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05 / 2024

Die Fachzeitschrift ORTHOPÄDIE TECHNIK ist die maßgebliche Publikation für das OT-Handwerk und ein wichtiger Kompass für die gesamte Hilfsmittelbranche.

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Prothetik<br />

kationen einhergeht [5]. Tibia längen<br />

von bis zu 16–18 cm haben in der Regel<br />

eine gute Weichteildeckung durch<br />

die kräftigen Muskelbäuche auf dieser<br />

Amputationshöhe. Bei Stumpflängen<br />

darüber hinaus kann eine suffiziente<br />

Weichteildeckung aufgrund des<br />

sehnigen, distalen Anteils der Unterschenkelmuskeln<br />

erschwert sein. Die<br />

Fibula sollte 1–2 cm kürzer als die Tibia<br />

sein und die Tibia sollte im ventralen<br />

Drittel abgerundet werden [3].<br />

Weichteilmanagement<br />

Die Planung des Hautlappens wird<br />

durch die verfügbare intakte Haut und<br />

Weichteile determiniert. Es hat sich<br />

nach Burgess ein langer dorsaler Lappen<br />

(Haut der Wade bis zur Achillessehne)<br />

und ein kurzer ventraler Hautlappen<br />

durchgesetzt, die in einer ventralen,<br />

horizontalen Narbe abheilen<br />

[3, 4]. Diese Technik wurde später von<br />

Brückner modifiziert [5]. Eine Alternative<br />

sind zwei symmetrische mediale<br />

und laterale Hautlappen mit einer vertikalen<br />

Narbe (sagittaler Zugang) [6–8].<br />

Die tiefen und oberflächlichen Flexoren<br />

inklusive des M. soleus, die Unterschenkelextensoren<br />

und die lateralen<br />

Muskeln der Peronealloge werden<br />

so weit proximal wie möglich reseziert<br />

und entfernt. Der mediale und/oder<br />

laterale Gastrocnemiusbauch wird<br />

von dorsal nach ventral um die Tibia<br />

und Fibula geschlagen. Die oberflächlichen<br />

Faszien der Mm. gastrocnemii<br />

werden an die der Stümpfe der Mm.<br />

peronaei bzw. an das mediale Periost<br />

der Tibia mit resorbierbarem Nahtmaterial<br />

fixiert (Myoplastik, Myopexie).<br />

Eine Modifikation der Fixierung<br />

von Muskelstümpfen ist die transossäre<br />

Fixation des Muskellappens durch<br />

Bohrlöcher durch die Tibia (Myodese<br />

nach Bowker) [2, 9, 10], s. Abb. 1a, b .<br />

Durch die Refixierung der Muskulatur<br />

um den Knochen verbessert sich<br />

ebenso die Durchblutung des Stumpfendes.<br />

Eine zu enge, strangulierende<br />

Muskelnaht hingegen kann zu Muskelnekrosen<br />

führen. Mechanisch widerstandsfähiger<br />

sind die Muskelfaszien,<br />

die in den drei oben genannten<br />

Techniken von dem Nahtmaterial satt<br />

und muskelsparend gegriffen werden<br />

sollten, um eine stabile Naht zu ermöglichen<br />

[2, 11, 12].<br />

Die Transposition und Refixation<br />

der Stumpfmuskulatur ist wichtig,<br />

um eine komfortable, sichere und robuste<br />

Schaftanpassung erzielen zu<br />

können. Aus orthopädietechnischer<br />

Perspektive sollte dies so erfolgen,<br />

dass insgesamt eine konische Form<br />

des Unterschenkelstumpfes erzielt<br />

wird. Demnach lässt sich ein Stumpf<br />

mit dreieckigem, konischem Querschnitt<br />

drehstabil in den Prothesenschaft<br />

einbetten. Eine Birnenform<br />

erschwert die Prothesenversorgung<br />

und eine schnelle Atrophie der Unterschenkelmuskeln<br />

ermöglicht die<br />

definitive Prothesenversorgung und<br />

damit die Mobilisation und Rehabilitation<br />

[2, 13]. In der klinischen Versorgung<br />

sind wir jedoch häufiger mit<br />

den Komplikationen distal und am<br />

Fibulaköpfchen insuffizient weichteilgedeckter<br />

Unterschenkelstümpfe<br />

konfrontiert als Folge der Atrophie der<br />

konischen Stumpfformung.<br />

Grenzen der gegenwärtigen<br />

Prinzipien der Unterschenkelamputation<br />

Das stabile Vernähen von Muskulatur<br />

miteinander grenzt am Stumpf wie auch<br />

in anderen Bereichen der Chirurgie an<br />

biomechanische Grenzen [14]. Unabhängig<br />

vom Nahtmaterial können<br />

Nähte aus der weichen, bei Muskelkontraktur<br />

stets bewegenden Muskulatur<br />

ausreißen, insbesondere wenn<br />

das Knie vor abgeschlossener Vernarbung<br />

bewegt wird. Dies kann auch bei<br />

einer transossären Fixation der Muskelstümpfe<br />

auftreten [15].<br />

Die Dislokation der Muskelstümpfe<br />

nach proximal führt zu einer insuffizienten<br />

Weichteildeckung der Tibia-<br />

und Fibulaenden, bis das Stumpfende<br />

nur noch mit Vollhaut bedeckt<br />

ist. Dies kann zu Druckstellen, Ulzerationen<br />

und Stumpfschmerzen führen.<br />

Um die Muskelnaht stabil in einer<br />

Vernarbung abheilen zu lassen,<br />

hat Brückner eine Immobilisation der<br />

Kniebeugung bis zur stabilen Ausheilung<br />

empfohlen [13].<br />

Der Anteil oben beschriebenen<br />

Abgleitens der Muskeln vom Stumpfende<br />

mit notwendiger chirurgischer<br />

Revision tritt in ca. 6 % der Fälle auf,<br />

insbesondere, wenn der Stumpf in<br />

eine Prothese mit zu engem Schafteingang<br />

angepasst wird. Durch den<br />

Zug an den Muskeln beim Einsteigen<br />

in den Schaft kann das Ausreißen begünstigt<br />

werden [13, 16, 17].<br />

Ein weiteres wichtiges Ziel der chirurgischen<br />

Refixierung der Muskeln<br />

um den Knochenstumpf ist neben der<br />

Weichteildeckung der Erhalt der physiologischen<br />

Vorspannung der Muskeln<br />

[18]. Durch die Amputation verlieren<br />

die Muskeln ihren distalen Ansatz.<br />

Durch die fehlende distale Insertion<br />

ziehen sie sich zurück und können<br />

sich trotz intakter Innerva tion<br />

nicht mehr kontrahieren [13].<br />

Um die Polsterung des knöchernen<br />

Stumpfes und den distalen Reinsertionspunkt<br />

der Muskeln zu erreichen,<br />

werden die Muskelstümpfe bisher wie<br />

oben beschrieben über dem knöchernen<br />

Stumpfende miteinander vereinigt<br />

(wahlweise die Agonisten und<br />

Anta gonisten, Myoplastik) oder transossär<br />

am Knochen fixiert (Myopexie,<br />

Myodese) [19]. In seinen Reiseberichten<br />

nach der Rückkehr von seinem<br />

Kollegen Marian Weiss aus Wierzejewskiego<br />

beschrieb der Amputationschirurg<br />

Ernest Martin Burgess die gute<br />

Stumpfpolsterung und erhaltene Propriozeption,<br />

nachdem er diese Stumpfmuskel-adressierende<br />

Vorgehensweise<br />

erstmals gesehen hatte [20]. Diese<br />

klinische Beobachtung konnte 1967<br />

und bis heute weder für die Myoplastik<br />

noch für die Myodese objektiviert werden<br />

[19].<br />

Agonisten-Antagonisten­<br />

Myoneural-Interface (AMI)<br />

Die Propriozeption beschreibt unseren<br />

Lagesinn. Also die Fähigkeit, bei<br />

geschlossenen Augen genau zu wissen,<br />

in welcher Position sich Körperteile<br />

befinden [21]. Propriozeption<br />

wird zentral im Großhirn durch neurale<br />

Informationen aus dem Kleinhirn,<br />

den Gehörgängen, aus spinaler<br />

Ebene und Informationen aus peripheren<br />

Sinnesorganen in Muskeln,<br />

Sehnen, Gelenkkapseln und Haut verrechnet<br />

[22, 23]. Bei diesen peripheren<br />

Sinnesorganen wird die Propriozeption<br />

in erster Linie durch Mechanorezeptoren<br />

vermittelt, die als Muskelspindeln<br />

und Golgi-Sehnenorgane<br />

bezeichnet werden und Muskellänge,<br />

-geschwindigkeit und -spannung<br />

wahrnehmen. Diese Rezeptoren sind<br />

in den Muskeln und am Muskel-Sehnen-Übergang<br />

lokalisiert [24].<br />

In den Extremitäten überspannen<br />

Muskelpaare ein Gelenk und sind als<br />

Agonist und Antagonist miteinander<br />

gekoppelt. Eine afferente Signalübertragung<br />

der Information von den<br />

Mechanorezeptoren bei Bewegungen<br />

der Gliedmaßen wird durch die Mus­<br />

ORTHOPÄDIE TECHNIK <strong>05</strong>/24<br />

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