eine gefährliche Abhängigkeit.<br />

Und was unterscheidet zum Schluss noch<br />

Makler A von Makler B, wie weit sind die Makler dann<br />

beliebig und austauschbar?<br />

Allround-Lösungen sind immer verlockend, besonders<br />

wenn Sie kostenlos sind. Bei den kostenlosen Angeboten<br />

von Facebook und Google haben wir alle längst<br />

verstanden, welchen Preis wir dafür zahlen.<br />

Und vergessen wir nicht, um was es letztendlich geht:<br />

„Daten sind der Rohstoff der Zukunft.“(Bundeskanzlerin<br />

Angela Merkel).<br />

Ein Gastkommentar von Dirk Pappelbaum<br />

35


Warum eine individuelle Nachfolge-<br />

Strategie sinnvoll ist<br />

Karsten Allesch<br />

Geschäftsführender Gesellschafter des<br />

Deutschen Maklerverbundes<br />

Die Unternehmensnachfolge will für Makler gut und professionell vorbereitet sein. Mit Blick<br />

auf den Ruhestand beschäftigt Versicherungsmakler häufig vor allem die Frage, wie sie einen<br />

geeigneten Nachfolger für den eigenen Bestand finden. Karsten Allesch weiß: Hierbei geht es<br />

für viele Makler um mehr als die bloße Verkaufssumme, die der Altersvorsorge dient. Der Geschäftsführer<br />

vom Deutschen Maklerverbund eröffnet deshalb in seinem Kommentar andere<br />

Perspektiven auf das Thema.<br />

Der Traum von der Sonne Portugals hat mich vor einigen<br />

Wochen mit einem langjährigen Partner unseres<br />

Verbunds auf eine Tasse Tee zusammengeführt. Er ist seit<br />

über 40 Jahren Makler im Großraum Hamburg und<br />

möchte nun mit seiner Frau zusammen mehr Zeit im<br />

Ruhestand genießen. Saisonal gern in Portugal, um dem<br />

manchmal so tristen Hamburger Wetter während Herbst<br />

und Winter zu entfliehen.<br />

Stellvertretend für eine Vielzahl von Maklern, mit denen<br />

ich ähnliche Gespräche seit einigen Monaten vermehrt<br />

führe, nenne ich ihn Wolf-Dieter. In den vergangenen<br />

25 Jahren hat er als selbstständiger Makler einen ansehnlichen<br />

Kundenbestand in den Bereichen Sach und<br />

Vorsorge aufgebaut. Er wollte sich mit mir darüber<br />

unterhalten, wie wir ihn bei seinen Plänen für den<br />

Ruhestand unterstützen können.<br />

Das Gespräch hat mir erneut vor Augen geführt, dass<br />

Technik nicht immer ein derart dominanter Faktor im<br />

Versicherungsgeschäft war. Ein wirklich guter Bestand,<br />

der heute zum Verkauf steht, hat seine Qualität vor allem<br />

deshalb, weil er oft seit mehr als 20 Jahren mit viel<br />

analogem Einsatz gepflegt wurde. Dank hoher<br />

Beratungskompetenz und zwischenmenschlicher<br />

Fähigkeiten sind im persönlichen Miteinander vertrauensvolle<br />

und starke Kundenbeziehungen aufgebaut<br />

worden.<br />

Die richtige Vorbereitung ist Gold wert<br />

Vielen Maklern und Vermittlern, die sich aktuell mit<br />

dem Thema der Nachfolge beschäftigen, geht es deshalb<br />

darum, das eigene Lebenswerk in kompetente Hände zu<br />

übergeben. Das Gespräch mit Wolf-Dieter, rund um<br />

sonnige Nachmittage in Faro, hat aber auch deutlich<br />

gemacht, dass jeder Fall anders zu betrachten ist. Es<br />

müssen viele Klippen bei der Unternehmensnachfolge<br />

umschifft werden.<br />

Idealerweise startet die Planung mehrere Jahre vor dem<br />

anstehenden Verkauf. Klar ist: Je größer der Zeitdruck,<br />

desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass Makler keinen<br />

Nachfolger nach Ihrem Geschmack finden. Oder sie<br />

36


verkaufen den Bestand unter Wert. Wie aber geht man<br />

eine solche Planung sinnvollerweise an?<br />

Wichtige Fragen für die<br />

Entscheidungsfindung<br />

Maklerverwaltungsprogramme (MVP) sind der Schlüssel<br />

zur erfolgreichen Vorbereitung in<br />

der Nachfolgersuche. Insbesondere<br />

umfassende 360-Grad<br />

Maklerplattformen bieten die<br />

Chance, den kompletten Versicherungsbestand<br />

zu digitalisieren<br />

und zu verwalten. Dabei ist<br />

es egal, ob Verträge über<br />

Direktvereinbarungen oder<br />

Maklerpools laufen.<br />

Sind in der digitalen Kundenakte<br />

alle Verträge und Dokumente,<br />

wie Anträge und Beratungsdokumentationen, hinterlegt,<br />

ist die schrittweise oder sofortige Einarbeitung des<br />

Nachfolgers problemlos möglich. Auch bieten<br />

fortschrittliche Softwarelösungen die Möglichkeit, den<br />

Wert des Bestands transparent zu machen.<br />

Welches Modell ist das richtige?<br />

Makler sollten sich genug Zeit nehmen, um<br />

herauszufinden was ihnen wichtig ist: Hoher<br />

Verkaufspreis oder Verrentung? Oder Run-off, sprich:<br />

das Auslaufen-lassen der Verträge bei kalkuliertem<br />

Bestandsabrieb? Im Gespräch mit Wolf-Dieter haben wir<br />

die drei gängigen Modelle ausführlich auf Vor- und<br />

Nachteile für ihn geprüft. Er kann sich durchaus<br />

vorstellen, Teilzeit weiter am Bestand zu arbeiten.<br />

Grundsätzlich war er jedoch an einem kompletten<br />

Verkauf interessiert.<br />

Geht es darum, einen Nachfolger zu finden, muss einiges<br />

im Vorfeld geklärt werden. Wie soll die Übergangsphase<br />

gestaltet werden? Und ist eine zwischenzeitliche<br />

Zusammenarbeit mit dem Nachfolgemakler sinnvoll?<br />

Nur wenn Makler wissen, was ihnen wichtig ist, kann<br />

ein Bestandsverkauf auch wirklich in ihrem Sinne<br />

erfolgen.<br />

Es lohnt sich, grundsätzlich über Alternativen zum<br />

Verkauf nachzudenken, denn ein Run-off ist im Regelfall<br />

finanziell deutlich interessanter. Mit dem passenden<br />

Maklerverwaltungsprogramm ist der Zeitaufwand häufig<br />

deutlich niedriger als zunächst gedacht.<br />

Es müssen viele<br />

Klippen bei der<br />

Unternehmensnachfolge<br />

umschifft<br />

werden.<br />

Der Bestand sollte also zwingend vollständig digitalisiert<br />

und über ein leistungsstarkes,<br />

onlinebasiertes MVP verwaltet<br />

werden, das viele Aufgaben<br />

automatisiert. Eine umfassende<br />

technische Plattform bietet<br />

beispielsweise integrierte Tools<br />

zur digitalen Kundenberatung.<br />

Möchte ein Makler im Falle eines<br />

Run-offs viel reisen oder einen<br />

zweiten Wohnort auf Faro haben,<br />

kann die Maklerverwaltungsplattform<br />

den Bedarf an persönlichen<br />

Terminen digital über<br />

Videoberatung, Screensharing und Apps lösen.<br />

Es ist keine Seltenheit, dass ein hoch digitalisierter<br />

Kundenbestand mit ein bis zwei Stunden pro Tag<br />

verwaltet werden kann. Was aber tun, wenn es besonders<br />

beratungs- und zeitintensive Kunden gibt? Die Frage<br />

stand beim Gespräch zwischen Wolf-Dieter und mir auch<br />

im Raum.<br />

In solch einem Fall kann es ratsam sein, diese Kunden<br />

beispielsweise an einen befreundeten Makler zu<br />

empfehlen. Der befreundete Makler hat somit die<br />

Möglichkeit, mit dem Kunden Neugeschäft zu machen<br />

und diesen als Empfehlungsgeber zu gewinnen.<br />

Was müssen insbesondere Nachfolger<br />

beachten?<br />

Fragen müssen sich auch Nachfolger stellen. Soll ein<br />

Bestand gekauft werden, ist auch hier elementar, wie<br />

digital der Bestand gepflegt wurde oder aufbereitet<br />

werden kann. Niemand sollte sich nach einem<br />

Bestandskauf durch dutzende analoge Aktenordner<br />

quälen müssen, um den ersten Kontakt mit einem Kunden<br />

aufzunehmen.<br />

Stattdessen ermöglicht ein gutes 360-Grad-Maklerverwaltungsprogramm,<br />

gezielt mit Kampagnen sofort in<br />

die Kundenkommunikation einzusteigen.<br />

Auch die Frage, wie der Kauf des Bestands finanziert<br />

werden kann, ist von grundlegender Bedeutung. Häufig<br />

kommen auf einen potenziellen Verkäufer bis zu<br />

37


50 interessierte Nachfolger, wenn der Bestand ausgeschrieben<br />

wird. Davon sind aber in der Regel maximal<br />

zehn Käufer bonitätsstark genug, den Kaufpreis auf den<br />

Tisch zu legen.<br />

Was ist ein angemessener Wert?<br />

Ein Unternehmenskredit bei der Hausbank ist ein<br />

gängiger, aber langwieriger Weg, den viele Nachfolger zur<br />

Finanzierung eines Bestandskaufes gehen. Die Gefahr ist,<br />

dass sich der Verkäufer in der Zwischenzeit mit einem<br />

anderen Kaufinteressenten einigt.<br />

Was sollte vertraglich abgedeckt sein?<br />

Grundsätzlich gilt: Kaufverträge sind individuell und<br />

unterliegen der Vertragsfreiheit. Es gibt allerdings einige<br />

gängige Inhalte, die sich als übliche Praxis etabliert haben.<br />

So wird der Kaufpreis in der Regel gesplittet an den<br />

Verkäufer gezahlt, weil die Übertragung des<br />

Versicherungsbestandes bis zu sechs Monate dauern kann.<br />

So könnte vertraglich beispielsweise eine Vorabzahlung<br />

von 50 Prozent und eine zweite Zahlung der restlichen<br />

50 Prozent nach der letzten Übertragung vereinbart<br />

werden.<br />

Eine andere für beide Seiten attraktive Möglichkeit ist die<br />

Verrentung. Bei diesem Modell partizipiert der Verkäufer<br />

in den Jahren nach dem Verkauf<br />

weiterhin an der Bestandspflege<br />

(oder es werden feste, wiederkehrende<br />

Raten vereinbart), ohne<br />

dass er als Makler tätig ist. Der<br />

Käufer muss hingegen nicht<br />

finanziell in Vorleistung gehen<br />

und kann risikofrei den Bestand<br />

übernehmen. Im Durchschnitt<br />

werden bei einer Verrentung<br />

etwas höhere Kaufpreise bezahlt.<br />

Da die Preise für Versicherungsbestände<br />

in den vergangenen<br />

Jahren immer weiter gesunken sind, werden Alternativen<br />

für viele Versicherungsmakler attraktiv. Deshalb ist auch<br />

Wolf-Dieter seit unserem Austausch an anderen Modellen<br />

abseits des Verkaufs interessiert.<br />

Der Wert eines Bestandes bemisst sich aus einer Vielzahl<br />

an Faktoren: Entscheidend sind neben Kriterien wie<br />

Digitalisierungsgrad auch Gesichtspunkte wie<br />

Durchschnittsalter der Kunden, Anzahl an Verträgen pro<br />

Kunde und vor allem die Verteilung der Einnahmen auf<br />

die einzelnen Sparten. Für die Verhandlungen ist es in der<br />

Regel übrigens nahezu überflüssig, ein Wertgutachten<br />

erstellen zu lassen.<br />

Kaufverträge sind<br />

individuell und<br />

unterliegen der<br />

Vertragsfreiheit.<br />

Wichtig: Der Kaufpreis ermittelt sich sinnvollerweise aus<br />

dem tatsächlich übertragenen Kundenbestand. Werden<br />

einzelne Verträge nicht übertragen,<br />

etwa weil die Kunden<br />

nicht zustimmen, reduziert sich<br />

der Kaufpreis entsprechend.<br />

Dieser Fall kann im Abschlagsmodell<br />

mit der Schlussrate<br />

verrechnet werden.<br />

Der Verkäufer sollte darüber<br />

hinaus verpflichtet werden, die<br />

Kunden über den Verkauf zu<br />

informieren und ihnen ein<br />

Widerspruchsrecht einzuräumen.<br />

Der verkaufende Makler kann<br />

anschließend den Nachfolger<br />

darüber informieren, welche Kunden der Übertragung<br />

widersprochen haben. Nur mit einem solchen Vorgehen<br />

sind die datenschutzrechtlichen Voraussetzungen zur<br />

Bestandsübertragung und Kontaktaufnahme durch den<br />

Nachfolger erfüllt.<br />

Courtagen, die nach dem Bestandskauf noch an den<br />

Verkäufer fließen, sollten dem Käufer vertraglich<br />

garantiert werden. Dies kommt regelmäßig vor, da viele<br />

Versicherer mehrere Monate benötigen, bis der<br />

Gesamtbestand übertragen wurde.<br />

Wie können Dienstleister helfen?<br />

Was nützt ein teures Gutachten eines Spezialisten, das<br />

dem Bestand einen hohen Wert zuschreibt, wenn es für<br />

diesen keine Käufer gibt? Wichtig ist vor allem, dass<br />

Makler für ihren Bestand mehrere Interessenten finden<br />

und einen realistischen Preis verhandeln. Der Wert ergibt<br />

sich ganz schlicht aus Angebot und Nachfrage.<br />

Dienstleister wie Maklerverbünde helfen nicht nur bei<br />

der Digitalisierung des Bestands oder einer selbst<br />

pflegenden Kundenverwaltung. Vielmehr entwickeln sich<br />

die besten zu Full-Service-Plattformen, wo auch das<br />

Thema Nachfolgeregelung unterstützt wird. Dies kann<br />

durch Checklisten, persönliche Hintergrundgespräche,<br />

Musterverträge oder ähnliches geschehen.<br />

38


Noch wichtiger ist allerdings die Marktplatz-Funktion,<br />

indem die Dienste Käufer und Verkäufer<br />

zusammenbringen. Das umfasst beispielsweise die<br />

anonyme Ausschreibung mit Kennzahlen zum Bestand an<br />

andere Partner in der Region, die Vermittlung und<br />

Kontaktherstellung sowie final auch die Unterstützung,<br />

sofern beide Seiten nicht vollständig selbstständig<br />

verhandeln wollen.<br />

Einigen sich Käufer und Verkäufer und der Bestand wird<br />

übertragen, zieht dies einen größeren Verwaltungsakt<br />

nach sich. Je besser die Maklerplattform ist, umso<br />

schlanker ist anschließend auch die Abwicklung. Ob der<br />

Aufbau neuer Direktvereinbarungen, damit der Bestand<br />

überhaupt erst übertragen werden kann, ob formale<br />

Prüfung auf Richtigkeit der Bestandsübertragung oder<br />

Weiterleitung: Der Verwaltungsaufwand im Anschluss an<br />

einen Kauf darf nicht unterschätzt werden.<br />

Wie Wolf-Dieter sich entschieden hat? Er hat zuhause<br />

mit seiner Frau gesprochen und gefragt, ob sie es aushält,<br />

wenn er in Faro mit dem Laptop den Großteil seines<br />

ruhigen Kundenstamms weiter betreut. Und für die<br />

besonders betreuungsintensiven Kunden gibt<br />

Wolf-Dieter das Maklermandat voraussichtlich ab und<br />

empfiehlt diese Kunden einem befreundeten jüngeren<br />

Makler.<br />

Ein Gastkommentar von Karsten Allesch


Zukauf von Maklerbeständen und<br />

Firmen – ein kurzer Leitfaden<br />

Daniel Seeger<br />

Geschäftsführer von 3 Tochter-GmbHs<br />

Daniel Seeger und Tino Scraback haben im vergangenen Jahr drei Tochter GmbHs und mehrere<br />

Bestände aufgekauft – die es anschließend in die eigene Firma zu integrieren galt. Worauf<br />

Versicherungsmakler beim Kauf einzelner Bestände oder ganzer Firmen achten sollten, weiß<br />

er folglich aus eigener Erfahrung zu berichten. Auf der Webseite www.versicherungsbestandkaufen.de<br />

bieten die beiden Macher Ihr Wissen für angehende Bestandskäufer an. Einige<br />

wichtige Punkte nennt Daniel Seeger am Beispiel der eigenen Bestandskäufe.<br />

Zu Beginn sei vorangestellt: Zwischen Bestandskauf und<br />

Firmenkauf gilt es zu unterscheiden – je nachdem, ob<br />

lediglich ein Bestand oder eine ganze Firma gekauft wird.<br />

Im Folgenden soll der Bestandskauf und Integration des<br />

Bestands in die bestehende Firma betrachtet werden:<br />

1. Kundenschreiben: Das Wichtigste zum Übertragen<br />

der Bestände auf Ihre Firma (oder Ihren Pool) ist das<br />

Anschreiben, in dem die Kunden über den Verkauf<br />

informiert werden. Das ist Grundlage für das<br />

CoC-Verfahren: also das Verfahren zur Übertragung<br />

sensibler Daten nach jenem Verhaltenskodex (Code of<br />

Conduct), der den Umgang mit personenbezogenen<br />

Daten in der Versicherungswirtschaft regelt.<br />

2. Bestandsübernahmeerklärung: meint das offizielle<br />

Dokument, mit dem der Verkäufer den Bestand an Sie<br />

überträgt. Dieses muss für jede Gesellschaft separat<br />

ausgefüllt und unterschrieben werden. Die Gesellschaften<br />

haben hier jeweils Ihre individuellen Vorlagen.<br />

Werden die Bestände zu einem Pool übertragen, haben<br />

manchen Pools eigene Bestandsübernahmeerklärungen<br />

als Vorlagen. Wichtig dabei ist, dass der Verkäufer als<br />

übernehmender Makler den Bestand an den Pool abgibt.<br />

Sie tauchen auf dem Formular als eigentlicher Käufer<br />

dann gar nicht auf.<br />

3. Widerrufe: Sicherlich werden einige Kunden der<br />

Übertragung der Daten widersprechen. Bei uns sind das<br />

meist nur ein bis zwei Prozent der Angeschriebenen.<br />

Diese Kunden sind für Sie wertlos. Wir sagen dem<br />

Verkäufer dann, dass er die Kunden in die freie<br />

Betreuung der Gesellschaft geben soll. Warum? Weil<br />

dann die komplette Agenturnummer auf Sie übertragen<br />

werden kann, sobald die Widerrufler raus sind. Das geht<br />

viel schneller als eine Teilbestand-Übertragung.<br />

Es drohen Fallstricke<br />

Im optimalen Fall könnten nach Abarbeitung der drei<br />

oben genannten Schritte alle Verträge zu Ihnen übertragen<br />

werden. Leider läuft das nie zu 100 Prozent rund, da<br />

einige Fallstricke existieren:<br />

Hat der Verkäufer Bestände bei Pools? Dann ist die<br />

Freigabe zusätzlich durch den Pool notwendig (und<br />

zwar für jede einzelne Gesellschaft).<br />

40


▷<br />

▷<br />

▷<br />

▷<br />

Gibt es Sonderkonzepte, beispielsweise Verträge der<br />

Genossenschaft VEMA? Dann ist die Übertragung<br />

schwierig, besonders zu einem anderen Pool.<br />

Gibt es Gesellschaften, die kein CoC akzeptieren?<br />

Dann müssen direkt neue Vollmachten eingeholt<br />

werden.<br />

Liegen bei Gesellschaften weniger als fünf bis zehn<br />

Verträge? Dann wird meist auch direkt eine neue<br />

Maklervollmacht notwendig.<br />

Die Umgehung der Fallstricke ist machbar – es<br />

stellen sich mit den Problemen lösbare Aufgaben.<br />

Der Zeitaufwand sollte aber nicht unterschätzt<br />

werden.<br />

Hier weitere nützliche Tipps und Tricks, die<br />

bei einem Bestandskauf beachtet werden<br />

sollten:<br />

▷<br />

▷<br />

▷<br />

E-Mail Weiterleitung und Telefon-Umleitung: Die<br />

Kunden finden in Ihren Unterlagen noch die<br />

Verkäufer-Kontaktdaten. Diese leiten wir zu uns um<br />

auf eine separate Nummer. So verlieren wir keine<br />

Kunden, weil sie „uns“ nicht mehr erreichen.<br />

Provisionsweitergabe: Bis Geld nach der Bestandsübertragung<br />

bei uns ankommt, dauert es sechs bis<br />

zwölf Monate. In der Zeit muss der Verkäufer<br />

monatlich eine Abrechnung erstellen. Wir geben ihm<br />

dafür Vorlagen an die Hand und überprüfen die<br />

Daten mit ihm.<br />

Import Kundendaten: Wir importieren nur aktuelle<br />

GDV- oder CSV-Daten, die wir von den Gesellschaften<br />

erhalten, in unser System – also KEINE<br />

Excel-Datei aus dem Maklerverwaltungsprogramm<br />

(MVP) des Verkäufers. Wir unterstützen den<br />

Verkäufer lieber beim Besorgen aktueller<br />

GDV-Daten – weil es uns nützt. Halten Sie das MVP<br />

möglichst sauber und aktuell – das erhöht dann<br />

später auch den Wert der eigenen Firma.<br />

To-Do-Liste nach dem Kauf einer GmbH<br />

Sobald Sie überlegen, anstelle des „einfachen<br />

Bestandskaufs“ die ganze Firma eines Verkäufers zu<br />

übernehmen, sind die Aufgaben nach Unterschrift unter<br />

dem Kaufvertrag gänzlich andere. Hier kurz eine<br />

Zusammenstellung am Beispiel eines GmbH-Kaufs,<br />

worauf zu achten ist.<br />

1. Formalitäten:<br />

▷ Handelsregistereintragung prüfen: Sind Gesellschafter,<br />

Geschäftsführer, Adresse, Tätigkeit korrekt<br />

eingetragen? Bei uns gab es einmal die Situation, dass<br />

noch eine Prokura an einen bereits ausgeschiedenen<br />

Mitarbeiter im Handelsregister eingetragen war.<br />

Daher empfiehlt es sich, immer VOR dem<br />

Notarvertrag den Handelsregisterauszug genau<br />

anzuschauen. Wir haben das versäumt und mussten<br />

dann ein zweites Mal zum Notar, um die Prokura zu<br />

entfernen – ärgerlich, da zusätzlich Zeit und Geld.<br />

▷ IHK-Registrierung: Wechselt der Geschäftsführer,<br />

der die Erlaubnis hatte (was ja meist der Fall ist),<br />

müssen bei der IHK wieder alle Unterlagen für die<br />

Erlaubnis 34d (oder weitere) eingereicht werden<br />

– also von Sachkundenachweis bis Führungszeugnis.<br />

Eine Checkliste hierzu gibt es bei der IHK. Wichtig:<br />

Alle Unterlagen sollten im Original vorliegen und<br />

nicht älter als drei Monate sein.<br />

▷ Gewerbeummeldung: Die Mitteilung des neuen<br />

Geschäftsführers mit Handelsregister-Auszug per<br />

Mail an das Gewerbeamt genügt hierfür.<br />

▷ Webseiten, Briefpapier, Signaturen, Impressum,<br />

Datenschutzerklärung, Erstinformation, Maklermandat<br />

& Maklervollmacht: Wichtig – überall<br />

aktualisieren und anpassen. Manchmal vergisst man<br />

da schnell die eine oder andere Änderung.<br />

2. Bankkonten:<br />

Wenn möglich, empfiehlt sich der persönliche Besuch mit<br />

dem Verkäufer bei der jeweiligen Bank. Personalausweis<br />

und Handelsregister-Auszug sowie alle wirtschaftlich<br />

Berechtigten sind vorher der Bank mitzuteilen, dann geht<br />

der Termin schneller. Persönlich ist besser, weil es dann<br />

auch ‚reibungslos‘ funktioniert. Bei der Volksbank haben<br />

wir bisher zum Beispiel sehr gute Erfahrungen gemacht.<br />

Die Deutsche Bank hingegen war eher eine Katastrophe.<br />

Hier hat es fünf bis sechs Wochen gedauert, ehe ich<br />

Kontozugriff hatte. Empfehlung: die Kontovollmacht/<br />

den Online-Zugang des Verkäufers erst sperren, wenn Sie<br />

selbst Zugang haben. Das setzt natürlich ein gewisses<br />

Vertrauen voraus.<br />

3. Mitteilung an Gesellschaften/ Pools:<br />

Ziemlich nervig bei vielen Direktanbindungen ist es, alle<br />

Gesellschaften über den Wechsel der Gesellschafter und<br />

Geschäftsführer zu unterrichten. Die Courtagezusagen<br />

bleiben bestehen, die Gesellschaften wollen aber<br />

mindestens den Ausweis des Geschäftsführers und<br />

Handelsregister-Auszug. Viele kommen dann mit<br />

Zusatzunterlagen bzw. wollen eine Bürgschaft. Das<br />

vermeiden wir, indem wir über die Direktanbindungen<br />

keine vordiskontierten Provisionen mehr auszahlen<br />

lassen. Der Verkäufer wird aber auch aus der Bürgschaft<br />

raus wollen, was zu beachten ist.<br />

41


4. Bestehende Verträge:<br />

Mietvertrag, VSH, Arbeitsverträge, Strom, Dienstleister,<br />

Pools, Leasing, Datenmüll, Steuerberater etc.:<br />

grundsätzlich empfiehlt es sich, zur Übergabe eine Liste<br />

aller Verträge, die die Firma hat, zu erstellen und zu<br />

überprüfen. Meistens finden wir<br />

hier Einsparpotenzial (Strom,<br />

VSH, Dienstleister) oder<br />

vereinheitlichen die Verträge/<br />

Dienstleister (Arbeitsvertrag/<br />

Steuerberater).<br />

5. Aufbewahrungspflichtige<br />

Unterlagen:<br />

Meint prinzipiell das Wichtigste,<br />

was wir tatsächlich in Papier- und<br />

Ordnerform aufbewahren. Die<br />

Buchhaltungsunterlagen der<br />

letzten 10 Jahre müssen bei<br />

Übergabe der Firma mit übergeben werden (oder sie<br />

liegen gerade wegen einer Prüfung beim Steuerberater).<br />

6. Login und Benutzerdaten<br />

Im Idealfall hat der Verkäufer eine gepflegte Liste mit<br />

allen Login-Daten, die für die Führung des Unternehmens<br />

wichtig sind: Gesellschafts-Login, Easy-Login,<br />

Pools, Webseiten-Login (bei Baukasten), Login für<br />

Domain und Mailserver, Bewertungsportale, Facebook-<br />

Fanpage (Admin übernehmen), MVP. Übergabe der<br />

Tokens für beispielsweise Easy-Login oder VHV nicht<br />

vergessen!<br />

Bisher passierte es uns tatsächlich einmal, dass bei der<br />

Übergabe so gut wie keine Login-Daten mehr vorhanden<br />

waren, da eine vorherige Mitarbeiterin bei Entlassung<br />

alles gelöscht hat. Das ist natürlich ein Desaster und<br />

macht viel Arbeit.<br />

7. Maklerverwaltungsprogramm (MVP)<br />

In den seltensten Fällen hat der Verkäufer das gleiche<br />

MVP genutzt wie wir. Daher ist die Übertragung der<br />

Kundendaten (mitsamt aller Dokumente) eine<br />

Herausforderung. Direkt nach Übernahme spiegeln wir<br />

den Server des Verkäufers auf unsere Server als<br />

Sicherheit. In der Übergangszeit (circa sechs bis zwölf<br />

Monate) werden die Mitarbeiter, die den Bestand<br />

betreuen, mit zwei Verwaltungsprogrammen arbeiten<br />

(müssen). Wir übertragen in unser MVP grundsätzlich<br />

nicht den Download aus dem „alten MVP“, sondern<br />

fordern bei den Gesellschaften aktuelle GDV/<br />

CSV-Daten an. So vermeiden wir das Einspielen von<br />

Karteileichen und unnötigen Daten.<br />

8. Kundenbetreuung/ Kundenanschreiben<br />

Never change a running system – wir übernehmen gerne<br />

42<br />

Persönlich ist<br />

besser, weil es dann<br />

auch „reibungslos“<br />

funktioniert.<br />

die Mitarbeiter und erhalten die gewohnte Betreuung.<br />

Zusätzlich erweitern wir die Erreichbarkeit auf unsere<br />

normalen Bürozeiten von 8 bis 20 Uhr. Natürlich<br />

informieren wir alle Kunden über den Wechsel in der<br />

Geschäftsführerschaft und kommunizieren, wer wir sind.<br />

In dem Schreiben informieren<br />

wir dann auch über die<br />

Übertagung zu unserem Pool<br />

(falls wir den Bestand dorthin<br />

übertragen). Gibt es keine<br />

Mitarbeiter, kümmern sich<br />

bestehende Innen-/ Außendienstmitarbeiter<br />

um den<br />

Bestand. Wichtig ist hier die feste<br />

Zuweisung der Verantwortlichkeit<br />

(und Bonifikation) für<br />

die Betreuung des Bestands.<br />

Die ganze Firma zu kaufen ist auf den ersten Blick<br />

vielleicht die einfachere Variante, da nicht die ganzen<br />

Bestandsübertragungen anstehen. Der Aufwand ist<br />

allerdings nicht zu unterschätzen und letztlich ist die<br />

Frage zu klären: Was will ich zukünftig mit der<br />

Gesellschaft? Liquidation oder Weiterentwicklung?<br />

Einfach neben der eigenen Firma als Tochter<br />

unverändert weiter existieren lassen? Letztes halte ich<br />

nur in Ausnahmefällen für sinnvoll, da doppelt<br />

Buchhaltung, Steuerberater, VSH, etc. anfällt.<br />

Die Punkte sind natürlich nicht abschließend, aber<br />

immerhin ein Anhalt, was nach der Unterschrift beim<br />

Firmenkauf anfällt.<br />

Ein Gastkommentar von Daniel Seeger


Neues Robo-Advice-Angebot der Stuttgarter<br />

Advertorial<br />

Die Stuttgarter hat mit dem FONDSPiLOT eine innovative digitale Beratungslösung im Markt<br />

positioniert, die Vermittler bei der bedarfsgerechten Beratung zu reinen Fondspolicen und<br />

Hybridprodukten der Stuttgarter unterstützt.<br />

Der Vermittler kann das digitale Beratungstool erstens<br />

für die systemgesteuerte Ermittlung eines Anlegerprofils<br />

seines Kunden nutzen. Im Zuge dessen erhält er auch<br />

einen Vorschlag für ein passendes gemanagtes Portfolio.<br />

Zweitens steuert der FONDSPiLOT das gewählte<br />

Portfolio automatisch mit dem einzigartigen<br />

Algorithmus Stuttgarter Automatisches Management,<br />

kurz SAM. Der FONDSPiLOT erleichtert dem<br />

Vermittler die Beratung und gibt ihm zusätzliche<br />

Sicherheit. Damit hat Die Stuttgarter ein eigenes<br />

Robo-Advice-Angebot auf den Markt gebracht.<br />

Das Beratungstool des FONDSPiLOT führt Vermittler<br />

und Kunden durch 10 Fragen. Auf Basis der Antworten<br />

wird ganz automatisch das Anlegerprofil ermittelt.<br />

Diesem wird ebenso automatisch ein passendes<br />

gemanagtes Portfolio zugeordnet. Es stehen fünf<br />

verschiedene Portfolios mit unterschiedlichen Chance-<br />

Risiko-Profilen zur Verfügung.<br />

Funktionsweise des<br />

Stuttgarter FONDSPiLOT<br />

Zusammensetzung bei sich verändernden Märkten<br />

automatisch an das Risikoprofil des Kunden an –<br />

kostenfrei. Dabei berücksichtigt SAM speziell den<br />

langfristigen Anlagehorizont einer Altersvorsorge. Das<br />

unterscheidet den FONDSPiLOT von vielen anderen<br />

Robo-Advice-Angeboten im Markt. Zudem schafft eine<br />

tagesaktuelle Darstellung der Portfolios während der<br />

Vertragslaufzeit Transparenz.<br />

Mit dem FONDSPiLOT ist die Beratung für<br />

Vermittler einfach, schnell und noch sicherer.<br />

Weitere Infos: www.fondspilot.stuttgarter.de<br />

Jens Göhner<br />

Leiter Produkt- und<br />

Vertriebsmarketing<br />

Nutzt der Vermittler das Beratungstool, erhält er eine<br />

Dokumentation der Geeignetheit und Angemessenheit.<br />

Die Stuttgarter ist zurzeit der einzige Versicherer in<br />

Deutschland, der diese Möglichkeit bietet. Bevorzugt der<br />

Berater zur Ermittlung des Anlegerprofils eine eigene Lösung,<br />

kann er das gewünschte gemanagte Portfolio auch<br />

direkt anwählen.<br />

Der SAM-Algorithmus überprüft das Portfolio während<br />

der gesamten Vertragslaufzeit regelmäßig und passt die


Mehr Umsatz mit alten Kunden<br />

Je mehr Verträge ein Kunde bei Ihnen abschließt, umso<br />

effizienter nutzen Sie Ihren Kundenstamm. Stichwort:<br />

hohe Wertschöpfung. Im eigenen Kundenstamm findet<br />

sich oft jede Menge Kaufkraft. Wer Neukunden akquirieren<br />

will, muss erfahrungsgemäß richtig ranklotzen.<br />

Sichtbar werden, Konkurrenz ausstechen, Kompetenz<br />

beweisen, Vertrauen erarbeiten, liefern. Und dennoch<br />

verschenken viele Vermittler Potenziale und lassen das<br />

Zusatzgeschäft auf der Straße liegen.<br />

Gleiches Ziel, unterschiedliche<br />

Verkaufsstrategien<br />

Roger Rankel<br />

Verkaufstrainer der Finanzbranche<br />

Wie hoch ist<br />

eigentlich Ihre<br />

Vertragsdichte?<br />

Manche Vermittler haben es einfach<br />

drauf! Sie besitzen eine Vertragsdichte<br />

von 7,5, wohingegen andere<br />

Makler nur eine 1,3 haben. Sprich:<br />

Bei Ersteren hat ein einzelner Kunde<br />

sieben bis acht Verträge abgeschlossen.<br />

Das ist kein Witz und auch keine<br />

Hexerei. Denn die Rechnung ist ganz<br />

einfach. Ein Kommentar von Verkaufstrainer<br />

Roger Rankel.<br />

Cross- und Upselling - ein und dasselbe? Klar, gehört hat<br />

diese Begriffe jeder Vertriebler schonmal. Fälschlicherweise<br />

werden Cross- und Up-Selling jedoch häufig synonym<br />

verwendet. Mehr Umsatz lautet das Stichwort.<br />

Und vor allem mehr Ertrag mit derselben Anzahl an<br />

Kunden. Aber diese Begriffe benennen nicht ein- und<br />

dasselbe.<br />

Upselling = mehr Leistung<br />

Beim Upselling geht es darum, einen Zusatzverkauf<br />

durch ein höherwertigeres bzw. teureres Produkt im<br />

Vergleich zum Ausgangsprodukt zu generieren. Ein<br />

Beispiel: Reiseveranstalter bieten Ihnen bei der Buchung<br />

einer AIDA-Kreuzfahrt, anstatt einer günstigeren<br />

Innenkabine, die teurere Balkonkabine an.<br />

Cross Selling = mehr Verträge<br />

Cross Selling bedeutet, neben dem Ausgangsprodukt<br />

weitere Zusatzprodukte und Dienstleistungen mit zu<br />

verkaufen. Das heißt: Nachdem Sie die Kreuzfahrt<br />

gebucht haben, erhalten Sie von Ihrem Reiseveranstalter<br />

Angebote zu Ausflügen an den Landtagen, die Sie<br />

zusätzlich buchen können.<br />

Während Reiseveranstalter ganz selbstverständlich<br />

Upgrades und Zusatzprodukte anbieten, ist im<br />

Vermittlergeschäft noch viel Luft nach oben, wenn man<br />

sich die Statistiken zur Vertragsdichte anschaut. Etliche<br />

Versicherungsvermittler und -makler verschenken viel<br />

Potenzial in puncto Zusatzgeschäft. Und das, obwohl Sie<br />

direkt am Kunden dran sind.


So nutzen Makler Selling-Strategien zur<br />

Steigerung Ihres Umsatzes<br />

Übertragen wir das AIDA-Beispiel auf Ihr Beratungsgespräch:<br />

Ein Kunde kommt mit dem Anliegen zu Ihnen,<br />

im Falle eines Unfalls abgesichert zu sein. Sie führen eine<br />

Bedarfsanalyse durch. Mit dem Ergebnis: Statt nur eine<br />

Unfallversicherung anzubieten, beraten und verkaufen<br />

Sie letztlich eine Berufsunfähigkeitsversicherung on top.<br />

So ist Ihr Kunde nicht nur gegen Unfälle, sondern<br />

ebenfalls im Krankheitsfall abgesichert und vor dem<br />

finanziellen Ruin geschützt. Upsell check!<br />

Weil die BU aber in den meisten Fällen nicht bei einer<br />

längeren Arbeitsunfähigkeit zahlt, klären Sie Ihren<br />

Kunden ebenso über die Lücke auf, die sich nach sechs<br />

Wochen Lohnfortzahlung ergibt. Und schon haben Sie<br />

zusätzlich eine Krankentagegeldversicherung verkauft.<br />

Cross Sell check!<br />

Cross Selling durch Kundenbindung<br />

Die Voraussetzung für Cross Selling, um Zusatzgeschäft<br />

zu generieren, könnten nicht besser sein.<br />

Versicherungsvermittler mit einer langjährigen und<br />

persönlichen Beziehung zur Stammkundschaft haben<br />

eine ideale Ausgangslage, um die großen Ertragspotenziale<br />

des Cross Selling zu heben. Ihren Altkunden<br />

müssen Sie nichts mehr beweisen. Der Kompetenzcheck<br />

ist längst bestanden. Die Vertrauensbasis ist aufgebaut.<br />

Über Jahre haben Sie sich riesige Bestände aufgebaut.<br />

Und nun sitzen Sie auf Ihren Beständen und überlegen<br />

immer weiter, wie Sie an neue Kunden rankommen. Wie<br />

groß ist ihr Bestand doch gleich? 1.000, 5.000, 10.000<br />

oder sogar mehr Kunden?<br />

Die Basics, um Cross Selling richtig einzusetzen, sind<br />

kein Hexenwerk. Und sie funktionieren für sämtlichen<br />

Versicherungssparten – ob Krankenzusatz-, Pflegezusatzoder<br />

Kompositversicherungen. Das schwierige Brot:<br />

Die proaktive Kundenansprache<br />

Der Kunde hat Sie innerlich oft „abgehakt“. Das Thema<br />

Finanzen hat er schlicht nicht mehr auf dem Schirm.<br />

Einfach schnöde: Anzurufen, „Guten Tag, Herr<br />

Schuster, ich hätte hier noch ein Produkt?“ Ziemlich<br />

öde. Eine weitere 08/15 Werbe-Mail? Klickt er weg oder<br />

die landet im Spam-Ordner. Wollen Sie Ihre<br />

Vertragsdichte erhöhen, sind clevere Marketing-<br />

Kampagnen gefragt.<br />

Mit E-Mail-Kampagnen zum Zusatzgeschäft<br />

Wer’s in der heutigen Zeit einfach haben will, setzt auf<br />

E-Mail-Marketing. Sie wissen ja: Finanzberatung<br />

funktioniert über Vertrauen und Beziehungspflege. Über<br />

E-Mails können Sie gut Kontakte halten. Und E-Mail-<br />

Kampagnen eignen sich ideal für Cross-Selling. Mit<br />

Cross-Selling optimieren Sie die Vertragsdichte am<br />

einfachsten.<br />

E-Mail-Kampagnen sind, bezogen auf den Kosten-<br />

Nutzen-Faktor, extrem erfolgreich. Und dabei unendlich<br />

skalierbar, ohne dass die Kosten steigen. Nutzen Sie also<br />

Ihren Adresspool. Stellen Sie sich vor: Bei 500 E-Mails<br />

melden sich zehn zurück. Zehn Termine! Mit einer Mail.<br />

So schnell können Sie keinen Neukunden an Land<br />

ziehen. Hier noch zwei Tipps, um die Antwort-Quote zu<br />

erhöhen:<br />

Zwei Ziele, eine E-Mail<br />

Das Wichtigste bei Ihrer E-Mail-Kampagne: Verfolgen<br />

Sie immer zwei Ziele, ihr eigenes (Verkauf) und das Ihres<br />

Kunden (Nutzen). Passen Sie die Inhalte der E-Mail<br />

entsprechend an und stellen die Kundenbedürfnisse in<br />

den Vordergrund – nicht das Zusatzprodukt!<br />

Gut betitelt, ist halb gekauft<br />

Der erste Eindruck zählt. Tag für Tag landen etliche<br />

E-Mails im Posteingang. Der Kunde muss also sofort<br />

erkennen, worum es geht, am besten schon im Betreff.<br />

Nach dem Motto: Außen hui, innen yes. Die Überschrift<br />

muss knallen. So brauchen die Kunden die Mail nur zu<br />

öffnen, wenn sie Interesse haben.<br />

Sie sehen: Mit E-Mail-Marketing bringen Sie Ihren<br />

Bestand auf ein neues Level. Sie werden staunen, wie viel<br />

Sie aus Ihrem Bestand noch herausholen können.<br />

Blättern Sie diese Ausgabe doch einmal bewusst durch<br />

und überlegen Sie, welche Zusatzversicherung sich für<br />

Ihre nächste E-Mail-Kampagne anbieten würde.<br />

Ein Gastkommentar von Roger Rankel<br />

45


Warum Makler mehr Zusatzversicherungen<br />

verkaufen sollten<br />

Die Digitalisierung und die betriebliche Krankenversicherung verschaffen Zusatzversicherungen<br />

einen neuen Schub. Makler haben beim Geschäft mit den Krankenzusatzpolicen eine<br />

wichtige Funktion – und können selbst davon profitieren. Ein Gastkommentar von<br />

Stephanie Griese, Bereichsleiterin Produktentwicklung und -management der<br />

SIGNAL IDUNA Krankenversicherung a. G.<br />

Jeder fünfte Kunde wird durch einen Makler auf eine<br />

Krankenzusatzversicherung aufmerksam. Zu diesem<br />

Ergebnis kommt eine<br />

gemeinsam mit der Strategieberatung<br />

Simon-Kucher &<br />

Partners durchgeführte<br />

repräsentative Studie seitens<br />

der SIGNAL IDUNA. Befragt<br />

wurden 1.500 Personen, die in<br />

den letzten 36 Monaten eine<br />

Krankenzusatzversicherung in<br />

Deutschland entweder abgeschlossen<br />

hatten oder dies<br />

aktuell beabsichtigen.<br />

Schaut man sich die Hauptmotive<br />

für eine Krankenzusatzversicherung<br />

während<br />

der Kundenreise von der<br />

Ansprache bis zum Abschluss<br />

an, so möchten 60 Prozent<br />

zusätzliche Behandlungen und<br />

Leistungen wahrnehmen<br />

können. 44 Prozent verfolgen<br />

das Ziel, nicht ihr Vermögen<br />

durch Arzt- und Krankenhausbehandlungen belasten zu<br />

müssen, die die gesetzlichen Krankenkassen nicht<br />

übernehmen.<br />

Makler sind ein wichtiger Anlaufpunkt<br />

Präsenz auf allen Kanälen ist erforderlich, damit der<br />

Kunde den Abschluss tätigt. Denn der digitale Fortschritt<br />

und hybride Kunden haben die Anforderungen an Makler<br />

verändert.<br />

Vier von fünf Kunden haben während der Customer<br />

Journey mindestens einen Onlinekontaktpunkt und jeder<br />

dritte Kunde besucht die Unternehmenswebsites. Anders<br />

46<br />

Stephanie Griese<br />

Bereichsleiterin Produktentwicklung und<br />

-management bei der SIGNAL IDUNA<br />

aber als bei der Kfz- und der Risikolebensversicherung<br />

lässt sich jeder dritte Kunde zur privaten Krankenzusatzversicherung<br />

beraten und<br />

schließt auch offline ab. Positiv<br />

für die hauptsächlich physischen<br />

Vertriebswege ist daher, dass<br />

sich lediglich 12 Prozent der<br />

Kunden ausschließlich online<br />

informieren, beraten lassen und<br />

auch den Antrag stellen.<br />

Voraussetzungen für einen<br />

Produktabschluss werden<br />

seitens der Kunden klar<br />

formuliert: Die Leistungen einer<br />

Krankenzusatzversicherung<br />

müssen zu den persönlichen<br />

Bedürfnissen passen, zudem hat<br />

das Produkt eine positive<br />

Bewertung vorzuweisen. Der<br />

Preis ist nicht unbedingt ausschlaggebend.<br />

Viel Zeit vergeht<br />

zwischen Ansprache und<br />

Abschluss nicht, denn zwei von<br />

drei Kunden tätigen ihren Abschluss innerhalb einer<br />

Woche. Die anschließende Online-Vertragsverwaltung<br />

wiederum ist für sowohl den Offline- als auch den<br />

Onlinekunden wichtig.<br />

Kunden erhalten mit einer Krankenzusatzversicherung<br />

einen deutlichen Mehrwert. Sie schließen gezielt die<br />

Lücken, die die Gesetzlichen Krankenkassen offen lassen<br />

und die für sie Vorrang haben – von der Chefarztbehandlung<br />

im Krankenhaus über den Zahnersatz bis<br />

zur Brille. Die Kosten dafür sind überschaubar, die<br />

notwendigen Erläuterungen ebenfalls. Beide Seiten,<br />

Makler wie Kunden, profitieren am Ende recht schnell<br />

und einfach von einer Krankenzusatzversicherung.


Die betriebliche Krankenzusatzversicherung<br />

als Beitrag zur Nachhaltigkeit<br />

Auch die Tarife der betrieblichen Krankenversicherung<br />

(bKV) eignen sich perfekt für das Maklergeschäft. Denn<br />

der Markt für die betriebliche Krankenversicherung ist<br />

noch lange nicht erschlossen. Zudem spricht die bKV das<br />

immer wichtiger werdende Thema der Nachhaltigkeit an.<br />

Nachhaltige Betriebsausrichtung – Corporate Social<br />

Responsibility – was bedeutet das für Sie als Makler?<br />

Ganz einfach: Ein nachhaltiges Leben steht bei vielen<br />

Menschen im Fokus, auch im Arbeitsleben. Eine<br />

nachhaltige Unternehmenskultur bedeutet auch:<br />

Verantwortung für seine Mitarbeiter zu übernehmen. An<br />

dieser Stelle können Makler eine Schlüsselposition bei<br />

ihren Firmenkunden einnehmen. Wie funktioniert das?<br />

Image. Auch Familienmitglieder der Arbeitnehmer<br />

profitieren: Sie können ebenfalls zu besonderen<br />

Konditionen eingeschlossen werden.<br />

Die bKV ist heute für die Mitarbeitergewinnung und das<br />

Zugehörigkeitsgefühl zu einem Unternehmen einfach<br />

unentbehrlich. Die betriebliche Krankenversicherung<br />

schafft so eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten.<br />

Ein Gastkommentar von Stephanie Griese<br />

Für Arbeitgeber ist die betriebliche Krankenversicherung<br />

ein attraktives Instrument zur nachhaltigen Betriebsausrichtung,<br />

zu Mitarbeiterbindung und -findung, gerade in<br />

Zeiten des Fachkräftemangels. Die Zufriedenheit und<br />

damit auch die Produktivität der Mitarbeiter werden<br />

gefördert, Ausfallzeiten können nachweislich verringert<br />

werden und gleichzeitig verbessert der Arbeitgeber sein


Dr. Matthias Effinger<br />

Vorstandsmitglied für Kunden- und<br />

Leistungsservice ARAG<br />

Der Patient will in<br />

seinen komplexen<br />

Zusammenhängen<br />

wahrgenommen<br />

werden!<br />

Mit privaten Krankenzusatzversicherungen lassen sich auch Heilpraktiker-Behandlungen absichern:<br />

obwohl deren medizinischer Nutzen heftigst umstritten ist. Warum sich solche Verträge<br />

aus Maklersicht lohnen können und was die Idee hinter solchen Policen ist, erklärt im Interview<br />

Dr. Matthias Effinger, Vorstandsmitglied der ARAG Krankenversicherungs-AG und<br />

dort unter anderem für Kunden- und Leistungsservice zuständig.<br />

<strong>Versicherungsbote</strong>: Die Zahl der verkauften Zusatzversicherungen<br />

ist in den letzten Jahren stetig angestiegen<br />

und hat inzwischen die Marke von 20 Millionen Verträgen<br />

übersprungen. Warum sind Zusatz-Policen für Kunden<br />

und auch für Vermittler so interessant?<br />

Matthias Effinger: Gesundheit ist ein sehr emotionales<br />

Thema und kann – positiv besetzt – ein wichtiger<br />

Türöffner beim Kunden sein. Die gesetzliche<br />

Krankenversicherung finanziert in Deutschland eine<br />

wirtschaftliche und zweckmäßige medizinische<br />

Versorgung. Allerdings gibt es zahlreiche schulmedizinische<br />

oder alternative Behandlungsmöglichkeiten,<br />

die für Kunden attraktiv sind, für die die<br />

gesetzliche Kasse aber nicht oder nur teilweise<br />

aufkommt. Private Krankenzusatzversicherungen sorgen<br />

hier für optimalen Schutz. Wer ein ernstes<br />

gesundheitliches Problem hat, wird sich im Zweifel<br />

lieber dem Chefarzt anvertrauen. Beim Thema<br />

Zahnmedizin kann sich eine Zusatzversicherung sehr<br />

schnell auszahlen. Aber auch für spezielle Zielgruppen<br />

gibt es passende Angebote – etwa im Bereich der<br />

Alternativmedizin.<br />

Der Großteil der bestehenden Zusatzversicherungen<br />

sind Zahnzusatz-Policen. Warum haben es andere Policen<br />

wie etwa die Heilpraktiker-Zusatzversicherung dagegen<br />

deutlich schwerer?<br />

Das Thema Zahngesundheit betrifft einfach jeden.<br />

Zudem gibt es hier sehr oft Eigenanteile – insbesondere<br />

im Bereich Zahnersatz –, die schnell sehr hoch ausfallen<br />

können. Policen mit Heilpraktiker-Leistungen sprechen<br />

hingegen naturgemäß kleinere Zielgruppen an. Was<br />

jedoch nicht heißt, dass diese nicht ebenfalls wichtig<br />

sind.<br />

Wie die Ärztezeitung unter Berufung auf eine Praxisbefragung<br />

berichtet, sind typische Patienten in Heilpraktiker-Praxen<br />

„weiblich, gut gebildet und praxistreu“.<br />

Können Sie diese Erfahrungen an Hand Ihres Kundenbestands<br />

in diesem Bereich bestätigen? Und sollten Vermittler<br />

diese „typischen Profile“ in der Akquise nutzen?<br />

Ja, das deckt sich. Ganz unabhängig vom Geschlecht<br />

wissen wir aber auch, dass ein Patient, der einen<br />

Heilpraktiker aufsucht, meist nicht nur aufgrund eines<br />

48


akuten Vorfalls dorthin geht, sondern er als Mensch mit<br />

all seinen komplexen körperlichen und psychischen<br />

Zusammenhängen wahrgenommen werden möchte.<br />

Wichtig ist diesen Patienten zudem, dass sich der<br />

Therapeut für sie und ihre gesundheitlichen Themen<br />

ausreichend Zeit nimmt. Wir stellen auch fest, dass Eltern<br />

für ihre Kinder gerne Verfahren der alternativen Medizin<br />

in Anspruch nehmen, insbesondere Homöopathie und<br />

Osteopathie. Wenn der Vermittler einen solchen Bedarf<br />

erkennt, trifft er mit entsprechend passenden<br />

Zusatzversicherungen sicher auf offene Ohren.<br />

Wie kann diese Absicherung mehr als nur ergänzendes<br />

Nischenprodukt werden?<br />

Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Neben den eher<br />

klassischen Zusatzversicherungstarifen bieten wir zudem<br />

auch für Verbraucher und Kunden, die spezielle<br />

Bedürfnisse absichern wollen, sinnvollen Versicherungsschutz<br />

an – wie etwa auch Behandlungen durch<br />

Heilpraktiker.<br />

Immer mehr gesetzliche Krankenkassen übernehmen alternative<br />

Heilmethoden wie Homöopathie, sobald die<br />

Behandlung unter ärztlicher Kontrolle stattfindet. Mit<br />

welchen Punkten können Vermittler hier mit Zusatz-Policen<br />

punkten?<br />

Auch wenn sich manche Kassen für solche Angebote<br />

durch Ärzte öffnen, gibt es immer noch eine Vielzahl an<br />

Kunden, die eben nicht zum Arzt, sondern beispielsweise<br />

zum Heilpraktiker gehen wollen. Darüber hinaus werden<br />

auch meist nicht alle Kosten übernommen, sondern nur<br />

ein Teil. Hier leistet die private Zusatzversicherung<br />

deutlich mehr.<br />

Das Berufsbild des Heilpraktikers ist nicht unumstritten.<br />

So sehen sich viele alternative Behandlungsmethoden in<br />

Konkurrenz zu Behandlungsverfahren der wissenschaftsorientierten<br />

Medizin. Gerade Schulmediziner aber betrachten<br />

diese Haltung als Problem und kritisieren<br />

fehlende wissenschaftliche Standards für alternative<br />

Heilmethoden. In welcher Ecke stehen Sie?<br />

Können Sie beispielhaft drei oder vier populäre alternative<br />

Verfahren nennen?<br />

Eine Domäne der Heilpraktiker ist die klassische<br />

Homöopathie mit hochpotenzierten Einzelsubstanzen.<br />

Die Ende des 18. Jahrhunderts entwickelte Medizintheorie<br />

geht davon aus, dass eine Substanz, die in hoher<br />

Dosierung ein Krankheitssymptom auslösen würde, das<br />

dem zu behandelnden ähnlich ist, dieses in hoher<br />

Potenzierung zum Verschwinden bringt, indem sie die<br />

körpereigene Regulation stimuliert. Populär ist auch die<br />

Osteopathie, die im 19. Jahrhundert entstanden ist. Der<br />

Osteopath regt mit manuellen Techniken die<br />

Selbstheilung bei verschiedensten Krankheitsbildern an.<br />

Jahrtausende alt sind das indische Ayurveda und die<br />

Traditionelle Chinesische Medizin (TCM). Beide<br />

Heilsysteme basieren auf Denkansätzen, die von den<br />

Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaften<br />

abweichen. Dennoch wird Akupunktur beispielsweise in<br />

der orthopädischen Praxis nicht selten eingesetzt, zum<br />

Beispiel bei Kniegelenksarthrose.<br />

Was empfehlen Sie Maklern, die Heilpraktiker-Zusatzversicherungen<br />

vermitteln wollen?<br />

Wie bereits erwähnt, ist das Thema Gesundheit eine<br />

wichtige Tür zum Kunden. Und Zusatzversicherungen<br />

sind hier ein guter Schlüssel. Bei der Bedarfsermittlung ist<br />

es sinnvoll, neben den üblichen Absicherungen über<br />

ambulante, stationäre oder Zahntarife auch eine Affinität<br />

zu alternativen Heilmethoden beim Kunden abzufragen.<br />

Vielleicht hatte er ja schon einmal positive Erfahrungen<br />

mit Akkupunktur, Osteopathie oder ähnlichem gemacht<br />

und würde bei künftigen Beschwerden auch gerne wieder<br />

solche Methoden in Anspruch nehmen. Allerdings zahlt<br />

die gesetzliche Kasse nichts oder nur einen kleinen Teil.<br />

Hier kann dann eine private Zusatzversicherung punkten.<br />

Aber Achtung, auch hier gilt: Für eine Kostenübernahme<br />

muss immer eine medizinische Notwendigkeit vorliegen.<br />

Wellnessbehandlungen werden auch von der privaten<br />

Krankenversicherung nicht übernommen.<br />

Die Fragen an Dr. Effinger stellte Sven Wenig<br />

Ganz klar: in der Ecke unserer Kunden. An ihnen und<br />

ihren Bedürfnissen richten wir unser Unternehmen und<br />

unsere Produkte aus. Und da es viele Kunden und<br />

Verbraucher gibt, denen eine Behandlung aus dem<br />

Bereich der Alternativmedizin wichtig ist, bieten wir für<br />

diese auch entsprechende Tarife an.<br />

49


Advertorial<br />

Wie Wolfgang im hohen Alter seine Würde<br />

erhält – mit der Pflegevorsorge der SDK<br />

Sie kennen Wolfgang nicht? Wolfgang ist 76 Jahre alt. Seit einem Schlaganfall sitzt er im Rollstuhl.<br />

Inzwischen kommt er damit ganz gut klar. Unter anderem wegen Ida, seiner Nachbarin.<br />

Lesen Sie hier, wie Ida Wolfgang beim Älterwerden mit Würde geholfen hat – und welche Rolle<br />

Wolfgangs Pflegeversicherung dabei gespielt hat.<br />

Sein Leben lang hatte Wolfgang als Geschäftsführer<br />

Entscheidungen getroffen. Deshalb warf ihn die<br />

Tatsache, plötzlich an<br />

den Rollstuhl gefesselt<br />

zu sein, vollkommen aus<br />

der Bahn. Aber dank<br />

seiner Pflegezusatzversicherung<br />

der SDK war<br />

er gut abgesichert.<br />

Dadurch erhielt er eine<br />

umfassende Beratung<br />

durch seinen Versicherungsmakler<br />

und<br />

entschied sich für eine<br />

kleine Zwei-Zimmer-<br />

Wohnung in einem<br />

Heim.<br />

Nachdem er sich anfangs<br />

sehr zurückgezogen<br />

hatte, ließ er sich von<br />

seiner Nachbarin, Ida,<br />

überreden etwas zu<br />

unternehmen. Und siehe<br />

da: Es tat ihm gut!<br />

Wolfang merkte, dass er<br />

erstens nicht alleine war<br />

und zweitens, dass er<br />

dank seiner guten Absicherung<br />

keinesfalls nur<br />

noch auf andere<br />

angewiesen war und sein<br />

Leben selbst bestimmen<br />

und sogar genießen<br />

konnte.<br />

Sie wollen auch dafür sorgen, dass Ihre<br />

Kunden in Würde altern können?<br />

Zugegeben, die Geschichte von Wolfgang und Ida ist<br />

erfunden. Weit weg von der Realität ist sie aber nicht.<br />

Viele Menschen legen großen Wert darauf, auch im Alter<br />

selbstbestimmt leben zu können.<br />

Doch das Pflegerisiko<br />

ist hoch, ebenso die<br />

Finanzierungslücken.<br />

Die Altersvorsorge<br />

sichert zwar den<br />

Lebensstandard im<br />

Alter, aber auch nur,<br />

wenn kein Pflegefall<br />

hinzukommt. Daher<br />

gehört zur Absicherung<br />

der Gesundheit auch<br />

eine gute Pflegevorsorge.<br />

So wie die der<br />

SDK. Mit ihr erhalten<br />

Ihre Kunden ihre<br />

Lebensqualität, Selbstbestimmung<br />

und<br />

schützen ihr Vermögen<br />

bzw. das ihrer Familien.<br />

So können sie in Würde<br />

altern und müssen sich<br />

keine Sorgen um die<br />

Pflege und deren Finanzierung<br />

machen.<br />

Sie wollen mehr über<br />

die Pflegevorsorge der<br />

SDK erfahren? Im<br />

Rahmen unserer<br />

Kampagne bieten wir<br />

Ihnen eine umfangreiche<br />

Verkaufsunterstützung an. Nähere Informationen<br />

erhalten Sie unter www.sdk.de/pflegekampagne.<br />

SDK – einfach für Ihr Leben da<br />

50


<strong>Versicherungsbote</strong>: Der KfZ-Versicherungsmarkt ist<br />

umkämpft. In den vergangenen Jahren hat die Schaden-<br />

Kosten-Quote im Branchenschnitt auch bei Flottenverträgen<br />

immer mal die 100-Prozent-Marke geknackt. Wie<br />

beurteilen Sie diese Entwicklung?<br />

Rico Schmidt: Im gewerblichen Bereich – genauso wie<br />

auch im privaten KFZ-Bereich – ist es oftmals so, dass die<br />

Schadenquote immer mal an der 100-Prozent-Marke<br />

kratzt. Das ist auch fast durchgängig der Fall, wenn man<br />

sich die letzten Jahre anschaut – obwohl die Beiträge<br />

gestiegen sind. Und die Tendenz zeigt klar, dass eine<br />

Verbesserung nicht absehbar ist.<br />

Die Kosten pro versichertem Schaden steigen in der<br />

Kfz-Versicherung seit Jahren an: auch wegen immer teurerer<br />

Technik wie z.B. Fahrassistenten und Sensoren, die in<br />

den Autos verbaut ist. Wie sieht es speziell im Flottensegment<br />

aus? Und was sind hier die größten Kostentreiber?<br />

Die stetige Weiterentwicklung der Technik, welche in<br />

den Fahrzeugen verbaut wird, treibt natürlich die Preise<br />

je Fahrzeug und Schaden hoch. Jedoch: Zum Ersten ist es<br />

Technik wie zum Beispiel der Fahrassistent, der zugleich<br />

aber auch für mehr Sicherheit sorgt, was sich dann in den<br />

kommenden Jahren hoffentlich auf die Unfallzahlen<br />

positiv auswirkt. Zum Zweiten ist es auch Technik, die<br />

zum Beispiel die Arbeitsweise einer Dispo erleichtern<br />

kann: die Flottensteuerung über transportrelevante<br />

Daten. Je mehr neue Technologie, desto höher auch die<br />

Prämie. Aber das sind hier nicht die größten<br />

Kostentreiber. Gerade Flottenversicherung ist immer<br />

stark abhängig von der Schadenrenta. Da bleibt der<br />

Haftpflichtanspruch meistens immer noch vorn bzw. am<br />

stärksten betroffen.<br />

Immer mehr Versicherer bieten auch Kleinflottentarife<br />

an: in der Regel ab drei Fahrzeugen. Damit wird die Lücke<br />

zwischen Einzel- und Flottenvertrag zunehmend geschlossen.<br />

Was macht diese Zielgruppe interessant?<br />

Wir haben sehr viele Unternehmen in Deutschland, die<br />

mit weniger als fünf Fahrzeugen ihr Geschäft betreiben.<br />

Diese Firmen sind auch oftmals nicht ausreichend<br />

versichert. Gerade dort kann man mit<br />

Kleinflottentarifen den Firmen ein Stück Arbeit<br />

abnehmen bzw. erleichtern, weil eventuell der LKW bei<br />

einer anderen Gesellschaft als der PKW versichert ist.<br />

Mit diesen Kleinflottenverträgen kann man den<br />

Unternehmern dann einen passenden Vertrag an die<br />

Rico Schmidt<br />

Experte für<br />

Flottenversicherungen<br />

Bisher haben<br />

wenige Firmen<br />

Flottenverträge!<br />

Gewerbetreibende und Unternehmer können<br />

ihre Fahrzeugflotte auch über eine Kfz-<br />

Flottenversicherung absichern. Jedoch:<br />

Viele Firmen verzichten aktuell noch darauf.<br />

Über die Angebote, die wachsende<br />

Nachfrage nach solchen Verträgen sowie<br />

die Chancen für den Vertrieb sprach der<br />

<strong>Versicherungsbote</strong> mit Rico Schmidt. Der<br />

Versicherungsmakler aus Velten in Brandenburg<br />

ist u.a. spezialisiert auf die Themen<br />

Flottenversicherung und Verkehrshaftung.


Hand geben, der im besten Fall auch Deckungslücken<br />

schließt. In den letzten Jahren hatte ich viele Fälle<br />

erlebt, in denen LKW-Versicherungen ohne den<br />

Klassiker „Brems-, Betriebs- und Bruchschäden“ oder<br />

auch Fahrzeuge ohne<br />

GAP-Deckung versichert<br />

worden sind. Um nur einige<br />

wenige Bausteine zu nennen. Die<br />

Verträge geben uns als Versicherungsmakler<br />

auch neue<br />

Chancen und Vertriebsansätze.<br />

Eine wachsende Zahl Kfz-Versicherer<br />

bieten Telematik-Tarife<br />

bzw. Pay-as-you-drive für das<br />

Privatkundengeschäft an, bei denen<br />

die Fahrweise des Fahrers<br />

aufgezeichnet wird – und vorsichtiges Fahren mit Prämienrabatten<br />

belohnt wird. In der Gewerbeversicherung<br />

wurden bisher wenige Angebote bekannt. Gibt es<br />

derartige Angebote auch für Flotten?<br />

Mir ist auch nur sehr wenig bekannt darüber. Telematik<br />

ist ja schon bei einigen Fuhrparks vorhanden. Einige<br />

Leasinganbieter nutzen dies, um das Thema Fahrtenbuch<br />

einfacher zu machen und um technische Daten zu<br />

übermitteln wie zum Beispiel Reifendruck etc.<br />

Einige Versicherungsgesellschaften haben sich in den<br />

letzten Jahren sehr viel damit beschäftigt und auch Tests<br />

absolviert. Inwieweit das in den nächsten Jahren im<br />

Angebot zu finden ist, bleibt aber abzuwarten.<br />

Autonomes Fahren<br />

wird definitiv<br />

interessant und wird<br />

die Haftpflicht auch<br />

ändern.<br />

das die Kfz-Haftpflicht ändern: weg vom Fahrer bzw.<br />

Halter des Fahrzeuges, hin zum Autobauer?<br />

Hierzu gab es bereits Tagungen, die sich ausschließlich<br />

mit diesem Thema beschäftigt<br />

haben. Autonomes Fahren wird<br />

definitiv interessant und wird die<br />

Haftpflicht auch ändern. Dafür<br />

sorgen mehrere Verantwortliche:<br />

einmal die Hersteller und dann<br />

die Programmierer. Wie die<br />

Rechtsprechung dann genau<br />

aussieht, werden wir leider erst<br />

erfahren, wenn was passiert ist.<br />

Alles andere ist im Moment reine<br />

Spekulation.<br />

Welche Chancen bieten sich Vermittlern mit einer Flottenversicherung<br />

im Angebot?<br />

Es gibt nur einen geringen Teil an Firmen, die überhaupt<br />

Flottenverträge besitzen. Genau hier ergeben sich große<br />

Chancen – angefangen bei kleinen Handwerksbetrieben<br />

bis hin zu Firmen, die weit über 20 Fahrzeuge betreiben.<br />

Wie ich bereits erwähnte, gibt es auch viele Firmen, die<br />

haben ihre Fahrzeuge bei mehreren Gesellschaften<br />

verstreut versichert, je nach Fahrzeugtyp und geschuldet<br />

auch der Prämie. Und dann hat der Versicherungsschutz<br />

leider oftmals noch Deckungslücken. Genau da haben wir<br />

als Vermittler Chancen, ein einfaches Tool in Form einer<br />

Flottenversicherung in die Hand zu geben. Was auch<br />

oftmals dankend angenommen wird.<br />

Ein weiteres Thema, was die Zukunft der gewerblichen<br />

Autoversicherung beschäftigen könnte: autonomes Fahren.<br />

Teststrecken für LKW gibt es bereits in Bayern und<br />

Nordrhein-Westfalen. Wie aktuell ist dieses Thema bei<br />

Ihnen? Erwarten Sie, dass bald Gewerbeflotten vermehrt<br />

autonom unterwegs sind?<br />

Aktuell bei uns noch gar nicht, aber auch wir verfolgen<br />

das Thema intensiv. Ja, definitiv erwarte ich, dass<br />

autonomes Fahren kommt. Die Entwicklung von neuer<br />

Technologie ist so rasant schnell. Es wird definitiv ein<br />

Thema werden. Wann, bleibt natürlich abzuwarten.<br />

Lassen wir uns überraschen.<br />

Mit dem autonomen Fahren könnte die Haftung verstärkt<br />

auf den Autobauer übergehen, wenn zum Beispiel<br />

technische Fehler zu einem Unfall führen. Wird<br />

Und was können Sie jenen Maklern raten, die bisher<br />

noch nicht im Bereich gewerblicher Kfz-Tarife aktiv<br />

sind, aber Flottentarife vermehrt anbieten wollen?<br />

Keine Panik davor zu haben. Unternehmen sind, wenn<br />

man eine vernünftige Arbeit leistet, enorm dankbar. Man<br />

sollte sich aber weiterbilden und ruhig auch mit den<br />

Gesellschaften sprechen. Jede Gesellschaft hat, was den<br />

Gewerbe- und KFZ-Bereich/ Flottenbereich betrifft, ihre<br />

Underwriter und Spezialisten. Hier gilt, sich bei den<br />

Treffen auszutauschen, sich weiterzubilden - und das am<br />

besten noch bei verschiedenen Gesellschaften. Ab einer<br />

gewissen Größe geht es bei der Angebotserstellung<br />

sowieso nur direkt über die Gesellschaft bzw. geht die<br />

Berechnung dann über die Spezialisten. Ebenso gibt es<br />

für Kleinflottentarife schöne Berechnungstools, die<br />

einem da die Arbeit enorm erleichtern.<br />

52


Wo sehen Sie in den kommenden Jahren die größten<br />

Wachstumspotentiale speziell in der Flottenversicherung?<br />

In der steigenden Wirtschaft und dem damit<br />

verbundenen Wachstum der bestehenden Firmen oder<br />

auch der Gründung von neuen Firmen. Nehmen wir<br />

allein den Bausektor. Das Handwerk hat in den letzten<br />

Jahren ein enormes Wachstum hingelegt. Firmen<br />

vergrößern sich und suchen händeringend Personal.<br />

Dementsprechend werden auch mehr Fahrzeuge<br />

angeschafft. Das gleiche gilt für andere Branchen wie<br />

Pflegedienste, Lieferservices usw. Wachstumspotenzial<br />

ist mehr als genug vorhanden.<br />

Die private Kfz-Versicherung ist eine der Versicherungsarten,<br />

die am stärksten über Onlinekanäle verbreitet<br />

werden, neben dem Direktvertrieb vor allem über Vergleichsportale.<br />

Sie sind selbst sehr präsent auf Google.<br />

Warum haben Sie sich für diesen Kanal entschieden und<br />

wie agieren Sie konkret?<br />

die sehr viel über die Vergleichsportale abgewickelt<br />

werden, ist es auch im gewerblichen Bereich eine der<br />

Hauptinformationsquellen für die Unternehmer. Sehr<br />

viele Unternehmer suchen gezielt erst auf Google und<br />

Co. nach Informationen, bevor sie sich entscheiden.<br />

Genau da bieten sich immer wieder neue Chancen. Viele<br />

Maklerkollegen und auch Vermittler sind sich uneinig<br />

mit dem Online-Vertriebsweg. Aber sind wir mit uns<br />

selbst ehrlich: Wenn wir etwas suchen oder uns<br />

informieren möchten, sind die Suchmaschinen nicht<br />

weit, meist sogar der erste Anlaufpunkt. Das gilt für<br />

jeden. Wir müssen uns auch nur anpassen und neben den<br />

Zielen, die wir haben, den Weg wählen und diesen auch<br />

bestreiten, bis wir zum Ziel kommen.<br />

Die Fragen an Rico Schmidt stellte Mirko Wenig<br />

Ja das stimmt. Die Onlinekanäle haben in den letzten<br />

Jahren enorm zugelegt und werden auch noch weiterhin<br />

zunehmen. Neben den privaten Versicherungssparten,


Apothekenversicherung: „Extremfälle<br />

können zu hohen Forderungen führen!<br />

Steffen Benecke<br />

Spezialist für Apothekenversicherungen<br />

In Zeiten, in denen immer mehr „einfache“ Versicherungen über das Internet abgeschlossen<br />

werden, kann es für Versicherungsmakler lohnen, sich auf eine spezielle Zielgruppe mit hohem<br />

Beratungsbedarf zu konzentrieren. Das hat der Hamburger Versicherungsmakler<br />

Steffen Benecke getan: Er versichert erfolgreich Gewerberisiken von Apotheken. Der <strong>Versicherungsbote</strong><br />

sprach mit dem Hansestädter über Apothekenversicherungen und den speziellen<br />

Absicherungsbedarf dieser Berufsgruppe.<br />

<strong>Versicherungsbote</strong>: Herr Benecke, eines Ihrer Steckenpferde<br />

ist – neben anderen – die Apothekenversicherung.<br />

Wie kamen Sie auf dieses Spezialgebiet?<br />

Steffen Benecke: Schon länger war ich auf der Suche<br />

nach einem Bereich, auf den ich mich spezialisieren<br />

könnte, um Effizienzgewinne zu erzielen. Vor allem war<br />

mir wichtig, dass ich eine Affinität zur Zielgruppe habe.<br />

Auch sollte das Beitragsaufkommen zumindest nicht<br />

ganz gering sein. Da schimmerten Medizinberufe<br />

ständig im Hintergrund. Bei Ärzten gibt es jedoch viele<br />

Kollegen, die einen guten Job machen. Heilnebenberufe<br />

wie zum Beispiel Physiotherapeuten zahlen zu wenig<br />

Beitrag.<br />

Dann kam zusammen, dass Kollege Michael Jeinsen das<br />

Buch „Zielgruppenanalyse Apotheken“ geschrieben hat<br />

und wir einen Bestand übernahmen, in dem zumindest<br />

eine Handvoll Apotheken vorhanden war. Das war 2017<br />

die Geburtsstunde. Kollegen, die Apotheken verstehen,<br />

gibt es noch relativ wenige. So stoße ich selten auf ernst<br />

zu nehmende Mitbewerber.<br />

Ich unterstelle mal, dass Apotheken-Policen für viele<br />

andere Makler Neuland sind. Ganz naiv gefragt: Wie<br />

groß ist die Zielgruppe? Beziehungsweise wie viele Apothekenbetreiber<br />

gibt es in Deutschland, die einen entsprechenden<br />

Schutz brauchen?<br />

Es gibt knapp 20.000 Apotheken in Deutschland und gut<br />

400 Apotheken in Hamburg. Dazu kommt für uns als<br />

potentielle Zielgruppe das Hamburger Umland. Wir<br />

haben aber Apotheken in ganz Deutschland versichert:<br />

Ich kann derart genau für die Beratungsleistung fragen,<br />

dass ich hinterher weiß, wie die Apotheke aussieht, ohne<br />

dort gewesen zu sein.<br />

… und wie groß ist -ungefähr- der Markt der bzw. die<br />

Zahl der Anbieter, die spezielle Policen für Apothekenbetreiber<br />

im Portfolio haben?<br />

Das ist schwer abzugrenzen. Manche Gesellschaften<br />

versichern Medikamentenverderb im Kühlschrank,<br />

schreiben „Apotheken“ drüber – und fertig ist das<br />

Spezial-Konzept. Ich behaupte mal, es sind drei<br />

54


Versicherer und ein paar Assecuradeure.<br />

Wo finden Sie Ihre Kundinnen und Kunden für Apotheker-Policen?<br />

Gehen Sie auf spezielle Veranstaltungen?<br />

Werben Sie im Netz bei zielgruppenrelevanten Webseiten?<br />

Können Sie uns verraten, wo und wie Sie die Zielgruppe<br />

ansprechen — und über welche Kanäle?<br />

Das ist multifunktional. Unsere Grundstruktur sind<br />

halbjährliche Vortragsveranstaltungen in Hamburg, das<br />

„Hamburger Apotheken-Forum“. In diesem Zusammenhang<br />

gibt es naturgemäß zahlreiche Telefonate mit<br />

Apothekern, die auch zu Terminen führen. Die<br />

Vortragsabende flankieren wir von Zeit zu Zeit mit<br />

redaktionellen Beiträgen in der<br />

Deutschen Apotheker Zeitung<br />

(DAZ).<br />

Auch über Facebook habe ich in<br />

Gruppen einige Kontakte<br />

geknüpft. Häufig kommen dann<br />

mehrere Punkte zusammen, die<br />

zum Erfolg führen. So habe ich<br />

neulich eine Apotheke versichert,<br />

deren Inhaberin mich in einer<br />

Facebook-Gruppe wohl wahrgenommen<br />

hatte, dennoch aber<br />

ihren Steuerberater und Ihren Mentor nach einem Versicherungsweg<br />

gefragt hatte. Beide antworteten<br />

unabhängig voneinander mit „Steffen“. Wichtig ist bei<br />

allem, dass man auf Augenhöhe mitreden und Mehrwert<br />

bieten kann. Andernfalls antwortet niemand mit<br />

„Steffen“.<br />

Kollegen, die Apotheken<br />

verstehen,<br />

gibt es noch relativ<br />

wenige.<br />

Patient das Medikament schon erhalten hat]. Ein weiteres<br />

spezifisches Risiko sind Unterhaltsansprüche im Zusammenhang<br />

mit der rezeptfreien Abgabe der Pille<br />

danach, die weder ein Personen- noch ein Sachschaden<br />

sind. Ein Kind ist kein Personenschaden.<br />

Ich nehme an, bei der Abgabe von Arzneien können besonders<br />

hohe Haftpflichtschäden auftreten. Geht es<br />

doch im Zweifel um bleibende Personenschäden bei<br />

mehreren Personen. Sind die Schadensforderungen in<br />

diesem Segment besonders hoch? Wie hoch sollte folglich<br />

die Mindestabsicherung sein?<br />

Zum Glück sind solche Schäden relativ selten. Der<br />

Extremfall aber, bei dem zum<br />

Beispiel ein Säugling eine zu hohe<br />

Dosis eines Wirkstoffes bekommt<br />

und lebenslang beeinträchtigt<br />

bleibt, kann zu sehr hohen<br />

Forderungen führen. Häufiger als<br />

das ist es aber der Fall, dass zum<br />

Beispiel jemand versehentlich ein<br />

Schlafmittel bekommt und einen<br />

Arbeitstag verpasst.<br />

Ich empfehle mindestens eine<br />

Absicherung für Haftpflichtschäden<br />

von zehn Millionen Euro. Die Kammern<br />

empfehlen mindestens fünf Millionen.<br />

Apothekenversicherungen sind Kombi-Produkte, die<br />

mehrere Versicherungsarten zusammenfassen. Welche<br />

Bausteine sind typischerweise mitversichert?<br />

Warum genau brauchen Apotheker aus Ihrer Sicht eine<br />

spezielle Apothekenversicherung – oder würde es eine<br />

„normale“ Allround-Gewerbeversicherung auch tun?<br />

Gibt es Risiken, die ausschließlich Apotheker haben und<br />

nur hier mitversichert sind?<br />

Neben Medikamentenverderb im Kühlschrank kommen<br />

einige spezifische Risiken vor, die man identifizieren und<br />

gegebenenfalls versichern muss. Dazu gehören die verschuldensunabhängige<br />

Haftung beim Inverkehrbringen<br />

oder Herstellen von Arzneimitteln und Retaxationen der<br />

Krankenkassen [Anmerk. Redaktion: Bei fehlerhaften<br />

Rezepten, unwirtschaftlich hohen Kosten oder Medikamenten-Fälschungen<br />

können Krankenkassen die Erstattung<br />

eines Medikamentes verweigern und Apotheker<br />

selbst dann für die Kosten in Regress nehmen, wenn der<br />

Richtig. Meistens sind es Multirisk-Policen, die<br />

zumindest die Haftpflicht- und die Inhaltsversicherung<br />

zusammenfassen. Manchmal lassen sich Transportrisiken<br />

oder eine Hersteller-Haftpflicht dazu wählen. Oder die<br />

Betriebsschließungsversicherung, falls Behörden zum<br />

Beispiel aufgrund meldepflichtiger Krankheitserreger in<br />

einer Apotheke deren vorübergehende Schließung<br />

anordnen.<br />

Gibt es Leistungspunkte, die aus Ihrer Sicht für eine<br />

Apothekerversicherung besonders wichtig sind? Worauf<br />

sollten potentielle Neukunden achten?<br />

Da die Sachwerte regelmäßig sehr hoch sind, sollte der<br />

Bedingungstext aus Sicht des Versicherungsnehmers gut<br />

formuliert sein. Eingeschränkte Kürzungsmöglichkeiten<br />

55


ei grober Fahrlässigkeit, Unterversicherungsverzicht<br />

oder auch – wegen der häufig historischen<br />

Einrichtungen – die „goldene Regel“, dass für<br />

Gegenstände im Gebrauch konsequent der Neuwert<br />

ersetzt wird, finde ich wichtig. Ansonsten siehe die<br />

oben bereits angesprochenen Risiken: Unterhaltsansprüche<br />

etc …<br />

Apotheken dürfen meines Wissens in bestimmtem Umfang<br />

auch selbst Arznei mischen oder herstellen, was zu<br />

zusätzlichen Haftungsrisiken führen kann im Vergleich<br />

zu fertigen Produkten. Müssen jene, die das betreiben,<br />

einen extra Schutz hierfür abschließen? Oder ist das<br />

auch bei den Apotheken-Policen typischerweise mit<br />

enthalten?<br />

Die Frage ist wichtig. Für bestimmte Sachverhalte ist der<br />

Apotheker verpflichtet, als pharmazeutischer<br />

Unternehmer eine im Arzneimittel-Gesetz definierte<br />

Deckungsvorsorge zu betreiben.<br />

In diesen Fällen gilt eine verschuldensunabhängige<br />

Haftung mit Höchsthaftungssummen von 120 Millionen<br />

Euro in Summe beziehungsweise 600.000 Euro je<br />

geschädigte Person, die versichert sein müssen. Obwohl<br />

das Höchsthaftungssummen sind, sprengen sie natürlich<br />

jede Betriebshaftpflichtdeckung. Zudem formuliert die<br />

Betriebshaftpflichtversicherung einen entsprechenden<br />

Ausschluss. Die hohen Deckungssummen werden über<br />

den „Pharma-Pool“ rückversichert.<br />

Welchen Schutz brauchen Apotheker darüber hinaus,<br />

wenn sie eine eigene Apotheke eröffnen? Vielleicht,<br />

weil Apothekenversicherungen hier keine oder nur eine<br />

lückenhafte Absicherung bieten?<br />

Abschluss: Wo sehen Sie den Apotheker in 20 Jahren?<br />

Und wo den Versicherungsmakler?<br />

Ich denke, dass die Vor-Ort-Apotheken ebenso wie die<br />

Vor-Ort-Makler ausreichend Fans behalten werden, die<br />

die persönliche Beratung und den Kontakt schätzen.<br />

Einen Vorteil, den ich ausmache, ist außerdem, dass die<br />

Kunden durch das Internet besser informiert zur<br />

Beratung kommen und im Idealfall die richtigen Fragen<br />

stellen.<br />

Einen Unterschied in der Entwicklung zu Lasten der<br />

Apotheker mache ich jedoch auch aus. Der Apotheker<br />

leidet darunter, dass das einfache Geschäft vermehrt im<br />

Internet stattfindet, während bei ihm die aufwändige<br />

Herstellung und der Notdienst hängen bleiben, die nicht<br />

ausreichend entlohnt werden. Bei uns Versicherungsmaklern<br />

geht ebenfalls das einfache Geschäft vermehrt<br />

über das Internet.<br />

Von komplizierten Schadensfreiheitsrabatt-Konstruktionen<br />

bei Kfz-Versicherungen mal abgesehen, wird bei<br />

uns das anspruchsvolle Geschäft im Regelfall gut bezahlt.<br />

Wenn ein Kunde seine Kfz-Versicherung im Internet<br />

abschließt, habe ich 30 Euro weniger, kann in der<br />

eingesparten Zeit aber eine Apotheke versichern.<br />

Die Fragen an Steffen Benecke<br />

stellte Mirko Wenig<br />

Da Gesundheitsdaten im Darknet teuer gehandelt<br />

werden und die Zahl der Einfallstore für Angriffe über<br />

das Internet zunimmt, empfehle ich eine Cyber-Police.<br />

Rechtsschutz ist besonders sinnvoll – auch, weil<br />

Apotheker eher mal in ein teures Strafverfahren<br />

verwickelt werden können als andere Berufsgruppen.<br />

Vertreterkosten oder Betriebsschließung lassen sich<br />

ebenfalls versichern.<br />

Man könnte sagen, Apotheker und Makler teilen ein<br />

ähnliches Schicksal: beide müssen sich auf die zunehmende<br />

Digitalisierung einstellen und erhalten mächtige<br />

Konkurrenz durch den Online-Vertrieb, so dass persönliche<br />

Beratung vakant wird. Zwei kurze Statements zum<br />

56


Berufung Pferd: Pferdebetriebe richtig<br />

versichert<br />

Dr. Felix Garlipp<br />

Abteilungsleiter landwirtschaftliches Spezialgeschäft<br />

bei den Uelzener Versicherungen<br />

Der Umgang mit dem Pferd im Berufsleben ist mit viel Verantwortung verbunden. Die Sicherheit<br />

von Mensch und Pferd liegt bei der täglichen Arbeit im Fokus. Eine kleine Unachtsamkeit<br />

kann bereits zu einem Unfall führen, der im schlimmsten Fall die Arbeitsunfähigkeit oder den<br />

finanziellen Ruin bedeuten kann. Dr. Felix Garlipp, Abteilungsleiter landwirtschaftliches Spezialgeschäft<br />

bei den Uelzener Versicherungen, klärt über Haftungsrisiken sowie Versicherungen<br />

für den Ernstfall auf.<br />

Risiko Tierhüter: Haftung im Pferdeberuf<br />

Die Tierhalterhaftung ist vom Gesetzgeber als<br />

Gefährdungshaftung konzipiert. Der Gesetzgeber geht<br />

davon aus, dass allein die Haltung eines Tieres mit<br />

bestimmten Gefahren verbunden ist, für die der<br />

Tierhalter einzustehen hat. Die Gefährdungshaftung tritt<br />

auch dann ein, wenn dem Halter ein Verschulden nicht<br />

nachzuweisen ist.<br />

Pferdebetriebe sind bei der Ausübung ihrer Arbeit an<br />

ähnliche Regeln gebunden wie ein Tierhalter.<br />

Unabhängig davon, welche Leistungen in einem<br />

Einstellervertrag vereinbart wurden, wird der Betrieb ab<br />

Beginn der Unterbringung des Pferdes zum Tierhüter.<br />

Der Tierhüter – also der Pensionsstallbesitzer – ist<br />

ebenfalls unter bestimmten Umständen für einen<br />

Schaden verantwortlich, den ein bei ihm eingestelltes<br />

Pferd verursacht. Sobald Pensionspferde aus dem Stall<br />

oder aus der Koppel ausbrechen und einen Unfall<br />

verursachen, können Haftpflichtansprüche sowohl an<br />

den Pferdebesitzer als auch an den Betrieb gestellt<br />

werden.<br />

Der Tierhüter haftet jedoch aus einem vermuteten<br />

Verschulden, das heißt, er kann einen Entlastungsbeweis<br />

führen. Bei einem durch das eingestellte Pferd verursachten<br />

Schaden wird er dann darlegen und beweisen<br />

müssen, dass er dieses sorgfältig und ordnungsgemäß<br />

beaufsichtigt und untergebracht hat. Gelingt dieser<br />

Entlastungsbeweis, an den strenge Anforderungen<br />

gestellt werden, nicht, dann haftet er.<br />

Blick in die Praxis: Boxentür nicht verriegelt<br />

Jeden Nachmittag holt der Betriebsinhaber die<br />

Pensionspferde von der Weide. Im Stall wird er von<br />

einem Kunden angesprochen und abgelenkt – er vergisst,<br />

die Boxentür richtig zu verriegeln. Einige Stunden später<br />

öffnet das Pferd die Tür, verlässt den Stall und trabt über<br />

einen Fahrradweg. Ein Radfahrer erschreckt sich und<br />

kommt zu Fall. Das Pferd kann unbeschadet wieder<br />

eingefangen werden.<br />

Die Krankenversicherung des Fahrradfahrers will die<br />

Behandlungskosten von 5.000 Euro erstattet haben. Dazu<br />

57


kommen Schmerzensgeldansprüche des Radfahrers von<br />

3.000 Euro und 7.000 Euro für den Verdienstausfall.<br />

Es wird recherchiert und schnell ist klar, dass die Tür<br />

nicht richtig verschlossen war. Der Pferdebetrieb muss<br />

haften und die Gesamtkosten von 15.000 Euro tragen.<br />

Welche Versicherung deckt das Risiko?<br />

Für Pferdebetriebe (Pensionsställe) ist es entscheidend,<br />

eine Betriebshaftpflichtversicherung speziell für diese<br />

Risiken abzuschließen. Sie schützt den Pferdebetrieb<br />

nicht nur vor finanziellen Belastungen. Bei einer<br />

Haftpflichtversicherung genießt der Versicherungsnehmer<br />

auch finanziellen Schutz bei Streitigkeiten.<br />

Neben Prüfungen und Regulierung von Leistungsansprüchen<br />

wehrt die Versicherung auch unberechtigte<br />

Forderungen ab. Besonders im Ernstfall – wie im<br />

Praxisbeispiel – vertreten Experten die Rechte des<br />

Pensionsstalles. Und kommt es zu einer Gerichtsverhandlung,<br />

agiert ein Haftpflichtversicherer ähnlich<br />

wie ein Rechtsschutzversicherer.<br />

Risiko: Unterschätze Gefahr im Pensionsstall<br />

Pensionsstallbesitzer können aber auch für verletzte oder<br />

gar verunglückte Pferde haften. Sie sind für das Wohlergehen<br />

der in Verwahrung genommenen Pferde<br />

verantwortlich. Pferdebesitzer können sich folglich mit<br />

Ansprüchen an den Stallbesitzer wenden und die Kosten<br />

einer tierärztlichen Behandlung des Pferdes – bei Tod des<br />

Pferdes den Wert des Lieblings – vom Stallinhaber<br />

zurückverlangen.<br />

Pferdestallbesitzer alle gesetzlichen Vorschriften<br />

einhalten. Sogenannte Obhutsschäden – also Schäden am<br />

Pensionspferd – sollten sinnvoll abgesichert werden.<br />

Ertragsausfall bei Pferdebetrieben<br />

Das Zusammentreffen vieler Pferde birgt auch Gefahren<br />

für ihre Gesundheit. Die Ansteckungsgefahr mit einer<br />

Pferdeseuche oder mit übertragbaren Krankheit wie<br />

beispielsweise Herpes und Druse ist besonders bei<br />

wechselndem Pferdebestand erhöht. Eine infektiöse<br />

Pferdekrankheit kann auch erhebliche finanzielle Folgen<br />

für Reitställe mit sich bringen. Was bedeutet das? In<br />

einem Ausbildungsstall mit zwölf Pferden kommen pro<br />

Monat drei neue junge Pferde hinzu. Anfang des Monats<br />

wird durch ein neues Pferd Herpes in den Stall getragen.<br />

Aufgrund der vorbeugenden Maßnahmen und<br />

Quarantänezeiten bleiben die neuen Pferde aus. Es<br />

entsteht ein Ertragsschaden von 2.500 Euro pro Monat.<br />

Eine Absicherung gegen den Ertragsausfall kann hier eine<br />

Ergänzung zur dringend empfohlenen Betriebshaftpflicht<br />

sein. Pferdebetriebe können sich gegen<br />

Ertragsausfall absichern, wenn der Umsatzeinbruch in<br />

Folge einer anzeigepflichtigen Pferdeseuche, Druse oder<br />

Herpes erfolgt. Bei gänzlicher oder teilweiser<br />

Unterbrechung des versicherten Betriebs wird der<br />

dadurch entstandene Ertragsschaden ersetzt.<br />

Ein Gastkommentar von Felix Garlipp<br />

Häufig unterschätzte Gefahr ist der bauliche Mangel.<br />

Wird beispielsweise ein Pensionsstall gepachtet, muss<br />

vom Pächter Sorge getragen werden, dass alle<br />

Vorschriften eingehalten werden. Das Pensionspferd<br />

bezieht die Pferdebox. Am nächsten Morgen findet der<br />

Mitarbeiter das Pferd liegend auf dem Boden. Es hat sich<br />

in der Nacht ein Bein gebrochen. Der Tierarzt kann es<br />

nur noch erlösen und einschläfern. Ursache für den Bruch<br />

soll ein zu großer Spalt zwischen Stalltür und Fußboden<br />

sein. Dies bestätigt im Folgenden auch ein<br />

Sachverständiger. Der Pensionsstallpächter hätte diesen<br />

baulichen Mängel vor Bezug eines Pferdes beseitigen<br />

müssen. Er muss für den Verlust des Pferdes und die<br />

Kosten des Tierarztes aufkommen.<br />

Achtung: Bauliche Mängel sind nicht nur Ursachen bei<br />

gepachteten Betrieben. Bei Umbauten muss der<br />

59


Wir haben über 300 Coworking-Spaces<br />

in Deutschland!<br />

Armin Molla<br />

Gründer von mailo<br />

Der Versicherer mailo hat gemeinsam mit dem Coworking-Space Orangery eine spezielle Gewerbeversicherung<br />

für Coworker entwickelt. Was sich hinter dieser neuen Art der Arbeitsorganisation<br />

verbirgt und warum man dafür einen speziellen Schutz benötigt, darüber sprach der<br />

<strong>Versicherungsbote</strong> mit mailo-Gründer Armin Molla sowie mit Sandra Santana Herbst, PR- und<br />

Communication- Managerin bei Orangery.<br />

<strong>Versicherungsbote</strong>: Sie haben mit der Orangery eine<br />

Kooperation abgeschlossen, um eine Gewerbeversicherung<br />

für Coworker abzuschließen. Können Sie diese<br />

kurz vorstellen: An wen richten sich diese Policen?<br />

Armin Molla (mailo): Seit der Gründung von mailo ist<br />

das, was wir „neue Berufswelt“ nennen, eine wesentliche<br />

strategische Zielgruppe. Unter „neuer Berufswelt“<br />

verstehen wir zum Beispiel Freelancer, Selbständige,<br />

Unternehmer, Youtuber, Blogger und Influencer. Viele<br />

dieser Zielkunden arbeiten von einem Coworking-Space<br />

aus. Die Tatsache, dass es für diese Coworker noch keine<br />

passgenaue Versicherungslösung auf dem Markt gab, hat<br />

uns dazu veranlasst, genau diese zu entwickeln und<br />

inzwischen erfolgreich anzubieten.<br />

Können Sie Orangery bitte kurz vorstellen? Die Hildesheimer<br />

beschreiben sich als „Ökosystem für Start-ups,<br />

Freelancer und Unternehmen“. Wie kamen Sie auf diesen<br />

Partner?<br />

Sandra Santana Herbst (Orangery): Die Orangery<br />

liefert ein Ökosystem, das sich flexibel an die<br />

Bedürfnisse unserer Mitglieder anpasst. Es ermöglicht<br />

Gründern, auch in ländlichen Gebieten die<br />

Infrastruktur zu nutzen, die sie für ihr Start-up<br />

benötigen. Aus diesem Grund haben wir es uns zum Ziel<br />

gemacht, in ganz Deutschland Standorte der Orangery<br />

zu eröffnen.<br />

Wir geben Inspiration einen Raum – in unserem<br />

Coworking-Space und in unserer Community. Bei uns<br />

treffen Querdenker aufeinander, entwickeln innovative<br />

Ideen und wachsen gemeinsam an ihren Projekten. Wir<br />

gehen neue Wege, brechen alte Strukturen auf, gestalten,<br />

transformieren und schaffen Platz für Kreativität.<br />

Die Orangery befähigt Gründer und etablierte<br />

Unternehmen dazu, ihre Visionen zu verwirklichen und<br />

Möglichkeitsräume zu entdecken. Wir bringen Talent<br />

und Technologie zusammen, um Probleme zu lösen und<br />

bedeutungsvolle Ergebnisse zu erzielen.<br />

Ob nun bei der Suche nach einem geeigneten<br />

Finanzierungspartner oder der passenden Strategie für<br />

die digitale Transformation – in der Orangery erhält jeder<br />

die Qualifikation und die Unterstützung, die er benötigt.<br />

60


Sandra Santana Herbst<br />

PR- und Communication-Managerin bei Orangery<br />

Armin Molla: Mit der Orangery Hildesheim kam ein<br />

Coworking-Space auf uns zu und suchte einen<br />

Versicherer. Und so haben wir mit der Orangery ein<br />

gemeinsames Projekt gestartet.<br />

… warum braucht es für Coworking überhaupt einen<br />

speziellen Schutz? Was sind „typische“ Risiken, die speziell<br />

Coworker haben?<br />

Armin Molla: Das besondere bei Coworkern ist das<br />

Umfeld, in dem sie arbeiten – der Coworking-Space. Für<br />

unsere Absicherung haben wir uns die Lösung der<br />

Hausratversicherung für Wohngemeinschaften als<br />

Vorbild genommen, da diese sehr viele Parallelen<br />

aufweist. Auf genau diese Besonderheiten, die beide<br />

Konzepte bieten, geht unsere Versicherung ein.<br />

Haben Sie Zahlen/ Eindrücke, wie verbreitet Coworking<br />

mittlerweile ist? Was sind Vorteile des Coworkens?<br />

Armin Molla: Für junge Unternehmer und Freelancer<br />

bietet das Coworking viele Vorteile. Man kann sehr<br />

flexibel arbeiten. In Coworking-Spaces ist alles<br />

vorhanden, was man zum Arbeiten braucht: WLAN,<br />

Strom, die Büroausstattung – man muss sich selbst um<br />

nichts kümmern. Darüber hinaus ist es für die Coworker<br />

sehr kostengünstig.<br />

Sandra Santana Herbst (Orangery): Laut einer Studie<br />

werden im Jahr 2022 weltweit 5.100.000 Menschen in<br />

einem Coworking-Space arbeiten. Und bislang haben<br />

wir über 300 registrierte Coworking-Spaces (Tendenz<br />

steigend!) in Deutschland. Dabei unterscheiden sich die<br />

vielen Coworking-Spaces in Größe, Standort, Preis und<br />

der Community.<br />

Wie kamen Sie auf die Idee, speziell für das Coworking-<br />

Modell Versicherungsschutz zu entwickeln? Durch<br />

Kontakt mit Startups und Menschen, die im Coworking<br />

arbeiten? Vielleicht auch, weil Sie selbst bei mailo derart<br />

arbeiten?<br />

Armin Molla: Wie schon erwähnt, kam die Orangery<br />

Hildesheim auf uns zu, da sie einen Versicherer für ihre<br />

Coworking-Arbeitsplätze benötigte. In der Produktentwicklung<br />

haben wir dann die Erfahrungen und das<br />

Know-How im Bereich des Coworkings der Orangery<br />

nutzen können. In dem Zusammenhang hatten wir<br />

Workshops im Coworking-Space der Orangery in<br />

Hildesheim. Darüber hinaus haben wir intensive<br />

Einzelinterviews mit den dort ansässigen Coworkern<br />

geführt und eine Befragung bei hunderten Coworkern<br />

gemacht. Dazu haben wir die Methoden des Design<br />

Thinkings angewandt. Das Zusammenspiel der einzelnen<br />

Maßnahmen ist die Grundlage der heutigen<br />

Versicherungslösung für Coworker gewesen und hat das<br />

Produkt optimieren können.<br />

61


Sandra Santana Herbst (Orangery): Wir sind auf mailo<br />

zugegangen, weil wir durch das Arbeiten in dieser neuen<br />

Arbeitswelt viele Lücken erkannt haben und für vollen<br />

Versicherungsschutz sorgen wollten.<br />

Start-ups und die einzelnen Coworker haben gerade am<br />

Anfang ihrer Karriere geringe finanzielle Mittel – wenn<br />

es da mal zu einem Schaden kommt, besteht nicht selten<br />

Existenznot.<br />

Haben Sie Defizite bei bestehenden Gewerbepolicen<br />

beobachtet? Lücken, die speziell bei Cowork-Modellen<br />

ein Risiko bedeuten können?<br />

Armin Molla: Gerade die spezielle Risikosituation in<br />

einem Coworking-Space, der ja nicht nur vom<br />

Versicherungsnehmer oder mit seinem Zutun betreten<br />

werden kann, ist in den meisten Gewerbepolicen nicht<br />

oder nur unzureichend unterzubringen. Eine besonders<br />

wichtige Deckung ist der Schutz der mobil eingesetzten<br />

Elektronik, da diese meist den größten Wert für den<br />

Coworker darstellt.<br />

das auch, dass sich die Gewerbeversicherung als Sparte<br />

ändert?<br />

Armin Molla: Das lässt sich schwer sagen. Sicherlich<br />

wird Coworking und interdisziplinäre Arbeit zwischen<br />

den heute definierten Berufsarten zunehmen. Das<br />

zwingt auch andere Versicherungen, neue Lösungen zu<br />

entwickeln.<br />

Start-ups und junge Unternehmen sind oft auf externe<br />

Geldgeber angewiesen, um überhaupt eine Anschubfinanzierung<br />

zu haben. Die finanziellen Ressourcen sind<br />

oft vakant. Versichern Sie auch dieses Risiko, dass also<br />

Geldgeber das Geld „verbrennen“ oder in Projekte stecken,<br />

die sich finanziell doch nicht auszahlen?<br />

Armin Molla: Nein.<br />

Das Interview mit Armin Molla und<br />

Sandra Santana Herbst führte Mirko Wenig<br />

… daran anknüpfend: Worauf sollten Coworker bei einer<br />

Gewerbeversicherung achten? Vielleicht auch,<br />

wenn sie eine „normale“ Gewerbepolice zeichnen?<br />

Armin Molla: Erstmal ist es wichtig, sich möglichst<br />

frühzeitig um einen adäquaten Versicherungsschutz zu<br />

bemühen. Es empfiehlt sich außerdem, eine für seine<br />

Zielgruppe passende Lösung zu suchen und nicht<br />

irgendeine „Standard-Gewerbepolice“ abzuschließen.<br />

Bei der Suche kann immer auch ein Makler eine gute<br />

Unterstützung sein.<br />

Erfordert eine Coworking-Police auch eine neue Definition<br />

von Betrieb/ Firma und Arbeitsort? Zum Beispiel,<br />

weil man eben oft an verschiedenen Orten tätig<br />

ist, vielleicht sogar im Homework?<br />

Armin Molla: Gerade für einen neuen Beruf bzw. eine<br />

Art, diesen auszuüben, ist es wichtig, eine korrekte<br />

Definition der Tätigkeit und des Arbeitsorts zu<br />

verwenden. Für den Coworker passt eine starre<br />

Definition des Versicherungsorts nicht, da er z. B. seinen<br />

Laptop im Home-Office, aber auch im Coworking-<br />

Space oder unterwegs einsetzt.<br />

Wird Coworking aus Ihrer Sicht „etablierte“ Formen<br />

des Arbeitens nach und nach verdrängen? Erfordert<br />

62


PKV: „Das Thema Anwartschaften<br />

gehört zu einer Beratung dazu!“<br />

Gerd Güssler<br />

Geschäftsführer bei Kvpro.de<br />

Eine Anwartschaftsversicherung kann die Rückkehr in einen Tarif der privaten Krankenversicherung<br />

sichern: ohne neue Gesundheitsprüfung. Gerade für Studierende und Überbrücker<br />

eine willkommene Option. Was es dabei zu beachten gibt, wann sie Sinn macht und ob verschwiegene<br />

Rückkehr-Optionen ein Haftungsrisiko bedeuten, erklärt PKV-Experte<br />

Gerd Güssler, Geschäftsführer bei Kvpro.de GmbH, im Interview.<br />

<strong>Versicherungsbote</strong>: Studierende und andere „Überbrücker“<br />

können sich mit einer Anwartschaftsversicherung<br />

ein Rückkehrrecht in die PKV sichern. Vielleicht eine<br />

Erfahrung aus Ihrer Beratungspraxis: Wie oft spielt dieses<br />

Thema eine Rolle? Sprechen Sie die Kundinnen und<br />

Kunden selbst aktiv darauf an - oder wissen vielleicht<br />

viele gar nicht, dass es diese Option gibt?<br />

Gerd Güssler: Für Studierende, die bereits privat<br />

versichert sind und jetzt durch das Studium pflichtig<br />

werden, lohnt es, sich über eine Anwartschaftsversicherung<br />

Gedanken zu machen, um den<br />

Gesundheitszustand einzufrieren. Wichtig zu beachten<br />

ist, dass die Anwartschaft für einen bestimmten Ziel-<br />

Tarif gilt. Daher: Stelle Dich heute so, wie wenn Du<br />

heute eine PKV-Vollversicherung kaufen würdest und<br />

kaufe dafür die Anwartschaft. Das kann, muss aber nicht<br />

der bisherige Tarif sein. Das kann auch eine Anwartschaft<br />

bei einem künftigen anderen Unternehmen sein.<br />

Auch das Alter einzufrieren ist eine Frage des Beitrags<br />

und ob Mann/ Frau sich das leisten möchte.<br />

Der Beitrag für die große Anwartschaft liegt meist um<br />

die 40 bis 50 Prozent des Tarifbeitrages, die Kleine bei<br />

circa 20 Prozent.<br />

Es wird zwischen großer und kleiner Anwartschaft unterschieden:<br />

die kleine sichert die Rückkehr ohne neue<br />

Gesundheitsprüfung, die große auch das Eintrittsalter,<br />

das quasi eingefroren wird sowie die Alterungsrückstellungen.<br />

Wovon hängt es ab, wofür man sich entscheiden<br />

sollte? Und wie sehr klaffen die Kosten für beide Varianten<br />

auseinander?<br />

Die kleine Anwartschaft kostet circa 20 Prozent des<br />

Tarifbeitrages aus ambulant, stationär und Zahn des<br />

gewünschten Zieltarifs. Die Kosten für die grosse<br />

Anwartschaft liegen hingegen bei ca. 40 bis 50 Prozent<br />

des gewählten Tarifs.<br />

Insoweit ist eine mögliche Strategie:<br />

Suche den künftigen Zieltarif mit heutigem Alter (zum<br />

Beispiel Eintrittsalter 20 Jahre und Monatsbeitrag<br />

300 Euro).<br />

Nehme den Beitrag des gleichen Tarifs zum möglichen<br />

Studienende, also ein höheres Eintrittsalter (zum<br />

63


Beispiel Eintrittsalter 30 Jahre und Monatsbeitrag<br />

500 Euro).<br />

Und jetzt rechne modellhaft Beispiel (1):<br />

Was investiere ich an Beitrag, bis ich 65 Jahre alt bin?!<br />

Bei Alter 20 (und ab 21 dann mit der Alterungsrückstellung)<br />

Beitrag 300* mal 12 mal 45 sind 162.000 und bei<br />

Alter 30 Beitrag 500* mal 12 mal 35 sind 210.000.<br />

Differenz 48.000 Euro mehr an Beitrag bei 10 Jahre<br />

späterem Eintritt. Die große Anwartschaft kostet<br />

50 Prozent aus 300* das sind 150 Euro mal 12 mal 10 also<br />

18.000. Dafür erkaufe ich mir das Einfrieren des<br />

Gesundheitszustandes, den früheren Beginn des<br />

Aufbaus an Alterungsrückstellungen und den<br />

günstigeren Beitrag einer/s Zwanzigjährigen. Eine<br />

Ersparnis von 30.000 Euro.<br />

Jetzt stelle ich den Mehrbeitrag<br />

mit späterem Eintrittsalter (ab<br />

30) dem Beitrag für die große<br />

Anwartschaft gegenüber und<br />

entscheide. Und beantworte mir<br />

die Frage, ob ich mir diese<br />

Strategie leisten möchte. Wähle<br />

ich die kleine Anwartschaft,<br />

dann habe ich ca. 20 Prozent aus<br />

300 Euro – das sind 60 Euro für<br />

das Einfrieren des Gesundheitszustandes.<br />

Jedoch fällt beim<br />

Aktivieren der dann gültige höhere Beitrag zum dann<br />

gültigen Eintrittsalter an. Das kann bei kurzen Zeiten<br />

zwischen Anwartschaft und Versicherungsbeginn Sinn<br />

machen.<br />

*Ersetze 300 und 500 mit dem tatsächlichen Beitrag.<br />

(1) Die Zahlen sind modellhaft fiktiv und zeigen nur den<br />

Gedankengang.<br />

Worauf gilt es bei einer Anwartschaftsversicherung zu<br />

achten? Gibt es Fallstricke in manchen Verträgen, so<br />

dass dann eine Rückkehr in den Tarif eben nicht ohne<br />

neue Hürden möglich ist: zum Beispiel Wartezeiten?<br />

Es sind die Obliegenheiten zu erfüllen. Meist muss<br />

innerhalb von zwei Monaten reagiert werden und die<br />

Anwartschaft aktiviert werden, wenn zum Beispiel zum<br />

Ende des Studiums ein Wechsel in die PKV möglich ist.<br />

Wenn die Option nicht aktiviert wird, verfällt die<br />

Anwartschaft und dann war die ganze Aktion umsonst.<br />

Daher ein dickes gelbes Post-It an die Kühlschranktür.<br />

64<br />

Denn das eine sind<br />

Gesetze und<br />

Vorschriften, das andere<br />

die Menschen,<br />

die sie umsetzen,<br />

interpretieren und<br />

wahrnehmen.<br />

Gibt es Situationen, in denen eine Anwartschaftsversicherung<br />

aus Ihrer Sicht keinen Sinn macht?<br />

Wenn von Anfang an klar ist, dass es keine Option für<br />

eine private Krankenversicherung nach Studien-/<br />

Ausbildungsende geben wird. Sonst gilt es, den<br />

Einzelfall im Gespräch zu erörtern.<br />

Würden Sie Maklern raten, das Thema Anwartschaftsversicherung<br />

im Beratungsgespräch aktiv anzusprechen?<br />

Lauern gar Haftungsfallen, wenn man es nicht tut<br />

und der Versicherte seinen PKV-Schutz zu den alten<br />

Bedingungen „verliert“?<br />

Grundsätzlich sind Versicherungsmakler, wenn Sie<br />

einen Beratungsbedarf erkennen,<br />

Sachwalter. Daraus folgt: Sie<br />

müssen den Kunden ansprechen<br />

und hinweisen. Das sagt schon<br />

das Sachwalterurteil [BGH,<br />

Urteil vom 22.05. 1985, Az.: IVa<br />

ZR 190/83 – Anmerkung<br />

Redaktion]. Makler müssen<br />

jedoch nicht mit der Glaskugel<br />

am Schreibtisch sitzen und<br />

Gedanken erahnen. Oder nicht<br />

gesätes Gras wachsen hören. Sie<br />

werden jedoch als Sachwalter des<br />

Kunden auf die Möglichkeiten<br />

hinweisen, wenn Sie Sachverhalte erfahren, die eine<br />

Beratungspflicht auslösen. Und da gehört das Thema<br />

Anwartschaften ganz normal dazu.<br />

Macht aus Ihrer Sicht auch eine GKV-Anwartschaftsversicherung<br />

Sinn, die die Rückkehr zu einer Krankenkasse<br />

ermöglicht? Wann?<br />

Sobald sich jemand ins Ausland begibt – auch innerhalb<br />

Europas - ist es zur Sicherung des Status „Ich war GKV“<br />

eine Empfehlung und ratsam. Zwar ist die Anwartschaftsversicherung<br />

– auch aufgrund der Versicherungspflicht<br />

– nicht mehr zwingend notwendig, jedoch für<br />

den Nachweis „Ich war GKV“ hilfreich. Hier gilt es, sich<br />

am besten schriftlich die Rückkehroption von seiner<br />

Krankenkasse bestätigen zu lassen. Denn das eine sind<br />

Gesetze und Vorschriften, das andere die Menschen, die<br />

sie umsetzen, interpretieren und wahrnehmen. Klingt<br />

jetzt erst mal nicht vertrauenserweckend und logisch.<br />

Doch geht es hier für den Kunden darum, dass, wenn er<br />

zum Beispiel krank ist, er seiner Pflicht sich zu


versichern trotzdem fristgerecht nachkommen und seinen<br />

letzten Status nachträglich beweisen muss für die<br />

Annahme in einer GKV. Und nach unter Umständen<br />

zehn oder 15 Jahren kann das ziemlich aufwendig werden.<br />

Wer berufsunfähig wird, kann den Anspruch auf Krankentagegeld<br />

verlieren: obwohl er vielleicht doch irgendwann<br />

in den Beruf zurückkehren kann. Auch hier<br />

sind Anwartschaften möglich. Sollten Versicherte<br />

davon Gebrauch machen und Makler dies ansprechen?<br />

Worauf sollten privat Krankenversicherte noch mit<br />

Blick auf eine mögliche Berufsunfähigkeit achten?<br />

Hier ist eine Anwartschaftsversicherung erst recht von<br />

Vorteil, um das Aufleben der PKV nach Gesundung<br />

wieder zu ermöglichen. Nach den Allgemeinen<br />

Vertragsbedingungen hat der Kunde zwar das<br />

grundsätzliche Recht, auch eine Anwartschaft für das<br />

Krankentagegeld abzuschließen, wenn die Aussicht auf<br />

Wiedereintritt in die Arbeitswelt besteht. Doch die<br />

Frage ist: Wer bestimmt darüber, ob die<br />

Erwerbstätigkeit wieder möglich wird? Wer hier beim<br />

Kauf der PKV auf die gesamte Qualität geachtet hat, hat<br />

Vorteile. Denn wenn im Leistungsfall viele Eigenleistungen<br />

- egal welche - zu erbringen sind, um<br />

Leistungen zu erhalten, kann das mühsam bis existentiell<br />

werden.<br />

Aktuell werden Anwartschaftsversicherungen auch für<br />

Berufsunfähigkeits-Policen diskutiert, wenn auch nach<br />

einem etwas anderen Modell: Eltern sollen sie für Kinder<br />

und Schüler abschließen und damit den Gesundheitszustand<br />

für später „einfrieren“, um kostengünstig<br />

eine BU abschließen zu können. Was halten Sie von einem<br />

solchen Modell? Wäre es aus Ihrer Sicht überhaupt<br />

machbar/ kalkulierbar?<br />

Alles, was Menschen den Zugang zu Policen ermöglicht,<br />

die existentiell sind, wie zum Beispiel Policen rund um<br />

die Arbeitskraftabsicherung, ist mehr als sinnvoll! Das<br />

lässt sich nach versicherungsmathematischen<br />

Grundsätzen berechnen. Doch auch hier würde gelten:<br />

Wähle dort, wo Du später kaufen willst.<br />

Die Fragen an Gerd Güssler stellte Mirko Wenig


Ist die Familienversicherung<br />

für<br />

Studenten die<br />

bessere Lösung?<br />

Daniel Feulner<br />

Abteilungsleiter PKV bei der Invers<br />

Sich als Studentin oder Student gesetzlich oder privat versichern? Wer sich in einer Universität<br />

oder Fachhochschule einschreibt, muss diese Entscheidung innerhalb von drei Monaten<br />

nach Immatrikulation treffen – keine lange Zeit für eine derart wichtige Entscheidung. Der<br />

<strong>Versicherungsbote</strong> sprach mit Daniel Feulner, Abteilungsleiter PKV beim Leipziger Maklerpool<br />

Invers, was er den angehenden Studierenden raten würde.<br />

<strong>Versicherungsbote</strong>: Studierende haben die Möglichkeit,<br />

in den ersten drei Monaten nach Immatrikulation einen<br />

Antrag auf Befreiung von der gesetzlichen Versicherungspflicht<br />

zu stellen. Sie können sich dann privat versichern.<br />

Was sollten Studierende beachten, wenn sie sich<br />

für diesen Schritt entscheiden wollen?<br />

Daniel Feulner: Für alle Studierenden gilt grundsätzlich:<br />

Sie müssen krankenversichert sein. Zunächst werden sie<br />

der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)<br />

zugeordnet. Aber zugleich haben Studierende einmalig<br />

zu Beginn des Studiums die Wahl, sich von der<br />

Versicherungspflicht befreien zu lassen und in der<br />

privaten Krankenversicherung (PKV) zu versichern. Das<br />

können alle Studierende machen und nicht nur<br />

diejenigen, die bereits vorher privat versichert waren.<br />

Wenn Studierende in die PKV wechseln möchten oder<br />

in dieser bleiben wollen, müssen sie spätestens drei<br />

Monate nach der Einschreibung an der Hochschule<br />

(Immatrikulation) einen Antrag auf Befreiung von der<br />

Versicherungspflicht bei Ihrer bisherigen Krankenkasse<br />

stellen. An die Wahl der Versicherung sind Ihre Kunden<br />

dann für die Dauer Ihres Studiums gebunden.<br />

Studierende können währenddessen nicht in das jeweils<br />

andere System wechseln.<br />

Was sind aus Ihrer Sicht Vorteile, wenn man sich als Student<br />

gesetzlich versichert? Was sind die Nachteile?<br />

Ein Vorteil ist, dass Studierende sich über Ihre Eltern<br />

familienversichern lassen können. Sofern diese über Ihre<br />

Eltern in der gesetzlichen Krankenkasse abgesichert sind,<br />

können sie dort auch während des Studiums bleiben.<br />

Studierende zahlen dann so lange keinen eigenen Beitrag,<br />

wie deren Eltern Kindergeld erhalten. Das ist in der Regel<br />

bis zur Vollendung des 25. Lebensjahrs der Fall. Nur die<br />

Eltern derjenigen, die Wehr- oder Bundesfreiwilligendienst<br />

geleistet haben, erhalten entsprechend länger<br />

Kindergeld – höchstens ein Jahr.<br />

Die Familienversicherung ist für Studierende meines<br />

Erachtens die günstigste Lösung. Zur Immatrikulation<br />

müssen Sie eine Versicherungsbescheinigung der<br />

Krankenkasse mitbringen, die Sie telefonisch bei der<br />

Kasse bestellen können.<br />

66


Studierende, die unmittelbar vor dem Studium<br />

pflichtversichert waren, etwa durch eine Ausbildung,<br />

durch Bundesfreiwilligendienst oder ein freiwilliges<br />

soziales Jahr, müssen sogar nach einem Urteil des<br />

Bundessozialgerichts während des Studiums in der<br />

gesetzlichen Krankenversicherung bleiben (Urteil vom<br />

27. April 2016, Az. B12KR24/14R). Die Betreffenden<br />

haben nicht mehr das Recht, in die private<br />

Krankenversicherung zu wechseln.<br />

Studierende können, wie alle Versicherten, zu einer Kasse<br />

Ihrer Wahl wechseln. Kinder von Studierenden sind über<br />

ihre studierenden Eltern oder über die Großeltern<br />

familienversichert.<br />

…und was sind Vor- und Nachteile für Studierende bei<br />

Wahl eines privaten Krankenversicherers?<br />

Selbstständigkeit auf die PKV festgelegt. Studierende<br />

sollten unbedingt vor Studienbeginn mit den Eltern<br />

diese Risiken absprechen.<br />

Eine weitere Ausgangssituation: Falls die Studierenden<br />

bereits vor dem Studium ausreichend verdient haben<br />

oder selbstständig waren, sind diese möglicherweise<br />

schon selbst privat versichert. In diesem Fall ist ein<br />

Wechsel zu einer gesetzlichen Krankenkasse nicht ohne<br />

Weiteres möglich.<br />

Nur wenn Studierende 30 Jahre oder jünger sind, gelten<br />

diese während des Studiums als versicherungspflichtig<br />

und können sich ohne Probleme für eine gesetzliche<br />

Krankenkasse entscheiden oder durch einen Antrag<br />

weiterhin privat versichert bleiben. Sind sie aber älter,<br />

haben sie diese Wahlmöglichkeit nicht, sie müssen in der<br />

PKV bleiben.<br />

Studierende, die bereits in der PKV sind, weil ein oder<br />

beide Elternteile privat versichert sind, können das auch<br />

im Studium bleiben. Dafür müssen diese sich zu Beginn<br />

des Studiums von der Krankenversicherungspflicht<br />

befreien lassen. Gerade Kinder von Beamten bleiben<br />

häufig weiterhin privat versichert, weil ihre Beiträge<br />

durch die Beihilfe sehr niedrig sind.<br />

An diese Entscheidung sind Studierende allerdings für<br />

das gesamte Studium gebunden. Und das kann aus<br />

folgenden Gründen teuer werden:<br />

Wer während des Studiums<br />

25 Jahre alt wird, fällt in der Regel<br />

aus dem günstigen Beihilfetarif<br />

heraus, da die Eltern kein<br />

Kindergeld mehr erhalten. Der<br />

normale Beitrag für privat<br />

versicherte Studierende ist<br />

deutlich höher.<br />

Wer nach dem Studium nicht<br />

gleich einen Job findet und<br />

Arbeitslosengeld II (Hartz IV)<br />

bezieht, bekommt entweder<br />

einen Zuschuss zur privaten<br />

Krankenversicherung oder die völlige Kostenübernahme<br />

(SGB 2 § 9). Dafür kann er aber auch die Vorteile seines<br />

Tarifs weiter nutzen. Von Amtswegen erfolgt eine<br />

Prüfung des möglichen Wechsels in den Basistarif, dessen<br />

Leistungen in etwa der gesetzlichen Krankenversicherung<br />

entsprechen.<br />

Wer sich nach dem Studium selbstständig macht, muss<br />

sich weiter privat versichern und ist für die Dauer der<br />

Studierende können,<br />

wie alle Versicherten,<br />

zu einer Kasse<br />

Ihrer Wahl<br />

wechseln.<br />

Viele Studierende sind darauf angewiesen, neben dem<br />

Studium zu arbeiten. Wer im Schnitt mehr als 20 Stunden<br />

arbeitet, gilt als versicherungspflichtig. Was müssen<br />

privat versicherte Studentinnen und Studenten mit<br />

Blick auf den Nebenjob beachten: gerade, wenn sie vielleicht<br />

doch auf einen umfassenderen Nebenjob angewiesen<br />

sind?<br />

Wenn Studierende neben dem Studium arbeiten und<br />

weniger als 450 Euro im Monat verdienen, sind<br />

Studierende dabei im Minijob<br />

von Sozialabgaben befreit. Überschreiten<br />

diese dagegen die 450-<br />

Euro-Grenze regelmäßig, sind sie<br />

nicht mehr beitragsfrei<br />

familienversichert. In der Regel<br />

ist dann der Studentenbeitrag zu<br />

zahlen.<br />

In der GKV ist es für Studentinnen<br />

und Studenten möglich,<br />

sich bis 25 Jahren in der<br />

Familienversicherung kostenfrei<br />

mitversichern zu lassen. Für viele<br />

dürfte das ein Grund sein, vorerst keinen privaten<br />

Krankenschutz zu wählen. Gibt es nach dieser Frist eine<br />

Option, noch in das PKV-System zu wechseln: Auch,<br />

wenn man sich nicht zu Studienbeginn freistellen ließ?<br />

Das Wichtigste zu dieser Frage in Kürze:<br />

▷ Studienanfänger können wählen zwischen der<br />

gesetzlichen (GKV) oder der privaten<br />

Krankenversicherung (PKV). In der Regel ist die<br />

67


▷<br />

▷<br />

▷<br />

GKV während des Studiums die bessere Wahl.<br />

Studierende sind in der gesetzlichen Krankenkasse<br />

ihrer Eltern bis zum 25. Lebensjahr kostenlos<br />

familienversichert.<br />

Der Studentenbeitrag zur gesetzlichen Kranken- und<br />

Pflegeversicherung liegt im Monat bei<br />

durchschnittlich rund 94 Euro für Kinderlose, die<br />

älter als 25 Jahre sind.<br />

Mit dem 30. Geburtstag wird es für Studierende<br />

deutlich teurer, weil sie dann keinen vergünstigten<br />

Beitrag mehr bekommen.<br />

Wer im Studium privat versichert war, kann danach<br />

nicht zurück in die GKV wechseln, wenn er sich<br />

selbstständig macht.<br />

Beamtenkinder haben in der Regel bis zur Vollendung<br />

des 25. Lebensjahres Anrecht auf Beihilfe durch ihre Eltern<br />

und müssen sich dann voll versichern. Das kann in<br />

der PKV gerade dann Mehrkosten verursachen, wenn<br />

das Geld knapp wird: etwa, wenn man länger studiert<br />

und Bafög auslief. Sollten Studierende schon bei der anfänglichen<br />

Wahl ihres PKV-Tarifes die Zeit danach<br />

beachten? Welche Optionen gibt es dann, die Kosten zu<br />

senken?<br />

Hängt es auch von der Studienwahl ab, ob man sich als<br />

Studentin oder Student privat versichern sollte? Zum<br />

Beispiel, weil man die späteren Jobchancen, potentielles<br />

Beihilfe-Anrecht etc. im Blick hat?<br />

Nein, nicht zwangsläufig. Wenn man sich nicht sicher ist,<br />

ob man sich gesetzlich oder privat versichern möchte,<br />

kann man auch mit einen Optionstarif für eine<br />

Vollversicherung planen. Diesen bieten viele private<br />

Krankenversicherungsgesellschaften an. Man erhält sich<br />

den Gesundheitsstand von jetzt und kann später optimal<br />

umstellen.<br />

Es gibt Studienfächer, mit denen man nicht gleich einen<br />

Job findet und erst mal eine Weile arbeitslos sein wird.<br />

Wenn ich recht informiert bin, droht dann der Basistarif.<br />

Wie lässt sich aus Ihrer Sicht die Zeit zwischen Studium<br />

und ersten Job überbrücken? Statistisch sind<br />

Studierende mehr als zehn Monate nach Abschluss auf<br />

Jobsuche.<br />

Die Wahl der Krankenversicherung während des<br />

Studiums wirkt sich auch auf die Zeit danach aus. Nicht<br />

immer ist ein Systemwechsel möglich.<br />

Bei Kinder mit Beihilfeberechtigung entfällt in den<br />

meisten Fällen mit Vollendung des 25. Lebensjahr das<br />

Anrecht auf Beihilfe. Diese müssen dann in einen<br />

100-Prozent-Tarif wechseln. Hier sollte schon bei Beginn<br />

des Studiums drauf geachtet werden, welche Mehrkosten<br />

drohen und wie diese gestemmt<br />

werden können, wenn sich die<br />

Studentin oder der Student<br />

Gedanken über die Befreiung in<br />

der GKV macht.<br />

Aber Mehrkosten drohen auch<br />

bei einer gesetzlichen<br />

Krankenkasse. Sobald Studierende<br />

während des Studiums<br />

30 Jahre alt werden oder das<br />

14. Fachsemester erreicht haben,<br />

entfällt der Studentenrabatt in<br />

der GKV. Sie müssen sich dann<br />

freiwillig gesetzlich versichern. Die Berechnung erfolgt<br />

dann über die GKV. Auch während eines<br />

Promotionsstudiums können Studierende nicht mehr<br />

von der studentischen Krankenversicherung profitieren.<br />

Das hat das Bundessozialgericht klargestellt (Urteil vom<br />

7. Juni 2018, Az. B 12 KR 15/16 R). Doktoranden müssen<br />

sich damit freiwillig gesetzlich versichern.<br />

68<br />

Die Wahl der Krankenversicherung<br />

während des<br />

Studiums wirkt sich<br />

auch auf die Zeit<br />

danach aus.<br />

Keine Probleme gibt es in der Regel, wenn Studierende<br />

nach dem Studium angestellt arbeiten. Waren diese zuvor<br />

gesetzlich versichert, können die Betroffenen das auch<br />

weiterhin bleiben.<br />

Waren Studierende privat<br />

versichert, dürfen sie nun<br />

zwischen gesetzlicher und<br />

privater Krankenversicherung<br />

wählen. In den meisten Fällen ist<br />

die GKV zunächst die bessere<br />

Option.<br />

Selbst, wenn Studierende<br />

während des Studiums<br />

privat versichert waren und<br />

gleich zum Berufsstart mehr als<br />

62.550 Euro (Jahresarbeitsentgeltgrenze<br />

<strong>2020</strong>) verdienen,<br />

können sie sich gesetzlich versichern. Eine<br />

Sonderregelung gibt ihnen eine einmalige Beitrittsmöglichkeit<br />

zur GKV, sofern sie zuvor noch nicht<br />

voll berufstätig waren.<br />

Falls Studierende sich nach Studiumsende selbstständig<br />

machen und bislang gesetzlich versichert waren, haben<br />

sie grundsätzlich die Wahl zwischen den Systemen. In der


Regel sollten Studierende als Gründer aber zunächst bei<br />

einer gesetzlichen Kasse bleiben und sich freiwillig<br />

versichern. Wenn diese den Existenzgründerzuschuss<br />

erhalten, profitieren sie in der GKV zudem von<br />

niedrigeren monatlichen Mindestbeiträgen.<br />

An einen Wechsel in die PKV sollten Studierende als<br />

Selbstständige erst denken, wenn das Geschäft gut läuft:<br />

auch mit Blick in die Zukunft. Wenn Studierende<br />

dagegen privat versichert waren, müssen sie das als<br />

Selbstständige auch bleiben und den vollen Beitrag<br />

bezahlen. Wichtig: Der Wechsel in Billigtarife mit<br />

schlechten Leistungen ist nicht zu empfehlen. Diese<br />

werden mit der Zeit oft unverhältnismäßig teuer und<br />

sind schwer aufzustocken, wenn sich der<br />

Gesundheitszustand verschlechtert.<br />

Sofern Studierende nach dem Studium verbeamtet<br />

werden, können und sollten diese sich in der Regel<br />

privat versichern, um von der Beihilfe zu profitieren.<br />

Finden Studierende nach Ende ihres Studiums keinen<br />

Job, haben diese meist keinen Anspruch auf<br />

Arbeitslosengeld I, da sie ja zuvor nicht in die<br />

Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben. Allerdings<br />

können diese dann Arbeitslosengeld II (Hartz IV)<br />

beantragen. Dann erhalten die Betroffenen nicht nur die<br />

Grundsicherung, sondern das Amt bezahlt auch deren<br />

Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung.<br />

Privat versicherte Hochschulabsolventen ohne Job<br />

haben die Möglichkeit, in den Basistarif zu wechseln,<br />

um Beiträge zu sparen. Auch dafür gibt es einen<br />

Zuschuss. In die GKV kann nur wechseln, wer aufgrund<br />

einer früheren Anstellung Arbeitslosengeld I bezieht.<br />

Die Fragen an Daniel Feulner<br />

stellte Mirko Wenig


Sara & Marco von Love & Compass:<br />

Weltreise als Beruf<br />

Marco Klüber<br />

Weltreisender und Blogger<br />

Reisen als Beruf? Das junge Paar Sara und Marco Klüber reist gemeinsam um die Welt – und<br />

berichtet auf dem Blog „Love & Compass“ von den gemeinsamen Erlebnissen. Versichert sind<br />

die beiden Weltenbummler aus Berufung bei der BDAE Krankenversicherung, die digitale<br />

Nomaden auch dann versichert, wenn der Wohnsitz in Deutschland aufgegeben wurde und<br />

wenn der Auslandsaufenthalt nicht nur vorübergehend ist. Der <strong>Versicherungsbote</strong> sprach mit<br />

Marco Kübler über Geld, den Blog und über das Leben als Weltreisende.<br />

<strong>Versicherungsbote</strong>: Seit 2016 reist Ihr um die Welt. Wie<br />

würdet Ihr Euren „Beruf“ bezeichnen? Influencer, Globetrotter,<br />

Marketing Backpacker?<br />

Marco Klüber: Weder noch. Wir würden uns ganz<br />

klassisch als Reiseblogger bezeichnen. Außerdem darf<br />

man das Wort „Beruf“ gerne ohne Anführungszeichen<br />

schreiben. Wir leben seit mehreren Jahren von unserem<br />

Reiseblog für Paare, Love & Compass, und investieren<br />

dafür dementsprechend viel Zeit. 40-Stunden-Woche?<br />

Kennen wir nicht mehr. Ein normaler Arbeitstag beträgt<br />

bei uns ca. 10 Stunden. Außerdem arbeiten wir auch am<br />

Wochenende.<br />

Ihr habt Eure bisherige Existenz für den Traum aufgegeben,<br />

um die Welt zu reisen. Darf ich fragen, was Ihr zuvor<br />

gemacht habt?<br />

Sara war im Einzelhandel tätig und ich als Elektroniker.<br />

Also zwei in Deutschland ganz normale Berufe.<br />

Wie lange bleibt Ihr im Schnitt an einem Ort? Bleibt<br />

überhaupt genug Zeit, diesen zu genießen?<br />

Das ist ganz unterschiedlich – mindestens einen Monat,<br />

manchmal auch zwei. Wir reisen eher langsam. Und unser<br />

Ziel ist es nicht, so viel wie möglich zu sehen, sondern jene<br />

Orte und Menschen, die wir sehen, intensiv kennenzulernen.<br />

Deshalb bleibt meist auch etwas Zeit zum Genießen.<br />

…und wie entscheidet Ihr, wo es als nächstes hingeht? Ist<br />

das genau geplant oder eher spontan? Wie informiert Ihr<br />

Euch über die Orte?<br />

Wir machen das meist spontan und nach Gefühl. Zu dem<br />

Land, auf das wir im jeweiligen Moment am meisten Lust<br />

haben, reisen wir am Ende auch hin.<br />

Für die einzelnen Länder informieren wir uns auf drei<br />

verschiedene Arten:<br />

1. Im Internet recherchieren wir bei anderen Reiseblogs<br />

und Webseiten.<br />

2. Wir fragen unsere Community in Social Media – da<br />

bekommen wir oft richtig geile Tipps!<br />

3. Je nach Land kaufen wir uns auch einen guten<br />

Reiseführer.<br />

70


Über Geld spricht man nicht. Aber macht Ihr Euch auf<br />

Reisen auch über Geld Gedanken? Und wie finanziert Ihr<br />

Euch – ausschließlich über Werbung?<br />

Wir machen uns fast täglich über Geld Gedanken,<br />

schließlich sind wir in der Tourismusbranche tätig.<br />

Vereinfacht gesagt verdienen wir unser Geld durch die<br />

Inhalte, die wir unseren Lesern zu den einzelnen Ländern<br />

liefern.<br />

Um ehrlich zu sein, ist der geringste Anteil unserer<br />

Einnahmen klassische, bezahlte Werbung. Kooperationen<br />

mit anderen Unternehmen gehen wir nur sehr selten ein<br />

und nur, wenn die Produkte auch wirklich zu uns passen<br />

und für unsere Community interessant sind. Wir mögen<br />

es selbst nicht, wenn wir auf anderen Blogs oder in<br />

Instagram mit Werbung überladen werden.<br />

Unsere beiden Haupteinnahmequellen sind dagegen<br />

Affiliate-Marketing und der Verkauf unserer eigenen<br />

Produkte. Bei Affiliate-Marketing empfehlen wir<br />

Reiseequipment, Hotels, Touren oder andere Services<br />

weiter, die wir selbst nutzen und auch selbst bezahlt<br />

haben. Kommt über diese Empfehlungslinks eine<br />

Buchung zustande, bekommen wir anschließend eine<br />

kleine Provision.<br />

Außerdem haben wir bereits mehrere eigene Produkte<br />

veröffentlicht. Einen Reiseführer zur Insel Nusa Penida in<br />

Indonesien und einen weiteren Reiseführer über<br />

Andalusien. Beide Reiseführer haben wir im Eigenverlag<br />

verlegt. Zusätzlich kam im Mai 2019 ein weiteres Buch<br />

zusammen mit dem LEO-Verlag dazu. Es heißt „Mit dem<br />

Laptop um die Welt – erfolgreich, frei & glücklich als<br />

digitaler Nomade“ und beschreibt unseren eigenen Weg<br />

von zwei frustrierten, jungen Menschen zu erfolgreichen<br />

Online-Unternehmern bzw. digitalen Nomaden.<br />

Außerdem geben wir Lesern ganz viele nützliche<br />

Anleitungen, Tipps und Infos an die Hand, wie sie selbst<br />

online durchstarten können.<br />

Ihr berichtet, Anlass für die Reise sei eine Hautkrankheit<br />

von Marco gewesen. Wieso entschließt man sich in solch<br />

einer Krise, um die Welt zu reisen? Gab es eine bestimmte<br />

Situation, in der Ihr wusstet: Jetzt wollen wir unser Leben<br />

ändern?<br />

Der Entschluss dafür fiel nicht während der Krankheit,<br />

sondern danach. Es war lange Zeit unklar, ob ich jemals<br />

wieder geheilt werden könnte und ob mein Leben<br />

überhaupt lebenswert bleiben würde. Als ich zum Glück<br />

mehrere Monate später wieder auf den Beinen stand –<br />

wohlgemerkt durch die Hilfe eines Heilpraktikers,<br />

nachdem zig Ärzte und Krankenhäuser gescheitert sind –<br />

merkten wir beide, dass wir etwas ändern müssen. Wir<br />

wussten noch nicht, was. Aber wir entschieden uns dazu,<br />

etwas Abstand zu bekommen und gemeinsam für vier<br />

Wochen nach Thailand zu reisen. Die Reise half uns<br />

extrem dabei, unsere Gedanken zu ordnen.<br />

Außerdem lernten wir in Thailand zum ersten Mal einen<br />

digitalen Nomaden kennen, der – egal wo – auf der<br />

ganzen Welt arbeitete. Wichtig waren nur sein Laptop<br />

und eine gute Internetverbindung. Diese Lebensweise<br />

sprengte damals unsere komplette Vorstellungskraft und<br />

ließ uns gedanklich einfach nicht mehr los. Anschließend<br />

kam eins zum anderen. Und ca. sechs Monate später<br />

entschieden wir uns endgültig dazu, in Deutschland alle<br />

Zelte abzubrechen und uns als Quereinsteiger in die<br />

verschiedensten Online-Bereiche einzuarbeiten.<br />

Wart Ihr auch im Ausland schon auf medizinische Behandlungen<br />

angewiesen? Worauf sollte man achten,<br />

wenn man im Ausland einen Arzt aufsuchen muss?<br />

Ja, waren wir schon öfters. Vor allem in ärmeren Regionen<br />

der Erde wie Asien oder Afrika vermeiden wir die<br />

einfacheren Krankenhäuser oder Arztpraxen, in denen die<br />

meisten Einheimischen behandelt werden. Nicht, weil wir<br />

uns zu fein sind. Sondern weil viele Ärzte entweder nur<br />

schlechtes Englisch sprechen oder die medizinischen<br />

Geräte völlig veraltet sind. Auch die Hygiene ist<br />

manchmal fragwürdig.<br />

Um einen passenden Arzt zu finden, checken wir im<br />

Internet immer die Bewertungen und Bilder<br />

verschiedener ärztlicher Einrichtungen in unserer Nähe.<br />

So finden wir meist relativ zügig eine passende Option.<br />

Fehlgriffe blieben uns bis jetzt zum Glück erspart!<br />

Vieles, was Ihr postet, sieht superschön und aufregend<br />

aus: wie aus dem Katalog. Was entgegnet Ihr jenen, die<br />

sagen: Social Media liefert ein Zerrbild der Wirklichkeit?<br />

Gab es auch Eindrücke auf der Reise, die Euch bedrückt<br />

und nachdenklich gemacht haben? Und warum finden<br />

diese so wenig Eingang in Euren Blog?<br />

Sorry, aber das ist glatt gelogen. Wir berichten in Social<br />

Media sowohl von unseren tollen als auch unseren<br />

schlechten Erlebnissen. Speziell in den Instagram Stories<br />

haben wir schon öfters Momente geteilt, in denen wir eine<br />

71


schlechte Erfahrung hatten oder es uns persönlich nicht<br />

gut ging. Auch Reiseerlebnisse, die uns bedrücken, teilen<br />

wir auf unserem Blog sowie Social Media. Zum Beispiel<br />

das Aussterben der Orang-Utans auf Borneo, den<br />

Vietnamkrieg, die Waldbrände in den Amazonasgebieten,<br />

Massentierhaltung und einiges mehr. Es gibt genug<br />

Beispiele.<br />

… wie geht Ihr mit Heimweh um? Fällt es schwer,<br />

Freundschaften und den Kontakt zur Familie zu halten?<br />

Heimweh haben wir mal mehr, mal weniger. Generell sind<br />

wir mittlerweile wieder öfter in Deutschland unterwegs,<br />

um Familie und Freunde zu treffen. Das war vor 1-2 Jahren<br />

noch anders. Den Kontakt zu halten fällt uns nicht<br />

schwer. In Zeiten von Skype, What’s App, Instagram und<br />

Facebook gibt’s ja mittlerweile genug Möglichkeiten, um<br />

sich auch am anderen Ende der Welt mit den Liebsten in<br />

der Heimat auszutauschen.<br />

Klima gesprochen. Ist das für Euch ein Thema? Und wie<br />

positioniert Ihr Euch dazu als Weltreisende?<br />

Absolut ist das ein Thema – ein sehr wichtiges sogar.<br />

Innerhalb eines Landes reisen wir seit Anfang an nur mit<br />

Bus und Zug. Aber auch länderübergreifend nutzen wir<br />

immer seltener das Flugzeug und legen auch längere<br />

Strecken mit nachhaltigeren Transportmitteln zurück.<br />

Wir hoffen darauf und arbeiten daran, irgendwann<br />

komplett auf das Fliegen verzichten zu können.<br />

Die Fragen am Marco Klüber stellte Mirko Wenig<br />

In Deutschland wird gerade viel über Flugscham und


Wie sich ein Wechsel von der PKV in die<br />

GKV in der 2. Hälfte des Erwerbslebens<br />

auswirken kann<br />

Sven Wenig<br />

Autor des <strong>Versicherungsbote</strong>n<br />

Ein Wechsel von der privaten Krankenversicherung in die gesetzliche Krankenversicherung<br />

aus Angst vor steigenden PKV-Beiträgen im Alter? Ein solcher Weg ist nicht ohne gründliche<br />

Planung möglich und steht zudem in der Regel nur Menschen bis zum Alter von 55 Jahren offen.<br />

Plant man aber trotz der Hürden des Gesetzgebers diesen Gang in die GKV, sollte man<br />

sich auch vor einer möglichen Milchmädchenrechnung hüten.<br />

Wer im Ruhestand als freiwillig Versicherter in der<br />

gesetzlichen Krankenversicherung der Rentner (KVdR)<br />

versichert ist, kann mitunter gar mehr für seine Krankenund<br />

Pflegeversicherung hinblättern als ein privat<br />

Versicherter – Hürden für eine günstige Pflichtversicherung<br />

in der KVdR sind hoch. Anhand von<br />

Modellrechnungen macht der <strong>Versicherungsbote</strong> mit der<br />

komplexen Materie der Kranken- und Pflegeversicherung<br />

im Ruhestand bekannt.<br />

Rückkehr von PKV in die GKV? –<br />

Hohe Hürden des Gesetzgebers<br />

Mit zunehmendem Alter drohen in der privaten<br />

Krankenversicherung (PKV) steigende Beiträge. Das<br />

bringt insbesondere privat Versicherte mit unstetem<br />

Einkommen und unsicheren Status dazu, mit einer<br />

Rückkehr zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)<br />

zu liebäugeln. Für eine Rückkehr aber hat der<br />

Gesetzgeber hohe Hürden errichtet. Soll doch verhindert<br />

werden, dass Menschen in jungen Jahren durch günstige<br />

Prämien in die PKV gelockt werden, sie aber in „teuren“<br />

Altersjahren mit hohen Gesundheitsrisiken zurück<br />

wechseln und dann die GKV durch hohe Kosten<br />

zusätzlich belasten. Wer also mit einer Rückkehr in die<br />

GKV plant, sollte zunächst wissen, unter welchen<br />

Bedingungen dies überhaupt möglich ist:<br />

1.) Eine unüberwindliche Hürde für viele Wechselwillige<br />

müssen Menschen ab dem Alter von 55 Jahren zur<br />

Kenntnis nehmen – und zwar durch § 6 Abs. 3a des<br />

fünften Sozialgesetzbuches (SGB V). Denn waren<br />

Menschen ab 55 in den letzten fünf Jahren vor Eintritt<br />

der Versicherungspflicht nicht gesetzlich versichert oder<br />

waren sie mindestens die Hälfte dieser Zeit<br />

versicherungsfrei, von der Versicherungspflicht befreit<br />

oder hauptberuflich selbstständig, ist ihnen die<br />

Rückkehr in die GKV komplett verbaut.<br />

2.) Aber auch für Menschen U55 ist der Weg zurück zu<br />

einer Krankenkasse schwer und ist einzig durch Wiedererlangen<br />

der Versicherungspflicht möglich – hierfür<br />

müssen oft verschlechterte Bedingungen in Kauf<br />

genommen werden. Für Arbeiter und Angestellte, die<br />

sich zuvor haben von der Versicherungspflicht befreien<br />

lassen, ist der einzig das Unterschreiten der<br />

73


Jahresarbeitsentgeltgrenze maßgebend für die Versicherungsfreiheit.<br />

In <strong>2020</strong> liegt diese Grenze bei<br />

62.550 Euro brutto jährlich. Erst, wenn diese Grenze<br />

unterschritten ist, tritt die Versicherungspflicht<br />

wieder ein.<br />

Durch reduziertes Einkommen – zum Beispiel durch<br />

Nutzen von Teilzeit oder Brückenteilzeit gemäß § 9a des<br />

sogenannten Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) –<br />

haben Angestellte allerdings tatsächlich Möglichkeiten,<br />

den Weg zurück in die GKV zu planen: ohne Aufgabe<br />

ihres aktuellen Angestelltenverhältnisses. Freilich muss<br />

hierfür ein sinkendes Einkommen und müssen damit in<br />

der Regel auch sinkende Rentenansprüche hingenommen<br />

werden.<br />

3.) Für Selbstständige gilt<br />

zunächst: Der Weg zurück in die<br />

gesetzliche Krankenversicherung<br />

ist der Weg in ein hauptberufliches<br />

Angestelltenverhältnis.<br />

Die selbständige<br />

Tätigkeit darf dann entweder nur<br />

noch als Nebenberuf ausgeübt<br />

oder muss gänzlich aufgegeben<br />

werden. Grundsätzlich gilt aber<br />

auch hierfür: Der Weg ist nur<br />

möglich bei einem Einkommen<br />

unterhalb der Jahresarbeitsentgeltgrenze.<br />

Aus diesem Grund fällt jenen Selbstständigen der<br />

Wechsel leicht, die mit geringeren Einkünften in ein<br />

hauptberufliches Angestelltenverhältnis wechseln<br />

können. Insbesondere Solo-Selbstständige, also<br />

Unternehmer ohne Angestellte, liebäugeln damit – laut<br />

Bundesregierung (Drucksache 18/10762) verfügen fast<br />

30 Prozent aller Solo-Selbstständigen über ein persönliches<br />

Einkommen von weniger als 1.100 Euro. Für solche<br />

Menschen bedeutet ein Wechsel in die GKV oft mehr<br />

Sicherheit gegenüber Unwägbarkeiten des zunehmenden<br />

Alters. Ein anderer Weg wäre die Geschäftsaufgabe, um<br />

sich über den Ehe- oder Lebenspartner<br />

familienversichern zu lassen. Hierfür darf jedoch der in<br />

eine Familienversicherung Eintretende gemäß § 10 SGB<br />

V ein bestimmtes Gesamteinkommen nicht<br />

überschreiten – die Grenze ist sehr niedrig angesetzt und<br />

beträgt 538,33 Euro für <strong>2020</strong>. Auch der Weg in die<br />

Arbeitslosigkeit würde wieder zur Versicherungspflicht<br />

und damit in eine gesetzliche Krankenkasse führen, wäre<br />

aber häufig auch ein schmerzlicher Schritt hinab zu<br />

einem niedrigeren sozialen Status.<br />

74<br />

Mit zunehmendem<br />

Alter drohen in der<br />

privaten Krankenversicherung<br />

steigende Beiträge.<br />

Pflichtversicherung im Erwerbsleben sichert<br />

nicht die Versicherungspflicht in der KVdR<br />

Aber Obacht: Wer in der zweiten Hälfte seines<br />

Erwerbslebens mit einer Rückkehr in die GKV<br />

liebäugelt, sollte zuvor Auswirkungen auf die Beitragslast<br />

im Rentenalter bedenken. Denn so manche scheinbar<br />

günstige Rechnung entpuppte sich im Nachhinein als die<br />

berüchtigte sprichwörtliche Milchmädchenrechnung.<br />

Der Grund: Eine mitunter hohe Beitragslast aufgrund<br />

einer freiwilligen Versicherung in der<br />

Krankenversicherung der Rentner. Was viele nämlich<br />

nicht wissen: Werden sie in der zweiten Hälfte ihres<br />

Erwerbslebens wieder versicherungspflichtig, haben sie<br />

zwar die Pflichtversicherung in<br />

der gesetzlichen Krankenversicherung<br />

wiedererlangt.<br />

Dadurch aber haben sie<br />

keineswegs einen Anspruch auf<br />

die günstige Pflichtversicherung<br />

in der KVdR während ihres<br />

Ruhestands erworben.<br />

Vorauszusetzen ist zunächst für<br />

den gesetzlichen Krankenversicherungsschutz<br />

im Ruhestand:<br />

Die KVdR darf nicht als eine Art<br />

übergeordnete gesetzliche Krankenkasse missverstanden<br />

werden. KVdR-Mitglieder bleiben, zusätzlich zu ihrem<br />

KVdR-Status, zugleich Mitglieder ihrer gesetzlichen<br />

Krankenkassen. Der Status der Mitgliedschaft<br />

entscheidet aber wesentlich über finanzielle Auswirkungen<br />

des Kranken- und Pflegeversicherungsschutzes,<br />

und zwar aufgrund unterschiedlicher<br />

Vorgaben zur Beitragsbemessung. Müssen doch auch<br />

Ruheständler Beiträge sowohl für ihren<br />

Krankenversicherungsschutz als auch für die Pflegeversicherung<br />

entrichten.<br />

Modellrechnung für Beiträge bei<br />

Pflichtmitgliedschaft in der KVdR<br />

Die Pflichtversicherung in der KVdR ist zunächst am<br />

günstigsten, da auf viele Einkunftsarten keine oder<br />

verhältnismäßig geringe Krankenkassenbeiträge anfallen:<br />

▷<br />

Bei versicherungspflichtigen Rentnern in der KVdR<br />

wird auf die gesetzliche Rente zunächst der<br />

allgemeine Beitragssatz für die Krankenversicherung<br />

in Höhe von derzeit 14,6 Prozent fällig – diesen


tragen jeweils zur Hälfte der Rentenversicherungsträger<br />

sowie der versicherungspflichtige<br />

Rentner. Ebenfalls paritätisch aufgeteilt<br />

zwischen Rentner und RV-Träger wird seit dem<br />

01.01.2019 der durch die Krankenkassen erhobene<br />

Zusatzbeitrag – durchschnittlich liegt dieser in <strong>2020</strong><br />

bei 1,1 Prozent. Demnach werden Krankenkassenbeiträge<br />

in Höhe von 15,7 Prozent in <strong>2020</strong><br />

fällig, von denen die Rentenversicherungsträger<br />

7,85 Prozent übernehmen.<br />

▷ Hinzu kommen Beiträge zur sozialen<br />

Pflegeversicherung auf die gesetzliche Rente in Höhe<br />

von 3,05 Prozent sowie – gegebenenfalls – der<br />

Kinderlosenzuschlag gemäß SGB XI in Höhe von<br />

0,25 Prozent. Die Pflegeversicherungsbeiträge tragen<br />

die Ruheständler allerdings allein.<br />

▷ Gänzlich allein tragen die Pflichtversicherten<br />

15,7 Prozent KV-Beiträge sowie 3,05 Prozent<br />

PV-Beiträge (+ ggf. Kinderlosenzuschlag) auf<br />

Versorgungsbezüge als „der Rente vergleichbare<br />

Einnahmen“. Zu solchen Versorgungsbezügen mit<br />

doch hoher Beitragslast zählen unter anderem<br />

▷<br />

▷<br />

Betriebsrenten. Allerdings greift für Pflichtversicherte<br />

in der KVdR hier ab Beginn <strong>2020</strong> ein<br />

Freibetrag in Höhe von aktuell 159,25 Euro, der<br />

allerdings nur für die KV-Beiträge, nicht jedoch für<br />

die Pflegeversicherung gilt. Erst für darüber<br />

hinausreichende Beträge wird der KV-Beitrag<br />

veranschlagt.<br />

Veranschlagt wird die Summe aller Einkünfte bis zur<br />

jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze (BBG) in der<br />

gesetzlichen Krankenversicherung (GKV):<br />

4.687,50 Euro im Monat in <strong>2020</strong>. Diese Grenze ist für<br />

KV-Beiträge, aber auch für Beiträge zur sozialen<br />

Pflegeversicherung verbindlich.<br />

Keine Beiträge hingegen zahlen Pflichtversicherte in<br />

der KVdR für Einkünfte aus Mieten oder für<br />

Kapitaleinkünfte. Und auch für Privatrenten (zum<br />

Beispiel aus einer Lebensversicherung) zahlen<br />

Pflichtversicherte in der KVdR keine KV- oder<br />

PV-Beiträge.<br />

Demnach sieht eine mögliche Beispielrechnung für<br />

pflichtversicherte Rentner wie folgt aus:<br />

Pflichtversicherter Rentner in der KVdR: 1.500 Euro gesetzliche Rente<br />

Art der Einkünfte<br />

Beiträge<br />

Krankenversicherung<br />

Beiträge<br />

Pflegeversicherung<br />

Beiträge gesamt<br />

Gesetzl. Rente 1.500 €<br />

117,75 €<br />

(15,7 % durch 2 =<br />

7,85 % von 1.500 €)<br />

45,75 €<br />

(3,05 % von 1.500 €)<br />

163,50 €<br />

Betriebsrente 250 €<br />

14,25 €<br />

(250 € minus Freibetrag<br />

von 159,25 € = 90,75<br />

€/ davon 15,7 %)<br />

7,63 €<br />

(3,05 % von 250 €)<br />

21,88 €<br />

Mieteinnahmen 450 € 0 0 0<br />

Privatrente 500 € 0 0 0<br />

Summe 2.700 € 132 € 53,38 € 185,38 €


9/10-Klausel verbaut vielen Ruheständlern<br />

die günstige Pflichtversicherung<br />

Die günstige Pflichtversicherung in der GVdR ist jedoch<br />

durch eine hohe Hürde des Gesetzgebers – die so<br />

genannte „9/10-Klausel“ aus § 5 Abs. 1 Satz 1 Punkt 11 des<br />

5. Sozialgesetzbuches – für viele verbaut. Laut<br />

Sozialgesetzbuch nämlich wird eine sogenannte<br />

„Vorversicherungszeit“ zur Bedingung gemacht für die<br />

günstige Pflichtversicherung in der KVdR.<br />

Die gesetzliche Voraussetzung ist nur dann erfüllt, wenn<br />

seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis<br />

zur Rentenantragstellung mindestens 9/10 der zweiten<br />

Hälfte dieses Zeitraums eine Mitgliedschaft in der<br />

gesetzlichen Krankenversicherung bestand. Zwar<br />

milderte eine Reform seit August 2017 die Forderung ab<br />

– für jedes Kind, Stiefkind oder Pflegekind kann nun<br />

eine Zeit von drei Jahren als Vorversicherungszeit<br />

geltend gemacht werden. Dennoch erfüllen viele<br />

Menschen die 9/10-Klausel nicht, die in der zweiten<br />

Hälfte ihres Erwerbslebens länger privat<br />

krankenversichert waren.<br />

Freiwillig versicherter Rentner in der KVdR: 1.500 Euro Rente<br />

Art der Einkünfte<br />

Beiträge<br />

Krankenversicherung<br />

Beiträge<br />

Pflegeversicherung<br />

Beiträge gesamt<br />

Gesetzl. Rente 1.500 €<br />

117,75 €<br />

(15,7 % durch 2 = 7,85 %<br />

von 1.500 €)<br />

45,75 €<br />

(3,05 % von 1.500 €)<br />

163,50 €<br />

39,25 €<br />

Betriebsrente 250 €<br />

(14,6 % + 1,1 % von den<br />

vollen 250 €, da freiwillig<br />

in der KVdR Versicherte<br />

den neu geschaffenen<br />

Freibetrag nicht geltend<br />

machen können)<br />

7,63 €<br />

(3,05 % von 250 €)<br />

46,88 €<br />

67,95 €<br />

Mieteinnahmen 450 €<br />

(14 % ermäßigter<br />

Beitragssatz für so<br />

genannte „sonstige<br />

beitragspflichtige<br />

Einnahmen“ + 1,1 %<br />

Zusatzbeitrag von 450 €)<br />

13,73 €<br />

(3,05 % von 450 €)<br />

81,68 €<br />

Privatrente 500 €<br />

75,50 €<br />

(14 % ermäßigter Satz +<br />

1,1 % von 500 €)<br />

15,25 €<br />

(3,05 % von 500 €)<br />

90,75 €<br />

Summe 2.700 € 300,45 € 82,36 € 382,81 €


Beispiel eines Basistarifs der HanseMerkur mit Bezuschussung für 1.500 Euro gesetzliche<br />

Rente durch den Rentenversicherungsträger<br />

Art der Einkünfte<br />

Beiträge<br />

Krankenversicherung<br />

Beiträge<br />

Pflegeversicherung<br />

Beiträge gesamt<br />

259,05 €<br />

Gesetzl. Rente 1.500 €<br />

376,80 € PKV-Prämie<br />

(unabhängig von der<br />

Höhe dieser Rente)<br />

minus 117,75 €<br />

Zuschuss<br />

(7,85 % von 1.500 €)<br />

0 0<br />

Betriebsrente 250 € 0 0 0<br />

Mieteinnahmen 450 € 0 0 0<br />

Privatrente 500 € 0 0 0<br />

Summe 2.700 € 259,05 €<br />

101,02 €<br />

(unabhängig von den<br />

Einnahmen)<br />

360,07 €<br />

Modellrechnung für Beiträge bei freiwilliger<br />

Mitgliedschaft in der KVdR<br />

Erfüllt aber eine Rentnerin oder ein Rentner<br />

Bedingungen für eine solche Pflichtversicherung nicht,<br />

bleibt nur die Möglichkeit einer freiwilligen<br />

Versicherung in der KVdR:<br />

▷ Zwar bezuschusst der Rentenversicherungsträger<br />

auch hier auf Antrag paritätisch die KV-Beiträge auf<br />

gesetzliche Renten – gesetzliche Grundlage ist § 106<br />

SGB VI. Bei freiwillig Versicherten in der KVdR<br />

allerdings muss die gesamte wirtschaftliche<br />

Leistungsfähigkeit für die Beitragsbemessung<br />

berücksichtigt werden.<br />

▷ Auf Einkunftsarten müssen also zudem auch KVund<br />

PV-Beiträge entrichtet werden, die bei einer<br />

Pflichtversicherung beitragsfrei bleiben würden –<br />

zum Beispiel auf Einnahmen aus Mieten oder aus<br />

Kapitalvermögen sowie auf Privatrenten. All diese<br />

Einkünfte werden zum ermäßigten Beitragssatz von<br />

14 Prozent + Zusatzbeitrag der jeweiligen<br />

Krankenkasse (in <strong>2020</strong> durchschnittlich 1,1 Prozent)<br />

veranschlagt und sind durch den Ruheständler allein<br />

zu stemmen. Veranschlagt werden aller Einkünfte<br />

freilich auch bei freiwillig Versicherten in der KVdR<br />

nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze von monatlich<br />

4.687,50 Euro in der Summe in <strong>2020</strong>.<br />

▷ Zudem greifen bei freiwillig Versicherten<br />

Freibeiträge für die Betriebsrenten nicht, die bei<br />

einer Pflichtmitgliedschaft geltend gemacht werden<br />

könnten.<br />

Summieren sich nun verschiedene kleinere Einkünfte, die<br />

beitragspflichtig sind, wird der Kranken- und<br />

Pflegeversicherungsschutz schnell vergleichsweise teuer.<br />

Das zeigt der Vergleich zur vorherigen Rechnung:<br />

Modellrechnung für privat Versicherte: 1.500<br />

Euro gesetzliche Rente/ exemplarischer Tarif<br />

Mitunter wird der Kranken- und Pflegeversicherungsschutz<br />

sogar teurer als der Basistarif für<br />

Ruheständler in der privaten Krankenversicherung. Das<br />

trifft insbesondere dann zu, wenn<br />

77


▷ Der Anspruch auf eine gesetzliche Rente dergestalt<br />

ist, dass er einen relevanten Zuschuss auch zu den<br />

PKV-Beiträgen sichert und<br />

▷ verschiedene kleinere Einkünfte aus verschiedenen<br />

Einkunftsarten bei freiwillig Versicherten in der<br />

KVdR zu einer hohen Beitragslast führen würden.<br />

Anschaulich wird dies an einem Vergleich der<br />

Modellrechnung für Beiträge bei freiwilliger<br />

Mitgliedschaft in der KVdR mit einem realen Basis-Tarif<br />

der HanseMerkur, den der <strong>Versicherungsbote</strong><br />

exemplarisch zur Veranschaulichung des Problems<br />

hinzuzog. Freilich: Keineswegs wirkt sich die Zeit vor<br />

dem Ruhestand neutral auf die Versichertenprämien in<br />

der privaten Krankenversicherung aus. Denn zum einen<br />

kalkulieren die Versicherer anhand des Anwartschaftsdeckungsverfahren<br />

bereits Rückstellungen für das<br />

Alter in die Prämien ein. Zum anderen wird, seit einer<br />

Gesundheitsreform aus dem Jahr 2000, ein Beitragszuschlag<br />

von zehn Prozent für Mitglieder vom 22. bis zum<br />

60. Lebensjahr auf die Prämien verbindlich durch den<br />

Gesetzgeber vorgeschrieben, der ebenfalls den<br />

Altersrückstellungen dient. Demnach zahlen privat<br />

Versicherte Zeit ihres Lebens einen Mehrbeitrag fürs<br />

Alter, der bei den Ausgaben nicht vernachlässigt werden<br />

darf – bei oft steigenden Prämien im Alter. Freilich:<br />

Gerade weil es so ist, sollte man einen Wechsel von der<br />

PKV in die GKV mit Bedacht prüfen. Und man sollte<br />

aufgrund aufgebauter Altersrückstellungen auch<br />

überlegen, ob man aus den komfortableren, aber oft auch<br />

teureren PKV-Tarifen in einen PKV-Basistarif wechselt.<br />

Denn dieser Basistarif bietet nach § 152 Versicherungsaufsichtsgesetz<br />

(VAG) nur vergleichbare Leistungen wie<br />

die gesetzliche Krankenversicherung.<br />

Auch PKV-Beiträge werden bezuschusst:<br />

Mitunter sind PKV-Tarife günstiger als<br />

GKV-Beiträge<br />

Zur besseren Vergleichbarkeit werden wir im Folgenden<br />

aber mit einem solchen Basistarif rechnen. Wichtig ist<br />

hierbei: Auf Antrag wird auch der KV-Beitrag für privat<br />

Versicherte durch den Rentenversicherungsträger<br />

bezuschusst, sobald Anspruch auf eine gesetzliche Rente<br />

besteht (unter Maßgabe des § 106 SGB VI). Hierbei<br />

müssen mehrere Dinge beachtet werden:<br />

▷<br />

Der Zuschuss zum PKV-Krankenversicherungsbeitrag<br />

orientiert sich – fiktiv und unter<br />

Vernachlässigung des Anwartschaftsdeckungsverfahrens<br />

in der PKV – an den<br />

▷<br />

maßgebenden Beitragssätzen für die gesetzliche<br />

Rentenversicherung und beträgt demnach in <strong>2020</strong><br />

rechnerisch 7,85 Prozent der Rente (allgemeiner<br />

GKV-Beitragssatz plus durchschnittlicher<br />

Zusatzbeitrag hälftig).<br />

Freilich: Da die Berechnung sich auf den Anspruch<br />

aus gesetzlichen Renten bezieht, ist die Höhe dieser<br />

Rentenzahlungen, nicht aber der reale PKV-Beitrag<br />

maßgebend. Bis auf eine Ausnahme: Der reale<br />

PKV-Beitrag kann die Zahlung begrenzen. Denn der<br />

Zuschuss ist beim hälftigen Beitrag gedeckelt.<br />

Ergeben die derzeit 7,85 Prozent auf die gesetzliche<br />

Rente einen höheren Betrag als den halben<br />

Beitragssatz, wird nur der hälftige Beitrag gezahlt.<br />

Im uns vorliegenden Tarif für eine Ruheständlerin<br />

beträgt der KV-Beitrag 376,80 Euro sowie der PV-Beitrag<br />

101,02 Euro. Demnach bezahlt die Ruheständlerin einen<br />

monatlichen Gesamtbeitrag in <strong>2020</strong> in Höhe von<br />

477,82 Euro. Jedoch: Bei 1.500 Euro Einnahmen aus<br />

gesetzlichen Renten bekommt sie einem Betrag von<br />

117,75 Euro (7,85 Prozent von 1.500 Euro) bezuschusst. Sie<br />

zahlt also 376,80 Euro minus 117,75 Euro als KV-Beitrag<br />

und trägt außerdem allein den vollen PV-Beitrag. Unter<br />

diesen Bedingungen aber ist ihr PKV-Beitrag geringer als<br />

der Beitrag aus der Musterrechnung des freiwillig<br />

Versicherten mit gleichen Einnahmen:<br />

Jedoch … PKV-Tarife können auch sehr teuer<br />

sein: Modellrechnung bei Ausreizen des<br />

Höchstbeitrags für PKV-Basistarife und<br />

Zuschuss auf nur 500 Euro gesetzliche Rente<br />

Allerdings entscheidet der Anspruch aus der gesetzlichen<br />

Rente anstatt der reale PKV-Beitrag über den Zuschuss.<br />

Fällt dieser Anspruch aus gesetzlichen Renten – wie bei<br />

vielen Selbständigen mit einem hohen Privatvorsorge-<br />

Portfolio – sehr gering aus, gibt es auch nur wenig zu den<br />

KV-Beiträgen als Zuschuss hinzu. Das wird besonders<br />

dann zum Problem, wenn PKV-Anbieter auch noch den<br />

zulässigen Höchstbeitrag eines PKV-Basistarifs voll<br />

ausreizen.<br />

Denn gemäß Versicherungsaufsichtsgesetz darf ein<br />

PKV-Anbieter zwar den Höchstbeitrag der gesetzlichen<br />

Krankenversicherung nicht überschreiten – er orientiert<br />

sich folglich auch an der Beitragsbemessungsgrenze der<br />

gesetzlichen Krankenversicherung. Ein Maximalwert von<br />

735,94 Euro KV-Beitrag und 142,97 Euro PV-Beitrag ist<br />

demnach das monatliche Maximum in <strong>2020</strong>, das sowohl<br />

78


gesetzliche Kassen als Beiträge als auch private<br />

Krankenversicherer für den Basistarif als Prämie<br />

verlangen dürfen. Als Problem allerdings gilt: Glaubt<br />

man einer Stichprobe der Verbraucherzentralen, greifen<br />

zumindest einige Anbieter gern auf diese Möglichkeit<br />

zurück und verlangen von den privat Versicherten<br />

tatsächlich diesen höchst-möglichen KV- und PV-Beitrag<br />

gemäß Beitragsbemessungsgrenze.<br />

Einnahmen aus der gesetzlichen Rente und geht von<br />

einer Dominanz privater Vorsorge aus, gibt es auch nur<br />

wenig Zuschuss zu den PKV-Beiträgen durch den<br />

Rentenversicherungsträger – und das trotz möglicher<br />

hoher Beiträge für einen PKV-Basistarif.<br />

Ein Kommentar von Sven Wenig<br />

Stellt man sich nun noch vor, ein privat Versicherter hat<br />

– für Selbstständige durchaus wahrscheinlich – nur<br />

geringe Ansprüche für seine gesetzliche Rente erworben,<br />

weil er überwiegend privat für den Ruhestand vorsorgte,<br />

fällt die Modellrechnung mit den KV- und PV-Beiträgen<br />

wesentlich ungünstiger aus, weil die Zuschüsse die<br />

Beitragshöhen kaum abfedern. Denn vertauscht man<br />

in unserer Modellrechnung die Dominanz der<br />

Beispiel eines PKV-Basistarifs mit Ausreizung des Höchstbeitrags (gemäß KV-Beitragsbemessungsgrenze)<br />

und geringem Anspruch auf Bezuschussung einer gesetzlichen Rente<br />

Art der Einkünfte<br />

Beiträge<br />

Krankenversicherung<br />

Beiträge<br />

Pflegeversicherung<br />

Beiträge gesamt<br />

696,69 €<br />

Gesetzl. Rente 500 €<br />

735,94 € PKV-Prämie<br />

(zulässiger Basistarif-<br />

Höchstbetrag<br />

unabhängig von der<br />

Höhe dieser Rente)<br />

- 39,25 € Zuschuss<br />

(7,85 % von 500 €)<br />

0 0<br />

Betriebsrente 250 € 0 0 0<br />

Mieteinnahmen 450 € 0 0 0<br />

Privatrente 1.500 € 0 0 0<br />

142,97 €<br />

Summe 2.700 € 696,69 €<br />

(zulässiger<br />

Höchstbetrag nach<br />

Beitragsbemessung<br />

unabhängig von den<br />

Einnahmen)<br />

839,66 €


Wie der aufgeklärte Verbraucher die<br />

Versicherungslandschaft verändert<br />

Gordon Diehr<br />

COO der Liechtenstein Life Assurance AG<br />

Die klassische Altersvorsorge, wie sie bis tief in die<br />

neunziger Jahre Bestand in vielen bundesdeutschen<br />

Haushalten hatte, war die Kapitallebensversicherung.<br />

Der Sparer erfreute sich zeitweise einer Garantieverzinsung<br />

von einst vier Prozent und bekam einmal im<br />

Jahr eine Standmitteilung per Post zugesendet. Die hat<br />

Ottonormalsparer zwar nicht immer genau verstanden.<br />

Aber am Ende erfreute sich die Kapitallebensversicherung<br />

bei Verbrauchern überwiegend – und<br />

der Verbraucherzentrale Hamburg zum Trotz – großen<br />

Vertrauens. Dass dieses Vertrauen binnen einer Dekade<br />

langsam dahinschmolz, ist dem immer frostiger<br />

werdenden Zinsklima zuzuschreiben, der die Versicherer<br />

zwang, die Garantieverzinsung sukzessive auf<br />

mittlerweile 0,9 Prozent abzuschmelzen. Damit sind<br />

Besitzer von Altverträgen zwar immer noch gut gelitten.<br />

Im Neugeschäft orientieren sich Verbraucher jedoch<br />

mittlerweile an Alternativen.<br />

Fukushima läutete das Umdenken ein<br />

Das neue Jahrtausend brachte nicht nur niedrige Zinsen.<br />

Auch andere Ereignisse führten dazu, dass Verbraucher<br />

langsam begannen, umzudenken. Als im März 2011 das<br />

Kernkraftwerk im japanischen Fukushima infolge eines<br />

Erdbebens havarierte und schwere Umweltschäden<br />

anrichtete, brauchte der Deutsche Bundestag keine drei<br />

Monate, um den kompletten Atomausstieg Deutschlands<br />

bis 2022 zu beschließen. Zum Zeitpunkt der Fukushima-<br />

Katastrophe war die schwedische Umweltaktivistin<br />

Greta Thunberg gerade mal acht Jahre alt. 2019<br />

organisierte sie mit 16 den ersten Schulstreik und<br />

initiierte damit eine weltweite Umweltbewegung von<br />

bislang nie gekanntem Ausmaß. Auch wenn die „Fridays<br />

for Future“-Bewegung, die Thunbergs Ziele und<br />

Protestformen aufgriff, bisweilen auf Kritik stößt,<br />

erreichte sie doch damit einen fundamentalen<br />

Bewusstseinswandel der deutschen Bevölkerung, der bis<br />

heute andauert. Im selben Jahr sprach Thunberg erstmals<br />

auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, noch mit<br />

begrenzter Beachtung. Ein Jahr später nahm sie und das<br />

Thema Klimawandel bereits einen zentralen Raum<br />

innerhalb des Wirtschaftsgipfels ein – die engagierte<br />

Jugendliche erreichte damit, dass heute gar nicht mehr<br />

anders über Wirtschaft gesprochen werden kann, als über<br />

den Zugang Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Und<br />

schließlich erreichte das Thema auch alle Investoren,<br />

nämlich spätestens als Larry Fink, Gründer und<br />

Aufsichtsratsvorsitzender des weltgrößten Vermögensverwalters<br />

Blackrock, am 14. Januar dieses Jahres einen<br />

mahnenden Brief an alle Unternehmensführer schrieb,<br />

sich künftig mehr im Thema Klimaschutz und<br />

Nachhaltigkeit zu engagieren.<br />

Diesen Bewusstseinswandel spüren wir täglich in der<br />

Bevölkerung. Wer sich heute für ein Altersvorsorgeprodukt<br />

entscheidet, der trifft nicht nur eine<br />

Entscheidung für die Absicherung seiner Zukunft. Er<br />

tritt auch als Investor in Erscheinung. Diese Rolle wird<br />

immer aktiver ausgeübt. Denn mit Erwerb einer<br />

80


fondsgebundenen Rentenversicherung trifft der<br />

Versicherungsnehmer mit dem Versicherer ein<br />

Übereinkommen, das Geld so anzulegen, dass am Ende<br />

eine Rendite erzielt wird, mit der die Rente finanziert<br />

werden soll. Doch ist es dem Versicherungsnehmer auch<br />

egal, ob mit seinem Geld auch Landminen finanziert,<br />

Wälder gerodet, Tierversuche oder Kinderarbeit<br />

unterstützt werden oder Staatsanleihen von Ländern<br />

erworben werden, in denen die Todesstrafe angewendet<br />

wird? Immer öfter stellen sich Versicherungsnehmer<br />

diese Frage.<br />

Das Anlageuniversum wird breiter<br />

Um die Beantwortung solcher und ähnlicher Fragen zu<br />

ermöglichen, hat Liechtenstein Life zu Beginn des Jahres<br />

das Anlageuniversum auf mehr als 2.000 Fonds erhöht<br />

und auch die Grundauswahl an ETFs massiv ausgeweitet.<br />

Jeder Versicherungsnehmer hat damit die Möglichkeit,<br />

durch Wahl eines oder durch Aufteilung seiner Prämie in<br />

bis zu zehn verschiedene Investmentfonds diese Themen<br />

für sich zu erschließen. Dem einen genügt da schon der<br />

iShares Dow Jones Eurozone Sustainability Screened ETF<br />

von BlackRock. Wer es lieber aktiv gemanagt haben<br />

möchte, der würde sich eher mit dem BGF Sustainability<br />

Energy für einen reinen Aktienfonds von BlackRock<br />

entscheiden. Außerdem hat der Versicherungsnehmer<br />

die Möglichkeit, seine Einzahlungen auf Anleihen und<br />

Aktien aufzuteilen, sich auf bestimmte Länder oder<br />

Regionen zu fokussieren oder aber diese auszuschließen.<br />

Oder er kann gezielt auf bestimmte Branchen setzen. So<br />

bietet etwa die Allianz einen Informationstechnologie-<br />

Aktienfonds und BNP Paribas einen Telekommunikationsfonds<br />

an. Auch hat Fidelity einen<br />

Gesundheitsfonds im Angebot, der in Biotechnologie<br />

und Pharmazieunternehmen investiert.<br />

Letztere gehören nicht zuletzt zu den Gewinnern der<br />

durch den Coronavirus ausgelösten Krise, welche zwar<br />

fast alle Länder und alle Branchen gleichermaßen getroffen<br />

hat, jedoch manchen Anleger zum Überdenken<br />

seiner Investmentstrategie bewegt hat: Pharmazietitel,<br />

aber auch Hersteller von Hygieneartikeln und Reinigungsmitteln<br />

sowie Aktien von Krankenhausbetreibern<br />

passen zu jeder Zeit in ein Nachhaltigkeitsportfolio.<br />

zur transparenten Fondsauswahl inklusive monatlicher<br />

Wechselmöglichkeit. Im Falle der fondsgebundenen<br />

Police besteht die Aufgabe der Versicherung lediglich<br />

darin, für die favorisierten Fondsprodukte den<br />

geeigneten Versicherungsrahmen zu stellen, so dass der<br />

Versicherungsnehmer auch alle steuerlichen Vorteile voll<br />

ausschöpfen kann, die ihm der Gesetzgeber eingeräumt<br />

hat. Zusätzlich liefert der Versicherer auch Leistungen<br />

wie den Todesfallschutz sowie ein professionelles Ablaufund<br />

Umschichtungsmanagement. Damit beschränken<br />

sich alle Anbieter auf ihre eigentlichen Kernkompetenzen:<br />

der Versicherer auf die Finanzmathematik<br />

und der Asset Manager auf die Analyse der<br />

Kapitalmärkte und gewissenhafte Allokation der<br />

Firmengelder.<br />

Der Nachhaltigkeitsbegriff verändert sich<br />

Die Möglichkeit, die Fondsauswahl zu verändern und<br />

damit aktiv in den Investmentprozess einzugreifen,<br />

besteht nicht allein deshalb, weil aktuelle Nachrichten<br />

Verbraucher mitunter zum Umdenken zwingen – wir<br />

erinnern uns hier an den Dieselskandal. Sie muss auch<br />

deswegen bestehen, weil der Nachhaltigkeitsbegriff<br />

selbst einem ständigen Wandel unterworfen ist. Die<br />

Frage, ob Kernkraftwerke nachhaltig sind (die man zum<br />

Beispiel in Frankreich bejahen würde, in Deutschland<br />

jedoch nicht), ob großflächiger Sojaanbau zu<br />

befürworten ist oder die Rapsproduktion für Kraftstoffe<br />

oder die Nachhaltigkeit der Produktion von Waffen (zum<br />

Beispiel zur Ausrüstung von Polizei und Bundeswehr)<br />

oder von Elektromobilität sowie von kontrovers<br />

diskutierten Themen wie Abtreibung oder pränatale<br />

Diagnostik – all dies ist Bestandteil einer andauernden<br />

akademischen Debatte. Es ist auch Aufgabe der Anbieter<br />

– Asset Manager wie Versicherungsgesellschaften, sich an<br />

dieser Debatte aktiv zu beteiligen. Liechtenstein Life<br />

kooperiert hier z.B. mit der Universität Liechtenstein,<br />

um aktuelle Entwicklungen zeitnah mit in die Praxis<br />

einfließen zu lassen.<br />

Ein Gastkommentar von Gordon Diehr<br />

Der Unterschied zur klassischen Kapitallebens- oder<br />

Rentenversicherung besteht darin, dass sich die<br />

Verantwortung verschiebt: Weg vom Asset Management<br />

der Versicherungsgesellschaft und hin zum mündigen<br />

Verbraucher, zugleich auch weg von der Black Box hin<br />

81


Die „Rente aus Stein“: Mit Leibrenten<br />

im Alter Finanzen aufbessern und<br />

Wohnrecht sichern<br />

Sven Wenig<br />

Redaktion <strong>Versicherungsbote</strong><br />

Leibrenten sind eine Möglichkeit, sein Haus zu verkaufen und sich eine monatliche Rente auszahlen<br />

zu lassen - aber dennoch in der Immobilie wohnen zu bleiben. Der <strong>Versicherungsbote</strong><br />

stellt ein in Deutschland noch wenig bekanntes Instrument vor, das sich in Ländern wie den<br />

USA schon längst als Möglichkeit zur Altersvorsorge etabliert hat.


Eigengenutzte Wohnimmobilien galten für viele<br />

Deutsche lange Zeit als fester Bestandteil der<br />

Altersvorsorge, wie auch die große Beliebtheit des<br />

Bausparens in der Vergangenheit zeigte – Bausparverträge<br />

galten neben dem Girokonto und dem<br />

Sparbuch lange als beliebteste Form der Geldanlage. Und<br />

obwohl die Bausparkassen<br />

mittlerweile unter Bausparern<br />

leiden, die alte und lukrative Bausparverträge<br />

lieber zum Weiter-<br />

Sparen nutzen, statt sie für<br />

Bauvorhaben abzurufen, führten<br />

in der Vergangenheit Sparverträge<br />

tatsächlich häufig zum<br />

Hausbau oder auch zum Kauf<br />

einer Wohnimmobilie.<br />

Als Investment freilich rentieren<br />

sich die eigenen vier Wände nicht<br />

immer – insbesondere in ländlichen Regionen bedeuten<br />

Instandhaltungs- und Nebenkosten ebenso wie laufende<br />

Kosten einer Immobilie nicht selten negative Renditen<br />

und bringen finanziell kaum Vorteile gegenüber einer<br />

Mietwohnung, sobald die Wertsteigerung der Immobilie<br />

ausbleibt. Jedoch: Der Direktnutzen der eigenen vier<br />

Wände wog in der Vergangenheit solche Rechnungen<br />

häufig auf, da die Menschen noch weit weniger durch<br />

sich wandelnde Erwerbsbiographien zur beruflichen<br />

Mobilität gezwungen waren.<br />

Denn der Traum von den eigenen vier Wänden bedeutete<br />

Unabhängigkeit und eine höhere Lebensqualität und<br />

bedeutet noch immer auch das Schaffen eines eigenen<br />

Rückzugsbereiches für das private Altersglück. Da<br />

verwundert es kaum, dass viele Menschen auch im hohen<br />

Alter ihre eigene Wohnimmobilie nicht verlassen wollen.<br />

Was aber ist, wenn in Zeiten sinkender Renten und<br />

steigender Vorsorgelücken dennoch ein finanziell karges<br />

Leben droht? Eine Möglichkeit, in einer solchen<br />

Situation von der eigenen Immobilie zu profitieren, ist<br />

die Immobilienverrentung – der Verkauf der eigenen<br />

Immobilie bei Beibehaltung des Wohnrechts, um eine<br />

monatliche Leibrente zu kassieren.<br />

Immobilienverkauf gegen Wohnrecht und<br />

Rentenzahlung<br />

Das Prinzip hinter der Leibrente erklärt mit der<br />

Deutsche Leibrenten Grundbesitz AG der Marktführer –<br />

einer der wenigen Anbieter in Deutschland überhaupt –<br />

Leibrentnerinnen<br />

und Leibrentner<br />

zahlen also dafür,<br />

lebenslang in der<br />

Immobilie wohnen<br />

zu bleiben.<br />

dergestalt: „Haus oder Wohnung werden veräußert, der<br />

Kaufpreis jedoch nicht in einer Summe ausbezahlt.<br />

Stattdessen erhalten die bisherigen Eigentümer bis zu<br />

ihrem Lebensende eine monatliche Rentenzahlung.“<br />

Weiterer Baustein der Leibrente ist ein lebenslanges<br />

Wohnrecht in der verkauften Immobilie – dieses wird<br />

mit dem Rentenanspruch an<br />

erster Stelle im Grundbuch<br />

notariell beurkundet und damit<br />

abgesichert.<br />

Wie man sich ein solches<br />

Konstrukt vorstellen muss,<br />

erklärt zudem das Dienstleistungsportal<br />

biallo.de: „Der<br />

frühere Eigentümer wird damit<br />

zum unkündbaren Bewohner, der<br />

wie ein Mieter auch für die<br />

laufenden Betriebskosten wie<br />

Strom, Heizung oder Müllgebühren aufkommen muss.“<br />

Auch fürs lebenslange Wohnen müssen die<br />

Leibrentnerinnen und Leibrentner aufkommen, wenngleich<br />

formell keineswegs durch monatliche Zahlung<br />

einer Miete. Denn zwar wird ein mietfreies Wohnrecht<br />

auf Lebenszeit im Grundbuch festgeschrieben. Zugleich<br />

aber wird das lebenslange Wohnrecht über einen auch als<br />

„Wohnwert“ bezeichneten Betrag durch die Leibrentnerinnen<br />

und Leibrentner entgolten und wirkt sich<br />

negativ auf die Höhe der monatlichen Renten aus.<br />

Leibrentnerinnen und Leibrentner zahlen also dafür,<br />

lebenslang in der Immobilie wohnen zu bleiben.<br />

Wie hierbei gerechnet wird, veranschaulicht eine<br />

Broschüre des größten Anbieters Deutsche Leibrenten<br />

Grundbesitz AG:<br />

Ausschlaggebend für die Berechnung der Leibrente ist<br />

zum einen der Verkehrswert der Immobilie als zugrunde<br />

liegender Kaufpreis. Der Wert wird, wie gemeinhin auch<br />

sonst üblich, durch professionelle Gutachter ermittelt.<br />

Das Gutachten bestellt und bezahlt in der Regel der<br />

Käufer der Immobilie. Ausschlaggebend für die<br />

Berechnung der Rentenhöhe ist außerdem die Restlebenserwartung<br />

der Rentenbezieher. Die Restlebenserwartung<br />

ist zum einen maßgebend, um den<br />

Gesamtwert der Immobilie in monatliche Rentenleistungen<br />

umzurechnen. Die Berechnung der Renten<br />

orientiert sich hierbei an geschlechtsspezifischen<br />

Sterbetafeln, wie sie entweder durch das Statistische<br />

83


Bundesamt (Destatis) erstellt werden oder wie sie durch<br />

private Rentenversicherer unter<br />

Berufung auf Zahlen der<br />

Deutschen Aktuarvereinigung<br />

(DAV) genutzt werden. Bei Ehepaaren<br />

als Bezieher einer<br />

gemeinsamen Leibrente greift in<br />

der Regel die Lebenserwartung<br />

der Partnerin oder des Partners<br />

mit der höchsten Lebenserwartung<br />

– zum Nachteil des<br />

Paares. Denn grundlegend gilt: Je<br />

kürzer die Lebenserwartung<br />

gemäß Sterbetafel, desto höher<br />

fällt die Leibrente aus.<br />

Die Leibrente als „Wette auf den Tod“<br />

Weil die Leibrente lebenslang garantiert wird, die<br />

Berechnung sich jedoch auf statistische Durchschnittsdaten<br />

bezieht, bezeichnet das Portal biallo.de das<br />

Geschäft auch als „Wette auf den Tod“. Denn wer<br />

besonders lang lebt und demnach besonders lang die<br />

Rente bezieht, der macht ein günstiges Geschäft.<br />

Nachteilig hingegen – nicht nur allgemein mit Blick auf<br />

die Lebensdauer, sondern auch mit Blick auf das<br />

Leibrenten-Geschäft – ist ein früher Tod: Wer zeitig nach<br />

Abschluss des Vertrags stirbt, hat in der Regel<br />

draufgezahlt. Bei Ehepaaren als Leibrenten-Bezieher wird<br />

die Leibrente freilich bis zum Tode der oder des<br />

Letztverstorbenen gewährt. Solche Details aber hängen<br />

stets auch von der Vertragsgestaltung ab und können<br />

demnach variieren.<br />

Auch bieten Anbieter wie die Leibrenten Grundbesitz<br />

AG immerhin einen Mindestschutz für Hinterbliebene<br />

an: Im Falle eines frühen Tods der Leibrentner werden<br />

über einen Zeitraum von fünf Jahren oder auf Wunsch<br />

auch länger monatliche Renten an die Erben oder andere<br />

Begünstigte weitergezahlt. Hingegen kann die Chance<br />

auf Langlebigkeit und damit auf einen langen<br />

Rentenbezug mitunter auch kosten: Manche Anbieter<br />

verlangen eine gesonderte Gebühr zur Absicherung des<br />

Langlebigkeitsrisikos, die zu Lasten der Renten gehen<br />

kann. Zumindest für die Modellrechnung von<br />

Deutschlands größtem Anbieter spielen solche<br />

Zusatzkosten aber keine Rolle. Demnach kann ein<br />

75-jähriger und alleinstehender Mann, der eine<br />

Immobilie mit Verkehrswert 250.000 Euro besitzt, laut<br />

Info-Broschüre eine Rente im Gesamtwert von<br />

84<br />

Wer zeitig nach Abschluss<br />

des Vertrags<br />

stirbt, hat in der Regel<br />

draufgezahlt.<br />

1.900 Euro pro Monat lebenslang erwarten. Jedoch:<br />

Diesen Wert bekommt er nicht<br />

ausgezahlt.<br />

Denn die Sterbetafeln sind auch<br />

ausschlaggebend, um den<br />

Wohnwert zu ermitteln:<br />

Zunächst wird ein monatlicher<br />

„Wohnwert“ bestimmt, dann für<br />

die Zeit der erwarteten<br />

Lebensdauer summiert und zu<br />

Lasten der Leibrentnerinnen und<br />

Leibrentner vom Verkaufswert<br />

der Immobilie abgezogen. Erst<br />

der reduzierte Wert dient dann als Grundlage für die<br />

ausgezahlte Rente. Dem Mann aus der Musterrechnung<br />

werden 800 Euro berechnet, so dass dieses Wohnen<br />

keineswegs wirklich als „mietfrei“ beschrieben werden<br />

kann. Ausgezahlt also bekommt dieser Leibrentner<br />

monatlich 1.900 Euro (Gesamtwert) minus 800 Euro<br />

(Wohnwert) = 1.100 Euro Leibrente auf Lebenszeit für<br />

den Verkauf seiner Immobilie.<br />

Auf diesen Betrag fallen auch Steuern an – müssen die<br />

Leibrentner die erhaltene Leibrente doch mit dem<br />

Ertragsanteil versteuern. Dieser Ertragsanteil hängt<br />

vom Alter des Empfängers ab. Die Prozentsätze sind<br />

festgeschrieben in der maßgebenden Tabelle von<br />

Paragraph 22 Einkommensteuergesetz (EStG) – so<br />

beträgt zum Beispiel der Ertragsanteil für einen<br />

75-Jährigen 11 Prozent.<br />

Immobilienverrentung: Empfehlenswert<br />

bei Restschuld und fehlenden<br />

Instandhaltungsgeldern<br />

Geht es einzig um das lukrative Geschäft, rechnet sich<br />

häufig der direkte Verkauf einer Immobilie oder die<br />

Vermietung einer Immobilie mehr als die Immobilienverrentung<br />

zum Erhalt einer Leibrente. Und doch: Es<br />

gibt Situationen, in denen die Immobilienverrentung<br />

empfehlenswert ist. Das trifft zum Beispiel dann zu,<br />

wenn man in der eigenen Immobilie wohnen möchte,<br />

aber wenig Kapital vorhanden ist. Grundbedingung:<br />

Statt eines Vererbens der Immobilie an die<br />

Nachkommen wird der Verkauf angestrebt.<br />

Und hier kommt eine weitere Möglichkeit hinzu:<br />

Anbieter ermöglichen auch Mischmodelle zwischen<br />

einer Leibrente und einer Einmalzahlung. In solchen


Fällen wird vom Gesamtwert der Immobilie zwar in der<br />

Regel der Wohnwert und mitunter auch ein Wert für die<br />

Instandhaltung der Immobilie abgezogen. Der den<br />

Rentnern dann zur Verfügung stehende Betrag aber<br />

kann aufgeteilt werden, falls sofort Kapitalbedarf<br />

besteht – zum Beispiel für eine noch nicht beglichene<br />

Restschuld auf eine Hypothek oder für Unternehmungen<br />

wie eine Weltreise. Auch kann eine<br />

Einmalzahlung zum Beispiel für Pflegekosten genutzt<br />

werden, um Angehörigen nicht zur Last zu fallen.<br />

Freilich geht eine solche Einmalzahlung dann zulasten<br />

der monatlichen Renten.<br />

Regelungen bei Tod eines Partners oder bei einem<br />

nötigen Umzug ins Altersheim. Denn es fehlen für die<br />

Immobilienverrentung in Deutschland – noch –<br />

allgemeine vertragliche Standards, wie sie für andere<br />

Vorsorgearten bereits etabliert sind. Ob sich aber in<br />

Zeiten zunehmender Vorsorgelücken und eines<br />

sinkenden Rentenniveaus auch in Deutschland Leibrenten<br />

etablieren werden, kann nach jetzigem Stand nur<br />

die Zukunft zeigen. So bleibt Interessierten derzeit nur,<br />

mit einer kleinen Zahl an Anbietern Vorliebe zu nehmen.<br />

Ein Kommentar von Sven Wenig<br />

Doch die Immobilienverrentung bietet sich auch an,<br />

wenn das Geld für die Instandhaltung einer<br />

Wohnimmobilie für den Eigenbedarf fehlt. Denn für<br />

Renovierungen und Instandhaltungen kommt in der<br />

Regel der Käufer einer Immobilie auf. So können die<br />

ehemaligen Immobilienbesitzer im Alter noch die<br />

Immobilie nutzen und haben zudem gesichert, dass die<br />

Immobilie nicht verfällt (und sich dadurch zum Beispiel<br />

der Wert wesentlich mindert).<br />

Zustifter-Rente: Leibrenten als<br />

soziales Engagement<br />

Und man kann über den Weg der Leibrente sogar Gutes<br />

tun: vereinzelt bieten gemeinnützige Stiftungen auch<br />

eigene Modelle für eine Leibrente an. So orientiert sich<br />

die kirchliche Stiftung Liebenau aus Baden-<br />

Württemberg zum Beispiel an einem Modell der<br />

"American Bible Society", die 1850 erstmalig ihren Zustiftern<br />

gegen Überlassung ihres Besitzes eine lebenslange<br />

Rente zahlte. Aufgrund der „Zustifter-Rente“ können<br />

nun auch Deutsche unter speziellen Konditionen<br />

gemeinnützige Engagements mit dem Erwerb einer<br />

Leibrente kombinieren.<br />

In Deutschland fehlen noch Anbieter<br />

und Standards<br />

Die Konkurrenz auf dem Markt der Leibrenten ist noch<br />

klein, denn anders als in anderen Ländern hat sich diese<br />

Form der Vorsorge durch Immobilienverkauf gegen<br />

Wohnrecht noch nicht etablieren können. Auch warnt<br />

mit Annabell Oelmann die Vorständin der<br />

Verbraucherzentrale Bremen gegenüber dem Portal<br />

biallo.de: Nutzer sollten sehr genau darauf achten, ob in<br />

den Verträgen auch alle Details geregelt sind. Neben<br />

Bedingungen zur Instandhaltung zählen hierzu auch<br />

85


Deutschland ist zunächst einmal<br />

Fahrradnation!<br />

Konrad Krause<br />

Geschäftsführer des ADFC Sachsen<br />

Auch die Redaktion des <strong>Versicherungsbote</strong>n radelt hin und wieder zur Arbeit: bei allen damit<br />

verbundenen Risiken. Seit Jahren steigen die Unfallzahlen mit Radfahrern. Allein in Leipzig, einer<br />

Stadt mit 570.000 Einwohnern, starben 2018 sechs Radler, davon zwei Kinder. Die Zahlen<br />

sind Anlass, einmal bei Konrad Krause nachzufragen, Geschäftsführer des ADFC Sachsen: Was<br />

kann und muss sich in Deutschland mit Blick auf den Radverkehr ändern? Der hauptberufliche<br />

Politikwissenschaftler und Historiker besitzt selbst vier Räder.<br />

Der ADFC ist Lobbyverband der Radfahrer. Können Sie<br />

sich kurz vorstellen? Seit wann gibt es Sie – wie viele Mitglieder<br />

haben Sie? Wie finanzieren Sie sich?<br />

Konrad Krause: Den ADFC gibt es mittlerweile 40 Jahre,<br />

seit 1979. Deutschlandweit haben wir über 190.000<br />

Mitglieder. Und die finanzieren zum größten Teil unsere<br />

Arbeit über Mitgliedsbeiträge und Spenden.<br />

… und was sind aktuell Ihre wichtigsten Projekte?<br />

Der ADFC bietet seinen Mitgliedern eine große Palette<br />

unterschiedlichster Angebote – von der Feierabendradtour<br />

bis zur Pannenhilfe fürs Rad. Außerdem<br />

zertifizieren wir fahrradfreundliche Arbeitgeber sowie<br />

radfreundliche Unterkünfte mit dem Label Bett+Bike,<br />

damit man im Radurlaub immer ein fahrradfreundliches<br />

Dach überm Kopf hat. Daneben gibt es viele einzelne<br />

Projekte, zum Beispiel den Fahrradklima-Test, wo wir<br />

gemeinsam mit dem Bundesverkehrsministerium<br />

deutschlandweit alle zwei Jahre ermitteln, wie sich die<br />

Qualität des Radverkehrs in deutschen Städten<br />

entwickelt.<br />

Die Zahl der Radunfälle bleibt ungebrochen hoch und<br />

nimmt sogar zu, vor allem in den Innenstädten: auch,<br />

weil der Verkehr mehr wird. 2018 wurden 88.850 Radfahrer<br />

verletzt und 445 getötet. Allein sechs Unfalltote waren<br />

es in Leipzig. Welche Forderungen haben Sie an die<br />

Politik, um hier eine Trendumkehr zu bewirken?<br />

Jahrzehntelang haben wir unsere Verkehrsinfrastruktur<br />

danach ausgerichtet, dass der motorisierte Verkehr<br />

schneller durch die Städte kommt. Hohe Geschwindigkeiten<br />

brauchen fast zwangsläufig mehr<br />

Verkehrsfläche. Die fehlt dann dem Radverkehr, aber<br />

auch für die Fußgänger. Sichere Netze und „Mehr Platz<br />

fürs Rad“ sind die zwei Stichworte, für die sich der ADFC<br />

verkehrspolitisch vor allem einsetzt – neben vielen<br />

weiteren, kleineren Themen.<br />

Aber nicht nur der Mangel an Flächen für sicheren<br />

Radverkehr an sich, sondern auch die oft unstetige<br />

Wegeführung ist eine Gefahrenquelle. Wir brauchen in<br />

unseren Städten funktionierende, homogene – das ist es,<br />

was das spezielle Fahrradgefühl in vielen Städten in<br />

Holland ausmacht und natürlich auch viel Sicherheit<br />

86


ingt. Hier kämpft man sich mit dem Rad ja ganz oft<br />

durch einen Flickenteppich an Radwegen, Mischverkehr<br />

mit Autos und freigegeben Gehwegen durch, um dann<br />

zielsicher immer wieder am Schild „Radweg Ende“ zu<br />

landen. Da muss jetzt wirklich dringend etwas passieren.<br />

Zwei Drittel aller Fahrradunfälle sind Kollisionen mit<br />

Autos, die Hauptschuld liegt in beinahe 75 Prozent der<br />

Zusammenstöße beim Autofahrer. Was sind aus Ihrer<br />

Sicht Gründe dafür, dass gerade Autos so oft Radunfälle<br />

verursachen? Braucht es mehr Sensibilisierung für die<br />

Risiken – bei der Fahrausbildung, über Kampagnen etc.?<br />

Die Ursache dafür ist ja zunächst mal reine Physik: Autos<br />

sind schwerer, schneller und weniger präzise unterwegs<br />

als zum Beispiel ein Fußgänger oder jemand auf dem Rad.<br />

Klar, dass da mehr passieren kann. Deshalb muss man<br />

beim innerstädtischen Verkehr an diese Faktoren ran. Der<br />

ADFC setzt sich daher ganz klar für eine innerstädtische<br />

Regelgeschwindigkeit von Tempo 30 ein – mal abgesehen<br />

von Schnellstraßen ist das einfach zum Schutz aller<br />

anderen Verkehrsteilnehmer schlicht vernünftig. Wir<br />

setzen uns außerdem dafür ein, dass an großen Straßen<br />

mit viel Autoverkehr baulich gesicherte Radinfrastruktur<br />

geschaffen wird, die Radfahrer schützt und allen, die noch<br />

nicht Rad fahren, auch Mut macht, öfter mal aufs Rad zu<br />

steigen. Der dritte Baustein sind dann Kampagnen. Der<br />

ADFC ist da zum Beispiel beim Thema Überholabstand<br />

aktiv – ein heißes Eisen angesichts knapper Flächen in der<br />

Stadt. Aber wenn wir wollen, dass Radverkehr sicherer<br />

wird und sich mehr Menschen aufs Fahrrad trauen, muss<br />

man sich drauf verlassen können, dass Autofahrer die<br />

1,50 m Mindestabstand auch tatsächlich einhalten. Darüber<br />

brauchen wir eine breite gesellschaftliche Debatte.<br />

Aber damit ist es nicht getan. Wir sind sehr froh, dass die<br />

Novellierung der StVO auch den verbindlichen<br />

Mindestabstand beim Überholen von 1,50 m innerorts<br />

und 2 Meter außerorts enthalten wird.<br />

Die seit letztem Jahr zugelassenen eScooter müssen Fahrradwege<br />

nutzen, wenn es einen gibt. Vielfach wurde bei<br />

der Einführung gemutmaßt, das könnte die Unfallzahlen<br />

weiter hochtreiben. Eine erste Bilanz: Beobachten Sie<br />

vermehrt Konflikte zwischen Radfahrern und Scooter-<br />

Fahrern? Oder wurde da vieles argumentativ hochgekocht?<br />

Nach Aussagen der Polizei ist die Zahl der Unfälle mit<br />

eScootern relativ hoch. Und auffällig viele davon stünden<br />

in Zusammenhang mit alkoholisierten Fahrern und der<br />

Verwendung des eScooters als Spaßvehikel. Es ist wie bei<br />

allen neuen Erfindungen: Sie werden erstmal ausprobiert<br />

bis an die Grenzen und darüber hinaus. Der gesellschaftliche<br />

Lernprozess, was sinnvoll ist und was nicht,<br />

der folgt mit etwas geringerer Geschwindigkeit. Ein<br />

großes Problem sind die kleinen Räder der Scooter in<br />

Verbindung mit der großen Kraft des Antriebs. Ich bin<br />

überzeugt, dass die Scooterhersteller über kurz oder lang<br />

größere Räder einsetzen werden, weil dann so ein<br />

Fahrzeug natürlich einen besseren Geradeauslauf hat.<br />

Aber insgesamt muss man auch die Kirche im Dorf lassen:<br />

Die Konflikte sind überschaubar und am meisten tun sich<br />

die Scooterfahrer bei ihren Stürzen ja selbst weh.<br />

In den Medien wird viel über eine Verkehrswende debattiert,<br />

was vor allem bedeutet: weniger Autos in den Innenstädten,<br />

mehr Rad- und Nahverkehr. Schnell ist von<br />

Verboten die Rede, sogar von Einschränkung der individuellen<br />

Freiheit: das Thema wird emotional diskutiert.<br />

Ich vermute, Sie befürworten eine solche Verkehrswende?<br />

Wie kann dafür Akzeptanz geschaffen werden – gerade<br />

in einer vermeintlichen Autonation wie Deutschland?<br />

Nun, Deutschland ist ja zuerst einmal Fahrradnation<br />

–immerhin wurde hier auch das Fahrrad erfunden! Aber<br />

mal Spaß beiseite: Nur über eine Verbotsdebatte werden<br />

wir natürlich keine nach vorn gerichtete Debatte über die<br />

Verkehrswende hinbekommen und wir werden so auch<br />

nicht das Dilemma lösen, dass die Verkehrsflächen für<br />

den Autoverkehr immer weiter anwachsen und in<br />

gleicher Weise das System Autoverkehr immer weniger<br />

gut funktioniert. Man muss ja nur einen Blick auf die<br />

wachsenden Zeiten werfen, die die Deutschen im Stau<br />

stehen oder auf die galoppierenden Kosten des<br />

Straßenbaus. Da ist klar: Irgendwas kann da nicht<br />

stimmen. Mit einem effizienten System hat das nicht<br />

mehr viel zu tun.<br />

Was wir in Deutschland vor allem brauchen, ist eine<br />

Debatte darüber, wie moderne Mobilität aussehen kann.<br />

Und ich glaube, da sind wir mit unserer Idee des Fahrrads<br />

im Mittelpunkt moderner Mobilität näher an den Leuten<br />

dran, als sich das weite Teile der Politik vorstellen<br />

können. Ich erlebe immer wieder bei neugebauten<br />

Radwegen, dass die Leute noch vor der Eröffnung die<br />

Absperrungen zur Seite schubsen und die Wege in Besitz<br />

nehmen, schneller als sich das vielleicht der eine oder<br />

andere Verkehrspolitiker oder Bürgermeister vorstellen<br />

kann. Die Leute wollen ihre Wege gern mit dem Rad<br />

zurücklegen. Was fehlt, ist ein flächendeckendes und<br />

87


sicher benutzbares Rad-Netz. Und da sind wir beim<br />

Begriff der individuellen Freiheit: Dass das Auto beim<br />

alltäglichen Verkehr in unseren Städten individuelle<br />

Freiheit bringt, das ist doch Murks. Wir sehen ganz genau<br />

– in Holland und in vielen Fahrradstädten rund um die<br />

Welt - dass sehr viele Leute ins Auto gezwungen werden,<br />

weil die Alternativen nicht funktionieren. Weil der<br />

ÖPNV überlastet ist und weil eben auch dieses<br />

lückenhafte Radwegenetz an vielen Stellen noch nicht<br />

funktioniert. Wo es aber funktioniert, da steigen die<br />

Leute um, quer durch alle Altersgruppen.<br />

Ist es überhaupt realistisch, dass jede Stadt oder Region<br />

vermehrt auf das Fahrrad setzt? Ich denke zum Beispiel<br />

an hochgelegene bergige Gegenden, Städte mit vielen engen<br />

Pflasterstein-Straßen oder mit viel Schnee und Niederschlag.<br />

Klar gibt es irgendwo Grenzen. Und nicht jedes letzte<br />

Schweizer Bergdorf wird eine Fahrradmetropole werden.<br />

Dennoch ist das Potential auch außerhalb flacher<br />

Regionen groß. In Zeiten von E-Bikes sind Berge ja<br />

eigentlich kein Thema mehr. Und das sieht man auch an<br />

den Verkaufszahlen von Fahrrädern: Jedes dritte neu<br />

verkaufte Rad ist ein E-Bike. Ein Problem sind eher die<br />

„Berge in den Köpfen“. Das heißt, dass Kommunalpolitiker<br />

und Verkehrsplaner fest davon ausgehen, dass in<br />

ihrer Kommune sowieso keiner Rad fährt – zu bergig. Das<br />

führt dann dazu, dass das Fahrrad bei der Infrastruktur<br />

nicht mitgedacht wird. Ein schönes Beispiel ist<br />

Wuppertal: Dort wurde vor ein paar Jahren eine alte<br />

Eisenbahntrasse zu einem wunderbaren Radschnellweg<br />

umgewandelt – plötzlich stiegen die Wuppertaler aufs<br />

Rad! Und dort mag es ja an dem einen oder anderen<br />

mangeln - Berge gibt es wahrlich genug. Die Frage nach<br />

der Topografie spielt natürlich zum Schluss auch eine<br />

Rolle. Aber viel bedeutender ist es, ob sich die Menschen<br />

in einer Stadt gefährdet fühlen oder ob sie eine<br />

realistische Chance sehen, mit dem Rad am Ende des<br />

Tages heil zuhause anzukommen. In den Niederlanden<br />

müssen die Leute ja auch mit heftigem Wind und<br />

nasskaltem Wetter klarkommen – und dort haben wir<br />

Anteile des Radverkehrs von über einem Viertel aller<br />

Wege! In Deutschland wird nur jeder neunte Weg mit<br />

dem Fahrrad zurückgelegt.<br />

Viele Kommunen sind klamm und haben kaum Geld, um<br />

selbst die nötigsten Aufgaben zu erfüllen, wie man auch<br />

an Schlaglöchern und kaputten Radwegen sieht. Ganz<br />

banal gefragt: Ist es da überhaupt realistisch, von den<br />

Städten mehr Investitionen in den Radverkehr zu fordern?<br />

Oder muss die komplette Finanzierung der Radinfrastruktur<br />

neu aufgestellt werden?<br />

Der ADFC ist ja beim Thema der Finanzierung moderner<br />

und sicherer Radwegenetze schon einige Jahre am Ball.<br />

Und man muss sagen: Für Ortsumgehungen und große<br />

Parkplätze für Autos kommt das Geld ja auch irgendwoher.<br />

In Sachsen haben wir für den Radwegebau eine Förderquote<br />

von 90 Prozent – da braucht es fast keine<br />

Eigenmittel mehr. Auf Bundesebene ein ähnliches Bild:<br />

Bundesverkehrsminister Scheuer hat den Radverkehrsetat<br />

des Bundes ab <strong>2020</strong> von knapp über 100 auf 325 Mio.<br />

Euro pro Jahr verdreifacht – da kann wirklich keiner<br />

mehr erzählen, dass es am Geld hängt.<br />

Was wir aber brauchen, sind mehr Verkehrsplaner, mehr<br />

Know-how und einen Bewusstseinswandel auf der<br />

kommunalen Ebene, dass sie für den Umbau der Städte<br />

auch Verantwortung übernehmen müssen. Da ist etwas in<br />

Bewegung. Aber dem ADFC geht das natürlich alles noch<br />

ein bisschen zu zäh. Ein Problem ist auch, dass die Länder<br />

und Kommunen jahrzehntelang ihre Schubladen mit<br />

Ortsumgehungen und Straßenverbreiterungen für den<br />

Autoverkehr gefüllt haben – und in diesen Schubladen<br />

heute praktisch kein Radverkehrsprojekt liegt, was man<br />

jetzt im Angesicht des Geldregens mal eben ausrollen<br />

könnte.<br />

Ein – scheinbar kaum zu lösendes – Problem sind Fahrraddiebstähle.<br />

292.000 Räder wurden 2018 geklaut, allein<br />

in meiner Heimatstadt Leipzig waren es rund 10.000. Mir<br />

selbst wurden in den letzten vier Jahren drei Räder entwendet,<br />

alle waren mit einem guten Schloss an einem festen<br />

Gegenstand befestigt. Auch das macht Radfahren<br />

unattraktiver. Was kann aus Ihrer Sicht getan werden,<br />

damit weniger Räder entwendet werden?<br />

Wir brauchen natürlich mehr Polizeiarbeit, um beim<br />

Fahrraddiebstahl wirklich den Trend zu brechen. Und das<br />

heißt vor allem: mehr Personal. Aber daneben sind auch<br />

andere Akteure in der Pflicht. Zuallererst die Besitzer der<br />

Räder selbst: Viele geklaute Räder waren eben nicht an<br />

einem festen Gegenstand angeschlossen. Zweitens die<br />

Kommunen, die für sichere Abstellanlagen, zum Beispiel<br />

an Bahnhöfen und im Straßenraum sorgen müssen. Und<br />

drittens die Wohnungswirtschaft, denn ganz viele Räder<br />

werden aus Höfen herausgestohlen, wo diebstahlsichere<br />

und abgeschlossene Fahrradständer meist nicht<br />

vorhanden sind und man als Mieter oft keine Chance hat,<br />

88


sein Rad sicher abzustellen. Da gäbe es viel Potential. Und<br />

erste Städte justieren auch auf Druck des ADFC ihre<br />

Bauordnungen zu diesem Thema nach.<br />

Blickt man auf die Berichterstattung der Medien, scheint<br />

sie Vorurteile gegenüber Radfahrern teils zu bestärken.<br />

„Radfahrer verursachen immer mehr Unfälle“, schrieb<br />

zum Beispiel vor kurzem dpa – obwohl bei verunfallten<br />

Radfahrern, Alleinunfälle eingerechnet, diese „nur“ zu<br />

40 Prozent Hauptverursacher sind. Die „WELT“ gibt,<br />

weitestgehend unkommentiert, einen Kommentar von<br />

Bernd Irrgang wieder, Vorsitzender des Bundes der Fußgänger:<br />

„Es liegt in der Natur des Radfahrers, dass er<br />

90 Prozent der für ihn geltenden Regeln ignoriert“. Woher<br />

rühren aus Ihrer Sicht derartige Vorurteile? Was hilft<br />

dagegen?<br />

Radfahrer sind – so lange sie es gibt – immer wieder dem<br />

Vorwurf ausgesetzt gewesen, gesetzlos zu sein, sich über<br />

Regeln hinwegzusetzen, latent gegen gesellschaftliche<br />

Konventionen zu verstoßen. Das fängt bei Rad fahrenden<br />

Frauen im 19. Jahrhundert an, die sich skandalöserweise<br />

weigerten, Röcke zu tragen. Und ich bin mir sicher, es<br />

hört beim heute immer wieder ertönenden Vorwurf nicht<br />

auf, Radfahrer seien selbst Schuld an Unfällen, solange sie<br />

keine Warnweste trügen. Das ist natürlich völlig absurd:<br />

Niemand käme angesichts einer ungleich größeren Zahl<br />

an Unfällen mit Autos auf die Idee, die Zulassung eines<br />

Kraftfahrzeugs an eine neongelbe Lackierung zu koppeln.<br />

Ich denke, im Kern geht es darum, welche Form der<br />

Alltagsmobilität wir in Deutschland heute als Normalität<br />

wahrnehmen und welche Form eher die Ausnahme<br />

darstellt. Und Dinge, die normal sind, werden nicht<br />

hinterfragt – wer etwas Unnormales tut, muss sich<br />

hingegen dafür rechtfertigen. Niemand würde je auf die<br />

Idee kommen, eine Autohelmpflicht zu verlangen –<br />

obwohl die Zahl der schweren Kopfverletzungen bei<br />

Autoinsassen ungleich größer ist als bei Radfahrern. Ich<br />

erlebe da gerade aber auch einen Wandel des Diskurses,<br />

der mich grundsätzlich hoffnungsvoll stimmt. Und in den<br />

Niederlanden redet schon lange niemand mehr über die<br />

kriminelle „Natur des Radfahrers“ – schließlich legen dort<br />

inzwischen nahezu alle Leute Wege mit dem Rad zurück.<br />

Die Fragen an Konrad Krause<br />

stellte Mirko Wenig<br />

89


Nach Fahrraddiebstählen<br />

gibt es oft<br />

keine Spuren<br />

Alexander Bertram<br />

Polizeisprecher<br />

Leipzig ist – wie viele andere Großstädte auch – eine Fahrraddiebstahl-Hochburg: Diese leidvolle<br />

Erfahrung musste auch der Verfasser dieser Zeilen bereits machen, nachdem ihm zwei<br />

angeschlossene Räder in kurzer Zeit geklaut wurden. Über die Gründe und Ursachen sprach<br />

der <strong>Versicherungsbote</strong> mit Polizeioberkommissar Alexander Bertram, Sachbearbeiter Presseund<br />

Öffentlichkeitsarbeit der Polizeidirektion Leipzig.<br />

<strong>Versicherungsbote</strong>: 2018 wurden in Deutschland 292.000<br />

Fahrräder gestohlen, davon 160.000 versicherte Räder.<br />

Das sind mehr als 800 pro Tag. Was sind aus Ihrer Sicht<br />

Gründe dafür, dass so viele Fahrräder entwendet werden?<br />

Alexander Bertram: Über die Gründe kann nur spekuliert<br />

werden. Sicher spielen ein hohes Aufkommen an<br />

Fahrrädern, ein vorhandener Markt für gebrauchte und<br />

eben auch entwendete Fahrräder sowie unzureichende<br />

Sicherung eine Rolle. Eine abschließende Erklärung<br />

können wir hierfür nicht anbieten.<br />

Können Sie etwas zum Langzeittrend beim Thema Fahrraddiebstahl<br />

sagen, vielleicht mit Blick auf die letzten<br />

20 Jahre? Werden mehr/ weniger Räder gestohlen?<br />

Die Zahl der Fahrraddiebstähle hat im gefragten Zeitraum<br />

zumindest in Leipzig stetig zugenommen, wenn auch mit<br />

Schwankungen. Um nur zwei Zahlen zu nennen: Laut<br />

Polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) stieg der Diebstahl<br />

von Fahrrädern in Leipzig von 3.996 Rädern im Jahr 2009<br />

auf 10.027 in 2017. Allerdings sank die Zahl 2018 auch<br />

wieder auf 8.781 angezeigte Räder. Zugleich ist von einer<br />

hohen Dunkelziffer auszugehen, weil nicht jeder Diebstahl<br />

der Polizei auch angezeigt wird.<br />

Warum ist es so schwer, die Diebe zu überführen? Die<br />

Aufklärungsquote liegt bei „nur“ zehn Prozent. Als<br />

eine Kollegin einen Leipziger Polizisten fragte, wie<br />

hoch die Wahrscheinlichkeit ist, ihr Rad wiederzubekommen,<br />

antwortete er: „Mir wurden in kurzer Zeit<br />

drei Räder geklaut, nun bekomme ich keine Fahrradversicherung<br />

mehr!“ Das klingt fast, als habe selbst die<br />

Polizei resigniert.<br />

Im privaten Rahmen getätigte Äußerungen von Kollegen<br />

können wir nicht kommentieren. Die Polizei hat<br />

keinesfalls resigniert. Jede Anzeige wird auch bearbeitet.<br />

Die Großstädte sind regelrechte Diebstahl-Hochburgen:<br />

allein in Leipzig werden jedes Jahr circa 10.000 Räder entwendet.<br />

Gibt es Bestrebungen der Polizei, speziell bei<br />

Raddiebstählen mehr Fälle aufzuklären? Oder sagen Sie:<br />

andere Delikte haben Vorrang, wir brauchen erstmal eine<br />

bessere Personalausstattung?<br />

Zur Aufklärungsquote ist zu sagen, dass es regelmäßig bei<br />

Fahrraddiebstählen keine Spuren gibt, die zum Täter<br />

führen. Selbst zerstörte Schlösser nehmen Diebe mit, um<br />

keine Spuren zu hinterlassen. Dies macht jede Ermittlung<br />

schwer. In den vergangenen Jahren wurde mehr Täter<br />

90


ermittelt, gleichzeitig sind aber die Diebstähle angestiegen.<br />

Deshalb ist die Aufklärungsquote relativ konstant.<br />

Zur Personalstärke hat sich das Innenministerium diese<br />

Woche geäußert. Ziel ist es, die Personalausstattung weiter<br />

zu verbessern, was wir begrüßen. Sachsens Innenminister<br />

Roland Wöller will damit auf neue Bedrohungs- und<br />

Gefährdungslagen u.a. durch Terror, Extremismus, aber<br />

auch Cyberkriminalität im Bundesland reagieren, was eine<br />

bessere Personalausstattung erfordere.<br />

Inwiefern spielt Bandenkriminalität beim Fahrraddiebstahl<br />

eine Rolle? Bei Autos wissen wir, dass sie teils auf<br />

Bestellung geklaut werden, es regelrechte „Lieferketten“<br />

ins Ausland gibt. Ist es bei Rädern ähnlich?<br />

Es ist immer wieder festzustellen, dass gestohlene<br />

Fahrräder ins Ausland transportiert werden. Die<br />

Leipziger Polizei hat in der Vergangenheit mehrfach<br />

Transportfahrzeuge angehalten, in denen bis zu 30<br />

Fahrräder transportiert wurden. Bandenkriminalität<br />

spielt hier durchaus eine Rolle. Viele Fahrräder werden<br />

aber auch von Einzeltätern über das Internet verkauft.<br />

Hierzu nutzen die Diebe sämtliche Verkaufsplattformen,<br />

die es gibt.<br />

Ist es ein Klischee, dass Räder vornehmlich nachts geklaut<br />

werden? Gibt es hier bevorzugte Zeiten? Meine persönliche<br />

Erfahrung: Alle Räder, die mir entwendet wurden,<br />

kamen tagsüber abhanden.<br />

Fahrräder werden grundsätzlich jederzeit und allerorts<br />

gestohlen. Stoßzeiten gibt es keine. Allerdings ist<br />

festzustellen, dass es sogenannte Hotspots gibt, wie die<br />

Fahrradständer an den Unikliniken und die<br />

Fahrradgarage der Universität Leipzig. Dort sind tagsüber<br />

mehrere hundert Fahrräder abgestellt. Dort wurden<br />

Fahrräder vornehmlich tagsüber entwendet.<br />

Lässt sich – ähnlich wie bei Autos – erkennen, dass bestimmte<br />

Fahrrad-Modelle oder -arten besonders häufig<br />

geklaut werden?<br />

Generell werden alle Fahrräder entwendet, egal in welcher<br />

Preisklasse und in welchem technischen Zustand.<br />

Allerdings ist ein steigender Trend bei E-Bikes zu<br />

verzeichnen. Es gab in der Vergangenheit in Leipzig<br />

mehrere Fälle von Einbrüchen in Fahrradläden, bei denen<br />

E-Bikes entwendet wurden.<br />

Es gibt mittlerweile Räder, die mit einer Art GPS-Tracker<br />

ausgestattet sind, damit sie nach einem Diebstahl<br />

geortet werden können. Kann das ein Weg sein, die<br />

Aufklärung künftig zu verbessern? Welche neuen technischen<br />

Möglichkeiten könnten vielleicht noch helfen?<br />

Die Polizei empfiehlt vor allem ein gutes Schloss und das<br />

Verschließen an einem geeigneten Gegenstand. Dieser ist<br />

nicht unbedingt ein Verkehrsschild. Auch hier gab es<br />

Sachverhalte in der Vergangenheit, bei denen die Tafeln<br />

abgeschraubt wurden und das Fahrrad nach oben<br />

geschoben und so entwendet wurde. Oft werden auch<br />

Gegenstände genutzt, die keine Sicherheit bieten, wie<br />

zum Beispiel Regenfallrohre. Davon muss dringend<br />

abgeraten werden.<br />

Welche Tipps haben Sie mit Blick auf die Diebstahl-Prävention?<br />

Mir selbst wurden zwei Räder geklaut, obwohl<br />

ich jeweils hochwertige Fahrradschlösser verwendete und<br />

die Räder an einem festen Gegenstand angeschlossen hatte.<br />

All das half nichts.<br />

Generell gibt es keine 100-prozentige Sicherung. Jedes<br />

Schloss lässt sich zerstören. Die Zeit die ein Dieb braucht,<br />

spielt aber eine tragende Rolle.<br />

Nach wie vor ist zu beobachten, dass an den<br />

Fahrradständern der Stadt zahlreiche Räder (auch<br />

hochpreisige) stehen, die nur mit preiswerten Schlössern<br />

gesichert sind, die sich leicht (mit geringem Aufwand und<br />

z.B. mit Seitenschneider) öffnen lassen. Den besten<br />

mechanischen Diebstahl-Schutz bieten stabile Bügel- oder<br />

Panzerkabelschlösser. Beim Kauf sollten Radfahrer auf<br />

„geprüfte Qualität“ und hochwertiges Material – wie<br />

durchgehärteten Spezialstahl – achten. Massive<br />

Schließsysteme sind ebenfalls wichtig.<br />

Was sollten Radfahrer beachten, um ihr Rad tatsächlich<br />

wiederzubekommen, wenn es gestohlen wurde?<br />

Fahrräder sollten unbedingt eine Individualnummer<br />

haben, die man nach Diebstahl in polizeilichen<br />

Fahndungssystemen ausschreiben kann. Nur so ist es<br />

möglich, wiederaufgefundene Fahrräder zuzuordnen.<br />

Alternativ kann man z. B. in der Stadt Leipzig sein<br />

Fahrrad codieren lassen. Es wird dann mit einer Nummer<br />

versehen und die Daten des Eigentümers werden<br />

gespeichert – ähnlich einem Autokennzeichen.<br />

Das Interview mit Alexander Bertram<br />

führte Mirko Wenig<br />

91


Versicherungsfall „Sturm“ in der Wohngebäudeversicherung<br />

und die Frage, ob man<br />

Wasser „werfen“ kann<br />

Sven Wenig<br />

Redaktion <strong>Versicherungsbote</strong>


Die Wohngebäudeversicherung versichert auch Naturgefahren<br />

wie Schäden durch einen Sturm. Dies freilich<br />

gilt nur zu bestimmten Bedingungen: Versichert sind<br />

nur Schäden, die durch unmittelbare Einwirkung des<br />

Sturms auf die Gebäude entstehen oder dadurch, dass<br />

der Sturm Gebäudeteile, Bäume oder andere<br />

Gegenstände auf Gebäude oder versicherte Sachen warf.<br />

Liegt aber auch ein versicherter Sturmschaden vor, wenn<br />

Regenwasser bei starkem Wind ins Innere einer Mauer<br />

getrieben wird, so dass das Mauerwerk einbricht? Hierzu<br />

fällte das Oberlandesgericht (OLG) München einen<br />

Hinweisbeschluss vom 09.09.2019 (Az. 25 U 3910/19)<br />

– der anschaulich macht, wann ein Sturmschaden gemäß<br />

den Allgemeinen Wohngebäude Versicherungsbedingungen<br />

vorliegt.<br />

Was führte zu dem Streit vor Gericht? Ein im westlichen<br />

Teil Mittelfrankens beheimateter<br />

Grundstückbesitzer hatte in<br />

seinem Gehöft einen Schaden<br />

erlitten. Verursacht sah er diesen<br />

Schaden durch einen schweren<br />

Sturm vom 29.05.2016. Freilich:<br />

Der Schaden trat erst später ein.<br />

Denn durch diesen Sturm und<br />

nachfolgenden und dauerhaften<br />

Regen wurde Wasser ins Innere<br />

einer Mauer des Gehöfts<br />

getrieben, verursacht auch durch<br />

Risse in den Mauerwerksfugen.<br />

Aufgrund der Vernässung des Mauerwerks kam es dann<br />

– sechs Tage nach dem Sturm am 04.06.2016 – zum<br />

Einbruch der Mauer.<br />

Der Geschädigte wollte nun einen Sturmschaden bei<br />

seiner Versicherung geltend machen und meinte, er<br />

könne sich hierfür auf die Versicherungsbedingungen<br />

seiner Wohngebäudeversicherung berufen. Leistungen<br />

für den entstandenen Schaden jedoch lehnte der<br />

Versicherer ab. Seien doch Schäden wie der entstandene<br />

nicht durch die Gebäudeversicherung abgedeckt. Also<br />

klagte der Versicherungsnehmer auf Ersetzen des<br />

Schadens – zunächst vor dem Landgericht (LG)<br />

Ingolstadt. Das Landgericht jedoch wies die Klage ab<br />

(Az. 21 O 1634/17), weswegen der Versicherungsnehmer<br />

beim Oberlandesgericht (OLG) München Berufung<br />

einlegte. Erneut allerdings ohne Erfolg: Mit Hinweisbeschluss<br />

vom 09.09.2019 (Az. 25 U 3910/19) wurde dem<br />

Kläger nahe gelegt, die Berufung zurückzunehmen.<br />

Denn nach einstimmiger Auffassung des zuständigen<br />

Senats hat die Berufung keine Aussicht auf Erfolg.<br />

Und im Sinne dieses<br />

Sprachgebrauchs<br />

betrifft das<br />

„Werfen“ von „Gegenständen“<br />

körperliche<br />

Gegenstände.<br />

Geforderte Bedingung für Schadenleistungen:<br />

Die Unmittelbarkeit des Sturms<br />

Was aber führte zu dem deutlichen Hinweis, dass einem<br />

Berufungsverfahren keine Aussicht auf Erfolg<br />

beschieden ist? Mehrere Gründe machte das<br />

Oberlandesgericht – in Bestätigung der Vorinstanz<br />

– hierfür geltend. Maßgebend war insbesondere § 4 der<br />

Allgemeinen Wohngebäude Versicherungsbedingungen<br />

(VGB) mit Stand 2010 – dort sind die versicherten<br />

Naturgefahren und Schäden definiert sowie<br />

Bedingungen, zu denen die Versicherung bei derartigen<br />

Schäden leistet. So zählt Sturm zwar zu den versicherten<br />

Naturgefahren – als eine wetterbedingte Luftbewegung<br />

von mindestens Windstärke 8 nach Beaufort (Windgeschwindigkeit<br />

mindestens 62 km/h). Geleistet wird<br />

jedoch nur, wenn der Sturm unmittelbar auf versicherte<br />

Sachen oder Gebäude einwirkt<br />

oder unmittelbar auf weitere<br />

Gebäude, die mit dem<br />

versicherten Gebäude verbunden<br />

sind. Ist dies der Fall, leistet die<br />

Versicherung freilich auch für<br />

Folgeschäden. Eine solche Unmittelbarkeit<br />

jedoch fehlte laut<br />

Gericht bei dem verhandelten<br />

Schaden.<br />

Denn die Versicherung muss im<br />

Sinne dieser Bedingung nur<br />

leisten, sobald die versicherte Sache durch den Druck<br />

oder den Sog aufprallender Luft beschädigt oder<br />

zerstört wird. Bei einer durch längere Regenfälle sich<br />

hinziehenden Vernässung trifft dies jedoch nicht zu<br />

– dann ist der kontinuierliche Regen, nicht aber der<br />

vorausgehende Sturm Ursache für den Schaden. Zwar<br />

könnten die stürmischen Winde das Schadensereignis<br />

beschleunigt haben, indem mehr Wasser in das Innere<br />

der Mauer getrieben wurde. Dies aber reiche für die<br />

geforderte Unmittelbarkeit gemäß VGBs nicht aus, da<br />

durch den Regen eine weitere Ursache zwischen den<br />

Sturm und den Einsturz der Mauer hinzugetreten ist.<br />

Kann man Regen „werfen“?<br />

Freilich: Die klagende Partei des Versicherungsnehmers<br />

wollte es vor Gericht nicht bei einer behaupteten<br />

Unmittelbarkeit belassen. Stattdessen berief man sich<br />

auf eine weitere Bedingung, zu der für einen Sturmschaden<br />

gemäß § 4 VGB geleistet werden könnte. Denn<br />

93


versichert sind auch Sturmschäden, die wie folgt<br />

entstehen: Der Sturm wirft Gebäudeteile, Bäume oder<br />

andere Gegenstände auf versicherte Sachen oder wirft<br />

die Gegenstände auf Gebäude, in denen sich versicherte<br />

Sachen befinden. Daraus entstehende Folgeschäden an<br />

versicherten Sachen sind ebenfalls versichert. Oder der<br />

Sturm wirft Gebäudeteile, Bäume oder andere<br />

Gegenstände auf Gebäude, die mit dem versicherten<br />

Gebäude verbunden sind, woraus Schäden entstehen.<br />

Aber kann man denn Regen tatsächlich „werfen“? Mit<br />

dieser Frage musste sich das Oberlandesgericht<br />

München ebenfalls auseinander setzen.<br />

Zunächst gab der zuständige Senat zu: Der Begriff des<br />

„Gegenstandes“ wird in Literatur und Rechtsprechung<br />

mitunter weit ausgelegt – aus diesem Grund könnten<br />

tatsächlich auch Schäden durch Hagel, Schnee oder<br />

Regen unter die Bedingung fallen. Aus zwei Gründen<br />

jedoch kann der klagende Versicherungsnehmer dies<br />

nicht für den vorliegenden Fall geltend machen.<br />

Denn zum einen muss dann der Regen wieder<br />

unmittelbar im Zusammenhang mit dem Sturm den<br />

Schaden verursacht haben – zum Beispiel in<br />

Verbindung mit dem Druck oder Sog während des<br />

Sturms. Demnach muss der Schaden, trotz des<br />

aufprallenden Regens, durch die Windstärke verursacht<br />

sein. Laut Gutachten eines Bausachverständigen aber<br />

war nicht die Windstärke, sondern die Dauer des<br />

Regens entscheidend für das Schadenereignis. Schon<br />

deswegen standen Regen und Sturm nicht in einem<br />

Zusammenhang, dass erneut der Versicherer in die<br />

Leistungspflicht kommt.<br />

Jedoch hat zum anderen das Oberlandesgericht auch<br />

dargelegt, dass es große Zweifel hat, ob es eine solche<br />

weite Auslegung des Begriffs „Gegenstand“ überhaupt<br />

mittragen würde, der auch Regen zu einem<br />

Wurfgegenstand werden lässt. Denn die<br />

Versicherungsbedingungen seien grundsätzlich nach<br />

dem Sprachgebrauch des täglichen Lebens auszulegen.<br />

Und im Sinne dieses Sprachgebrauchs betrifft das<br />

„Werfen“ von „Gegenständen“ körperliche Gegenstände.<br />

Zwar könne man sich unter bestimmten<br />

Voraussetzungen noch vorstellen, Schnee „zu werfen“.<br />

Jedoch würde sich nach dem allgemeinen Sprachgebrauch<br />

kaum der Sinnzusammenhang ergeben, der<br />

auch Schäden durch Regen unter die maßgebende<br />

Klausel fasst.<br />

94


Beweislast liegt beim Versicherungsnehmer<br />

Obwohl sich das Oberlandesgericht München die Mühe<br />

machte, all diese Entscheidungsgründe auszuführen,<br />

können diese Gründe letztendlich aber sogar<br />

dahinstehen. Denn schon eine wichtige Vorbedingung<br />

für einen Schadenfall im Sinne der Wohngebäudeversicherung<br />

war gar nicht gegeben: Der Beweis,<br />

dass überhaupt ein Sturmschaden vorlag. Die Beweislast<br />

nämlich, darauf weist das Oberlandesgericht hin, liegt<br />

beim Versicherungsnehmer. Der Versicherungsnehmer<br />

muss nachweisen, dass am Schadenstag auf dem<br />

versicherten Grundstück ein Sturm mit Windstärke 8<br />

herrschte. Und das war im verhandelten Fall misslungen.<br />

Die klagende Partei des Versicherungsnehmers wollte<br />

sich nämlich auf ein Sachverständigen-Gutachten des<br />

Deutschen Wetterdienstes berufen, wonach am<br />

29.05.2016 am Schadensort sehr wahrscheinlich<br />

Windstärke 7 nach Beaufort erreicht wurde. Aufgrund<br />

der Wetterlage und örtlicher Gegebenheiten seien ferner<br />

wahrscheinlich auch Windspitzen der Windstärke 8 nach<br />

Beaufort aufgetreten – es sei also ferner auch Sturm<br />

aufgetreten im Gebiet des versicherten Grundstücks. Der<br />

Beweis einer solchen Wahrscheinlichkeit jedoch, die nur<br />

Windstärke 7 „sehr wahrscheinlich“ macht und die<br />

Möglichkeit eines Sturmschadens eröffnet, nimmt eine<br />

Versicherung noch nicht in die Leistungspflicht.<br />

Denn es muss mit hinreichender Sicherheit nachgewiesen<br />

werden, dass am Schadensort eine Windgeschwindigkeit<br />

von mindestens 62 km/h und damit Windstärke 8<br />

geherrscht hatte. Ist die Windstärke jedoch nicht<br />

feststellbar, muss die Luftbewegung in der Umgebung des<br />

Versicherungsgrundstücks Schäden an Gebäuden in<br />

einwandfreiem Zustand oder an ebenso widerstandsfähigen<br />

anderen Sachen angerichtet haben – hier<br />

greift wieder die Bedingung der Unmittelbarkeit. Eine<br />

solche Unmittelbarkeit jedoch zeigte sich im verhandelten<br />

Schaden nicht. Demnach gelang dem Kläger nicht<br />

einmal der Nachweis, dass überhaupt Wetterbedingungen<br />

für einen Sturmschaden vorlagen.<br />

Ein Kommentar von Sven Wenig


Auf der Suche nach der passenden<br />

Anhängerversicherung<br />

So vielfältig, wie die Welt der Anhänger ist, so unterschiedlich sind die Versicherungsangebote.<br />

Bei der Wahl des richtigen Tarifs gibt es einiges zu beachten. Worauf Sie bei der Auswahl<br />

der Anhängerversicherung achten müssen, erklärt Angele Bezler, Abteilungsdirektorin der<br />

Kfz-Vertragsabteilung bei der Württembergische Gemeinde-Versicherung a. G. (WGV).<br />

Anhänger ist nicht gleich Anhänger: Ob beispielsweise<br />

offene Bauweise, Koffersystem, Viehanhänger,<br />

Bootstrailer oder Wohnwagenanhänger<br />

– es gibt zahlreiche<br />

verschiedene Transportmöglichkeiten.<br />

Auch versicherungstechnisch<br />

sind diese<br />

Unterschiede relevant. Ebenso<br />

ist der geplante Einsatz<br />

entscheidend. Denn ob der<br />

Anhänger privat oder<br />

gewerblich genutzt wird, wirkt<br />

sich ebenso auf die<br />

Versicherungspolice aus.<br />

Ähnlich wie bei der<br />

KFZ-Versicherung gibt es auch<br />

für Anhänger einen<br />

Versicherungsschutz in der<br />

Haftpflicht-, Teil- und<br />

Vollkaskoversicherung. Und<br />

genau hier unterscheiden sich<br />

gute von schlechten Versicherungsangeboten:<br />

Eine gute<br />

Anhängerversicherung sollte die gesetzlich vorgeschriebene<br />

Haftpflichtversicherung mit einer<br />

Versicherungssumme von 100 Millionen Euro je<br />

Schadenfall bei Personen-, Sach- und Vermögensschäden<br />

beinhalten. Bei Personenschäden ist dabei zu beachten,<br />

dass bis zu 15 Millionen Euro pro geschädigte Person<br />

vereinbart sind. Mittlerweile decken viele Versicherer<br />

auch grob fahrlässiges Handeln ab. Ihrer auch? Unser<br />

Tipp: Prüfen sie insbesondere bei alten Verträgen den<br />

Versicherungsumfang und lassen Sie ihn gegebenenfalls<br />

auf die aktuellsten Bedingungen umstellen.<br />

Für neue Anhänger oder Anhänger in gutem Zustand<br />

empfehlen wir eine Teil- oder Vollkaskoversicherung, um<br />

umfassend abgesichert zu sein. Hier lohnt sich genauso der<br />

Blick ins Kleingedruckte der Bedingungen: Welche fest<br />

mit dem Fahrzeug verbauten Teile sind mitversichert?<br />

Wie sieht es beispielsweise beim Wohnwagenanhänger<br />

mit Vorzelt und Markise aus? Eine gute<br />

Anhängerversicherung sollte diese Teile mitversichern.<br />

96<br />

Angele Bezler<br />

Abteilungsdirektorin Kfz-Vertrag<br />

Württembergische Gemeindeversicherung a. G.<br />

Häufig passieren Schäden, wenn der Anhänger ohne das<br />

Zugfahrzeug abgestellt wird und die Bremse nicht<br />

vollständig angezogen ist. So<br />

kann der Anhänger beispielsweise<br />

auf fremde Fahrzeuge<br />

rollen und diese beschädigen.<br />

Dann übernimmt die Haftpflichtversicherung<br />

des Anhängers<br />

den Schaden am<br />

fremden Fahrzeug. Den Schaden<br />

am eigenen Anhänger übernimmt<br />

die Haftpflichtversicherung<br />

jedoch nicht – eine<br />

Vollkaskoversicherung würde<br />

diesen jedoch bezahlen.<br />

Auch beim Zugfahrzeug ist der<br />

passende Versicherungsschutz<br />

wichtig. Die Vollkaskoversicherung<br />

für das Zugfahrzeug<br />

sollte eine sogenannte Schlingerdeckung<br />

enthalten, um auch bei<br />

Schäden zwischen Zugfahrzeug<br />

und Anhänger ohne Einwirkung<br />

von außen abgesichert zu sein. Diese Schäden können<br />

beispielsweise beim Fahren über Bodenwellen oder beim<br />

Rangieren passieren.<br />

Ein zusätzliches Kriterium für die Wahl des Versicherers<br />

können oft auch bereits bestehende Policen sein. Viele<br />

Versicherer nehmen Anhänger nur dann an, wenn das<br />

ziehende Fahrzeug auch bei ihnen versichert ist. Diese<br />

Einschränkung indes gibt es bei der WGV beispielsweise<br />

nicht. Es gibt also einiges beim Abschluss einer<br />

Anhängerversicherung zu beachten. Daher empfehlen wir<br />

Ihnen, mit den Anbietern ihre Situation genau zu besprechen,<br />

um das passende Versicherungspaket zu finden<br />

und Einsparungspotentiale zu erkennen. Die<br />

Gegebenheiten und Bedürfnisse sind oft sehr vielfältig.<br />

Und so lohnt es sich, Preis und Leistung der Tarife zu<br />

vergleichen und das richtige Angebot für Ihre<br />

Konstellation auswählen.<br />

Ein Gastkommentar von Angele Bezler

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